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DAS ERBE DER ALTEN

V

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SC I—IRIPTEN ÜBERWE3EN UNDWIRKUNC3 DER

O. C RUSIIIS O. IMMISG-I TH. ZIELINSKI

HEFT V

SEINE DIC H U UND

SEINE PERS.NLIC HKBI

VON

HUGO STE IGER

D IETERIC H'

S C HE VERLAGSBLIC HHANDLLINGTHEODOR WE IC HER IN LEIPZIG 1912

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EUR P DE S

SEINE DIC HTIING UND

SEINE PERS.NLIC HKEIT

VON

HUGO STE IGER

DIETERIC I—I’

SC HE VERLAG$BLIC HHANDLLINGTHEODOR WEIQ I— IER 2 5 IN LEIPZIG 1912

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ALLE REC HTE VORBEHALTEN

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Vorwort.

en Sokrates und den Euripides hat die attische Komodie unaus

lösdmlid1 em Gelächter preisgegeben . Damit hat s ie beiden den

guten Namen bei Mit: und Nachwelt sd1wer geschädigt. Beide

verfolgt sie mit der Anklage , sie seien S ittenverderber . Was

den Euripides anlangt , von dem allein hier die Rede sein soll , so urteilt

Aristophanes darin freilid1 ganz rid1 tig , daß er in ihm den gefährlidxsten

Feind der «guten alten Zeit» erkennt . Bitter Unred1 t tut er ihm aber, indem

er ihm ein falsches , ein ego istisches Motiv untaschiebt, namlid1 das Hasdmen

nad1 der Gunst des Publikums, nach Popularität. Davon kann bei Euripideskeine Rede '

sein . Er strebte immer nadn dem feinsten und höd1 sten Ziele,nach der Wahrheit .

Roman Woerner nennt im Vorwort zum zweiten Bande seines Werkes

über Henrik Ibsen diesen d e n G e n i u s d e r A u f r i c h t i g k e i t . DiesWo rt gilt auch von unserem Dichter. Wenn man in Büchern liest , die von

dem Dichter und Denker Ibsen handeln , so kann es einem auffallen , daß

nicht wenige dieser Erörterungen ohne weiteres oder mit geringen Änderungen

aud1 auf Euripides als D id1 ter und Denker passen würden . Wenn man

ferner die Reden oder Briefe Ibsens liest, so denkt man nid1 t selten : so hätte

auch Euripides sich über seinen Dichterberuf, über sein Publikum, über seine

Werke ausspreduen können . Diese Wahrnehmung gilt es zu benützen .

Henrik Ibsen sol l uns dazu behilflidm sein d e n M e n s c h e n E u r i p i d e sin seinen Dramen zu suchen . Ihn zu finden tut uns sehr not , denn die

Dramen des Euripides gehören nid'

nt zu den Kunstwerken , die in ruhiger

Klarheit und Sd16nheit so verlodcend oder in gewaltiger Größe so erschütternd

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VI VORWORT

zu uns sprechen, daß wir uber dem Werke den Schopfer vergessen, s ie sind

vielmehr , soweit sie uns erhalten sind , fast alle Tendenzdidmtung . Das

Streben und Wo llen des D id1 ters ‚ die Probleme , die ihn bewegten , seinePersönlidukeit gilt es also zu erkennen , wenn wir seine D idmtung vers tehen

wollen .

Fur reiche Belehrung uber Ibsen bin ich Roman Woerner zu Dank ver

pflid1tet ; bei Euripides gilt dieser Dank in erster Linie Ulrid1 von Wilamowitz=

Moellendorlf.

Schließlidmmoch te id1 auch an dieser Stelle Herrn Geh . Hofrat Dr. Otto

C rusius den warmsten Dank für das fördernde Interesse ausspred1 en, das ermeinen Euripidesstudien von Anfang an entgegmgebradxt hat .

H o f i . B.

Hugo Steiger .

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In hah .

EinleitungI . Euripides und das Problem der Entsühnung des Ores tes . (Elektra -taurische

Iphigenie; Orestes) .

II. Euripides und die Schidcsalstragödie. (Die Phomz1erinnen)

III. Der Herakles des EuripidesIV. Euripides und Homer. (D ie Troerinnen ; die aulische Iph igenie , Hekabe ;

Andromache , Helena ; der C yklop ; Rhesos) .

V. Euripides und Athen . (Die Herakliden ; d ie Hiketiden; Ion)

V I . Die Frauentragödien . (Alkestis ; Medea ; Hippo lytos)VII. Die Bacchen 1 1 3

-1 2 1

Titeltafel : Hermenbüste des Euripides (in Neapel).

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E in le i tung.

e Tragodie der Gried1en nimmt ihre Handlung nid1 t aus derGeschid1 te oder aus dem taglid1en Leben, sondern aus der Mytho=log ie . S ie Spielt also in einer Zeit , in weld1 er die Himmlischmnod1 alle Tage sichtbar zu den Menschen herunterstiegen ihnen

Gludc oder Ungludc zu bringen .

Demnad1 geht es im griechischen Drama ganz anders zu als im modernen .Seine Handlung entsteht nicht durch die Mensduen allein , sondern durd1 dasstete Zusammenwirken der Götter und

,

der Menschen . In der Regel stehtder Held einer griechischen Tragödie , wie Ad1 ill und Odysseus bei Homer,einem Schicksal gegenüber, das ihm selbst oder doch dem Zuschauer bekanntist und das er erfüllen muß

.Nicht selten greift auch , wie bei Homer , eine

Gottheit als Freund oder als Feind des Helden unmittelbar in die Handlungein . Hier ergeben sich nun kompliz ierte Verhältnisse und sd1were Aufgabenfür den dramatisd1en Dich ter l ). Er muß es verstehen seinen Helden , derunter einem Fluchgeist steht , einem Dämon oder Alastor , der von einermädmtigen Gottheit verfolgt, oder was für das Drama noch sd1 limmer ist, von

ihr unterstützt wird, in der Hauptsache dennod1 als den Herren seiner Tatenund Schidcsale darzustellen , denn sonst ist er kein dramatischer Held. DerDichter muß es ferner verstehen unsere Sympathie mit dem Helden , dereinem harten Gesch ick erliegt , in Einklang zu bringen mit unserer Ehrfurd1 tvor dem unerforschlid 1en und dunkeln Walten der Gottheit.Die drei großen Tragiker der Griechen haben sich nun zu dieser Eigen:

art ihrer Stoffe in d1arakteristisd1er Weise versd1 ieden verhalten und diesVerhalten ‚wurde bei allen Dreien in erster Linie durch die Weltansd1auung

1) Näheres hierüber bei Volkelt, Ästhetik des Tragischen, p . 397 ff.

8 t e i g e r , Eur ipides .

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2 EURIPIDES

bedingt , die s ie zum D id1terwerke mitbrad1 ten . Ä s ohy l o s , der frommeund zugleid1 freie Geist, steht seinen Göttern und Helden unparteiisch gegenüber

,er gibt sich der Tradition nid1 t gefangen . Zeus, der den Prometheus

hart und grausam verfolgt, Apoll, der den Muttermord befiehlt, Ödipus, derüber seine Söhne aus geringfügiger Veranlassung den bittern Todesfluch aus=spricht, s ie werden von ihm keineswegs gededrt . Aber doch ist bei ihm allesMenschenwesen und alles menschlid1e Tun so unbedingt klein, daß ein Red1 tenmit der Gottheit und mit den dunkeln Sd1 idcsalsmächten ausgesd1 lossen istaud1 ist das Bild , das er sich von der Gottheit und ihrem Walten mad1 t,so erhaben , daß diese Flecken es nid1 t ernstlid1 zu trüben vermögen . So

hat er als Künstler kühn und groß , als Mensd1 fromm und dod1 frei seinegewaltigen Werke geschaffen , trotz der Fesseln , die ihm der Mythos auf:

erlegte . Bei seinen Gestalten , bei seinem Eteokles , seiner Klytämnestra,seinem Orestes erheben wir gar nicht die Frage, ob s ie frei oder unfrei handeln,ob s ie unter einem gerechten oder einem tückischen Sch icksal stehen .

Anders verhält sich S o p h o k l e s zu den Mythen, die er gestaltet, weileben seine Weltansd1auung eine andere ist . Von ihm sagt Erwin Rhode(Psyche 3 II p . «Er selbst ist v o n d e n s p e z i f i s ch F r omm e n , denendie Wahrnehmung des Götterwillens genügt, um ihre Verehrung aufzurufen,eine Rechtfertigung dieses mächtigen Willens nad1 menschlid1en Begriffen von

S ittlid1keit und Gute nid1t Bedürfnis ist . Die Heiligkeit dieses gött lid1enWollens mag vorausgesetzt werden , aber es bedarf nid1 t ihres Nad1weisesfür mensd1 lid1 e Prüfung ia auch wo in der Wahrung ihrer Vorred1te vor

den Menschen, deren erste Pflid‘

1t Anerkennung der Schranken ihres Dürfensund Könnens ist, Grausamkeit und kalte Rad 13ucht der Gottheit offen hervortritt (wie in dem Verhalten der Athene im findet Sid) die Frömmig=

keit nicht gestört in ihrer Verehrung der Mächtigen .»

Diese fromme Zurückhaltung in göttlid1 en Dingen ist für den dritten dergroßen Tragiker , für E u r i p i d e s ein Ding der Unmöglichkeit. Wenn ereinen Mythos behandelt , in dem das Walten der Gottheit für die mensch=

l iche Vernunft unbegreiflid1 ist, dann setzt er mit seiner Kritik ein und ergreiftdie Partei der leidenden Menschheit gegen die Götter und ihr Schicksalswalten .

Denn er hat den frommen Glauben verloren ,den sich seine beiden Vor

gänger bewahrt haben . Allen Philosophen , allen Sophisten seiner Zeit hater gelauscht , ein Stück Wegs ist er mit jedem gegangen . Aber soviel eraud1 sein langes Leben hindurch geforscht und gelernt hat, zu einer gesd1 lossenenWeltansduauung hat er es nich t gebracht . Fest und sicher steht ihm nur eines,die Negation . Wie nun Platon den Homer und seine Götter und Heldenals unzulänglid1 und unsittlich aus seinem Staate verweist , so mußte s ie

Euripides , wenn er konsequent sein wo llte , aus seinen Dramen verweisen .

Und eine kluge Kritik mad1 t es ihm in der Tat nicht selten zum Vorwurf,daß er überhaupt die alten Stoffe behandelt und daß er in den alten Formen

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EINLEITUNG 3

gedichtet hat. Da sagt man wohl : wenn er mit den Mythen seines Vo lkeszerfallen war, warum hat er nid1 t erdichtete oder historisd1 e Stoffe behandelt,und wenn ihm die Schicksalstragödie eine Fessel war , warum hat er dieseFessel nid1t abgestreift ? Das heißt eine no twendige Stufe der Entwidclungüberspringen wollen . In der Zeit, wo Sophokles mit seiner bedingungslosenFrömmigkeit der Liebling des att ischen Theaterpublikums war , da galt esdas Alte zu bekämpfen um Platz für das Neue zu machen , da gal t es diealte Tragödie zu zersch lagen, damit eine neue erstehen könne .Dieses

'

Zerbred1 en der alten Formen war zunäd1 3 t die Aufgabe desEuripides . Unter den vielen Fragmenten seiner Tragödien ist uns eineserhalten , das da lautet : «Willst du , daß ich dir süße Lüge sage oder herbeWahrheit ? Sag's ! Du hast die Wahl» Mag diese Worte in dem ver=

lorenen Drama gesagt haben wer will, aus ihnen Spt id'

l t der D id1 ter. «SüßeLüge oder herbe Wahrheit !» Diese Wahl nur hatte er als Tragödien=

dichter dem Mythos gegenüber für — ihn freilid1 gab es hier keine Wahl .Denn er ist sein Leben lang ein Wahrheitssud1 er gewesen und in seinenDramen ein Verkünder herber Wahrheit , zunäd15t der Wahrheit , daß dieGötter und Helden Homers gar keine Götter und Helden seien . Apoll, derdem Orestes den Mutt ermord bef1ehlt, Zeus, der seinen Sohn Herakles ver=leugnet, und Hera , die ihn rad15üd1 tig verfolgt , s ie sind für Euripides keineGötter. Apoll , der der attischen Königstochter in der Pansgrotte Gewaltantut, aud1 er ist kein Gott. Aphrodite, die den Hippolytos aus gekränktemEhrgeiz vernichtet , Dionysos , der den Pentheus mit List und Trug überwältigt , und abermals Apoll , der den Sohn Achills im delphisd1en Tempelersd11ägt , während er sich ihm Sühne bietend naht , das alles sind rad1=süchtige , im sch l immen S inn mensd1enahnliche Wesen , aber keine Götter.Seine positive Antwort frei lich auf die Frage nach dem Wesen der Gottheitist schwankend und für seine Poesie ohne Bedeutung . Da er die altenMythen beibehält , so mußte er in seinen Dramen auch die alten Götter alssolche gelten lassen

,aber er geht fast in allen

‚mit ihnen ins Gerich t .

Und ebenso halt er's mit den Heroen . ]ason , der die Medea verrät,die ihm dod1 das Leben gerettet hat , er is t kein Held , er ist vielmehr ein

gemeindenkender Mensd1 , ein gewöhnlid1 er Egois t . Und sogar Admet, derseine Alkestis für s ich sterben läßt , er ist kein Mann und kein Held , er istzwar ein liebenswürdiger, aber dodu nur ein sd1wacher Mensd1 . Helena, dieden Menelao

s verläßt, warum so l lte s ie besser sein als jedes andere buhlerischeWeib ? Und die Helden Homers insgesamt , wie s ie in den «Troerinnen»

über die Bühne gehen , Rauber sind sie und Mordbrenner gleich der rohen

1) Nauck, tragicorum Graecorum fragmenta 2, p . 689 Nr. 1 036

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4 EURIPIDES

Soldateska des peloponnesischen Krieges . Und ferner Orestes, Menelaos undHermione , die in dem nach Hektors Witwe Andromache benannten Dramadie Titelheldin verfo lgen und quälen , was s ind s ie anderes , als intrigante,gemeine Naturen ? und wiederum Orestes , im gleichnamigen Drama , undneben ihmMenelaos und Helena, Alltagsmenschen sind s ie, aber keine Helden .

Dazu ist Odysseus in der «aulischen Iphigenie» ein Demagog , Kalchas einSchwindler , Ödipus aber in den «Phönizierinnen» , der den grausen Fluchüber die Sohne aussprid 1t , ist ein jähzorniger, torid1 ter Greis , der diesenFlud1 sd1 ließlich am bittersten selber bereut, nad1dem er in Erfüllung gegangenist. Also überall sehen wir hier gewalttätige , törid1te , kleine Mmsd1 en=

kinder,keine Heroen. Das wahre Heldentum ist überhaupt nicht das der

Faust, der robusten Tat, die das Epos feiert. Der wahre Held ist der, derSich selbst überwindet , das lehrt Herakles im gleid mamigen Drama undHekabe sagt es uns , die in den «Troerinnen» die siegreichen Achäerhelden

schmäht mit den Worten‘)« In euern Fausten, n icht in‘

euerm HirneLiegt eure Größe, Griechen .» (Wi lamowitz .)

So werden s ie alle gewogen, Götter und Helden, und zu leicht befunden .Das ist in der Mehrzahl der Dramen der Eindrudc, mit dem uns der D id1 terentläßt. D e r M a ß s t a b , d e n e r a n d i e G e s t a l t e n d e r H e l d e n =s a g e s e i n e s Vo l k e s a n l e g t , i s t e i n mo r a l i s c h e r . Dabei verfährter ohne jedes historische Verständnis . Götter und Helden werden nach derMoral der Gegenwart des Dichters beurteilt , unbekümmert darum, daß ihreZeit eine ganz andere war, daß die Moral, nach der sie handelten, von derdes Dichters und seiner Zeit grundverschieden war. Kein Wunder , daßEuripides nun überall Fled<en und tiefe Sd1atten sieht , wo im Epos allesglänzt und sch immert .

So hat der dritte große Dramatiker dem gried1 isd1 en Vo lke von derBuhne herunter seine Gotter vernichtet und seine Helden in schwad1 e Alltagsmensd1 en verwandelt , und dies am Feste des Dionysos , wo er s ie hättefeiern so llen . Ein seltsames Unternehmen für einen Poeten , der doch , wiesein Name sagt , ein Sd1öpfer sein soll und kein Zers törer , der aufbauenso ll und nicht niederreißen , lebendig mad1 en und nicht töten . Dabei darfman aber e i n e s nie vergessen . Euripides war durchaus kein bloßer Aufklärer und Rationalist , er trug vielmehr tief in seinem Herzen die Sehnsuchtnad1 dem Pos itiven . Ihn trieb zu seinem Tun nid1 t die Freude an der Verneinung, die Lust am Zerstören ; v o n F r i v o l i t ä t i s t e r a l l e z e i t f r e ig e w e s e n . Was heißt überhaupt frivol ? David Friedrid1 Strauß 2) wirft

1) «Troerinnen», V. 1 158 : usiCov

övx ov Bopöc äxovr sg ir} cppevöv. (Ic h z i t i e r e d i eT r a g i k e r n a c h d e n T e u b n e r s c h e n T e x t a u s g a b e n .)

2) D . Fr. Strauß , «Hermann Samuel Reimarus und seine Sd1utzsdmrift für d ie ver

nünftigen Verehrer Gottes», Lpz . 1 862, p. t47 if.

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6 EURIPIDES

Aus dem , was wir bisher entwidcelt haben , folgt , daß für das Verstandnis einer att ischen Tragödie und ganz besonders einer Tragödie desEuripides die Kenntnis der Seelenstimmung ihres Dichters von der aller:größten Bedeutung ist . Kann man d0di , eine Definition Zolas vari ierend(l'art c

'est la nature vue au coin d ’

un temperament> , geradezu sagen : « la

tragédie attique c'est la mythologie vue au coin d'un tempä ament» . Von

dem Temperament des Dichters muß man also bei der Erklärung seinesWerkes immer ausgehen . Man muß nidi t glauben , er habe seine Dramenin erster Linie geschaffen um mit ihnen an den großen Dionysien den Preiszu erringen , man muß nicht glauben, diese Dramen seien eines schonen Tagsvom Himmel gefallen , damit wir an ihnen den Begriff und die Gesetze desTragisd1en feststellen können . Diese unpersönlidi e , blutleere Art der Be: '

trad1 tung hat besonders den Euripides Sdiwer geschädigt , denn nodi vielmehr als die beiden anderen stedct er mit seiner Persönlichkeit in seinenDramen drin . Ein Verständnis derselben ist also nur möglich, wenn man einridi tiges Bild vom Lieben und Hassen , vom Wollen und Streben d e sM e n s ch e n E u r i p i d e s zu ihrer Lektüre mitbringt . D i e P e r s ö n l i c h =k e i t d e s D i ch t e r s gibt uns also erst den Sdi lüssel zum vollen ‚Ver:

ständnis seiner Werke . Aber woher sollen wir dies Bild vom D idi ter

gewinnen , wenn nicht gerade aus seinen Dramen ? Ist dod1 alles unzu=

länglid i oder unzuverlässig , was wir aus anderen Q uellen von ihm wissen .Aus diesem Dilemma hilff uns vielleicht die Vergleichung mit einer

ahnlidi en literarischen Erscheinung , ist dodi die Vergleichung in allen Fragender Kunstkritik förderlich , ja unentbehrlich . Unter den Modernen ist wohlkeiner als Mensdi und als Dichter dem Euripides so ähnlich wie H e n r i kI b s e n . Glüdclicherweise steht uns nun Ibsen zeitlidi so nahe und sind wirüber ihn so gut unterrichtet , daß wir ihm bequem in die D idi terwerkstatthineinsdiauen können . Mandi es , was wir da sehen wird uns audi fürEuripides von Vorteil sein .

Was haben aber der Grieche und der Norweger zunad1 3 t miteinandergemein ? Vor allem doch wohl die explosive Wirkung ihrer Dramen . Washaben nidi t diese beiden ihrem Publikum an Idealen gekostet ! jeder Artvon Selbstzufriedenheit und Gemütliä keit , von falsd1 em Optimismus wirdes bange bei der Lektüre Ibsens . Denn was in der Gesellschaft zu Unred1 t

glänzt und für groß gilt, was nur Konvention ist, nur Menschensatzung, demallem erklärt er den Krieg. Dabei ist der Maßstab, den er anlegt, im wesent=lidi en der alte . Ibsen bringt keine neue MoraP) ; im allgemeinen ist er mit

1) Anathon Aall , Henrik Ibsen als Dichter und Denker , Halle 1906 , sagt mit Recht

(p . «Eine neue ethisd1 =rd igiöse Lebensgrundlage , abweichend von der christl ichen , hatIbsen nicht konstruiert» . Von dieser Auffassung is t d ie Roman Woerners n idi t so weitentfernt , als es zunächs t ersdi eint. Im 2 . Band p . 90 se ines Werkes über Ibsen ( «HenrikIbsen »,Mündi en 1910) sagt dieser ausgezeid mete Kenner Ibsens allerdings : « Ibsen ist Moral is t

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E INLE ITUNG 7

der Moral des Christentums einvers tanden , er will aber , daß s ie mit uner=

b ittlidi er Konsequenz durchgeführt werde . In ihm lebt der Geist der Berg:

predigt. Er verlangt die Erfüllung jeder moralischen Forderung nadi demGeist

, nidi t nadi dem Budi staben . Er ist ein Feind aller Halbheit ; allesod er nidi ts ! ist seine Losung . Kein Wunder also , daß j edes seiner Werkeimmer neuen Sturm erregte .Was hat man nicht über Ibsen gezetert und geklagt ! Einen Verderber

der S itten schalt man ihn und einen Menschenfeind. Er aber stand ruhigüber all dem Tumult und hatte das Recht zu S todcholm in einer Fes tver=

sammlung zu sagen («Werke» I, p . «Man hat bei verschiedenen Anz

lässen von mir gesagt, ich sei Pessimist. Und das bin ich auch, insofern ichnid i t an die Ewigkeit der mensdi lidi en Ideale glaube . Aber ich bin auchOptimist, insofern ich vo l l und fest an die Fortpflanzungskraft der Ideale undan ihre Entwicklungsfähigkeit glaube» .

des 19. oder schon des 20 . ]ahrhunderts , Vertreter und reinster Typus einer Moral, di e derherkömmlidmn,

noch immer wenn auch nich t ungemischt weiter gültigen Aufklärungs=moral des 1 8. Jahrhunderts gerade zuwiderläuft Ibsen hat auf ethischem Gebiet d i ei n n e r e F o rm nachgewiesen , wie Goethe auf asthetisd mm» . Damit haben wir aber beiIbsen keine neue Moral, sondern nur der «Aufklärungsmoral» gegenüber eine neue Stel lungzur alten, christl idi en Moral .

Freilid1 finden wir auch andere Ansd muungen bei Ibsen . Woerner ( l . c. I I, p . 233)

hat mit Redi t darauf hingewiesen, daß er schon vor Nietzsche «die prachtvol le blonde Bes tie»entdedct und in seiner Hjördis («Nordische Heerfahrt») dargestellt habe. Hier gesdi ieht diesaber nodi völl ig objektiv, denn für d ie Stellung des Dichters ist doch entsd midend, daß Sigur dals Christ stirbt. Ebenso verhält es Sidi in den anderen Fäl len , in denen uns Ibsen solchemoralfreie Menschen vorführt, d ie mit e inem reso luten Gewissen unbedingte Liebe zum Lebenverb inden . Woerner hat zwar redi t , wenn er sagt (1. c. I I, p . es gesdi ehe dies «mit

Vorl iebe oder doch mit Mi lde und Nachs icht», aber ich finde , diese Gestalten s ind immerNebenpersonen im Drama (in Betrad1t kommen besonders d ie vier Altersdramen, vom «Bau:

meister Solness» an) und der Dichter zeigt uns dod1 immer durch den Verlauf der Handlung,daß ihrWeg n icht der seine ist . D ies ist sogar noch im letz ten Drama : «Wenn wir Totenerwachen» der Fall . Ibsen s tellt uns hier wirkl ich in Frau Maja und dem Bärentöter Uffheime in Paar «prad i tvol ler blonder Bestien » mit unverkennbarer Vorliebe als gesunde Ex emp lareder Mensdi heit zur Schau. Schützend brei tet er seine Hand über s ie , wie s ie zu resolutemLebensgenuß ins Tal hinuntersteigen . E r s e l b s t a b e r g e h t n i c h t m i t i h n e n . Von

s ich sagt er mit dem Bi ldhauer Rubek (2 . Akt) : «Menschen wie ich finden kein Glück inmüß igem Genuß ; das hab' ich allmähl id1 einsehen gelernt. So einfach ist das Leben nichtfür mich und meinesgleid mn . Id) muß ununterbrodi en arbeiten Werk schaffen aufWerkbis zu meinem letzten Tag» .

Also n icht nur « in seinem Alltags leben», wie Woerner ( l . c. I I, p . 275) bezeugt, nein,auch in seinen Didi tungen bleibt Ibsen «unten auf dem Boden der gemeinen Moral» . Die

andere Moral ist ihm nicht unsympathisch, s ie impon iert ihm sogar zuwei len als etwas Ganzesund Entsch iedenes ; aber der D ichter von «Brand» und «Rosmersholm» wird doch immer wiederHerr über diese Stimmungen . Einen fes ten Standpunkt hat eben Ibsen in der Weltansch auungso wen ig , wie ihn Euripides hat. Konsequent s ind beide im Verneinen , im Fragen , imPrüfen, n idi t im Antwort geben . Ibs en sagt mit Redi t von Sidi im «Reimbrief» («Werke» I,p . «Mein Amt is t fr a g e n , n ich t Bescheid zu geben» .

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8 EURIPIDES

So stand auch Euripides seinem Volke und den Idealen seines Volkesgegenüber. Was nur Konvention ist , v6pwg , Menschensatzung , das prüft erund verwirfi es häufig , ganz besonders aber prüft und verwirft er , was imOlymp glänzt und gleißt. Fast jedes der uns erhaltenen Dramen hat dem

gried1 ischen Volke einen seiner Götter oder Heroen gekostet. Man hat ihndaher einen Rationalisten genannt, «den Dichter der griechischen Aufklärung» .

Das war er gewiß . Die Ideen der Sophisten hat er gekannt und wirksamauf der Bühne vertreten . Aber dabei war ihm doch das Verstandesmäßigeimmer die Nebensache . Wenn die Götter n idi t durch ihre Moral denMenschen ein so Sdi lechtes Beispiel geben würden, kann man sagen, er hättesie nicht D e n n w i e I b s e n war a u c h e r i n e r s t e r L i n i eM o r a l i s t . Der tiefe, sitt l iche Ernst sd1eidet ihn von den meisten 3 ophisten .Von den nordischen Didi tern überhaupt und besonders von Ibsen sagt RomanWoerner (l . c. I, p . «Den norwegischen Didi tern l iegt das Predigen,wie zu glauben, im Blute . S ie haben meist ethisdi e Absichten, die s ie mand1=

mal unbeschadet , öfter jedoch zum Schaden ihrer Werke verfo lgen, s ie be=

trad1ten und betreiben ihr künstlerisdi es Wirken als Missionstätigkeit» . Diesgilt auch von der attisdi en Tragödie und ganz besonders von Euripides .Dabei sind diese beiden Dramatiker nicht Prediger einer neuen Moral , wieIbsen steht auch Euripides im wesentlichen, wenn schon er manchen Brauchund Mißbraudi bekämpft, auf dem Boden der Moral seiner Zeit . Nestle(Euripides p . 198) sagt mit Redi t zu dieser Frage : «Gehen wir nach derDarlegung dieser Hauptgrundsätze der Euripideischen Ethik etwas mehr inseinzelne, so mad1 en wir auch hier die Beobachtung, daß die von dem Dichtergestellten sittlichen Anforderungen im wesentlichen auf dem Tugendideal seinesVolkes beruhen» .

Daß Euripides es in seinen Dramen immer mit den Gottern und!Halb=

gottern zu tun hat, nidi t wie Ibsen mit der Gesellsd mft der Mensd1 en , ist

ein unwesentlicher Untersdi ied . Die Götter bekämpft er zumeist und am'

eifrigsten, weil ihre Moral schon bei Homer tiefer stand als die der Mensdi en .

«Die Götter sollten wenigstens nicht sd dechter sein als die Mensd1 en», dasist für ihn der leitende Gedanke . Die «Herrenmoral» im Olymp kann ernidi t gelten lassen , denn s ie ist für die Menschen ein Sdi ledi tes Beispiel .Daher geht er «mit der moralisd1 en Forderung» nidi t wie Ibsen « in dieKätnerhütte<< sondern in die Paläste der Olympier. «Gottist gut», das ist ihm das Wesentliche an seinem Gottesbegriff, also eine mora=

lische Forderung . In der «taurisdi en Iphigenie» äußert Sidi die Heldin überdie blutigen Menschenopfer, die Artemis angeblidi fordere . Unmöglidi seidas der Wille der Göttin , die Barbaren hätten nur ihre eigene Blutgier derGottheit angedichtet . «Denn ich glaube , kein Gott ist Sdi lecht» 2), so bes

1) Vergl . dazu audi Eduard Meyer, Gesdi . des Altertums, IV, p . 152 f.2

) «Taur . Iphigenie» V . 39 1 : oööévoc yüp oi pcoc1 80c1 „u.övcov sfvocc x ax öv.

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E INLE ITUNG 9

schließt s ie ihr Rasonnement und mit ihr tut es der D idi ter . N0di ent=

Sd i iedener spricht er diese Ansdiauung im «Bellerophontes» aus , wo er sagt«Wenn die Götter etwas Sd iändlidi es tun, sind s ie keine Götter»Wer kann da bestehen von den Göttern und Helden ? Wer von ihnen

wird ohne Schuld erfunden ? Mit unerb ittlid i em Verismus stellt er nun dieseGötter und Helden dar , als lebten s ie im Athen des Perikles und des Sokrates. Und seine Landsleute sdialten ihn deshalb einen Verderber derS itten, einen Atheisten,und dodi war er frommer als die große Menge dergedankenlos Gläubigen . Den S ieg freilich gewann zumeist Sophokles, Euri=pides aber hatte die Zukunft für Sidi , und sto lz wie der Norweger hat audier wohl, wenn seine Stücke durddielen, gedacht (Ibsen «Werke» X, p .

«Meinem Buch gehört die Zukunft . jene Kerle, die darüber gezetert, habennidi t einmal ein Verhältnis zu ihrer eigenen wirklid 1en, lebendigen Gegen=

wart» . Denn aud i das hat er mit Ibsen gemein und mit allen ech ten Lehrernund Propheten : er läßt Sidi durch Mißerfolge nid i t sd1 redcen . Ohne äußerenDank dient er sein Leben lang dem Gotte, der ihn berufen hat.

Soldi e Mensd i en werden denn audi mit der Idee geboren, die in ihnenwirkt, sie madi en keine starken Veränderungen durch, ihre Entwick lung ver=läuft geradlinig. Ibsen nimmt das für Sidi energisdi in Ansprudi . In seinemGedid 1te : «An meinen Freund , den revolutionären Redner» («Werke» I,p . 1 10} sagt er :

«Sie spred i en als ,konservativ’ midi an ?I c h b i n , was i c h w a r , s e i t i c h d e n k e n k a n n .»

Daß er Sidi ridi tig beurteilte , dafür ist das Erstlingsdrama, das der21 jährige Apothekerlehrling Ibsen sdi rieb , sein Catilina, ein Sdi lagender Beweis . So S teht es wohl aud i bei Euripides . Von seinem Erstlingswerk,den «Peliaden», ist uns freilidi zu wenig erhalten , als daß wir in dieserFrage soweit zurückgehen könnten ; aber in dem ersten der uns erhaltenenDramen, in der «Alkestis << erkennen wir, daß er Sidi sein Ziel damal s sdi on,also im jahre 438 gesteckt und daß er seine Methode damals sdi on ausgebildethatte . Sehen wir ihn dod1 hier schon amWerke denMythos zu vermensd i lidi en,ein altes Märd i en dadurch , daß es unter modern empfindenden MenschenSidi abspielt, auf seinen s ittlid 1en Gehalt hin zu prüfen . Dieser Kri tik blieber treu bis zu den «Bacd1en<< und zur «aulisd1 en Nestle sagt mitRedi t (l . c . p . «Es ist eigentümlid i , daß wir von einer S id itbar fortsdi reitenden geistigen Entwicklung des D idi ters n idi t reden können , und esl iegt dies sdiwerlidi bloß an unserer Überlieferung» .

«I di b i n , w as i chwar , s e i t i ch d e n k e n k a n n » , so könnte audi der D idi ter der «Bacd i en»

zu denen sagen , die ihn wegen dieses seines letzten Dramas als «konser=

vativ» anspredi en .

1) Nauck , trag. Graee . fragmenta 2

,p . 447 , Nr. 292 : ei öeoi r t 89656 1» aicx pöv, eine

sich» öeoi .

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1 0 EUR IPIDES

Wer Sidi wie Ibsen mit dem Problem der Gesellsd mff und ihrer Moralbesdi äftigt , der kann d e r F r a u e n f r a g e u n d d e m E h e t h ema nidi t

aus dem Wege gehen . Die Frau und ihre Interessen nehmen denn audibei Ibsen den breitesten Raum ein , so sehr , daß die Frau in den meistenseiner Stücke die Führung hat, daß s ie in der Regel den Mann geistig über:ragt und ihn leitet. Man kann daher geradezu von Feminismus in seinerD idi tung spred i en

l). Zwei weibliche Typen sind es , die in seinen Werken

immer wiederkehren : die Frau, die alles trägt, alles duldet und verzeiht, dieaus Liebe zu jedem Opfer , audi zu dem des Lebens bereit ist, (Aureliaim «Catilina» eröffnet diesen Reigen , dann folgen Agnes im «Brand», Solvejg im «Peer Gynt» , Hedwig in der «Wildente«, Asta im «Klein Eiolf« ,und andere), und dann auf der anderen Seite das dämonisd ie Weib , dasdas Sd1 icksal des Mannes wird , das ihn leitet und verleitet (Furia im «C a=

tilina» geht hier voran , es folgen Hjoerdis in der «Heerfahrt», RebekkaWest in «Rosmersholm«

‚ Hedda Gabler und andere)Man hat dem Did i ter dafür mit Dank und mit Undank gelohnt . Man

hat ihn einen Feind und Zerstorer der Ehe gesd1 0lten, obsd mn es wohlkeinem Didi ter so ernst war mit der S ittlid ien Forderung an die wahre Ehe ,man hat ihn anderseits aud i als Vorkämpfer der Frauenemanzipation ges

feiert. Das Letztere hat er in einer Rede bei einem Fest des norwegisdi en«Vereins für die Sad i e der Frau» im Jahre 1898 zurückgewiesen mit denWorten («Werke» I, p . «Idi danke für das Hod i , muß jedod1 die Ehreablehnen , mit Bewußtsein fur die Sadi e der Frau gewirkt zu haben . Idi

bin mir nidi t einmal klar darüber, was das eigentlidi ist : die «Sad i e derFrau» . Mir hat s ie Sid i als eine Sadi e des Mensd i en dargestellt» . Undam Sd1 luß derselben Rede sagt er : «Die Frauen sind es, die die Frage desMensdi en lösen werden . Und als Mütter werden s ie s ie lösen . Und nur

s o können sie es . Da liegt eine große Aufgabe für die Frauen» . Ibsenwill also nidi t das fördern, was man gewöhnlidi die Emanz ipation der Fraunennt. Er verweist die Frau ins Haus hier ist ihre große Aufgabe . Da:

mit s ie aber diese ihre Mission erfüllen kann, muß s ie eine geadi tete Stellungim Hause haben, gleid1wertig neben dem Mann , muß s ie mit ihm in edi ter

Ehe leben . Für ihr Redi t auf Persönlidikeit tritt er deshalb ein , und zwarals Didi ter, indem er eben in seinen Dramen die Frauen als starke Persön=

lid1keiten darstellt, die den Männern häufig sogar überlegen sind .

Dasselbe tut Euripides . Audi ihm ist die Frage der edi ten und redi ten

1) R . Woerner sagt ( I I, p . «Lobend oder vorwurfsvol l kann es ausgesprod1en

werden : Ibsen ist und bleibt der Sachwalter der Frau und der Widersad1er des Mannes » .

Vergl . dazu audi Anathon Aal l l . c., p . 58.

2) Zu dieser «Doppelreihe der Frauengestalten» bei Ibsen vergl . R . Woerner I, p . 72

und p . 196 f. Naturlid i ist damit der Reid1 tum des Did i ters nidi t erschöpft , es ist nur das

Wesentlidi e hervorgehoben .

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E INLEITUNG 1 1

Ehe sehr widi tig und haufig erortert er s ie in seinen Dramen . Audi ergibt der Frau nidi t selten die führende Stellung und beweist als D idi ter dasRed i t der Frau auf Persönlidi keit dadurdi , daß er starke Weiblidi e Persön=

lid1keiten auftreten läßt , die in Liebe und Haß dem Marine überlegen sindund ihn leiten . Man hat daher audi in seiner Poesie mit Redi t einen femi=ninen Zug gefunden

Wie Ibsen führt audi Euripides uns die zwei Typen der Weiblidi keit

vor , eine Alkestis , Polyxena , Iphigenie und Makaria , und daneben eineMedea , eine Phaedra und S theneböa. Das tut nun freilidi jeder Dichter,der die Frauenseele darstellen will , aber so radikal wie diese beiden sd1eidet

nid i t jeder , so extrem bildet nid i t jeder die beiden Typen aus . Dabei hatder Gried i e so wenig wie der Norweger die Absidi t für die Emanzipationder Frau zu wirken audi er verweist s ie ins Haus und besd1 ränkt hieraufden Kreis ihrer Pflidi ten (vgl . «Troerinnen» 645ff. «Auf. Iphig .» 1 157

Die dämonisd i en Frauengestalten unseres D idi ters erregten nun natur:gemäß mehr Aufsehen als die guten . So kam's , daß man ihn einenWeiberfeind nannte, und all der literarisd i e Klatsd1 uber die Sd i limmen Er:fahrungen, die er in zweimaliger Ehe gemadi t haben soll, sd i reibt Sidi daher.Ibsen war aufs glücklidi ste verheiratet. In einzelnen Stellen seiner Briefe(«Werke» X , p . 130 und 149) und in dem Sdi önen Gedid1te «Dank», daser seiner Frau gewidmet hat («Werke» I , p . gibt er davon Zeugnis .Nad 1 seinen Dramen aber könnte man ihm ebensogut wie dem Euripideszwei böse Weiber andidi ten . Der Wahrheitstrieb , der in beiden D idi ternlebte, zwang sie neben der guten Frau mit demselben unerbittlid i emVerismusaud i die schled i te darzustellen , wie s ie dieser Trieb überhaupt gezwungenhat jedes Problem von allen Seiten zu besehen . Mit ihrem Herzen warensie aber beide auf seiten der Frau , in deren Sadi e s ie «die Sadi e desMensd i en» sahen .

Sdi ließlidi ist hier nodi von Interesse das Ve r h a l t n i s d e r b e i d e nD i c h t e r z u m S t a a t e , zu ihrem Vaterland . Ibsen sagt darüber in einemBriefe an Georg Brandes vom Jahre 1882 («Werke » X, p . «Idi habekein Talent zum Staatsbürger , audi n idi t zum Orthodoxen , und wozu ichkein Talent in mir fühle , davon lasse ich die Hände . Fur midi ist dieFreiheit die hödi ste und erste Eine aktive Beteiligungder Politik war für Ibsen bei seinem Freiheitssinn und Wahrheitsfanatismuseine Unmoglidi keit . Jeglid i er Zusammensdfluß mit andern zu einer Partei

1) Ermatinger, «Die attisdi e Autod ühonensage b is auf Euripides», Berl in 1 897, sagt bei

der Bespred mng des «Ered1theus» : «Bemerkenswert, aber durd1aus eurip ideisdi is t das Ver:hältnis der beiden Gesdi led i ter zu einander : d ie mutige, opferfreudige Frau und der zögerndeMann» . Zu dieser Stellung des Didi ters der Frauenfrage gegenüber vergleid1e man besondersaud i von W i lamowitz, in der Einleitung zu seiner ü bersetzung der «Medea» .

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war ihm verhaßt l ). Diesen Gefühlen, die in der Theorie bis zum Anard1 is=

mus gingen, hat er in Briefen und Gedid1 ten kräftig Ausdruck gegeben . Im

Privatleben hat ihn diese Denkweise isoliert ; für geselligen Verkehr blieb demMari ne, der nur für seinen D idi ter: und Predigerberuf glühte, keine Zeit undkeine Lust ü brig .

Und d0di tate man ihm Unredi t , wenn man ihm die Liebe zu seinernordisd i en Heimat abspred i en wollte. « S idi völlig von seinem Vaterlandlossagen das ist eine ernste Sad i e so sdi reibt er im Jahre 1883 («Werke X,

p . und in vielen Briefstellen und in Sdi önen Gedidi ten findet er warmeWorte der Liebe zu seinem Vaterlande , in das er ja aud i Sd i ließlid i auslanger , freiwilliger Verbannung im Alter zurüdckehrte. Aud i verlor er die

politisdi en , die literarisdi en und soz ialen Verhältnisse seiner Heimat in derFremde nie aus dem Auge .Euripides lebte in einer anderen Zeit und unter anderen Verhaltnissen

als Ibsen . Der Norweger konnte sdi reiben («Werke X, p . «Es liegtfür das Individuum abso lut keine vernünftige Notwendigkeit vor Bürger zusein »; und er konnte nidi t nur so sdi reiben , er konnte auch danadi handelnund Sidi vo llig von aller staatlidi en Gemeinsdiafc lösen . In seinen

,Dramen

spielt daher der Staat überhaupt keine Rolle . Der Athener des fünftenJahrhunderts ist von einem sold ien politisdi en Nihilismus natürlidi weit ent=fernt. Der Staat und seine Verfassung ist ihm viel zu widi tig, als daß erdiese Fragen nidi t audi wie alle anderen häufig in seinen Dramen behandelthätte 2). Dazu hat er in manchem seiner S tüdce seine Vaterstadt Athen verherrlidi t und einem ehrl

„ciienc „ fi pattanethaß lebhaften Ausdrudc verliehen .

Aber für seine Person, in seinem Privatleben, da hat er d0di genau so ge:dadi t und gehandelt wie Ibsen . Wie dieser bradi te er es nie über Sidi andem politisdi en Treiben seiner Mitbürger teilzunehmen . In Sidi gekehrt undvereirisamt , sann er über seinen Dramen , das war sein Beruf; zum Staatsbürger aber hatte audi er kein Talent. Und aud i er dadi te wohl : «Wozuich kein Talent in mir fühle, davon lasse ich die Hände » .

Idi besdi ränke midi zunad i st darauf , diese wid i tigsten Ahnlidi keiten inder Denkart und Lebensauffassung der beiden Didi ter zur Sprad i e gebradi t

1) Vergl . «Werke» X

,p . 390, wo Ibsen in einem Brief an Hans Lien Braekstad schreibt

«Wenn der Korrespondent S idi aufmeine Äußerung, ich gehörte nicht zur sozialdemokratisé enPartei , beruff, so wünsdi te ich, er hätte das, was ich hinzufügte und worauf ich besonderesGewidi t legte , nid i t weggelassen näml idi , daß ich nie irgend einer Partei angehört habeund vorauss ichtlich nie einer angehören werde . Idi mod i te hinzufügen, daß es mir ein Naturabedürfn is geworden ist, ganz unabhängig zu arbeiten und meinem eigenen Kurs zu fo lgen» .

2

) Mit Redi t sagt Bartels , «Beziehungen zu Athen und zu seiner Geschid üe in denDramen des Euripides» ,

Berl . 1 889 ,p . 16 : «Euripides ist ein sdiarfer Beobadi ter des po li

tisdi en Treibens in Athen ; und wie er Sidi mit seinen Beobad üungen auseinandersetzte , zu

weldi en Ergebnissen er bei seinem Nad 1denken darüber gekommen war , damit hält er indiesen D ingen so wen ig wie in anderen vor se inem Publ ikum zurück» .

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ein Verstandesmensd1 i h r dient , daß die Entstehung des Dramas , derTragödie , ohne die Triebfeder der Tendenz wohl überhaupt nid i t denkbarwäre

, daß jedenfalls gerade die klass isdi e , die griechisd mDramatik derbesten Zeit, 0 ihr Ästhetiker des Klass isd i en, religiöse oder ethisdi e Tendenztragödie ist und nidi ts anderes !»Bei Ibsen zieht man nun aus der Tatsad i e‚ daß er ein Tendenzdidi ter ist,

für die Erklärung seiner Dramen die selbstverständlidi e Konsequenz , daßman bei jedem Drama nadi « der leitenden Idee » sudi t, daß man nadi einem« inneren geistigen Faktor » fragt (An . Aall , p . 79 ) oder audi nadi «deninnerlidi wirkenden Faktoren» (Reich, Ibsens Dramen, p . denn zuweilensind es mehrere geistige S tromungen, die soldi ein Stück durdi z iehen .

Roman Woerner sagt bei der Bespred1ung von Ibsens Erstlingsdrama

«Catilina» ( l . c. I, _ p . «Es ist nidi t die dramatisdi oder theatralisdi braud1=bare Fabel , was Henrik Ibsen zur Bearbeitung lockt , nodi reizen ihndramatisdi oder theatralisd i dankbare Charaktere : das Drama ist ihm vonAnbeginn nur die möglidi st eindrucksvolle Verkörperung der Ideen, mit denener Sid i von früher Jugend auf einsam grübelnd besd iäftigt» . Und wiederum

,

bei Bespredmng der «nordischen Heerfahrt» sagt derselbe Forsdi er ( l . c. I,p . « Ibsen ging , wie immer , nid i t vom Stoffe , sondern von der Ideeaus» . Durch diese Art der Erklärung wird nidi ts in Ibsens Werke hinein=getragen , was er nid i t selber als sein Eigentum anerkennen müßte . Dafürliegen von ihm mandi erlei Zeugnisse vor. Sagt er d0d i Sdi 0 1i im Jahre1850, in den Anmerkungen zu seinem «Catilina» («Werke» I, p . «Wasdie Fakta betrifft, die diesem Stück zugrunde liegen, so sind Sie nur zu bes

kannt, als daß man nidi t sogleidi sehen sollte, weldi e Abweid mngen von derhistorisd ien Wahrheit gemadi t worden sind , und daß das Historisdi e nurteilweise benutzt wird , so daß es eigentlidi nur als eine Erklärung « der imStück durd igeführten Idee gelten kann» . Audi in seinen Briefen Sprid i t erzuweilen in diesem S inn von der Entstehung seiner Dramen (vgl . etwa«Werke » X , p . 148, 285, 290 , 317, und wenn nodi ein weitererBeweis notig gewesen wäre, so ist er durch seine «Nad1gelassenen Sdi f iften»

erbradi t worden . Hier sehen wir aus den dramatisdi en Entwürfen , die zu

einer Reihe seiner Stücke erhalten sind , wie der leitende Grundgedanke beider Ges taltung des Dramas vom ersten Anfang an b is zu seiner Vollendungmaßgebend war . Daher kann man Ibsens Dramen nur verstehen , wennman Sidi bei jedem einzelnen das persönlid1e Verhaltnis des Didi ters zu

seinem Werke klar gemad i t hat . Sagt er d0di in einem Briefe aus demJahre 1870 ausdrücklidi («Werke» X , p . «Alles , was ich didi terisch

gesd iaffen, hatte seinen Ursprung in einer Stimmung und einer Lebenss ituation ;ich habe nie gedidi tet, weil ich, wie man so sagt, ‚ein gutes Sujet gefunden'hatte» .

S o d e n k e i c h m i r a u c h d a s Ve r h a l t n i s d e s E u r i p i d e s z u

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EINLEITUNG 1 5

s e i n e n D ram e n s t o ff e n . Man muß daher das Verständnis seiner Werkeauf demselben Wege zu gewinnen sudi en, den die Ibsenforsd iung geht ; davonbin ich sdi on längst überzeugt. Wie der D idi ter bei der Sdi öpfung desDramas von der Idee ausging , so muß es aud i der Erklärer tun . Freilidi

muß er dabei sehr vors idi tig zu Werke gehen und muß immer bedenken,daß er es in erster Linie mit einem großen Didi ter zu tun hat. In einemBriefe vom Jahre 1887 («Werke » X, p . in dem Ibsen über das Leit=motiv in «Rosmersholm» Auskunft gibt, sagt er zum Sdi lü ß : «Aber vor allenDingen ist das Stück natürlid i eine D idi tung von Mensdi en und Mensdi en:

sdüdcsalen» . Und mit ähnlid1en Worten warnt er in einer Rede («Werke» I,p . 535) vor dem Mißbraudi , in seinen Dramen nur eine Verkörperungethisd i er Sätze , nur Tendenzwesen zu sehen . Er sagt dort : «Id i bin mehrDid i ter und weniger Sozialphilosoph gewesen, als man im allgemeinen geneigtist anzunehmen . Meine Aufgabe ist die M e n s c h e n s c h i l d e r u n ggewesen .» Der Weg, den wir betreten , ist also sdimal und steil ; dennodimuß er gewagt werden, denn es gibt keinen andern, auf dem wir neben demD id i ter audi den Mensd i en Euripides in seinen Werken finden könnten .

Dabei gilt es nodi eine Gefahr zu meiden . Einzelne Verse , wenn s ie

audi nodi so sehr nach Ibsen oder Euripides klingen , darf man nidi t ohneweiteres aus dem Zusammenhang herausnehmen , in dem s ie gesprodi en

werden , und als eine persönlid ie Meinung des Autors ansehen . Das gehtnur da an , wo dieser Autor ganz offen aus den Personen seines S tüdcesheraussd iaut und zu uns sprid it, ein Fall ‚

freilid i ‚ der bei beiden D idi tern, wiewir sehen werden , nich t selten ist. Im allgemeinen aber hat Ibsen gewißred i t, wenn .er gegen dieses Verfahren Verwahrung einlegt mit den Worten(«Werke X, p . «Man Sü di t midi für die Ansidi ten verantwortlidi zu

madi en, die einzelne Gestalten des Dramas ausspredi en . Undd0di Steht in dem ganzen Buch n idi t eine einzige Ans id ü, die auf Red mungdes Autors käme .» Damit sd ieiden für unsere Untersudi ung die Dramendes Euripides, die nur in Fragmenten erhalten sind, fast vollständig aus ,

derBoden ist hier zu uns idi er .

Anders liegt der Fall , wenn es Sid i nidi t um einzelne Ans idi ten undÄußerungen, sondern um das Verständnis eines ganzen Dramas handelt Hierwird man bei Euripides geradeso wie bei Ibsen immer zuerst fragen mussen«Warum sd i rieb der Didi ter dieses Drama ? Was hat ihn in Zuneigung oderin Ab neigung gerade zu diesem Stoff hingezogen ? Weld1e leitende Idee liegtdem S tüdc zugrunde ?» An den Anfang des Weges müssen wir uns alsos tellen, den der D idi ter gegangen ist, das Werden seines Stückes müssen wirzu verstehen sud i en .

Dabei kann es Sidi im wesentlidi en natü rlidi wieder nur um die Dramenhandeln , die uns vollstandig erhalten sind , wennsd ion audi bei den andernab und zu eine Tendenz mit größerer oder geringerer Deutlid1keit wahrzu=

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1 5 EURIPIDES

nehmen ist . So war «die weise Melanippe» gegen den Wunderglauben gez

rid i tet , der «Aiolos» erörterte das Problem der Gesä wisterehe, der «Chry=

s ippos» bekampfie die Knab enliebe , und besonders im «Beller0phontes» wargewiß viel Persönlid i es enthalten, so daß der Verlust dieses Dramas für unsereKenntnis von dem M e n s c h e n Euripides besonders bedauerlidi ist . Abergenauere Nadiweise einer Tendenz sind d0d i nur bei den Dramen möglid i ,die uns völlig erhalten sind. Die nun folgende Untersud iung besdi rankt Sidialso auf diese Stücke . Wo «der innerlid i wirkende Faktor» leidi t zu erkennenist

,werden wir uns kurz fassen, im anderen Falle werden wir länger verweilen

müssen . Dabei halten wir uns nidi t an die di ronologisd i e Reihenfolge derDramen , die ja ohnehin für die Mehrzahl nidi t einwandfrei festgestellt ist,sondern wir betradi ten zunädi st die drei Dramen , die Sid i mit dem Muttermord und mit der Entsühnung des Orestes befassen, also die «Elektra»

,die

« taurisd 1e lphigenie» und den «Orestes» . Haben wir d0di hier den großen Vor=teil, daß Äsdi ylos und Sophokles in Dramen, die uns erhalten sind, denselbenMythos behandeln und daß Euripides auf diese Werke seiner R ivalen n idi t

selten in der Führung der Handlung und in einzelnen Versen offenbar Bezugnimmt . Wenn wir uns von der Eigenart eines Malers einen Begriff [madi enwollen, was konnen wir da besseres tun, als daß wir seine Werke mit denenanderer Meister vergleid1en, die denselben Gegenstand darstellen ? So wollenwir audi hier verfahren , die Vergleid1ung wird uns Klarheit bringen

1) D ie «Elektra» des Euripides und s einen «Ores tes» habe ich im Phi lologus ( 1897)

und in einem Programm des St. Annagymnas iums in Augsburg ( 1 898) ausführ lidi behandelt.Im fo lgenden benütze ich die Resultate dieser Untersudmngen . Daß aud i der Wortlautd ieser früheren Abhandlungen hier zuwei len beibehalten wurde , erklärt Sidi daraus , daß es

n id i t immer praktisd 1 ersdüen s tatt der alten Form eine neue zu suchen .

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Eurip ides und das Problem der Entsühnung des Orestes .

esd iylos gibt in seiner «OreStie» dem Orakelgott, der den Mutter=

mord befohlen hat, keineswegs Redi t. Apollon ist bei ihm vielmehr den Erinyen gegenüber mad i tlos , die den Orestes amSd i lUß des zweiten Stückes, der «C hoéphoren», gegen den Willen

des ihn besd iützenden Gottes ergreifen . Am Anfang des dritten S tüdces,der «Eumeniden», folgen s ie ihm sogar bis ins delphisdi e Heiligtum hinein .Der Gott Sd i idt t nun seinen Sd1utz ling nadi Athen , wo er Ridi ter findenwerde . Und dort , auf demAreopag, ist eigentlidi Apollon der Angeklagte,sein Standpunkt ist so einseitig , wie der der Erinyen , undWi lamowitz 1)hat mit Redi t gesagt : «Gered ü und maßvo l l ist er nid i t. Mit kühner Cha=

rakteristik sind dem Reinen so häßlid i e Worte und grobe Sdi impfreden inden Mund gelegt , so daß die Erinyen ihm an Selbstbeherrsd iung überlegens ind . Ihre Gründe kann ”

er nidi t widerlegen , ihre Vorwürfe nidi t entkräften» .

So frei stand Äsdiylos seinen Gottern gegenüber . Das mag nun demin ganz anderer Art frommen 3 ophokles nidi t gefallen haben . Denn einGott, der nidi t völlig Red i t hat, ist für ihn undenkbar . Wir haben von ihmaus einem verlorenen Drama fo lgendes Brudi stüdc2) : «Blidce auf die Götter,und wenn sie dir sogar befehlen den Pfad des Rechtes zu verlassen , so

folge ihnen ; d e n n n i d i t s i s t S di l e di t , w o b e i e i n G o t t v o r a n g e h t » .

Diese Worte kann man geradezu als Motto für die «Elektra» desSophokles wählen ; s o stellt er Sidi zum Mythos vom Muttermord des

1

) Wi lamowitz in der Einleitung zu seiner Übersetzung der «Eumeniden», p . 42 .

2) Naudc, trag. Graec . p . 1 84, Nr. 2 26 :

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S t e i g e r , Euripides.

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1 8 EUR IPIDES

Orestes . Apollon hat die Tat befohlen , also war s ie beredi tigt und derDidi ter, der s ie darstellt, hat s ie als eine gute und rettende Tat zu preisen .

Man kann sagen, Sophokles war in dieser Sadi e papstlidi er als derPapst. Denn die delphisd i e Priestersd iaft kannte eine Verfolgung des Orestesdurch die Erinyen . Der Gott entsühnt den Orestes und gibt ihm zur Ab=

wehr gegen die Erinyen seinen Bogen S tes id10ros hat uns diese Formder Sage in seiner «Orestie» erhalten . Sophokles aber ging in seinem Dramahinter Äsdiylos und S tesid mros auf Homer zurüdc, so wie seine Zeit ihnverstand und verstehen mußte .

Daß Orestes den Ägisthos ersdi lagen hat , das wird im ersten Gesangder Odyssee von Zeus und Athene lebhaft gebilligt. Daß er audi dieMutter getötet hat , davon weiß Homer freilidi nid i ts , wenn man ihn redi tversteht. D0di ist der Wortlaut der entsdi eidenden Stelle redi t unklar. S ielautet 2)

Jahre beherrsd1 t' er (Ägisthos) d ie goldduré blinkte Mykene ;Drauf im adi ten ersd üen ihm zum Weh der edle Orestes,Der von Athen heimkehrt' und den Vatermörder Ägis thosTötete, weldi er ihm tückisd1 den herrlidi en Vater gemordet.Aber nadi dem er ihn Sd i lug, da fei ert' er im Volk d ie BestattungSeiner entsetzlidi en Mutter zugleich und des feigen Ägisthos .» (Voß )

Wie Klytamnestra ums Leben kam , davon sagt Homer also nidi ts .

S ie mag Sidi selber getotet hab en, sie kann audi von anderer Hand als derdes Sohnes im Kampfe gefallen sein . Sd ic 1i Aristardi hat darauf hinge=

wiesen, daß von einem Muttermord bei Homer keine Rede sei . Anders aberstanden Sophokles und seine Zeitgenossen zu dieser Frage . S ie waren so

sehr unter dem Bann der späteren Ausgestaltung der Sage , daß s ie denMuttermord audi in die Darstellung Homers hineintrugen . Im ersten Gesangder Odyssee (V. 298 ff.) wird dem Telemadi os Orestes und seine Radi etatvon Athene als ein Vorbild hingestellt, dem er nadi eifern solle, denn Oresteshabe dadurd 1 «Ruhm bei allen Mensdi en» erlangt . Audi bei dieser Stelledad i ten sophokles und seine Zeit nidi t nur an die Tötung des Ägisthossondern aud i an die Ermordung der Mutter. Und der blindgläubige 3 ophoklesstellte Sidi nunmehr in seinem Drama auf diesen pseudohomerisd mn Stand

1

) Vergl. den sdi önen Aufsatz von Zielinski : «D ie Orestessage und die Rechtfertigungs »

idee» in den «Neuen Jahrbüd1ern» 1899 (p .2

) Odyssee I I I, 304 ff. : Emden ; 8’

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I . EUR IPIDES UND DAS PROBLEM DER ENTSCIHNUNG DES ORESTES 1 9

punkt. Man hat wohl zu seiner Entsd mldigung gesagt l ), da bei Äsd iylos

die «C hoéphoren» das Mittelstück einer Trilogie gewesen seien , so habe3 ophokles‚ um seinem Einzeldrama die Selbständigkeit zu wahren, die letztePartie der «C hoäphoren», die das Herannahen der Radi egeister ankündigt,beiseite lassen müssen . Aber das wäre für einen so großen D idi ter eineänn lidi e Entsdi uldigung. Nein ! S o p h o k l e s w o l l t e d i e E r i ny e n n i c h ti n s e i n em D r am a ; e r g l a u b t e , e r b r a u ch e s i e n i ch t. Denn Oresteswandelt einen Weg , den ihm ein Gott gewiesen hat , also wandelt er denred i ten Weg.Da nun 3 ophokles ein sehr großer D id i ter war, so verstand er es und

versteht es bis zum heutigen Tage sein Publikum in den Bann seiner grau=s igen Ansdi auungen zu zwingen . Er hat dies im wesentl idi en dadurd i er=

reid i t‚ daß er Elektra zur Hauptperson seines Dramas gemadi t hat Mitihren Augen sehen wir die Tat, mit ihr fürdi ten und hoffen wir und mit ihrjubeln wir zum Sdi lü ß über die gelungene Rache . Und im Namen desDidi ters spridi t glüdcwünsd1end der Chor die letzten Worte des Dramas

«O Atridengeschled1 t, nad i wie häufigem LeidRangs t mühsam doch du im Angriff jetztDidi hinaus zum Ziel der Befreiung !» (Adolf Sdi öll .)

Der Orestes des Sophokles Sieht also nid i t die Erinyen, wie der desÄsd iylos in der großartigen Sdi lüßpartie der er flieht nidi tvon dannen als ein sdi uldbefledcter Mörder , nein , er bleibt in der Heimatals der Rädi er des Vaters, als der Befreier der Sd iwester , als der Königdes Landes. Das Problem ist gelöst oder vielmehr für 3 ophokles gibt es

hier überhaupt kein Problem, denn der Orakelgott hat die Tat befohlen, alsoist sie geredi t und gut .

Im ersten Buch Samuehs (6, 19) wird die Bundeslade von den Philisternden Israeliten zurückgegeben und in das Land Bethsemes gebradi t. Beidieser Gelegenheit wurden 50070 Bethsemiter von Jehova gesd 1lagm,

«darum,

daß s ie die Lade des Herrn gesehen hatten» . Hermann Samuel Reimarusbemerkt zu dieser Erzählung in seiner «Apologie oder Sd mtzsd niff für dievernünftigen Verehrer Gottes» «Man ehrt Gott mehr dadurdi , daß mansoldi eWunder nid i t glaubt» . So hätte er audi geurteilt, wenn er unter denZusd1auern gewesen wäre, denen Sophokles seine «Elektra» vorführte. Unddann hätte er dem Didi ter über die Moral seines Dramas ein Privatissimumgehalten mit den Worten seiner «Apologie» (p . «Was in Sid i selbst

1) W. von Chris t, Gesd i idi te der griedi . Literatur“, p. 331 .Vergl . dazu Kaibel in seiner Ausgabe der «E lektra» des Sophokles, p . 47.

3) 3oph. «Elektra»

,V. 1508ff. : 65cmépp.

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David Friedrich Strauß, l . c., p . 1 20 .

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20 EURIPIDES

unmöglidi und ungereimt ist, was in jeder anderen Gesdi id i te Luge, Betrug,Gewalttätigkeit und Grausamkeit heißen würde, kann dadurd i nidi t vernünftig, ehrlid i , erlaubt und red i tmäßig werden, daß die Worte hinzukommenSo spridi t der Herr.»Diesen s ittlidi en Maßstab hat S id i er audi Euripides an das Werk seines

Rivalen angelegt; wir können annehmen , daß er von der Aufführung dersophokleisdi en Elektra nadi Hause ging mit dem Entsd 1luß eine «Apologieoder Sdi utzsdi rift für die vernünftigen Verehrer Gottes» zu sd i reiben. Soentstand s e i n e «Elektra» ; aus diesem moralisd1 en Gegensatz zu dem Dramades Sophokles heraus muß man sie zu verstehen sudi en . S e i n D r am ai s t e i n e S t r e i t s ch r i ft und mit aller Entsdüedenheit gibt er ihm eineTendenz, die der des sophokleisdi en Dramas direkt entgegengesetzt ist.

In Ibsens «nadi gelassenen Sdi riften» (IV, p . 215) lesen wir einen Beridi tvon William Ardi ers, der den D idi ter besudi te und ihn über seine Arbeits=

methode befragte . Hier heißt es unter anderem : «Aus seinen (Ibsens)Äußerungen geht so viel hervor, daß es in der Entwidclung seiner Didi tungeneine gewisse Stufe gibt , wo ebenso leidi t eine Ab handlung wie ein Dramaentstehen könnte» . Wenn Euripides eine Abhandlung hätte sd i reiben wollenund nidi t ein Drama , so hätte er über das vorliegende Problem natürlid i

gesagt : «Die ganze Sadi e kann nid i t so verlaufen sein , denn ein Gott be=

fiehlt keinen Muttermord» . Das ist nadi seiner ganzen Denkart diesemMythos gegenüber sein Standpunkt und seines Herzens wahre Meinung .Aber da er keine Abhandlung sdi reibt , sondern ein Drama , kann er dasnid i t so klar heraussagen . So verfährt er denn , wie er es audi sonst insoldi en Fällen zuweilen tut. Er gibt seine radikale Ans idi t nid i t ganz auf,er äußert sie ab er nur ganz nebenher , an e i n e r Stelle , vernehmlid i nurdem, der Ohren hat zu hören . Diese Stelle ist in unserem Drama derVers 979 . Orestes steht hier unmittelbar vor der furd i tbaren Tat . Erhebt zurück vor dem Grausigen und äußert der Sd iwester gegenuber : viel=leid i t hab e nid i t der Gott das Orakel gegeben, sondern der Alastor, der Eludi=

geist des Hauses, habe die Gestalt des Gottes angenommen und vom heiligenDreifuß herunter das Sd necklid m befohlen Die Möglidi keit einer soldi en

teuflisd i en Verwandlung nimmt audi Shakespeares Hamlet an; er sagt (II,«Der Geis t,

Den ich gesehen, kann ein Teufel sein ;Der Teufel hat Gewalt Sidi zu verkleidenIn lockende Ges talt.»

Freilid i geht dies Bedenken bei Orestes bald vorüber,Elektra redet es ihm

aus im Interesse der Weiterführung der Handlung . Aber unserem Didi ter

1) Euripides «Elektra», V. 979 ff. : OP. äp

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22 EURIPIDES

bekam dadurdi für sein Drama eine ganz neue Handlung. Da er dieRädi er nidi t in die Burg hineinführte , mußte er die beiden Opfer heraus=kommen lassen . Klytämnestra wird bei ihm durch die Trughotsd1afi. vonder vor kurzem erfolgten Entbindung der Elektra in die Bauernhütt e gelocktund dort ermordet . Nun konnte unser Didi ter vieles aufgeben , was diebeiden Vorgänger , Äsdiylos und Sophokles , gemeinsam haben und was erals der Dritte nidi t nod i einmal bringen wollte . Vor allem l ieß er alles weg

,

was uns bei Sophokles durch poetisd i e Sdi önheit das moralisdi e Urteil trübt .Die Nad1 rid ü vom Tode des Orestes , die wunderbare Szene mit

,

demAsdi enkrug , die weltvergessene Freude des Wiedersehens der beiden Ge=Sdiwister , Szenen , die uns die s0phokleisdi e Elektra ebenso groß in ihrerLiebe zeigen , wie s ie furd i tbar ist im Haß,

Szenen , die sie uns mensd i lidiso nahe bringen, daß unsere moralisd ie Empfindung ihr gegenüber bestod1enwird , diese Szenen streid i t Euripides unerbitt lid i . Wie kahl , wie nüd i tern

führt er nun seinerseits die Erkennungsszene zwisdi en den Gesdiwisternherbei ! Geradezu verletzend wirkt hier die unfeinePolemik gegen Äsdiylos

fast komisd i der Übereifer des alten Dieners (558 Diese Elektrabegrüßt imVergleidi zu 3 ophokles den zurüdcgekehrten Bruder redi t verständigund ruhig.Audi das S treitgespradi zwisdi en Mutter und Tochter ( 1008— 1 141) wirkt

bei Euripides in diarakteristisdi er Weise anders als bei seinem Vorgänger.Nimmt es d0di bei ihm in der veränderten Handlung eine ganz andereS tellung ein . Die Elektra des Sophokles , die mit der Mutter den heftigenWortwed i sel führt, weiß nodi nidi ts von der Rüdckehr des Bruders und vonder nahen Rache . Anders hier ! Elektra hat die Mutter zur Hütte gelockt,Ägisthos ist sdion als Opfer der Rache gefallen in der Hütt e drinnen aber,bei seiner Leid1e, warten Orestes und Pylades, um aud i Klytämnestra, sobalds ie eintritt , an der Seite ihres Buhlen zu ermorden . In diesem Zusamme1i=

hang wirken nun all die streitbaren Äußerungen der Elektra ganz andersals bei Sophokles : sie steigern den Charakter der Titelheldin ins Uns

mensd i lid i e .

Während ferner bei Sophokles die Mutter imWortstreit mit der Tod i terunterliegt , ist dies bei Euripides nid i t unbedingt der Fal l. Bei Sophokleserklärt Klytämnestra, s ie habe den Gemahl aus Rache wegen der Opferungder Iphigenie ermordet. Diese Position , aus der s ie von der sophokleisdi enElektra verdrängt wird , gibt s ie bei Euripides freiwillig auf (1030 ff.) undverteidigt Sidi mit der Behauptung , s ie sei mit ihrem Ehehrudi nur demSd i ledi ten Beispiel des Gemahls gefo lgt , der ihr die Kassandra i ns Haus

gebradi t habe . Was dem Manne redi t sei , sei audi ’der Frau billig. Hierkann Klytämnestra nid i t völlig in s Unred i t gesetzt werden, weil der Mythoseben wieder in moderne Beleudi tung gerückt wird . Die moderne Frau verlangt audi vomManne, daß er die Ehe respektiere, sonst fühlt s ie Sidi audi

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nidi t mehr gebunden . Das sind natürlidi vo llig unhistorisd1e, anad i ronistisdi eErwagungen, die den Mythos zerstören . Mit dieser Ethik hat Euripides ausdem Helden Jason einen erbärmlid i en Verräter gemadi t , mit ihr wird audider Heerkönig Agamemnon ins Unredi t gesetzt

,der d0di nur getan hatt e,

was nadi den Ansdiauungen Homers etwas S elbstverständlidi es, etwas völligMoralfreies gewesen war : er hatte Sidi aus der Beute eine sdi öne Sklavingenommen . Elektra weiß nun auf diesen Vo rwurf der ehelidi en Untreue,der hier dem Agamemnon gemadi t wird, keine genügende Antwort zu gehenund audi am Sd i luß , heim Abhred1en des S treitgespräd ms , ist Klytämnestranid i t die Besiegte , s ie spielt vielmehr die Rolle der Klügeren . die nadi giht

So sch ickt s ie Sidi denn an der Todi ter in die Hütte zu folgenund ihr den gewünsdi ten Liebesdienst zu leisten .

Mit Worten voll grausigen Doppelsinns treiben nun Elektra und derChor ihr Spiel mit der dem Tode geweihten Frau : Das Höd i ste in ihrerVerhohnung leistet Elektra mit den Worten , die als die letzten der Mord:tat unmittelbar vorhergehen . Die Mutter ist bereit nun endlidi in die Hütteeinzutreten , wo ihrer der Tod von der Hand des Sohnes wartet , und d ieTodi ter, die das weiß, fordert sie dazu auf, indem s ie

«Tritt unter dieses arme Dad1 ; doch s ieh didi vor,D ie raud üge Hütte sdwvärzt d ir sons t dein Kleid mit Ruß ! » (Minckwitz .)

Hier ist die S0ph0kleisd ie Elektra weit überboten ; in diesem Wesen istjede mensdi lid i e Regung erlosdi en . So hat Euripides die Größe des Hassesbeibehalten , ja er hat hier sogar nodi

,

gemehrt : seine Elektra beteil igt Sid ian der Ermordung der Mutter nidi t nur mit wilden Worten

,sondern mit

wilder Tat (V . Aber die große Liebe , die wir bei 3 ophokles alswohltuenden Kontrast empfinden , s ie hat er ihr nid i t verliehen . Nur derbare Haß gegen die Mutter ist da, nur das Grelle und Grellste . Und das wollteder Didi ter . E r g e h t g e r n i n d e r D u r ch fü h r u n g s e i n e r T h e m e nb i s z um auß e r s t e n . Als eine Teufelin zeid met er seine Elektra , undd0d i empfindet aud i s ie unmittelbar nadi der Tat die lehhafieste Reue ; wieOrestes brid i t audi s ie unter lauten Wehklagen haltlos zusammen . Für soganz unmöglid i hielt es Euripides , daß ein Mensdi seine Mutter mordenkönne, ohne von den Erinyen gejagt zu werden .

Näd i5t der Elektra erregt besonders der Charakter der sophokleisdi enK l y t ämn e s t ra den Widersprudi des Euripides . Nidi t als ob er hierhätte besdi önigen wollen . S ie ist audi bei ihm so sd i led i t, wie es der Mythosund die Darstellung der beiden Vorgänger mit Sidi bringen . Aber zweierleihat er d0di geändert. Seine Klytämnestra hat nie das Pietä1sverhältn is zuihrer Tod iter so völlig gelöst , wie es bei Sophokles der . Fall ist. S ie hat

1) Euripides «E lektra»

,V. 1 139 f. : xu

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ihr vielmehr das Leben gerettet (V . 27 f.) und hat audi der Verlassenen undin die Bauernhütte Verwiesenen eine freundlid i e Ges innung bewahrt . Dasweiß Elektra

,baut s ie d0di g erade darauf den Plan zum Verderben der

Mutter (656Und zum zweiten ist die große Sünderin bei Euripides nidi t mehr so

trotz ig und sto lz in ihrer Sünde , wie bei Sophokles und Äsdiylos . Bei3 ophokles sagt Klytämnestra am Sdi lü ß ihrer Verteidigungsrede, sie empfindeüber das , was geschehen sei , keine Reue Bei Euripides sagt sie an derparallelen Stelle zur Tod i ter 2)

« Idi verzeihe dir auch bin ich selbs t n idi t allzusehrVon meiner Handlungsweise, Kind, im Geis t entzückt .» (M .)

Darin liegt eine direkte Korrektur des Sophokles .Während unser D idi ter also seine Elektra aller mensdi lid i sympathisd i en

Zuge entkleidete, hat er seine Klytämnestra auf ein mittleres Niveau gestellt .Er wollte uns audi in dieser großen Sünderin nodi den Mensdi en zeigen,auf daß wir nidi t ohne Mitleid bleiben , wenn hier eine Mutter von ihrenKindern mit List und Hohn in die Falle gelodct und ersd i lagen wird .

Audi bei der C harakterzeid mung des O r e s t e s ist der polemisdi e Zweck,der Gegensatz zu Sophokles ers idi tlidi . Der Orestes des Sophokles glaubtohne Wanken an die Berechtigung der Tat, die ihm der Gott befohlen hat ;dazu steht er unter der Leitung des Padagogen und der älteren , ihn über:

ragenden Schwester. Der Orestes des Euripides dagegen steht ebenbürtigneben Elektra

,die ihn audi nidi t wie bei Sophokles durch den Alters =

untersd1 ied überragt , eine Neuerung , auf die der spätere D idi ter in denVersen 284 und 541 ausdrüdclid i aufmerksam madi t ‚ Audi von seinem zweitenMentor , dem Pädagogen, hat er ihn befreit . Dieser Orestes kann also fürseine Tat in ganz anderer Weise verantwortlid i gemacht werden als ders0phokleisdi e. Hier ist aus dem. blinden Werkzeug in der Hand des Gottes,das Orestes bei Sophokles ist , ein Mensdi geworden , der gar wohl fühlt,weld i Sdiwere Tat ihm sein Sdi icksal auferlegt hat .

Ä g i s t ho s tritt in unserem Drama nid i t auf, d0d i ist natürlidi vielvon ihm und seinen Untaten die Rede . In einer glanzenden Boten=erzählung , wie s ie ja gerade Euripides häufig in seinen Dramen hat , wirdüber seinen Tod ein greller, aber padcender Beridi t erstattet. Die Nadi rid i tsoll bei dem Hörer nur das Gefühl der Freude darüber auslosen , daß derniedrige

, tückisdi e Tyrann den verdienten Lohn gefunden hat. Der Todder Klytamnestra und des Ägisthos wird von Sophokles in gleid ier Weise

1) Sophokles «Elektra», V. 549 f. : äych p.

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I . EUR IPIDES UND DAS PROBLEM DER ENTSCIHNUNG DES ORESTES 25

beurteilt ; beides sind ihm berechtigte , der Gottheit wohlgefällige Taten .

Euripides dagegen will uns zum Bewußtsein bringen , weldi großer Untersdi ied zwisdi en diesen beiden Taten s tattfindet .Zwei Personen treten bei Euripides auf, die die beiden Vorganger n id i t

haben, ein alter, treuer Diener des Hauses und ein Landmann, der Pseudo=gatte der Elektra . So muß man ihn nennen, denn er hat aus Rück5icht aufdie hohe Abkunfi der Königstodi ter die Ehe mit ihr n idi t vollzogen, wie eruns im Prolog mitteilt (V . 43 Der Alte und der Landmann sind beidetüd i tige , sympathisdi e Mensdi en , besonders der letztere ist feinfühlend und

edel , ein Spiegel der Tugend . Und nodi einer kommt in unserem Dramahäufig zum Wort , der freilidi gar nidi t auftritt , das ist der D idi ter selber .Redi t auffällig und vernehmlidi spridi t er aus dem Chor und aus den Personendes Dramas heraus zu uns ; ich denke dabei besonders an die Verse 294 ff.,

367 ff., 550 f., 737 ff., 921 ff., 941 ff., 1053 ff. und 1 102 ff.

Wie kann nun in einer Welt , in d er so feinfuhlende Mensd i en lebenwie der Landmann , so liebenswürdige wie der Alte , wo so moderne Ge=

danken erklingen, wie s ie der D idi ter verlauten läßt, wie kann in dieser Welteine so rohe Tat aus prähistorisd mr Zeit finsterer Blutradi e als etwas ganzSelbstverständlid i es verübt werden ? Die ganze Absurdheit dieser Tat wirddurch diese Stillosigkeit sofort klar und das ist natürlidi die Abs id i t desDidi ters .

D e r R a t i o n a l i smu s e rm a n g e l t d e s h i s t o r i s c h e n Ve rs tan d n i s s e s . Wie Reimarus die Männer der heiligen Gesdi id i te, so mißtaudi Euripides die Gestalten des Mythos mit s e i n e n Begriffen von Gut undBöse , unbekümmert darum , daß i h r e Begriffe ganz andere gewesen sind .

Wieviel dabei der Kritiker bewußt tut , wieviel der Kunstler unhewußt , in :

wieweit dieser unhistorisd1 e ‘Verismus dem Moralisten ein Kampfmittel , inwieweit er dem D id i ter ein Kunstmittel gewesen ist , wer vermag das zu

entsdi eiden ? Wenn es gut geht , wenn die Führung der Handlung und dieZeid mung der Charaktere gelungen ist, dann fällt immer Kritik und Kunst:

werk untrennbar zusammen .

So entstand unser Drama, ein viel gesd1mahtes Stück, dem es die meistenLeser und Kritiker nidi t verzeihen können, daß es so ganz anders ist, als s ie

Sidi « ein gried i isdi Trauerspiel» vorstellen .

D i e tau r i s c h e I p h i g e n i e .Euripides, der unermudlid i e Sudi er der Wahrheit, war von der extremen

Lösung, die er in seiner «Elektra» dem Problem der Entsühnung des Orestesgegeben hatte, wohl selbst auf die Dauer nid i t befriedigt ; er sud i te daher ineinem neuen Drama nadi einer neuen, positiven Gestaltung.Hatte er nun in seiner «Elektra» besonders gegen 3 ophokles polemisiert,

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26 EURIPIDES

so ist seine « taurisdi e Iphigenie» wohl zunadi st durch den Widersprud i gegend ie «Eumeniden» des Äsdiylos veranlaßt.Er stand dem S tüdce des Altmeisters in derselben Weise gegenuber wie

Goethe viele Jahrhunderte später ihm selber und seiner « taurisdi en Iphigenie»gegenüberstand . Audi Goethe war mit der Moral des Vorgängers nid i t

einverstanden . Daß bei Euripides alles mit List und Betrug vollführt wird,daß dieser Betrug den Beifall der Götter und ihre Unterstützung findet

,das

sd i ien ihm der Götter und der Mensdi en unwürdig zu sein . So trat er dennan den alten griedi isd i en Stoff mit einer vorgefaßten Idee heran , die freilid izu ihm so sdi led i t als möglid i paßte, mit der Idee der Reinheit, der absolutenWahrhaftigkeit . Um sein Leitmotiv zur Geltung zu bringen , Sdi lug er nundenselben Weg ein wie Euripides . Er erfüllte alles mit dem Geiste seinerZeit. S e i n e G r i e c h e n u n d B a r b a r e n s i n d M e n s c h e n d e s18. J a h r h u n d e r t s , s i n d M a s k e n , au s d e n e n h e r a u s fo r tw a h r e n d d e r m o d e r n e D i c h t e r u n d d as mo d e r n e L e i tmo t i vz u u n s s p r e c h e n . Besonders gilt das von der Heldin des Dramas .Seine Iphigenie gestaltete Sidi ihm durch die Kraft des Leitmotivs zu einerHeiligen, die er nadi der heil igen Agathe Rafaels in Bologna Sdiuf. S ie sollnid i t wie die Gried ün durch kühne List , sondern durdi reine Mensdi lidi keit

und allein durch die Kraft der Wahrheit die Rettung bringen Damit dieseLösung möglidi sei , muß aud i der Gegenspieler , Thoas , seinen Charaktervöllig ändern . Aus dem rohen Barbaren wird hier «ein edler Mann», und wieso oft bei Euripides werden wir audi bei Goethe gleidi im Prolog auf diesewidi tige Änderung hingewiesen . Trotzdem will dann Sdi ließlidi die Handlung,die ja für Goethe wie für Euripides in der Hauptsadi e feststand, nidi t mehrredi t zusammenstimmen und durch Umdeutung des Orakelsprud ms von « d e rS chw e s t e r , die an Tauris

' Ufer im Heiligtume wider Willen bleibt», mußaudi Goethe gleidi sam den deus ex mad üna in Bewegung setzen, um einiger=maßen wenigstens in den feststehenden Mythos einzumünden .

So verfuhr aud i Euripides zuweilen mit den Dramen seiner beiden großenRivalen . Daß nun in den «Eumeniden» des Äsd iylos Orestes bei seinerRettung und Entsühnung nur passiv beteiligt ist , daß die Götter auf demAreshügel Sid i um ihn streite

'

n, während er selbst tatenlos danebensteht, daßer Sdi ließlidi , wie Luther sagen würde, «ohne al le sein Verdienst undWürdig=

keit» freigesprod i en wird, das paßte unserm Didi ter nid i t . Ähnlidi erging esdem großen Ästhetiker FriedrichVisd mr _

mit dem Sd i luß von Goethes Faust.Visd1er madi te seinem Grimm Luff und sdi rieb die Parodie : «Faust. DerTragödie dritter Teil .» Im Prolog läßt er folgendes als Voraussetzung undals Leitmotiv seines Dramas verkünden

1) In der « Ital ienisd1en Reise» sagt Goethe bekanntlid i : « Id i habe mir die Ges talt

(Rafaels hei lige Agathe) wohl gemerkt und werde ihr im Geis t meine Iphigen ie vorlesenund meine Heldin nidi ts sagen lassen, was diese Hei lige n idi t ausspredi en mödi te» .

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I . EURIPIDES UND DAS PROBLEM DER ENTSCII-INUNG DES ORESTES 27

»Vernehmet nun, was ich getreu ber idi teVon Doktor Faus ts seitheriger Gesdi idi te .

Als er zum Himmelseingang ward erhoben,Erklang ein Ruf posaunenhafi von oben :«Es hat nid i t ohne Redi tDer Kritiker Gesd i ledi t,Voran der Geis t, der stets verneintUnd s tets als ihr Regent ersdi eint,Den sd iarfen Einwand vorgebradi t‚Der viele Leser s tutz ig madi t‚Der Geisterwelt präsentes edles Glied,Nid i t ganz so strebend hab' es Sidi bemüht,Als nötig, es zu rettenAus Satans Ketten ;Darum ward resolvieret,

Wird hiermit dekretieretFaus t sol l vorers t dahübenNoch eine Zeit Sidi üben» .

So dadi te aud i Euripides . Audi Orestes soll «vorerst nodi eine Zeit Sidiüben»; er soll erst freigesprodi en werden, wenn er selber etwas geleistet hat ;erst wenn er sein den Erinyen verfal lenes Leben für ein den Göttern wohl=

gefälliges Werk aufs Spiel gesetzt hat, dann soll er es wieder gewinnen . AlsLeitmotiv ergab Sidi also audi für Euripides der Gedanke : «Wer immerstrebend Sid i bemüht, den können wir erlösen» . Im Vers 909 ff. ist Orestesfür diese Erkenntnis reif geworden . Er sagt voll Zuversid1 t : «wir werdengerettet , das Sdi idcsal ist uns günstig .

f Denn wenn der Mensdi das Seinetut, so hat audi die Gottheit mehr Kraft zu helfen» Und wie gewöhnlidi ,klingt audi in unserm Drama das Leitmotiv sdi on im Prolog an . ImVers 1 14 f.gibt Pylades, 121 f. Orestes die Ans id i t kund, daß keine Gefahr und Not denwadceren Mann von einer kühnen Tat abhalten dürfe

S o e r g a b s i c h fü r E u r fp i d e s d i e l e i t e n d e I d e e s e i n e s n e u e nD r am a s a u s d e m Wi d e r s p r u c h g e g e n Ä s c hy l o s . Audi dieVoraus =

setzung für die Handlung seines S tüdces entnahm er dem Drama seines Vor

gängers . Dort wird Orestes mit S timmengleiä heit durch den S tidi entsd i eidder Pallas freigesprod i en . Euripides kam nun auf den einfachen und glückl ichenGedanken : wie die Rid i ter geteilter Meinung sind, so sind es audi die Erinyen .

Nur die Halfte erkennt die Freisprediung an, die anderen verfolgen den Sünderweiter. Ein neuer Sprud i des delphisd ien Gottes sch ickt ihn dann nadi demLande der Taurer. Daß der Gott und sein Orakelsprudi im neuen Drama

1) «Taur. Iphigenie», V. 910 f. : f1v 853 171; npöhuuoc

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) «Taur. Iphigen ie», V. 1 14 f. : roh; rc6vouc 7619 61701801

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28 EURIPIDES

anders zu beurteilen seien als‘ in der «Elektra», darauf madi t uns der D id i ter

mehr als einmal aufmerksam. Pylades nimmt in den Versen 105 und 7 19 ff.den delphisdi en Gott mit würdigen Worten gegen respektlose Ä ußerungen desOrestes in Sd mtz . Im dritten S tandlied feiert der Chor den Orakels itz am

Parnassos, wo der Gott auf go ldenem Dreifuß sitzend, auf truglosem Throne,den S terblidi en hochhd lige Orakelsmüd wspendet (V. Audi der deusex mad üna ist diesmal mit dem Gott und seinem Sprudi völlig einverstanden

(V . 1438

Aber auch die grausige Vorgesdi id i te ersdi eint in unserem Drama inanderem Lichte, nämlidi V. 565 die Opferung der Iphigenie, V . 553 die Er=

mordung des Agamemnon, V . 559 die Rad i etat des Orestes . Wenn Elektraim gleid mamigen Drama der Radi egeist des Hauses war, so lebt in Iphigenieder Geist der Liebe zu den Ihrigen allen und besonders zu dem unglücklichenBruder. S ie ist eine der edelsten Frauengestalten, die unser D idi ter gesd iaffenhat. Dies erkennt sogar Klein an , der d0d i mit sdiarfen Urteilen nidi t

zuruckhält . Er sagt («Gesdi id i te des Dramas» I, p . «Den Charakterder Iphigenie darf man zu den gehaltensten und edelsten Figuren zählen,n idit bloß des Euripides , bei dem wir keine mit ihr vergleidi bare Heldinantreffen , sondern zu den wirkungsvoll edelsten der attisd i en Bühne überhaupt . S ie bewährt diesen großgezeidi neten Seelenadel bis zum Sdi luß.»

Ab e r t r o t z d em f i n d e n s i c h a u c h i n d i e s em D r am a S p u r e nd e s R a t i o n a l i smu s , wie dies ja audi bei allen anderen positiven Sdi öpfungenunseres D idi ters der Fall ist . Idi verweise zunädi st auf VI 291 ff. : Oresteshört hier das Brüllen der Rinder und glaubt die Erinyen zu hören ! Audi

'

V. 275ff. gehört hierher, wo der aufgeklärte Hirte mit seiner rationalistisdi enDeutung redi t behält und nidi t der fromme ; und V . 391, wo Iphigenie überdie Mensdi enopfer im Taurerlande Sidi äußert und mit der ed i t euripideisdi enSentenz l )

«es kann, ich zweifle nidi t,Der hohen Himmelswesen keins ein sdi ledi tes s ein» (M .)

zu dem Sdi luß kommt , die rohe , blutgierige Bevolkerung finde ihre Freudedaran die Fremden am Altare der Artemis zu Opfern und sdüebe die Sdi ulddieser Greuel auf die unsd mldige Göttin . In gleid i er Weise Sd iaut der D id i tergleid i dreimal (in den Versen 1 166, 1 174 und 1200) aus der Maske des Thoasheraus und zerstort so durch ein paar Verse für den Wissenden den Mythosin seinen wid i tigsten Voraussetzungen . Er kann eben mit seiner Kritik nid i t

ganz zurudchalten und mahnt uns gleidi sam,wir sollten den poetisd i en Zauber

seines Dramas nidi t allzu ernst nehmen . Der grellste von diesen drei Fällenist wohl der erste . Iphigenie erzählt hier dem Thoas , das heilige Bild derArtemis habe Sid i aus Furdi t vor Befiedcung durch den Mörder auf seinemSockel umgedreht. «Von selber»

,fragt er, «oder ist das durch ein Erdbeben

1) «Taur. Iphigen ie», V. 39 1 : oööe

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30 EUR IPIDES

nodi ein drittes Drama, seinen «Orestes» ein S tudc, das den Mythos vomMuttermord und seiner Sühnung nodi grimmiger mißhandelte , als es in der«Elektra» geschehen war. Wie ist so etwas psydi ologisdi möglidi ?

D idi ter , die ihre Dramen mit einem Leitmotiv erfüllen , die Thesen=dramen sdiaffen , fühlen Sidi , wenn sie tiefe Denker und Kinder der Wahrheit sind, von dem gesdiaffenen Werke nidi t leidi t und nid i t für lange Zeitbefriedigt. Ihr reges Gewissen sagt ihnen bald , daß die Sache nodi eineandere Seite habe als die eben dargestellte , und s ie fühlen Sid i dann dazugedrängt , dieser anderen Seite der Sadi e in einem anderen Drama gerechtzu werden .

So polemisiert Ibsen im «Brand» und im «Volksfeind» gegen die Lebens=

luge und verherrlidi t in jedem dieser Dramen einen Fanatiker der Wahrheit.In der «Wildente» dagegen ersd i eint Gregers Werle, «der Mann mit deridealen Forderung», fast wie eine Karikatur des Dr . Stockmann, und Rellingbehält hier red i t, der die Lebenslüge für unbedingt nötig zum Leben erklärt .Das konnte freilid i für Ibsen in dieser Sadi e nicht das letzte Wort sein . Ergibt uns daher sdi on im nädi sten Drama , in «Rosmersholm»

, den Glaubenan die Möglid ikeit zurück «Adelsmensd mn zu bilden» Ein anderes Pro=blem, mit dem Ibsen Sidi viel besd1äftigte, ist das der wahren Ehe . Im«Puppenheim» lost Nora ihre «Kaufehe» auf und verläßt den Gatten unddie Kinder. Der Tumult , den dieser Sdi luß des Dramas bei der Kritikerregte , veranlaßte den D idi ter in den «Gespenstern» zu zeigen , was fürFolgen es haben kann, wenn eine Frau aus Feigheit in der Lebenslüge, inder Kaufehe, beharrt. Und dann hat es ihn d0di wieder dazu gedrängt inder «Frau vom Meer» darzutun , daß unter Umstanden audi eine Kaufehezu einer wahren Ehe werden kann So sehen wir, wie der Did i ter seineMotive von allen Seiten betradi tet, wie dieserWahrheitssud mr es geflissent=lidi vermeidet eine definitive Antwort zu gehen , in der leid i t wieder einIrrtum enthalten sein könnte . Daß dieser Zug die ganze EntwidclungIbsens bedingt, hat Anathon Aall feinsinnig nadi gewiesen

Ähnliche Beziehungen der einzelnen Dramen aufeinander kann man aud ibei Euripides wahrnehmen . Freilid1 müssen wir uns hier stets vor Augenhalten, daß uns von

.

seinen 92 Stüdcen nur 18° oder 19 erhalten sind unddaß wir nur bei wenigen die Aufführungszeit S id i er wissen . Wir könnenalso unmöglidi dasselbe exakte Resultat wie bei Ibsen erwarten . Aber was

1) Leider ist uns nur für den «Ores tes» das Jahr der ersten Aufführung (408 v. Chr.)

überliefert. Für die «Elektra» ist das Jahr 4 13 sehr wahrscheinlié , für die «Tauriscbe Iphigenie» ist 4 12 nid i t unwahrsd minlid n Näheres hierüber in meiner Abhandlung im PhilologusN . F. 2 1, p . 232 fi

'

.

2

) Vergl . dazu Emi l Reich, Ibsens Dramen, p . 2 1 2 .

3) R. Woerner, l . 0. I I, p . 97 und 2 19.

Anathon Aall, l . c., p . 83-1 1 2 .

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I . EUR IPIDES UND DAS PROBLEM DER ENTSCIHNUNG DES ORESTES 3 1

wir sehen, rechtfertigt d0di wieder den Sdi luß, daß die beiden redi t ahnlidi eDidi terpersönlidi keiten gewesen sind.

In der «Alkestis» zeigt Euripides , wessen das Weib fähig ist in Liebeund Treue und Aufopferung für die Ehe ; in der «Medea» stellt er dar

,

wessen das Weib fähig ist in der Rache für gekränkte Ehe . Im «Hippolytos » sehen wir , daß audi der Mann , in seiner häuslid i en Ehre gekränkt,das Leben des eigenen Sohnes nid i t sdi ont. Bei der «Helena» war wohldas erste , was dem D id i ter feststand , der Wunsdi , die von ihm Viel=

gesd imähte einmal in einem neuen Lidi te zu zeigen , als treue Gatt in, alszweite Penelope . Am gründlichsten ist er dieser Neigung Sidi selbst zu korri=gieren im «Orestes» und in der «aulisd i en Iphigenie» gefolgt . Das letztereDrama kann man , was die Tendenz anlangt , geradezu eine Palinodie der«Troerinnen» nennen : dort der Jammer des Krieges und der unbedingteWunsdi nadi Frieden und die Helden Homers nadi dem Vorbild der Sol=dateska des pe10ponnes isd i en Krieges gestaltet; hier dagegen die S ieger überIlion , wie s ie die bildende Kunst des perikleisdi en Zeitalters darstellte , alsVorkampfer hellenisdi er Gesittung , als die Vorläufer der Marathonkämpfer .

Wir sehen also : Euripides hielt , wie Ibsen , ein Problem nidi t für

erledigt , wenn er es in einem Drama behandelt hatte , er war vielmehr ge=

neigt es audi nad i einer anderen Seite hin zu drehen und zu wenden , umes dann im Interesse der Wahrheit und der Gerech tigkeit audi von dieseranderen Seite aus darzustellen . Dieser rücks idi ts losen Wahrheitsliebe unseresDid i ters verdankt audi das Orestesdrama seine Entstehung.Wenn wir hinhord ien , wo hier am vernehmlidi sten der Didi ter aus

einer seiner Personen heraus zu uns Sprid i t , wo also das Motto des neuenDramas zu finden ist , so sind dies die leidensd1afflid mn Worte , mit denender alte Tyndareos , der Väter der Klytämnestra, die Pflidi t der Blutrad i ebekampfi, die ander unseligen Tat des Orestes Sd iuld ist. Der Greis sagt

«D0di wi l l nadi bes ter Kraft audi Schutz ich dem GesetzGewähren, diesem tierisd 1en Gelüs t nadi MordEin Ende mad i en, weldi es Stadt und Land verdirbt.» (Binder .)

Mit ihm legt audi der Didi ter dies Gelobnis ab . Und d0d i war er in seiner« taurisd i en Iphigenie» mit dem Muttermörder so fein säuberlidi umgegangen,mit heroisdi em Pomp und Sdimudc, “mit Orakelsprüdi en und Kultgebräud i enhatte audi er das Unmensdi lidi e der Tat überkleidet. Das sollte diesmalnidi t wieder geschehen . Den Zauber , den er und andere täusd i end überdie grausige Tat gebreitet hatten , abermals wollte er ihn zerstören; derEfeu sollte herunter von dem alten Gemäuer, auf daß man es in seinerBlöße sähe .

«Ores tes», V. 523ff. : &p.uväi 8’

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32 EURIPIDES

Soldi e Gedanken waren der Ausgangspunkt fur unseren Dichter , indieser Abs idi t hat er sein neues Drama gesdi rieben . Um diesen Zwedc zu

erreidi en,wendet er wieder sein altes Mittel an . In seiner «taurisdi en Iphi=

genie» waren Gotter und Helden aufgetreten , jetzt sollen wieder «Wirk=l idi keitsmenschen» 1 ) über die Bühne gehen , im Lidi te des Redi tsstaates solldie Tat geschehen , mit den s itt lidi en Ansdiauungen des Did i ters und seinerZeit soll s ie gemessen werden . Also wieder der Verismus, als Kampfmittelund als Kunstmittel , beides natürlidi bei dem großen D idi ter untrennbar,denn er kämpft jamit seiner Kunst.

Eu r ip i d e s s t e l l t s i c h n u n i n s e i n em «Ore s t e s» z u n ach s t au f d e nS t an dp u n k t d e s S op h o k l e s . Er fängt daan, wo dieser in seiner «Elektra»aufgehört hatte, und kritisiert nod i einmal das Drama des Gegners , indemer zunäd i st auf seinen Voraussetzungen weiterbaut. Orestes bleibt also nad1dem Muttermord in Argos, denn er will das Erbe des Vaters antreten undseines Herrsdi eramtes walten . Ab er das Vo lk von Argos duldet das nid i t :sie ädi ten ihn und die Sd iwester, und der Tag, an dem die Handlung desDramas Sidi abspielt, ist dazu bestimmt, daß die Volksversammlung über dieMörder der Mutter Geridi t halte . Dazu ist Orestes, der am Sd i eiterhaufen

der Mutter ihre Gebeine in die Asd 1enurne sammeln wollte, von den Erinyenergriffen worden , das heißt im rationalistisdi en Stil unseres Dramas , er istin eine Sdiwere Krankheit gefallen , die ihn todesmatt aufs Lager wirft , vondem er Sid i von Zeit zu Zeit von grausigen Visionen gejagt zu wildenReueklagen erhebt.

In einer Ruhepause der Ermattung finden wir ihn zu Beginn des Dramas .Vor dem Palaste des Agamemnon in Argos liegt er Sd i lafend auf dem Lager,ihm zur Seite die treue Pflegerin Elektra, die uns im Prolog die nötigen Vor=

aussetzungen für das Drama gibt . Orestes erwadi t und nun mad i t uns derD idi ter zum Zeugen eines Wahnsinnsanfalls . In der «taurisdi en Iphigenie»hatte er uns in einer glänzenden Botenerzählung darüber beridi ten lassen,hier sollen wir den rasenden Orestes mit eigenen Augen sehen . So wid i tigist es dem Did i ter, daß wir davon überzeugt werden : es gibt keinen Mutter=mörder , der den Erinyen entrinnen könnte . Freilidi , die Erinyen selberexistieren nur in den Wahnvorstellungen des Kranken . Wenn der Anfallvorüber ist , dann weiß das Orestes selber , dann spridi t aus ihm hell undklar die Einsid1t des phi1050phisd 1en Didi ters . Im Gespräd i mit Menelaos,

das Sidi an die Wahnsinnsszene ansd dießt , fragt dieser den Kranken , waser für ein Leiden habe , weldi e Krankheit ihn zugrunde ridi te , und Orestessagt , es sei dies das Bewußtsein , eine sd i redclidi e Tat verübt zu haben .Erstaunt antwortet Menelaos : «Was sagst du ? Klar , nidi t unklar reden,

Ibsen gebraudi t d iesen Ausdruck von den Personen , die im «Baumei ster Solness»auftreten . (Brief an Eduard Brandes, «Werke» X, p .

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I . EUR IPIDES UND DAS PROBLEM DER ENTSCIHNUNG DES ORESTES 33

das ist klug» Das ist die Art , wie Euripides audi sonst einen Versunterstreid i t, damit wir ihn besonders beadi ten .

Es gibt also in unserem Drama keine Radi egöttinnen das will uns derDidi ter sagen . In der «taurisdi en Iphigenie» hatte er sie nodi geduldet, nurmit zwei Versen (29 1 f.) hatte er sie audi dort für den Wissenden bekämpft.Über dem neuen Drama aber leudi tet die Sonne der Aufklärung und inihrem grellen Lidi t Sdiwinden audi diese alten Sdi redcges talten , die unseremDidi ter bestialisd 1 und bluttriefend ersdi einen wie der Mythos , zu dem siegehören . Freilid i , das Grausige der Tat bleibt, die Sunde , die Sdi uld, ‚dieReue, s ie bleiben , sie wohnen tief in der Seele des Mörders und kein Gottund kein Areopag wird ihm helfen können .

Das ist der Eindruck , den die Wahns innsszene auf uns madi t. Hierhat der Verismus der Darstellung etwas Gewaltiges gesdiaffen . Henri Weil 2)sagt in seiner Einleitung zum «Orestes» bei einer anderen Veranlassung

ue nous sommes loin d'Esd iyle ! _La mythologie {f est transformé e en

psyd mlogie» . Dies Wort gilt besonders aud i von unserer Stelle ; aber nidi tnur fern von Äsdiylos sind wir, wir sind audi fern von Homer, von Stesi=d ioros , von Sophokles , von der taurisdi en Iphigenie des Euripides selber,fern von jedem, der an die «Heroenzeit und ihre Gestaltungen glaubt oderdiesen Glauben wenigstens zur Voraussetzung seiner Did i tung gemad i t hat.D i e e r s t e I n s t a n z , das e i g e n e G e w i s s e n , hat unseren Orestes

also verurteilt. Vom mensd i lidi en Standpunkt betrad i tet ist seine Tat so

grauenhafi , daß niemand ohne Protest zu erheben von ihr hören oder redenkann . Agamemnon selber würde sie gewiß dem Sohne nidi t auferlegt haben,nein ! er würde ihn vielmehr inständig gebeten haben die Mutter nid i t zumorden . Zu dieser Eins idi t kommt Orestes gleidi am Anfang des Dramas .Wie ihn die Wahnvorstellungen wieder verlassen haben, sagt er reuevoll zu

« Idi glaube, selbst mein Vater, hätt' ich Aug' in Aug'Ihn drum befragt

,ob ich die Mutter morden so l l,

Er hätte mir mit heißem Fleh'n das Kinn erfaßt,D0d i ja zum Muttermorde aidi t den Stahl zu zieh'n,Wei l d0d i er selbs t zum Lidi te nimmer wiederkehr'Und mir, dem Armen, solches Weh verhänget sei .» (B.)

«Orestes», V . 395ff. : ME. r i xpijpd 11&q e1; ; r i; 0’

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Henri Weil, «Sept tragédies d'Euripide», Paris 1 868, p . 675.

«Orestes», V. 288 ff. : ofuou 812 nar épa röv si öpp.ocroc

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S t e i g e r , Euripides.

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34 EUR IPIDES

Wer kann also die Tat billigen, wenn s ie sogar der Vater verabsdi eut,für den s ie begangen wurde ? Unter den Mensdi en gewiß niemand; nur derGott kann es

,der s ie in seiner Torheit befohlen hat .

D i e z w e i t e I n s t a n z , d i e n u n i h r V e r d i k t a b g i b t , i s t d i eF am i l i e . Der alte Tyndareos ist nadi Argos gekommen um am Grabeseiner Tod i ter zu opfern . Wie er den Orestes vor dem Palast auf demKrankenlager erblickt , kommt es zwisdi en beiden zu einem Redekampf, inweldi em der Greis zunäd i st in einer langen und heftigen Anklagerede

(V . 492—541) die Tat des Orestes als unsinnig und als gottlos brandniarkt .

Dieser verteidigt Sidi mit Gründen , die zumeist den «Eumeniden» desÄsd iylos entnommen sind . Das Hauptargument , durch das bei Äsdiylos

der Prozeß auf dem Areshugel entsd üeden wird , ist bekanntlidi folgendes :«Die Mutter ist mit dem Kinde , das s ie geboren hat , nid i t blutsverwandts ie ist nidi t die Zeugerin des Kindes, s ie hegt und nährt nur den ihr anver=trauten Keim . Daher hat Orestes, der die Mutter mordete, nid i t verwandtesBlut vergossen die Erinyen haben also kein Redi t auf ihn» . Dies Argu=

ment veranlaßt in den «Eumeniden» die ohne Mutter geborene Pallas Athene,für Orestes den freispredi enden Stein in die Urne zu legen . Bei Euripidesfällt dasselbe Argument natürlidi wirkungslos zu Boden, Tyndareos antwortetnidi t einmal darauf. Wohl aber ist er durch die Art, wie Sidi Orestes verteidigt , nodi erregter geworden und droht Sdi ließlidi , er werde gegen ihnund die Sd iwester bei der Volksgemeinde von Argos die Todesstrafe be=

antragen . Daß audi Elektra zur Verantwortung gezogen wird , ist eineNeuerung des Euripides . Für ihn war das selbstverständlidi , war er d0diimmer ein Vorkämpfer für die Gleid iberedi tigung der Frau, fur ihre Eman=

z ipation .

N o ch e i n e d r i t t e I n s t a n z hat uber den Muttermorder und seineTat ihr Urteil abzugeben, d i e V o l k s g em e i n d e d e r A r g i v e r . Vorherkommt aber nod i ein Abwesender zum Wort , der Vater des Pylades,S trophios . Pylades war nach der Mordtat in seine Heimat , nadi Phokiszurüdcgekehrt . Warum er das tat , ist Sdiwer zu sagen ,

‚ denn als Orestesbei der Bestattung der Mutter von den Erinyen ergriffen wurde , war ernodi anwesend (V . 405 Warum verließ er den kranken Freund , derzudem nodi geädi tet und mit dem Tode bedroht war , der also seiner Hilfegar sehr bedarfte ? Widemprid ü das nid i t seinem Charakter ? Allerdingsgewinnt Euripides nun durch die überrasdi ende Rüdckehr des Pylades (V . 729)

einen sdi önen Kontrast : unmittelbar vorher war Menelaos, der falsd1e Freund,weggegangen

,ohne Hilfe zu gewähren, und nun kommt, zu jeder Hilfe be:

reit,der wahre Freund . Man hat aud i gemeint, der Didi ter habe den Py=

lades entfernt,damit die Pflege des kranken Orestes ganz d er treuen Sdiwester

anheimfalle . Idi glaube nidi t, da'

ß Euripides, der sonst dieWahrsd i einlidikeitso viel als möglid i berucksichtigt , um so kleiner Vorteile willen diese redi t

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I . EUR IPIDES UND DAS PROBLEM DER ENTSCII-INUNG DES ORESTES 35

verwunderlid 1e Reise und die sd melle Rudckehr des Pylades in Szene gesetzthätte . Dagegen ist er zu jeder Unwahrsdi einlichkeit in der Führung derHandlung und in der Charakteristik seiner Personen bereit, wenn die Tendenz,wenn der moralisdi e Zwedc, den er mit seinem Drama verfolgt , in Fragekommt . Und das ist hier der Fall .

Im ersten Buch der Odyssee (V. 298ff.) sagt Athene , wie sd ion oben

(p . 18) erwähnt wurde , Orestes habe Sidi durdi seine Radi etat «Ruhm beiallen Mensdi en erworben» . Gegen diese Verse polemisiert Euripides redi tdeutlich sdi on im Prolog unseres Dramas . Elektra sagt dort (V . 29 Phöbus

habe den Orestes zu einer Tat getrieben , die ihm «nidi t bei allen Ruhmversdi afft Hier, mit dieser Reise des Pylades, soll nun nod i einmalgegen den Nad1 ruhm des Orestes Verwahrung eingelegt werden . Denn s ie

ist in erster Linie erdid üet , damit Strophios Gelegenheit bekomme über dieTat des Orestes sein Urteil abzugeben . Der zurückkehrende Pylades erzähltnämlid i , sein Vater habe ihn im Zorn von Hause fortgejagt , weil er Sid ian der gottlosen Tat des Orestes beteiligte So sieht der Nad nuhm aus,den Homer dem Orestes «bei allen Mensd ien» in Auss idi t stellt . Die Ant=wort läßt an Deutlid ikeit nid i ts zu wünsdi en uhrig .

Pylades geleitet nun den Freund zu der entsdi eidenden Volksver=

sammlung , uber deren Verlauf ein Bote der bange wartenden Elektra be=

rid 1tet (V . 866 Bei Äsdiylos entsd i eidet das alte , h0di heilige Blut

gerid 1t auf dem Areopag, hier haben wir als demokratisd1es Gegenstüdc einetemperamentvolle Verhandlung in der

}

Volksgemeinde . Ihr Resultat bestehtdarin , daß dem Orestes und seiner Sd iwester die Wahl der Todesart frei=

gestellt wird. N0di vor Sonnenuntergang aber mussen beide sterben .

Audi die dritte Instanz hat also gesprod ien : das eigene Gewissen , dieFamilie , der Staat haben den Mörder und seine Tat verurteilt und vonPhokis her hatte S t1 0phios als Vertreter des unbeteiligten Hellas einen un=

s anften Gruß gesendet .«O Atridengesd fled ü, nach wie häufigem LeidRangs t mühsam d0di du im Angri ff jetztD idi hinaus zum Ziel der Befreiung ! »

Mit diesem Glüdr= und Segenswunsd i hatte Sophokles sein Dramabesdi lossen . Euripides hat hierauf eine vernid i tende Antwort gegeben, indemer einfadi auf den Voraussetzungen seines Vorgängers weiterbaute . «Eine

Die Homerstelle lautet : fr) 0611 otov 11 71 é 0c; i'

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Die Spitze gegen Homer ist unverkennbar. Und noch einmal, V. 830, wird 8661115101 sie 6151d em Ores tes als Fluch für seine Tat in Auss icht gestell t.

3

) «Orestes», V. 765 u. 767 : e öcp1oc; f;7coccév p.’

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36 EURIPIDES

Fortsetzung und damit eine Kritik des sophokleisdi en Dramas» , so hatWilamowitz mit Redi t unser DramaWie kann die Handlung nun weitergeführt werden? Dem Orestes der

Wahns innsszene hatte der Tod als ein willkommenes Ende seiner Q ualenersd i einen müssen . Ihm konnte keine Freispred mng etwas nützen, audi nichtdie auf dem Areopag . Denn nidi t erst die Volksgemeinde der Argiver

hat ihn verurteilt , ihm hat sd ion lange vorher das eigene Gewissen jedesRed i t aufs Leben abgesprod i en . Aber Orestes mußte d0di entsühnt undgerettet werden , daran mußte jeder festhalten , der den Mythos behandelte .Euripides konnte sein Drama so wenig mit dem Tod des Orestes besd fließen,

als Sdi iller etwa die Maria Stuart , den Wallenstein oder die Jungfrau von

Orleans hätte am Leben lassen können .

Demnad i blieb ihm nid i ts übrig als energisdi wieder zum Mythoszurudczukehren . Wahrend Sidi bisher. alles zum Untergang der Gesdiwisterzu vereinigen sdüen , ist nunmehr ihre Rettung das Thema . So hebt dennin unserem Drama (mit dem Vers 1069) eine ganz neue und andersartigeHandlung an , wie das ja audi sonst bei Euripides vorkommt . Diesenzweiten Teil kann man e i n e Ü b e r l i s t u n g s komö d i e nennen . PyladesSdi lägt zunädi st vor, sie wo llten die Helena ermorden um Sidi an dem treulosen Menelaos zu rädi en . Elektra erweitert und verbessert d iesen Plan .Hermione , die Todi ter des Menelaos und der Helena , ist zu Beginn desDramas von ihrer Mutter mit Opferspenden zum Grabe der Klytämnestra

gesd ückt worden . Wenn s ie zurüdckehrt , soll s ie in den Palast gelockt unddort als Geisel behalten werden . Mit ihrem Tode bedroht wird Menelaos

nachgehen und wird den Gesdiwistern aud i beim Volke von Argos Straf=los igkeit erwirken . Helena wird nun freilidi durch das Eingreifen der Göttervom Tode gerettet , sonst aber gelingt der Plan und Menelaos versprid i t

alles zu tun , was man von ihm verlangt (V. Somit wäre das Endeder Handlung erreidi t , denn wie Orestes mit seinem Gewissen fertig wird,diese Frage , die anfangs die w idi tigste zu sein sd üen , ist im Verlauf desDramas immer mehr in den Hintergrund getfeten . Der Orestes , den wirin der Überlistungskomödie kennen gelernt haben , wird mit dieser Instanzleidi t ins reine kommen . Wozu ist es also nötig nodi am Sdi luß des Dramaseinen Gott zu bemühen ? Er muß die von Euripides frei erfundene Handlung mit dem Mythos wieder in Einklang bringen .

So ersd i eint denn zum Sdi luß Apollon selber , der Gott , der dassdi redclidi e Orakel gegeben hat , der dafür im ganzen Drama von allenPersonen als ein törid i ter Gott gebrandmarkt worden war . Ein harter

W ilamowitz ,«D ie beiden Elektren», Hermes 18 , p . 240. Aud i Äsdiylos wird

gelegentlidi bekämpft , das kann man in den Ausgaben unseres Dramas von G. Hermann,von Klotz, Wei l und Haf tung schon längst finden ; audi 'Lindskog ist dieser Ans idi t (vergl .seine «Studien zum antiken Drama»

,p .

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38 EURIPIDES

soldi en heroisd i en Bluttaten gegenüber ihr Urteil . Aber beide sind s ie inl iebenswürdigem Leidi ts inn gern bereit die Sad i e , die nun einmal geschehenist , nid i t rigoros von der moralisd i en Seite zu nehmen und trotzdem dieFamilienbeziehungen aufredi t zu erhalten . Für moralisdi e Bedenken habens ie eben beide gar keinen S inn (V. 94 . V. Diese Duldsamkeit ent=springt aber bei beiden Gatten aus einem leichtfertigen , frivolen Herzen,keineswegs aus liebender Sd 1wädi e den Verwandten gegenüber. DennMenelaos wünsdi t den Untergang des Orestes um an seiner Stelle dieHerrsd1afi in Argos zu erlangen , und Helena ist , nadi dem die Gesdi wisterzum Tode verurteilt sind , drinnen im Palaste sd ion damit besdiaftigt überalldie S iegel anzulegen und so von der reidi en Erbsdi aft Besitz zu ergreifen .

(V. Damit nun auf beide gar kein Lid 1tstrahl falle , ist audi ihrgegenseitiges Verhaltnis ein unwürdiges . Menelaos ist ein Pantoffelheld , erist der gehorsame Gatte seiner berühmten Frau (V . Euripides sagtes uns selber , warum er die beiden so völlig sdi led i t , so jeder Sympathieunwürdig gezeid met hat (V. 1 131 Nur soldi en Partnern gegenüberist die Handlungsweise des Orestes und die Rettung der Gesdiwisterertraglidi .

Aus demselben Grunde hat wohl der Did i ter audi dem altehrwurdigen

Geridi tshof der in den «Eumeniden» des Äsd iylos das Urteil Spridi t , nid i t

das Ideal einer Volksversammlung entgegengestellt, wo Besonnenheit undGered1tigkeit walten, sondern vielmehr d ie wenig erfreulid i e attisd i e Wirklidv=

keit. In seiner Vo l k s v e r s a mm l u n g treten Gestalten auf , die Aristo=phanes gesd iaffen haben könnte . Durd1gängig will er eben sein Drama aufeiner mittleren Linie halten : nidi t unter extrem guten oder Sd i ledi ten

Mensd i en so l l die Handlung spielen, sondern im Lid i te der Wirklidikeit undunter der lieben Mittelmäßigkeit.Wie in der «Elektra», finden wir demnadi unseren Did i ter audi im

«Orestes» überall am Werke den Mythos mit unerbittlidi em Verismus zu

kritisieren . Nur hat er das hier nod i energisd ier getan als in dem früherenDrama . Sein Orestes, sein Menelaos, seine Helena, die Persönlid ikeiten, diein der Volksversammlung ihr Wesen treiben , und Sd i ließlidi der Phryger=Sklave, der das Versdiwinden der Helena beridi tet, s ie alle treten nodi mehraus dem Rahmen der Tragödie heraus als dies bei den Personen der «Elektra»der Fall ist. Dazu sprid i t audi in unserem Drama der D id i ter selbst häufigund vernehmlid i aus seinen Gestalten heraus , und seine feingesdüiffenen,modernen Gedanken bilden , wie in der «Elektra» , einen hefremdlid1enKontrast zu der rohen mythologisdi en Handlung . Die beiden Stüdce sindeben Söwesterstüdce, sie sind so ähnlidi , daß man audi dieselbe Entstehungs=

gesdi idi te für s ie annehmen muß. Derselbe Haß gegen den Mythos hats ie ins Dasein gerufen , derselbe Gegensatz zu Äsd iylos und in erster Liniezu Sophokles ist in ihnen wirksam und gibt ihnen die Rid i tung. Dabei ist

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I . EURIPIDES UND DAS PROBLEM DER ENTSÜHNUNG DES ORESTES 39

der «Orestes» nodi negativer wie die «Elektra» ; man kann ihn geradezueine Parodie auf die Entsühnung des Orestes nennen .

Roman Woerner sagt von Ibsen (II, «Als Dichter der ‚Wildente’

kniet der Didi ter des ,Brand’ und des ‚Puppenheims’ und der ,Gespenster

in stiller Kammer und versetzt Sidi sdimerzhafte S treidi e mit einer Bußgeißel,in die er Widerhaken eingefiodi ten hat» . Das g ilt audi hier. Als Didi ter

des «Orestes» bereut es Euripides, daß er in der »taurisd i en Iphigenie» denbestialisd i en , bluttriefenden Mythos vom Muttermorder Orestes mit so viel

poetisdi em Flittergold aufgeputzt hat, so daß man aud i von ihm sagen konnte«Vieles lügen die Sänger» . In dem neuen Drama soll nun wieder die Sonneder Wahrheit unerbittlid i in alle Winkel hineinleudi ten, und sollten audi Götterund Helden darüber zugrunde gehen . So allein erklärt Sidi die psycho=logisdi e Ungeheuerlidikeit , daß derselbe Didi ter ‚ der in seiner «taurischen

Iphigenie» eine so sdi öne Lösung des Suhneproblems für Orestes gefundenhatte, in einem spateren Drama diesem Problem gegenüber mit einer offenenBankrotterklärung absdi ließt . Man glaube d0d i ja nidi t , daß ein Did i ter so

etwas tut nur um die Zahl seiner Werke um eins zu vermehren und damitvielleidi t ‚am Feste des Gottes einen Preis zu erhalten !Unser Drama hat bei den meisten modernen Kritikern ungesd minkte,

lebhafte Mißadi tung gefunden . N0d i in der neuesten Auflage der viel=

gelesenen Literaturgesdi id i te von Christ heißt es « ein blutrünstiges S tüdc»und Orestes, Pylades und Elektra werden « ein Banditentrio» genannt . Dem

Verständnis ist mit sold i en Kraftworten natürlid i nidi t gedient ; es ist diesaudi eine ganz veraltete Art und Weise den Euripides zu betradi ten .

Besser urteilt Eduard Er nennt die «Elektra» und den «Orestes»«zwei der vorzüglid 13 ten Dramen des Euripides , die man nur nidi t vom

Standpunkt des Äsd1ylos‘

oder Sophokles betradi ten darf, deren Gestaltunger gerade hier aufs heftigste bekämpfen und als innerlid i unwahr erweisenwill» . Damit ist S idi er etwas Ridi tiges gesagt , aber die Hauptsad i e bleib tnodi unausgesprodi en .

Für Ibsen und seine Art zu didi ten hat R . Woerner (II, p . 9) das Wort«Entrüstungs idealismus» geprägt. _

Das ist audi das ridi tige Wort um dieStimmung des Didi ters der «Elektra» und des «Orestes» zu bezeidi nen .

Die Werke Ibsens, in Entrüstungs idealismus ersd mffen, haben zu ihrer Zei tin ganz Europa edi ten und falsdi en Entrustungs idealismus hervorgerufen .

So ging es audi mit diesen beiden Dramen des Euripides und mit manchem,

das ihnen gleidi t . Ibsen gegenüber hat Sidi mit dem wadi senden Verständnisdie Entrüstung gemindert und audi bei Euripides sind wir jetzt auf demridi tigen Wege . Solange das Dogma vom klass isdi en Altertum galt , warer das Musterbeispiel für den Verfall . Man vermißte an ihm , was am

Eduard Meyer, Gesdi idi te des Altertums, IV, p . 1 89.

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höd i sten gesd1atzt wurde , « edle Einfalt und stille Große» . Audi konnte esihm nidi t verziehen werden , daß er Äsdiylos und Sophokles nidi t ebensob ewunderte , wie wir es taten und mit Redi t natürlidi nodi tun , daß er inihnen vielmehr Rivalen sah, die er leidensdiaftlidi und mandimal aud i etwaskleinlidi befehdete .Das wadi sende historisd i e Verstandnis , das man j etzt der Antike ent

gegenbringt , kommt auf dem Gebiete des Dramas besonders dem Euripideszugute . Bernhardy sd i ließt seine Bespred mng der «Elektra» des Euripidesmit den Worten : «Wir müssen sd ion dieses Madiwerk als ein Denkmal dest iefen Verfalls in Kunst und Gesdimack hinnehmen» . Heutzutage sehen wirin Stücken wie «Orestes» und «Elektra» nid i t nur den Verfall der altenKunst , wir sehen aud i , wie hier etwas Neues entstehen will , und wir bewundern Euripides als den Vorläufer des Menander. D0d i dies sind Sd i ließlidialte Wahrheiten, wenn s ie audi bei der Beurteilung der Dramen des Euripidesnidi t selten vergessen werden .

Nod i Sd i limmer. aber wie dem Künstler hat man dem Mensdi en , dermoral isd ien Persönlidi keit des Euripides mitgespielt ; aud i hier hab en die«Frösd ie» des Aristophanes mit ihrem Brekekex ,

koax , koax ! ungehührlidi

laut den Ton angegeben . Man höre etwa , was Klein 2) sagt : «Nidi t umdie Mängel seiner D idi tungen , nidi t um die Sdi ranken seines Genies , nein,um das falsdi e , leidi ts innige ,

g r u n d s ä t z l i c h auf Befriedigung des Zeit=

gesdimadcs geridi tete Bestreben , um dessentwillen verfällt Euripides denewigen Höllenstrafen der aristophanisd1 en Komik, aus deren Fegefeuer keineEhrenrettung sein Talent beten kann , dessen Größe nur sein Sündenmaßfüllt und seine Verdammnis verewigt . Keine Besdi önigung , keine Berufungauf den Geschmack und den Geist der Zeiten, auf das herrlid i e Talent, aufeinzelne wunderwürdige Züge , hinreißende , bewältigende Szenen , keinerleiä s t h e t i s c h e Milderungsgründe spredi en ihn von der Todsünde frei : denSd i ledi ten, entarteten Instinkten seines Zeitalters nadi gebuhlt und die Strengeund Heiligkeit seiner Kunst der Gesämacksunzud ü seiner Zeitgenossen preisgegeben zu haben .»

Sdi limmer kann man den Euripides nidi t verkennen . E r sollte «denSdi ledi ten ,

entarteten Instinkten seines Zeitalters nadi gebuhlt haben» ! Dasist ungefähr so wahr , als wenn man es von Ibsen behaupten wollte , vondem man es freilid i audi reid i lid i behauptet hat. Wie Ibsen zu dieser Frages tand , darüber gib t uns sein «Volksfeind» volle Klarheit. Über daS Red 1tder «kompakten Majorität» sprid i t Sidi Dr . S todrmann , der Held diesesDramas , in der großen Burgerversammlung im vierten Aufzug folgendermaßen aus : «Die Mehrheit hat niemals das Redi t auf ihrer Seite , sage ich.

Bernhardy,Grundriß der griech. Li teratur I I, p . 493.

Klein, Gesd i id i te des Dramas, I, p . 407.

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I . EURIPIDES UND DAS PROBLEM DER ENTSÜHNUNG DES ORESTES 41

Das ist eine jener landlaufigen Gesellsd mfis lugen , gegen die jeder freie,denkende Mann Sidi auflehnen muß. Wer bildet denn die Mehrheit derBewohner eines Landes, die Klugen oder die Dummen ? Id i denke, wir allesind darin einig , daß die Dummen die geradezu überwältigende Majoritätbilden rings um uns her auf der ganzen weiten Erde . Aber das kann d0dinie und nimmer das Rid i tige sein, daß die Dummen über die Klugen herrschensollen . Die Minderheit hat immer redi t .»Jedes Wort paßt hier für Ibsen , der in mandi en Briefen Sidi zu diesen

Ans idi ten seines Dr. Stockmann bekennt jedes Wort paßt aber audi fürEuripides . Audi er war , mit Ibsen zu spredi en , ein geistiger Vorposten=

kämpfer. Aud i er stand immer einsam, weit voraus, da, wo die Menge nodinidi t war. Nidi t die Gegenwart gehörte ihm, sondern die Zukunft. Wie derNorweger, so war aud i er ein stolzer und aufredi ter Mann, ein edi ter Lehrerund Führer seines Volkes Soldi e Männer paktieren nidi t mit der «kom=

pakten Majorität», sie sdi reiben nidi t Dramen , um damit zu gefallen undPreise zu bekommen . Sogar die Gesetze ihrer Kunst sind nidi t immer inerster Linie für sie maßgebend , denn s ie sind nidi t reine Künstler , ihr Zielist es mit den Mitteln ihrer Kunst das zu verkünden , was s ie al s Wahrhei terkannt haben . Von Ibsen sagt R .Woerner (II, p . «Der Grundzug desWesens , gleichsam das Rückgrat der geistigen Gestalt Henrik Ibsens , istWah r h e i t s l i e b e» . Dies Wort gilt audi von dem D idi ter , der die«Elektra» und den «Orestes» gesdi rieben hat .

Ibsen, «Werke», X, p . 1 81 ; 306; 31 2 ; 317 ; 327 .

Daß Euripides selber seinen Didi terberuf so auffaßte, klingt nodi aus einer Anekdoteheraus, d ie bei Valerius Max imus ( I I I 7, Ex t. 1 ) fo lgendermaßen lautet : «ne Eurip ides quidemAthenis adrogans visus est , cum postulante vi populo ut ex tragoedia quandam sententiam

tol leret, progressus in scaenam dix i t se ut eum doceret, non ut ab eo disceret, fabulas com=

ponere so lere» .

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Euripides und die Schidcsalstragodie .

Jahre 468 v. Chr. ging Äsdiylos mit seiner « Ö dipodie» als

dem dramatisdi en Wettkampf hervor. In den dreir dar, wie der Fludi geist drei Generationen dess verfolgt. Im ersten S tück fällt ihm Lai'os zum

Opfer, im zweiten Ödipus, im dritten , in den uns erhaltenen «S ieben gegenTheben», kommt der Flud i mit dem Untergang der letzten männlidi enSprößlinge des Gesdi ledi tes zur Ruhe . Dieses audi im Altertum gefeierteWerk seines Vorgängers konnte Euripides natürlidi nid i t ignorieren, als erin seinen «Phönizierinnen» denselben Mythos behandelte . Eine Vergleid mngder beiden Dramen wird uns also wohl audi hier den Pfad des D idi ters unddes Denkers Euripides erhellen .

Bei Äsd iylos beherrsd i t der altere der beiden Ö dipussohne , Eteokles,

allein die Bühne . Er trifft Anordnungen und gibt einem Boten wegen derVerteidigung der Stadt Befehle, er herrsdi t den Chor thebanisd i er Jungfrauenan , die ihm durch ihre Klagen den Mut der Krieger zu lähmen drohen .

Gegenspieler ist keiner da , denn erst der Leid mam des Polyneikes kommtauf die Bühne . Aber e i n e r spielt unsich tbar mit als Gegenspieler , das istder Alastor, der Fludi geist, der im Hause der Labdakiden verheerend waltet.Ödipus hat seine beiden Söhne verq d1t , weil s ie die Pietät gegen den un:

glüdclid mn Vater verletzt hatten . Mit dem Stahl sollten s ie ihr Erbe teilen,so lautete der Vaterfludi . Anfangs freilidi sd ieint der Flud i wirkungslos .Als Feldherr und Krieger voll Klugheit und Kaltblütigkeit, vo l l des Glaubensan seine gute Sadi e und voll Vertrauen, daß die Götter für Theben streiten,so sehen wir den Eteokles in den

“ ersten 600 Versen des Dramas sd ialten

und walten . Da gesdi ieht seines Bruders vor ihm Erwähnung , der als derS iebente am siebenten Tore Sidi aufgestellt habe , und nun bridi t das

Aris tophanes, «Frösch e» 1 02 1 f.

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I I . EURIPIDES UND D IE SCHICKSALSTRAGÖ D IE 43

Feuer, das bis dahin Sd i leidi end in seinem Herzen brannte, in heller Flammeaus . S innlos vor Wut, und d0di wieder seines Sd i icksals Sidi wohl bewußt,stürzt er fort, vom Vaterfludi in den S idi ern Tod gejagt.Die «S ieben gegen Theben» sind das großartigste Sdüdcsalsdrama, ge=

waltiger nodi als der «König Ödipus» des Sophokles,den man gewöhnlidi

als den Gipfel dieser Kunst betradi tet . Das Drama des Sophokles hinterläßtzwar einen sehr tiefen, aber bei mir wenigstens keinen ganz reinen Eindrudc.

In seiner subtilen dramatisd i en Ted1nik mutet es uns an wie ein Sdiweres

Red 1enex empel , das sd1 ließlidi glatt gelost wird , und in seiner Moral ist es

quälerisd i und reiz t zumWidersprudi . Bei Äsdiylos dagegen ist alles große,gewaltige Natur . Wohlabgewogen sind hier Sd iuld und Sdi idcsal , Götterund Mensdi en sind im rid i tigen Verhältnis . Mit Grauen sehen wir, wie dieErinys des Vaters , cpikou m r pög p.ékoc1v

’ ’

Apo’

c,ihr Werk betreibt ; und d0di

ist ihr gegenüber Eteokles nidi t nur passiv, er ist nid i t ihr willenloses Spielzeug wie der Ödipus des 3ophokles, nein, nach seinem Charakter widerfährtihm sein Die Art, wie er dies Sdi icksal trägt, erinnert an Makbeth,der Dunsinane verteidigt, oder an Ridiard III . in der Sdi ladi t von Bosworth .

Gewaltig das Sdi icksal , gewaltig aber aud i das Mensd i enkind , über das eshereinbridi t.

S o l e s e n w i r d e n A s ö hy l o s , s o w i r k t s e i n D r am a au f u n s .

An d e r s l a s i h n E u r i p i d e s , w i e e r a u c h s e i n e n H o m e r a n d e r sl a s a l s w i r . Ein Vater, der aus geringfügiger Ursadi e seinen Söhnen denbitteren Tod wunsd ü, ein Gott, der diesem sinnlos fludi enden Greis zu willenist und seinen Fludi zur Ausführung bringt , das ist für unsern Dichter einMythos, «bestialisdi und bluttriefend» wie der vomMuttermord des Orestes .Und so trieb ihn denn der Gott in seiner Brust aud i diesen Mythos zubekämpfen . Verblendet wie Eteokles stürzte er Sid i in den ungleid i en Kampf,zwar nidi t mit dem Sd i icksal , aber mit der gewaltigsten aller Sdi idcsals=

tragödien . Und dieser Kampf ersd1 ien ihm wohl gar nodi leidi t und derS ieg S idi er spottet er d0d i redi t kleinlidi uber das Werk des Altmeisters,das er bekämpft (V. ähnlid i wie er es in seiner «Elektra» mit derErkennungsszene der «C hoäphoren» getan hat (V. 524

Mit diesen Erwagungen glaube ich den Sd i lü ssel für das Verstandnis

der «Phöniz ierinnen» gefunden zu haben . S ie sind ein wunderlidi es S tüdc,episodenreiö , mit Stoff überfüllt, vo ll einzelner Sdi önheiten, und als Ganzesd0di nid i t von edi ter und tiefer Wirkung . Der polemisd i e Zwedc hat ebendem D idi ter audi hier sein Werk verdorben .

Seitdem Aristophanes in den «Frösd1en» voranging , hat man uber dieProloge des Euripides gespottet und in mandi er Hins idi t ist das leidi t undaudi nidi t unberedi tigt. D0di sind s ie bei der eigenartigen Stellung, die derDidi ter zum Mythos einnimmt , für ihn ein gutes Mittel den Zusd iauer so=

fort auf wid i tige Neuerungen und Änderungen hinzuweisen und ihn so in

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den Geist des Dramas einzuführen . Demnad i s ind s ie einer Ouverture ver=

gleid 1bar, in der audi sd i on die Leitmotive der Oper erklingen .

Den Pro log der «Phöniz ierinnen» Spridi t Jokaste . S ie erzahlt uns dieVorgesdi idi te und informiert uns besonders über die widi tigste Neuerungdes D idi ters , daß nämlidi vor der S di lad i t Polyneikes zu einer Unterredungmit dem Bruder in die Stadt kommen werde . S ie besd i ließt den Prolog,indem s ie folgendermaßen betet «Der du in der leudi tenden Himmelsburgwohnst, Zeus, errette uns, sdi enk meinen Sohnen Eintrad 1t ! Wenn du weisebist , darfst du nid i t zulassen , daß das Unheil ein und denselben S terblid i enbestandig verfolge» . S o d r i n g t h i e r a n s i g n i f i k a n t e r S t e l l e , amS c h l u ß d e r O u v e r t ü r e , d as w i c h t i g s t e L e i tm o t i v v e r n e h m l i c ha n u n s e r O h r. Durch dieses Gebet wird von der ehrwürdigsten Persön=lidi keit unseres Dramas der durch Generationen fortwirkende Gesdi ledi tsflud iund damit die Schidcsalstragödie vernid i tend kritisiert. Damit ist demZusd iauer,der so etwas merken will und kann , ein Wink gegeben . Für die großeMenge ist unser Drama eine Darstellung des Untergangs

,der Ö dipussöhne

und des Elends das über den blinden , unglücklid mn Greis hereinbridi t .Diesen Leiden gegenüber ergibt Sid i als Lehre , was der letzte Vers desDramas ausspridi t «Tragen muß der Sohn des Staubes, was ‚

der Himmelauferlegt» . Tragen muß es der Mensdi aber soldi ein Elend mit an :

dädi tigem Grausen als unerforsdi lidi e Sdi ickung der Gottheit verehren , dassoll er nadi der Ans idi t unseres phi l0S0phiSd i en D id i ters nidi t . Er solldarin vielmehr blinde Willkür sehen

,Taten eines Gottes , der der Weisheit

und damit aud i der Geredi tigkeit entbehrt.Und nod i einer wird sdi on im Prolog streng getadelt , nämlid i der alte

Vater, der die Söhne verq di t hat. D a s i s t d a s z w e i t e , n i c h t m i n d e rb e d e u t s am e L e i tm o t i v. Jokaste beridi tet von Ödipus‘)

«Nodi lebt im Haus er ; krank jedodi durch s ein Gesd üdcVerfiudi t

' er seine Söhne grausenvollsten Fludi .» (M .)

Dies Urteil wird im Verlauf des Dramas dann nodi von kompetenter Seitebestätigt, durch den blinden Seher Teires ias . Dieser

«Phön .» 84 ff. : «600? 83 cpaewätg oöpocvo‘

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2) «Phön .» 1763 : 7610 8585» 601 1271101; hvnröv

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3) «Phön .» 66 f. : C8») 8

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81961; 710110‘

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Die Epitheta non 0rnantia s ind bei Euripides noch s tärker als bei Äsdi ylos , vergl . «Siebengegen Theben», V. 724 f. u . 785f. Moralisd i indifferent ist wieder das Epos ; dort heißt es :

01I11) 01 883 110110‘

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«Phön .» 876 f. : 8’

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46 EUR IPIDES

k e i n e s w e g s d i e M o r a l d e s D i c h t e r s i s t , erklart er am Sdi luß

seiner Rede‘)«Muß Unredi t sein, so se1 s um eine Krone .In allem andern sei man tugendhaft.» (Sdi i ller .)

Daß Po lyneikes dagegen zweifellos das gute Redi t auf seiner Seite habe,das geht sd i on aus der Erzählung der Jokaste im Prolog hervor (V . 69 ff.)

und audi sonst wird es wieder und immer wieder betontD0d i Red i t oder Unredi t , das mag hier nid i t so widi tig sein . Das

Sdi limmste für den Eteokles des Euripides ist , daß er kein geborener 'Herr=scher ist , kein König und Lanzensä winger , vielmehr ein Sd iwätzer undSophist . Im Kriegsrat, den er hält (V. 702 hat Kreon die entsdi eidende

Stimme, und im Kampf mit dem Bruder — siegt er nidi t durch überlegeneKraft , sondern durch einen thessalisdi en Fed üerkniff. So ist er in jederBeziehung klein im Vergleid i zu dem Riesen, der bei Ä sdiylos wollend undn idi t wollend sein Gesdüdc vollendet.Und nun, da die beiden sterbend auf dem Sdi ladi tfeld l iegen , da trifft

die greise Mutter ein, die zu ihnen eilen wollte, und nimmt eines ihrer blutigenS diwerter und stößt es Sidi ins Herz . Dann werden die drei Leid1en in dieStadt getragen und Antigone stimmt mit dem Chor die Totenklage '

an und

Ödipus, der blinde Greis, wankt aus dem Palaste und beklagt sein und ihrLos .

Zum Sdi luß verläßt er, von der treuen Antigone geleitet, die Vaterstadt um inder Fremde zu sterben . We g e n d i e s e r S ch l uß s z e n e h a t d e r D i c h t e rd e n Ö d i p u s am L e h e n e r h a l t e n : er soll die Frudi t seiner Torheitkosten, er soll seine bittere Reue über die Verflud mng der Söhne kundtun undsoll die Gotter anklagen, die diesen töridi ten Flud i in Erfüllung gehen ließen .

S o hat E u r i p i d e s a u ch d i e s e n M y t h o s k r i t i s ch v e r n i ch t e t.Mit unerbittlidi em Verismus nimmt er ihm alles Großartige und Heldenhafte .Diese heroisd i en Taten geschehen hier unter Mensdi en , die mensd i lidi , nichtheroisd1 empfinden ; diese grausigen Sdi idcsale treffen Durdi sd i nittsmensdi enund ereignen Sidi in einer Familie , deren Mitglieder , von einer vorüber:gehenden leidensdiaftlid i en Verirrung abgesehen , in herzlicher Liebe einanderzugetan sind . Dieser Umstand wird redi t gefl issentlidi hervorgehoben : Jo=

kaste und Antigone pflegen den blinden Greis, und Polyneikes hat, als erzur Unterredung mit Eteokles in die Stadt kommt , den herzlid1en Wunsdi

den Vater und die Sdiwestem sehen zu dürfen (V. 615 Audi Ödipusleidet Sdiwer unter der Trennung von Polyneikes aus Reue uber den Flud i ,der ihm den lieben Sohn in die Verbannung trieb , hat er Sid i sogar zutöten Und wie gut und weidi ist dieser Polyneikes ! Sterbend

«Phön .» 524 f. : einep 7819 xpfi,rupocwi80c 11ép1

11 11 711 101 01) 1 81711 01 8’

süceße“1'

v xpeo’

1v.

2) «Phön .» 154 f. ; 258 f. ; 319 ; 497 f. ; 1 200 .

3) «Phön .» 327 ff. und das Sd iol ion zu Vers 335.

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II. EURIPIDES UND D IE SC HIC KSALSTRAGODIE 47

verzeiht er dem Bruder (V. Er ist der Liebling aller , alle sind s ie

von seinem Redi te überzeugt . Aber audi Eteokles ist nidi t in dem Maßedem Herzen der Eltern entfremdet, daß ihnen sein Tod nidi t bittern Kummerbereiten sollte . Anges idi ts des Todes findet er den Weg zurüdt zum Herzender Mutter und gibt ihr, da er nidi t mehr spredi en kann, durch seine Tränenseine Liebe zu erkennen (V . 1437 Audi Ödipus licht nidi t nur deneinen Sohn

,er klagt vielmehr über beide in gleid i er Weise (V.

Wer ist nun Sdi ließlidi Sd i uld an all dem Elend , das über diese gutenMensdi en gekommen ist ? Sdi on im Prolog unseres Dramas ist uns die Am:

wort auf diese Frage nahegelegt worden . S ie lautet : Sd iuld ist der töridi teGreis

,der seine Söhne verfiud1t hat, und der töridi te Gott, der diesen Fludi

gehört hat.Am Sd i luß von Adolf Mullners Sö idcsalsdrama «Die Sdi uld » bridi t

Otto an der Leid 1e seiner Mutter in die Frage aus«Gott ! warum w a r um ist dennSo Entsetzl idi es gesd 1ehen ?»

und Jerta, die Grafin von Ö rindur, antwortet ihm«Frags t du nach der U r sac h , wennSterne auf= und untergehen ?Was gesdi ieht, ist hier nur klarDas Wa r um wird offenbar,Wenn die Toten aufers tehen ! »

So wenig befriedigend und befreiend ist audi der Eindruck , mit dem unsEuripides entläßt, ohne daß ich sonst natürlidi die beiden Dramen irgendwievergleidi en mödi te .

«Gott ! warum w a r um is t dennSo Entsetzl idi es geschehen

so fragt audi der blinde Greis am Sd i luß der «Phoniz ierinnen» und mit ihm

fragen so die Zusd iauer . D a ß Ö d i p u s am L e b e n b l e i b t u n d d i eV e r f l u c h u n g s e i n e r S ö h n e b e r e u t , das i s t d i e w i c h t i g s t e u n dfü r u n s e r D r a m a v e r h ä n g n i s v o l l s t e N e u e r u n g d e s E u r i p i d e s .Wie gerade dieser Zug den grausigen Mythos vom Vaterflud i vernid üen,

wie er ihn um jede tragisdi e Wirkung bringen mußte, davon kann man Sidileidi t und gründlidi überzeugen, wenn man ihn in Gedanken auf ein anderesDrama überträgt, das dem unsern redi t ähnlidi ist . In Sdi illers «Braut vonMessina» sagt der Chor (I, 8)

«Audi ein Raub war's , wie wir alle wissen,Der des alten Fürsten eh

'

lidi es GemahlIn ein frevelnd Ehebett gerissen,Denn s ie war des Vaters Wahl .Und der Ahnherr schüttete im Zorne

Grauenvol ler Flüdi e sdi redcl ichen SamenAuf das sündige Ehebett aus .»

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48 EURIPIDES

Audi hier also ist der Fludi des Ahnherrn der ‚Ausgangspunkt für all dasUnheil

,das vor unseren Augen in Erfüllung geht. Nun denke man Sidi ,

es käme einer auf die Idee diesen flud i enden Ahnherrn in einen liebendenGroßvater zu verwandeln, der an der Bahre des Don Manuel , und des DonCesar weint und seine vorsd melle Verfludiung bereut ! Gründl idi er konnteman Sd i illers Drama und überhaupt die Sdi icksalstragödi e nidi t parodieren .

Sdi on der Gedanke an Sidi ersd i eint ja abenteuerlid i . Und Euripides,der große Didi ter, hat das nun wirklidi dem Drama des Altmeisters gegenüber getan ! Was hat ihn dazu getrieben ? Etwa nur der Wunsch e twasNeues zu bringen und seinen Vorgänger damit zu uberbieten ? Mandi eEpisode in unserem Drama verdankt diesem begreiflid1enWunsdi e ihre Ent=stehung . Die Mauersd1au, die Antigone vornimmt, das Gesprädi der Brüder,die Opferung des Menoikeus , die ausführlid m, grelle Sdi ilderung des Zwei=kampfs, das alles sind Zierrate, die der Künstler fast allzu reidi lid i über diesessein Werk ausgebreitet hat. Der würdelose, hausbackene Ödipus aber gehörtnidi t zu den Zierraten in unserem Drama , er Sd iädigt es vielmehr geradeam Sdi luß unheilbar. Demnadi hat ihn n idi t der Didi ter Euripides ge=sd iaffen , der ergrimmte Genius der Moral hat ihn in dies Drama hineingestellt, auf daß er den Mythos vom Vaterfludi zerstöre .

S o p h o k l e s hat als letzter den mißhandelten Mythos wieder aufgenommenund hat ihn ohne alle direkte Polemik durch eine große didi terisdi e Sd iöpfungwieder zu Ehren gebradi t . Wie ganz anders steht sein Ödipus auf demKolonoshügel dem Sohne gegenüber ! Hier ist der alten Sage ihre Würdezurüdcgegehen . Nid i t törid i t, sondern grauenhaft ersdi eint uns hier der zornigeGreis, der mitleidlos die Söhne verfiud ü. Diesem Ödipus trauen wir es zu,daß er trockenen Auges ihren Tod sogar mit ansehen könnte , daß er aud ianges idi ts ihrer Leidi en kein Wort der Reue spred i en würde. Diese erhabene,freilidi aller Mensdi lidi keit bare Gestaltung ist wohl eine Antwort des So=

phokles auf die «Phönizierinnen» des Euripides . .Nad i seiner Art stellt er

Sidi der Neuerung des Vorgängers gegenüber ohne Wanken auf den Standpunkt des Mythos .

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III.

Der Herakles des Euripides .

eld1 es sind die . widi tigsten Änderungen , die Euripides in seinem«Herakles» am Mythos vorgenommen hat ? Henri Weil‘) zähltdrei auf :

1) Der Vater , der die Kinder mordet , hat sie kurz zuvoraus Sdiwerer Lebensgefahr errettet .

2) Die Ermordung der Kinder ist an das Ende der Heldenlaufbahn

des Herakles gerüdct .

3) Theseus hält den Herakles vom Selbstmord ab und überzeugt ihn,daß es seine Pflid i t sei audi ein soldi es Leben weiter zu tragen .

Diese 'Änderungen werden uns wohl auf die Stelle hinweisen , von deraus wir unser Drama zu

,betradi ten haben . Der erste und zweite Punkt

zeigt uns zunädi st, daß der'

Didi ter den denkbar sdiarfsten Kontrast zwisdi enGlüdc und Unglück zur Darstellung bringen wollte .Die Szene spielt in Theben vor dem Palast des Herakles . Bei Beginn

des S tüdces ist der Held abwesend , er ist in den Hades hinuntergestiegen,um die letzte seiner zwölf Arbeiten zu vollenden , um den Cerberus fürEurystheus heraufzuholen . Da er lange ausbleibt , gilt er in Hellas für totund Lykos hat Sid i zum Tyrannen in Theben aufgeworfen . Er hat denFürsten des Landes , Kreon , den Sd iwiegervater des Herakles , ersdi lagen

und will nun aud i die Gemahlin des Helden und seine Kinder und dengreisen Vater Amphitryon aus dem Wege räumen . Da kehrt in di eseräußersten Not Herakles als der Retter der Seinen zuruck. Er ersd i lägt denLykos und der Chor der Thebanisdi en Greise feiert im Jubellied (V . 763

— 814)

Herakles, den Allsieger und Zeus, seinen Vater im Himmel . So ist der Heldauf den Gipfel des Glückes gelangt ; er hat Sidi durch die zwölfte Arbeit von

Wei l, Etudes sur le drame antique, p . 1 88-194 .

S t e i g e r , Eur ipides.

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50 EURIPIDES

der Dienstbarkeit unter Eurystheus befreit und hat seine Familie vom S idi eren

Tod errettet.

Aber kaum ist das Jubellied verklungen,da ersdi einen zwei Gotter=

gestalten , Lytta , die Göttin des Wahnsinns , und die Götterbotin Iris . DieAnnahme des Didi ters geht dahin : solange Herakles auf Befehl des Eurystheusdie zwölf Arbeiten vollführte , war es der Hera durch Sd i icksalssdi luß unddurch den Befehl des Zeus verwehrt ihn zu verfolgen . Jetzt hat s ie Madi tüber ihn bekommen und augenblidclid i sch idct die rad1 süd üige Gottheit diebeiden Dienerinnen ab . Lytta sol l den Helden mit Wahnsinn Sdi lagen, auf

daß er Weib und Kinder morde . Nur mit Widerwillen waltet sie ihressd uedclid1en Amtes , denn der Mann , den s ie vernidi ten soll

,hat Sidi durch

hilfreidi e Heldentaten bei Göttern und Mensdi en Dank verdient. D0di um:

sonst erinnert s ie daran ; s ie wird von Iris an die Pfl idi t des Gehorsamsgemahnt. Und bald kommt aus dem Palast ein Bote und erzählt , daßHerakles in Raserei verfallen sei und daß er seine eigenen Kinder und seineGemahlin ersd i lagen habe. Audi den greisen Vater habe er ermorden wollen,da sei Pallas Athene ersd1 ienen und habe ihm einen gewaltigen Feldsteinvor die Brust geworfen . Darauf sei der Held in tiefen Sdi laf versunkenund man habe ihn mit Gurten und S tridcen an dem Stumpf einer Säulefestgebunden . Gewaltig wie nur eine unter den vielen gewaltigen Boten=erzählungen des Euripides ist diese . Und nun öffnen Sidi die Pforten desPalastes ; wir sehen das grause Bild des Jammers , das uns der Bote ebengesd1 ildert hat. Herakles erwadi t und sein Vater Amphitryon teilt ihm mit,was geschehen ist. Der Held spridi t darauf von seinem Tode als von einerbesdi lossenen und selbstverständlidi en Sadi e , da naht Theseus , der treueFreund

, und ridi tet ihn mit seinem Trost auf und lehrt ihn aud i dies Lebenzu tragen , so Sdiwer es sein wird . Vom Freundesarm gestützt erhebt Sidinun der Held und verläßt die Heimat, um in Athen Zufludi t zu sudi en, inder Stadt

,die allen Bedrängten in Hellas ein Asyl bietet. Der Chor der

Greise aber sdi ließt mit den Worten‘)«So gehen denn audi wir, vol l Schmerz, vo l l TranenDen wir verloren, war der Freunde treus ter.» (W.)

So konnten audi die Athener spredi en , als s ie nadi der ersten Aufführung unseres Dramas das Theater verließen . Audi s ie hatten, wenn s ie demDidi ter folgten, den treuesten Freund verloren . Der erste Held in Hellas warvor ihren Augen klein geworden ; so tief hatte ihn das Unglüdt gebeugt, so

sehr hatte er alle Heldengröße abgelegt, daß Theseus ihm vorwurfsvoll sagenmußte , durch sein weibisdi es Klagen verleugne er den Helden Herakles .

«Herakles» 1427 f. : creix0p.ev 03111 001 11011 11071611710101 01,

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I I I . DER HERAKLES DES EURIPIDES 51

Freilidi mußte dann audi Theseus auf die Gegenfrage des Freundes , wasdenn im Hades drunten s e i n e Größe gewesen sei, gestehen : «Verloren hatt'

ich Mut und Selbstvertrauen» Beide Helden bekennen Sid i also am Endedes Dramas redi t offenherz ig zu der Wahrheit : das H e l d e n t u m d e rs t a r k e n F a u s t , e s h ä l t im U n g l ü ck n i di t s t a n d ; da w i r d a u c hau s d e m H e r o s e i n s c h w a c h e r M e n s c h .

Der alte dorisdi e Held war wohl nie so recht nadi dem Herzen desEuripides gewesen ; er ersdi ien ihm zu roh, zu sehr Athleten und Turnengott und diese Kreise und ihr Sport besaßen seine Sympathie nidi t , dennder Zögling der Philosophen und Sophisten sdi ätzte die Geisteskraft höherals einen starken Dieser Ansdiauung gibt er an mandi en Stellenseiner Dramen kräftigen Ausdruck, und hier ist s ie geradezu der Angelpunkt des Dramas . Dem alten , unzulänglidi en Heldentum der körper:l idi en Kraft wird das des Geistes gegenübergestellt , ein Heldentum derSeelengröße im Unglüdc und der einfältigen Pfiié terfüllung. Dieses neueHeldenideal repräsentiert der Athener Theseus . Als treuer Freund kommter zu dem Mann der Sd1merzen , der an den Saulenstumpf gelehnt Sidi dasAntlitz im Gram verhüllt hat. Herakles winkt ihm ab ; er soll ihn nidi t

anreden, er soll Sid i nid i t durch Gemeinsd mft mit ihm befiedcen . Der jonisdi eHeld aber ist aufgeklärt und über soldi e Bedenken erhaben ; er sagt‘)

«Steh' auf, enthü l le dein unselig Haupt,Blidc

'

mir ins Auge : D as i s t Me n s c h e nad e l ,

D e r s e i n e S c h i c k u n g o h n e M u r r e n t r ä g t .» (W .)

H i e r h a b e n w i r d as L e i t m o t i v u n s e r e s D r am a s . Wie sooft , erklingt es audi sd i on im Prolog. Da disputieren Amphitryon undMegara daruber , ob es e rlaubt sei einem S id i eren Tod durch Selbstmordzuvorzukommen, und Amphitryon besd i ließt diese Auseinandersetzungen mitden Worten‘)

«Herakles» 141 2 ff. : OH. 0°

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In der «Antiope» sagt Amphion zu s einem Bruder (Naudc, trag. Grace . fragmfi,

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52 EURIPIDES

«Der ist der Tapfers te, der das VertrauenAuf seine Hoffnung s tets bewahrt : ein Feigling,Wer, wo er keinen Ausgang s ieht, verzweifelt.» (W.)

Daß Sid i Herakles für die hohen Ansdiauungen des Freundes gewinnenläßt , daß er ihnen ausdrudclid1 zustimmt und danadi handelt (V. 1347

darin besteht seine neue , seine unverlierbare Heldengröße. So ist unserHeld durdi das Leitmotiv des Dramas ein anderer geworden . Dasselbewiderfährt

,wie wir nodi sehen werden , m der «Alkestis» dem Admet und

in der «aulisdi en Iphigenie» fast allen auftretenden Personen . Audi beiIbsen besitzt das Leitmotiv nidi t selten diese Kraft der Umwandlung; icherinnere an Nora , an Rebekka , an Rita Allmers und an Bllida, die Frauvom Meere . Die Kosten dieser «Umwandlung» des Helden tragen beiEuripides wieder die olympisdi en Götter. In keinem der uns erhaltenenDramen wird die ganze bunte Götterwelt so ingrimmig , so gründlidi inStücke zersd i lagen, wie hier. Dabei geht es im einzelnen nidi t ohne Wunderl idi keiten und Unklarheiten ab , die eben wieder durch den Konflikt desD idi ters mit seinem Stoff hervorgerufen werden . Euripides spridi t audihier nid i t selten aus seinen Figuren heraus , besonders auffällig tut

'

er diesin den Versen 1341

-1346 , wo Herakles in seinem Auftrag , zum Teil mitdirekter Anlehnung an Xenophanes , die Existenz der olympisdi en Gotterleugnet , die d0di im ganzen Drama Sidi als reale Mad i te betätigt haben .

K l e i n hat redi t , wenn er zu dieser Stelle bemerkt (l . c . p . Herakleshabe Sidi damit selber für eine Fabel erklärt. Ab e r b e i d i e s e r N e gat i o nb l e i b t d e r D i ch t e r d i e sma l n i ch t s t e h e n , wie sonst so oft. Hierist s ie nid i t seiner Weisheit letzter Sd i luß hier bietet er uns für das zer:

Sdi lagene Alte etwas Neues und Großes , etwas Positives . Wenn er audidie alten Götter und das alte Heldenideal verworfen hat , so bringt er d0d iin diesem Drama sdi ließlidi so viel edi t mensd i lidi e Größe zur Darstellung, so

hell läßt er die Liebe und die Freundsd mfi , die Weisheit und die Seelen:stärke leud i ten und walten, daß wir am Sdi luß d0di nidi t nur den Eindrucktrostloser Zerstörung mit fortnehmen , sondern daß aus dieser Götterdämmerung für uns eine neue Welt ersteht , die Welt der aufredi ten ‚ auf

S idi selbst gestellten Mensdiheit .

Wie ganz anders hat d0d i Sophokles in seinem «Konig Ödipus» das»

selbe Thema von Mensd mnglück und MenSdi enleid behandelt ! Aud i Ödipustritt uns am Anfang des Dramas auf der Höhe des Glüc entgegen (V .

Die unnatürlidi en Greueltaten hat audi er völlig sd mldlos durchihre Enthüllung wird audi er zum Unglüdclid mten aller S terblidi en . Im

W ilamowitz n immt heim Herakles des Euripides eine Verschuldung an . Idi b in mit

Wei l (l . c ., p . 191 ) der Ans id i t, daß aud i Herakles völlig unsd1uldig le idet. Entsd1eidend für di e

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54 EUR IPIDES

des Äsdiylos und nadi der «Elektra» des Sophokles eine andere «Elektra»,

den «Orestes» oder die «Phoniz ierinnen» didi tete, der didi tete janadi Goetheeinen «Faust» , nadi Mozart einen «Don Juan» oder nadi Sdi iller einen«Demetrius» . Und das ist nodi keinem gelungen .

Wenn wir uns nun Sdi ließlid i nodi darüber klar werden wollen, was dieZeitgenossen des Didi ters empfanden , die seinen «Herakles» zum erstenmalsahen

,und das ist eine Frage , die fur das Verständnis jedes Didi ter

werkes nidi t unwidi tig ist , so tun wir gut daran uns an einenunserer deutsdi en Helden zu erinnern , mit dem ein großer deutsd 1er Didi terdieselbe Metamorphose vorgenommen hat. Was hat Hebbel in seinen«Nibelungen» nidi t aus dem starken Berner D ietridi gemadi t ! EinenChristen , sogar einen Asketen ! Mandi e finden freilidi , er habe dadurdiseiner Tragödie einen großartigen Ideenhintergrund gesdiaffen , er habe s ie

zu einem welthistorisdi en Bilde gesteigert ; i ch muß gestehen, ich kann diesePartie des Dramas nie ohne heftigen inneren Protest lesen . Freilidi b ei

Euripides liegt der Fall anders als bei Hebbel . Bei ihm merkt man esjedem Wort an , daß der Didi ter das innerlidi erlebt hat , was er gestaltet,und dadurdi zwingt er uns in seinen Bann ; Hebbel dagegen hat uns denBerner Redcen ganz ohne Not ersdi lagen, nur aus Freude an der Gesd1 id 1ts=

klitterung . Nidi tS in seinem Mythos zwang ihn dazu . Sein d i ristlid i er,

asketisd1er Dietridi vollführt ganz dieselben Taten, wie der Redce des Volksepos , audi er Sd i lägt den Hagen und den König Gunther , nur führt erdabei und fuhren die andern über ihn red i t wunderlidi e Reden, die zu diesenHeldentaten gar nidi t passen wollen . Ähnlidi ist's bei Ibsen in der «Nordisd i en

Heerfahrt» . Dort erfahren wir erst am Sd i luß des Dramas zu unsererÜberrasd mng, daß der Held S igurd ein Christ ist . Nadi seinen Taten hättenwir es im ganzen S tüdc nidi t vermutet. Anders ist natürlid i die Sad i e heim«Herakles» . Hier mußte der alte Held sterben , damit der neue erstehenkonnte ; das war ja der S inn und der Zwedc des ganzen Dramas . Sdiade

immerhin um den alten Helden ! so mögen die meisten Athener empfundenhaben .

Wie 3 ophokles dadi te, das zeigen uns heute nodi seine «Tradünierinnen» .

Ruhig und sadi lidi ‚aber redi t energisdi antwortet er hier auf diese Um=

wertung des Heraklesideals, indem er den alten Heros wieder auf die Bühnebringt , in keiner Weise vergeistigt , mit allen seinen Ecken und Kanten .

Euripides bringt uns seinen Helden audi mensd i lid i red i t nahe : als guterSohn, als trefflid1 er Gatt e und Vater gewinnt sein Herakles unsere Zuneigung.Wir h ö r e n von seiner Heldengröße, seine sdi öne Mensdi lidikeit aber s e h e nwir ; umsomehr sind wir geneigt an sie zu glauben . Das vermeidetSophokles . Audi sein

.Herakles hat freilidi eine treue , l iebende Gattin , dieSidi der Megara bei Euripides an die Seite stellen kann, aber das Benehmendes Helden gegen Deianeira zeigt nid i t sdi öne Mensd i lidi keit , sondern

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I I I . DER HERAKLES DES EUR IPIDES 55

heroisdi e Roheit. Audi der Herakles des Sophokles leidet Gräßlidi es undleidet sd mldlos, und dieser Herakles geht nid i t etwa durch seinen Tod derVerklarung entgegen , seiner wartet vielmehr der HadesAber der Didi ter erlaubt es ihm nidi t die Götter in seinen Untergang mithineinzuziehen . «Bei Ehren bleiben die Orakel und gerettet sind die Götter.»So waltet Sophokles audi hier seines Didi teramtes als der Besd mtzer desAlten , als der Bewahrer des Mythos ; audi hier wieder predigt er die be:

dingungslose Abhängigkeit des Mensdi en von der Gottheit.

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Euripides und Homer .

attisdi e Tragodie geht auf Homer zurudr. Ihr Vater Äsdiylos

soll in besd i eidenem S inn seine Werke «Stucke von der reidi enMahlzeit des Homer» genannt haben und den Sophokles nanntedas Altertum «den Homer der Tragödie», nidi t nur weil er den

Stoff seiner Dramen mit Vorliebe dem Homer und den Kyklikern entnahm,

sondern weil er audi in der Anmut der Gestaltung mit Homer wetteifernkonnte . Audi Euripides hat natürlidi nidi t selten Stoffe und Gestaltungenaus Homer, audi verwertet er einzelne Szenen und Verse Homers in seinenDramen , aber er hat audi eine Tragödie gesd iaffen , in weld ier er die Il iasund ihre Helden und dieWeltansd muung des Epos, soviel an ihm lag, kritisdivernidi tete; d as s i n d s e i n e «T r o e r i n n e n » .

D i e T r o e r i n n e n .

Homer war der Erzieher von Hellas . In Xenophons «Symposion» sagtNikeratos, einer der Gäste «Mein Vater, bemüht aus mir einen tüd i tigenMensdi en zu madi en, l ieß mid i alle Gedidi te Homers lernen ; und nodi jetztkönnte ich die ganze Ilias und Odyssee auswendig hersagen» . Homer alsErzieher war aber nidi t nadi dem Herzen des Moralisten Euripides , des=

halb bekämpft er ihn in seinen «Troerinnen», so wie es vor ihm Xenophanesund Heraklit getan hatten und nadi ihm Plato tat . Daß dieser Angriff hierab er so erbittert

,so bis zur Vernid i tung geführt wird, das erklärt Sid i wohl

aus der Entstehungszeit unseres Dramas , die uns glücklid mrweise überliefertist. Als Euripides seine «Troerinnen» zur Aufführung bradi te, 415vor Chr.,

Xenophon , Sympos ion I I I , 5: °

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IV. EUR IPIDES UND HOMER 57

wohl an den großen Dionysien , also Marz/April , da drohnte Athen vom

Lärm der Zurüstungen für die gewaltige Flotte , die um die Mitt e desSommers nadi S izilien abfuhr. Damals hatte der Dämon des Krieges be:sonders heftig von den Gemütern der Athener Besitz ergriffen ; unser D idi terwar aber immer, wie sein großer Gegner Aristophanes, ein warmer Freunddes Friedens . Al s e i n e Fr i e d en smahnung , al s e i n e l e tz t e Wa rn u ngv o r d em go t t l o s e n Angr i ffs k r i e g muß man s e i n D r am a

D iese Auffassung über die Ents tehung der «Troerinnen» habe ich in einer Abhandnlung im Phi lo logus , N . F. 13, p . 362 ff., vorgetragen , deren Resultate hier mitgetei lt werden .

W i lamowitz sagt zu dieser Frage (in seiner Einleitung zur Übersetzung der «Troerinnen»,

p . «Rein als Didi ter sd mf er (Euripides) d ie Wirkung is t gerade darum so zermalmend,wei l er kein Tendenzs tück Sd iuf. Er warnt nicht , auf daß unterbleibe , was kommen muß.

Er weiß nur , was kommen muß, und muß es kunden wie s eine Kassandra . Das zerreiß tseine Seele. Man hat ihm so wenig geglaubt als

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ihr. Und gekommen ist es d0d i » . Nun

frage ich : Sd mf Euripides auch sonst immer rein als Dichter, sd mf er nie ein Tendenzstüdr?

Wenn man übrigens genauer zus ieht, so ist audi nadi der Auffassung von W i lamowitz unserDrama ein Tendenzstüdr, wenn er audi das Wort s elber hier n icht gelten läßt. Denn wennjemand im Jahre 4 15 den Untergang Troias darstellt, «wei l er weiß, was kommen muß», und«wei l er es künden muß» , so arbeitet dieser jemand eben nid i t rein als Küns tler , sondernsein Werk hat Bez iehung zur Gegenwart, hat eine politisdi e Tendenz . Bleibt also nod i d ieFrage übrig nadi der Abs idi t, d ie Euripides mit seinemWerke verfolgte . Wi lamowitz stelltihn S idi offenbar vor wie einen zürnenden Propheten des alten Bundes , der seinem Vo lke dasStrafgeridi t verkündet. Mit meiner Auffassung von dem attisdi en Patrioten Euripides wi l lSidi das nidi t vereinigen . Id i denke, er hat das Drama gesdi rieben, um sein Vo lk vor demAbgrund zu warnen, dem es entgegenging . Und nun vol lends das Publikum des Jahres 4 15!Die Athener haben dem Did i ter nid i t geglaub t/ das ist S idi er aber s ie müssen Sidi d0di beiseinen Warnungen vor jedem Krieg und besonders vor jedem Angriffskrieg (vergl . bes . di e

Verse 384 bis 4oz) etwas gedadi t haben, und s ie können dabei d0di nur an den Angriffskrieggedadi t haben, zu dem s ie eben damals ausz iehen wol lten . Audi Eduard Meyer (Gesch.

des Altertums, IV, p . 502) und Eduard Sd iwartz (C harakterkopfe aus der antiken Literatur,p . 44 f.) halten unser Drama für ein po litisdi es Tendenzstüdr.

Als die Athener nad i der Katastrophe ihren in Sizi l ien gefallenen Mitbürgern im Kera=meikos ein Kenotaphion erridi teten , beauftragten s ie bekanntlidi den Eurip ides damit dieGrab insd1rifc zu d id i ten . Man kann hierin eine verspätete Anerkennung dafür sehen, daß erim Jahre 4 15 mit seiner Warnung redi t gehabt habe . Thukydides spridi t ( I I, 34) von derSitte der Athener, die im Kriege Gefallenen auf Staatskos ten zu bestatten . Er , sagt : 5111318011:851101541 1001 Yf» &vfip fipnus

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rcoc1vov 151) 1106110111 01. Was hier von dem Redner gesagt wird, galt wohlaudi von demDidi ter derGrabsdi rift. Und damals war eben der Didi ter, der vor demverhängni s=vol len Kriegszug gewarnt hatte, «ein Mann, der für eins idi tig galt und an Ansehen hervorragte» .

D0d i ist dies natürlidi kein Beweis . Die Sadi e läßt s ich überhaupt nié t s treng beweisen ;es kommt eben audi hier auf das Bi ld an , das man Sid i vom D ichter gemadi t hat und dasman zur L ektüre seines Werkes mitbringt.In der Literaturgesdi id i te von Chris t wird mir entgegengehalten, daß die Verse 207 bis

229 der Parodos, bes . 2 20 ff., mit meiner Auffassung nidi t zu s timmen sd1 einen . Nun denkeich, gerade der Umstand, daß hier Sizi lien als ein Land gerühmt wird, das mit dem Kranzeder Tugend gesd mückt sei, Sprid i t für mich ; aud i durch diese Lobpreisung sol len die Athenervor einem ungered1ten Angri ffskrieg auf dies göttergeliebte Land gewarn t werden .

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58 EURIPIDES

Das Leitmotiv unseres Dramas erklingt zunadi st wieder laut und deut=

l idi im Prolog . Poseidon eröffnet ihn ; er erzählt , wie Ilion durch die Hilfeder Pallas erobert worden sei und weldi e unmensd i lidi en Greueltaten diewilden S ieger verübt hätten . Zu ihm tritt Pallas Athene und bittet ihn um

Hilfe . Der jüngere Aias hat die Kassandra aus ihrem Tempel vom Altarweggerissen . Zur Rache dafür will die Göttin die heimkehrende Gried i en:

flotte vern idi ten . Zeus hat ihr seine Blitze versprodi en , Poseidon soll dasMeer aufwühlen und soll die Gried ien an Euboeas Klippenstrand ver:

nidi ten . Der Meergott sagt seine Hilfe zu und sdi ließt den Prolog mit denWorten

«Wie töridi t s ind die Mensdi en ! Stadte reißenS ie n ieder, Götterhäusern bringen s ie

Verödung und der Ahnen hei ligen GräbernUnd gründen nur des eigenen Glückes Grab .» (W.)

Wenn Vo lker Kriege beginnen, dann erklaren ihre Regierenden feierlid 1,der Gott der Sdi ladi ten werde mit ihnen sein und mit ihrer geredi ten Sadi e .Der Didi ter zeigt hier seinem Volke , das im Begriffe steht einen Angriffs=

krieg zu beginnen , wie wenig es dabei auf die Hilfe der Götter‘

red men

könne , da gerade die beiden Gottheiten , die den Gried i en so eifrig beistanden , solange Ilion stand , Poseidon und Pallas , nadi dem S ieg ins Lagerder Besiegten übergeben und an den übermütigen S iegern grausame Radi enehmen . Und was die Helden Homers bei der Zerstörung Ilions an Greuel=taten verübten, das war nid i t etwa ein Gemälde der erregten Phantasie desDidi ters, das war nid i t prähistorisd 1e Roheit, nein, das alles war damals nod iin Hellas dem Besiegten gegenüber an der Tagesordnung; die Athener selbstwaren erst am Ende des Jahres 4 16, also wenige Monate vor der Auf=

führung unseres Dramas , mit dem eroberten Melos so verfahren . Thuky=

d ides erzählt darüber kurz und sadi lid i »Die Athener töteten von denMeliern alle Erwadi senen männlidi en Gesd i led i ts , die in ihre Hände fielen,die Weiber und Kinder aber verkauften s ie in Sklaverei . Danadi sdückten

sie 500 Ansiedler und nahmen den Platz in Besitz» .

Die Warnung des Didi ters geht nun dahin : wer sold i e Taten begangenhat und ferner zu begehen beabsidi tigt, von dem wenden Sidi die sd1 irmendenGötter ah. Sdi on der Pro log und weiter der ganze Verlauf des Dramasmußten im Jahre 415 eine redi t nadi denklidi e Stimmung im Zusdiauerraum

verbreiten . Die Athener mußten Sidi damals sagen : auf die Götter ist bei

«Troerinnen» 95ff. : pö po; 85 501 1; 5111100815?

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IV. EUR IPIDES UND HOMER 59

einem Angriffskrieg kein Verlaß , sogar die S tadtsö irmerin Pallas kann zum

Feinde übergehen .

Seit dem Beginn des Dramas war Hekabe in stummem Jammer vordem Zelte Agamemnons am Boden gekauert . Nun erhebt s ie Sidi zu einemKlagegesang und aus den Zelten eilt der Chor der troisdi en Frauen herbei,nadi dem das Studc seinen Namen hat. S ie stimmen mit ein in die Klagenihrer Königin , «weinend um das eigne Leiden in des Reid1es Untergang»

(V. 153 Und nun strömt hier an diesem Mittelpunkte , am ZelteAgamemnons, alles Elend des Krieges zusammen . In fünf Szenen zieht esan uns vorüber, die keine andere dramatisd i e Einheit haben als die unglüdc=

l id i e Konigin, die an allem, was vorgeht, leidend oder handelnd beteiligt ist .Mit ihren Augen sehen wir, mit ihrem Herzen empfinden wir all dies bittereLeid und der letzte Eindruck soll und muß sein : Absdi eu vor dem S iegerund tiefes Mitleid mit den Besiegten und ganz besonders mit den Frauenund Kindern . Denn audi hier sieht —Euripides die Welt vom Standpunktder Frau aus , er stellt Sidi auf die Seite der Besiegten , der Notleidendenund Sdiwad i en und ruft den stolzen S iegern zu : Sehet , das ist euer Ruhm,

sebet, das ist euer S ieg ! Homer sang den Ruhm der Männer, o’

1v8pößv,

unserem D idi ter ist der Krieg gegen Ilion , der durch die ehrwürdige Überlieferung der Heldenlieder seines Volkes geweiht war , ein Krieg wie jederandere, ebenso sd i redclidi und ebenso verwerflidi . Das Proömium zu s e i n e rIl ias lautet : «S inge mir , Muse , die Sd1recken des Krieges , der S ieger undBesiegte versdi lingt, die Roheit der S ieger und die Leiden der Besiegten» .

D e r e r s t e A k t u n s e r e s D r a m a s g e h ö r t d e r K a s s a n d r a . DerHerold Talthybios kommt , um s ie dem Agamemnon zuzuführen , dem s ie

als Beuteanteil zugefallen ist . S ie stürmt aus dem Zelte der gefangenenFrauen heraus und singt, eine Fadcel Sdiwingend, Sidi selber den Hymenäusihrer erzwungenen Vermählung und prophezeit dem Heerkönig grausigenUntergang. So wird die düstere Stimmung , die der Prolog erweckt hat,erneut und vertieft; über all dem Leid der Besiegten, das wir sehen, sollenwir nidi t vergessen , daß den S iegern ein nodi Sd i limmeres Los bevorsteht.Und e i n e s haben die Besiegten vor den S iegern immer nodi voraus , dieEhre . Denn nur die Verteidigung des Vaterlandes ist ruhmvoll , der roheS ieger wird von keinem D idi ter verherrlidi t . «Besser ist's von diesen Sdi änd=

lidikeiten zu Sdiweigen nidi t soll mir die Muse eine Sängerin sein , diesold i e Sd 1madi besingt»

, so sprid i t Kassandra und durch ihren Mund gelobtdas der Did i ter. Seine Muse soll nidi t den rohen S ieger verherrlidi en, son

dem «den überwundenen Mann» . Die Verse 365-402, die diese Gedankenentwidceln , fallen im Ton völlig aus dem heraus , was vorhergeht und was

«Troeri nnen» 384 ff. : 01y‘

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60 EUR IPIDES

folgt . Vorher und nadi her Spridi t die gotthegeisterte Seherin , hier aberspridi t aus ihrer Maske heraus der D id i ter. So bekommen wir hier Rhe=torik zu hören an Stelle der großartigen Poé sie, die bisher waltete, ein Zeid 1en,daß Euripides selber das Wort ergriffen hat . Aufs neue will er vor einemAngriffskrieg warnen . Im günstigsten Fall , in dem des S ieges also, ist derBesiegte immer nodi glücklid i er als der S ieger . So lautet das Thema , dasKassandra in seinem Auftrag behandelt. Wie wenig dieser Teil zum Ganzenpaßt

,das hat der D idi ter wohl selbst gefühlt , läßt er die Seherin d0di in

der Einleitung zu diesen Ausführungen sagen«Nur davon laß' midi reden, daß den TroernEin glüdrlid mr Gesdück besd1 ieden warAls den Adi äern . Ganz vernünftig l iefer' ich,Und n idi t im Seherrausdi e den Beweis .» (W.)

Der Akt sdi ließt damit , daß Kassandra , nunmehr wieder « im Sehenrausd1e», alle Leiden vorhersagt, die Odysseus auf der Rückkehr zu erduldenhat, und daß sie in großartigen, grausigwilden Prophezeiungen ihren eigenenUntergang und den Agamemnons verkündet . Im Triumphe eilt s ie dann alsd ie Radi egöttin der besiegten Vaterstadt zum Sd i iff des Heerkönigs .

«Singe von I l ion, Muse, mit TränenSinge mir neue Weise,Stimm

'

ein Grablied an !» (W.)

so singt nun der Chor und führt uns hinein mitten in die S di redren derEroberung und Plünderung der Stadt. U n d d a n n n a h t au f e i n e mW a g e n A n d r o m a c h e m i t d em k l e i n e n A s t y a n a x . Laut ersdialltihr Hilferuf «Komm zu mir, mein Gemahl . Errette deine Frau » Wiees Hektor geahnt hat, dort beimAbsdüed am Skäisdi en Tore, so ist es nungekommen . Er liegt im Grabe , er hört ihr Rufen nid i t , er sieht nidi t, wies ie in die Gefangensdiaft gesdi leppt wird . In aller Einfad iheit , in Sd i lidi tenNaturlauten bringt der D id i ter diesen Jammer zur Darstellung . Aber nurganz kurze Zeit hält er Sidi auf dieser Höhe . Audi seine Andromadi e hatjetzt eine Rede zu halten . Das Thema lautet : die tote Polyxena,die demSd mtten des Adi illeus gott los gesd i ladi tet wurde , ist glüdclid mr als Andromache, die der Gefangensdiaft und der verhaßten Vermählung mit Ne0pto

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lemos entgegengeht.

«Troerinnen» 365ff. : 11571 1» 85 1 131181: pax ap1wr épocv

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62 EURIPIDES

Mit dieser Sentenz sdi ließt s ie. Wie es Helena hier mad i t , so

madi t'

s der homerisd i e Mensdi immer , wenn er etwas Sdi led i tes oderTöridi tes begangen hat. Bei der Versohnung mit Adi illeus mad i t Aga=

memnon den Vater Zeus für den verhängnisvollen Streit verantwortlidi ,

indem erD0di trag' id i dessen d ie Sdi uld nidi t,

Zeus und d ie Moira vielmehr und d ie Nad üunho ldin Erinys,Die in der Vo lksversammlung mir sendeten arge Verblendung.» (Voss )

Und audi Adi illeus stellt Sidi in dieser Sadi e auf denselben Stand punkt(Ilias 19, 270 Hi ) . In der Odyssee ist Helena nadi Sparta, in die liebeHeimatzurüd<gekehrt . Dort spridi t sie Sidi im Kreise der Familie und vor ihrenGästen mit demselben Argument, wie in unserem Drama, von jeder Sdi uldfrei . S ie

ich beseufzte das Unhei l, das AphroditeGab, da s ie dorthin midi vom Vaterlande geführet.» (V.)

Und das ist keineswegs i h r e Ans id i t allein . Der greise Priamos sagt zuihr bei der Mauer5d 1au z‘)

«Du nidi t trägs t mir die Sdi uld deß'

s ind die Unsterblid i en sd mldig,

Weld i e daher mir gesandt den bejammerten Krieg der Ad iäer .» (V .)

So geht's immer bei Homer , immer sagt bei ihm das Mensd i enkind : nid i t

ich bin sd mld, sondern der Gott, der midi zu meiner Tat veranlaßt hat.Plato sagt in einem dieser Falle z“) «Wenn aber jemand von jener Ver=

wirrung der Eide und der Verträge , weld i e Pandaros angezettelt hat, be=

hauptet, s ie sei durch Athene und Zeus eingetreten, so werden wir das nidi tloben» . Genau so urteilt audi Euripides und in seinem Namen hält nunHekabe eine Anklagerede gegen Helena und zugleidi eine Verteidigungsredefür die gesdimähten und gelästerten Götter. Das sagt s ie ausdrücklidi zuBeginn ihrer Rede (V. 969 Daß Hera und Athene dem Paris auf demIdaberge die Herrsdiaft über Hellas versprodi en und so ihre liebsten Kultstätten Athen und Argos an die Barbaren verraten hätten , daß Aphroditeselbst nad i Sparta gekommen sei, um dem Paris die Helena zuzuführen, dasist alles der hohen Götter unwürdig und läd 1erlidi . Nidi t von außen her,

«Troerinnen» 964 f. : et 85 1 1317 856517 110011 58)

13067151, 1 8 x013! 51v 81010185; 501€001 1585.

« I lias», XIX, 86 ff. : 5708 8’

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IV. EUR IPIDES UND HOMER 63

nidi t medianisdi wirken die Gotter, in der Brust desMensdi en haust der Damonund treibt ihn zu guter oder boser Tat . Ihr verbuhlter S inn , ihre Liebezu Pradi t und Reid1 tum hat die Helena dem Paris in die Arme geführt,nicht die kyprisdi e Göttin . So hat Helena ihre Tat selber getan , s ie ist

dafür s ittlidi verantwortlich und soll des Todes sterben .

Wir kennen die müde alte Frau gar n id i t mehr , so s iegreidi , so ge:

waltig strömt ihr die Weisheit des Dichters von der Lippe . Poehlmann 1)nennt die Poesie des Euripides «ein Kampffeld der Gedanken» . Das giltbesonders von dieser unserer Szene . E i n e R e d e s c h l a c h t w i r d h i e rg e s c h l a g e n , z w e i W e l t a n s c h a u u n g e n r i n g e n m i t e i n a n d e rdie homerisdi e Leichtlebigkeit und Leichtfertigkeit ist durch Helena vertreten,der s ittlidi e Ernst unseres Didi ters durch Hekabe . Die Entsdi eidung hatMenelaos und dadurdi wird das ganze kleine Drama eine Komödie , dennMenelaos ist ein Komodiant . Von Anfang an war er entschlossen nur denSchein der Strenge zu wahren, sich aber die schöne Beute nidi t entgehen zulassen . So hält er denn beide zum Narren . Zunädi st applaudiert er derHekabe und befiehlt, He lena solle sofort gesteinigt werden . Da wirft sichihm die schöne Sünderin zu Füßen und umfaßt seine Kniee und dies Argu=

ment veranlaßt ihn zu seinem alten Entsd fluß zurüd<zukehren z er will sienadi Sparta mitnehmen , dort aber soll sie zur Warnung für alle Sdi ledi ten

Weiber des Todes sterben . Hekabe traut ihm natürlich nidi t und warnt ihndasselbe Sdi iff mit Helena zu besteigen . Er fragt ?) «Warum n idi t ? Wiegts ie Sdiwerer , als sie vorher wog ?» So sdi ließt unsere Szene mitsd meidendem Hohn, mit einem blutigen Kalauer. Durch diesen unwürdigenAbsd i luß will der D idi ter zeigen , daß die neuen und großen Gedanken, dieHekabe in seinemNamen vorgetragen hat, in der Welt, wie s ie nun einmalist, audi nid i ts ausridi ten werden . Hier triumphiert eben immer und überal ldas Sdi led i te . Die Götter Homers sind nidi t , und der andere , der Philo=SOphengott‚ zu dem Hekabe am Anfang unseres kleinen Dramas gebetet hatmit den Worten z

3)

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ge d ir

Anbetend, denn du fährs t geräusd flos wandelndDas Mensd mnsch idcsal zu geredi tem Ziel», (W.)

audi er wird an diesem Lauf der Welt nidi ts andern, denn er kümmert sichnicht um das Tun und Treiben der Mensdi en . So wenig die Helenaszene

also im Stil zu den vier andern Szenen unseres Dramas paßt, ihr Ergebnispaßt dazu, denn es ist dasselbe , ist bare Negation, hoffnungsloser Pessimis=

1) Pohlmann, Sokrates und sein Vo lk, p . 32 .

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64 EUR IPIDES

mus, freilich hier nidi t mit den Mitteln der tragisdi en Kunst dargestellt, nidi t

in Bildern von Leiden und Untergang , sondern satirisch , mit den MittelnSOphistisdi er Beredsamkeit und in der Form einer modernen Gerichts:verhandlung.Der Didi ter eilt nun zum Sdi luß. D i e v i e r t e u n d fun ft e S z e n e be=

ansprudi en zusammen wenig mehr als zoo Verse . Wie die erste und zweite,so sind audi diese beiden letzten Szenen dramatisd i e Bilder , die uns dieLeiden der Besiegten, das sdi redd idi e Los der Frauen und Kinder vor Augenführen . Talthyb ios kommt mit der Leiche des kleinen Astyanax und mit demSchild, den Hektor so ofc in der Männersö lad fi getragen hat. Auf ihm solljetzt der Sohn ins Grab gelegt werden, und die greise Großmutter sdimüdi tdie Leidi e. Mit den Frauen des Chors C YS CIIÖ PIIC sie Sid i in Sd imerzlidi en

Klagen über den Tod des Knaben und in Invektiven gegen die rohen S ieger.Von ihnen sagt

« In euren Fausten, nid i t in eurem HirneLiegt eure Größe, Griedi en», (W .)

und angesidi ts der Leiche des Enkels stellt s ie die Frage2)

(WC IdJ C Grabsd nil’t könnteE in D ichter auf didi madi en ? ‚D ieses KindWard umgebracht von den Achäern, wei l s ieS idi vor ihm fürchteten .

’ Fürwahr, das wäreFür Gried mnland ein Denkmal seiner Sd mnde.» (W.)

D as s i n d w i e d e r d i e L e i tm o t i v e d i e s e r k l e i n e n S z e n e u n du n s e r e s g a n z e n D r am a s . Den Helden Homers sd i reibt der D idi terhier einen Absagebrief, so temperamentvoll, wie der berudi tigte, den Friedridider Große gegen die Red<en des Nibelungenlieds erlassen hat.Für den Schluß seines Dramas hat Sidi Euripides einen starken Buhnen=

effekt ausgesonnen . Vor unsern Augen geht Ilion in Flammen auf und stürztin Trümmer , die gefangenen Frauen aber knien nieder und berühren nodieinmal mit ihren Händen die teureVatererde und klagen den Toten ihr Leid,die da drunten ruhen . Dann werden s ie von dem rohen S ieger empor=gerissen und fortgestoßen und gezerrt zu den Sdi iffen der Adi äer .

So sieht der Krieg aus ! Freilich nicht bei Homer , nicht in der Welt derPoesie, ab er in derWirklidikeit. Und nun fahrt hin in den ungeredi ten Eroberer:krieg gegen Syrakus ! nun Spendet bei der Abfahrt der Flotte den Götternund betet zu ihnen

,daß s ie mit endi ziehen mögen ! Euer wartet , selbst

wenn ihr siegt, Sdimadi und Schande und der Grimm der erzürnten Götter.

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IV. EUR IPIDES UND HOMER 65

Es gehorte viel personlidi er Mut dazu im Fruhjahr 415 dies Dramavor einem Volke zur Aufführung zu bringen , das den Angriffskrieg gegenSyrakus damals schon besdi lossen hatte und mit Eifer vorbereitete . DenPreis hat Euripides mit seiner troisdi en Trilogie nidi t errungen . Er did i teteaber audi nidi t in erster Linie , um den Preis im D iä terwettkampf davonzutragen

, das muß immer wieder betont werden ; er schuf seine Werke, um

dem Gott in der eigenen Brust zu genügen . Ein Freund des Friedens istunser Dichter immer gewesen . In den die wohl imjahre 421 aufgeführt wurden , tritt dies deutlidi hervor. Aber wie harmlossind hier die friedensfreundlid wn Anspielungen und Mahnungen im Vergleidi

zu dem dämonisdi en Feuer , das in unserem Drama lodert ! Homer , seineHelden und seineWeltansd muung werden hier vernichtet, auf daß Athen vordem ungeredi ten Angriffskrieg gewarnt werde . Auch diesen Kampf führtder Didi ter in der gewohnten Weise . Er transponiert Homer und den Kyklosin seine Gegenwart, er malt mit den Farben seiner Zeit, er schildert das Elenddes pe10ponnes isd mn Krieges . Und hier hat er keineswegs übertrieben . Sosah er aus , der Krieg der Hellenen , soviel jammer und Tränen gab es aufseiten der Besiegten, soviel Roheit und Gewalttätigkeit auf seiten der S ieger.

So übt unser Drama vom Prolog bis zum Schlußbild eine vernidi tendeKritik an dem Mythos , der zur Darstellung kommt. Aber diese Kritik ist,wie immer , für unseren Didi ter nur Mittel , nicht Zwed<. Audi dieseSchopfung ist durdi leud i tet von seinem «Entrüstungs idealismus» . Er ist diefeste Klammer, die die fünf Einzelszenen zusammenbindet, er verleiht diesemDrama trotz mandi er Wunderlichkeiten und Absonderlichkeiten , von denenes audi nidi t frei ist, eine eigenartige, düstere Größe und stempelt dies Werkextremster Mythenkritik zu einer positiven dichterischen Leistung.

I p h i g e n i e i n A u l i s .Und nun hat derselbe Euripides in einem spateren Drama Homers Helden

mit allem Zauber der Poesie umkleidet und hat den Angriffskrieg gegen Il ionals eine nationale Großtat gefeiert , als den Erstling der Persers iege. Wieerklärt Sid i dieser Optimismus der Betrachtung ? Was hatte Sid i inzwisdi engeändert ? D0di wohl der Did i ter.

Glüdd id mrweise wissen wir audi von der aulisdi en Iphigenie », wanns ie entstanden ist. Im jahre 407 verließ Euripides seine Vaterstadt und gingals Gast des Königs Ardi elaos nadi Mazedonien, wo er im jahre 406 starb .Nach seinem Tode brachte der jüngere Euripides eine hinterlassene Trilogieseines Vaters in Athen zur Aufführung , die mit dem Preis gekrönt wurde .Zwei Stüd1 e dieser Trilogie sind uns erhalten : die «Bacd i en und die«aulische Iphigenie» . Unser Drama ist also fern von der Heimat gesdiaffenworden, in einem halb barbarisdi en Lande .S t e i g e r , Eur ipides.

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66 EUR IPIDES

Ibsen war gern im Ausland ; es war ihm fur seine d ffensfreud igkeit

geradezu ein Bedürfnis von seiner nordisdi en Heimat entfernt zu sein . Im

jahre 1867 sdi reibt er von Rom aus an Björnson («Werke » X , p .

«Zieh hinaus, carissimo ! Weil der Abstand den Ges idi tskreis erweitert, unddann

,weil man gleidi zeitig audi selbst den guten Leuten aus dem Ges id üs=

kreis kommt .» Und nodi im jahre 1884 ist er weit davon entfernt seinefreiwillige Verbannung zu bereuen . Damals schrieb er von Gossensaß ausan Björnson («Werke » X , p . «Als ich vor zehn jahren , nadi neuenzehn jahren der Abwesenheit

,den Fjord hinauffuhr , da fühlte ich, wie Sid i

mir die Brust in Beklemmung und Unbehagen budi stäblidi zusammenschnurte .

Dieselbe Empfindung habe ich während meines ganzen Aufenthaltes da obengehabt ich war nid i t mehr ich selbst unter all den norwegisdi en kalten undverständnislosen Augen , die aus den Fenstern und auf den Burgersteigenblidrten .» Und d0di ist

‚Ibsen in Dresden, in Rom und Mündi en immer ein

guter Norweger geblieben . Er hat die Heimat nie aus den Augen verloren ,alle seine Dramen , die er in der Fremde sdi rieb , spielen in der nordisd i enHeimat , und wie seine Gedanken gar oft mit Liebe und Sehnsudi t daoben weilen , das gesteht er in dem schonen Gedidi t : «Verbrannte Sd i i ife(«Werke » I, p .

«Er verbrannte seine Schiffe ;Da spannte Sidi blauZum nord isdi en RiffeEiner Raué brüdre Bau.

Nach den Hütten VerschneiterAus der Südhaine Pradi tReitet ein ReiterNadi t nun um Nadi t.»

Dieselben Erfahrungen hat wohl audi Euripides in Mazedonien gemadi t,denselben Stimmungen war audi er unterworfen. Als er «seine Schiffe verbrannte», als der freie Athener seine Heimat verließ, um an den Fürstenhof zugehen, dawo llte wohl audi er zunädi st «den guten Leuten aus dem Gesidi tskreiskommen» . Aber draußen sah er die Verhältnisse der Heimat bald ruhiger an, alser sie zu Hause gesehen hatte . Ibsen bezeugt das von Sidi in einer Anspradi e

an die norwegisd i en Studenten im jahre 1874 («Werke I , p . «Niehabe ich die Heimat und der Heimat lebendiges Leben so stark, so klar undso nah ersdiaut, wie gerade aus der Ferne und in der Abwesenheit» . Dazukam nodi das Heimweh, das ihm die ferne Heimat und ihre Gesittung ver=

goldere . So erklärt es Sidi , daß die beiden Dramen , die uns aus seinermazedonischen Zeit erhalten sind , so ganz anders sind als die unmittelbarvorhergehenden . In den «Bacdi en» erreicht er seinen kunstlerisdi en Zweck,die Begeisterung der Mänaden darzustellen, so völlig, daß er dadurdi in denVerdadi t gekommen ist

,er sei im Alter frommgläubig geworden, und in der

aulisdi en Iphigenie vergißt er den Spartanerhaß und die Kriegssd i eu

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IV. EURIPIDES UND HOMER 67

fruherer jahre und wird dadurdi in den Stand gesetzt der Heldensage seinesVolkes wieder geredi t zu werden .

Ibsen sdi reibt uber seine politisdi e Entwiddung imAusland («Werke » X,

p .« Idi habe damit angefangen , mich als Norweger zu fühlen

,habe

midi dann zum Skand inaven entwid<elt und bin jetzt beim Allgemein=Germanisdi en gelandet.» Euripides war Zeit seines Lebens ein guter Athenergewesen und jetzt , in Mazedonien , war er « beim Allgemein -=Hellenisd mn

gelandet .» P a n h e l l e n i s c h e B e g e i s t e r u n g i s t d i e sm a l d a s L e i t =mo t i v s e i n e s D r am a s , zum Opfertode für das große griedi isdi e Vaterland , für

‘E70«31; psyi01 n (V . 1378) erklärt Sidi Iphigenie bereit mit den

stolzen Worten 1 )«Es herrsdi e

Der Grieche und es diene der Barbare !Denn d e r ist Kned i t und jener frei geboren ! » (Sdi i ller .)

Die Fremde sdiarfr eben den Blid< fur die Vorzuge der Heimat. Euripideshatte jetzt für griedi isd i e Dinge die ridi tige Distanz gefunden , der Abstandhatte aud i ihm den Ges id i tskreis erweitert. Wie klein , wie unwesentl idi

ersd i ien ihm nun alles, was die Griechen untereinander trennte, im Vergleidi

zu dem ,was sie den Barbaren gegenüber gemeinsam hatten ! Und nun

dadi te der alte D idi ter daran, daß er in seinen «Troerinnen» das Fundament

griedi isd ier Kultur, Homer und seine Helden, soviel an ihm lag, zersd i lagen

hatte . Hier trieb es ihn wieder aufzubauen, denn die Ilias erschien ihm jetztin ganz anderem Lidi te . In den «Troerinnen» gibt es nur M e n s c h e n ,nicht G r i e c h e n u n d B a r b a r e n , und der Didi ter steht mit seinenSympathien auf seiten der Besiegten , die fur Haus und Hof einen gutenKampf gegen rohe Angreifer und Zerstörer gekämpfi haben . Hier dagegenist alles Redi t auf seiten der Griedi en und die Troer s ind Barbaren , «ge

borene Kned i te» . Während der D id i ter damals ein Apostel des Friedenswar

, ist er jetzt ein Herold des gerechten Krieges , eines Krieges , für denSidi die reine Seele einer stolzen griedi isd ien jungfrau begeistert, für den s ie

ihr Leben freudig dahingibt, ein leudi tendes Vorbild für die Helden Homersund für die Griechen aller folgenden Zeiten . So ist das neue Drama dasgerade Gegenstüd< zum alten geworden Euripides war eben in Mazedonienstolz darauf ein Griedi e zu sein, und ohne Homer war man das n idi t .

Am 18. juli des jahres 1872 waren 1000 jahre verflossen, seitdem HaraldHarfager die Stämme Norwegens geeint hatte. Ibsen sandte damals ausRom als Gruß an die Heimat sein Gedidi t : «Zur Tausendjahrfeier» («Werke»I, p . Die zwei ersten Strophen lauten :

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68 EURIPIDES

«Mein Vo lk, das sd1enkte mir in tiefen SdialenDen s tärkenden, d0di bittern Trank, der gabDem D id i ter Kraft zu kämpfen, hart am Grab,Von neuem, in des Tags gebrod men Strahlen .

Mein Vo lk, das reichte mir der Landflucht Stab,Der Sorge Bund, den Wandersd mh der Q ualen,Des Übererns tes härnes Pilgerhemde,

D ir s end' ich einen Gruß heim aus der Fremde !Idi s end' ihn d ir mit Dank für alle Gaben,Mit Dank für jede schwere Läutrungsstunde.

Was meine Gärten audi getragen haben,Es wurzelt doch in jener Zeiten Grunde.Wenn hier es aufsprießt, üppig, reich und gerne,Idi dank' es doch dem Nordwind aus der Ferne.Was Sonne s chmo lz, gewann im Nebel Fes te.Mein Land, hab' Dank, du schenktes t mir das Beste .»

Wenn man hier in der zweiten Strophe für «Nordwind» «Sudwind» einsetzt, so könnte das Gedicht von Euripides sein , es schi ldert die Stimmung,aus der heraus die « Iphigenie in Aulis» entstanden ist . Es ware aud i einrecht geeigneter Prolog gewesen, damals, als der jüngere Euripides die hinter:lassenen Dramen seines Vaters zur Aufführung bradi te . Im fernen Maze=

donien l iegt der D idi ter begraben , nodi einmal Spridi t er zu seinem Volke,das er so sehr geliebt hat. Diesmal aber klingt seine Rede nidi t strafend,nidi t spott end. Nidi t der Philosoph spridi t , der die Ideale seines Volkes sooft bekämpfte , weil er es von der alten zu einer neuen Weltansd1auüngemporheben wollte, nein, der Dich ter allein hat das Wort . Sein Drama istein Gruß, den er der Heimat und den Idealen seiner jugend entbietet .Nun weiß ich redi t wohl , was ich hier sage , hat keinerlei Stütze in

irgendweldi en Nadi rid i ten aus dem Altertum, denn auch uber den Aufenthaltdes Euripides in Mazedonien sind uns nur Anekdoten erhalten . Aber dieParallele mit Ibsen , die über die Entstehung der «aulisd ien Iphigenie» so:

viel Lidi t verbreitet, ist nadi meiner Ansicht durch die Tatsad i e S idi er fundiert,daß das Menschenherz zu allen Zeiten und aller Orten dasselbe bleibt.Bei den «Bacchen» , die gleidi zeitig mit unserem Drama in Mazedonien

entstanden , wird man nidi t müde zu fragen , ob der D idi ter mit diesemseinem letzten Stud< eine Palinodie seiner ganzen früheren Dichterlaufbahnhabe geben wollen , oder ob er der Alte geblieben sei . Bei der «aulisdi en

Iphigenie», d i e d o ch e b e n s o g u t w i e d i e «Bac ch e n» s e i n l e t z t e sD r am a g e n a n n t w e r d e n k a n n , ist diese Frage merkwürdigerweisenodi gar nich t aufgeworfen worden . Und doch wäre die Palinodie hier nichtminder bedeutsam, weil es Sidi ja hier um das Fundament gried i isdi erKultur, um Homer, handelt . Nun ist der Fall in beiden Dramen der gleidi e,beide Male ist nur die Stimmung des Did i ters eine andere geworden , n idi t

seineWeltansd muung . Denn wenn man genau zusieht, findet man hier wie

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70 EURIPIDES

Studce geschaffen , gewiß ein Beweis für die Große der D idi terkraft, die indem Hodi betagten nodi wirksam war.Audi nod i in einer anderen Bez iehung hat der greise D idi ter in unserem

Drama eine ganz außerordentliche Kraft und S& miegsamkeit gezeigt . Erwar , soweit wir das verfolgen können , sdi on vom Anfang seines Schaffensan in der Charakterzeichnung beweglidi er und freier als seine Vorgänger .Sdi on sein

'

Admetos madi t ja , wie wir nodi sehen werden , eine völligeWandlung seiner Ansd iauungen im Drama selber durch , und dasselbe giltvom Herakles . Aber so kühn wie in der «aulisd1en lphigenie» zeigt er Sidiin dieser Bez iehung d0di in keinem anderen der uns erhaltenen Dramen .

Hier ändert ja, von Klytamnestra und dem alten Diener abgesehen, jede derauftretenden Personen einmal oder gar mehrere Male ihre Stellung zum Leit=motiv und damit zur Handlung des Dramas .Vor Beginn der Handlung ist A g am emn o n auf der Seite des Kaldias

,

er ist überzeugt, daß die Opferung der Tochter unvermeidlidi sei . Im Prologsehen wir dann

,wie er diesen Standpunkt aufgibt, wie der Vater über den

König den S ieg davontragt . Das folgende S treitgesprädi mit Menelaos ändertdaran nichts

,wohl aber kommt er V . 51 i ff. durch die Nadi ridi t von der

Ankunft der Seinen zu der Überzeugung , er müsse das Opfer doch darbringen

,da er Sidi und seine Familie anders vor dem Grimm des Heeres

nicht retten könne . V. 1 z7o ff . kommt dann zu diesen Erwägungen derNotwendigkeit und des Nutzens nodi die Rüdcsid ü auf das Ruhmvolle , das110171611

,hinzu : er zeigt sich von der panhellenisd1en Idee ergriffen und hält nun

dieseAnsidi t fest und führt sie zum S iege, indem er dieTodi ter dafür gewinnt l ).Aud i M e n e l ao s ändert im Verlauf des Dramas seine Stellung zum

Leitmotiv. Er ist der erste, der die panhellenische Idee dem Bruder gegenüber mit Begeisterung vertritt (V . 370 ; aber dann verläßt er diesenStandpunkt

,durch die Gegengründe Agamemnons gerührt : er widerrät nun

die Opferung und verz ichtet auf den Krieg und auf die Heimführung derHelena (V .

Am vollständigsten wandelt Sidi I p h i g e n i e selber . Der Dichter fuhrtuns zunadi st keineswegs eine Heldenjungfrau vor , eine virago , wie dieAntigone des Sophokles ,

die vom Beginn des Dramas an entsd1lossen ist

für eine Idee zu sterben . Seine Iphigenie fleht vielmehr herzbewegend denVater um ihr Leben an und ruft ihm zu 2)

1) Mit dem Urteil bei Christ kann ich nidi t ubereinstimmen . Dort heißt es (l . c ., p . 373)

«Der jammermann Agamemnon und d ie brave Hausfrau und Mutter Klytämnestra s ind redi twen ig hero isd i e Ges talten .» Eurip ides wi l l hier offenbar eine psychologisd1e Entwicklunggeben er hält es für mensdi lidi , daß ein Vater in einer soldi en Lage schwankt und ers t spätzu einem festen Entsd fluß kommen kann .

2

) «An l . Iphig .» 1 250 ff. : 1 8 085; 1 68°

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IV. EURIPIDES UND HOMER 71

»Nichts Süßeres g ibt es, als der Sonne LichtZu sdiau

'

n ! N iemand verlanget nach da unten .

Der raset, der den Tod herbeiwünscht. B e s s e rI n S c h a n d e l e b e n , al s b e w u n d e r t s t e r b e n .» (Sdi il ler .)

So wenig heldenhaft denkt sie zunad1st . Ein junges , schönes Konigs =kind, vor dem das Leben Sidi lad1encl ausbreitet, wie sollte das gerne in denHades hinuntergehen ? Das sd1 ien unserem Did i ter unwahrsdi einlich , seinVerismus verbot ihm diese Voraussetzung . Er geht also zunächst vom

cfm

Mensdi lidi en aus und steigert dann im Verlauf der Handlung den Charakterseiner Iphigenie zum Heldenhaften, d u r ch d i e K r a ft d e r Umwan d l u n g ,d i e i m L e i tm o t i v d e s D r am a s l i e g t .Weit und steil ist freilidi derWeg, den er s ie fuhrt. Mit demVers 1375

ist das Ziel erreidi t .«Idi bin entschlossen

Zu s terben aber, o h n e W i d e r w i l l e n ,A u s e i g n e r Wa h l un d e h r e nvo l l z u s t e r b e n !»

So versidi ert sie der Mutter und dem Helden, der s ie retten will .

Aristoteles tadelt bekanntlich die C harakterzeichnnng unserer Heldin alsinkonsequent‚ indem er sagt (Poetik «die demütig um ihr Leben flehendeIphigenie habe keinen Zug von der Iphigenie im späteren Verlauf des Dramas .»Wir halten uns ihm gegenüber an die Tatsadi en und fragen : was ist zwisdi enden Versen 1250 und 1375 geschehen , das uns diese völlige Umwandlungerklaren könnte ?

Auf die verzweifelten Bitten der T od i ter , die in den oben zitiertenWorten (V . 1 z5o ff.) ihren Absdi luß und ihren Höhepunkt fanden , hatAgamemnon geantwortet (V. 1255 Er hat gezeigt , daß allein derTod der Iphigenie ihn selbst und die übrigen Mitglieder der Familie vor derWut des getänsdi ten Heeres retten konne . Aber nid i t Menelaos und Helenaseien es, denen man das Opfer darbringe, nein, Hellas, das Vaterland forderees von ihm und von seinem Kinde . So ist zum erstenmal das Leitmotivunseres S tüdces , die panhellenisdi e Idee , zu Iphigenie gedrungen , und zwaraus dem Munde ihres Vaters , dem s ie wie kein anderes seiner Kinder zuvertrauen gewohnt war (V . Iphigenie antwortet zunäd i st n idi t , Siekann es audi gar nidi t , denn Agamemnon hat mit dem V. 1275 die Bühneverlassen . S ie klagt zunä

dist nodi bitter um ihr verlorenes Leben ( 1283ffderVater hat s ie also no

ä iäl t überzeugt. Nun kommt aber Adi illeus undberichtet, daß das ganze Heer, daß seine eigenen Myrmidonen die Opferungverlangen , daß s ie ihn mit Steinigung bedrohen , wenn er die jungfrausd1ütze . Sdi on nahen s ie heran unter der Führung des Odysseus . Adi illeus

mit seinem Gefolge allein steht gegen die Masse , trotz seiner Heldenkraft

1) «An l . Iphig.» 1375f. : 11011 801v5

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72 EUR IPIDES

ist der Kampf sehr ungleidi , der Ausgang sehr uns idi er. jetzt sieht Iphigenie,daß der Vater redi t hat , daß nur ihr Opfertod im Lager den Brudermordverhüten und Hellas zum S ieg gegen die Barbaren fuhren könne . Und nun

siegt in ihr die panhellenisd i e Idee . Wieder und immer wieder läßt derD id i ter s ie vers id1ern, daß Sie als Retterin für das Vaterland, als Wohltäterinder Hellenen freiwillig in den Tod gehe (V. 1375if. ‚ 1386, 1397 , 1421 , 1447 ,

1473ff. , Audi dem Vater gegenüber findet sie jetzt das rechte Wort«Ungern läßt er für Gried1enland midi bluten .»

Daß s ie trotzdem mit Vers 1505ff., wo s ie unmittelbar vor dem Tode steht,noch einmal das l iebe Lidi t der Sonne grüßt und ungern sdi eidet , das istnur natürlidi und mensdi lid i . Sogar die virago, die Antigone des 3 ophokles,tut das und audi sein rauher Aias .Wenn ich so den Gang der Handlung uberblidce , sdi eint es mir ,

derD idi ter habe genügend starke Motive wirken lassen, um die S innesänderungseiner Heldin zu erklären . Hat er ihr d0di vor Augen geführt

, daß ihreRettung sehr unwahrsd i einlidi sei und daß s ie nur mit Sdiwerer Bedrohungihres Retters Achilleus , dazu ihres Vaters und ihrer ganzen Familie erkauftwerden könne

,dagegen werde ihr freiwilliger Opfertod dem Vaterlande zum

Heil und ihr selber zu unvergänglid1em Ruhme gereid 1en . Idi glaube, unser

Sch iller hat den D idi ter Euripides in diesem Punkte besser und gerechterbeurteilt , als der Kritiker Aristoteles . Sd i iller sagt «Was einige an demCharakter Iphigeniens tadeln , wäre ich sehr versud1 t dem Dichter als einenvorzüglich sdi önen Zug anzuschreiben ; diese Misd1nng von Schwädi e undStärke

,von Zaghaftigkeit und Hero ismus ist ein wahres und reizendes Ge=

mälde der Natur . Der Übergang vom einen zum andern ist sanft und

zureidi end motiviert .»

Audi A c h i l l eas endlidi erleidet eine Wandlung in seinen Anschauungen , audi er wird , als der letz te , von der panhellenisd1en Idee unseresDramas lebhaft ergriffen (V. 1405 Wenn er trotzdem auf seinem erstenEntschluß beharrt und der Heldin nodi am Opferaltare selber seine bewaffneteHilfe in Aussidi t stellt , so gesdi ieht dies nidi t , weil er mit ihrem Entschlußnidi t einverstanden wäre , es gesdi ieht vielmehr nur, damit ihr Opfertod alsein durdiaus freiwilliger ersdi eine.

Wirkungslos erweist Sidi das Leitmotiv unseres Dramas allein bei demalten Diener

,der wohl gar kein Griedi e ist , und bei K ly t ämn e s t ra.

S ie steht als Geist der Radi e neben dem Gemahl und weist von diesemlichten Stoff hinüber zu den finstern Mythen der Rüdckehr .

Äsdiylos läßt im «Agamemnon» (V. 231 ff.) Iphigenie am Altare «wieeine Ziege» gesd i lad i tet werden ; der Mund ist ihr mit einem Knebel ver=

1) «Anl . Iphig.» 1457 : öfxwv 11

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180;2) Schi l ler in den «Anmerkungen» zu seiner Übersetzung der « Iphigen ie in Aul is» .

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IV. EURIPIDES UND HOMER 73

sd1lossen ,damit s ie ihrem Hause nid i t fludi e. Euripides legt ihr , wie s ie

zum Tode sdi reitet, eine Fürbitte für den Vater und Segenswünsche für ihrVaterland in den Mund . Er hat nidi t immer den Mythos geschädigt, wenner ihn audi immer vermensdi lidi t hat .

H e kab e .

Etwa zehn jahre vor den «Troerinnen» hatte Euripides ein anderesDrama geschrieben , in dem ebenfalls die siegreichen Helden Homers dieBühne betreten , seine «Hekabe» . Hier steht der D idi ter den S iegern und

den Besiegten objektiv gegenüber. Selbstverständlid1 jubelt er nidi t mit denS iegern, nidi t das «S iegesfest» feiert er mit ihnen, wie es unser Sdi iller tut,nein, auch hier klagt er mit den Besiegten ; ihr Trauerlos und besonders dasder greisen Königin soll unser tiefstes Mitleid wedcen . Aber das geschiehtdiesmal n idi t auf Kosten der S ieger. Diese sind vielmehr durch Odysseus,durdi Talthybios und Agamemnon durdiaus würdig vertreten und würdigverläuft vor allem die Haupthandlung des ersten Teils unseres Dramas , dieOpferung der Po lyxena .

Nur ungern, gezwungen von dem zumenden Sdiatten Adi illS, besdi ließen

die Adi äer diese Tat, nur ungern und mit aller möglidi en Schonung sdi reiten

s ie zur Ausführung . Sdi ließlidi fällt jeder brutale Zwang überhaupt fort,denn würdig des Helden , dem sie Sidi am Grab e vermählen sol l , wählt dieKönigstod i ter den rühmlidi en Tod statt des sd1machvollen Lebens . Und wieherrlidi ist dann sdi ließlid i die Botenerzahlung ! Polyxena ist bis zum letztenHaudi einzig darauf bedadi t in Freiheit und in Sdi önheit zu sterben .

Ergriffen von diesem Schauspiel erhebt der Sohn Adi illS nur widerstrebendden Opferstahl und das Heer der Ad iäer bestreut die zu Boden sinkendejungfrau mit Blüten und Kränzen und preist ihr herrlidi es Todes los . Dazunimmt audi der Herold Talthybios so warmen und herz lichen Anteil , daß esseiner Beredsamkeit gelingt, den Schmerz der unglüdclid mn Mutter zu l indern .

Während in den «Troerinnen» bei allem, was die S ieger tun, nur das Roheund Brutale hervorgekehrt ist, ist hier alles in die Sphäre eines gottgewollten,unvermeidlid1en Leidens gerudct , das die Betroffenen erhebt und läutert .Friede und Große ruhen über der ganzen Darstellung.

G a n z a n d e r s a b e r i s t d e r E i n d r u ck , d e n d e r z w e i t e T e i lu n s e r e s D r am a s m a c h t . Hier wird die unmensdi lidi e Rache dargestellt,die Hekabe an dem Thrakerfürsten Polymestor nimmt . Ihr jüngster SohnPolydoros war

'

mit reid i en Sdi ätzen aus dem belagerten Troja zu dem

thrakisdi en Gastfreund gesendet worden, und dieser hatte ihn, als Troja fiel,aus Gier nadi den Sdi ätzen ermordet. Die Götter der Unterwelt entlassenden Sd iatten des Ermordeten, damit er seine Mutter Hekabe um Bestattunganflehe . Eine Dienerin findet den Leid mam und bringt ihn ihrer Herrin .

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74 EURIPIDES

Diese besdi ließt Sidi zu radi en . Durch falsdi e Botsd1aft lodct s ie den Thrakermit seinen zwei kleinen Söhnen ins Lager der Adi äer . Wie er kommt,erzählt s ie ihm , s ie habe im Zelte der gefangenen Troerfrauen einen GoldSd iatz verborgen , den s ie ihm versprid i t . Der Habgierige geht ins Netzer betritt mit seinen Söhnen das Zelt . Und nun denken wir uns einePause : tiefe Stille, bange Erwartung . Da ertönt aus dem Zelte heraus derjammerruf1 )

«Weh' mir, geblendet wird mir, ad i , das Augenlid 1t !Und aber weh' mir ! Kinder, Sd i limmen Mordes Raub ! » (M .)

Dann tritt Hekabe heraus, damonisdi in ihrem höhnenden S iegfrohlodcen,

und dann kried 1t der blinde Greis aus dem Zelte und sdi leppt die Leid i ender Kinder mit Sidi , am Eingang legt er s ie nieder und tastet Sidi vorwärts .Wo er Sdi ritte und Stimmen vernimmt , da stürz t er darauf los , um seineFeindinnen zu fangen , um sie mit der Wut des Raubtiers zu zerreißen und

Sidi an ihrem Fleisd1e zu sattigen . Soldi es droht er, d0d i ist die grausige jagdnaturlidi erfolglos . Bald erfaßt ihn Furdi t, die Leid i en seiner Söhne mödi tenihm geraubt und den Hunden vorgeworfen werden . Er tastet Sidi also zumEingang des Zeltes zurüd1 und wirft Sidi wehklagend über die teuren Leich=

name . Dann sdi reit der Blinde nad1 den Ad iäern , er sdi reit die Atreus=

Söhne herbei , s ie sollen dem Bundesgenossen zur Rache verhelfen . Aga

memnon kommt und unser Drama sd i ließt damit , daß Sidi der Heerkönig,nadi dem er beide Teile angehört hat , auf die Seite der Hekabe stellt . IhreRache ist also vollkommen, denn die Unglüdcspr0phezeiungen, die der Thrakeram Sdi luß gibt, sind nidi t imstande ihre Freude ernstlid i zu trüben .

So ungefähr verläuft unser Drama . Man e r k e n n t s o fo r t , d a ß i hmk e i n e p o l em i s c h e , m o r a l i s i e r e n d e T e n d e n z i r g e n dw e l c h e rA r t z u g r u n d e l i e g t. Homer und seine Helden werden nid i t mißhandelt,wie in den «Troerinnen», s ie werden nidi t verherrlid i t, wie in der «aulisdi enIphigenie» . Dem barbarisdi en Mythos vom Mensdi enopfer am Grabe standunser D idi ter S idi er audi damals im Innern kritisdi gegenüber , er nimmt ihnaber diesmal fast ohne alle Kritik 2) als eine Voraussetzung seines Dramas an .

Wie kommt es, daß dieses Drama, trotzdem es von jeder Mythenkritikfrei ist, d0di keinen reinen und großen Eindrudc hinterläßt? Offenbar zerfälltes in zwei Teile, in das Drama von der Opferung der Po lyxena und in dasvon der Rad1e an Polymestor . Diese D0ppelhandlung soll , wie uns sd ion

der Prolog angibt (V . 45 durch die Person der Hekabe zusammengehal tenwerden . An Stelle der Einheit der Handlung muß also hier die Einheit desInteresses treten . Das wäre nun redi t wohl möglid i , und im «Herakles» und

in den «Troerinnen» ist dies audi wirklidi der Fall . Aber im Verlauf unserer

1) «Hekabe» 1035, 1 037 : 13

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2) Im Vers 260 f. verurteilt er ihn freilidi kurz und bündig.

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Tragodie erlahmt unser Interesse fur Hekabe . Die Sd i redclidi e Tat , die siean Polymestor begeht , kostet ihr die Sympathien , die ihr der erste Teil desDramas gewonnen hat. Der D idi ter legt freilid i in der C harakterzeid mungdes Polymestor alles darauf an dies zu verhindern . Wir sollen in ihm nur

den tierisd w rohen Barbaren sehen , dem sein Redi t geschehen ist . Aber erist d0di ein Vater und liebt seine Kinder , und wie der blinde Greis amEingang zum Zelt bei den Leidi en seiner gemordeten Söhne kauert, da kannsogar der Chor der troisdi en Frauen , der immer auf seiten der Hekabe

steht, mit seinem Mitleid nid i t völlig zurüdchalten (V . 1085)

«Unseliger, wahrlidi , hartes Leid is t d ir gesdi ehn ! »Freilid i korrigiert Sidi der Chor sofort im nadi sten Vers , indem er

hinzufügt 1)«D0di Sdi noder Frevel erntet audi den Sdi l immsten Lohn,»

und spater , im Redekampf vor Agamemnon , nimmt er wieder unbedingtseine Stellung an der Seite seiner ‘ Königin . H i e r s t e h t a u c h d e rD i c h t e r , u n d w o h l a u c h d e r g r i e c h i s c h e Z u s c h a u e r , denn erwar an derartige grauenvolle Rad1etaten in den Mythen und Dramen mehrgewohnt als wir und war audi leidi ter als wir davon zu überzeugen , daßdem Barbaren nur sein Red i t geschehen sei . Kühl und sadi lid i sagt Agamemnon als Sd1 iedsrid 1ter

«Sieh', du hast dich sd mode TatZu tun erdreis tet, dulde denn aud i S d i limmen Lohn .» (M .)

Aber der moderne Leser wird kaum so urteilen . Er wird audi nodi in demrohen Barbaren den Mensdi en sehen und sein Sd i lußurteil wird wohl dahingehen , daß hier eine Sdiandtat durch eine andere gestraft worden sei . Das

ist aber gewiß keine tragisdi e Wirkung .

Unser Drama leidet also an dem grellen Kontrast seiner beiden Teile .An Sidi ist jeder ein Höhepunkt der tragisd i en Kunst , der erste in seinerstillen Größe , der zweite mit seinen grausigen Sd nedcen . Dazu bot dieserStoff unserem D id i ter die erwünsd 1te Gelegenheit die beiden Frauentypen,die er mit gleidi er Meistersdi aft gestaltet , in e i n em Drama vereint dar=

zustelle1i : die sanfte , edle , im Leiden heroisdi e Polyxena und die wilde,dämonisd1e Hekabe. Hier liegt aber audi die Gefahr dieses Dramenstoffes .

je besser es dem Dichter gelang in jedem der beiden Teile den redi ten Tonzu treffen, hier den stillen Frieden darzustellen und dort die teuflisdi e Wild=

heit, desto weniger war es möglidi , daß Sidi die beiden Teilstüdce zu einemharmonisd i en Ganzen zusammenfügten .

1) «Hekabe» 1085f. : 83 001 860cpop

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01i0x p8 851118 1 811 11 €p.101 .9) «Hekabe» 1 250 f. : 6170? 1 8 118 11 8718

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76 EURIPIDES

A n d r o m a c h e .

Unbefriedigend, wie die «Hekabe», wirkt aud i die «Andromad ie» . Audihier haben wir eine D0ppelhandlung , die Sidi nid i t redi t zusammensdfl ießenwill , d a z u w i r d d i e s e s S t ü c k a b e r a u c h n o c h v o n v e rs c h i e d e n e n L e i tmo t i v e n d u r c h k r e u z t , der Denker fällt fortwährenddem Dichter ins Wort und läßt diesen und die Zusdi auer nid i t zur Ruhekommen .

Zunad15t gilt es die Absidi t d e s D i c h t e r s aufzusudi en . Er zeigtSie uns wieder, wie in der Regel, sdi on im Prolog .

« Idi b in Andromadi e, neidenswert wohl ehedem,

Dod1 heut' gewiß der Frauen jammerseligste.» (M .)

Mit diesen Worten stellt Sid i uns die Titelheldin des Dramas vor Wie inder «Hekabe», so will der Didi ter aud i hier eine der «jammerseligstem»

Frauen Homers auf die Bühne bringen . Das sed i ste Buch der Il ias hat's ihmangetan . Was der sdi eidende Hektor dort Sd iweres für Andromad i e fürd1tet,

das so l l uns hier über alles Ahnen sdi recklidi als Wirklid ikeit vor Augentreten Freilid i kommt diese poetisdi e Abs idi t nidi t rein zur Ausführung

,

denn s ie wird fortwährend durch e i n s o z i a l e s und durch e i n p o l i =t i s c h e s und sdi ließlid i nodi durch e i n r e l i g i ö s e s N e b e nmo t i v ge:stört , und diese Nebenmotive werden dem D idi ter immer wid1tiger undüberwudi ern die Poesie .

Ne0ptolemos hat eine reidi e Frau genommen und mit ihr ist alles Un=

glud& in sein Haus eingezogen . Wie Ibsen warnt Euripides nun wieder undimmer wieder vor der «Kaufehe» .

Das zweite Nebenmotiv ist ein politisdi es : unser Drama, das am Anfangdes pel0ponnes isd1en Krieges entstand, ist von Haß gegen Sparta erfüllt undgegen alles , was aus dem Peloponnes kommt. Diese zwei Nebenmotivetragen die Sdi uld, daß in den drei Redekampfen unseres Dramas die RhetorikSid i nngebührlid1 breit madi t‚ s ie veranlassen den D id i ter aus seinen Personenheraus immer wieder zum Publikum zu reden . ImVerlauf des S tüdces über:

wndi ern diese Nebenmotive immer mehr . Vom Vers 735 an versdiwindet

Andromadi e für immer von der Bühne und es beginnt nun eine ganz neueHandlung : Hermione sol l durch Orestes entführt werden und Neoptolemos

wird in Delphi ermordet. Und nun kommt zum Sdi luß nodi ein neuesInteresse verwirrend hinzu, das den Didi ter mädi tig erregt, nämlid i die Kritikder Götterhandlung unseres Dramas . Daß Ne0ptolemos, der Sidi in Delphi

1

) «Androm.» 5f. : {191811 8g°

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56 1 1; 817017; 81101 uxe01 81 q 7uvfi.

2) Die Verse 1 1 1 ff. , 164 ff. ‚ 402 , 522 ff. erinnern durch ihren Wortlaut oder durch die.

Situation an das sed i ste Buch der I l ias .

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78 EURIPIDES

beiden Befreier ausgehen , hier des Menelaos und dort des Orestes . Nunergibt Sidi für unser Drama folgende Handlung : «Auf der Rüdckehr vonTroja irrt ein Held lange umher , von einer zurnenden Gottheit verfolgt.Unterdessen ist die verlassene Gattin in Sdiwerer Not , denn s ie wird zu

neuem Ehebund gedrängt. Endlidi gewahren gnadige Götter Wiedersehenund Rettung . Der Held nimmt Rache an den Bedrängern seiner Gemahlin,eine geneigte Gottheit vermittelt die Versohnung und gibt ihm eine gnädigeProphezeiung über das Ende seiner Tage .» Wo bleibt jetzt Orestes und

die taurische Iphigenie » ? jedermann sieht , daß jetzt alle Ähnlidikeit ge=Sd iwunden ist , jedermann sieht aber aud i , daß unsere zweite Inhaltsangabezugleidi die der Odyssee ist . I c h d e n k e , a u c h E u r i p i d e s h a t d a sg e s e h e n . Da nun unser Drama voll S ituationskomik ist und da die auftretenden Personen mit e i n e r wohl überlegten Ausnahme alle als Komödien=figuren gezeid met sind , so muß man wohl daraus sd1 1ießen, daß der D idi terhier gar kein ernstes Drama habe sd1affen wollen . Der erste Teil ist viel:mehr eine Parodie der «Odyssee», der zweite eine sold i e der « taurisdi en

Iphigenie» . Das will man nun zumeist nidi t einsehen , und dann ist unserS tüdc freilidi eine red i t verwunderlidi e Mißbildung . Klein ( l . c. p . 461) nenntes unter dieser Voraussetzung «das erste ernsthaft gemeinte , phantastisdi eDrama» . Er sagt : «Die poetisdi e Sd iwädi e der Konzeption wird nod i be=denklidi er d u r c h d i e A b s i c h t s l o s i g k e i t d e s D i c h t e r s , d e r u n :b e w u ß t p h a n t a s t i s c h i s t .»Wir wo llen uns das Drama auf seine komischen Bestandteile hin genauer

ansehen . Die Frage , ob soviel Komik «unbewußt» hineinkommen konnte,wird Sidi dann wohl von selber erledigen

l).

Das Leitmotiv unseres Dramas finden wir im Prolog . Helena stellt Sid iuns hier als das Muster einer getreuen Gattin vor. S ie ist keineswegs mitParis nadi Troja entflohen , Hera hat vielmehr aus Ather ein Trugbild geSd iafien, ihr täusdi end ähnlid i , diese Pseudohelena hat Paris geraubt und um

dies Trugbild ist der Krieg entbrannt . Die wahre Helena aber wurde durchdie Lüfte zum König Proteus nadi Ägypten gebrad i t , der s ie in treue Hutnahm. Nun ist Proteus tot, sein Sohn Theoklymenos aber will sie zur Ehezwingen . Dod1 will s ie l ieber sterben (V . als ihremMenelaos die Treuebredi en . Das ist in der Tat « eine neue Helena», eine 11 011v1

q‘E7cév1q, wie

s ie Aristophanes in der Parodie unseres Dramas spottend nennt DerWunsd i die von ihm so oftGesdimähte einmal in dieser ganz neuen Gestaltauf die Bühne zu bringen, als einen Spiegel weiblidi er Tugend, als eine zweite

1

) Für diese Auffassung unseres Dramas ist mirVerrall maßgebend : Essays on four playsof Euripides, 1905. Die Parallele zur Odyssee habe idi in einer Abhandlung im Phi lologus(N . F. 2 1 , p . 202 — 237) des näheren auseinandergesetzt, deren Resultate im folgenden wieder=gegeben werden .

2

) Aristophanes, Thesmoph. 850 : 1 87 110111181)'

E715'

q 11 111 160011 8 1.

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IV. EURIPIDES UND HOMER 79

Penelope , gab wohl unserem D idi ter den ersten Anreiz zu seinem Drama .

Die C harakterzeid mung seiner neuen Helena führte ihn nun zu Homer. Ist

sie eine zweite Penelope , die , von einem hartnädcigen Freier bedrängt, demGatten die Treue wahrt , so kommt Menelaos als der Befreier der Gattinin die S ituation des Odysseus . Und als soldi er stellt er Sidi uns nun vor,

zu Beginn des zweiten Aktes . Helena ist mit dem Chor gefangener Gried 1en=

frauen in den Palast gegangen , um die Sdiwester des Königs,die Seherin

Theonoe zu befragen , ob Menelaos nod i lebe oder nidi t . So ist die Szenefür einen zweiten Prolog frei geworden , und dieser ist für unser Drama so

nötig wie der erste . Hat uns der eine die neue Helena gezeigt, so zeigt uns

der andere den neuen Menelaos . Als ein armer Sd i iffbrüdi iger tritt er auf,in Bett lerlumpen gehüllt. Das letzte Sdi iff hat ihm der Sturm an der KüsteÄgyptens zersd i ellt‚ mit der vermeintlid1 en Gattin, dem Trugbild, hat er Sid iauf dem Kiel des Sd i iffes reitend ans Land gerettet. Er hat diese Pseudo=helena bei den Gefährten in einer Höhl e am Strande zurudrgelassen und istauf Kundsd mft ausgegangen . Kennt er d0d i nidi t einmal den Namen desLandes , in dem er Sidi befindet . Diese S ituation erinnert an die Odyssee,aber nidi t an die Rückkehr des Menelaos, wie sie uns dort im vierten Gesangerzählt wird , sondern am besten passen im zehnten Gesang die Verse 145

und 275, wo Odysseus auf der Insel der Kirke allein auf Kundsd1aft ausgeht . Freilid i geht es unseremMenelaos nun nidi t so gut wie dem Odysseus .Er begegnet keiner sdi önlodcigen Kirke , keine Kalypso oder Nausikaaempfängt ihn . Er klopft an die Pforten des Königspalastes und ein altesWeib tut ihm auf, Sdi eudi t ihn fort als einen lästigen Bettler und droht ihmdamit, daß der König jeden Griedi en töte . S ie ballt sogar die Fäuste gegenihn und stoßt ihn fort . Im .Grunde freilidi meint Sie

's nidi t so Sdi limm ‚ ist

s ie d0di im Herzen den Griedi en gewogen und führt nur im Dienste ihresHerrn so grimmige Reden . So läßt s ie Sidi denn Sdi ließlidi audi in ein Ge:sprädi mit ihm ein und sagt ihm , wie das Land heiße und daß der Königalle Gried ien tote, seitdem Helena in seinem Hause weile . Die Todi ter desZeus, die Tyndaridin, sei aus Lacedaemon gekommen, nodi ehe die Griedi ennad 1 Troja zogen . Nad 1dem Menelaos das alles durch hartnädciges Fragenaus ihr herausgebradi t hat, Sdi lägt sie ihm die Türe vor der Nase zu. DerHeld denkt über das Gehorte nadi und ist zunädi st natürlidi aufs hod15teerstaunt . Sein erster Gedanke ist zwar , Helena könne aus der Grotte , inder er s ie geborgen hat, inzwisdi en geraubt worden sein ; aber die Alte hatihm ja ausdrüdclidi vers idi ert , Helena sei sd i on viele jahre im Palaste , s ie

sei ins Land gekommen, nodi ehe die Griedi en nad1 Troja zogen . Da meinter nun , es könne ja nod i eine andere Helena geben , die Tod i ter einesÄgypters namens Zeus audi die Namen Sparta , Tyndareos , Lacedaemon,Troja könnten sonst nodi vorkommen und in Ägypten könnten mit diesenNamen andere Mensdi en , andere Länder und Städte bezeid met werden als

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80 EURIPIDES

in Hellas . Dabei beruhigt er Sidi und sdi ließt sogar seine Betradi tung mitden Worten : «Das ist nidi ts Befremdendes » l ).Für den Verstand unseres Helden ist dieses Räsonnement aber d0d i sehr

befremdend . So etwas kann man d0di nid i t mehr ernst nehmen hier liegtd0d i offenbar die Abs idi t des D idi ters vor, ein Zerrbild des listenreidi en undvielgewandten Odysseus zu sd1affen .

Nad1dem Menelaos auf diese absonderlid1e Weise seinen Verstand be=

sd 1wid1tigt hat, gerät er ins Renommieren, was er überhaupt gern tut. ‚

Sd i on

in den Versen 392 ff. hat er Sidi uns als Anführer des gesamten Gried i enheeres und als Zerstorer Ilions dargestellt , und im Vers 453 hat er Sidi deralten Türhuterin gegenüber den Anführer gewaltiger Heeresmassen genannt,was Odysseus in uns idi erer Lage bekanntlidi immer vermieden hat : er wardann der Herr Utis oder er war aus Kreta. Nunmehr besdi ließt Menelaos,

trotz der Warnungen der Türhüterin , vor dem Palaste zu bleiben und dieAnkunft des Königs zu erwarten . Stolz sagt er z)

«Audi treibt der Dienerin Sdi impferei mich nidi t zur Flud1t .

Denn so barbarisd i ist wohl n iemand, daß er mir,Vernimmt er meinen Namen, Nahrung weigerte.Berühmt ist Trojas Feuer, und ich, der's angefad1 t,Menelaos, bin in keinem Erdtei l unbekannt.» (M .)

Die beiden letzten Verse erinnern an die stolzen Worte , die Odysseusbeim Alkinoos spridi t

« Idi bin Odysseus, Laertes Sohn, durch mandi erlei KlugheitUnter den Mensd ien bekannt, und mein Ruhm erreidi et den Himmel .» (V.)

Aber was für eine Folgerung zieht Menelaos aus seinem herrlid i en

S iegesruhm«So barbarisdi ist wohl n iemand, daß er mir,Vernimmt er meinen Namen, Nahrung weigerte.»

Audi hier ist die Parodie mit Händen zu greifen . Der Zerstorer Trojashat ein Bettelprivilegium in der ganzen Welt ! Nun ist ja zuzugeben : audiOdysseus kommt in die äußerste Not, wie unserMenelaos hier. Aber wiewürdig ist der gött lid1e Dulder in seinem Leid ! Mit königlid1em Anstandträgt er seine Bettlerlumpen, während hier bei Menelaos alles ins Platte undins Renommistisd m transponiert ist.

«Helena» 499 : 0888» 0811

«Helena» 500 ff. : 088°

018 1 8 851v87 1 10001167101)

80180 780 088511: 585 (38080100; (00511010,

31; 811106001; 1 08081) 08 803051 (300811.

117151118» 1 8 T00i01; 1180 8716 8°

31; 54101 vw,

M5vé710101; 0811 871101 01 0; äv x8ovi.

Homer 1 19 f. : 5°

l0.° °

08000581; A01501 10’

18170, 35 11 801 86710101»

&v8006710101 11016 050 117150; 080011181) 8151.

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IV. EURIPIDES UND HOMER

So sind die beiden Gatten dem Heldenpaar in der Odyssee nad 1=

gebildet . Aber die Huldigung, die der Didi ter ihnen hier zuteil werden läßt,ist wohl die Sdi limmste Mißhandlung, die er je mit ihnen vorgenommen hat.Denn beide sind s ie als Karikaturen gezeid met, besonders Sdi limmMenelaos,

der eine reidi lid i e Portion von Dummheit und Renommisterei auf seine Heldenlaufbahn mitbekommen hat .Mit dem Vers 520 beginnt der dritte Akt unseres Dramas . Der Chor

tritt wieder heraus aus dem Palaste , bald darauf kommt audi Helena . DieSeherin hat ihr verkündet, Menelaos sei nodi am Leben und weile ganz naheder Gattin irgendwo im Ägypterlande . In der Odyssee ( 17, 15o ff.) sagt derSeher Theoklymenos der Penelope , daß Odysseus sdi on in den Fluren derHeimat weile , und audi sonst wird dort die nahe bevorstehende oder diesd ion erfolgte Ankunft des Dulders durch Vorhersagungen mandi erlei Artverkündet .Wie Helena Sidi nun umwendet und den Sdi iffbrudi igen in seinen

Bettlerlumpen vor Sidi stehen sieht , hält s ie ihn fur einen Räuber und fliehtentsetzt zu dem Sd iützenden Grabmal des Proteus . Aber aud i Menelaos

is t natürlid i durch ihren Anblidt aufs hödi ste uberrasd1 t . Helena bemerkt zwarbald

‚ ihren Irrtum und will den wiedergefundenen Gemahl umarmen , dieserjedodi weid 1t nun ebenfalls entsetzt zurüd1 , denn er hält s ie für ein Gespenst,das ihm Hekajfe sende . Ist er d0di naturgemäß von der Edi theit d e r Helenaüberzeugt , mit der er nunmehr sd ion sieben jahre umhergeirrt ist und dieer bei den Gefährten in der Grotte zürüd<gelassen hat. Sdi on wendet erSidi trotz der innigen Bitten seiner Gemahlin zum Gehen , da kommt einerder Gefährten aus der Grotte und erzählt , das Wesen , das man bisher fürHelena gehalten , habe sich selber für ein von Hera gesdiaffenes Trugbilderklärt und sei zum Himmel emporgeflogen . In seinem Eifer hat der Botezunäd i st nur den Menelaos gesehen

,jetzt sieht er die Helena neben ihm

und sofort widerruft er seine Botsdiaft‚denn er glaubt , er habe wieder das

Trugbild vor Sid i . Er begrüßt s ie daher mit den Wortenl) :

«Hei l dir, du Todi ter Ledas, also wars t du h ier,Und ich verkünde, daß du didi zu Stemenhöh

'

n

Emporsd 1wingst ich Unwissender auf Fittigen

Den Körper hebend.» (M.)

Menelaos ist jetzt naturlidi von seinen Zweifeln geheilt, und frohbewegt

Sdi ließen Sidi die beiden Gatten in die Arme . D0d i nidi t lange können s ie

Sidi der Freude des Wiedersehens hingeben,kann d0di der König jeden

Augenblidc von der jagd zurüdckehren . Es gilt also eine List zu ersinnen .

1) «Helena» 616 ff. : 13 701105, Af7801g 8157011 50, äv888

°

808°8001 ;

870 86 0°

810 ßeßnx u‘

i'

owuuxobc;

1777757010» 5i8181; 0888» di e; 13

116711 5001)

860101; (0000800.

S t e i g e r , Euripides.

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82 EUR IPIDES

Da ihnen zunä di st keine einfällt, findet Menelaos Trost in der Wahrnehmung,daß Helena Sid i bereit erklärt lieber mit ihm vereint zu sterben , als denÄgypter zu heiraten .

Wieland ist von unserer Stelle sehr ergriffen , er «Wenn dieS diauspieler das sind und leisten, was s ie sein und leisten s o l l e n , (1. i . wenns ie Ausdrudc stiller Größe, Gefühl und Energie ganz in ihrer Madi t habenum so erhab ene Naturen aus der griedi isdi en Halbgötterzeit , w1e Menelaos

und Helena, würdig darzustellen und auszuspred mn, so müssen diese wenigenVerse eine Wirkung auf die Zusdiauer tun, wie vielleid i t keine andere Stellein irgend einer Tragödie, die ich kenne .»

So urteilt Wieland , denn der Selbstmord aus Liebe hat fur ihn etwasRuhrendes . Ganz anders aber dadi ten und empfanden Euripides und seineAthener . Im Selbstmord sieht unser Did i ter Feigheit oder Krankheit . Inseinem Drama : «Der Mütter Bittgang» stürzt Sidi Euadne auf den d iter=haufen herunter , auf dem die Leid1e ihres Gatten verbrannt wird , umso im Tode wieder mit ihm vereint zu werden . Diese Tat hero isd1erLiebe verurteilt der Chor des Dramas und mit ihm der Didi ter mit

sdiarfen Worten (V . 1072 Ebenso denkt bekanntlich Sophokles inseiner «Antigone» über den Selbstmord des Haimon . Der antike Zusd iauernahm also diese Helena, die fortwährend zum Sterben bereit sdi eint (V. 56 ,

293, 353 ff. 836 nidi t ernst er sah hier nid i t mit Wieland «stille Größe,Gefühl und Energie», sondern falsd i es Pathos und Überspanntheit . DieseHelena war für ihn eine pathologisdi e Persönlidikeit , eine Parodie der «verständigen» Penel0peia.

D a z u k omm t n o ch , d a ß d i e R o l l e , d i e M e n e lao s b e i d i e s emWi e d e r s e h e n s p i e l t , u n b e d i n g t k om i s c h w i r k t. Zehn jahre langhat er um das Trugbild gekämpft, sieben jahre lang ist er dann mit ihm aufIrrfahrten umhergezogen . Er hat das Original nie vermißt . Wozu brandi ter es wiederzufinden ? Dieses Glüd{ sdiafft ihm d0di nur Ungelegenheiten .

Und sd i ließlid i bedenke man nod i , daß die widi tigs te Voraussetzungdieser Wiedererkennungsszene und unserer ganzen «Tragödie» das Mo t i vd e r D o p p e l g ä n g e r i n ist . Dreimal ergeben Sidi aus diesem Motivkomisdi e S ituationen . Zunädi st wird Teukros, der am Anfang des Dramasauftritt , das Opfer dieser Ähnlid ikeit . Seine Wut beim ersten Anblidc derHelena , und dann seine höflid 1e Entsd1uldigung , daß er Sidi geirrt hab e(V . 71 das mußte d0di komisdi wirken , und ebenso seine Absd 1iedsworte (V . 158 Man hat das Auftreten des Teukros eine unnötigeEpisode genannt

,aber er leistet dem Did i ter den wid i tigen Dienst den Witz

mit dem Trugbild vorzubereiten . jetzt wird dieser Witz bei Menelaos gut

1

) Wieland, Grundriß und Beurteilung der Helena des Eurip ides, im «Neuen attisdi enMuseum»

, 1 808, p . 45.

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und zum drittenmal , bei dem Boten , durdi sdi lagend wirken . So ldi e Dingekönnen in der Komödie nidi t oft genug vorkommen . In die Tragödiepassen s ie freilidi überhaupt nid i t . Idi denke , das hat Euripides audigewußt . Er did i tete aber keine Palinodie , wie S tes id10ros , sondern eineParodie .Wir verfolgen nunmehr den weiteren Verlauf der Handlung unseres

Dramas . Die beiden Gatten sind also entsdi lossen im Sd i limmsten Fallevereint zu sterben . Helena wirft nodi die Frage auf1)

«Wie aber s terben wir, daß Ruhm der Tod uns bringt?»DasWie ? ist ihr also audi bei diesem letzten Sdi ritt offenbar die Haupt

sad1 e, hat sie ja audi Sdi on im Vers 298 dem Chor gegenüber geäußert 2) °

«Am besten ist's, ich sterbe ; d o c h w i e s t e r b i c h s c h ö n ?»Wahrend Menelaos auf diese Frage eine sehr wurdevolle Antwort er=

teilt , öffnen Sid i plötzlid1 die Pforten des Palastes und Theonoe tritt heraus,von Dienerinnen mit Fad1 eln geleitet . Die Seherin weiß , daß Menelaos

gekommen ist , und verkündet ihm, daß seinetwegen nodi an diesem Tageunter dem Vorsitz des Zeus eine Götterversammlung stattfinden werde .Hera , die ihn bisher verfolgte , sei ihm jetzt günstig gesinnt und wolleihn nadi Sparta zurüdrkehren lassen , damit man in ganz Hellas der Kypriszur Sdimadi die Gesdi idi te von dem Trugbild erfahre . Dagegen wolle jetztKypris seine Rudckehr vereiteln . Er sei nun in die Hand der Theonoegegeben . S ie könne ihn durch ihr Sdiweigen retten oder könne seineAnkunft dem Bruder melden, dann müsse er nodi vor der Götterversammlungs terben .

Der ganze Gotterapparat, der Sidi sonst i n d i e s e r F 0 rm bei Euripidesnidi t findet , ist offenbar der Odyssee entnommen . Der Did i ter hatte ihnzunädi st für die Vorgesdi idi te seines Dramas nötig , für die Ersd1adung desTrugbildes , und dann audi wieder für das Versd1winden desselben . Dieweitere Handlung aber , die Rettung aus dem Ägypterlande , sollte ohnedas Eingreifen der Gotter durch die Überlistung des verliebten Königserfolgen .

DasWidi tigste ist also zunä di st fur die beiden Gatten, die Seherin fürihre Rettung zu gewinnen . An s ie wendet Sidi Helena mit rührender Bitteund Menelaos mit reid i lidi viel Sd iwulst und Bombast . So hat audi unserS tüdc seinen Redekampf, seinen 716710v 6170

iv (V . 857 wie es Sidi füreine Tragödie ja nid i t anders gehört. Denn die Formen der Tragödie willEuripides bei diesem lustigen Spiel durdiaus wahren . Daher hat er audidie Person der göttlidi en Seherin Theono '

e'

so würdig gehalten . jemandmußte d0di da sein, den man eine Zeitlang ernst nehmen konnte, ein Gegen :

«Helena» 84 1 : NT); 0811 6601 5 1 1 031 866011) 71018581 ;9

) «Helena» 298 : 80’

1vo1p1°

87 08» 110171650;

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gewidi t mußte angebrad1t werden, sonst ware die Posse zu offenbar gewesen,wenn an die komisd1en Verwed i slungen der Erkennungsszene Sidi die über:mütige Überlistungsszene unmittelbar angesd flossen hätte . Hier die Szeneder Furbitte vor Theonoä ist ein Ruhepunkt in den Verwiddungen undWirrungen der Handlung, daher hat sie der Didi ter aud i gar nidi t oder nurganz leidi t parodiert . Man könnte s ie in jede ernst gemeinte Tragödiehinübernehmen‚ denn ob die h0d i tönenden Reden des Menelaos das erlaubteMaß übersteigen oder n id i t , darüber wird man Sidi Sdiwer einigen können .

Es geht aber n idi t an wegen dieser würdevollen Szene nun das ganzeDrama als eine Tragödie zu betradi ten . Gerade so , wie sie ist , dient s ieja aud i dem Zwedr der Parodie . Shakespeare mad1t's nid i t selten ebenso . Erhat in der Tragödie seine Narrenszenen und in der Komödie seine ernstenBetrad1tungen. Über den letzteren Punkt sagt Alois Brandl bei einer Be:spred1ung der «Komödie der « Indes hat Shakespeare hier nidi t

versäumt einige Herzenstöne anzuklingen , damit der Zusd iauer den tollenVerwidclungen d0d i audi mit einem Gemüts interesse folge eine alte

,

praktisd1 e Theaterregel .»

Der Redekampf endet damit , daß Theonoe ihr hilfreidi es S tillSd1weigenverspridi t . S ie geht in den Palast , die beiden Gatten aber setzen ihreBeratung fort . Menelaos versetzt uns zunädi st durch die zwei merkwürdigenVorsd11äge, die er mad i t, in geredi tes Erstaunen . Er will auf einem Vier=gespann entfl iehen , und als Helena damit nidi t einverstanden sd ieint , Sd i lägt

er vor, den König im Palaste zu ermorden . Helena weist ihn sofort daraufhin , daß Theonoe unmöglid i zu diesem Vorhaben Sdiweigen werde . S ieselber weiß nun besseren Rat. S ie will dem Könige sagen, ihr Gatte sei durchS di iffbrud i umgekommen . Als der einz ige , der diesen Sdi iffe di überlebte,soll Menelaos die Nadi ridi t von seinem Tode überbringen

, und Helenawill den König bitten ihr ein Sdi iff auszurüsten , damit s ie dem im Meereruhenden Gatten zu Ehren Gräbersd1mudc ins Meer versenken konne . Mitdiesem Sd i iff und mit den in der Grotte geborgenen Gefährten sol l danndie Fludi t gewagt werden .

Daß die Frau den listigen Plan ersinnt, ist naturlid1 keineswegs auffällig ,daß der Mann aber so wie hier als der Dumme dabeisteht und Sid i mitseinen Vorsd11ägen einfadi blamiert , das wäre nidi t nötig und ist audi inder parallelen Szene der «taurisd i en Iphigenie» (V. 1017

— 1055) durdiaus

nid i t der Fall, wo Orestes als der Prüfende und Entsd1 eidende eine würdigeRo lle spielt. Hier so ll eben wieder der « listenreid1e» Odysseus parodiertwerden .

Nad1dem so der Plan in seinen Einzelheiten festgesetz t is t, geht Helena

1

) Alois Brandl, Shakespeare, Berl. 1 894, p . 46.

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kann . Wir freuen uns daher von Anfang an des ubermütigen ,witz igen

Spiels, das die beiden Griedi en hier mit dem töridi ten , verliebten Theo=

klymenos aufführen . Ganz besonders hatten natürlidi der D idi ter und s einPublikum daran ihre helle Freude , daher hat Euripides diese Szene audimit besonderer Vorliebe ins Detail hinein ausgearbeitet . In der «taurisdi en

Iphigenie» umfaßt s ie 80 Verse, hier 166.

Unser S tüd( endet mit der Botenerzä hlung von der gelungenen Fludi tund mit der Götterersd1einung. Der Did i ter eilt zum Sd i luß, und um

,diesen

möglidi st sd1 nell zu erreid i en , madi t er mit der Parallele zwisd ien Menelaos

und Odysseus , die er bisher nur zum Zweck der Parodie aufgestellt hatte,nunmehr vollen Ernst . Menelaos wütet unter der ägyptisd1en Bemannungdes Sd i iffes , wie Odysseus unter den Freiern : alle bis auf den Boten desUnglüdcs, so sdi eint es, fallen s ie seinem Grimm zum Opfer. Was sol l amS di luß unseres sentimental verl iebten , graziös witz igen Intrigum stüd<s diessd1 redd id m Blutbad? Auf die «taurisd1e Iphigenie» kann man n idi t hin=weisen

,denn die Rudckehr aus dem Taurerlande erfolgt , ohne daß ein

Mensd mnleben vernidi tet wird . Hier dagegen waltet der dustere Geist des22. Gesanges der Odyssee , des «Freiermordes » . Freilidi darf man audidiese Lösung nidi t ernst nehmen . Wenn das Studt aus sein soll , Sd i lägt

Kasperle eben den Tod , den Teufel und den Polizeid iener mit seinerPritsd i e tot .

Theoklymenos ist naturlid i emport daruber, daß ihm die Sdiwester, dieSeherin

,die Ankunft des Menelaos versdiwiegen hat. An ihr will er Rache

nehmen . Da ersd i einen als dii ex maduna die Dioskuren und verbieten ihmdas und verkünden zum allerletzten Sd i luß die weiteren Sd1 id( $ä l€ dergeretteten Gatten . Helena soll nad1 ihrem Tode unter die Himmlisd1en aufgenommen werden und Menelaos wird auf die Insel der Seligen entrüdct .

Bei Homer gibt Proteus , der untruglid1e Meergreis , dem Menelaos dieselbeProphezeiung über das Ende seiner Tage und motiviert diesen Götterbesd 1lußmit den Worten

«Weil du die Helena hast, und Zeus didi ehret als Eidam.» (V.)

Bei Euripides sagt der deus ex mad1 ina : 2)« Ihm aber, dem Menelaus, der umhergeirrt,Gibt Götterhuld im Inselland der SeligenWohnung : den Edeln grol len ja die Götter nid i t,Nur für gemeine Seelen ist das Ungemadi .» (M .)

Es ist beide Male dieselbe Motivierung , was aber bei Homer harm

Homer 8 569 : °

5'

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El évn» 11 016 0101» A16; äcct‚

2

) «Helena» 1676ff. : 118 1 1 133 M5»5'

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IV. EURIPIDES UND HOMER 87

los gesagt und gemeint ist, das ist hier gallenbitter und «mit unverkennbaremHohn» gesagt Der D idi ter fürdi tet wohl, es könne einer seinen Menelaos

sd i ließlidi wirklid i für einen Helden halten, weil er die Ägypter totgesd11agenhat ; daher gibt er ihm nodi zum Sd i luß, bevor er ihn entläßt, einen S treidimit der Narrenpritsd 1e .

Wir sind mit der Betradi tung der Charaktere und der Handlung unseresDramas zu Ende . Kann man nun wirklid i annehmen

,daß Euripides diese

LustSpielfiguren und diese komisd1 en S ituationen alle «unbewußt» geschaffenhabe ? So viel Harmlosigkeit kann ich ihm n id i t zutrauen . I ch d e n k ev i e lm e h r , e r w o l l t e h i e r e i n e K om ö d i e s c h r e i b e n , e i n e my t h o =

l o g i s ch e P a r o d i e . Und das lag ihm audi gar nid i t ferne . Führt d0didie Art , wie er didi tete , unter Umständen ganz von selber zur Komödie .Wie wir gesehen haben , stellt er die Helden der Sage mehr oder wenigerals moderne Mensdi en seiner Zeit dar . Diese «Wirkliö keitsmensd1 en» voll

führen aber die gewaltigen Taten und erleiden die Sdiweren Sdi icksale derHeroen des Mythos . Den Kontrast , der hier vorliegt , kann man nun mitHumor oder mit s ittlidi er Entrüstung wahrnehmen . Unser D idi ter tutzumeist das letztere, daher seine Po lemik gegen Götter und Helden, sein «Ent=

rüstungs idealismus » . Ganz anders l iegt nun aber der Fall, wenn das Pathosder Moralkritik wegfällt . Dann kann derselbe Kontrast zwisd i en den kleinenMensd i en und ihren großen Sdi idcsalen audi zur Komödie führen . DiesemZiel war unser Didi ter , wie wir nodi sehen werden , im «Ion» ,

den manmit z iemlid ier S idi erheit vor der «Hele’na» ansetzen kann , Sdi on red i t nahegekommen . Aber audi dahatte ihn sein «Entrüstungs idealismus » gezwungen,diesen guten Lustspielstoff moralisdi aufzufassen und zu einer ingrimmigenPolemik gegen den delphisd i en Gott zu gestalten . In unserem Dramadagegen ist es ihm nadi meinem Empfinden gelungen alles Nadi denklidi eund Moralisd1e fernzuhalten und so zeigt er uns hier mit Sd i erz und Lad1 en,was er sonst immer mit Pathos und Entrüstung zeigt , daß die HeldenHomers eben audi nur Sdiwadi e Mensd i en gewesen sind .

Vielleidi t hatte der Did i ter seine «Helena» , für die uns als jahr derersten Aufführung 412 v . Chr. überliefert ist , dazu bestimmt als viertesStück der Tetralogie an Stelle des Satyrdramas aufgefuhrt zu werden , wieuns dies von seiner «Alkestis» berid i tet wird . Freilidi haben wir darüberkeinerlei Nad i rid i t. Wie dem nun aud i sei , jedenfalls sol lte man diesesliebenswürdige und heitere Drama als eine gelungene Parodie lesen und midi rals eine mißlungene Tragödie .

So urteil t audi Rohde, Psyd15, p . 542, Anm. 3.

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88 EUR IPIDES

De r C ykl o p .

Im «C yklopen», dem einz igen völlig erhaltenen Satyrdrama der grie=

d 1isdi en Literatur, dramatisierte Euripides den neunten Gesang der Odyssee .Von einigen Änderungen abgesehen , die für die dramatisd i e Form nötigwaren, hält er Sidi genau an das homerisdi e Vorbild. Durch den Chor derSatyrn und durch den alten S ilen wird die Handlung reidi er gestaltet undmand i e komisdi e Szene und mandi er derbe Spaß wird dadurdi ermöglid n.

Die Gestalt des Odysseus ist natürlidi eine Parodie auf den göttlidi en DulderHomers, d0d i ist hier die Parodie kaum so stark, wie etwa die des Menelaos in der eben besprod1enen «Helena» . Die besondere Abs id i t, die unserD idi ter mit seinem Satyrdrama verfolgte , zeigt Sidi uns also n idi t in derGestaltung des Odysseus , w i r h a b e n s i e v i e lm e h r b e im P o l y p h emz u s u ch e n .

Bei Homer erblidct der Riese die Fremden in seiner Hohle und fragts ie nadi ihrer Herkunft. Odysseus antwortet ihm, sie seien Adi äer , aufder Heimfahrt von Troja vom Sturm versd1lagen , und besdiwört ihn beid en Göttern das Gastred1t zu ehren . Darauf erwidert

«Weither bis t du gekommen, 0 Fremdling, oder ein Tor wohl,Daß du mid i Götter zu sd1euen ermahns t und Götter zu meiden .

Denn d ie C ykl0pen bekümmern S idi n idi ts um den Donnerer drohen,

Nidi tS um d ie sel igen Götter ; d e n n w i r s i n d s t ä r k e r um v i e l e s .» (Donner .)

Bei Euripides antwortet d er C yklop auf dieselben Ermahnungen an derparallelen S telle zz)

«Reid i tum, du Mensd flein, Reid1 tum is t der Mensd ien Gott ,Das andere Dunst und eitel Wortgeb i lde nur.

» (Donner.)Fur einen Riesen ist die Berufung auf seine Starke , wie es bei Homer geS d i ieht‚ das Natürlid ie. Euripides aber versetzt den Vorgang audi bei diesemDrama wieder in seine Zeit

, und nun ist seine Änderung völlig bered i tigt,denn für seine Zeit wie für die unsere galt das Wort : «Wenn ich sedi sHengste nähren kann

,sind ihre Kräfte nidi t die meinen ?» Der wahre Riese

war damals und ist heute das Geld. Der Geldmensd1 ist der wahre Über:

mensdi,er ist der wahre Mensd mnfresser : wenn ihn die Lust treibt , läßt

er die Autohupe ertönen und jagt staubaufwirbelnd und toddrohend aufSdimaler Landstraße einher .

Homer 1 273 ff. : eig, 83 ir) 1 191685» 5371737100801;35 05 85085 116715011. 8518815»

331 8171150108011“

08 780 K611710)7151; A181: 871670001»

0888 71 0718 eine».

3

) «Kyklops» 316 f. : 6 7171081 05, &»800 71i0115, 1 08; 001008;

1 8 8°

11011 5800010i011.

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90 EUR IPIDES

Von Ibsens gedankensd1werem , satirisdi em Lustspiel : «Die Komodieder Liebe» sagt Roman Woerner z

‘) «Ibsen stellt alles , audi die Komik , in

den Diens t der Idee» . Dies Wort gilt audi von Euripides und von seinem«C ykl0pen» .

R he s o s .

Die Ed i theit des «Rhesos » wurde sdi on imAltertum angezweifelt. Trotzdem nun mandi erlei Vatersd mft für das Drama namhaft und glaubhaft ge=madi t wurde, ist die Frage b is zum heutigen Tage unentsd üeden geblieben .

Wir red men al so mit dieser Tatsadi e und sagen : wir wissen n idi t, von wem

unser Drama ist, wir betrad i ten es aber so, wie wir bisher alle Dramen desEuripides betrad i tet haben, und fragen daher audi hier : wie verhält Sidi deruns unbekannte D idi ter zu seinemMythos, d . h . zum zehnten Gesang der Ilias,zu der Erzählung von der Heldentat des Odysseus und des Diomedes , dieSidi nad1 ts als Kundsd1after ins Lager der Troer Sd i leid i en, von Pal las Athenegeleitet, und dort den Thrakerfürsten Rhesos und zwölf seiner Gefährten imSd i laf ermorden und dann mit den erbeuteten herrlidi en Rossen zurüd1=

kehren ?Die Antwort auf diese Frage lautet : Der D id i ter des «Rhesos» war

n idi t aussd1ließlid1 ein Künstler, der den ep isd 1en Beridi t Homers zum Dramagestalten wollte , er war vielmehr in erster Linie Moralkritiker . E r h a t t ed i e D o l o n e i a m i t E n t r ü s t u n g g e l e s e n , e r war u b e r i h r eG ö t t e r u n d H e l d e n em p ö r t .Homer vergleidi t den Diomedes , der uber die sd 1lafenden Feinde her=

fällt um sie zu ermorden , mit einem Löwen , der Unheil sinnend in eineHerde von Sd1afen oder Ziegen einbridi t . Gelassen erzählt er alles , ohneein Wort des Tadels für Götter oder Mensd1en ; es ist ihm ein kühnes Wage=stüd1 wie andere audi Ganz anders empfindet der D idi ter unseres Dramas .

Wie hier unter beständiger Beihilfe und in Gegenwart der Göttin AtheneSdi lafende getötet werden , das ist ihm nidi t ein Heldenstüdc, sondern einesdi impflidi e, feige Mordtat . So läßt er denn durd 1 den Mund des Rhesos,

R . Woerner, l . c ., I, p . 108.

2) H. Grimm : «Homers I lias», p . 240, sagt frei l id i : »Aud1 Homer verurtei lt d ie Tat»,

aber er kann S idi für diese Ans idi t nur auf die Verse K 503ff. berufen0181 80 6 (A10;1 138175) 115001

'

)01C5 8 1 1 80801,8 75 8i<000» 381 7to111f71o1 1 5875

°

811511 0,

0011 08 8350601 84160°

615f0010,

f) 81 1 61718 571011 0.

Der Zusammenhang verwehrt es uns hier d0d i offenbar dem eine moralisdi eWertung zu geben . Diomedes überlegt, mit weld ier verwegensten Tat er sein Werk krönenkönne. Weiter heißt das hier nid i ts .

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IV. EUR IPIDES UND HOMER 91

den Hektor vor der Hinterlist des Odysseus warnt , den ganzen MythosSd i on zum voraus verurteilen, mit den

«Kein Mann gesunden Muts wird heimlid1 seinen FeindHinmorden wol len ; offen zeigt er ihm d ie Sti rn .

» (M .)

D a s i s t das L e i tm o t i v fu r d i e H a n d l u n g d e r M e n s c h e ni n u n s e r em D r am a . Die Handlung der Götter geht der der Mensdi en

parallel , etwa wie in der «Elektra» oder im «Orestes» . Ohne den Sprudides Apo llon hätte Orestes die Mutter nidi t getötet , und ohne die direkteAufforderung der Athene (V . 598 ff.) und ohne ihre beständige Beihilfe wäreRhesos n id i t ermordet worden . So ist denn audi das Urteil über beideGött er dasselbe . Nidi t Orestes ist der Sd mldige , sondern der Gott als derintellektuelle Urheber , und a u d i i n u n s e r em D r am a t r i f ft s c h l i e ßl i c h n i c h t d i e M e n s c h e n d i e V e r a n t w o r t u n g , s o n d e r n d i eG ö t t i n . V . 937 ff. redi tet die trauernde Mutter des ermordeten Rhesos, dieMuse, im Namen des D idi ters mit Pallas Athene . Ihr Urteil lautet ?)

«D0di dein ist, Pallas, alle Sd iuld an d em Gesd1idcNichts hätt' Odysseus je, n idi ts hätte Tydeus' SohnVermod1t ins Werk zu setzen durd1 selbsteigne Kraft ;Nidi t glaube du, daß etwas mir verborgen bl ieb ! » (M .)

So las der Didi ter des «Rhesos» seinen Homer , so sah er die Gotterund Helden des Epos und mit dieser Tendenz sd 1uf er ein Drama, das demAndenken der beiden Helden , die in der Doloneia gefeiert werden , zur

Sd iande gereid i t . Aud i die Troer freilidi kommen nid i t gut fort, denn Hekto‘r

ist ein Prahler und audi Rhesos, der sympathisd1er dargestellt wird, ist d0direidi lidi mit tönenden Phrasen belastet. Der D idi ter war offenbar kein Freunddes Kriegs und des Kriegsgesd1reis , nid i t unbefangen las er das Heldenliedseines Volkes , er legte vielmehr an seine Götter und Helden den Maßstabder Moral . In all dem nun finde ich den edi ten Euripides . Der «Rhesos »

gehört seiner Tendenz nad1 zu den «Troerinnen» . Damit ersd i eint mir dasArgument widerlegt , das Nestle gegen die Edi theit unseres Dramas vorbringt , indem er «Der Mangel aller tieferen Gedanken

,vermöge

dessen das Studr Sidi selbst von den Fragmenten der «Peliaden» abhebt,sprid i t entsdi ieden für die Uned1theit» . Die Tendenz unseres Dramas lautet« ein Mendi elmord bleibt ein Mend i elmord ‚ und wenn Pallas Athene vonAnfang bis zum Ende daneben steht» . Mag man diesen Gedanken zu den

1) «Rhesos» 510 f. : 08851; 58111070; 7161800;

11 1 5'

i'

»011 1 8» 617171°

i18» 11011 8 01 6001.

2) «Rhesos» 937 ff. : 08

°

A861»01, 01i1 i01 06000,

0888» 8° °O800058; 088

°

6 T085'

0; 1 6110;

013 861151 715711 }8é»011.3

) Nestle, l . c ., p . 381, Anm. 28.

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« tieferen» red men oder nid i t , zu den euripideisdi en muß man ihn S idi er

red 1nen .

Mit den «Troerinnen» hat der «Rhesos » audi den Standpunkt gemein,von dem aus der D idi ter die Handlung gestaltet hat. In beiden Dramensehen

.

wir alles mit den Augen der Besiegten , ihr Leid teilen wir , nidi t dieFreude der S ieger. Anders ist das bei Homer . Hier beginnt und endet dieHandlung im Lager der Adi äer . Mit ihnen teilen wir die Sorge um das

Sdi id1 5al der kühnen Helden, mit ihnen freuen wir uns audi ihrer Rückkehr .Das Grauenvolle, die Ermordung der Sdi lafenden Feinde, tritt so als etwasVorubergehendes zurud1 . Anders will es der D id i ter des «Rhesos» . Erversetzt uns ins Lager der Troer. Das war natürlidi Sd ion aus dramatisdi en

Gründen nid i t anders möglidi , dadurdi tritt aber audi das Grauenhafte derBluttat als etwas Bleibendes weit mehr hervor . Wir reiten jetzt nidi t mitden glüdclid1 en S iegern davon , wir bleiben bei den Leidi en und hören dieUrteile mit an, die der Chor uber die Tat fällt und dann der Wagenlenker,und Hektor und endlidi die von Leid gebeugte Mutter, die Muse .Der D idi ter‚ der den «Rhesos » Sdi uf, verfolgte also mit seinem Drama

denselben Zwed1 , wie der D idi ter der «Troerinnen» : beide war‘nen ihrPublikum vor der Moral der Götter und Helden Homers . Demnadi gehörtder «Rhesos » , mag er nun von Euripides sein oder nidi t , zu den Dramen,in denen der D idi ter den Mythos, den er darstellt, in extrems ter Weise mißhandelt, er gehört also , was seine Tendenz anlangt, zur «Andromadi e», zu

den «Troerinnen» , zur «Elektra» und zum «Ores tes» des Euripides . Wiediese, so ist aud i der «Rhesos » ein Drama , das zwar

einer höheren Moralzum S ieg verhilft, das aber in poetisd 1er Bez iehung trotz einzelner Sd1önheiten nid i t befriedigen kann . Denn die feindselige Stellung, die der Did i terzu seinem Mythus einnimmt , führt ihn dazu die homerisdi en Gestalten so

s ehr aller heroisdi en Hoheit zu entkleiden , daß von hier zur Parodie nurnod i ein Sdi ritt ist . Hektor und Rhesos sind so gezeid met , daß man audihier von Komödienfignren reden kann , die der Last einer tragisdi en Handlung nid i t mehr gewad1 sen

Nodi eine Eigenheit in der Behandlung seines Stoffes hat der D id i ter des «Rhesos »

mit Euripides gemein . Wenn er in Einzelheiten von seiner homerisdi en Vorlage abgeht, so

leitet ihn neben der RüdtS id 1t auf d ie dramatisdi e Form zuwei len aud i das Streben nad )

größerer Wahrsdi einl idikeit. So z . B . in den Versen 785ff. Hier ersdi eint ihm d ie Besd1 reibung, die Do lon bei Homer K 433 ff. gibt, zu ungenau, als daß Odysseus und D iomedesden Sdi lafenden Rhesos so leidi t und sd1nell hätten auffinden können, wie es K 470 gesdi ieht .

Daher hi lft bei ihm Pallas Athene (595ff. ; 61 1 und diese hebt hervor , daß man zuers td ie weithin leud i tenden weißen Rosse des Rhesos sehen könne (V. Audi sons t findenwir das Bestreben in Details sorgfältiger zu motivieren, als es Homer in seiner großzügigenArt tut. In Vers 624 ff. wird vorher ausgemad i t, weld i e Rol le jeder der beiden Helden beidem näd1 tl idi en Abenteuer übernehmen sol l , und es wird nodi ausdrüdrlidi hervorgehoben,daß die einem jeden zugetei lte Rol le mit seinem Charakter übereinstimme , was Homer als

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Handlung in uns erem Drama, über d ie C harakterzeid mung und über gar mand1erlei sad11id1eDetai ls gesagt haben, das beweis t zumeist nur, daß man zu ihrer Zeit andere Vorstellungenvon Eurip ides und von seinen Werken hatte, als wir s ie jetzt haben .

Nun sagt freil idi schon d ie Hyp othes is : 1 081 0 1 8 808001 »680» E80171i800

88 08 etwa. 1 8» 780 201061171510» 0871710» Ab er diese Bemerkung zeigtuns d0d i nur, daß sdi on bei den Alten Streit über d ie Ed i theit war, s ie kann die Frage nidi tentsd ieiden ; das müssen wir immer wieder mit den Mitteln und mit den Ansdiauungen

unserer Zeit versudi en. An 3ophokles erinnert midi in unserem Drama allerdings d ie Ge :s talt der Athene (vergl . bes . «Rhesos» 608 mit 3oph. «Aias» Sd ion Hartung hatdi es bemerkt ; er sagt (Einlei tung zur Übersetzung des «Rhesos», p. «Besonders s iehtdieser Athene d ie Athene im Aias des Sophokles aufs Haar ähnlid i » . Aber redi t unähnlid1ist d ie Stellung, die die beiden Didi ter zu dieser Athene und zu ihren Taten einnehmen . Bei

Sophokles fällt kein Wort der Kri tik gegen diese rad1 süd1 tige , harte Gottheit , während derDidi ter des «Rhesos» , ganz wie Euripides , s ie streng und rüdcs id fislos zur Verantwortungz ieht. An eine Abhängigkei t des Rhesosdidi ters von Sophokles brandi t man wegen dieserÄhnlichkeit natürl id i nidi t zu denken ; die Vorlage war ihm ja in der Doloneia gegeben .

Nid i t so einfadi is t nun sd i ließl id i freilid i eine andere Frage zu entsdi eiden . D ieteridi

s agt (bei Pauly=Wissowa, VI, p . « in vielem des Stils und der Metrik sei in unseremDrama die Nad1ahmung des Sophokles fühlbar und audi faßbar» . Hier wäre eine erneutePrüfung nötig. W ie diese aber audi ausfallen mag , vielleicht geht es audi hier wie mitdem Spradi gebraudi , auf den man seinerzei t so viel Gewidi t gelegt hat , e i n e s mödi teich für alle Fälle betonen : mag der uns erhal tene «Rhesos» in Sti l und Metrik viel oderwenig von Sophokles haben, v om G e i s t d e s S o p h o k l e s hat er gar nid i ts, s einer Tendenznadi ist er vielmehr ein echtes Euripidesstüdr. Für midi folgt aus diesen Voraussetzungen,daß unser «Rhesos» in der Hauptsad ie edi t ist, freilid i mehr oder weniger stark überarbeitet .

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Euripides und Athen .

Ä sd iylos und Sophokles war audi Euripides ein guter Sohnseiner Vaterstadt . Mit der Zahl der Dramen , die attisd ie

Lokalsagen behandeln , übertrifft er sogar nodi die beiden Vor=

Von den erhaltenen Studcen kommen hier drei inBetradi t ‚ die «Herakliden», «der Mütter Bittgang» («die Hiketiden») und

der «Ion» .

D i e H e rakl i d e n .

«Athen allein ist die Zuflud üsstatté der Sdiwad i en und Bedrangten in

Hellas .» S o l a u t e t d a s L e i tm o t i v u n s e r e s D r am a s . Wie gez

wöhnlidi klingt es sdi on im Prolog an und wird dann im Verlauf des Dramasimmer wieder hervorgehoben

Das mäd i tige und freie Volk der Athener liebt den Frieden, solange esihn in Ehren haben kann . Wenn es freilidi Krieg führen muß, dann ist esstark in seiner geredi ten Sadi e , im S iege aber großmütig gegen den überwundenen Feind . Dieses uneingesd1ränkte Lob sdiallt der Stadt Athen ausjedemMunde, K0preus allein, der rohe Hero ld, wird ausgesdi lossen . Sogarder besiegte Gegner , Eurystheus , tritt als Gefangener auf und preist undsegnet die S ieger , bevor er zum Tode geführt wird . Diese Sdi lußszene ‚ inder die politisd ie Tendenz unseres S tüdres gipfelt , war unserem D idi ter so

widi tig, daß er Sid i nid i t sd1eute den Charakter des Eurystheus ganz plötz lidiumzubiegen . Im ganzen Drama hat er ihn als einen feigen und tüd1 isd1en

Tyrannen gebrandmarkt , nun wo er Athen segnen soll , ist er plötzl idi ein

Ermatinger, l . c ., p . 2 1 1f. handel t hierüber ausführl id1 .2) Vergl . «Herakliden» 31 ff. ; 151 ; 191 ; 305f.; 331 f. ; 44o ff. Als 671 50 8601: 7 01801

rühmt Iolaos das gastlid1e Land (V. 62 und ebenso sagt der Chor (V. 1 13) und derkonstitutionelle König Demophon (V. Mit dem Stid1wort 871 50 8 6001 » schließ td ie Szene imV . 287 . Aud i Alkmene sagt (V. 61118001;

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So wandelt Sidi audi , wie wir bei Bespred 1ung der «Helena»gesehen haben

,der Charakter des Menelaos, der veränderten Handlung des

Dramas folgend, sdi ließlidi vom Burlesken zumHeroisd1en, während umgekehrtder Titelheld im «Orestes» mit der Handlung , die zum guten Ende drängt,immer mehr verwildert . Audi für Ibsen ist die Tendenz seines Dramas sowidi tig, daß er bisweilen eine Inkonsequenz in der C harakterzeid mung mit inden Kauf

«D e r M u t t e r B i t t g a n g » («D i e

Das Söwesterstüdczu den «Herakliden» sind die «Hiketiden» . Wi ede ruml a u t e t das L e i tm o t i v : «Athen allein ist die Zuflud üsstätte der Sdiwadi enund Bedrängten in Hellas» . Adrastos spridi t dies in unserem Drama zu:

erst aus 3)«Sparta ist fuhllos und vol l Hinterlist,Das andere klein und Sdiwadi . Nur dein AthenIst diesem Werk gewachsen .

» (W.)

Dann nimmt der Chor das Leitmotiv auf (377 ff.) und in den Versen 561 ff.hören wir es wieder aus dem Munde des Theseus . Und wiederum wie inden «Herakl iden» können wir den Inhalt des Dramas zusammenfassen mitden Worten : «Das mädi tige und freie Vo lk der Athener liebt den Frieden,solange es ihn in Ehren haben kann . Wenn es freilid i Krieg führen muß,dann ist es stark in seiner geredi ten Sadi e , im S iege aber großmütig gegenden überwundenen Feind» (of. bes . Hik . 723

S o w ü n s c h t s i c h d e r D i c h t e r s e i n Vo l k . Dies Bild halt er ihmin beiden Dramen vor, aber nidi t um seiner Eitelkeit zu Sd imeidi eln, er verwahrt Sidi dagegen ausdrüdd id1 in den «Herakliden» V . 202 f., sondern aufdaß es dies Idealbild lieb gewinne und ihm ähnlid i zu werden strebe .Aud i sonst ist vieles und Widi tiges den beiden Dramen gemeinsam.

Wie Demophon in den «Herakliden», so ist hier Theseus ein konstitutionellerKönig und kein Tyrann . Daß in Athen Freiheit herrsd 1e und Gleidi heit vor

dem Gesetz, wird stark betont (of. bes . V . 405 bis Audi die Stellungdes Didi ters zu der Handlung der Götter und Mensdi en ist in beiden Stüdcendieselbe . Beidemale unterdrüd1 t er jede Kritik , unterläßt er jeden Angriffauf die olympisdi en Götter ; es

' sind zwei völlig positive S tüdre . E i n snntersd1eidet die beiden . Den «Hiketiden» eigen ist die kriegsmüde Stimmung,die eben für ihre Entstehungszeit, wohl 421 v. Chr., d iarakteristisd i ist. SelbstTheseus ist so unbedingt friedliebend , daß ihn erst seine alte Mutter Aithrä

Ausführl id 1 Spridi t hieruber Lindskog, l . c ., p . go lf.2) Vergl . Anathon Aal l, l . c., p . 165ff.3

) «Hiketiden» 1 87 ff. : 271801 7; 08» 1808 715710i11 1711 011

1 8 8°

871718 011108 716711; 88 0806m 8»

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Beim Sturm auf die Stadt wird dieser Titane vom Blitz des Zeus gefällt. ZumRuhm des Toten sagt nun Adrastos in der Leid i enrede bei Euripides

«Hier dieser, den der Blitz des Zeus durd ibohrte,Is t Kapaneus . Er war ein reidi er Mann,D0d i pocht' er nie auf seine Schätze, bliebBesd1eiden wie der Ärms te ; niemals sah

Man ihn an den versdiwenderisdi en Tafeln,Wo Mäßigkeit verad i tet wird. ‚Der Adel’,Pflegt er zu sagen, ‚zeigt S idi nidi t im Prassen ;Audi S d i lid i te Kos t macht satt'. E in echter Freund,Nidi t anders ins Ges icht als hinterm Rüdren,Und d ie s ind s elten . Ohne Falsdi das Herz,Leutsel ig das Ges id i t ; kein herrisdi WesenZu Bürgern und Ges ind .

» (W.)

Sdiwerer hat Sidi Euripides wohl nie an der He ldensage seines Volkes versündigt

,als durch diese Transponierung ins Spießbürgerlid m.

Unsere beiden Dramen gereid i en' also dem P a t r i o t e n Euripides zur

Ehre . S ie zeigen , daß er seine Vaterstadt warm geliebt hat , daß er Sid imit den Fragen ihrer äußeren und inneren Po litik sorgend besd1aftigte . DerD i c h t e r Euripides dagegen zeigt Sidi in beiden Stücken gerade n id i t vonseiner starken Seite . Man hat beidemale das Gefühl , daß ein anderer soetwas ebenso gut hatte madi en können . Beide Dramen sind eben zu ruhig,zu friedfertig gegen Götter und Mensdi en , als daß der wahre Euripides inihnen zumWort hätte kommen können . Groß ist Euripides, wo er streitbarist, wo seine Persönlid ikeit im D idi terwerke drinnenstedct und aus ihm herauszu uns sprid i t . Sein moralisdi es Pathos, seine Kritik gegen Gotter und Heroenbradi te zwar viele seiner Dramen um ihre reine , künstlerisd ie Wirkung , sieist aber d0di aud i in poetisdi er Beziehung sein eigentlid i es Charisma gewesen .

I o n .

Das Leitmotiv des «Ion» ist leid i t zu finden . D e r P r e i s d e r r e i n e nA b s t ammu n g d e s a t t i s c h e n K ö n i g s h a u s e s i s t d e r n ä c h s t eZw e c k u n s e r e s D r am a s . Es soll gezeigt werden, daß der Knabe Ion,

1

) «Hiketiden » 860 ff. : 598; 178 Nov 05 ßs'

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V . EURIPIDES UND ATHEN 99

der Stammvater der Ionier , nidi t den Fremdling X uthos zum Vater hat,sondern daß er aus dem reinen Blute der Eredi thiden entsprossen ist . Derattisdi e Autod ühonenstolz feiert also in unserm Drama seine Triumphe . Von

ihm ist Kreusa beseelt (V. 1297 und 1465) und ebenso sind es alle dieIhrigen . Der Chor der attisdi en Frauen wiederholt immer wieder dies Motiv

(721 if. , 1048-1 109 : der Fremdling darf n id i t teilhaben am attisdi en Reich

um das zu verhüten, ist sogar ein Giftmord gestattet. Der alte, treue Dienerdes Hauses ist ganz besonders von diesemMotiv durdi drungen und beherrsdi t(of. V . 737 , 813 wie es ja aud i heutzutage nodi vorkommen soll, daßder Kammerdiener adelsstolzer ist als der Herr Baron . Aber audi Ion, derNaturbursdi e, der weltfremd im Tempel des Gottes aufgewad i sen ist, ist vontiefer Ehrfurdi t vor der autodi thonisdi en Herrlidikeit des attisdi en Herrsd i er:

hauses erfüllt. Sdi üdi tern und geheimnisvo ll fragt er danadi in seinem erstenGesprädi mit Kreusa (V . 267 und als ihn später X uthos für seinen Sohnund damit für den Erben des attisd i en Reidi es erklärt , da ist es ihm einSdiweres Bedenken , daß er als Sohn des X uthos kein Autodi thone sei, daß

er also nid i t würdig sei in Athen zu herrsdi en (V. 589 Audi dieGotter , die in unserem Drama auftreten und den Lauf der Ereignisse bestimmen , betonen dies Motiv . Im Prolog tut dies Hermes (Vers 29 f.} undam Sdi luß des Dramas Pallas Athene , die als deus ex madi ina ersd i eint .

Zweimal hebt s ie hervor , daß Ion , seiner Abstammung nadi ein ed i ter

Eredi thide , ein würdiger Erbe des attisdi en Reidi es sei (V. 1573 und

E i n e r allein hat nidi t teil am Leitmotiv des S tüdces , das ist X uthos .

Und ihn wahlt Sid i der D id iter zum Sprad uohr , um wenigstens e i nm a lgegen dieses sonst immer betonte Leitmotiv zu protestieren und seinen rational istisdi en Standpunkt zu wahren . Im Vers 542 sagt X uthos, und mit ihmder Didi ter, redi t Sdi lid i t und kategorisdi : «aus der Erde wachsen die Kindernidi t» (oö 7cé8ov r imar. r é>cvoc>. Das ist aber die einz ige S telle l ), sonst hat dergute Lokalpatriot seine Aufklarung diesmal für Sid i behalten . Hat er d0di dieHandlung zum größten Teil selbst erfunden , auf daß das Autodi thonea

des attisd i en Herrsdi erhauses verherrlidi t werde . Dabei hat er ein liebenswürdiges S tudc gesd iaffen ; besonders gut ist ihm die Gestalt des Ion ger

lungen und die delphisd i e Idylle . Das Kleinleben in und um den Tempel,die delphisd i en Sdi mausereien und Feste s ind natü rlidi Bilder aus der Zeitdes D idi ters . Die Erkennungsszene durch das Körbdi en mit den Wiegen=

gesdi enken ist für die neue Komödie vorb ildlidi geworden .

Nur e i n Mißton stort den Frieden dieses Dramas , e i n N eb e nmo t i vd r a n g t s i c h v o r u n d d u r c h k r e u z t d i e H a u p t a b s i c h t d e sD i c h t e r s . Euripides ist eben d0di in einem wesentlidi en Punkte mit der

1) Nes tle, l . c., p . 74 weist darauf hin . Was er sons t noch in dieser Beziehung ver

mutet, geht mir zu we it.

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100 EURIPIDES

Handlung seines S tudces nidi t einverstanden . E i n e r geht Sdiwer verwundetaus unserem Drama hervor, es ist das der Herr der glänzenden Orakelstätt e,an weldi er das S tüdc spielt , Apo l lon . Der D idi ter wird nid i t müde immerwieder hervorzuheben , mit weldi er Brutalität der Gott gegen Kröusa ge=

handelt hat. Sdi on im Prolog sagt Hermes geradeheraus 1 )«Dort ward Kräusa, Kön ig Eredi theus Tod i ter, eins tVon Phoibos ' Liebesarmen m i t Gew a l t umstridct» (M .)

und in den Versen 885 bis 922 Sdi ildert Kre'

usa den Vorgang . die brutaleS innlidikeit des Gottes , das tiefe Unglüdc des gesdi ändeten Maddi ens , denherzbredi enden Jammer , wie s ie aus Furd i t vor ihrer Mutter das Kindaussetzt.Wie zart weiß Pindar soldi einen Akt gottlid1er Herablassung zu den

Tod1tern der Mensd i en zu Sdi ildern , der einem beruhmten Adelsgesd1 led1 t

zur Ehre gereidi t lz) Wie völlig moralfrei erzählt Homer sold i einen Vor

gang ! Warum ist in unserem Drama alles so brutal, so die bare Notzud i t?

In unser sonst so l iebenswürdiges und idyllisdi es S tüdc fügen Sidi die fortgesetzten

, sdiarfen Angriffe auf Apollon nid i t gut ein, denn s ie streiten gegendas Hauptmotiv. Für Ion ist es ja gar keine Ehre mehr von einem sold i en

Vater abzustammen , und der Preis seiner Abstammung ist d0di das lokalpatriotisd i e Leitmotiv des ganzen Dramas ! Wir haben hier eben wieder denFall

,daß der Moralist Euripides über den D id iter Herr wird . Den Mythos,

den er für sein Drama braudi t , den er im wesentlid i en selbst erfunden hat,greift er dennodi im Interesse der S ittlid1keit vernidi tend an . Und zwarwählt er hier , wie audi sonst n idi t selten , zwei Wege zu diesem Ziele .Zunädi st wirft er nur im Vorübergehen die Bemerkung hin , daß die ganzeGesd i id i te wohl nidi t wahr sei . Es liegt d0di sehr nahe anzunehmen , daßein Mädd1en, das sein Kränz lein verloren hat, einen Gott als den Sd mldigenbezeid met , um so aus ihrer Sdi ande eine Ehre zu madi en . Der altklugeIon sagt das seiner Mutter ins Ges idi t (V. 1523 ff.) und in den «Bacdi en»

(V. 28 ff.) hat Semele dieselbe Mißdeutung zu gewärtigen . Aber beidemalewird dieser rationalistisdi e Einwand nur so nebenbei gemad i t , er is t beide=male nur ein Fingerzeig für die Wissenden . Für die Allgemeinheit wird imInteresse des Dramas der Mythos selbst nidi t in Frage gestellt , er wirdvielmehr durch moralisierende Kritik unsd iädlidi gemadi t. Wenn e i n Men s c hdas getan hätte, was d e r G o t t in der Pansgrotte am langen Felsen tat, wiewürde man das nennen? wie würde man es beurteilen ? Ion gibt (V. 436 ff.)

darauf eine nidi t gerade erbaulid1e Antwort . Und wie Apo llon , so treibenes audi die anderen Götter, audi Poseidon und Zeus sind nid i t besser. Und

1

) «Ion » 10 f. : 05nai'

8’ ’

Epex8éwg’

e'

Ceväav yo'

cp oc;

ßi qc Kpéoucow.

2) Vergl . Pindar 6. olymp . und 9 . pyth. Ode.

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D ie Frauentragodien .

den neunzehn uns erhaltenen Dramen unseres D id i ters (den«Rhesos» mitgered met) tragen adi t den Namen einer Frau , dazukommen nodi fünf , die nad1 dem weiblidi en Chor einen weiblidi en Namen führen (vierzehnmal ist der Chor bei Euripides

weiblid1) . Es bleiben also nur sedi s Stücke mit männlidi em Namen übrig,aber aud i hier werden im «Hippolytos» und im «Ion» Frauensd üd<sale dan

gestellt , und es dominiert demnad i aud i in diesen beiden S tüdcen das weiblidi e Element . Als «Männertragödien sdi led i thin mod i te ich nur den«Herakles» bezeid 1nen, die «Phöniz ierinnen», die «Bacdi en», den «C yk10pen»

und den «Rhesos », denn in diesen fünf Dramen spielt S idi die Handlungvorwiegend unter Männern ab und die Männer sind für ihren Verlauf maßgebend .

Das umgekehrte Verhaltnis findet in neun Dramen statt , namlid i in«Alkestis », «Medea», «Hippolytos», «Andromadi e», «Hekabe», «Ion», inden «Troerinnen», der «Helena» und der «aulisdi en Iphigenie» . In all diesenDramen kommen Frauensdfi dcsale zur Darstellung, die Frau ist rid1 tunggebendund bestimmend für die Handlung , s ie ist daher leidend oder handelnd inden meisten Fällen die Hauptperson . Aber aud i in den fünf Stücken , dienodi übrig bleiben, in den «Herakliden», den «Hiketiden», in der «Elektra»,der « taurisdi en Iphigenie» und im «Orestes» steht die Frau an Bedeutungfür den Verlauf des Dramas hinter dem Mann wenig oder gar nidi t zurüdc.

Weld i e Fülle von aufopfernder Liebe, weld i e Seelengroße im Leiden is tin den vielen Frauengestalten verkörpert , die unser Didi ter gesdiaffen hat !Aber audi wieviel Hinterlist

,wieviel damonisd1e Rad1sudi t und zügellose

Leidensd1aft ! Und weldi e Menge von ersdi recklid i ungalanten Sentenzen hater dazu nodi geprägt ! So ist Euripides denn in den Ruf der Weiberfeindsd1aft gekommen . Man könnte ihn aber auf Grund des Tatbestands in denerhaltenen Dramen mit mehr Redi t geradezu einen «Frauenlob» nennen .

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VI . D IE FRAUENTRAGÖ DIEN 103

Wird er d0d i nidi t mude das hohe Gludc zu preisen , das dem Manneaus einer guten Ehe erblüht . Dazu hat er eine Reihe der edelsten Frauengestalten gesdiaffen und seine Frauen und Mäddi en sind in der Regel denMännern gegenüber « das starke Gesdi ledi t » . D i e Wa h r h e i t l i e g tn a t ü r l i c h a u c h h i e r i n d e r M i t t e . Euripides will die Frauen nidi t

anklagen, er will s ie aber audi n idi t preisen ; wahrhaftig zu sein und geredi t,das ist audi in dieser widi tigen Frage sein Bestreben . Er sieht viel Lid i tund sieht tiefe Sdiatten , und beides stellt er dar . Und die elementaren , inLiebe und Haß ungebrod1enm Frauengestalten gelingen ihm besonders gut .Hier hat er es audi zumeist nid i t mit rationalistisdi en Problemen zu tun, dieGötter treten in den Hintergrund , allgemein Mensdi lidi es ,

Liebe und Haß,Treue und Falsd1heit kommen zur Darstellung . So erklärt es Sidi , daß seinewirkungsvo llsten Tragödien, seine reinsten D id i terwerke, die Dramen, die ihnin der Weltliteratur berühmt gemad i t haben , diesem Kreise angehören . Id i

verstehe darunter natürlich «Alkestis», «Medea», «Hippolytos» und die beiden«Iphigenien» . Ihnen können von den «Männertragödien» nur der «Herakles»und die «Bacdi en» an die Seite gestellt werden .

Aber so sehr audi Euripides die Frauen in den uns erhaltenen Dramenbevorzugt , ein «Frauenred i tler », ein Vorkämpfer der Frauenemanz ipation,die zu seiner Zeit Sdi on in Athen Sidi zu regen begann, kann er d0di nidi t

genannt werden . Die ö de Gleid1madi erei, die den Untersd i ied zwisd i en dermännlid i en und weiblidi en Psydi e verkennend die beiden Gesd 11ed1ter in allenVerhältnissen des Lebens einander völlig gleid 13 tellen will , s ie kann Sid i aufunsern D idi ter nid i t berufen So wenig , wie sie Sidi auf Ibsen berufenkann . D ie beiden sind in dieser Sad i e gleidi altfränkisdi und unmodern .

Beide sehen s ie den wahren und widi tigsten Beruf der Frau in der Häuslidi keit in der Ehe . Hier wo llen s ie ihr helfen , hier kämpfen s ie für ihreEmanz1pation , für ihre völlige Gleid iberedi tigung mit dem Manne . Daherist die Frage nad1 der wahren und edi ten Ehe, wie wir sd ion gesehen haben,für die beiden D idi ter von der größten Bedeutung . Euripides bringt in viervon den erhaltenen Dramen die gute oder die durch die Sdi uld des Mannesoder der Frau zerrüttete Ehe zur Darstellung . Diese vier Dramen möd1 te ichsd 1!ed1tweg seine «Frauentragödien» nennen . Es sind dies die «Alkestis»,

die «Medea», der «Hippolytos» und die «Andromadi e» . Das zuletz t ge:

nannte Stück haben wir, um es aus seinem Zusammenhang mit Homer nid i tzu lösen, sdi on besprodi en . Wir beginnen nunmehr mit dem ältesten der unserhaltenen Dramen unseres D idi ters, mit der «Alkestis» .

1

) Über «Frauenemanz ipation in Athen » handelt Ivo Bruns , Vorträge und Aufsätze,p . 154 ff.

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1 04 EURIPIDES

A l ke s t i s .

Das Mä rdi en vom Opfertod der Alkestis für ihren Gatten und von ihrerErrettung durch Herakles, den aufop fernden Freund, hat unserem Didi ter, wiesein Drama zeigt , von Herzen gefallen . Einen liebenswürdigen Mensd i en

vom Tode zu erretten und wieder glüdclid i zu madi en , dazu verbinden Sidiin unserem S tüd< Götter , Halbgötter und Mensd i en . Apollon kämpft fürihn mit seinemWitz, Herakles mit seiner Kraft und Alkestis mit ihrer L iebe .D i e t r e i b e n d e K r a f t i n u n s e r em D r am a , d e r i n n e r l i c hw i r k e n d e F a k t o r i s t a l s o , dem Mythos entspredi end, d e r A l t r u i smu s . An ihm werden alle auftretenden Personen gemessen , der Gott , derHalbgott und die Mensdi en . Wie rein und selbstlos die Liebe der Alkestisist, das kann man red i t ermessen , wenn man Hartmann von Aues «ArmenHeinrid1 » vergleidi t . Hier will «diu guote maget» für den Ritter sterben, um

Sid i so die Krone des Lebens zu erringen . S ie vers id i ert immer wieder, wiefür s ie der Tod Gewinn sei unaufhörlidi predigt s ie diese Wahrheit ihrenEltern , dem Ritter und dem Arzt zu Salerno , und mit mittelalterlidi emS terbefanatismus drangt s ie Sidi zum Tode . Die Gried1 in sd 1eidet ungernvom Lidi t der Sonne, vom Gatten und den Kindern . Hier ist alles mensd i lid i ,alles ed i t und groß .

Admetos wird zwar von Wilamowitz mit Redi t «ein liebenswurdigerEgo ist» genannt aber d0di hat aud i er Teil am Altruismus , der unserganzes S tüdc durd1wärmt und durd11eudi tet, denn sonst wäre er ja dasOpfernid i t wert , das ihm die Gattin und der Freund bringen . In e i n e r Be=z iehung ist nämlidi audi Admetos unbedingter Altruist : wo die Gastfreund=

sd1aft in Frage kommt , da läßt er alle RÜCRSICII tC O auf Sidi zurudctreten , da

fragt er sogar n idi t nadi dem Urteil der Welt , das ihm sonst gar nidi t

gleid igültig ist. Durch diesen altruistisd1 en Zug seines Wesens hat er Sididie Hilfe des Apollon verdient

,wie Euripides sdi on im Prolog (V . 10) hen

vorhebt , durch ihn verdient er Sidi audi die Hilfe des Herakles , wie derZeussohn selbst bekundet (V . 1 147) So durdi dringt die Liebe unser ganzesDrama und in dem Maße , als jede der auftretenden Personen Liebe hegtund Liebe betätigt , gewinnt s ie unsere Teilnahme und gewinnt Bedeutungfür das Stuck. Der alte Vater Pheres allein , der Sidi von jeder Art von

Altruismus aus sdi ließt, ist aud i von jeder Teilnahme ausgesdi lossen .

Unser D idi ter will also in seinem S tüdc die Treue der Gattin und des

1) In der Einleitung zu seiner Übersetzung des Dramas, p . 31 .

2) Bei Chris t, gried1 . Literaturgesdi idi te“, p . 355 wird freil idi gesagt , Admetos sei « im

Gegensatz zu dem s tarken Hans (Herakles) zu einer fast komisdi en Iammerfigur umgebi ldet »und seine thessalisdie Gastfreundsd1aff «sei b is zu tölpelhafi er Übergefäll igkei t gesteigert . »Das s ind starke Ausdrüdce für ein so feines und l iebenswürdiges Stüd( , wie es die

«Alkestis » ist !

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ist es das kleinere Unglud< . Dieselbe Stellung nimmt alles im Hause zu

dieser Frage ein . Die alten Eltern wären die näd i sten gewesen , so urteiltnidi t nur Admetos sondern audi Alkestis {290} und der ChorDaß Admetos selber hatte sterben können und sollen , das sagt bis zum

Vers 61 1 niemand , nidi t etwa , weil es niemand zu sagen gewagt hätte,sondern weil niemand audi nur daran gedad i t hat . Als Herakles zum

Admetos kommt , weiß er [angst von dem bevorstehenden Opfertode derGattin . Er steht dem Freunde vollig unabhängig gegenüber und hätte ihmseine Ans idi t S idi er gesagt , oder vielmehr er hätte S idi er das Haus desAdmetos gar nidi t betreten, wenn er die Wahl des Freundes n id i t gebilligt,wenn er ihn wegen dieserWahl für feig und unmännlid1 gehalten hätte . Abervon soldi en Zweifeln ist zunädi st gar keine Rede . Unbedingt gilt vielmehrder Standpunkt des Märd1ens : den Tod der Alkestis halten alle für eingroßes Leid , aber im Vergleid i mit dem Tod des Admetos d0di für Gewinn . Diese Ansich t war eben für das gried i isdi e Empfinden selbstver=

ständlid1 , audi nod i zur Zeit des Euripides

Daher wendet der D idi ter ein starkes Mittel an, um seinen Helden und

sein Publikum zu anderer Ans id i t zu bringen . Der bisher im Drama viel=

gesd ioltene Vater Pheres tritt auf und führt seine Sad i e mit so ätzendemSpott , mit so drastisd i en Argumenten (699 ff. , daß Admetos Sd iwer

verwundet aus diesem Kampfe sdi eidet . Dabei verleiht Euripides demPheres audi nid i t e i n e n sympathisdi en Zug . Dem liebenswurdigen EgoistenAdmetos stellt er einen sd iamlosen und rücksid i tslosen Egoisten gegenüber(cf. bes . V . und in diesem Spiegel s ieht Admetos sein allerdings verzerrtes Bild, aber er sieht es d0d i Sidi zurWarnung und Lehre . Und wenn eraud i , wie dies bei den streitenden Personen in den Redesd11adi ten degriedi isdi en Tragodie selbstverständlidi ist, seinen entgegengesetz ten Sta‘ndpunktdem Vater gegenüber ebenso Sd ionungs los und einseitig bis zum Sdi luß auf=

redi t erhält , ein Stad1el ist d0di in seinem Herzen zurüdcgeblieben , er istd0di in seiner bisherigen S idi ern und beglüdcenden einseitigen Ansdiauunggestört (954 Und gerade jetz t muß er den sd1wersten Gang tun , seineAnsdiauung muß jetzt die Sdiwerste Probe bestehen : die Gattin muß er zuGrabe geleiten . Das Märd i en kann seinem Helden so etwas sdi enken , dasDrama des Euripides , das ein Abbild des Lebens sein will , tut es nid i t .

Von diesem Sdiweren «Gang kommt er nun als ein völlig Verwandelterzurüdc

, jetzt hat er gelernt, daß er diesen Opfertod gar nid i t hatte annehmendürfen . Seine Klagen sind so innig und so überzeugend , daß nun wohlaudi das griedi isdie Theaterpublikum mit dem Didi ter darin einverstandenwar , daß das Märd ien zwar Sd i ön sei , daß seine Moral aber , im Leben

1) Vergl . hieruber Lindskog, c.,

p . 49 f., mit dem ich audi sonst in dieser Frage viel=fach übere instimme,

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VI . D IE FRAUENTRAGÖ DIEN 1 07

angewendet , nidi t gludclidi , sondern doppelt elend mache . Daher hat audider Chor fur Admetos jetzt nur den e i n e n Trost , daß er Sidi wie alleMensdi en der dem Sdi idtsal, beugen müsse

So ist der Redekampf zwischen Admetos und Pheres durdiaus keineverungludcte Episode , ohne Belang für die Handlung des Dramas , er istvielmehr überhaupt keine Episode, sondern für die Hauptabs id1 t des D idi tersunbedingt nötig , denn ohne ihn wäre die S innesänderung des Admetos zu

wenig motiviert. Daß die Szene , so wie s ie ist , glüdt lid i durdi geführt sei,das will ich damit natürlid i keineswegs behaupten . Vielmehr hat Klein

(l . c. I, p . 451) für unser Empfinden gewiß redi t , wenn er sagt : «Die Szeneist unabs idi tlidi heiter , die Sd i limmste Art von Komik , die einer Szenebegegnen kann» . D ieterid1 , mit dem ich hier sonst zumeist übereinstimme,sagt freilid i : «Als S id i er glaube ich das Eine nodi bezeid men zu müssen,daß die Szene zwisdi en Admetos und seinem Vater Pheres in keiner Weisekomisdi oder parodisdi wirken kann»

Das glaube ich nun nid i t . So starkwie heutzutage wirkte die Szene freilidi im Altertum nid i t nadi dieserRidi tung‚ da für den antiken Zusdiauer die Gegengründe des Admetos viel

gewid1 tiger waren als für uns. Daß diese Szene aber audi damals sd i on aufKosten der reinen Stimmung ungebührlid i hervorgetreten ist , daß s ie dieHarmonie gestört hat , das zeigen uns die zwei Parodien , die uns von

Aristophanes erhalten sind . V. 69 1 sagt Pheres zum Admetos 2)«Süß ist dir

Das Leben, deinem Vater etwa nid i t ?» (W .)

Mit diesem Argument wird der Mythos und wird das Verlangen desAdmetos, daß ein anderer für ihn sterben so lle, kurz und Sdi lagend verurteilt .Aristophanes hat nun unseren Vers zweimal zu einer Parodie verwendet(Thesm. 193f. und Nub . wohl ein Zeid i en dafür , daß die Szene unddaß besonders dieser Vers Aufsehen erregt haben . Hier hat also Euripidesin der Hitze der Po lemik des Guten zuviel getan : er hat den Helden seinesDramas lädi erlid i gemadi t und hat dadurdi das ganze Drama Sdiwer gesdi ädigt .

Nidi t ganz so Sd i limm, aber ähnlidi ist es audi einmal unserem Sd i iller

ergangen . In der «jungfrau von Orleans» verherrlidi t er den Glauben , derauch in den Sdiwad i en mächtig ist und Wunder wirkt. Alle seine D id i ter:

kraft und die Madi t seiner glanzenden Rhetorik setzt er daran , um daswunderbare Mäddi en unserem Verstande glaubhaft und unserem Herzenteuer zu mad i en . Und d0di ist von den vielen geflügelten Worten seinesDramas e i n e s das geflugeltste geworden und wie unser Vers , so sd1 lägt

audi dieses.

den ganzen Mythos tot. «Mit der Dummheit kämpfen Götterselbst vergebens» , so klagt der sterbende Talbot und mit ihm , ohne es zu

1) Bei Pauly-W issowa, in der Real=Enzyklopadie, VI, p . 1 254 .

2) «Alkestis » 69 1 : xcx ipeu; öpöv cpäi ;

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108 EURIPIDES

wollen,audi der D id i ter, der im innersten Herzen seiner Ans id i t ist . Daher

ist ihm diese Szene so herrlidi gelungen , daß s ie der Wirkung des ganzenDramas Abbruch tut. Der sterbende Talbot ergreift den gereiften Mann,der im übrigen dieses Sd i illerdrama zu den Sdi önen Erinnerungen seiner

Iugendlektüre red men wird l ).

So kommt Sdi on in das ä lteste der uns erhaltenen Euripidesdramendadurdi Unruhe hinein , daß der D idi ter den Mythos kritis iert , den er dar=

stellt ; denn seine d id i terisdi e Abs idi t wird durch diese Kritik verdunkelt undein Teil des Dramas wird Sdiwerer Verkennung ausgesetzt . Audi dieMethode, mit der er gegen den Mythos vorgeht, ist sdi on dieselbe, wie in denspäteren Dramen : er behält die Handlung bei , die Mensdi en aber , unterdenen s ie Sid i abspielt , empfinden n idi t wie die Heroen des Epos , sie sindvielmehr «Wirklié keitsmensdi en» ‚ und mit der Moral der Wirklichkeit trittder D id i ter an s ie heran und beurteilt ihre Taten .

Zugleid1 mit der «Alkestis » bradi te Euripides im jahre 438 audi denwegen seiner Bettlerlumpen berüd1 tigten «Telephos» zur Aufführung . S e i n eM e t h o d e , d e n Ve r i smu s , h a t t e e r a l s o d am a l s s ch o n v ö l l i ga u s g e b i l d e t .Nodi eine Eigenart, der er immer treu geblieben ist, laßt Sidi Sdi on in

seinem ersten erhaltenen Drama beobad1 ten . Er hat s ie mit allen denD idi tern gemein, die nid i t nur poetisch gestalten, sondern audi lehren wo llen,aber besonders entwickelt finden wir s ie bei Euripides und bei Ibsen .

Anathon Aall sagt von dem letzteren «Er muß Masken anwenden .

Aber diese haben Lod ier , und plötz lidi erkennen wir in Ibsens eigenes Ge=

S idi t hineingeblickt zu haben» . So ergeht es uns audi , wenn wir in unseremDrama den Herakles sagen horen 3)

«W ir s ind nun einmal Mensdi en,

Und mensdi lidi müssen wir das Leben nehmen .

Es ist für all d ie finstern, feierlid1en

Ges id1 ter, wenn man midi zum Rid i ter n immt,Das Leben gar kein Leben, sondern Plage .» (W.)

Wir blicken hier durch die Maske des Herakles dem Euripides insGes id i t ; er legt sdi on hier ein Bekenntnis ab , das er am Sd i luß seinesLebens in den «Bacd i en» erneut hat .

1) Über d ie Sterbeszene Talbots sagt Bulthaupt , Dramaturg ie des Sd iausp iels p . 338

«Empfindlidi er hat n ie ein D id i ter in s ein eigenes Fleisd1 gesd mitten , und gewiß hatte er esn ie wen iger nötig . Talbot is t dem D idi ter zu l ieb geworden .

»

2) Anathon Aal l, c .

, p . 1 78.

3) «Alkes tis » 799-802 :

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1 10 EURIPIDES

ehelid 1e Treue anders denken , wenn s e i n e r Todi ter dergleid1en passierenso l lte. So aber vermeidet er es Sidi über die Handlungsweise des Jasonauszuspred1en ,

er geht mit dem Gedanken daruber hinweg , daß so etwaseben der Lauf der Welt sei . Der Pädagog spridi t diesen Gedankensogar aus (V. Er billigt die Tat des ]ason nidi t , er kann Sidi abernidi t so darüber aufregen , wie das die alte Amme tut (V. Aufdem S tandpunkt des Pädagogen steht anfangs audi der Chor (V. 150

d0di läßt er Sidi sd1nell und gründlidi von Medea überzeugen . Daß Jasonjede Strafe verdiene , daß Medea zu der furdi tbarsten Rache beredi tigt sei,

das steht den korinthisd1 en Frauen bald fest (V. Daher Sd iweigen sie,sogar wo es Sid i um ihr eigenes Königshaus handelt. Von den Männern,die im Drama auftreten , steht einz ig der ehrlid 1e Athener Ageus auf

Seiten der Medea. Der Vorwurf der Treulosigkeit , den diese dem Jasonmad i t , ist für ihn entsd i eidend . Daß gerade d e r A t h e n e r das Leitmotivdes Dramas billigt, ist bei dem ausgeprägten Lokalpatriotismus unseres D idi tersnatürlid i von besonderer Bedeutung .

Sd i ließlidi greift nodi einer zugunsten der Medea in den Verlauf derHandlung ein , der Sonnengott Helios , ihr Großvater. Der Chor flehtihn an

,er möge die sd1 1 ecklid1e Tat der Medea verhindern (V. Und

was tut der Gott ? Er Sd'

l id( t zu ihrer Rettung den Zauberwagen . Das

Ersd1einen des Agcus und der Drad i enwagen des Sonnengottes vollendenerst den Triumph der Medea , denn jetzt ist es dem ]ason unmöglid i Sid izu rädi en .

Wie in der «Alkestis » , so ist audi in unserem Drama der Did i ter mitder Götterhandlung einverstanden . Dort der helfende Apollon , hier derrettende Sonnengott, s ie fordern seine Kritik in keiner Weise heraus . Wohlaber tut dies aud i hier wieder der Heros . ] a s o n t r ä g t d i e K o s t e nd a fu r , d aß s i c h d e r D i ch t e r d i e sm a l d e r u n t e r d r ü ck t e n F r a ua n n imm t , daß er, wie Wilamownz sagt, «die Gesellsdiaft mit weiblid i emAuge betradi tet»Was ist aus dem herrlid i en Helden geworden, aus dem ]ason, den uns

Pindar in der vierten pythisdi en Ode zeigt? Der stärkste der Manner ister dort , der weiseste und der sd1önste , dazu in Wort und Tat offen und

ehrlidi , ohne jedes Falsd1 . Wie er auf demMarkte der Magneten ersd i eint,

mit der Speere Paar , im Sd 1mudc der Lod&en ‚ und wie sie Sidi da fragen,weldi er Gott wohl zu ihnen gekommen sei , das muß man bei Pindar lesen,exzerpieren kann man Pindar nidi t . Und nun u n s e r ]ason ! Er ist nidi t wieder Gatte der Alkestis e i n n a i v e r , e i n l i e b e n s w ü r d i g e r E g o i s t ,nein , er ist e i n g a n z g em e i n e r E g o i s t , der kaltblütig über alles hin :

1) W i lamowitz sagt in der Einleitung zu seiner Übersetzung der Medea, p . 30 : «W ir

bekommen ein Bild der Gesellschaft , das befremdend wirkt , weil s ie diesmal mit weiblidi emAuge betrad i tet wird .

»

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VI . D IE FRAUEN'

I'

RAGÖ DIEN 1 1 1

wegsd 1reitet, was seinem Fortkommen in der Welt imWege steht1). Dabei

hat aberWilamowitz (l . c . p . 24) redi t : «Euripides madi t den Jason im Grundegar nidi t Sd i led i ter, als die Männer seiner Zeit durd1sd1nittlidi waren .

» SeineHandlungsweise , seine Ansd iauungen entspredi en der Moral seiner und

unserer Gesellsdi aft. Daher wirkt das Drama heute nodi so stark , denndie Problemstellung ist heute nodi modern .

Wie in der «Alkestis», so hat demnadi audi hier unser D idi ter an denMythos den Maßstab einer feiner entwickelten Moral angelegt . Das Eposnimmt derlei Dinge nie moralisdi . Helenas strahlende Sdi önheit wird beiHomer durch moralisdi e Erwägungen nie getrübt. Dem Epiker konnte esnidi t einfallen den Theseus zu verdammen , weil er die Ariadne auf Naxosverließ , oder den Jason , weil er die Medea verraten hat . Anders urteiltEuripides . Sein Verdikt lautet : es gibt keine Herrenmoral ! sd i led i t ist

sdi led i t, audi bei Göttern und Heroen . So hat der Moralist Euripides dem

gried i isd i en Volke den Helden Jason erschlagen . Seitdem er mit seinemDrama die Weltliteratur beherrsdi t, ist der Held Jason tot, und im Gedädi tnisder Mensdi en lebt nur Jason der Verräter . Wir fühlen diesen Verlust nidi t,denn Jason gehört n id i t zu den Heldengestalten , die uns durch Homer liebund teuer geworden sind . Wenn wir n idi t zufällig den Pindar neben denEuripides legen , so bemerken wir gar nidi t , was für ein herrlid1er Heldsterben mußte, damit Medea in ihrer furdi tbaren Große erstehen konnte.

H i p p o l y t o s .

Drei Jahre nadi der «Medea» , im,

Jahre 428 , wurde der uns erhalteneHippolytos aufgeführt . Hier ist der Mann in der Ehe an seiner Ehregekränkt , audi er sd1reckt in seinem Grimm vor der Vernidi tung des eigenenSohnes nid i t zurudc. Diese Ähnlidi keit mit der Handlung seiner «Medea»hat Euripides wohl selber empfunden . Haben d0d i die beiden Dramen inerhabenen und in absonderlidi en Gedanken gar mand i e Anklänge 2).Der uns erhaltene «Hippo lytos » ist die zweite Bearbeitung dieses Mythos

durch Euripides . Im ersten «Hippo lytos» war Phädra ein sd1amloses,

1) W ie Jason das Argument bei Pindar (4 . pyth. Ode 2 1 2 ff .) verwendet , um jeder

Dankessd mld gegen Medea quitt zu werden , das muß man bei Euripides (V. 526 ff.) nach :lesen, um seine bodenlose Gemeinheit mit einem Sdi lag zu erkennen .

2

) Medea sagt (V. 1078 m i uav8<ivco „ Si: 0101 öpä'

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Ähnlich argumentiert Phadra (V.

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m l .

Des weiteren klingen an Hipp . 53o ff. an Medea 627 ff. ; Hipp . 618 ff . an Medea 573 f. ;Hipp . 925ff. an Medea 516 ff.

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1 12 EURIPIDES

buhlerisdi es Weib , das Sidi selber dem Stiefsohn antragt . Das S tudc verstieß gegen die Moral des Theaterpublikums u nd wurde lebhaft abgelehnt .Bei der Neubearbeitung hat der D idi ter den Charakter der Phadra völligins Gegenteil verändert . S ie ist nidi t nur zurüdchaltend , korrekt und sehrauf ihren guten Ruf und auf die Meinung der Leute bedad i t, Euripides hatsie sogar als keusd i und in ihrem Herzen aufs Gute geridi tet dargestellt ?)Offenbar reizte es ihn mit dieser zweiten Phädra dem Publikum , das dieerste aus Prüderie abgelehnt hatte , zu zeigen , daß bei aller S ittsamkeit derHeldin die Handlung des S tud1 es zum selben Ziel gelangen könne .

Um das zu ermöglid1en , mußte er im zweiten Drama Aphrodite vielstarker hervortreten lassen . Im ersten trat s ie wohl gar n idi t selber auf. Daswar bei dem Charakter d i e s e r Phädra audi nid i t nötig . In der zweiten Be=arbeitung dagegen würde die Handlung ohne ihr Zutun gar n id i t ins Rollenkommen . So wird der Pro log nötig , in dem uns die Göttin enthüllt , wieall das folgende Verhängnis ihr Werk ist . Dafür hat s ie im Verlauf desDramas durd i den alten Diener , durch Hippo lytos , Theseus und Artemismannigfadi e und sdiarfe Kritik zu erleiden . In demMaße, wie Phädrabessergestaltet wurde , wurde eben das Eingreifen der Gottheit als Willkür undUnredi t empfunden . So tragen audi hier wieder die olympisd ien Götter dieKosten für die verfeinerte Moral der Mensdi en .

1

) So weit müssen wir gehen , denn wir haben kein Red i t bei ihrer Charakteris tik dieVerse 317 ff., 380 ff., 406 ff. zurüdctreten zu lassen .

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1 1 4 EURIPIDES

von der Madi t der Seelenuberwaltigung d ionys isdi er Orgien und laßt eineAhnung von diesen fremdartigen Zuständen in den Leser übergehen .»

Im Jahre 408, kurz vor seiner Abreise nadi Mazedonien, sd1ufEuripides

den «Orestes»,ein Drama , in dessen Verlauf die Poäs ie immer mehr von

der Kritik überwudi ert wird ; bald darauf fo lgen dann die «aulisd1e Iphigenie»und die «Bacdi en» , zwei positive did i terisd ie Sdi öpfungen . Wir haben essdi on hervorgehoben, daß die Entfernung von Athen, der Abstand von denPersonen und Verhältnissen , die ihn dort verwirrt und gestört hatten , so

wohltätig auf Euripides eingewirkt haben . In Mazedonien ist der D id i terin ihm über den Denker und Grübler Herr geworden , fern vom Streit derphilos0phisd1 en Parteiungen hat er offenbar besser gelernt Moral und Kunst auseinander zu halten . Und d0d i kommt aud i in unseremDrama die Moral und dieKritik keineswegs zu kurz audi hier sd1aut ab und zu der alte Rationalist undMoralist Euripides aus der Maske einer der Personen des Dramas uns insAntlitz . Dutzende von Wundern werden hier erzählt oder gar dargestellt

,

aber das fundamentale , das von der Sd1 enkelgeburt des Gottes , wird d0dinur in den Chorgesängen gläubig verkündet , während es Teiresias einerrationalistisd i en Deutung unterz ieht (V . Dazu wird audi hierwiedersd ion im Prolog demWissenden der Standpunkt angegeben, den man einemsold i en Mythos gegenüber einnehmen könne (V. geradeso wie das im« Ion» gesdi ieht (V.

Ebenso kritisch betrad i tet der D id i ter audi die Taten , die der neueGott im Drama begeht. Denn so gewaltig er audi ersd i eint , so unbedingter dem Sdiwad ien Mensdi en überlegen ist, das Redi t hat er nidi t auf seinerSeite . So wenig, wie die Aphrodite im «Hippolytos» . Da dies Drama von

allen erhaltenen den «Bacd i en» am ahnlid1 5ten ist , was die Taten derGötter und Mensdi en anlangt , so wird uns eine kurze Vergleid iung uberdie Stellung wohl Klarheit versdiaffen , die der D idi ter zum Dionysos der«Bacdi en» einnimmt.

In beiden Dramen verweigert ein Vermessener einer mä di tigen .Gott=

heit die Verehrung und wird deshalb von ihr Sd ionungs los vernid i tet. Antreuen Warnern fehlt es in beiden Fällen nidi t und audi nidi t an Furbitte

1) Demselben Zwedr dienen audi die Vers e 272

b is 285, wie Bruhn (in der Einleitungzu seiner Ausgabe der «Bacdi en »

, p. 19) und Wei l (Emdes, p . 1 1 2 ff.) rid i tig hervorheben .

Wenn ich ein paarmal davon gesprod i en habe , daß Euripides « für den Wissenden » denStandpunkt angebe , den er dem Mythos gegenüber einnehmen so l le , so meine ich damitnatür lid i nid i t , daß er in abs ichtlid1er Geheimniskrämerei Tei le s einer Dramen nur für eineengere Gemeinde gesdi rieben habe. Die Sadi e ist ja bei vielen Kunstwerken ebenso . Ibsens«Wi ldente» z . B . ist der großen Masse des Publikums eine tei ls verwunderlidi e , tei lsergreifende Wirkl id 1keitssd1 i lderung ,

dem «Wissenden» aber , der d ie Abs id i t des Dichterserkennt , sagt das Drama mehr. Dasselbe gi lt von vielen Werken der bi ldenden Kunst.Wer den rid i tigen Standort wählt, der s ieht auf einem Gemälde oder an e iner Statue mand i es ,was dem andern entgeht.

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VI I . D IE BAOCHEN 1 15

bei der erzurnten Gottheit. Im «Hippolytos» bittet der treue Diener,Aphrodite möge sein frommes Herz ansehen und dem unbesonnenen Jünglingverzeihen (V. und in den «Bacdi en» hofft Teiresias , der Gott werdeseine und des alten Kadmos fromme Verehrung dem Pentheus zum Gutenred men (V. Aber die Gottheit ist in beiden Dramen radi südi tig wieein sdi ledi ter Mensdi und vernidi tet ihren Widersadi er . D0di wird beideMale der Mensd i nur körperlidi vernidi tet und wahrt audi dem s iegreid i en

Gott gegenüber seinen Standpunkt. Der sterbende Hippolytos benütz t dieletzte Kraft, die ihm blieb, um der Aphrodite zu fludi en (V. und dieletzten Worte, die vom Chor abgesehen im Drama gesprod i en werden, sindein Vorwurf des Theseus gegen die Göttin (V.

In den «Bacdi en» führt nadi dem Tode des Pentheus Agaue seine undihre Sadi e mit derselben Hartnädcigkd t , und der Gott hat ihr gegenübereinen Sdiweren Stand . Ihr Urteil geht dahin, daß die Strafe in keinem Ver=hältnis zum Vergehen stehe und daß Sidi der Gott wie ein Sd iwadi er Mensdi

vom Zorn habe hinreißen lassen (V. Wenn Sid i nun Dionysosgegen diesen Vorwurf verteidigt mit den

«Mein Vater Zeus besdi loß es so von Ewigkeit»,so ist das naturlidi nur eine redi t Sd iwad i e Ausrede und keine Widerlegung .

Übrigens mißbilligen aud i Kadmos und Teiresias die Handlungsweise desGottes (V. 1249 f., re3p . V . Und Agaue behält ihm gegenüber das letzteWort , wie dies audi im «Hippolytos» die Mensdi en der Göttin gegenübertun : d i e l e t z t e n Ve r s e d e r «Bao c h e n», von den S& lußanapästen desChors abgesehen , s i n d e i n e e r n e u t e A b s a g e a n d e n G o t t , s i n dw i e d e r u m e i n e Ve r w e r fu n g s e i n e s K u l t u s . Agaue sagt

z)«O erreidft

'

ich ein Land,Wo mid i nicht mehr sdiautDes Kitharongebirgs blutsd1uldiges Haupt,Wo ich selbst nid i t mehr das KithärongebirgZu erblidren vermag, und wo n id i ts mich gemahntAn das Thyrsosgewuhl : Hier mögen dem GottNun huldigen andre Mänaden !» (M .)

Fromm ist die Mutter des Pentheus durch ihr sdi redd idi es Sdi icksal alsonidi t geworden . Wie im «Hippolytos», so ist eben audi hier lediglidi eineMad1 tfrage zu Ungunsten der Mensd ien entsd i ieden worden, die Götter habenSidi in beiden Dramen als stärker erwiesen

, nid i t aber als s ittlid i besser.

«Baochen » 1 349 : 7 6188 258; 061181; änéveucev now/m.«Baochen » /83 ff. : 57180111 1 8’

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1 1 6 EURIPIDES

Ihre Handlungsweise wird beidemale mit dem Maßstabe gemessen , denEuripides immer an seine Götter und Helden anlegt. Der Gott soll gutsein , sonst ist er kein Gott . Und diese beiden Götter s ind sd i led i t , sindnid i t besser als die Mensdi en . So sagt im «Hippolytos» der alte Diener ans ignifikanter Stelle, am Sd i luß des Prologs‘)

«Eine Gött in mußErhaben über Mensd mntorheit s ein», (W .)

und mit anderen Worten sagt Agaue dasselbe am Ende unseres Dramas 2)«Die Götter dürfen zumen nidi t g leid i Sterbl idi en !» (M .)

Es s ieht n idi t danadi aus, als ob Sid i der D idi ter der «Bacdi en» frommenS innes auf d ie Seite der Gottheit gestellt habe um ihr mad1tvolles Waltenzu preisen , als ob er also mit diesem Drama eine Palinodie habe sdi reiben

wo llen .

Ab e r d am i t i s t d i e S a c h e n i c h t e r l e d i g t. Die Parallele mitdem «Hippolytos», die uns bisher zur Klarheit geführt hat , stimmt ebend0d i nidi t völlig . Mit dem Mythenstoff , den der D idi ter im «Hippolytos»gestaltete , hatte er persönlidi nidi ts gemeinsam. Freilidi erzählte man sd i on

im Altertum, er sei durch trube Erfahrungen in der eigenen Ehe zu diesemMythos geführt worden und habe also unter der Gestalt der ersten Phädraseine eigene treulose Gattin an den Pranger gestellt. Dod1 ist das wohlLiteraturklatsdi , der im letzten Ende auf die Komödie zurüd<geht . Andersliegt der Fall bei den «Bacd i en» . Hier sind die persönlid1 en Beziehungenunseres D idi ters zu seinem Drama nid i t zu verkennen . I s t e s d 0 di

g e r a d e z u d i e T r a g ö d i e s e i n e s e i g e n e n L e b e n s , d i e h i e r z u r

D a r s t e l l u n g k omm t . Denn das Leitmotiv des Dramas ist zugleid i dasLeitmotiv für das ganze Leben des Euripides . «Fehde führen gegen eineGottheit», ösouocxe

i'

v,das ist das Stid1wort für Pentheus und sein Treiben,

ein imGriedi isdi en seltenesWort, vielleid i t von Euripides selber erst geprägtNun kann man freilid i sagen : Euripides hat d0di mit Pentheus keine

Beruhrungspunkte . Pentheus ist ein Gewaltmensdi , ein thebanisdi er Tyrann,

«Hippol .» 1 20 : cocpcor épovc; (7619) xp?) ßporä'

w etwa2) «Baochen » 1 348 : 59761; 11 95271781. 8506; oöx 6p.o10

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Von den beiden zuletzt z itierten Versen sagt Lindskog (l . c ., p . s ie könnten als Motto

für die beiden Dramen dienen . Ganz in derselben Weise argumentiert Euripides in einemähnl id1 en Fall, zum drittenmal . In der «Andromadi e» sd i ließt der Bote seine Erzählung vomTode des Neoptolemos in Delphi mit den Worten (V. 1 161

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}c ocpöc;

3) Vergl . dazu Nestle , Phi lo logus N . F. X III , p . 49. Wir begegnen dem Stichwort

öeouax e‘

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v zuers t im Prolog unseres Dramas, V. 45, dann nodi in den Versen 325 und 1 255.

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1 1 8 EURIPIDES

«Wär audi jener (D ionysos), wie du sagst, kein Gott, s o laßAls Gott ihn gelten : nimm ihn an, den sdi önen Trug,Daß Semel e wirkl ich einen Gott geboren hat,Da dies mit Ruhm verherrl idi t unsern ganzen Stamm.

» (M .)

So wie Sidi die beiden klugen Greise dem Pentheus gegenüberstellen, sosteht in unserm Drama der D idi ter von heute dem von gestern gegenüber,der neue Euripides dem alten . Der alte war ein gewesen , einKämpe gegen die olympisd i en Götter , der neue hält in diesen Fragen mitseinem Urteil zuruck, wie es die beiden klugen Greise tun . Ihm haben Sid izwar nidi t die Olympier verwandelt, aber er selber ist ein anderer geworden .

Nun kann man freilidi einwenden : Euripides spridi t audi sonst oft ausjeder beliebigen Person eines Dramas heraus zu uns , ohne daß er deshalbmit dieser Person Sidi selber irgendwie verkörpern wo llte . So spridi t er z . B .

aus dem Lykos im «Herakles», aus dem Thoas , aus dem Pheres in der«Alkestis » . Hier aber liegt der Fall d0di anders, denn die Zurüd1haltung desUrteils über göttlidi e Dinge , die Teiresias und Kadmos üben und dem

Pentheus anraten , s ie wird audi in den C h o r l i e d e r n der «Bacdi en»

wieder und immer wieder empfohlen . Wir finden hier eine Anzahl frommerund Sdi öner Strophen, in denen vor dem Forsdi en über die Götter und vormensdi lid i er Weisheit direkt gewarnt wird, in denen der alte, einfad i e Glaubeals der S idi erste Weg zum Glüd1 empfohlen wird . Diese Stellen passendurch die Milde des Urteils und durch ihren ruhigen Ton redi t wenig zu

dem , was der blutgierige und radi südi tige Mänadendi or sonst zu singenhat, ein s id1eres Zeid ien dafür , daß hier Euripides selber aus dem Chorheraus zu uns sprid i t . Und was verkündet uns dieser Chor im Namen desD idi ters ? Dasselbe , was die beiden Greise dem Pentheus mahnend und

warnend sagen . Kadmos beginnt‘)«Ein Staubgeborner, höhn

'

ich nie die Himml isd1en»,

und Teiresias fährt fort«Vergebens tastet Menschenwitz die Götter an !Was uns gelehrt d ie Väter, was gehei ligt hatDer Lauf der Mitwelt, n immer stürzt ein Sprudi es um,

Und wär's der weisheitsvolls te, tiefs ten Geis tes Frudi t. » (M.)

Aber die Frömmigkeit , die aus diesen Worten und aus den sd10nen

Chorliedern zu uns spridi t , ist dem Didi ter nur Mittel zu einem prakt isdi en

Zwed1 , und dieser Zweck ist harmloser Genuß des Lebens Die beiden

«Bacd i en » 199 ff. : KA. 06 x aracppoviii’

ycb 176511 801711) 8vvq rö; yeycßc.

TEI . 068811 0010156800801 ro‘

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w.

2) Vergl . zu dieser Auffassung audi Bruhn in der Einleitung zu seiner Ausgabe der

«Bacd i en», p . 15-17 .

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VI I . D IE BAOCHEN 1 1 9

Alten sagen es deutlich : tanzen und schwarmen wo l len s ie wie die Jungen,ihr

Alter vergessend (V. 188 Und weldi er Lohn wird in den Chorliedern fürdieses Verz idi ten auf Kritik und Forsd mng, für diesen frommen Glauben anden neuen Gott verheißen ? «Froher Genuß des Weins», « ein Leben frei vonLeid»

,«harmloser Genuß des Tages» . Das sind die Ziele, die hier winken

und denen der mude Did i ter Für ihn handelt es Sidi also hier

gar nidi t um den Gegensatz von F o r s c h e n u n d G l a u b e n,sondern um

den von F o r s c h e n u n d L e b e n . «Hinein ins Leben ! » ruft der alteDid i ter, und wäre es zunäd i st audi nur hinein in Auerbad1 s Keller.

L e b e n heißt dunkler GewaltenSpuk bekämpfen in Sidi .

D i c h t e n Gerichts tag haltenü ber sein eigenes Idi .

An di ese Definition Ibsens mussen wir_uns wieder erinnern , wenn wir den

D id i ter der «Bacdi en» verstehen wo llen . Ihm nahte « dunkler GewaltenSpuk»

, das A l t e r . Da blid1 t er zurüd1 auf sein Leben . Im Forsdi en undDiä ten ist es ihm entsdiwunden, Mühe ist es gewesen und Kampf er bez

sdi ließt es im Ausland , in.

freiwilliger Verbannung. Bei dieser Abred1nungkommt er nun mit müdem Läd1eln zu dem Resultat , daß er besser getanhätte sein Leben harmlos zu genießen .

Nodi viel tiefer als der alte Euripides hat der alte Ibsen diesen Kontrastzwisdi en Kunst und Leben gefühlt . D ie resignierte Stimmung , die in denChorl iedern der «Bacdi en» zum Ausdrud< kommt , ist in seinen vier letztenDramen unverkennbar , besonders bedeutsam aber ist s ie für sein letztesDrama geworden : «Epilog : Wenn wir Toten erwadi en» . Hier sagt imzweiten Akte der Held, der B ildhauer Rabek, zu seiner Frau Maja

«D ieser ganze Künstlerberuf und diese ganze küns tlerische Tätigkeit und alles, wasdamit zusammenhängt , fing an , mir so von Grund aus leer und hohl und nid1tig vor

zukommen .

Maja : Was wo l ltes t du denn statt dessen ?Rubek : L e b e n , Maja .Maja : Leben ?Rubek Ja, ist es denn nidi t unvergleid1 lid1 wertvo l ler e i n L e b e n i n S o n n e n s ch e i n

u n d S c h ö n h e i t z u fü h r e n , als Sid i bis ans Ende seiner Tage in einer naßkalten Höhlemit Tonklumpen und Steinblödren zu Tode zu plagenUnd wiederum im zweiten Akt , am Ende , da gibt uns Ibsen den

Sdi lüssel zum ganzen Drama . Rabek klagt , daß er sein Leben an seineKunst versdi erzt und n idi t lieber «wie eine Sommernadi t auf Bergeshöhen»genossen habe . Und Irene sagt :

«Bacdi en » 423 : 011100 1 15041 1; 1 004 : 810; 910 : 1 6 m r’

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1 20 EURIPIDES

«Was unwiderbringl iä verloren ist, sehen wir ers t, wennRubek : WennIrene : Wenn wir Toten erwadi en .

Rubek : Ja, was sehen wir da eigentlid i ?

Irene : W i r s e h e n , d a ß w i r n i ema l s g e l e b t h a b e n .»

Viel milder drud1 t Sidi Euripides aus , d0d i Sagt er im Grunde dasselbe‘)«Kurz ist das Leben wer ein hohes Ziel verfo lgt , versäumt darüber dasGlüd{ des Tages» .

Den umgekehrten Fall sehen wir bei Walther von der Vogelweide . Derwar sein Leben lang ein frohes Weltkind gewesen, von ihren Freuden hatteer gesungen , von den Blumen auf der Heide , von den Vöglein im Waldeund von den sdi önen Frauen . In dem Sdi önen Gedid1t aber , das vielleid i t

sein letztes ist und das mit den Worten beginnt : «owé war sint verswundenalliu miniu jär l», da klagt er um sein buntbewegtes Leben, das ihm wie einTraum entsdiwunden ist, und flüdi tet Sidi aus dem Irdisdi en ins Ewige . Er sagt :

«Owé wie uns mit süezen dingen ist vergeben !idi Sihe d ie gallen mitten in dem honege sweben .

d ie werft ist üzen Sdi oene wiz, grüen'

unde rötund innen swarzer varwe, vins ter sam der töt .»

Anders erging es unseren beiden großen Idealisten . S ie hatten all ihreTage in der Welt ihrer Ideale verbrad i t und hatten der Mensdi heit in ihrenDramen gepredigt , was s ie für wahr und gut erkannt hatten . Am Endeihres Lebens sahen sie nun, wie bunt und lod1 end d0di die Welt sei, «üzen

Sdi oene wiz, grüen unde röt», und sie klammerten Sidi nun an dies Leben, dasihnen entsdiwinden wollte und das ihnen sdi ließlidi als das einzige Realeersdi einen mod i te . So erlagen s ie beide am Ende ihrer Tage dem Zauber,den Conrad Ferdinand Meyer in seinem sdi önen Gedid i t : «Die Lenzfahrt»

besungen hat . Mit diesem Zitat soll nidi t einem sentimentalen Bedürfnismeinerseits Genüge geschehen , sondern es soll bewiesen werden , daß sold i e

denkmüde Stimmungen bei jungen und alten D id i tern nidi t selten sind, ich

verweise audi auf Sdi illers Ged idi t : «Resignation», daß es also nidi t angehtdaraus auf ihre Weltansd muung Sd i lüsse zu ziehen . Conrad FerdinandMeyer aber singt also :

«Zu wandern ist das Herz verdammt,Das seinen Jugendtag versäumt,Sobald d ie Lenzessonne flammt,Sobald d ie Welle wieder sd1äumt.Versd 1erzte Jugend ist ein Sd imerz

Und einer ew'

gen Sehnsucht Hort.Nach seinem Lenze sucht das HerzIn einem fort, in einem fort !

«Baochen » ßpo1x6; aidw° 6111 1 061 19

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122 EURIPIDES

Wir sind am Ende unseres Weges angelangt. Er ging von Ibsen ausund hat uns wieder zu ihm zurüdrgeführt. Nodi eine andere Vergleid1ungliegt nahe , die mit Sdi iller. Aud i er ist ja ein Lehrer seines Volkes

, ein

Prediger der Ideen der Aufklarung, ganz wie Euripides ; audi er deklamiertnidi t selten aus seinen Personen '

heraus und ist überhaupt mit seinerglänzenden Rhetorik dem Griedi en nahe verwandt. Verwandt ist er ihm,

ebenso wie der Norweger, aud i durch seinen s itt lid i en Ernst. In Fragen derMoral kennen s ie alle drei kein S id nbfinden ; alles oder nid i ts ! ist hier ihreLosung. Aber ein Doppeltes sd1eidet Sd i iller von Euripides und verbindetzugleid i den Griedi en und den Norweger. Sdi iller hat Sidi eine sichereWeltansd1auung erkämpft, er steht auf einem freien , hohen Standpunkt.Und auf diesen hinauf, hinauf ins Reich der Ideale hebt er nun alle dieglänzenden Gestalten seiner Dramen und mit ihnen audi den Leser. Euripidesdagegen ist wie Ibsen der immer Sud1ende . Und wie dieser alles im kalten,klaren Lidi t seiner nordisd i en Heimat darstellt , so führt der Griedi e dieGötter und Helden seiner Mythen aus dem episd1en Märd1 enlande hinausin die rauhe Wirklid ikeit . Dieser Verismus der Darstellung ist beidenD id i tern ein Kunstmittel und beiden Denkern ein Kampfmittel . Hier läßtSidi natürlich keine Grenze z iehen , d0di ist leicht einzusehen , daß in denWerken der beiden der Kunstler gar oft durch den Prediger und Lehrergestört und gehindert wird. Freilid i ist es dann audi wieder gerade diesereifernde Geist der Wahrheit, der die beiden zu den höd i sten ihrer po

'

e‘

tisd1 en

Leistungen befähigt hat .So hat Euripides mit Sdi iller einige , mit Ibsen viele Vergleid1ungs

=

punkte gemeinsam. Sdi on die Gesid1tszüge der drei Männer zeigen , daßder Gr iedi e und der Norweger näher zusammengehören . Von Sdi illersStirne, aus Sdi illers Augen leud i tet die hohe, freudige S idi erheit des IdealistenEuripides und Ibsen s ind beide von Sorgen und Gedanken durd1 furdi t‚ d0d iersdi eint der Griedi e, wie in der Poé sie so aud i im Bilde als der mildere .Ibsen blid1 t energisdi und sd1arf nad1 außen , Euripides sinnend nadi innen .

Alle drei waren s ie edle Mensdi en und große D id i ter . Wenn v o nd em D i c h t e r E u r i p i d e s hier weniger die Rede gewesen ist , so erklärtSidi dies daraus , daß wi r darauf ausgingen d e n M e n s c h e n in seinenDid i terwerken zu sudi en . Erst wenn wir aud i ihn erkannt haben , habenwir den ganzen Euripides . Und nunmehr ergeht es uns mit ihm , wie mitSdi iller und mit Ibsen . Unsere Liebe , unsere Verehrung wird durch dieseArt der Betrad i tung gewiß nidi t gemindert . Erkennen wir d0di ,

daß

Euripides der Mensdi so groß und so verehrungswürdig gewesen ist wieEuripides der D id i ter .

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Register .

Die Zahlen bezeid 1nen die Seiten, d ie Zahlen hinter dem Komma die Anmerkungen .

Äsdiylos 2 . 2 1 . 22 . 33. 40 . 56. 89 . 95.

Dramen«Agamemnon» 72 .

«C hoéphoren» 2 . 1 7 . 19 . 43. 53.

«Eumeniden» 17. 26 f. 34 . 35. 38.

«Prometheus » 2 .

«Sieben gegen Theben» 2 . 42 ff. 53. 97.

Aristarch 1 8.

Aris tophanes 38. 40 . 43. 57 . 78. 1 07.

Ari stoteles 13. 7 1 f.

Euripides . Stellung zum Mythos 2 ff.

Euripides und Ibsen 6 ff.Rationalismus 8. 25. 28 f. 51 . 89 . 99.

100 . 1 14 .

Ehe und Frauenfrage 10 f. 59. 64 . 76.

10 1 . 102 ff. 1 10.

/Verhäl tn is zum Staat 1 1 f. 76. 95ff.

98. 10 1 .

Panhellenismus 67 . 70 ff.

Problems tel lung und Leitmotive s einerDramen 14 ff. 27 . 30 f. 44 . 51 f. 58.

64 . 67. 7 1 . 9 1 f. 95. 96. 98f.

104 . 109. 1 16 f.

Verismus 3 f. 9 . 1 1 . 25. 32 . 37 ff. 46 f.

65. 87 . 88 f. 108. 1 22 .

D idaktisd1 e Tendenz 1 3. 25. 29 . 31 . 38.

52 . 60. 61 . 62 . 69. 108.

Dramen«Aiolos» 16.

«Alkestis» 9. 31 . 52 . 70 . 87. 1 03. 1o4 ff .

109 . 1 10 . 1 18.

«Andromad i e» 76 f. 92 . 103. 1 16, 2 .

«Antiope»

«Bacdi en» 5. 9. 65. 66. 68 f. 100 . 103.

1 08. 1 13 ff.

«Bellerophontes» 9 . 16.

«C hrys ippos» 1 6.

« C yk10p» 88ff. 93.

«Elektra» 16. zo ff. 28. 29. 30, 1 . 37 . 38.

39 . 40 . 4 1 43. 53. 91 92 .

«Hekabe» 73 ff.

«Helena» 31 . 77 ff. 88. 96.

«Herakles» 5. 49 ff. 70 . 74 . 103. 1 18.

«Herakliden» 95f.

«Hiketiden» ( «Der Mütter Bittgang») 65.

82 . 96 ff.

«Hippolytos» 5. 31 . 103. 1 1 1 f. 1 14 ff.

« Ion» 37 . 87 . 98 ff. 1 14 .

« Iphigenie, aufisdie» 5. 9 . 1 1 . 31 . 52 . 65ff.

74 . 103. 1 1 3 . 1 14 . 1 2 1 .

« Iphigenie, taurisd1e» 5. 8. 16. 25ff.

31 . 32 . 33. 39. 77 . 78. 84 . 85. 86. 103. 1 18.

«Medea» 5. 31 . 103. 109 1f.

«Melanippe, weise» 1 6.

«Orestes » 16. 2 1 . 29 ff. 43. 9 1 . 92 .

96. 1 14 .

«Pel iaden» 9. 9 1 .

«Phöniz ierinnen» 42 ff. 53.

«Rhesos » go lf. 102 . Eé theitsfrage

«Telephos » 108.

«Troerinnen » 5. 1 1 . 31 . 52 , 1 . 56 ff. 67. 73.

74 . 91 f.

Euripides, der jüngere 65. 68.

Goethe 1 3. 26. 54 . 1 17 .

Hartmann von Aue 104 .

Hauptmann, Gerhart 1 09.

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1 24 REGISTER

Hebbel 54 .

Heraklit 56.

Herodot 69 .

Homer 1 . 1 8. 33. 35. 56. 59. 60 . 62 f. 67 . 73.

76. 78ff. 88ff. 90 ff. 100 . 1 1 1 .

Ibsen 5. 6 ff. 20 . 29 . 30 . 32 . 39. 4o f.

66 ff. 76. 77 . 90 . 93. 96. 103. 108. 109 .

1 17 . 1 19 ff.

Menander 40.

Meyer, C onr . Ferd . 1 20 f.

Müllner, Adolf 47 .

Nietzsdi e 6, 1 .

Pindar 100 . 1 10 . 1 1 1 , 1 .

Plato 2 . 56. 62 . 89 .

Protagoras 89.

Reimarus,Herm. Samuel 4 f. 19 . 25. 29 .

Sd i il ler 1 3. 47 f. 54 . 72 . 73. 89 . 107 f. 1 20. 1 2 2 .

Shakespeare 20. 43. 84 .

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Sophokles 2 . 3. 9 . 33. 40 . 56. 94. 95.

Dramen :«Aias » 2 . 72 . 94 .

«Antigone» 72 . 82 .

«Elektra» 1 7 ff. 25. 32 . 35f. 37 . 54 .

«Kön ig Ö di pus» 43. 52 f.« Ö dipus auf Kolonos» 48.

«Trad 1inierinnen» 54 f.

Stes id mros 1 8. 33. 83.

Strauß, D . Fr. 4 f.Thukydides 57, 1 . 58.

Valerius Max imusVisd wr, Fr . 26. 89 .

Xenophanes 52 . 56.

Xenophon 56.

Walther von der Vogelweide 1 20 .

Wieland 82 . 89 .

Zola 6.

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glaube, daß es ein rechtes Studentenbud 1 werden wird, daes höchsteWissensd1aftl ichkei t mit Handlichkeit, markanterü bers id i tl ichkeit und Wohlfeilheit verb indet. D r. A. H ey d e r (D i e Fu r c h e) .

Wir möd i ten das hebräisdi eWörterbud1 jedem empfehlen, der vor der Notwendigkeit steht, S idi ein solchesanzuschaffen . Man findet hier schwierige Sprachformen, deren Ursmung man nicht sogleidi erkennt, in das Wörten=rbuchverzeichnis eingereiht , und brauch t daher nicht , wie es früheren Generationen ging , lange hin und her zublättern , b is endlich das r ich tige Stammwort gefunden war . Der Verfasser ist bekannt dafür, daß er mit une n

müd lichemFleiß und peinlichster Sorgfalt in seinenWerken alles zusammenträgt, was d ieWissenschaft erarbeitet hat .L i t. Be i lag e z u r R e fo r mat i o n.

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ROBERT RIEMANN

as 19. un er ts en

teraturZweite, stark vermehrte und verbesserte Auflage,VIII u . 497 S . gr . Geh . M . 5. geb . M . 6.

Riemanns Buch ist ein mit s orgfaltiger Gewissenhaftigkeit , mit tiefgründigem Wissenund mit s elbs tändigem Urtei l gesd i riebenes Werk. Vor allem br id i t es mit der l iteraturgesdi id i tlidi en Sd1ablone und ist originell. Sd ion in seiner Anordnung : von der Romantikführt es zum Pess imismus, von ihm zur politisd i en Rid i tung‚ dann behandelt es Klass iz ismusund Real ismus und sdi ließlidi den National ismus und Impress ionismus im Aus lande und inDeutsdi land . A r t u r B r au s ew e t t e r in der T ä g l . R u n d s ch a u vom 12. Apri l 1912.

An deutsdi en Literaturgesd1 id üen , aud i des XIX . Jahrhunderts , fehlt es uns im allge=

meinen n idi t ; sdi ließlidi haben wir ja aud i auf der Sd mle eine mehr oder wen iger veraltetein der Hand gehabt. Aber Werke , d ie eigenes Denken und Urteilen zeigen an Stelle ge=dankenloser Hinnahme der traditionel len Auffassung , Beherrsd mng und Verarbei tung desStoffs s tatt lex ikographisd mr Anordnung soldi e Werke gibt es s icher n idi t in Überfluß.Riemanns deutsd i e Literaturgesdi id i te des XIX. Jahrhunderts ist ein soldi es Werk. D ieGrundtendenz, d ie das ganze Budi durd i zieht, ist Sympathie für den Realismus, Abwendungvon der Romantik . Audi wer dieser Rid i tung des Verfassers nidi t folgen kann , wird mitInteresse von ihr Kenntn is nehmen , der Fad1mann wird gezwungen sein, s ich mit ihr aus ::einander zu setzen . Zu den äußeren Vorzügen des Bud1es gehören eine gesd üd1 te Gliedesrung des Stoffes , eine wirksame Hervorhebung des Wichtigen , ein ausgezeid i neter Stil .Das Werk ist bezeid met als «zweite , s tark vermehrte Auflage» . D ie Vermehrung und Um=

arbeitung is t aber so beträd 1tlid 1 , daß es als völlig neues Buch aufzufassen ist . Der Besi tzder ersten Auflage madi t d ie Ansd1affung der zweiten n idi t überflüss ig, sondern nötig.D r. P a u l R o t h in der Akad em. R u n d s d mu ,

Heft

Als Gesdi id i tsquelle und die Entstehung der Ro landsaulenEine Studie von

F. E . MANN173 Seiten gr . Geheftet M . gebunden M . 5.

in fast vergeblidi es Bemuhen war es b isher , den vom Did i ter besungenen HeldentatenRolands eine S idi ere gesdi id i tlid i e Grundlage zu geben , seinem Ruhm eine genügendehistorisdi e Erklärung. So vergeblidi , daß audi Stimmen laut geworden s ind , welche d iehis torische W irklid ikei t des Helden ganz leugneten und seine Ges talt nur für ein Gebi ldeder d id i terisd ien E inb ildungskraft erklärten . Das vorl iegende Buch verschafft dem Leser übermand 1es Rätsel , d ie der Held Roland bisher in Poes ie , Gesd i idi te und Altertumskunde aufgegeben hat, eine Lösung, an der so viele tüd nige Gelehrte bisher vergeb lidi Sidi bemühthaben}und öffnet damit gleidi sam das Tor zu einem großen Arbeitsgeb iet für zahlreid1e Forscher.

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BINDING S EC T . AUG l l 1967

S t e i ger , HugoEur i p i d e s

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