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Inhalt Vorwort zur deutschen Ausgabe 9 Vorwort 11 Die Sahara: Von der Wüstenbarriere zur globalen Verkehrsader 13 Karawanenhandel und afrikanische Wirtschaft 51 Der Kampf um die Herrschaft über die Sahara und ihre »Ufer« 95 Der Islam 143 »Islamicate« Kultur 177 Europäischer Kolonialismus: Bruch und Kontinuität der transsaharischen Verbindungen 211 Chronologie 248 Anmerkungen 250 Literatur 256 Dank 261 Abbildungsnachweis 262 Index 263

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Inhalt

Vorwort zur deutschen Ausgabe  9

Vorwort  11

Die Sahara: Von der Wüstenbarriere zur globalen Verkehrsader  13

Karawanenhandel und afrikanische Wirtschaft  51

Der Kampf um die Herrschaft über die Sahara  und ihre »Ufer«  95

Der Islam  143

»Islamicate« Kultur  177

Europäischer Kolonialismus: Bruch und Kontinuität der transsaharischen  Verbindungen  211

Chronologie  248

Anmerkungen  250

Literatur  256

Dank  261

Abbildungsnachweis  262

Index  263

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­Existenz­sind­untrennbar­mit­dem­Schicksal­Frankreichs­ver­bunden.­Wenn­das­Haus­brennt,­stürzen­alle­Bewohner­her­bei,­um­die­Flammen­zu­löschen.«0

So­ tolerant,­ ja­ hilfreich­ die­ Kolonialbehörden­ gegenüber­dem­ Islam­ als­ Religion­ auch­ sein­ mochten,­ so­ repräsentier­ten­sie­andererseits­doch­eine­weltliche­Kultur­des­Westens,­die­ den­ islamischen­ Mittelmeerraum­ als­ Bezugspunkt­ für­Afrikaner,­ die­ ihren­ Platz­ in­ der­ größeren­ Welt­ suchten,­ zu­verdrängen­drohte.­Das­Instrument­–­manche­würden­sagen­»Geschenk«­ –,­ mit­ dessen­ Hilfe­ die­ europäischen­ Regierun­gen­diese­Kultur­ihren­neuen­Untertanen­nahebringen­woll­ten,­war­die­Schule.­Doch­das­koloniale­Schulwesen­in­dieser­Region­ stand­ vor­ einem­ doppelten­ Dilemma:­ Erstens,­ wie­viel­ sollte­ man­ in­ die­ Bildung­ von­ Bevölkerungen­ investie­ren,­die­keine­politischen­Mittel­besaßen,­um­derlei­Vorteile­überhaupt­einzufordern,­und­die­den­beschränkten­Ambitio­nen­ ihrer­ Herrscher­ dann­ am­ besten­ dienen­ würden,­ wenn­die­meisten­von­ihnen­ihren­eigenen­Kulturen­verhaftet­blie­ben?­Zweitens,­was­sollte­mit­den­bestehenden­Ausbildungs­­und­Alphabetisierungssystemen­passieren,­die­sich­ im­Laufe­von­Jahrhunderten­islamischer­Beeinflussung­herausgebildet­­hatten?

Algerien,­ das­ erste­ Territorium­ in­ dieser­ Region,­ das­ ko­lonisiert­ wurde,­ bedeutete­ für­ die­ französischen­ Machtha­ber­ eine­ besondere­ Herausforderung,­ denn­ hier­ hatten­ sie­es­ nicht­ nur­ mit­ muslimisch­afrikanischen­ Untertanen­ zu­tun,­sondern­auch­mit­europäischen­Siedlern,­die­ihren­poli­tischen­Einfluss­geltend­machten,­um­»die­Einheimischen­in­ihre­Schranken­zu­weisen«.­Die­Lösung,­für­die­sich­die­aus­gesprochen­ laizistische­ und­ nationalistische­ Dritte­ Republik­schließlich­ entschied,­ bestand­ darin,­ Koranschulen­ beizube­halten­und­zu­beaufsichtigen,­während­eine­kleine­Zahl­von­Algeriern­die­Möglichkeit­geboten­bekam,­sich­zu­Franzosen­

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im­Westentaschenformat­zu­mausern.­»Ziel­der­den­Einhei­mischen­vermittelten­Ausbildung­ist­es«,­so­die­Präambel­zum­allgemeinen­ Lehrplan­ für­ das­ Unterrichtswesen­ von­ 1898,­»aus­ihnen­anständige,­aufgeklärte,­vernünftige,­arbeitsfreu­dige­Menschen­zu­machen,­die­bereit­sind,­sich­uns­durch­den­Gebrauch­unserer­Sprache­sowie­durch­die­Anerkennung­der­Fortschritte­ anzunähern,­ an­ denen­ wir­ sie­ teilhaben­ lassen,­um­ihr­Wohlbefinden,­ihre­Hygiene,­ihre­landwirtschaftlichen­Praktiken,­ihre­industriellen­Arbeiten­und­ihre­geschäftlichen­Beziehungen­zu­verbessern.«1

In­ Tunesien­ und­ dem­ größten­ Teil­ Marokkos­ ließen­ die­Franzosen­die­Ausbildung­weitgehend­in­den­Händen­lokaler­Behörden,­ die­ Arabisch­ als­ wichtigstes­ Unterrichtsmedium­beibehielten,­ auch­ wenn­ sie­ die­ Notwendigkeit­ erkannten,­Französisch­zu­ lehren.­Auf ­der­anderen­Seite­der­Wüste,­ in­Frankreichs­subsaharischen­Territorien,­fand­der­staatlich­ge­förderte­Unterricht­ausschließlich­in­Französisch­statt.

In­ den­ britischen­ Kolonien­ arbeiteten­ die­ Schulen­ nach­ganz­anderen­Prinzipien,­was­teilweise­mit­den­Bedingungen­in­ den­ besetzten­ Regionen­ zusammenhing,­ teilweise­ aber­auch­mit­den­nach­Afrika­importierten­Ideen­und­Praktiken.­In­Großbritannien­selbst­wie­auch­ in­den­Kolonien­des­Em­pire­ wurde­ ein­ Großteil­ des­ Unterrichtswesens­ an­ religiöse­Körperschaften­delegiert.­Im­Falle­Afrikas­waren­dies­Missio­nare,­deren­Kapazitäten­an­Arbeitskraft­und­Geldmitteln­bei­weitem­das­überstiegen,­was­an­Ausbildung­geboten­werden­konnte;­allerdings­unterrichteten­sie­vorzugsweise­in­einhei­mischen­ Sprachen,­ die­ sie­ zuvor­ erlernt­ hatten­ und­ die­ sie­benutzten,­um­Einheimische­zum­Christentum­zu­bekehren.­Anders­als­die­Franzosen,­die­sich­seit­Beginn­des­19.­Jahrhun­derts­genötigt­sahen,­ ihre­Sprache­gegen­»les­Anglo­Saxons«­zu­ verteidigen,­ fürchteten­ die­ Briten,­ in­ Afrika­ dasselbe­ zu­erleben­ wie­ in­ Indien,­ wo­ Absolventen­ englischsprachiger­

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Schulen­am­Ende­des­Jahrhunderts­plötzlich­auf ­die­Idee­ge­kommen­ waren,­ unerwünschte­ Forderungen­ nach­ Autono­mie­zu­erheben.­Der­Unterricht­an­britischen­Kolonialschulen­in­Afrika­sah­normalerweise­so­aus,­dass­in­den­Unterstufen­ausschließlich­einheimische­Sprachen­benutzt­wurden;­etwas­später­erschien­dann­auch­Englisch­im­Lehrplan,­aber­als­Un­terrichtssprache­blieb­es­der­höheren­Bildung­vorbehalten.

In­Nordnigeria­unterstützten­die­Briten­deshalb­nicht­nur­das­ Kalifat­ von­ Sokoto­ und­ den­ Islam,­ sondern­ förderten­auch­ die­ literarische­ Entwicklung­ der­ Hausa­Sprache.­ Hau­sa­war­bereits­im­frühen­19.­Jahrhundert­zu­einer­Schriftspra­che­ geworden,­ die­ das­ arabische­ Alphabet­ verwendete,­ dies­allerdings­fast­ausschließlich­für­religiöse­Poesie.­Um­Hausa­für­ihre­eigenen­administrativen­Zwecke­nutzbar­zu­machen,­beschloss­die­britische­Kolonialverwaltung,­dass­es­mit­latei­nischen­Buchstaben­geschrieben­werden­müsse.­Örtliche­Ge­lehrte­und­Regenten­widersetzten­sich­jedoch­jahrzehntelang­einer­solchen­Veränderung,­die­für­sie­nicht­nur­einem­Verrat­am­Islam­gleichkam,­sondern­hinter­der­sie­auch,­nicht­ganz­zu­Unrecht,­Bekehrungsabsichten­seitens­christlicher­Missio­nare­witterten­(die­in­der­Tat­am­Rand­des­Hausalands­aktiv­waren).­In­den­190er­Jahren­schließlich­eröffneten­die­staat­lichen­ Schulbehörden­ ein­ sogenanntes­ »Literature­ Bureau«­und­ baten­ eine­ Gruppe­ junger­ Korangelehrter,­ die­ als­ Leh­rer­ausgebildet­worden­waren,­kurze­historische­Romane­ in­romanisiertem­ Hausa­ zu­ verfassen­ –­ ein­ Konzept,­ das­ nach­den­Worten­des­zuständigen­britischen­Beamten­Rupert­East­»völlig­neu­war­und­von­zweifelhaftem­Wert,­wenn­nicht­gar­moralisch­bedenklich«.

Trotz­dieser­forcierten­Anfänge­entwickelte­sich­das­säku­larisierte­und­romanisierte­Hausa­schon­bald­zu­einem­leben­digen,­modernen­Medium.­Einer­der­Romane­aus­den­190er­Jahren,­Shaihu Umar,­der­noch­heute­gelesen­wird,­erzählt­die­

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–­ ausgesprochen­ transsaharische­ –­ Geschichte­ eines­ Hausa­jungen,­der­erst­entführt­und­zum­Sklaven­gemacht­wurde,­dann­ am­ Nordrand­ der­ Wüste­ eine­ Ausbildung­ bekam­ und­schließlich­ als­ Koranlehrer­ nach­ Hause­ zurückkehrte.­ Der­Verfasser,­Alhaji­Abubakar­Tafawa­Balewa,­wurde­später­der­erste­ Premierminister­ des­ postkolonialen­ Nigeria.­ Aber­ sei­ne­Ermordung­19­–­Auftakt­zu­einem­blutigen­Bürgerkrieg­–­verdeutlicht­ auch­die­Probleme,­die­ aus­ einem­Gegensatz­zwischen­ saharischen­ und­ atlantischen­ Orientierungen­ im­modernen­Westafrika­resultieren­konnten.­Eine­solche­Spal­tung­mochte­den­kurzfristigen­Interessen­der­Briten­insofern­dienen,­als­sie­das­Unabhängigkeitsbestreben­der­Nigerianer­–­vor­allem­der­aus­dem­Süden,­die­besser­in­die­europäische­Kultur­integriert­waren­als­ihre­Landsleute­im­Norden­–­ver­langsamte,­ ohne­ es­ allerdings­ völlig­ aufhalten­ zu­ können.­Andererseits­ hinterließ­ sie­ auch­ ein­ Erbe­ religiöser­ und­ re­gionaler­Konflikte,­die­bis­heute,­oft­ in­gewalttätiger­Form,­anhalten.

In­ den­ französischen­ Kolonialgebieten­ des­ transsahari­schen­Afrika­mussten­sich­Traditionen­des­Ajami­Schreibens­selbstständig­behaupten.­Auch­Frankreich­praktizierte­in­sei­nen­Teilen­des­transsaharischen­Afrika­eine­Politik­des­»divide­et­ impera«,­ aber­ der­ Unterricht­ in­ einheimischen­ Sprachen­spielte­hier­ fast­keine­Rolle.­ In­den­Regionen­Südmarokkos,­wo­ berberisch­ gesprochen­ wurde,­ richteten­ die­ Franzosen­sogenannte­»Écoles­franco­berbères«­ein,­was­aber­nichts­an­deres­bedeutete,­als­das­Arabische­ (und­damit­ganz­konkret­den­ Islam)­ zugunsten­ des­ Französischen­ und­ des­ Säkularis­mus­ auszuschließen.­ »Das­ Arabische­ ist­ ein­ Faktor­ der­ Isla­misierung,­denn­es­ist­die­Sprache­des­Koran;­unser­Interesse­gebietet­uns­aber,­dafür­Sorge­zu­tragen,­dass­die­Berber­sich­außerhalb­islamischer­Strukturen­weiterentwickeln«,­schrieb­Maréchal­Hubert­Lyautey,­der­»französische­Lugard«­1914.­»In­

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­sprachlicher­Hinsicht­müssen­wir­bestrebt­sein,­vom­Berberi­schen­direkt­zum­Französischen­zu­gelangen.«

Welche­ Politik­ mit­ diesen­ kulturellen­ Bemühungen­ ver­folgt­­wurde,­zeigte­sich­190,­als­die­französischen­Behörden­den­marokkanischen­König­dazu­drängten,­einen­dahir­(Ver­ordnung)­zu­erlassen,­wonach­es­»im­Interesse­unserer­Unter­tanen­und­der­öffentlichen­Ruhe«­geboten­sei,­»den­bisherigen­Status­der­befriedeten­Berberstämme­zu­respektieren«.4­Den­marokkanischen­Eliten­war­sofort­klar,­dass­der­sogenannte­»Dahir­Berbère«­einen­Angriff ­auf ­den­Islam­bedeutete,­und­so­ nutzten­ sie­ ihn­ –­ entgegen­ den­ französischen­ Absichten­

Der französische Maréchal Hubert Lyautey eroberte Marokko in den Jahren 1907–1912 und diente anschließend als »Résident Général« (praktisch Gouverneur) seines Landes bis 1925. Seine militärischen und administrativen Erfolge wurden durch den Versuch getrübt, Berber und Araber gegeneinander auszuspielen: Diese Politik, die die Marokkaner als direkten Angriff auf den Islam empfanden, wurde für sie zum Ansporn eines antikolonialen Nationalismus.

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und­anders­als­im­Falle­Nigerias­–­als­Grundlage­für­eine­ver­einigte­nationalistische­Opposition­gegen­das­europäische­Ko­lonialregime.

Keine­einzige­der­sudanischen­Sprachen,­die­in­der­vorko­lonialen­ Zeit­ Ajami­Schreibsysteme­ entwickelt­ hatten,­ wur­de­ von­ den­ offiziellen­ französischen­ Unterrichtsbehörden­nachhaltig­ unterstützt.­ Dennoch­ konnte­ sich­ diese­ Art­ der­Lese­­und­Schreibfähigkeit­behaupten­und­fand­aufgrund­der­Bemühungen­inoffizieller­Förderer­–­etwa­die­Ulema,­weltli­che­afrikanische­Intellektuelle­und­europäische­Privatgelehrte­im­Dienst­der­Kolonialverwaltung­–­sogar­noch­weitere­Ver­breitung.­ Wolof,­ die­ Hauptsprache­ des­ Senegal,­ war­ in­ der­vorkolonialen­Zeit­kaum­geschrieben­worden,­aber­die­Sufi­Bruderschaften­der­Muriden­und­Tidschani­sorgten­mit­ihrer­Dynamik­dafür,­dass­sich­eine­umfangreiche­religiöse­Litera­tur­ entwickelte,­ die­ das­ arabische­ und­ lateinische­ Alphabet­benutzte.

Futa­Jallon,­eine­Region­im­späteren­Französisch­Guinea,­blieb­ eines­ der­ wichtigsten­ Zentren­ der­ religiösen­ Fulfulde­Literatur,­die­ in­Ajami­geschrieben­wurde,­ aber­die­Dichter­des­ frühen­ 19.­Jahrhunderts­ entrüsteten­ sich­ auch­ moralisch­über­die­kolonialen­Verhältnisse:

»Allah­erlegt­uns­Prüfungen­auf,­deshalb­hat­er­unsin­ die­ Welt­ gebracht­ zur­ Zeit­ der­ [französischen]­ Steuer­eintreiber,jener,­denen­die­Glückseligkeit­des­Jenseitsversagt­bleibt.

[...]

Geben­wir­ihnen­also­die­Steuer,­auf ­dass­sie­sie­essen­mö­gen!

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Wir­aber,­wir­folgen­unserer­Religion;­Allahwird­uns­entlohnen­mit­der­Nahrungdes­Jenseits!

Die­aber­die­Steuer­mit­ihnen­essen,sie­ sollen­ wissen,­ dass­ sie­ mit­ ihnen­ ins­ Feuer­ der­ Hölle­gehenim­Jenseits!«5

Trotz­seiner­reichen­Tradition­konnte­sich­das­geschriebene­Fulfulde­ nie­ gegen­ die­ Vorherrschaft­ des­ Arabischen­ oder­Französischen­behaupten,­denn­die­Viehhirten,­die­es­ spra­chen,­ blieben­ als­ Minderheiten­ über­ weite­ Teile­ West­­ und­sogar­Zentralafrikas­verstreut.­Dagegen­blieb­Mande­ in­sei­nen­vielfältigen,­aber­untereinander­verständlichen­Formen­unter­ allen­ westsudanischen­ Sprachen­ diejenige­ mit­ der­größten­Verbreitung.­Hätte­Großbritannien­diese­Region­be­herrscht,­wäre­ein­standardisiertes­Mande­aller­Wahrschein­lichkeit­nach­zu­einem­Medium­früher­Erziehung­wie­auch­literarischer­Produktion­geworden.­Im­französischen­Macht­bereich­fühlte­sich­Solomana­Kante,­ein­nordguineischer­In­tellektueller,­1949­berufen,­für­die­Mande­Kernsprachen­Ma­linke,­Bambara­und­Dyula­ein­neues­phonetisches­Alphabet­zu­erfinden,­das­sogenannte­N’Ko­(was­so­viel­bedeutet­wie­»ich­sage«).

Den­ Anstoß­ zu­ seinem­ Unterfangen­ erhielt­ Kante­ nach­Aussage­derer,­die­sich­199­an­ihn­erinnerten,­nicht­etwa­aus­Europa,­sondern­aus­der­arabischsprechenden­Welt,­und­zwar­aus­ einem­ 1944­ im­ Libanon­ erschienenen­ Buch,­ in­ dem­ die­Afrikaner­verunglimpft­wurden,­weil­ihre­Sprachen­angeblich­keine­Schriftlichkeit­besäßen.­Ebenso­wenig­wie­die­Fulfulde­Poesie­ stellte­ N’Ko­ eine­ Bedrohung­ für­ die­ Franzosen­ dar;­doch­ihre­beruhigende­Ansicht­über­den­Islam noir­wie­auch­

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über­die­islamisch­geprägte­Kultur,­die­dieser­Auffassung­eine­gewisse­Gültigkeit­zu­verleihen­schien,­geriet­ in­den­ letzten­Jahrzehnten­der­Kolonialzeit­zunehmend­ins­Wanken,­als­das­Arabische­ zum­ Medium­ und­ zum­ Emblem­ neuer­ religiöser­Kräfte­aus­dem­Vorderen­Orient­wurde.

Diese­ Lehren­ brauchten­ nicht­ mehr­ mittels­ Wüstenka­rawanen­ in­ Afrika­ verbreitet­ zu­ werden.­ Unter­ der­ Kolo­nialherrschaft­ wurde­ es­ für­ afrikanische­ Muslime­ sehr­ viel­

Zweiter Weltkrieg. Truppentransport aus Französisch-Westafrika (1939). Trotz des Projekts einer transsaharischen Eisenbahn, mit der lange geliebäugelt wurde, mussten diese Soldaten die Wüste mit dem LKW durchqueren. Die Compagnie­Générale­Transsaharienne, die den Transport organisierte, betrieb auch eine Fluglinie auf denselben Routen.

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leichter,­ Pilgerreisen­ nach­ Mekka­ zu­ unternehmen­ oder­ zu­den­mediterranen­Zentren­islamischer­Gelehrsamkeit­zu­rei­sen:­Anders­als­ in­der­Vergangenheit­konnten­sie­zu­diesem­Zweck­jetzt­motorisierte­Fahrzeuge­durch­die­Sahara,­Schiffe­auf ­dem­Atlantik­oder­–­im­späteren­0.­Jahrhundert­–­Flug­zeuge­benutzen.­Zudem­verknüpften­die­neuen­Formen­des­Islam­ ein­ fundamentalistisches­ Bedürfnis­ nach­ Rückkehr­ zu­den­religiösen­Wurzeln­mit­einem­modernen­Bestreben,­das­wissenschaftlich­technische­ Denken­ des­ Westens­ in­ die­ reli­giöse­ Orthodoxie­ zu­ integrieren.­ Die­ ersten­ Verfechter­ die­ser­ neuen­ Religiosität­ attackierten­ den­ Kolonialismus­ denn­auch­ nicht­ direkt,­ sondern­ eher­ die­ Protektion,­ die­ er­ dem­»verderbten«­ Islam,­ insbesondere­ den­ Sufi­Bruderschaften,­zukommen­ließ.

Islamische­ Reformbewegungen­ entstanden­ zunächst­ im­Ma­ghreb,­bevor­sie­eine­gute­Generation­später­auch­im­su­danischen­Afrika­aktiv­wurden.­191­schloss­sich­eine­Gruppe­von­Gelehrten,­die­ im­­Vorderen­Orient­ausgebildet­worden­waren,­ unter­ dem­ Vorsitz­ von­ Abdelhamid­ Ben­ Badis­ zur­»Association­ des­ Ulama­ Musulmans­ Algériens«­ (A.U.M.A.)­zusammen,­ die­ –­ wie­ ihr­ Vizepräsident­ zwei­ Jahre­ später­erklärte­ –­ »zwei­ noble­ Ziele«­ verfolgte:­ »die­ Würde­ der­ is­lamischen­ Religion­ und­ die­ Würde­ der­ arabischen­ Sprache­wiederherzustellen«.­19­verurteilten­Ben­Badis­und­seine­Anhänger­die­Sufi­Praktiken­als­etwas,­das­»nur­der­Zeit­des­Heidentums­angemessen«­sei,­und­ihre­Förderung­durch­die­Kolonialverwaltung­ ziele­ darauf ­ ab,­ »uns­ als­ rückwärts­ ge­wandt­und­abergläubisch­hinzustellen«.­Die­A.U.M.A.­op­ponierte­nicht­direkt­gegen­die­französische­Herrschaft,­die­Ben­Badis­als­notwendig­für­das­algerische­Volk­betrachtete,­»um­Fortschritte­auf ­dem­Weg­zu­Zivilisation­und­Entwick­lung­ zu­ machen«.­ 19­ erklärten­ sich­ die­ A.U.M.A.­Führer­jedoch­zu­Angehörigen­einer­»algerischen­Nation­von­Musli­

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men,­die­nicht­Frankreich­ist.­[...]­Sie­will­nicht­zu­Frankreich­werden.«­Gleichzeitig­forderten­sie­–­unter­Berufung­auf ­die­französischen­Prinzipien­der­Trennung­von­Kirche­und­Staat­–,­ sie­und­nicht­die­Kolonialverwaltung­müssten­ islamische­Wohlfahrtsorganisationen,­ Moscheen­ und­ Schulen­ kontrol­lieren.8

195­berichtete­Marcel­Cardaire,­ein­kolonialer­»Wallfahrts­beamter«­ (zuständig­ für­ die­ Beaufsichtigung­ des­ Hadsch),­über­seine­Begegnung­mit­fünfhundert­Studenten­aus­Franzö­sisch­Westafrika,­die­an­der­islamischen­Universität­Al­Azhar­in­ Kairo­ studierten.­ Sie­ sagten­ ihm,­ die­ Anführer­ des­ Islam noir­seien­in­ihren­Augen­»ignorant­und­habgierig«,­und­wenn­sie­nach­Hause­zurückkehrten,­würden­sie­»diese­schlechten­Muslime­dem­Heidentum­und­dem­westlichen­Einfluss­ent­reißen«.9­Um­den­auf ­Arabisch­verbreiteten­Lehren­der­mus­limischen­ Reformer­ gegenzusteuern,­ unternahm­ Cardaire­einen­ der­ wenigen­ französischen­ Versuche,­ die­ Lese­­ und­Schreibfähigkeit­ in­ westafrikanischen­ Sprachen­ zu­ fördern,­allerdings­nicht­mit­großem­Erfolg.­

Um­ diese­ Zeit­ ging­ die­ Kolonialherrschaft­ im­ transsaha­rischen­ Afrika­ bereits­ ihrem­ Ende­ zu.­ Sowohl­ im­ blutigen­Kampf ­ um­ die­ Unabhängigkeit­ Algeriens­ als­ auch­ in­ den­friedlicheren­Transformationen,­die­in­den­französischen­und­britischen­ Kolonien­ des­ tropischen­ Afrika­ stattfanden,­ wur­den­ die­ nationalistischen­ Bewegungen­ jeweils­ von­ Leuten­angeführt,­die­ ihre­Bildung­nicht­dem­ Islam,­ sondern­euro­päischen­Sprachen­und­Kulturen­verdankten.­Doch­dieser­Tri­umph­der­westlichen­Zivilisation­war­alles­andere­als­vollstän­dig.­Die­ersten­postkolonialen­Regime­in­Afrika­erwiesen­sich­als­unfähig,­ihre­Versprechen­zu­erfüllen­und­die­wirtschaftli­che­und­soziale­Entwicklung­voranzutreiben.­Die­daraus­fol­gende­Enttäuschung­führte­unter­anderem­zu­einer­erneuten­Stärkung­des­Islam,­aber­auch­zu­weiteren­Konflikten­unter­

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Muslimen­im­Maghreb­wie­im­Sudan,­in­denen­es­um­rivali­sierende­Formen­der­Religion­und­ihre­Rolle­als­Ordnungsfak­tor­des­sozialen­Lebens­ging.

Auch­noch­im­ausgehenden­0.­und­frühen­1.­Jahrhundert­sorgte­die­Sahara­für­Verbindungen­zwischen­Afrika­und­glo­balen­Interessen,­allerdings­auf ­andere­Weise­als­zu­den­Blü­tezeiten­der­Kamelkarawanen.­Der­wichtigste­ökonomische­Aktivposten­der­Wüste­besteht­heute­in­den­riesigen,­äußerst­ergiebigen­Ölvorkommen­in­ihren­nördlichen­Regionen.­Den­Land­­und­Luftverkehr­durch­und­über­die­Sahara­nutzten­ei­nige­der­reichsten­Menschen­der­Welt­(sogenannte­»Abenteu­ertouristen«)­wie­auch­einige­der­ärmsten­(illegale­Migranten­aus­dem­tropischen­Afrika,­die­über­den­Maghreb­nach­Eu­ropa­zu­gelangen­hoffen).­Seit­00­ ist­die­Region­auch­zum­Schauplatz­des­US­amerikanischen­»Kriegs­gegen­den­Terror«­geworden.­ Dieser­ Terror­ war­ zunächst­ vermutlich­ eher­ ein­Hirngespinst­ als­ eine­ tatsächliche­ Bedrohung,­ ist­ aber­ 01­mit­ der­ Ausrufung­ eines­ unabhängigen­ Tuareg­Staats­ Aza­wad­ in­ Nordmali­ zur­ Realität­ geworden.­ Inzwischen­ wird­diese­Region­von­extremistischen­muslimischen­Kräften­be­herrscht,­ die­ der­ AQIM­ (Al­Qaida­ im­ islamischen­ Maghreb)­nahestehen.­ Eine­ weitere­ Rolle­ spielen­ daneben­ anhaltende­Dispute­über­das­ frühere­ spanische­Territorium­Westsahara­(»Afrikas­ letzte­ Kolonie«)­ und­ genozidale­ Angriffe­ arabisch­sprechender­Viehtreiber­aus­dem­Niltal­auf ­die­Bevölkerung­von­Darfur.

Damit­ ist­ die­ Sahara­ wieder­ das­ geworden,­ was­ sie­ zur­Zeit­der­Karthager­und­Römer­schon­war­–­eine­umkämpf­te,­vielleicht­auch­gefährliche­Zone­jenseits­der­Grenzen­der­damals­bekannten­Welt­(beziehungsweise,­heute,­zweier­sol­cher­ Welten,­ der­ mediterranen­ und­ der­ sudanischen),­ nicht­aber­ eine­ florierende­ Verkehrsader­ innerhalb­ ihrer­ eigenen­afrikanischen­ Welt.­ Die­ Geschichte­ dieser­ Verkehrsader­ hat­

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uns­noch­immer­sehr­viel­zu­erzählen,­nicht­nur­darüber,­wie­unser­gesamter­Globus­in­der­Vergangenheit­zu­einer­Einheit­zusammenwuchs,­sondern­auch,­wie­die­Afrikaner­auf ­beiden­Seiten­der­Wüste­und­in­ihrem­Innern­bis­heute­ihre­Identitä­ten­herausbilden.