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Ursachenwirkung von Martin Zenhäusern ([email protected]) Ein beliebtes Wort in den vergangenen Monaten der heftigen politischen Auseinandersetzungen war: Der Stil. Bei der allgemeinen Polemik ist dabei untergegangen, dass in diesem Zusammenhang etwas Wesentliches verwechselt wurde – nämlich Ursache und Wirkung. Der vielfach und zurecht kritisierte Stil ist nicht die Ursache, sondern nur die Wirkung. Ursache dieses Stils ist die Einstellung, die Grundhaltung. Wer Menschen verhöhnt, wer andere Meinungen strikte ablehnt, wer mit Drohgebärden arbeitet, der hat eine bedenkliche Grundhaltung. Diese Einstellung zeigt, dass Toleranz und Meinungsvielfalt nicht zu den eigenen Grundwerten gehören. Schnell sind wir bei dieser Haltung im Bereich des Doktrinären, des absoluten Machtanspruchs. Diese Einstellung zeigt sich dann im Stil, in der Sprache, im Umgang mit anderen. Vor allem bei Niederlagen wirkt der Stil entlarvend. Dann werden die letzten Reste einer Maskerade hinweggefegt, und das wahre Gesicht kommt zum Vorschein. Aus der Distanz betrachtet waren die vergangenen Nationalrats- und Ständeratswahlen sowie die Bundesratswahl ein Füllhorn an Anschauungsunterricht in Sachen Psychologie und Kommunikation. Was die eine Seite bei der anderen kritisierte, tat die andere mit der grössten Selbstverständlichkeit selber auch. Wenn die einen von Weichsinnigen und schlechten Patrioten sprachen, so schlugen die anderen mit Ausdrücken wie vergreiste Politik und Gruselkabinett zurück. Verschiedene Medien verhielten sich ebenso, je nach politischer Ausrichtung. Es war schon erstaunlich, wie wenig über Inhalte, und wie ausführlich über Personen und inszenierte Un- Themen berichtet wurde. Ein zweiter Irrtum, der offenbar immer noch nicht erkannt worden ist, bezieht sich auf den beliebten Schlagabtausch. Statt die eigenen Positionen zu vertreten, gehen Parteien und deren Exponenten willfährig auf die noch so offensichtlichste Provokation ein. Damit verstärken sie die Aufmerksamkeit, die der politische Gegner in der Öffentlichkeit findet, anstatt ihren eigenen Anliegen Gehör zu verschaffen. Warum gegen den politischen Widersacher kämpfen statt für die eigene Sache? Der Angreifer erhält so gleich zweimal ungeteilte Aufmerksamkeit: Einmal beim Angriff, das zweite Mal bei der Gegenattacke. Wer sich seiner Sache sicher ist, steht über ihr und kann gelassen reagieren. Dann erst demonstrieren eine Partei oder ihre Exponenten staatsmännisches Format. Hat eine Politik der Verhöhnung und der fadenscheinigen Angriffe eine Zukunft? Wohl kaum. Viele Menschen jeglichen Alters haben sich von der Politik abgewendet, weil sie des Parteiengezänks überdrüssig sind. Viele werden sich wieder verstärkt mit Politik beschäftigen, wenn es um gemeinsame Lösungen geht und nicht um Partikulärinteressen. Da bekanntlich viele Wege nach Rom führen, ist es durchaus angebracht, neben der eigenen – selbstverständlich besten Variante – auch noch andere in Betracht zu ziehen. Häufig ergeben sich, gerade wenn wir den ernsthaften Dialog pflegen, überraschende neue Wege, die schneller ans Ziel führen. Noch etwas: Der deutsche Schriftsteller Johann Gottlieb Seume hat bereits im 18. Jahrhundert gesagt: „Wer andere klein macht, ist selber nie gross.“ Daran können wir uns messen.

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eigene Sache? Der Angreifer erhält so gleich zweimal ungeteilte Aufmerksamkeit: Einmal beim Angriff, das zweite Mal bei der Gegenattacke. Wer sich seiner Sache sicher ist, steht über ihr und kann gelassen reagieren. Dann erst demonstrieren eine Partei oder ihre Exponenten staatsmännisches Format.

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Ursachenwirkung von Martin Zenhäusern ([email protected]) Ein beliebtes Wort in den vergangenen Monaten der heftigen politischen Auseinandersetzungen war: Der Stil. Bei der allgemeinen Polemik ist dabei untergegangen, dass in diesem Zusammenhang etwas Wesentliches verwechselt wurde – nämlich Ursache und Wirkung. Der vielfach und zurecht kritisierte Stil ist nicht die Ursache, sondern nur die Wirkung. Ursache dieses Stils ist die Einstellung, die Grundhaltung. Wer Menschen verhöhnt, wer andere Meinungen strikte ablehnt, wer mit Drohgebärden arbeitet, der hat eine bedenkliche Grundhaltung. Diese Einstellung zeigt, dass Toleranz und Meinungsvielfalt nicht zu den eigenen Grundwerten gehören. Schnell sind wir bei dieser Haltung im Bereich des Doktrinären, des absoluten Machtanspruchs. Diese Einstellung zeigt sich dann im Stil, in der Sprache, im Umgang mit anderen. Vor allem bei Niederlagen wirkt der Stil entlarvend. Dann werden die letzten Reste einer Maskerade hinweggefegt, und das wahre Gesicht kommt zum Vorschein. Aus der Distanz betrachtet waren die vergangenen Nationalrats- und Ständeratswahlen sowie die Bundesratswahl ein Füllhorn an Anschauungsunterricht in Sachen Psychologie und Kommunikation. Was die eine Seite bei der anderen kritisierte, tat die andere mit der grössten Selbstverständlichkeit selber auch. Wenn die einen von Weichsinnigen und schlechten Patrioten sprachen, so schlugen die anderen mit Ausdrücken wie vergreiste Politik und Gruselkabinett zurück. Verschiedene Medien verhielten sich ebenso, je nach politischer Ausrichtung. Es war schon erstaunlich, wie wenig über Inhalte, und wie ausführlich über Personen und inszenierte Un-Themen berichtet wurde. Ein zweiter Irrtum, der offenbar immer noch nicht erkannt worden ist, bezieht sich auf den beliebten Schlagabtausch. Statt die eigenen Positionen zu vertreten, gehen Parteien und deren Exponenten willfährig auf die noch so offensichtlichste Provokation ein. Damit verstärken sie die Aufmerksamkeit, die der politische Gegner in der Öffentlichkeit findet, anstatt ihren eigenen Anliegen Gehör zu verschaffen. Warum gegen den politischen Widersacher kämpfen statt für die eigene Sache? Der Angreifer erhält so gleich zweimal ungeteilte Aufmerksamkeit: Einmal beim Angriff, das zweite Mal bei der Gegenattacke. Wer sich seiner Sache sicher ist, steht über ihr und kann gelassen reagieren. Dann erst demonstrieren eine Partei oder ihre Exponenten staatsmännisches Format. Hat eine Politik der Verhöhnung und der fadenscheinigen Angriffe eine Zukunft? Wohl kaum. Viele Menschen jeglichen Alters haben sich von der Politik abgewendet, weil sie des Parteiengezänks überdrüssig sind. Viele werden sich wieder verstärkt mit Politik beschäftigen, wenn es um gemeinsame Lösungen geht und nicht um Partikulärinteressen. Da bekanntlich viele Wege nach Rom führen, ist es durchaus angebracht, neben der eigenen – selbstverständlich besten Variante – auch noch andere in Betracht zu ziehen. Häufig ergeben sich, gerade wenn wir den ernsthaften Dialog pflegen, überraschende neue Wege, die schneller ans Ziel führen. Noch etwas: Der deutsche Schriftsteller Johann Gottlieb Seume hat bereits im 18. Jahrhundert gesagt: „Wer andere klein macht, ist selber nie gross.“ Daran können wir uns messen.