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Slfiir^iiniirrÄHi!} LITERATUR UND KUNST 044-069 Samstag/Sonntag, 22.Z23. Februar 1997 Nr. 44 69 Privat oder offiziell? Evita in der Pose einer Diva, photographier von Gisela Freund. (Bild aus dem angezeigten Band des Verlags Ratten & Loening) «Lass nicht zu, dass man mich vergisst» Eva Perön in Roman und Biographie Von Georg Sütterlin Bereits zu Lebzeiten eine legendäre Figur, wurde Eva Perön nach ihrem Tod zum eigentlichen Mythos. Die Tabuisierung des Peronismus nach 1955 hat einiges dazu beigetragen. Erst in der jüngsten Vergangenheit versuchen neuere Buchpublikationen , Tatsachen und Gerüchte zu entmischen. _____ Im November 1955 verschwand die Leiche von Eva Perön. Nach ihrem Tod 1952 war sie wäh- rend zwölf Tagen in Buenos Aires aufgebahrt ge- wesen; eine halbe Million Menschen defilierte am Sarg vorbei, viele wurden ohnmächtig, einige ver- suchten, sich umzubringen. Dann übernahm Doktor Pedro Ära, eine Koryphäe des Einbalsa- mierens, die Leiche. Im Laufe eines Jahres und für ein Honorar von hunderttausend Dollar wurde aus der Toten eine Mumie. Beabsichtigt war, sie auf einem riesigen Platz zu bestatten, am Fuss eines kolossalen Monuments, das doppelt so hoch wie die Freiheitsstatue werden sollte. Doch die Planung verzögerte sich, und die politischen Schwierigkeiten wuchsen. Im September 1955 wurde Juan Perön, der Witwer und diktatorische Präsident Argentiniens, zum Rücktritt gezwun- gen. Er ging ins Exil. Seine nicht bestattete Frau liess er zurück. Die neuen Machthaber, die Mili- tärs, befürchteten, fanatische Peronisten würden die Leiche kidnappen; ein Grab kann auch leicht zum Wallfahrtsort werden. Tot war Eva Perön so gefährlich wie lebend. Die Leiche musste aus politischen Gründen verschwinden. Was mit ihr geschah bis zu jenem Septembertag des Jahres Die Ikone im Bild Sät. 1950 photographierte Gisele Freund wäh- rend mehreren Tagen die argentinische First Lady , die damals auf dem Höhepunkt der Macht stand. Ihren Freunden aus der lokalen Oberschicht ver- schwieg die Photographie dass sie sich in Buenos Aires aufhielt - als erbitterte Gegner des Peronis- mus hätten sie Freunds Photo-Sessions mit Eva Perön als Verrat empfunden. Einige dieser Auf- nahmen sind jetzt mit über 200 anderen im schön gemachten Band «Evita. Bilder eines Lebens» (Verlag Ratten & Loening, Berlin 1997, 208 S., Fr. 37.60) versammelt. Ein- substantieller Essay von Matilde Sanchez hebt diese ikonographische Hommage Ober das übliche coffeetable book hin- aus. Eva Peröns Aufstieg, schreibt Sanchez, «führ- te zu einem grundlegenden Wandel der Photogra- phie im Dienst e der politischen Propaganda. Die Peröns führten das ein, was die Nordamerikaner <;photo-op>; nannten und was darin bestand, die Macht ausserhalb ihres natürlichen Umfelds zu zeigen. Die meisten ihrer Photos sind offiziell . .. Es ist kaum möglich, eine hässliche Evita zu fin- den, denn diese Seite wurde zensiert». Das hier präsentierte Bildmaterial stammt zum grössten Teil aus argentinischen Archiven und zeigt Eva Perön deshalb fast ausschliesslich bei öffentlichen Auf- tritten. In den Jahren an der Macht war Eva Peröns Leben auch eine Inszenierung für die Medien. Der bombastische Leichenzug 1952 wur- de wie eine Hollywood-Grossproduktion insze- niert, für die Aufzeichnung engagierte man Profis: ein Kamerateam der 20th Century Fox. 1971, als sie auf einem Friedhof in Mailand, wo sie unter falschem Namen geruht hatte, wieder ausgegraben wurde, bildet das Hauptthema von Tomas Eloy Martinez1 halluzinierendem, haar- sträubendem Buch «Santa Evita» (1995). Als Roman bezeichnet es der Autor, weil er die Tat- sachen verwandelt und fiktiv anreichert. NEKROPHILE FASZINATION Nach 1955 war der Peronismus in Argentinien tabu. Ein Gesetz untersagte, den Namen Perön zu verwenden, man nannte ihn: «flüchtiger Tyrann» oder «abgesetzter Diktator». Für die Reichen, welche unter dem peronistischen Populismus be- sonders zu leiden hatten, hiess Eva Perön schlicht «diese Frau». Über Eva Perön, so schrieb 1972 V. S. Naipaul, gebe es in Argentinien keine ein- zige Biographie, die diesen Namen verdiene; alles sei Legende, Mythos, Gerücht. 1965 veröffent- lichte Rodolfo Walsh, der später als militanter lin- ker Peronist ermordet wurde, eine Erzählung mit dem Titel «Diese Frau», Namen nannte er keine. Zum erstenmal war in Argentinien öffentlich vom geheimnisumwitterten Leichenschwund die Rede. Dieser karge, düstere Text deklariert sich als Fik- tion. Dass er viel mehr ist, macht «Santa Evita» jetzt deutlich. Walsh rapportiert die Begegnung des Ich-Erzählers mit einem zerrütteten, delirie- renden Militär, der ein quälendes Geheimnis mich sich herumträgt. Dieser Oberst war verant- wortlich für das Verschwinden von Eva Peröns Leiche. Seine letzte Äusserung reisst Abgründe der Nekrophilie auf, er sagt: «Sie gehört mir .. . Diese Frau gehört mir.» Der Oberst in Walshs Erzählung hat existiert. Sein Name war Carlos Eugenio de Moori Koenig, Chef des Geheimdienstes. In «Santa Evita» spielt er - oder sein fiktionales Double - eine Haupt- rolle. 1955 erhält Moori Koenig den Befehl, sich «um diese Frau zu kümmern», und da Präsident Aramburu ein guter Christ ist, darf man die Mumie nicht, was das einfachste wäre, verbren- nen, in Säure auflösen, in Beton eingiessen. Sie muss bestattet werden, unbemerkt. Das gelingt nicht, weil die Peronisten sie immer wieder auf- stöbern. Eine Zeitlang ruhte sie in einem Mate- rialmagazin der Armee zwischen Hämmern, Bol- zen und Pistolen. Vorübergehend fand die Mumie Unterschlupf im Haus eines Majors, der seiner ahnungslosen schwangeren Frau verbot, eine be- stimmte Mansarde zu betreten. Eines Nachts fuhr die Ambulanz vor; der Major hatte seine Frau er- schossen im Glauben, die Peronisten seien ge- kommen, die Leiche zu rauben. Für Moori Koenig wird die Tote zum Albtraum und immer mehr zur Obsession. Sein Hass, der ihn dazu bringt, die Soldaten auf den Leichnam urinieren zu lassen, weicht allmählich einer Faszi- nation, der das Sexuelle nicht fremd ist Um Ver- wirrung in die Reihen der fanatischen Peronisten zu bringen, lässt Doktor Ära drei Kopien anferti- gen, die kein ungeübtes Auge von der echten Lei- chezu jinterscheiden vermag. Die multiple Be- stattung" 3er~vfer~ Särge an vier orten gehört zu den unwahrscheinlichsten Passagen dieses un- wahrscheinlichen Buchs. FAKTEN UND FIKTION Mysteriös bleibt, weshalb Walsh, der sich in den fünfziger Jahren einen Namen als Vorläufer des «New Journalism» gemacht hatte, diesen Stoff damals nicht weiterverfolgte. Möglicher- weise hätten ihn Recherchen in Gefahr gebracht. Um so intensiver hat sich jetzt Martinez dafür interessiert. «Santa Evita» ist das Ergebnis zäher Nachforschungen und imaginative r Rekonstruk- tion eines Geschehens, das an makaberer Phanta- stik nicht zu überbieten ist. Was dabei Fakten sind und was Fiktion, bleibt unklar. Martinez geht ähnlich vor wie in seinem 1985 erschienenen Roman «La novela de Perön» (dessen Überset- zung man sich dringend wünscht), über den er sagte: «Die Wahrheiten erlauben keine andere Sprache als die der Imagination.» Für «Santa Evita» hat Martinez vergessene Leute ausfindig gemacht (oder erfunden), jene Frau zum Beispiel, die als Kind einsame Spiele hinter der Leinwand des Rialto-Kinos spielte, wo ihr Vater Operateur war. Im Dezember 1955 wurde dort eine Kiste deponiert; der Vater schärfte dem Kind ein, sie nicht zu offnen. Ein solches Verbot ist natürlich dazu da, übertreten zu werden; und so freute sich das Mädchen an der grossen, schönen Puppe, die darin lag, mit der es ungestört spielen konnte und die ihm ganz allein gehörte. Wenn auch nur zwei Monate lang, dann verschwand die Kiste. - Mar- tinez schildert den dramatischen Moment, als er der Frau kalt ins Gesicht sagt, was genau es mit jener Puppe auf sich hatte. Wirklichkeit oder Er- findung? Wohl beides. In einem der eingeschobenen (fiktionalen?) Werkstattberichte schildert Martinez, wie er 1989 von drei Militärs im Ruhestand um ein Treffen gebeten wurde. Dabei erfuhr er, dass es nie Kopien der Mumie gegeben hat. Eva Peröns Lei- che war, da sie in Argentinien nicht zur Ruhe kam, unter höchster Geheimhaltung 1957 in Mai- land begraben worden. In der Biographie «Evita Perön» (1995) der argentinischen, in Paris leben- den Schriftstellerin Alicia Dujovne Ortiz erfährt man Dinge, die Martinez ausklammert. Präsident Aramburu wurde damals ein versiegeltes Kuvert mit Ort und Umständen der Bestattung ausgehän- digt. Aramburu wollte davon nichts wissen. Er übergab das Kuvert ungeöffnet einem Notar mit dem Auftrag, es nach seinem Tod dem Präsiden- ten zu überbringen. Die peronistische Jugend träumte davon, Evitas Grab aufzuspüren und sich damit ewigen Ruhm zu erwerben. 1970 wurde Expräsident Aramburu von einem Kommando peronistischer Montonero-Guerille- ros entführt. Ihr Chef, Mario Firmenich, verhörte Aramburu. Man fragte ihn, wo Evita begraben sei. Er wusste es nicht, den Namen des Notars ver- schwieg er. Die Guerilleros exekutierten Arama- buru. Der Notar übergab dann das Kuvert Präsi- dent Lanusse. Dieser wollte sich bei Perön ein- schmeicheln und veranlasste die Überführung der Mumie von Mailand nach Madrid, wo Perön im Exil lebte. Sie wurde in seinem Haus gelagert; Peröns Rasputin, Jose Lopez Rega, «der Hexer» genannt, versuchte, Evitas Geist auf Peröns neue Frau Isabel zu übertragen. 1974 wurde die Mumie nach Buenos Aires zurückgebracht und restau- riert. Ihr Zustand liess auf wiederholte Leichen- schändung schliessen. Grausame Ironie: als Eva Perön mit 33 Jahren an Gebärmutterkrebs starb, war ihr letzter Wunsch, dass niemand ihren ver- fallenen Körper sehe. Doch ihr Leidensweg war noch nicht zu Ende. Als die Militärs 1976 Peröns Witwe Isabel, die Präsidentin geworden war, stürzten, warfen sie Eva Peröns Sarg auf die Strasse. Ihre Schwestern bestatteten sie schliess- lich auf dem Friedhof Recoleta, in einem namen- losen Grab. Angesichts solch sinisterer Ereignisse fragt man sich, welche Leidenschaften diese Frau entfacht hatte. Auch darüber gibt Martinez Aufschluss, fragmentarisch, unchronologisch, erzähltechnisch einfallsreich und stets eindringlich. Eva war 24jährig, als sie 1944 den 48jährigen Juan Perön kennenlernte, damals Kriegs- und Arbeitsmini- ster. Weniger als vier Jahre später war sie, ohne ein offizielles Amt innezuhaben, die mächtigste Frau Argentiniens. Was ihr Mann, 1946 zum Prä- sidenten gewählt, auf politischer Ebene leistete, vollbrachte sie im sozialen Bereich. Ihre wichtig- ste Leistung war die Stiftung für Sozialhilfe, Maria Eva Duarte de Perön, eine Wohlfahrts- maschinerie mit vierzehntausend Angestellten, die Direkthilfe an die Armen leistete. Aus labyrin- thischen Lagerhallen ergoss sich, von Eva Perön persönlich überwacht, ein endloser Warenstrom in die Hände der Bedürftigen. Vom Fussball über Nähmaschinen, Gebisse, Hochzeitskleider bis zu Bargeld und möbliertem Einfamilienhäuschen: die Habenichtse erhielten, was sie benötigten. Eine kindliche Vorstellung von ausgleichender Gerechtigkeit, politisch aber sehr effektiv. Die Mittel stammten aus Steuereinnahmen, Gewerk- schaftsabgaben, Parkbussengeldern, Sammelak- tionen und - nicht immer ganz freiwilligen - Spenden von Industrieunternehmen. Eva Perön arbeitete unermüdlich für ihre Stif- tung. Sie wurde zum Idol der «Descam isados», der Hemdlosen, und zur Erlöserin der «Cabezitas Negras», der dunkelhäutigen Armen vom Land und in den Vorstädten - sie wurde Santa Evita. Der «Kuhfladenaristokratie», wie Dujovne Ortiz die Oligarchie nennt, welche mit der Viehzucht reich wurde, war die Präsidentengattin ein Greuel. Sie personifizierte Barbarei; Unkultur, Demagogie und die Massen ungebildeter Mesti- zen, die nicht zum Bild einer europäisierten und kultivierten Nation passten und dumpfe Ängste weckten. Für die Reichen und ihre Handlanger, die Militärs, war Eva nicht mehr als eine vulgäre und gefährliche Aufsteigerin, rachsüchtig und vol- ler Ressentiments, die dem Pöbel Macht ver- schaffte. Die Armen erkannten in Evita - nur sie durften die Bezeichnung verwenden - eine der Ihren, die Demütigung und Verachtung tilgte und ihnen zu Recht und einem menschenwürdigen Leben verhalf. DAS LEBEN VOR DEM TOD Eva Perön wurde 1919 in einem kleinen Nest in der Pampa geboren, ihre Mutter war die Kon- kubine eines Hacienda-Verwalters namens Juan Duarte. Schmächtig und blutarm, aber voller Träume und zähen Ehrgeizes, zog Eva mit 15 Jah- ren nach Buenos Aires, um Schauspielerin zu werden. Zu mehr als einigen unbedeutenden Nebenrollen brachte sie es nicht. Doch dann, bei einem Wohltätigkeitsfest für Erdbebenopfer, setz- te sich Eva neben Oberst Perön und sagte: «Danke, dass es Sie gibt.» Ein Satz, der ihr Schicksal und das Argentiniens veränderte. Wer sich mehr für Evitas prämortale Existenz als für ihre Laufbahn als Mumie interessiert, greift mit Vorteil zur detailreichen Biographie von Ali- cia Dujovne Ortiz. Ihr Material stammt aus ge- druckten Quellen und persönlichen Gesprächen. Sie stellt Eva Peröns traumwandlerisch sicheren Instinkt im Umgang mit dem «Volk» psycho- logisch nuanciert dar. Dujovne Ortiz' Buch hebt sich wohltuend von der argentinischen Schwarz- weissmalerei - Hure oder Heilige - ab. Gleichzeitig mit Martinez und Dujovne Ortiz erscheint auf deutsch der Roman «Evita» («La pasiön segün Evita», 1995) des Argentiniers Abel Posse. Er nennt sein Buch, versehen mit einer Zeittafel und einem hilfreichen Abriss des politi- schen Hintergrunds, ein «biographisches Chor- werk». Den Generalbass bildet der Monolog Eva Peröns: im Warten auf den Tod rekapituliert sie ihr Leben. Parallel dazu sind kommentierende Stimmen gesetzt. Ein interessantes Verfahren, doch pflegt Posse einen verblasenen Stil, und seine Verehrung Eva Peröns macht den Roman zu einem unverhohlen peronistischen Zeugnis. Jede soziale und wirtschaftliche Krise in Argen- tinien lässt bei den Leidtragenden die Ikone Evita um so nostalgischer leuchten. Vor ihrem Tod soll sie zu Perön gesagt haben: «Lass nicht zu, dass man mich vergisst.» Ihre Anhänger deuten diesen Satz als Ausdruck der Sorge um ihr Sozialwerk. Wie auch immer: wenigstens dieser Wunsch ging in Erfüllung. Tomas Eloy Martinez: Santa Evita. Aus dem Spanischen von Peter Schwaar. Suhrkamp- Verlag, Frankfurt 1996. 432 S., Fr. 44.50. Alicia Dujovne Ortiz: Evita Perön. Die Biographie. Aus dem Spanischen von Petra Strien-Bourmer, Aufbau-Verlag, Berlin 1996. 433 S., Fr. 46.80. Abel Posse: Evita. Der Roman ihres Lebens. Eichborn-Ver- lag, Frankfurt 1996. 408 S., Fr. 37.-. Neue Zürcher Zeitung vom 22.02.1997

044-069 LITERATUR UND KUNSTGeheimnis_1.18775148.pdf · pasiön segün Evita», 1995) des Argentiniers Abel Posse. Er nennt sein Buch, versehen mit einer Zeittafel und einem hilfreichen

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Page 1: 044-069 LITERATUR UND KUNSTGeheimnis_1.18775148.pdf · pasiön segün Evita», 1995) des Argentiniers Abel Posse. Er nennt sein Buch, versehen mit einer Zeittafel und einem hilfreichen

Slfiir^iiniirrÄHi!} LITERATUR UND KUNST044-069

Samstag/Sonntag, 22.Z23. Februar 1997 Nr. 44 69

Privat oder offiziell? Evita in der Pose einer Diva, photographier von Gisela Freund. (Bild aus dem angezeigten Band des Verlags Ratten & Loening)

«Lass nicht zu, dass man mich vergisst»

Eva Perön in Roman und Biographie

Von Georg Sütterlin

Bereits zu Lebzeiten eine legendäre Figur, wurde Eva Perön nach ihrem Tod zumeigentlichen Mythos. Die Tabuisierung des Peronismus nach 1955 hat einiges dazubeigetragen. Erst in der jüngsten Vergangenheit versuchen neuere Buchpublikationen

, Tatsachen und Gerüchte zu entmischen. _____

Im November 1955 verschwand die Leiche vonEva Perön. Nach ihrem Tod 1952 war sie wäh-rend zwölf Tagen in Buenos Aires aufgebahrt ge-wesen; eine halbe Million Menschen defilierte amSarg vorbei, viele wurden ohnmächtig, einige ver-suchten, sich umzubringen. Dann übernahmDoktor Pedro Ära, eine Koryphäe des Einbalsa-mierens, die Leiche. Im Laufe eines Jahres undfür ein Honorar von hunderttausend Dollarwurde aus der Toten eine Mumie. Beabsichtigt

war, sie auf einem riesigen Platz zu bestatten, amFuss eines kolossalen Monuments, das doppelt sohoch wie die Freiheitsstatue werden sollte. Dochdie Planung verzögerte sich, und die politischenSchwierigkeiten wuchsen. Im September 1955wurde Juan Perön, der Witwer und diktatorischePräsident Argentiniens, zum Rücktritt gezwun-gen. Er ging ins Exil. Seine nicht bestattete Frauliess er zurück. Die neuen Machthaber, die Mili-tärs, befürchteten, fanatische Peronisten würdendie Leiche kidnappen; ein Grab kann auch leichtzum Wallfahrtsort werden. Tot war Eva Perön sogefährlich wie lebend. Die Leiche musste auspolitischen Gründen verschwinden. Was mit ihrgeschah bis zu jenem Septembertag des Jahres

Die Ikone im BildSät. 1950 photographierte Gisele Freund wäh-

rend mehreren Tagen die argentinische First Lady,

die damals auf dem Höhepunkt der Macht stand.Ihren Freunden aus der lokalen Oberschicht ver-schwieg die Photographie dass sie sich in BuenosAires aufhielt - als erbitterte Gegner des Peronis-mus hätten sie Freunds Photo-Sessions mit EvaPerön als Verrat empfunden. Einige dieser Auf-nahmen sind jetzt mit über 200 anderen im schöngemachten Band «Evita. Bilder eines Lebens»(Verlag Ratten & Loening, Berlin 1997, 208 S.,

Fr. 37.60) versammelt. Ein- substantieller Essay

von Matilde Sanchez hebt diese ikonographischeHommage Ober das übliche coffeetable book hin-aus. Eva Peröns Aufstieg, schreibt Sanchez, «führ-te zu einem grundlegenden Wandel der Photogra-phie im Dienste der politischen Propaganda. DiePeröns führten das ein, was die Nordamerikaner<;photo-op>; nannten und was darin bestand, dieMacht ausserhalb ihres natürlichen Umfelds zuzeigen. Die meisten ihrer Photos sind offiziell . . .

Es ist kaum möglich, eine hässliche Evita zu fin-den, denn diese Seite wurde zensiert». Das hierpräsentierte Bildmaterial stammt zum grössten Teilaus argentinischen Archiven und zeigt Eva Peröndeshalb fast ausschliesslich bei öffentlichen Auf-tritten. In den Jahren an der Macht war EvaPeröns Leben auch eine Inszenierung für dieMedien. Der bombastische Leichenzug 1952 wur-de wie eine Hollywood-Grossproduktion insze-niert, für die Aufzeichnung engagierte man Profis:ein Kamerateam der 20th Century Fox.

1971, als sie auf einem Friedhof in Mailand, wosie unter falschem Namen geruht hatte, wiederausgegraben wurde, bildet das Hauptthema vonTomas Eloy Martinez1 halluzinierendem, haar-sträubendem Buch «Santa Evita» (1995). AlsRoman bezeichnet es der Autor, weil er die Tat-sachen verwandelt und fiktiv anreichert.

NEKROPHILE FASZINATION

Nach 1955 war der Peronismus in Argentinientabu. Ein Gesetz untersagte, den Namen Perön zuverwenden, man nannte ihn: «flüchtiger Tyrann»oder «abgesetzter Diktator». Für die Reichen,welche unter dem peronistischen Populismus be-sonders zu leiden hatten, hiess Eva Perön schlicht«diese Frau». Über Eva Perön, so schrieb 1972V. S. Naipaul, gebe es in Argentinien keine ein-zige Biographie, die diesen Namen verdiene; allessei Legende, Mythos, Gerücht. 1965 veröffent-lichte Rodolfo Walsh, der später als militanter lin-ker Peronist ermordet wurde, eine Erzählung mitdem Titel «Diese Frau», Namen nannte er keine.Zum erstenmal war in Argentinien öffentlich vomgeheimnisumwitterten Leichenschwund die Rede.Dieser karge, düstere Text deklariert sich als Fik-tion. Dass er viel mehr ist, macht «Santa Evita»jetzt deutlich. Walsh rapportiert die Begegnung

des Ich-Erzählers mit einem zerrütteten, delirie-renden Militär, der ein quälendes Geheimnismich sich herumträgt. Dieser Oberst war verant-wortlich für das Verschwinden von Eva PerönsLeiche. Seine letzte Äusserung reisst Abgründeder Nekrophilie auf, er sagt: «Sie gehört mir . . .

Diese Frau gehört mir.»Der Oberst in Walshs Erzählung hat existiert.

Sein Name war Carlos Eugenio de Moori Koenig,Chef des Geheimdienstes. In «Santa Evita» spielter - oder sein fiktionales Double - eine Haupt-rolle. 1955 erhält Moori Koenig den Befehl, sich«um diese Frau zu kümmern», und da PräsidentAramburu ein guter Christ ist, darf man dieMumie nicht, was das einfachste wäre, verbren-nen, in Säure auflösen, in Beton eingiessen. Siemuss bestattet werden, unbemerkt. Das gelingtnicht, weil die Peronisten sie immer wieder auf-stöbern. Eine Zeitlang ruhte sie in einem Mate-rialmagazin der Armee zwischen Hämmern, Bol-zen und Pistolen. Vorübergehend fand die MumieUnterschlupf im Haus eines Majors, der seinerahnungslosen schwangeren Frau verbot, eine be-stimmte Mansarde zu betreten. Eines Nachts fuhrdie Ambulanz vor; der Major hatte seine Frau er-schossen im Glauben, die Peronisten seien ge-kommen, die Leiche zu rauben.

Für Moori Koenig wird die Tote zum Albtraumund immer mehr zur Obsession. Sein Hass, derihn dazu bringt, die Soldaten auf den Leichnamurinieren zu lassen, weicht allmählich einer Faszi-nation, der das Sexuelle nicht fremd ist Um Ver-

wirrung in die Reihen der fanatischen Peronistenzu bringen, lässt Doktor Ära drei Kopien anferti-gen, die kein ungeübtes Auge von der echten Lei-chezu jinterscheiden vermag. Die multiple Be-stattung" 3er~vfer~ Särge an vier orten gehört zuden unwahrscheinlichsten Passagen dieses un-wahrscheinlichen Buchs.

FAKTEN UND FIKTIONMysteriös bleibt, weshalb Walsh, der sich in

den fünfziger Jahren einen Namen als Vorläuferdes «New Journalism» gemacht hatte, diesenStoff damals nicht weiterverfolgte. Möglicher-

weise hätten ihn Recherchen in Gefahr gebracht.

Um so intensiver hat sich jetzt Martinez dafürinteressiert. «Santa Evita» ist das Ergebnis zäherNachforschungen und imaginativer Rekonstruk-tion eines Geschehens, das an makaberer Phanta-stik nicht zu überbieten ist. Was dabei Fakten sindund was Fiktion, bleibt unklar. Martinez geht

ähnlich vor wie in seinem 1985 erschienenenRoman «La novela de Perön» (dessen Überset-zung man sich dringend wünscht), über den ersagte: «Die Wahrheiten erlauben keine andereSprache als die der Imagination.» Für «SantaEvita» hat Martinez vergessene Leute ausfindiggemacht (oder erfunden), jene Frau zum Beispiel,

die als Kind einsame Spiele hinter der Leinwanddes Rialto-Kinos spielte, wo ihr Vater Operateurwar. Im Dezember 1955 wurde dort eine Kistedeponiert; der Vater schärfte dem Kind ein, sienicht zu offnen. Ein solches Verbot ist natürlichdazu da, übertreten zu werden; und so freute sichdas Mädchen an der grossen, schönen Puppe, diedarin lag, mit der es ungestört spielen konnte unddie ihm ganz allein gehörte. Wenn auch nur zweiMonate lang, dann verschwand die Kiste. - Mar-tinez schildert den dramatischen Moment, als erder Frau kalt ins Gesicht sagt, was genau es mitjener Puppe auf sich hatte. Wirklichkeit oder Er-findung? Wohl beides.

In einem der eingeschobenen (fiktionalen?)Werkstattberichte schildert Martinez, wie er 1989von drei Militärs im Ruhestand um ein Treffengebeten wurde. Dabei erfuhr er, dass es nieKopien der Mumie gegeben hat. Eva Peröns Lei-che war, da sie in Argentinien nicht zur Ruhekam, unter höchster Geheimhaltung 1957 in Mai-land begraben worden. In der Biographie «EvitaPerön» (1995) der argentinischen, in Paris leben-den Schriftstellerin Alicia Dujovne Ortiz erfährtman Dinge, die Martinez ausklammert. PräsidentAramburu wurde damals ein versiegeltes Kuvertmit Ort und Umständen der Bestattung ausgehän-digt. Aramburu wollte davon nichts wissen. Erübergab das Kuvert ungeöffnet einem Notar mitdem Auftrag, es nach seinem Tod dem Präsiden-ten zu überbringen. Die peronistische Jugend

träumte davon, Evitas Grab aufzuspüren und sichdamit ewigen Ruhm zu erwerben.

1970 wurde Expräsident Aramburu von einemKommando peronistischer Montonero-Guerille-ros entführt. Ihr Chef, Mario Firmenich, verhörteAramburu. Man fragte ihn, wo Evita begraben sei.Er wusste es nicht, den Namen des Notars ver-

schwieg er. Die Guerilleros exekutierten Arama-buru. Der Notar übergab dann das Kuvert Präsi-dent Lanusse. Dieser wollte sich bei Perön ein-schmeicheln und veranlasste die Überführung derMumie von Mailand nach Madrid, wo Perön imExil lebte. Sie wurde in seinem Haus gelagert;

Peröns Rasputin, Jose Lopez Rega, «der Hexer»genannt, versuchte, Evitas Geist auf Peröns neueFrau Isabel zu übertragen. 1974 wurde die Mumienach Buenos Aires zurückgebracht und restau-riert. Ihr Zustand liess auf wiederholte Leichen-schändung schliessen. Grausame Ironie: als EvaPerön mit 33 Jahren an Gebärmutterkrebs starb,war ihr letzter Wunsch, dass niemand ihren ver-fallenen Körper sehe. Doch ihr Leidensweg warnoch nicht zu Ende. Als die Militärs 1976 PerönsWitwe Isabel, die Präsidentin geworden war,stürzten, warfen sie Eva Peröns Sarg auf dieStrasse. Ihre Schwestern bestatteten sie schliess-lich auf dem Friedhof Recoleta, in einem namen-losen Grab.

Angesichts solch sinisterer Ereignisse fragt mansich, welche Leidenschaften diese Frau entfachthatte. Auch darüber gibt Martinez Aufschluss,fragmentarisch, unchronologisch, erzähltechnischeinfallsreich und stets eindringlich. Eva war24jährig, als sie 1944 den 48jährigen Juan Perönkennenlernte, damals Kriegs- und Arbeitsmini-ster. Weniger als vier Jahre später war sie, ohneein offizielles Amt innezuhaben, die mächtigste

Frau Argentiniens. Was ihr Mann, 1946 zum Prä-sidenten gewählt, auf politischer Ebene leistete,vollbrachte sie im sozialen Bereich. Ihre wichtig-

ste Leistung war die Stiftung für Sozialhilfe,Maria Eva Duarte de Perön, eine Wohlfahrts-maschinerie mit vierzehntausend Angestellten,

die Direkthilfe an die Armen leistete. Aus labyrin-thischen Lagerhallen ergoss sich, von Eva Perönpersönlich überwacht, ein endloser Warenstromin die Hände der Bedürftigen. Vom Fussball überNähmaschinen, Gebisse, Hochzeitskleider bis zuBargeld und möbliertem Einfamilienhäuschen:die Habenichtse erhielten, was sie benötigten.

Eine kindliche Vorstellung von ausgleichenderGerechtigkeit, politisch aber sehr effektiv. DieMittel stammten aus Steuereinnahmen, Gewerk-schaftsabgaben, Parkbussengeldern, Sammelak-tionen und - nicht immer ganz freiwilligen -Spenden von Industrieunternehmen.

Eva Perön arbeitete unermüdlich für ihre Stif-tung. Sie wurde zum Idol der «Descam isados»,der Hemdlosen, und zur Erlöserin der «CabezitasNegras», der dunkelhäutigen Armen vom Landund in den Vorstädten - sie wurde Santa Evita.Der «Kuhfladenaristokratie», wie Dujovne Ortizdie Oligarchie nennt, welche mit der Viehzuchtreich wurde, war die Präsidentengattin einGreuel. Sie personifizierte Barbarei; Unkultur,Demagogie und die Massen ungebildeter Mesti-zen, die nicht zum Bild einer europäisierten undkultivierten Nation passten und dumpfe Ängste

weckten. Für die Reichen und ihre Handlanger,

die Militärs, war Eva nicht mehr als eine vulgäre

und gefährliche Aufsteigerin, rachsüchtig und vol-ler Ressentiments, die dem Pöbel Macht ver-schaffte. Die Armen erkannten in Evita - nur siedurften die Bezeichnung verwenden - eine derIhren, die Demütigung und Verachtung tilgte undihnen zu Recht und einem menschenwürdigen

Leben verhalf.

DAS LEBEN VOR DEM TOD

Eva Perön wurde 1919 in einem kleinen Nestin der Pampa geboren, ihre Mutter war die Kon-kubine eines Hacienda-Verwalters namens JuanDuarte. Schmächtig und blutarm, aber vollerTräume und zähen Ehrgeizes, zog Eva mit 15 Jah-ren nach Buenos Aires, um Schauspielerin zuwerden. Zu mehr als einigen unbedeutendenNebenrollen brachte sie es nicht. Doch dann, beieinem Wohltätigkeitsfest für Erdbebenopfer, setz-te sich Eva neben Oberst Perön und sagte:«Danke, dass es Sie gibt.» Ein Satz, der ihrSchicksal und das Argentiniens veränderte.

Wer sich mehr für Evitas prämortale Existenzals für ihre Laufbahn als Mumie interessiert, greiftmit Vorteil zur detailreichen Biographie von Ali-cia Dujovne Ortiz. Ihr Material stammt aus ge-druckten Quellen und persönlichen Gesprächen.

Sie stellt Eva Peröns traumwandlerisch sicherenInstinkt im Umgang mit dem «Volk» psycho-logisch nuanciert dar. Dujovne Ortiz' Buch hebtsich wohltuend von der argentinischen Schwarz-weissmalerei - Hure oder Heilige - ab.

Gleichzeitig mit Martinez und Dujovne Ortizerscheint auf deutsch der Roman «Evita» («Lapasiön segün Evita», 1995) des Argentiniers AbelPosse. Er nennt sein Buch, versehen mit einerZeittafel und einem hilfreichen Abriss des politi-schen Hintergrunds, ein «biographisches Chor-werk». Den Generalbass bildet der Monolog EvaPeröns: im Warten auf den Tod rekapituliert sieihr Leben. Parallel dazu sind kommentierendeStimmen gesetzt. Ein interessantes Verfahren,doch pflegt Posse einen verblasenen Stil, undseine Verehrung Eva Peröns macht den Roman zueinem unverhohlen peronistischen Zeugnis.

Jede soziale und wirtschaftliche Krise in Argen-tinien lässt bei den Leidtragenden die Ikone Evitaum so nostalgischer leuchten. Vor ihrem Tod sollsie zu Perön gesagt haben: «Lass nicht zu, dassman mich vergisst.» Ihre Anhänger deuten diesenSatz als Ausdruck der Sorge um ihr Sozialwerk.Wie auch immer: wenigstens dieser Wunsch gingin Erfüllung.

Tomas Eloy Martinez: Santa Evita. Aus dem Spanischen vonPeter Schwaar. Suhrkamp- Verlag, Frankfurt 1996. 432 S., Fr.44.50.

Alicia Dujovne Ortiz: Evita Perön. Die Biographie. Aus demSpanischen von Petra Strien-Bourmer, Aufbau-Verlag, Berlin1996. 433 S., Fr. 46.80.

Abel Posse: Evita. Der Roman ihres Lebens. Eichborn-Ver-lag, Frankfurt 1996. 408 S., Fr. 37.-.

Neue Zürcher Zeitung vom 22.02.1997