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1 DER STAHLBAU Schriftleitung: Professor iDr.sgng. K. K lö p p e l, Darmstadt, Technische Hochschule Fernsprecher: Darmstadt 7711, Apparat 599 Professor W. R e in , Breslau, Technische Hochschule. — Fernsprecher: Breslau 421 61 Veröffentlichungsbeiträge an voranstehende Anschriften erbeten Beilage T A T Th R A T TT"T7 C' LJM T TS Fachschrift für das ge- zur Zeitschrift \ J \ i~L JA lA LJ J. 1~L V v 1 1 1 \ JL J lv . samte Bauingenieurwesen Preis des Jahrganges 10 RM und Postgeld 12. Jahrgang BERLIN, 6. Januar 1939 lieft 1 An unsere Leser! ln der Schriftleitung der Zeitschrift „Der Stahlbau“ tritt zu Beginn des neuen Jahres ein Wechsel ein. An die Stelle des ausscheidenden Herrn Geheimrat Professor S)r.»S«Ö* A. H e r t w i g tritt Herr Professor S)r.*3nß. K. K l ö p p e l von der Technischen Hochschule in Darmstadt. Herr Geheimrat H e r t w i g leitet die Zeitschrift seit ihrer Gründung im Jahre 1928. Wenn er sich jetzt entschlossen hat, die Schriftleitung abzugeben, so kann er für sich das große Verdienst in Anspruch nehmen, die Entwicklung der Zeitschrift so gefördert zu haben, daß sie heute für jeden Stahlbäu-Ingenieur unentbehrlich ist. Dafür gebührt ihm unser größter Dank. Die Zeitschrift auf dieser Entwicklungshöhe zu erhalten, wird auch das stete Bestreben der beiden Schriftleiter Professor K l ö p p e l und Professor R e i n bleiben. Der Verlag. Über die Probleme und Lösungen der Stabilitätstheorie des Stahlbaues.1) Alle Rechte Vorbehalten. Von Prof. Sr.=5ng. Ernst Chwalla, Brünn. Auf der Wissenschaftlichen Tagung des Deutschen Stahlbau-Verbandes vom Jahre 1934 hat Herr Prof. ®r.=3ng. Schleicher über den Stand der Forschung auf einem wichtigen Sondergebiet der Stabilitätstheorie — der Theorie des Ausbeulens von Stegblechen — eingehend berichtet, und im vergangenen Jahre hat uns Herr Geheimrat Prof. ©r.=3ng. Hertwig in überaus anschaulicher Weise mit dem Wesen der Knickerscheinung vertraut gemacht. An der diesjährigen Tagung wurde nun mir die hohe Auszeichnung zuteil, über ein stabilitätstheoretisches Thema sprechen zu dürfen. Im Rahmen meiner Ausführungen sollen die für den Stahlbau typischen Probleme der Stabilitätstheorie und ihre Lösungen kurz skizziert und all das beleuchtet werden, was bei der Beurteilung des Trag- verhaltens von Bedeutung ist; ich wende mich dabei vornehmlich an jene Herren Kollegen, die der Theorie etwas ferner stehen, und lasse daher alle mathematischen Entwicklungen, Lösungsdetails und Literaturhin- weise weg. Wenn wir ein Stahltragwerk im Sinne der geltenden Vorschriften zu „bemessen“ haben, dann müssen wir im allgemeinen drei Forderungen erfüllen: Wir müssen dafür Sorge tragen, daß 1. die größten örtlichen Anstrengungen des Werkstoffs und 2. die größten örtlichen Verschiebungen der Tragwerkpunkte bestimmte Werte nicht überschreiten, und haben 3. dafür zu sorgen, daß das Gleichgewicht, das im untersuchten Ruhe- zustand zwischen den inneren und den äußeren Kräften besteht, stabil bleibt. Bei unseren Bemühungen, die beiden ersten dieser drei Forderungen zu befriedigen, gelangen wir zu einem sogenannten .Spannungsproblem“, bei der Erfüllung der dritten jedoch zu einem „Stabilitätsproblem“; bei den Spannungsproblemen besteht das Ziel der Untersuchung in der Fest- legung örtlicher Spannungs- und Verschiebungskomponenten, bei den l) Vortrag, gehalten auf der Wissenschaftlichen Tagung 1938 des Deutschen Stahlbau-Verbandes in Berlin. Stabilitätsproblemen hingegen in der Klarstellung der Eigenschaften des untersuchten Gleichgewichtszustandes. Außer den Spannungs- und den Stabilitätsproblemen gibt es, wie ich vermute, noch eine dritte Gruppe von elastostatischen Problemen, die dadurch gekennzeichnet zu sein scheint, daß die Probleme unter bestimmten Laststufen in mehrere v o n - einander unabhängige Teilprobleme zerfallen. Ich denke da bei- spielsweise an den in Bild 1 dar- gestellten Kragträger, der aus einer dünnen Blattfeder gebildet ist und P<P* am freien Ende eine lotrechte Last P zu tragen hat. Solange P sehr klein ist, liegt ein gewöhnliches Spannungsproblem vor, und die sich einstellende Gleichgewichts- figur ist die einzig vorhandene. Erreicht jedoch P einen bestimmten kritischen Wert P'*, dann gibt es plötz- # lieh noch eine zweite Gleich- gewichtsfigur, und auch unter Bild 1. allen Laststufen P>P* existieren zwei ganz verschiedene Gleich- gewichtsfiguren. Die zweite dieser Figuren bildet sich unter der an- wachsenden Last allerdings nicht „aus eigenem" aus, sondern bedarf zu Ihrer Verwirklichung eines äußeren Eingriffes; dem Verlaufe nach Ist sie schon bekannt, da sie durch ein Stück einer klassischen Kurve — der sogenannten „Eulersehen Elastika* — gebildet wird. Wir können somit feststellen, daß unser elastostatlsches Problem für alle Laststufen PcP* eindeutig ist, sich jedoch unter der Laststufe P — P* in zwei voneinander unabhängige, für sich lösbare Teilprobleme verzweigt. Diese Feststellung gilt offenbar auch dann noch, wenn wir den Kragträger nicht waagerecht,

1 DER STAHLBAU - Politechnika Śląskadelibra.bg.polsl.pl/Content/20309/P-769_12Jahr_1939_1.pdfPreis des Jahrganges 10 RM und Postgeld 12. Jahrgang BERLIN, 6. Januar 1939 lieft 1 An

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    DER STAHLBAUS c h r i f t l e i t u n g :

    Professor iDr.sgng. K. K l ö p p e l , Darmstadt, Technische Hochschule Fernsprecher: Darmstadt 7711, Apparat 599

    Professor W. R e i n , Breslau, Technische Hochschule. — Fernsprecher: Breslau 421 61 Veröffentlichungsbeiträge an voranstehende Anschriften erbeten

    Bei l age T A T Th R A T T T " T 7 C ' L J M T T S Fachschrift für das ge-z u r Z e i t s c h r i f t \ J \ i ~ L J A l A L J J . 1 ~ L V v 1 1 1 \ JL J l v . samte Bauingenieurwesen

    Preis des Jahrganges 10 RM und Postgeld

    12. Jahrgang BERLIN, 6. Januar 1939 l ie f t 1

    An unsere Leser!ln der Schriftleitung der Zeitschrift „Der Stahlbau“ tritt zu Beginn des neuen Jahres ein W echsel

    ein. An die Stelle des ausscheidenden Herrn Geheimrat Professor S)r.»S«Ö* A. H e r t w i g tritt Herr

    Professor S)r.*3nß. K. K l ö p p e l von der Technischen H ochschule in Darmstadt.

    Herr Geheimrat H e r t w i g leitet die Zeitschrift seit ihrer Gründung im Jahre 1928. W enn er

    sich jetzt entschlossen hat, die Schriftleitung abzugeben, so kann er für sich das große Verdienst

    in Anspruch nehm en, die Entwicklung der Zeitschrift so gefördert zu haben, daß sie heute für jeden

    Stahlbäu-Ingenieur unentbehrlich ist. Dafür gebührt ihm unser größter Dank.

    D ie Zeitschrift auf dieser Entwicklungshöhe zu erhalten, wird auch das stete Bestreben der

    beiden Schriftleiter Professor K l ö p p e l und Professor R e i n bleiben.D er V erlag.

    Über die P rob lem e und L ösungen der Stabilitätstheorie des S ta h lb a u e s .1)Alle Rechte Vorbehalten. Von Prof. Sr.=5ng. Ernst Chwalla, Brünn.

    Auf der Wissenschaftlichen Tagung des Deutschen Stahlbau-Verbandes vom Jahre 1934 hat Herr Prof. ®r.=3ng. S c h le ic h e r über den Stand der Forschung auf einem wichtigen Sondergebiet der Stabilitätstheorie — der Theorie des Ausbeulens von Stegblechen — eingehend berichtet, und im vergangenen Jahre hat uns Herr Geheimrat Prof. ©r.=3ng. H e r tw ig in überaus anschaulicher Weise mit dem Wesen der Knickerscheinung vertraut gemacht. An der diesjährigen Tagung wurde nun mir die hohe Auszeichnung zuteil, über ein stabilitätstheoretisches Thema sprechen zu dürfen. Im Rahmen meiner Ausführungen sollen die für den Stahlbau typischen Probleme der Stabilitätstheorie und ihre Lösungen kurz skizziert und all das beleuchtet werden, was bei der Beurteilung des Tragverhaltens von Bedeutung ist; ich wende mich dabei vornehmlich an jene Herren Kollegen, die der Theorie etwas ferner stehen, und lasse daher alle mathematischen Entwicklungen, Lösungsdetails und Literaturhinweise weg.

    Wenn wir ein Stahltragwerk im Sinne der geltenden Vorschriften zu „bemessen“ haben, dann müssen wir im allgemeinen drei Forderungen erfüllen: Wir müssen dafür Sorge tragen, daß 1. die größten örtlichen Anstrengungen des Werkstoffs und 2. die größten örtlichen Verschiebungen der Tragwerkpunkte bestimmte Werte nicht überschreiten, und haben 3. dafür zu sorgen, daß das Gleichgewicht, das im untersuchten Ruhezustand zwischen den inneren und den äußeren Kräften besteht, stabil bleibt. Bei unseren Bemühungen, die beiden ersten dieser drei Forderungen zu befriedigen, gelangen wir zu einem sogenannten .Spannungsproblem“, bei der Erfüllung der dritten jedoch zu einem „Stabilitätsproblem“; bei den Spannungsproblemen besteht das Ziel der Untersuchung in der Festlegung örtlicher Spannungs- und Verschiebungskomponenten, bei den

    l) Vortrag, gehalten auf der Wissenschaftlichen Tagung 1938 des Deutschen Stahlbau-Verbandes in Berlin.

    Stabilitätsproblemen hingegen in der Klarstellung der E ig e n s c h a f te n des untersuchten Gleichgewichtszustandes. Außer den Spannungs- und den Stabilitätsproblemen gibt es, wie ich vermute, noch eine dritte Gruppe von elastostatischen Problemen, die dadurch gekennzeichnet zu sein scheint, daß die Probleme unter bestimmten Laststufen in mehrere v o n e i n a n d e r u n a b h ä n g ig e Teilprobleme zerfallen. Ich denke da bei

    spielsweise an den in Bild 1 dargestellten Kragträger, der aus einer dünnen Blattfeder gebildet ist und

    P < P * am freien Ende eine lotrechte Last P zu tragen hat. Solange P sehr klein ist, liegt ein gewöhnliches Spannungsproblem vor, und die sich einstellende Gleichgewichtsfigur ist die einzig vorhandene. Erreicht jedoch P einen bestimmten kritischen Wert P'*, dann gibt es plötz-

    # lieh noch e in e z w e i t e G le i c h - g e w ic h t s f ig u r , und auch unter

    Bild 1. allen Laststufen P > P * existierenzwei ganz verschiedene Gleich-

    gewichtsfiguren. Die zweite dieser Figuren bildet sich unter der anwachsenden Last allerdings nicht „aus eigenem" aus, sondern bedarf zu Ihrer Verwirklichung eines äußeren Eingriffes; dem Verlaufe nach Ist sie schon bekannt, da sie durch ein Stück einer klassischen Kurve — der sogenannten „Eulersehen Elastika* — gebildet wird. Wir können somit feststellen, daß unser elastostatlsches Problem für alle Laststufen P c P * eindeutig ist, sich jedoch unter der Laststufe P — P* in zwei voneinander unabhängige, für sich lösbare Teilprobleme verzweigt. Diese Feststellung gilt offenbar auch dann noch, wenn wir den Kragträger nicht waagerecht,

  • 2DER STAHLBAU

    C h w a l l a , Über die Probleme und Lösungen der Stabilitätstheorie des Stahlbaues B enage z u r Z e itsch rift „D ie B au techn ik"

    _ , P" BmaxF W '

    sondern nach o b e n o d e r u n te n g e n e i g t annehmen, jedoch nur so lange, als der Neigungswinkel nicht den vollen Wert eines rechten Winkels erreicht; die kritische Last P * ist hierbei je nach der Größe des Neigungswinkels zwischen dem einfachen und dem unendlichfachen Betrag der „Eulersehen Knicklast“ des Stabes gelegen.

    Um nun die Lösung der S p a n n u n g s p r o b l e m e nach Möglichkeit zu vereinfachen, pflegen wir vom Werkstoff die Erfüllung des Hookeschen Formänderungsgesetzes zu verlangen und das gegebene Tragwerk (unter Aufwendung eines mehr oder minder großen Maßes an persönlicher Phantasie) durch ein System geometrisch idealisierter Gebilde — nämlich ein System von „Stäben, Platten, Scheiben und Schalen“ — zu ersetzen; wir gewinnen dadurch den großen Vorteil, mit ganzen „Spannungsresultanten“, also mit Normalkräften, Querkräften, Biege- und Drillungsmomenten arbeiten zu können. Aber auch diese Spannungsresultanten sollen rasch und mühelos erhalten werden. Wir setzen daher in der Mehrzahl der praktisch vorkommenden Fälle voraus, daß die elastischen Verformungen, die das Tragwerk unter der gegebenen Belastung erfährt, v e r s c h w i n d e n d k le in sind im Vergleich zu den Abmessungen des Tragwerks, so daß wir das verformte Tragwerk bei der Bestimmung der erwähnten Spannungsresultanlen du rch das u n v e r f o r m te ersetzen dürfen. Wir gelangen so zu der baustatischen „Theorie erster Ordnung“, die zu einem l in e a r e n Zusammenhang zwischen Last und baustatischer Wirkungsgröße und damit zu dem bekannten Überlagerungsgesetz führt: Eine doppelt so große Last erzeugt eine genau doppelt so große Spannungs- rcsultante und eine genau doppelt so große Verschiebung. Wir wissen, daß wir diesem Überlagerungsgesetz die mathematische Einfachheit unserer gewöhnlichen Baustatik mit ihren „Einflußlinien“ und „Elastizitätsgleichungen “ zu verdanken haben.

    Nun gibt es aber auch Fälle, in denen wir den Einfluß der Deformation in R ü c k s ic h t z i e h e n und unter Verzicht auf das Überlagerungsgesetz zu der strengeren Theorie, der baustatischen „Theorie zweiter Ordnung“ oder „Verformungstheorie“, greifen müssen. Wir können dazu durch Forderungen w i r t s c h a f t l i c h e r Natur veranlaßt werden (wie etwa bei den Hängebrücken), oder wir können dazu durch ein Gebot der S ic h e r h e i t gezwungen werden, wie etwa bei der Bemessung weitgespannter Bogenträger oder der Spannungsuntersuchung schlanker, stark deformierbarer Tragwerkteile. Ein einfacher, leicht übersehbarer Fall dieser Art liegt bei der Spannungsuntersuchung eines exzentrisch gedrückten Stabes aus einem Hookeschen Idealwerkstoff vor (Bild 2).Je nach der Schlankheit des Stabes werden wir hier mit der gewöhnlichen „Theorie erster Ordnung“ das Auslangen finden oder aberzurstrengeren „Theorie zweiter Ordnung* greifen müssen. Die letztere führt bekanntlich zu einer nicht- linearen Differentialgleichung, deren Lösung z-0rdnun9 einige Schwierigkeiten bereitet. Um hier an Einfachheit des Lösungsverfahrens noch zu retten, was zu retten ist, pflegt man im Rahmen dieser „Theorie zweiter Ordnung“ anzunehmen, daß die entstehenden Verschiebungen zwar endlich groß, im Vergleich zu den Tragwerkabmessungen aber Immer noch derartig klein sind, daß wir die erwähnte Differentialgleichung l in e a r i s i e r e n dürfen. Von dieser recht fühlbaren Vereinfachung machen wir bei allen baupraktischen Anwendungen der baustatischen „Theorie zweiter Ordnung“ mit vollem Recht Gebrauch. Wie sich diese Linearisierung g r u n d s ä t z l i c h auswirkt, Ist bekannt: Im untersuchten Fall würde sich unter

    n - E Jder Laststufe P — — falscherweise eine unendlich große Durchbiegung 4 /“ergeben; bei reiner Biegung einer dünnen Blattfeder würden wir für die Biegelinie an Stelle des Kreises eine vom Kreis merkbar abweichende Parabel gewinnen, und bei einem sehr schlanken „Balken“, der auf zwei festen (die Entfernung / aufweisenden) Schneiden lose aufliegt und unter einer in Trägermitte angreifenden, anwachsenden Last der Reihe nach die Durchbiegungen maxyr — 0,0703 /, 0,1495/ und 0,3272/ erfährt, würden wir aus der linearisierten Differentialgleichung die fehlerhaften Durchbiegungen 0,0668/, 0,1197/ und 0,1254/ erhalten.

    Wir haben bei der Anwendung der strengeren, den Einfluß der entstehenden Deformation ln Rücksicht ziehenden „Theorie zweiter Ordnung“ von einem Gebot der Wirtschaftlichkeit und einem Gebot der Sicherheit gesprochen. Nun gibt es aber drittens auch noch Fälle, in denen diese Theorie g r u n d s ä t z l i c h angewendet werden muß, weil nur mit ihrer Hilfe eine Lösung möglich wird. Dies gilt vor allem für sämtliche Stabilitätsprobleme, also für den ganzen Problemenkomplex, mit dem wir uns im weiteren zu beschäftigen haben, und dann auch noch für die sogenannten „unendlich wenig verschieblichen Systeme“, denen zwar keinerlei bau

    Theorie 1. Ordnung

    Theorie

    ? e„ , Superpos. Gesetz

    linearis. Diff. Gig., emax~ e0c o s l- y p ß T

    nicht linear. Diff. Gig.

    Bild 2.

    praktische Bedeutung zukommt, die aber recht deutlich erkennen lassen, wie sich die „Theorie zweiter Ordnung“ im Lösungsergebnis auswirkt. Wir wollen daher ein Musterbeispiel dieser Art in Bild 3 vorführen: Es handelt sich hier um ein Tragwerk, das aus zwei gelenkig verbundenen

    Stäben besteht, die aus einem H ookeschen Idealmaterial gebildet sind und

    vpU-Z-

    F,F- H i- i— j

    kein Superpos. Gesetz y0-l-/p}IF Ai = Aa.-jP-y0

    deren Achsen in derselben Geraden liegen. Die angeschriebenen Beziehungen für die Stabkraft S und für die Senkung des Kraftangriffspunktes y 0 zeigen deutlich, daß das Überlagerungsgesetz nicht mehr in Geltung steht; eine doppelt so große Last erzeugt hier nicht mehr eine doppelt so große Stabkraft

    oder Durchsenkung, und die aufgespeicherte Formänderungsenergie A,- ist nicht mehr wertgleich dem halben, sondern n u r m e h r dem v ie r t e n Teil des Produktes aus Last und Durchsenkung. Wenn wir in einem der beiden Stäbe ein „Spannschloß“ einbauen und anspannen würden, dann würden ln beiden Stäben gleichmäßig verteilte Eigenspannungen auftreten; die Größe dieser Eigenspannungen ließe sich hier unmittelbar mit Hilfe von Belastungsversuchen bestimmen, da die Lastspannungen von den Eigenspannungen abhängig sind.

    Eigenspannungen beeinflussen die Lastspannungen

    Bild 3.

    Nach diesen einleitenden, auf eine übersichtliche Einordnung abzielenden Bemerkungen über die Spannungsprobleme wollen wir uns nun den S t a b i l i t ä t s p r o b l e m e n zuwenden. Das Ziel der Untersuchung besteht hier, wie wir schon erwähnt haben, in der S i c h e r s t e l l u n g d e r S t a b i l i t ä t d e s G l e i c h g e w i c h t s , das im untersuchten Fall zwischen den inneren und äußeren Kräften vorhanden ist. Diese Sicherstellung ist im Stahlbau grundsätzlich erforderlich, da ein Gleichgewichtszustand, der durch eine übergroße Belastung seine Stabilität eingebüßt hat, sich auf die Suche nach einem neuen, stabilen Gleichgewichtszustand begibt, wobei die örtlichen Anstrengungen des Werkstoffes oder die örtlichen Verschiebungen der Tragwerkspunkte unzulässig große Werte annehmen. Aber auch ln jenen seltenen Fällen, ln denen diese Werte noch zulässig erscheinen und der neue Gleichgewichtszustand noch innerhalb des e l a s t i s c h e n Deformationsbereiches erreicht wird, kann der Wechsel der Gleichgewichtslage nicht gestattet werden, da in der Nähe der Stabilitätsgrenze schon ganz geringe, baupraktisch unvermeidbar kleine Schwankungen im Belastungssystem zu unerträglich großen Änderungen des Formänderungszustandes führen würden.

    Das älteste und auch einfachste Stabilitätsproblem tritt bei der Untersuchung gerader, mittig gedrückter Stäbe auf. Wir wollen eine derartige Untersuchung hier durchführen und dabei vorerst voraussetzen, daß der Stab aus einem Hookeschen Idealwerkstoff besteht, der eine unbegrenzte Bruchfestigkeit besitzt und unbeschränkt dem Hookeschen Formänderungsgesetz gehorcht. Diese Voraussetzung läßt sich praktisch in der Weise erfüllen, daß wir als Versuchsstab einen extrem schlanken Federstahlstab verwenden, dem bekanntlich sehr große örtliche Achsenkrümmungen zugemutet werden können, ohne daß die auftretenden Randspannungen die sehr hoch gelegene Proportionalitätsgrenze überschreiten. Der Versuchsstab steht lotrecht, ist am unteren Ende starr eingespannt und am oberen Ende durch einen Satz übereinander schiebbarer Gewichte belastet, die so gestaltet sind, daß ihr Schwerpunkt mit dem oberen Endpunkt der Stabachse zusammenfällt. Wir belasten den Stab mit der sehr kleinen Last P t und stellen durch Probieren fest, daß unter dieser Last einzig die geradlinig verlaufende Gleichgcwichtsfigur existiert und daß bei jeder Störung dieser Figur, d. h. bei jeder Verbiegung der geraden Stabachse, ein erhebliches Maß an Störungsarbeit aufgewendet werden muß; lassen wir den Stab nach einer störenden Ausbiegung plötzlich los, dann strebt er zur geraden Gleichgewichtslage zurück und erreicht diese nach dem Abklingen der Schwingungen. Unter der etwas größeren Last P 2 sind die Verhältnisse ähnliche, nur ist der Arbeitsaufwand für eine störende Verbiegung vergleichsweise viel kleiner als früher, so daß auch die Schwingungen, die der belastete Stab nach einer störenden Ausbiegung ausführt, eine merkbar größere Schwingungsdauer besitzen. Belasten wir den Stab mit der relativ großen Last P3, dann stellt sich eine a u s g e b o g e n e Gleichgewichtsfigur ein; kleinere Störungen dieser Figur sind auch hier an einen positiven Arbeitsaufwand geknüpft.

    Die Ergebnisse dieser drei Versuche wollen wir nun in der folgenden Weise graphisch festlegen (Bild 4): Wir zeichnen ein Koordinatenkreuz und tragen auf der Abszissenachse die Endausbiegung y 0 der Gleichgewichtsfigur und auf der Ordinatenachse die dieser Figur zugeordnete Last, die sogenannte „Gleichgewichtslast P 0l“ auf. Dem ersten Versuchsergebnis entspricht der Diagrammpunkt 1 mit den Koordinaten y 0 — 0 und P Q1 — P,. Neben diesem Koordinatenkreuz wollen wir, um auch

  • J a h r g a n g 12 H e ft 16 . J a n u a r 1 9 3 9 C h w a l l a , Über die Probleme und Lösungen der Stabilitätstheorie des Stahlbaues 3

    die weiteren Ergebnisse des ersten Versuches klar vor Augen zu führen, eine kleine Kugel darstellen, die sich auf einer vorgegebenen Bahnkurve so bewegt, daß das Verhalten der Kugel bei einer seitlichen Versch iebung^ und das Verhalten des belasteten Stabes bei einer seitlichen Verbiegung_y0 gewisse Ähnlichkeiten besitzen. A uch d ie K uge l kennt nur eine einzige Ruhelage — nämlich die bei y0 = 0 —, auch h ie r ist zu jeder störenden Verschiebung ein positiver Arbeitsaufwand erforderlich, und auch h ie r strebt die Kugel nach erfolgter Störung zur ursprünglichen Ruhelage zurück und erreicht diese Lage nach dem Abklingen der Schwingungen. Diesem „Kugelgleichnis“ sind allerdings sehr enge Geltungsgrenzen gesetzt, da es der Tatsache nicht Rechnung zu tragen vermag, daß beim Stab zu jedem Endverschiebungswerty 0 u n e n d l ic h v i e l e , ganz verschiedene Deformationsfiguren gehören, von denen jede einzelne als „störende Verbiegung“ der geradlinigen Gleichgewichtsfigur in Frage kommt. Um dem Kugelgleichnis einen Sinn zu geben, müssen wir daher von all diesen Deformationsflguren jeweils e in e e in z ig e (durch den Ausbiegungswert y 0 schon eindeutig gekennzeichnete) Figur herausgreifen, so daß dem seitlichen Verschieben der Kugel eine g an z b e s t i m m t e Verbiegungsweise der geradlinigen Glelchgewichtsfigur entspricht, bei der eineganzbestimmte Schar aufeinanderfolgender Deformationsfiguren durchlaufen wird; und zwar wollen wir uns jeweils jene Schar herausgegriffen denken, für die sich die Störungsarbeit als K le i n s tw e r t ergibt. Die dargestellte Kugelbahn ist also sozusagen die „flachste“ von allen bei P — Pi in Frage kommenden Kugelbahnen.

    Führen wir nun die gleichen Untersuchungen an mittig gedrückten Stäben aus B a u s ta h l (oder, allgemeiner ausgedrückt, an Stäben aus zäh- plastischen Werkstoffen mit nur beschränktem Hookeschen Formänderungsbereich) durch, dann gelangt zwar bei kleinen Laststufen P = P v nach wie vor eine g e r a d l in ig verlaufende Gleichgewichtsfigur zur Ausbildung und werden nach wie vor p o s i t iv e Arbeitsbeträge zur störenden Verbiegung dieser Figur erforderlich, doch unterliegt diese Feststellung nunmehr einer wesentlichen Einschränkung: Wenn wir den belasteten Stab s e h r s ta rk ausbiegen, also einen g ro ß e n Betrag an Störungsarbeit aufwenden, dann wird zum Unterschied von früher der „Zusammenbruch“ des Stabes herbeigeführt. Wir können dies mit unserer Versuchseinrichtung leicht zeigen, wenn wir den Federstahlstab durch einen Stab aus welchem Messing od. dgl. ersetzen, diesen Stab mit P x zentrisch belasten und das freie Stabende hierauf gewaltsam seitlich verschieben; erreicht die störende Ausbiegung einen bestimmten Wert, dann biegt sich der belastete Stab „aus eigenem“ immer mehr aus, bis er eine äußere Stützung erfährt. Dieses Versuchsergebnis läßt den Schluß zu, daß unter der Last Pl — ganz unabhängig von der geschilderten Störung — außer der geradlinigen Glelchgewichtsfigur noch e in e z w e i t e , s t a rk a u s g e b o g e n e Gleichgewichtsfigur existiert, die labil ist und daher versuchs- tcchnlsch nicht realisiert werden kann. Wir wollen die Endausbiegung dieser z w e i te n unter der Last Pt theoretisch möglichen Gleichgewichtsfigur mitj'o bezeichnen und gelangen damit zu den beiden Punkten 1 und 1' im Diagramm Bild 6.

    BaustahlHooke'scher Idealwerkstoff

    für kleine Ausbiegungen: T 'f f l J

    Bild 5. Bild 6.

    Beim zweiten Versuch war.yo = 0 und ^G1 = P 2, so daß wir hier zum Diagrammpunkt 2 gelangen. Die Kugelbahn Ist hier weniger steil als früher, da sich die Störungsarbeit kleiner und die Rückschwlngungs- dauer größer als beim ersten Versuch ergab. Beim dritten Versuch stellte sich eine ausgebogene Gleichgewichtsfigur mit dem Endausbiegungswert y 0 ein, so daß wir in Bild 4 den Diagrammpunkt 3 erhalten. Der „Hausverstand“ sagt uns, daß außer dieser ausgebogenen Figur auch noch die g e r a d l i n i g e Gleichgewichtsfigur theoretisch möglich ist, da diese geradlinig verlaufende Figur nach wie vor alle Gleichgewichts- und Lagerungsbedingungen erfüllt; nur sind wir hier offenbar nicht mehr ln der Lage, diese Gleichgewichtsfigur beim Versuch vorzuführen und für längere Zeit zu realisieren. Unser Diagramm soll alle theoretisch möglichen Gleichgewichtslagen aufzeigen, und daher müssen wir noch neben dem Punkt 3 den zweiten Punkt 3' mit den Koordinaten y a — 0, P Q1== P3 eintragen. Das neben dem Koordinatenkreuz dargestellte Kugelgleichnis läßt deutlich erkennen, welche Eigenschaften diesen beiden Gleichgewichtslagen zukommen.

    Würden wir den Versuch noch mit verschiedenen anderen Laststufen durchführen, dann würden wir in unserem Diagramm zu einer dichten Reihe von Punkten gelangen, die alle auf der in Bild 5 gezeichneten Lösungskurve gelegen sind. Diese Lösungskurve besteht aus zwei Ästen, von denen der eine mit der Ordinatenachse zusammenfällt und der andere an einer bestimmten Stelle, der sogenannten „Verzweigungsstelle“ rechtwinklig abzwelgt; es liegt hier also ein sogenanntes „Verzweigungsproblem“ vor. Die Ordinate der Verzweigungsstelle wurde mit Pk bezeichnet und sei „Vcrzweigungslast“ genannt; sie ist identisch mit dem, was ln der Literatur als „Eulersehe Knicklast“ bezeichnet wird. Das neben dem Diagramm dargestellte Kugelgleichnis zeigt, wie sich das Tragverhalten des Stabes ändert, wenn die Druckkraft P den Wert P k der Verzweigungslast erreicht und überschreitet. Die Laststufe P = Pk ist dadurch gekennzeichnet, daß z w e i u n m i t t e l b a r b e n a c h b a r t liegende Gleichgewichtsfiguren gleich gut möglich werden oder — anders ausgedrückt — daß die Bahnkurve des zugeordneten Kugelgleichnisses (die laut Abmachung die „flachste“ aller in Frage kommenden Bahnkurven ist) von der waagerechten Tangente von h ö h e r e r O r d n u n g berührt wird, also an der Stelle j/o = 0 sozusagen ein Stückchen waagerecht verläuft. An diese beiden Kennzeichen knüpfen die Verfahren (die Differentialgleichungsmethode und die Energiemethode) zur theoretischen Bestimmung des Lastwertes Pk an.

    Die Tatsache, daß wir die störende Verbiegung der geradlinigen Gleichgewichtsfigur einer Beschränkung unterwerfen müssen, wenn wir den Zusammenbruch des mit P x belasteten, frei verbiegbar vorausgesetzten Stabes vermeiden wollen, veranlaßt uns, die geradlinige Figur nicht schlechtweg als „stabil“, sondern genauer als „beschränkt stabil“ zu bezeichnen. Als Maß dieser Beschränkung (als sogenanntes „Stabilitätsmaß“) wollen wir den Mindestaufwand an Störungsarbeit einführen, der zur Erzielung des Zusammenbruches erforderlich wird; ist das Stabilitätsmaß sehr klein, dann genügen schon ganz geringfügige störende Verbiegungen der Gleichgewichtsfigur — wie sie baupraktisch als Folge von Schwingungen oder zusätzlichen Querbelastungen auftreten können — , um den Zusammenbruch einzuleiten. [Auch das Prisma, das in Bild 6 links unten gezeichnet Ist und auf einer waagerechten Unterlage steht, befindet sich in einer stabilen Ruhelage, aber auch hier Ist die Stabilität eine nur „beschränkte“, da wir den Prismenschwerpunkt unter Aufwendung eines bestimmten Mindestbetrages an Störungsarbeit bis über die Kipp- kante zu heben vermögen und damit jene zweite, labile Gleichgewichtslage erreichen, die passiert werden muß, wenn wir das Prisma zum Umfallen bringen wollen.]

    Das Tragverhalten des untersuchten, mit P x belasteten Baustahlstabes wird durch das ln Bild 6 (rechts unten) dargestellte Kugelgleichnis beleuchtet: Die zur Ausbildung gelangende Ruhelage der Kugel an der Stelle _y0 = 0 ist eine nur „beschränkt stabile“, well es uns gelingt, die Kugel unter Aufwendung eines bestimmten Arbeitsbetrages von der Mulde bis über den Scheitel der Bahn zu schieben und damit zum endgültigen Abrollen zu bringen; das Stabilitätsmaß der Ruhelage ,y0 = 0 ist hier offenbar durch die Arbeit zum Heben der Kugel bestimmt und daher dem Höhenunterschied „St“ der Bahnpunkte 1 und 1' unmittelbar proportional. Da der Baustahl außerhalb des elastischen Formänderungsbereiches bei Entlastungen einem anderen Formänderungsgesetz gehorcht als bei einer Weiterbelastung, müssen wir das Kugelgleichnis b e i B a u s t a h l s t ä b e n allerdings einer weiteren Beschränkung unterwerfen: Die dargestellte Bahn gilt nur für monoton z u n e h m e n d e Verschiebungen (nicht aber auch für rückläufige Bewegungen) der Kugel, und auch die früheren Bemerkungen über das Ausschwingen der Kugel nach erfolgter Störung und das Erreichen der ursprünglichen Ruhelage verlieren ihre unbeschränkte Gültigkeit.

    Wenn wir nun das Tragverhalten des Stabes in gleicher Weise auch für verschiedene andere Laststufen untersuchen und die Ergebnisse in unserem Diagramm zur Darstellung bringen, gelangen wir zu der in

  • 4U Li IV DlAIILDrtU

    C h w a l l a , Über die Probleme und Lösungen der Stabilitätstheorie des Stahlbaues Beilage zu r Z e itsch rift .D ie Bautectm ik*

    Bild 7 gezeichneten Lösungskurve. Diese Lösungskurve wird auch hier aus zwei Ästen gebildet, von denen der eine mit der Ordinatenachse zusammenfällt und der andere ln der H ö h e P = P fc rechtwinklig abzweigt; der einzige Unterschied gegenüber der Lösungskurve in Bild 5 besteht darin, daß Pk nicht mehr unbeschränkt nach der Eulerschen Theorie bestimmt werden kann und daß der abzweigende Ast nicht ansteigt, sondern mehr oder minder steil a b f ä l l t . Dieser Abfall, für den ausschließlich die Vertauschung des H ookeschen Idealwerkstoffes mit dem zähplastischen Baustahl verantwortlich zu machen ist, setzt erst bei jenem Ausblegungswertjp ein, bei dem die größte Stabspannung die Proportionalitätsgrenze des Baustahls überschritten hat; er ist dadurch bedingt, daß das Spannungsmoment (das einer vorgegebenen örtlichen Achsenkrümmung des Stabes zugeordnet ist und dem äußeren Angriffsmoment Ma entgegengestellt wird) nach dem B eg inn d e r P l a s t i z i e r u n g v e r g l e i c h s w e i s e v ie l k l e in e r als bei unbeschränkter Gültigkeit des Hookeschen Gesetzes ist. Dem Abfall der Lösungskurve entspricht die Tatsache, daß unter den Laststufen P < Pk z w e i verschiedene Gleichgewichtsfiguren, eine beschränkt stabile und eine labile, existieren; das Kugelgleichnis in Bild 7 läßt deutlich erkennen, wie diese beiden möglichen Gleichgewichtslagen immer mehr zusammenrücken und wie das Stabilitätsmaß „St“ immer kleiner wird, je mehr sich die Druckkraft P dem Wert der Verzweigungslast Pk nähert.

    labil erweist und deren Erreichung gleichbedeutend ist mit der Einleitung des Zusammenbruches; im Diagramm (Bild 9, links unten) entsprechen diesen beiden theoretisch möglichen Gleichgewichtslagen die beiden Punkte 1 und 1' und im Kugelgleichnis (Bild 9, rechts oben) die beiden Ruhelagen 1 und 1'. Wächst die Druckkraft P langsam an, dann rücken die beiden möglichen Gleichgewichtsfiguren immer näher zusammen, und das Stabilitätsmaß „St“ der ersten, weniger ausgebogenen Figur wird immer kleiner, bis es schließlich Null ist und die beiden Gleichgewichtsfiguren u n m i t t e l b a r b e n a c h b a r t liegen. Die Lösungskurve besteht hier nur mehr aus e in e m e in z ig e n Ast, es gibt hier keine Verzweigungsstelle, dafür aber eine E x t r e m s t e l l e ; es liegt hier kein „Verzweigungsproblem“, sondern ein „Stabilitätsproblem ohne Gleichgewichtsverzweigung“ vor. Die Ordinate der Extremstelle gibt die Größe der Traglast max P G1 an, die wir hier kurz mit P kr (kritische Last) bezeichnen wollen. Das in Bild 9 dargestellte Kugelgleichnis vermag das Tragverhalten des Stabes unter den verschiedenen Laststufen P i g anschaulich zu beleuchten; die Kugelbahnen sind wieder die „flachsten“ der jeweils in Frage kommenden und gelten, wie wir schon erwähnt haben, nur für monoton z u n e h m e n d e Verschiebungen der Kugel, also nur für monoton anwachsende Ausbiegungen des freien Stabendes.

    Baustahl

    X 1000,

    Der genaue Verlauf des abfallenden Kurvenastes hängt ebenso wie die Größe der Verzweigungslast von der Schlankheit und der Querschnittsform des Stabes und von dem Weikstoffverhalten außerhalb des Hook eschen Bereiches ab. Das T y p is c h e des Kurvenverlaufes ist in Bild 8 für verschiedene Schlankheitsgrade zur Darstellung gebracht worden. Aus dem ersten und letzten dieser vier (ln ganz verschiedenen Maßstäben gezeichneten) Diagramme können wir entnehmen, daß dem Begriff der „Verzweigungslast“ im allgemeinen ein zweiter Begriff, der der „Tragiast“ gegenübergestellt werden muß. Die Verzweigungslast gehört der Verzweigungsstelle der Lösungskurve zu, unter ihr setzt die Ausbiegung des untersuchten, mittig gedrückten Stabes ein; die Traglast legt hingegen den o b e r e n G r e n z w e r t des T r a g v e r m ö g e n s fest, ist also identisch mit dem Größtwert der Gleichgewichtslast m ax P GI. Das zweite und dritte Diagramm zeigt, daß die Traglast des Baustahlstabes bei den baupraktisch vorkommenden Schlankheitsgraden mit der Verzweigungslast z u s a m m e n f ä l l t , so daß das Erreichen der Verzweigungsstelle gleichbedeutend mit der Einleitung des Zusammenbruches ist. Dieser Zusammenbruch des frei verbiegbar vorausgesetzten Baustahlstabes erfolgt je nach der Steilheit des Kurvenabfalles (also je nach dem Schlankheitsgrad, der Querschnittsform und dem Werkstoffverhalten) in mehr oder minder ausgeprägter Weise und rechtfertigt daher m e h r o d e r m in d e r die dem üblichen Sprachgebrauch entlehnte Bezeichnung „Knicken“. Wir wollen hier das Wort „Knicken“ (und sinngemäß auch das Wort „Knickproblem“) mit Absicht nur zur Kennzeichnung d e r ä u ß e r e n E r s c h e in u n g d e r W i d e r s t a n d s ü b e r w i n d u n g verwenden und nicht von einer „Knicklast“, sondern einer „Verzweigungs- bzw. Traglast* sprechen. Denn im Schrifttum ist es mit Bezug auf diese Grundbegriffe leider noch immer nicht zu einer Normung gekommen; die eine Hälfte der Autoren versteht unter der „Knicklast“ die Verzweigungslast und die andere die Traglast.

    Wir wollen nun in gleicher Weise den in Bild 9 (links oben) dargestellten a u ß e r m i t t i g g e d r ü c k te n Baustahlstab ln Untersuchung ziehen. Die Druckkraft P greift hier mit einem Hebelarm e an, dessen Größe von der Stabausbiegung nicht beeinflußt werden möge; um dies versuchstechnisch zu erreichen, wollen wir auf den Stab eine Kreisscheibe vom Radius e stecken, darüber eine Schnur legen und an diese Schnur ein Gewicht der Größe P hängen. Wählen wir für P den verhältnismäßig kleinen Wert P 1( dann bildet der Stab eine geringfügig aus- gebogene Gleichgewichtsfigur aus, die wir in Analogie zu früher als „beschränkt stabil“ bezeichnen können. Denn außer dieser geringfügig ausgebogenen Glelchgewichtsflgur existiert unter derselben Laststufe noch eine zweite, stark ausgebogene Glelchgewichtsfigur, die sich als

    Der genaue Verlauf der Lösungskurve und die Größe von P kr hängt von der Schlankheit und der Querschnittsform des Stabes, von der Exzentrizität des Kraftangriffes und von den Voraussetzungen über das Werkstoffverhalten außerhalb des Hookeschen Formänderungsbereiches ab. Ist der Schlankheitsgrad etwa zwischen 30 und 100 gelegen und ist das Exzentrizitätsmaß s e h r k le in , dann gelangen wir zu einer v e r h ä l tn i s m ä ß ig s t e i l abfallenden Lösungskurve (Bild 10, links oben), ist der Schlankheitsgrad und der Angriffshebel jedoch groß, dann verläuft die Lösungskurve ziemlich flach, und die Extremstelle ist nur wenig ausgeprägt (Bild 10, rechts oben). Im ersten Fall ist das Absinken des Stabwiderstandes nach Erreichen der Traggrenze ein recht auffälliges;

    der Unterschied zwischen Baustahl B

  • Jah rg a n g 12 H eft 16. J a n u a r 1939 C h w a l l a , Über die Probleme und Lösungen der Stabllltäfstheorle des Stahlbaues 5

    gebnisse vom b a u p r a k t i s c h e n Standpunkt ein wenig beleuchten. Bei der Lösung der Verzweigungsprobleme interessiert uns vor allem der Wert der Verzweigungslast P » bei der Lösung der anderen Probleme hingegen der Wert der Traglast P kr. Nun ist die theoretische Bestimmung einer Verzweigungslast Im allgemeinen viel einfacher und weniger mühevoll als die theoretische Festlegung einer Traglast, so daß es nicht wundernimmt, wenn der entwerfende Ingenieur bei der Stabilitätssicherung von Tragwerken in jedem Einzelfall bestrebt Ist, den Anschluß an ein schon gelöstes V e r z w e ig u n g s p r o b le m zu gewinnen. Wir müssen uns dabei allerdings bewußt sein, daß dieser Anschluß mit einer großen Zahl weitgehender I d e a l i s i e r u n g e n , und zwar Idealisierungen hinsichtlich der geometrischen Form, der Belastungswelse, der Lagerung und des Werkstoffverhaitens erkauft werden muß, so daß erst nach einer gewissenhaften Abwägung aller Teileinflüsse entschieden werden kann, ob und in welchem Maß eine theoretische Verzweigungslast als Bemessungsgrundlage Verwendung finden darf. Ü b e r s c h ä t z t darf die Bedeutung des theoretischen Lösungsergebnisses auch dann nicht werden, wenn das Verfahren zur Gewinnung dieses Ergebnisses ein mathematisch sehr verwickeltes Ist. Gerade bei der Behandlung von Dimensionierungsfragen bereitet die Formulierung der Grundbeziehungen und Ansätze oft derartige Schwierigkeiten, daß wir uns schon restlos zufrieden zeigen müssen, wenn uns die Theorie vor g r ö b e r e n Fehlern zu bewahren vermag. Der Wert der theoretischen Untersuchung wird dadurch keineswegs geschmälert; vergessen wir nicht, daß sich der entwerfende Ingenieur bei seinen Bemühungen um die Beantwortung so m a n c h e r B e m e s s u n g s frage einigermaßen vereinsamt fühlt und weder von der Bauerfahrung noch von der Versuchserfahrung eine unmittelbare Hilfe zu erwarten hat.

    Wir pflegen bei der Formulierung der theoretischen Voraussetzungen sehr tolerant zu sein. Denken wir da beispielsweise an das übliche Rechenverfahren bei der Stabilitätssicherung von D r u c k g u r t e n o f fe n e r B rü ck e n : Die größte Druckkraft wird hier unter der Vollbelastung erreicht. Bel dieser Vollbelastung werden die beiden Endquerträger (denen nur die halbe Feldweite zugeordnet ist) fraglos weniger belastet und daher auch weniger durchgebogen als die übrigen Querträger. Es werden sich daher die Endvertikalen weniger nach innen neigen als die übrigen Vertikalen, so daß der Druckgurt unter der anwachsenden Vollbelastung nicht nur gedrückt, sondern gleichzeitig auch ein wenig nach innen gebogen wird. Trotzdem führen wir die Stabilitätsuntersuchung des Druckgurtes unter der Voraussetzung eines genau g e r a d e n Stabes — also unter Zugrundelegung eines „Verzweigungsproblcms" — durch und lassen im übrigen noch eine ganze Reihe weiterer Voraussetzungen hinsichtlich der Veränderlichkeit der Gurtkräfte und Gurtquerschnitte und hinsichtlich der Wirkungsweise der elastischen Querstützung zu, um die Lösung dieses Verzweigungsproblems nach Möglichkeit zu vereinfachen.

    Auch bei dem früher besprochenen Fall des m i t t i g g e d r ü c k te n B a u s t a h l s t a b e s mußten wir verschiedene idealisierende Voraussetzungen treffen, um zu dem geschilderten Verzweigungsproblem zu gelangen. Lassen wir nur e in e e in z ig e dieser Voraussetzungen (etwa die einer »genau geraden“ Stabachse oder die eines „genau mittigen“ Kraftangriffes) fallen, dann muß schon das Verzweigungsproblcm einem Stabilitätsproblem o h n e Glelchgewichtsverzweigung welchen, und wir gelangen nicht mehr zu einer Verzweigungslast Pk, sondern zu einer Traglast P kr (Bild 11, links oben). Dabei wissen wir, daß bei einem Stab mittlerer Schlankheit schon ein Angriffshebel von einem Fünfzigstel der Querschnittshöhe ausreichen kann, um diese Traglast auf das bloß 0,8fache des Wertes Pk hinunterzudrücken! Diese starke Empfindlichkeit mittelschlanker Baustahlstäbe gegenüber kleinen Exzentrizitäten des Kraftangriffes wirkt sich, wie wir hier erwähnen wollen, auch auf einem anderen Gebiet, dem der e b e n e n K n ic k u n g v o l lw a n d ig e r B o g e n t r ä g e r , in beachtenswerter Weise aus: Man pflegt hier meist die Stabilität des vollbelasteten Bogens in Untersuchung zu ziehen, ist also auch hier von dem erwähnten Streben geleitet, den Anschluß an ein schon gelöstes „Verzweigungsproblem“ zu gewinnen. Diese Vollbelastung muß aber bei der Stabiiltätsuntersuchung von Bogenträgern mit k le in e m Pfeilverhältnis durchaus nicht immer die maßgebende sein, denn bei einer a n g e n ä h e r t h a l b s e i t i g e n Belastung werden zwar kleinere Druckkräfte entstehen, dafür aber werden diese Druckkräfte (wegen des Abweichcns der Mittelkraftlinie von der Bogenachse) ein wenig exzentrisch wirken. Da wir soeben gesehen haben, wie empfindlich mittelschianke Baustahistäbe gegenüber derartigen Exzentrizitäten sein können, brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn wir bei der Untersuchung des zugeordneten „Stabilitätsproblems o h n e Gleichgewichtsverzweigung“ eine Traglastintensität pkr erhalten, die kleiner ist als die für den vollbelasteten Bogen geltende Intensität pk der Verzweigungslast.

    Wir haben bisher von Verzweigungsproblemen gesprochen, bei denen die praktisch unvermeidbare Diskrepanz zwischen den Voraussetzungen der Theorie und den im Tragwerk wirklich vorliegenden Verhältnissen zur Folge hat, daß die Traglast u n te r den Wert der Verzweigungslast sinkt. Nun gibt es aber auch Fälle, die wesentlich günstiger liegen, da die abzweigende Lösungskurve nicht monoton abfällt, sondern gleich

    nach der Abzweigung m e rk b a r a n s t e i g t , wie dies in Bild 11, rechts oben, angedeutet worden ist; zwar muß das Verzweigungsproblem, wenn die theoretischen Voraussetzungen nur mangelhaft erfüllt werden, auch h ie r einem Stabilitätsproblem ohne Gleichgewlchtsvcrzweigung Platz machen, doch wird die hierbei erhaltene Traglast nicht (oder nur un

    bedeutend) kleiner als die der Bemessung zugrunde gelegte Verzweigungslast sein. Wir sind einer merkbar ansteigenden Lösungskurve schon in Bild 8 — bei der Besprechung des Tragvcrhaltens mittig ge

    drückter Baustahlstäbe extrem kleiner (mit dem „Stab“-Begriff schon kaum mehr zu vereinbarender) Schlankheit — begegnet; dort war die W e r k s to f f v e r f e s t i g u n g die Ursache des Kurvenanstieges. Dann kann es zu einem An

    steigen der Lösungskurve auch kommen, wenn der untersuchte Stab nicht frei verbiegbar ist, sondern mit einem s t a b i l e n N a c h b a r s y s te m zusammenhängt. Wir sehen in Bild 11, links unten, einen frei knickenden Baustahlstab, bei dem sich die Sehne ungehindert verkürzen und daher die Achse ungehindert ausbiegen kann. Wird dieser Stab in ein statisch bestimmtes oder statisch unbestimmtes Grundsystem (Fachwerk oderStabwerk, vgl. Bild 11, rechts unten) als überzähliger Stab X eingebaut, dann setzt das Grundsystem jeder Sehnenverkürzung des Stabes einen elastischen Widerstand entgegen. Wird nun die Verzweigungsstelle des Stabgleichgewlchis als Folge einer übergroßen Systembelastung P überschritten, so daß die Stabausbiegung einsetzt und der Stabwiderstand abzusinken beginnt, dann muß dieses Grundsystem einspringen und den zum Gleichgewicht erforderlichen Widerstandsrest aufbringen. Ist das Grundsystem der Mehrbelastung, die es dabei erfährt, gewachsen (was praktisch durchaus nicht immer der Fall sein muß), dann kann P nochweiter gesteigert werden, trotzdem sich der untersuchte Druckstab Xschon im ausgebogenen Gleichgewichtszustand befindet.

    Der zusätzliche Widerstand, der nach einer Überschreitung der Verzweigungsstelle des Gleichgewichts zur Geltung kommt und das Ansteigen der Gleichgewichtslast P qi zur Folge hat, kann auch u n m i t t e l b a r dem u n t e r s u c h t e n T ra g w e r k s t e i l entspringen, also beispielsweise als zusätzlicher Dehnungswiderstand ln Erscheinung treten, der dem Biege- und Drillungswiderstand zu Hilfe eilt. Das baupraktisch wichtigste Beispiel dieser Art liegt beim A u s b e u l e n u m f a n g s g e l a g e r t e r d ü n n e r P l a t t e n vor. Bevor wir auf den Verlauf der zu-

    geordneten Lösungskurve Kreisplatte mit Querbe/astung. (Spannungsprob!.) eingehen, wollen wir den

    Einfluß, den der Dehnungswiderstand bei der Auswölbung derartiger Platten zu nehmen vermag, an Hand der Lösung

    eines S p a n n u n g s p r o b le m s klarlegen (Bild 12). Es handelt sich hier um die strengere Untersuchung einer dünnen Kreisplatte, die am Rand fest eingespannt ist und unter der Einwirkung einer gleichmäßig verteilten Querlast eine erhebliche Auswölbung

    erfährt. Die übliche, „linearisierte“ Plattenstatik setzt voraus, daß der Auswölbungspfell / im Verhältnis zur Plattendicke t verschwindend klein ist, und führt zur Formel / = 0,176/>0 P / E t 3 oder p0 — 5,69 E f l 3/r*; eine doppelt so große Last p0 erzeugt hier eine genau doppelt so große Ausbiegung / , so daß das Überlagerungsgesetz in Geltung steht. Lassen wir jedoch e n d l ic h g r o ß e Auswölbungen zu, dann müssen wir den Einfluß der Mittelflächendehnung in Rücksicht ziehen und zu der mathematisch wesentlich verwickelteren „nichtlinearen“ Plattenstatik greifen. Solange wir uns auf Auswölbungspfeile bis etwa zur Größe der 2,5fachen Plattendicke t beschränken, gelangen wir mit Hilfe dieser nichtlincaren Theorie zu dem in Bild 12 angeschriebenen und graphisch dargestellten Zusammenhang zwischen der Belastungsintensität p und der Durchbiegung / ; die Hilfsgröße p 0 stellt hierbei die schon erwähnte, dem Wölbpfeil / bei Zugrundelegung der „linearisierten“ Plattentheorie zugeordnete Belastungsintensität vor. Wir sehen, daß wir diesen Intensitätswert, um zum richtigen Wert p zu gelangen, mit einem Faktor ¡1 + C{f/t)2] multiplizieren müssen, in welchem der Beiwert C von der Piattenform, der Lagerung und der

    Baustahl

    PBild 11.

    p kg/™?

    3 _ j L

    — 7>—* - h : — p —

    , s t Jlinearisierte Theorie : p0— 5,69 —p f ■ f

    nicht/in. Th.: p =* p0 -/V1 0,566 ■ ( F/ t)z]

    Bild 12.

  • 6UC« O 1 AULuAU

    C h w a l l a , Uber die Probleme und Lösungen der Stabilitätstheorie des Stahlbaues B e ila g e z u r Z e i ts c h r if t „ D ie B a u te c h n ik *

    3 1 \

    - r :

    L . V — J

    — maxpGi

    poi «*pk-b+c-(f/tf]

    Belastungsweise abhängt und im untersuchten Fall C = 0,566 beträgt. Die zur Erzielung eines vorgegebenen Auswölbungspfeils / erforderliche Querlast p wächst mit / sehr stark an; im Fall f = t beträgt p schon das l,566fache und im F a l l / = 2 / gar schon das 3,264fache des von der gewöhnlichen Plattenstatik gelieferten Lastwertes p0.

    Es liegt nun nahe, diesees Lösungsergebnis bei der Beantwortung der Frage zu verwerten, wie sich eine umfangsgelagerte dünne Baustahlplatte verhält, wenn sie in i h r e r M i t t e l e b e n e belastet wird und nach Überschreitung der zugeordneten Verzweigungslast (der sogenannten „Beul- last“) eine endlich große Auswölbung erfährt. Wir denken da etwa an die in Bild 13 gezeichnete Kreis- oder Rechteckplatte, die längs des ganzen Umfanges gelagert ist und unter der Einwirkung einer gleichmäßigen Druckbelastung noch innerhalb des elastischen Formänderungsbereiches ausbeulen möge. Setzen wir voraus, daß die beim Beulen entstehende Auswölbung / im Vergleich zur Plattendicke t v e r s c h w i n d e n d k le in ist, dann gelangen wir zu der gewöhnlichen, „linearisierten“ Beuitheorle und damit zum Intensitätswert p k der Verzweigungslast. Bei dem früher geschilderten Spannungsproblem mußten wir das Ergebnis der „linearisier- ten“ Theorie, um die strengere Lösung zu erhalten, mit einem Faktor der Form [1 -f C(fjt)-) multiplizieren. Das gleiche wollen wir, ohne dies näher zu begründen, auch hier machen; wir gelangen so zu der in Bild 13 angeschriebenen und graphisch dargestellten Beziehung für den Intensitätswert p G] der Gleichgewichtslast, in der der Beiwert C wie früher vonder Plattenform, der Lagerung und der Belastungsweise abhängt. Diese Näherungsbeziehung kann natürlich nur so lange einen Sinn haben, als der Ort der größten Auswölbung / derselbe bleibt, solange also die Form der Wölbfläche im Wesen die gleiche ist wie beim Beginn der Auswölbung; schon aus diesem Grund ist ihre Anwendung auf bloß g e r i n g f ü g ig e Überschreitungen der Verzweigungslast pk beschränkt. Im übrigen wird der Geltungsbereich des Hookeschen Formänderungsgesetzes im Zuge der Auswölbung früher oder später verlassen und der Baustahl in immer größerem Ausmaß plastiziert, was ein mehr oder minder starkes A b b ie g e n der Lösungskurve zur Folge hat (Bild 13).

    Die in Bild 13 angegebene Beziehung entspricht einer e r s t e n N ä h e r u n g s l ö s u n g des » n i c h t l i n e a r e n “ Beulproblems von dünnen Platten, deren Werkstoff dem Hookeschen Gesetze gehorcht, und die so gelagert sind, daß die endlich große Verwölbung mit einer merkbaren Dehnung der Mittelfläche verbunden ist. Diese Mittelflächenverzerrung ist eine wesentliche Voraussetzung für die Verwendbarkeit unserer Näherungsbeziehung, denn erst durch sie wird der große Dehnungswider-

    Bild 13.

    stand ausgelöst, der dem Biege- und Driliungswiderstand im Zuge der Auswölbung zu Hilfe kommt und das Ansteigen der Lösungskurve bewirkt. Es gibt aber auch Fälle, in denen beim Ausbeulen k e i n e (oder eine nur bedeutungslose) Mittelflächenverzerrung in Erscheinung tritt, in denen also der Dehnungswiderstand, der das Ansteigen der Gleichgewichtslast bewirkt, n ic h t oder in nur geringfügigem Maße zur Geltung kommt; es sind dies offenbar jene Fälle, in denen das Ausbeulen nach einer (im geometrischen Sinn) „abwickelbaren* oder »nahezu abwickelbaren“ Fläche erfolgt. Hierher gehört z. B. mit einiger Annäherung der gedrückte Plattenstreifen mit einem f re ie n Längsrand und drei drehbar gelagerten Rändern (Bild 13, links unten) oder — um auch ein Beispiel der Schalen- beulung zu nennen — das dünnwandige Rohr mit freien Randkreisen und radialer Außendruckbelastung (Bild 13, rechts unten); es sind aber auch „in sich geschlossene“ Schalen bekannt, die einer dehnungslosen Deformation Ihrer Mittelfläche fähig sind.

    Mit diesen Hinweisen wollen wir unseren Streifzug durch die Stabilitätstheorie des Stahlbaues abschließen. Der einschlägige Problemenkomplex ist ein überaus umfangreicher und unsere Darlegungen waren dementsprechend lückenhaft und oberflächlich. Schon bei der Besprechung des Stabilitätsproblems der m i t t ig g e d r ü c k t e n S tä b e au s H o o k e s c h e m I d e a lw e r k s to f f wurden die verschiedenartigen Fälle eines veränderlichen Querschnitts, einer axial veränderlichen Druckkraft und einer zusätzlichen elastischen Querstützung unberücksichtigt gelassen und nichts über das Knicken m e h r t e i l i g e r Druckstäbe (Rahmen- oder Gitterstäbe), nichts über das räumliche Auskntcken von Druckstäben mit n i c h t p a r a l l e l e r oder nicht hauptachsentreuer S c h n e i d e n l a g e r u n g und nichts über das sog. „ D r i l l k n ic k e n “ von Druckstäben mit dünnwandigen, offenen Profilen gesagt. Die ungezählten ebenen und räumlichen Stabilitätsprobleme der Fachwerke, Stabzüge, Rahmen und Bogenträger, die Probleme der Kippung von Trägern und Rahmen und die Probleme der Beulung von Platten und Schalen blieben ebenso unbehandelt wie die (schon außerhalb des Interessengebietes der Stahlbauer gelegenen) Stabilitätsprobleme, die beim Verdrillen von Plattenstreifen oder Wellen, beim sog. »Durchschlagen“ schwachgekrümmter Stäbe oder Platten, beim „Verwerfen“ lückenlos geschweißter Eisenbahngleise oder beim „Umstülpen“ von Ringen auftreten. Wir sind auch nicht auf die V e r fa h re n zu r L ö su n g all dieser Stabilitätsprobleme eingegangen und hatten daher auch keine Gelegenheit, auf die verschiedenen S c h w ie r ig k e i t e n hinzuweisen, die sich bei der Aufstellung der Grundbeziehungen (man denke da etwa an die Fragen, die bei der mathematischen Durchdringung der F l i e ß e r s c h e in u n g des Baustahls auftauchen), bei der Lösung der Differentialgleichungen und der numerischen Auswertung der oft sehr umfangreichen und verwickelten Knickbedingungen ergeben. Der Aufwand an Rechenarbeit hat bei so manchem Stabilitätsproblem wahrlich schon die Grenze des Erträglichen erreicht. Derartig umfangreiche Rechenarbeiten m ü ss e n jedoch geleistet werden, wenn wir die verwickelten funktionalen Zusammenhänge der zahlreichen Kenngrößen aufdecken wollen, um der Bauerfahrung zu einer wissenschaftlichen Grundlage zu verhelfen und im Versuchswesen zu einem rationellen Versuchsprogramm zu gelangen!

    V e r s c h i e d e n e s .Sondertagung für Schweißtechnik am 11. November 1938 in der

    Technischen Hochschule Hannover. Seit drei Jahren findet in Verbindung mit der Jahresversammlung der Hannoverschen Hochschulgemeinschaft eine Sondertagung für Schweißtechnik unter Leitung von Prof. Sr.=3>ug. habil. A. M a t t in g , Hannover, statt, in der Wissenschaftler und Praktiker aus dem ganzen Reich ihre Erfahrungen über die Fortschritte auf schweißtechnischem Gebiete austauschen.

    Als Träger der diesjährigen Veranstaltung beteiligten sich neben der Hochschulgemeinschaft und den führenden schweißtechnischen Verbänden das Amt für Technik der NSDAP, der Verein deutscher Ingenieure im NS-Bund deutscher Technik und der Lehrstuhl für Werkstoffkunde und Schweißtechnik der Technischen Hochschule Hannover.

    Gauamtsleiter Pg. R o s e n b o h m eröffnete die Tagung und hieß die zahlreichen Teilnehmer in Hannover willkommen. Er wies auf den außerordentlichen Aufschwung der deutschen Wirtschaft hin, den die im Ausland so oft verlästerte autoritäre Staatsführung herbeigeführt hat. Als der Führer auf dem Parteitag der Ehre die Zusammenarbeit der Wirtschaft mit den technischen Wissenschaften gefordert hatte, da wurde in Hannover sogleich begonnen, die Grundlage zu einer solchen Zusammenarbeit zu schaffen, die sich auf das Beste bewährt hat.

    Prof. Dr. Matting übernahm sodann die weitere Leitung der Tagung. In seinen Begrüßungsworten führte er aus, daß der diesjährigen Tagung das aktuelle Thema „Schweißen im Stahlbau“ zugrunde gelegt worden sei, das wegen einiger Schadensfälle an geschweißten Brücken das besondere Interesse aller Fachgenossen errege. Wir wollen den Mut haben, gerade diese schwierigen Fragen zu behandeln. Der Tagung im nächsten Jahre soll das Thema „Die jMetallurgle des Schweißens“ zugrunde gelegt werden.

    Die Reihe derVorträge wurde eröffnet durch Prof. ®r.=3ng.E. vom E n d e , München, der über »Schweißtechnische Probleme im Kranbau“ sprach.

    Von den beiden großen Teilgebieten: maschinelle Einrichtung und Tragwerk hat die Schweißtechnik in das erste Gebiet weitgehend Eingang gefunden. Grauguß und Stahlguß sind fast ganz verschwunden. Die Ausleger, Tragbrücken usw. wurden bisher größtenteils als genietete Fachwerkträger gebaut. Sie stehen dem Brückenbau nahe, eilen ihm aber in mancher Beziehung voraus. Gewichtsersparnis bedeutet hier gleichzeitig Kraftersparnis. Es werden dadurch nicht nur die Anlagekosten, sondern auch die Betriebskosten gesenkt.

    Den Übergang zwischen beiden Gruppen bilden die Laufkatzen. Bei größeren Ausführungen reichen die normalen Profile teilweise nicht mehr aus. Hier wird durch die Schweißtechnik der Bau erheblich erleichtert.

    Die neuere Entwicklung im Kranbau wird gekennzeichnet durch die Einbeziehung von Räderkästen und Lagern als tragende Teile in die Konstruktion. Das wird sich immer mehr durchsetzen, wenn sämtliche Zahnräder in einem Schutzkasten liegen.

    Für Kranträger haben sich die Ausführungen aus abgekanteten Blechen nur wenig durchzusetzen vermocht. Drei Querschnittsformen sind grundsätzlich möglich: 1. aufgeschnittener I-Träger, 2. Kastenprofil aus Blechen,3. Kastenprofil aus abgekanteten Blechen.

    Für die Träger von Laufkranen lassen sich die Erfahrungen aus dem Brücken- und ebenfalls aus dem Fahrzeugbau verwenden, weil die Konstruktionen fahrbar sind. Es sind sowohl Vollwand- als auch Fachwerkträger üblich. Bei kleinen Nutzlasten sind Fachwerkträger zu bevorzugen, bei größeren Vollwandträger. Die schweißtechnischen Schwierigkeiten sind geringer als im Brückenbau, weil die verwendeten Profile kleiner sind. Von Bedeutung ist beim Laufkranträger der Anschluß an den Kopfträger.

    Im Brückenbau werden geschweißte Fachwerkträger in Deutschland abgelehnt. Es ist wirtschaftlicher, sie zu nieten. Die Knotenpunkte

  • Jah rg a n g 12 H eft 16. J a n u a r 1939 Verschiedenes 7

    müssen Gelenke darstellen, was nur beim Nieten gewährleistet ist. Dagegen sind beim Fachwerkkranträger Ersparnisse von 15 bis 20°/o durch das Schweißen möglich. Für die Ausführung geschweißter Knotenpunkte bestehen viele Lösungen. Man kann, die Knotenbleche aufsetzen und einsetzen. Zweckmäßig ist es, die Schweißnähte aus den Ecken herauszuziehen, d. h. die Knotenpunkte als besondere Konstruktion auszuführen. Am besten hat sich die Stumpfnaht bewährt.

    Die Berechnung von Rahmenträgern, die statisch unbestimmt sind, ist schwierig. Der statisch bestimmte geschweißte Vollwandträger ist leichter und steifer als in genieteter Ausführung. Derartige Krane sind schon bis zu neun Jahren ohne Schäden im Betrieb. Fachwerkträger von großen Verladebrücken werden zweckmäßig genietet.

    Als Mangel wird Im Kranbau empfunden, daß für die Berechnung von geschweißten Ausführungen, insbesondere von Knotenpunkten, noch keine Unterlagen für die Dauerfestigkeit vorliegen.

    In der Aussprache wurde die Frage der Instandsetzung von beschädigten Kranen ln geschweißter und genieteter Ausführung erörtert. Dlrecktor ®r.=3ttg. J u r c z y k erläuterte an Hand von Lichtbildern einige konstruktive Einzelheiten.

    In seinem Schlußwort betonte Prof. vom E n d e , daß unsere Krane durchgehend sehr fest gebaut sind. Ein Übergang zum geschweißten Fachwerkträger ist darum durchaus möglich.

    Direktor bei der Reichsbahn ®r.=3tig. O. B lu n ck , Berlin, sprach über »Den Einfluß der Schweißtechnik auf die Formgebung im Stahlbau“, wobei der Einfluß in schönheitlicher Hinsicht Im Brückenbau besonders herausgestellt wurde. In Lichtbildern wurden genietete und geschweißte Ausführungen einander gegenübergestellt. Die Vorteile der Schweißtechnik — ruhige Linienführung und glatte Flächen — fallen um so mehr ins Auge, je näher der Beschauer an dem Bauwerk steht. Daher werden Straßenbrücken und Hochbauten mit Vorliebe geschweißt, da die geschweißte Ausführung wesentlich eleganter wirkt. Bel großen Brücken über Flüsse steht die Gewichtsersparnis im Vordergrund.

    Das Brückenbauwerk ist ein Kulturdenkmal und muß sich in die Landschaft organisch einfügen. Vor 100 Jahren waren Architekt und Ingenieur noch in einer Person vereinigt; die Maschinentechnik führte später zur Aufspaltung. Aber auch heute noch muß der Ingenieur gleichzeitig Sinn für die architektonische Wirkung haben. Architekt und Ingenieur müssen Zusammenwirken. Es soll heule wieder eine anständige Baugesinnung gepflegt werden.

    Diese Erkenntnisse setzten sich bei der Reichsbahn schon ln der Zelt nach der Inflation durch und wurden in die Praxis umgesetzt. Die Vorbildung der Brückeningenieure in Skizzieren und Modellieren muß stärker als bisher gepflegt werden. Der Brückenbau ist Gemeinschaftsarbeit, wie es auch von Geheimrat S c h a p c r verschiedentlich zum Ausdruck gebracht worden ist.

    Vertieft wurden diese grundlegenden Ausführungen durch zahlreiche Lichtbilder von Brückenbauten der Reichsbahn und der Reichsautobahn.

    Das Schweißen im Brückenbau erfordert ein hohes Maß von Verantwortung, weil die ganze Konstruktion von der Sicherheit einiger Hauptschweißnähte abhängt. Nieten und Schweißen können auch nebeneinander angewendet werden, wenn auf die Eigenarten beider Verfahren Rücksicht genommen wird. Wo es wirtschaftlich oder aus anderen Gründen zweckmäßig ist, soll nach wie vor genietet werden. Das Schweißen von Fachwerkbrücken wird in Deutschland bis jetzt abgelehnt.

    Die Einführung der Schweißtechnik in den Brückenbau hatte zur Folge, daß kleine Brücken ln der Werkstatt fast ganz fertig geschweißt und so zur Baustelle gebracht werden. Hierbei waren oft schwierige Transportfragen zu lösen.

    Die Entwicklung, die der Brückenbau durch das Schweißen genommen hat, wurde an zahlreichen Lichtbildern gezeigt.

    In der Aussprache betonte Prof. C. V olk , daß es nicht nur auf die äußere Schönheit ankomme. Im Maschinenbau gibt es auch eine innere Schönheit der Konstruktionen, die durch zweckmäßigste Gestaltung und Ausnutzung des Werkstoffes, ohne ihn zu quälen, bedingt ist.

    Prof. ®r.=3»ß. habil. A. M a t t in g , Hannover, betonte in seinem Vortrage „Vergleich zwischen Röntgenaufnahmen und mechanisch ermittelten Versuchsergebnissen“ die Notwendigkeit ausreichender Übereinstimmung, wenn die zerstörenden Prüfverfahren weitgehend durch die zerstörungsfreien ersetzt werden sollen. Die Klärung dieser wechselseitigen Beziehungen Ist schon in einer früheren Arbeit gemeinsam mit C. S t i e l e r versucht worden; das Ergebnis war damals jedoch noch unbefriedigend. Eine zahlenmäßige Übereinstimmung konnte nicht nachgewiesen werden. Inzwischen haben sich verschiedene Forscher mit diesen Fragen beschäftigt, z.B. L efr ing , W a l lm a n n , T o fa u te , H e m p e l und M ü lle r . Es ist durch diese Arbeiten gelungen, einen tieferen Einblick In die wechselseitigen Beziehungen zu erhalten.

    Durch Gegenüberstellung des Röntgenbefundes von Schweißnähten einerseits und der statischen Festigkeit, Dehnung, Schwellfestigkeit und Kerbschlagzähigkeit andererseits konnte der Nachweis erbracht werden, daß in bezug auf grobe Fehler befriedigende Übereinstimmung besteht. Kleinere Fehler im Röntgenbild werden leicht überschätzt. Sie werden bei der zerstörenden Prüfung vielfach überlagert durch unbeachtete Faktoren, wie scharfe Nahtansätze und andere Kerbeinflüsse. Hierdurch wird in die Auswertung der Röntgenbilder oft eine gewisse Unsicherheit hineingebracht, die sich nur durch Erfahrung einschränken läßt.

    Diese Schlußfolgerung wurde in der Aussprache über den Vortrag bestätigt. $r.=3ng. B ischo f , Dortmund, teilte das Ergebnis von Untersuchungen mit, die eine Beziehung zwischen der Biegewechselfestigkeit geschweißter Proben und ihrem Röntgenbefund nachweisen sollten. Die Übereinstimmung zeigte erhebliche Lücken.

    Oberingenieur F. R o s e n b e r g , Berlin, sprach über das Thema »Die elektrische Widerstandschweißung im Bauwesen“. Die Ausführungen ließen erkennen, daß auch dieses Schweißverfahren im Bauwesen festen Fuß zu fassen beginnt, was durch zahlreiche Anwendungsbeispiele belegt wurde.

    Die Rollennahtschweißung mit Stromstoßsteuerung ermöglicht wirtschaftliche Fertigung von Leichtbauträgern großer Festigkeit mit geringsten Schrumpfspannungen und Verziehungen. Die Wärmezufuhr hat einen Kleinstwert, der Werkstoff wird geschont. Die Stumfschwelßung wird angewendet für Zuganker, Betonelnlegeeisen, Spurstangen, Stangenköpfe, Rohre, Kurbelwellen usw. Beliebt ist das Aufschweißen von Stahlschneiden, Bohrern usw. auf die Stahlschäfte.

    Im Stahlbau ist das Schweißen von Stahlfenstern in Gebrauch. Die Profile werden auf Gehrung geschnitten und durch Abbrennschweißung verbunden. Die Gehrungsschweißung erreicht jedoch nicht die Festigkeit der Schweißung im vollen Stück. Vor dem Bruch tritt eine starke Verformung ein. Viel angewandt wird die Schweißung von Radreifen, Formelsenringen und Bandagen. Durch den Reifen tritt ein unerwünschter Nebenschluß ein, sowohl in elektrischer als auch mechanischer Beziehung.

    Ein Anwendungsvorschlag für die Stumpfschweißung im Stahlbau besteht darin, ein Zwischenstück geeigneter Formgebung durch Abbrennschweißung an das Profil stumpf anzuschweißen und durch Lichtbogenschweißung die Verbindung mit dem dazu senkrecht oder schräg verlaufenden Träger herzustellen.

    Weltverbreitet ist die Abbrennschweißung zur Schienenverbindung, besonders bei der Reichsbahn. Die Wertigkeit beträgt 91 °/0 gegenüber der ungeschweißten Schiene.

    Auch über diesen Vortrag fand eine lebhafte Aussprache statt. Oberingenieur R o s e n b e r g teilte mit, daß sich auch Temperguß mit Siemens- Martinstahl verschweißen läßt. Legierte Stähle können nach dem Abbrennverfahren einwandfrei verschweißt werden. Schwierigkeiten bei höheren Chromgehalten sind überwunden worden.

    Zu Beginn des zweiten Teiles der Tagung begrüßte Se. Magnifizenz, der Rektor der Technischen Hochschule Hannover, Professor S im o n s , die Teilnehmer und wies auf die besondere Pflege dieses Fachgebietes an der hiesigen Hochschule hin.

    Richtungweisend war der Vortrag von Prof. S r ^ n g . G. B i e r e t t , Berlin-Dahlem, über „Festigkeitsfragen beim Schweißen Im Stahlbau“, der besonders auf die Festigkeit und Entwicklung des Schweißens fester Baustähle einging. Beim Schweißen besteht im Gegensatz zum Nieten eine besonders enge Verflechtung zwischen den Einflüssen des Werkstoffes, der Konstruktion und der Ausführung. Durch einige Schadensfälle ist im Brückenbau eine Vertrauenskrise der Schweißtechnik ausgebrochen. Diese Rückschläge und Schäden sind die Resultierenden von Komponenten verschiedener Art. E in e Ursache ist dabei jedoch ausschlaggebend. Über diese Ursache Ist man sich noch nicht einig. In den westlichen Ländern stellt man die stofflichen Fragen mehr in den Vordergrund als bei uns. Für den Spezialisten ist es schwer, die Rolle der einzelnen Faktoren auseinander zu halten.

    Zahlreiche Versuche mit großen Konstruktionsgliedern lassen nicht erkennen, daß die bisher ausgeführten Konstruktionen grundsätzliche Fehler aufgewiesen hätten. Ein Versagen der Breitflanschstähle oder eine Unterlegenheit etwa der Automatenschweißung ließ sich nicht nachweisen. Durch Versuche mit den üblichen Konstruktionen kann die Fehlerquelle nicht aufgedeckt werden. Dazu wäre eine Großzahl von Versuchen nötig. Noch so viele günstige Versuchsergebnisse dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, daß unbekannte Faktoren eine entscheidende Rolle spielen können. Entscheidend ist das ungünstige Einzelergebnis gegenüber den vielen günstigen Erfahrungen, die man gerade im Brückenbau mit der Schweißtechnik hat sammeln können.

    Es besteht kein Zweifel darüber, daß es sich bei diesen Dingen in erster Linie um eine Stofffrage handelt. Unter Stoff ist hierbei nicht allein der Stahl und der Schweißdraht zu verstehen, sondern vor allem die Schweißnaht und ihre Nachbarschaft. Eine wesentliche Rolle spielt dabei die Frage der Schweißspannungen. „Stoff“ ist somit in diesem erweiterten Sinne zu verstehen.

    Versuche haben gezeigt, daß auch schon bei mäßigen Blechdicken stofflich ungünstige Zonen eintreten können. In erster Linie treten jedoch bei dickeren Blechen Härtungserscheinungen auf. Bei festeren Stählen tritt kein Abbau der Spannungen ein. Besonders ungünstige Verhältnisse Hegen in den Halsnahtzonen geschweißter Träger vor, die sich jedoch nicht auf die Halsnähte beschränken.

    Die Schweißempfindlichkeit eines Stahles kann erst auf Grund zahlreicher Versuche festgestellt werden. Die Definition des Begriffes „Schweißempfindlichkeit“ liegt nicht genau fest. Man versteht darunter eine mehr oder weniger große Versprödung des Überganges unter Verlust der Formänderungsfähigkeit.

    Entscheidend für die Praxis Ist die Frage, wie sich ein Baustahl verhält, wenn er beim Schweißen schlecht behandelt wird. Hierfür ist eine besondere Probeform entwickelt worden. Auf ein breites dickes Blech wird in einer Nut eine Raupe aufgeschweißt, deren Querschnitt etwa einer Kehlnaht von der Kehlnahthöhe a = 5 mm entspricht. Durch Faltversuch wird der Biegewinkel beim Anriß und beim Bruch und die örtliche Dehnung der Zugzone bestimmt. Diese „Studienprobe“ zur Prüfung der Schweißempfindlichkeit hat sich gut bewährt. Die örtliche Bruchdehnung zeigt keine größeren Streuungen im Gegensatz zum Biegewinkel.

    Bei Stahl gleicher Zusammensetzung treten erhebliche Unterschiede auf, die durch verschiedene Schmelzung bedingt sein können.

  • 8 VerschiedenesDER STAHLBAU

    B eilage zu r Z eitsch rift „D ie B autechnik*

    Von der endgültigen Klärung der Werkstofffragen müssen jedoch aus den bisherigen Versuchen die Folgerungen gezogen werden. Unbedingte Gewähr zur Vermeidung der Schweißempfindlichkeit gibt geeignete Stahlauswahl, die jedoch durch den Mangel bestimmter Legierungselemente in Deutschland gehemmt wird. Abhilfe kann ferner durch eine zweckentsprechende Wärmebehandlung der Schweißverbindungen geschaffen werden. Diese Aufgabe liegt im wesentlichen bei der Stahlbauindustrie. Das Problem besteht darin, die Glühbehandlung möglichst rationell durchzuführen.

    Im Behälter- und Dampfkesselbau wird von der Glühung in großem Umfange Gebrauch gemacht. Auch Im Stahlbau muß die Glühung mehr als bisher angewandt werden. Es ist dabei nicht nötig, ganze geschweißte Konstruktionen auszuglühen. Die Frage nach der Art des Glühens — Spannungsfreiglühen oder Normalglühen — ist zunächst von untergeordneter Bedeutung. • Die Einführung der Glühung ist eine Frage der Organisation. Es ist bisher noch kein einziger Schadensfall an Tellen bekanntgeworden, die einem Spannungsfreiglühen nach der Schweißung unterworfen worden waren. Es wird heute erwogen, gewalzte Profile nach dem Walzen zu glühen, ln gleicher Weise können auch geschweißte Träger ausgeglüht werden. Ein Vorschlag des Vortragenden geht dahin, Gurtprofile mit schweißunempfindlichen Halsnahtzonen einzuführen. Durch den welchen Werkstoff ist ein Abbau der Spannungen gesichert.

    Baustellenstöße sind häufig unvermeidbar. Die Gefahrenquellen hierbei müssen durch zweckmäßige Nahtanordnung, Schweißfolge und Schweißausführung bekämpft werden. Auch hier kann eine Wärmebehandlung der besonders gefährdet erscheinenden Schweißnähte durch zweckmäßig angebrachte Schweißbrenner erfolgen.

    An den Vortrag schloß sich eine lebhafte Aussprache an. Erörtert wurden in erster Linie die praktischen Folgerungen aus den bisherigen Erkenntnissen. Direktor Sr.=$Sng. K o m m e re i l teilte mit, daß die Vorschriften für geschweißte Brücken der Reichsbahn und Reichsautobahnen entsprechend den gewonnenen Erkenntnissen abgeändert worden sind. Der Schrägstoß wird in Zukunft nicht mehr verlangt. Auch das Vor- schwelßen mit dünnen Elektroden, um guten Wurzeleinbrand zu erzielen, ist nicht mehr vorgeschrieben. — Über die Zweckmäßigkeit des Ausglühens, besonders auf der Baustelle, bestanden erhebliche Meinungsverschiedenheiten. — Gegen die vorgeschlagene Schweißempfindlichkeitsprobe wurden Bedenken geäußert. — In seinem Schlußwort gelang es Professor B l e r e t t , die Wichtigkeit der Entscheidungen, vor denen wir heute stehen, nachdrücklich vor Augen zu führen.

    Der letzte Vortrag von Dipl.-Ing. R. S c h n e id e r , Frankfurt/Main- Griesheim, über „Die Dauerfcstigkeit von Brennschnittkanten und ihre Bewährung im Betriebe“ zeigte, daß die Oberflächenbeschaffenheit der Kanten maßgebend ist, demgegenüber die Gefügeumwandlung zurücktritt. Die Güte wird durch drei Faktoren maßgeblich beeinflußt: Brenngas, Brenner und Schneidmaschine. Leuchtgas ergibt sehr saubere Schnitte. Wichtig ist richtige Anordnung und Wahl der Schneiddüsen, sowie richtige Flammeneinstellung. Ausschlaggebend ist jedoch die Güte der Schneidmaschine. Ihr ist daher in bezug auf Pflege im Betrieb besonderes Augenmerk zuzuwenden, um sauberste Schnittkanten zu erzielen. — Die Ausführungen wurden erläutert durch eine Reihe von Schliffbildern unter verschiedensten Bedingungen ausgeführter Brennschnittkanten.

    Ausführliche Auszüge aus den gehaltenen Vorträgen sollen demnächst ln einem Fachheft des „Bauing.“ veröffentlicht werden.

    ®r.=3»9- H. K och , Hannover.

    Stahlbehälter ln Sphäroidform mit großem Fassungsvermögen. In den letzten Jahren bat man ln den Vereinigten Staaten zur Aufbewahrung von flüchtigen Flüssigkeiten Stahlbehälter mit großem Fassungsvermögen in Sphäroidform gebaut. Versuche haben gezeigt, daß die Behälter mit dieser neuen Form durch bessere Ausnutzung des Werkstoffes eine nennenswerte Ersparnis zu erzielen ermöglichten. Bei den gewöhnlichen zylindrischen Behältern wird der Druck der Flüssigkeiten lediglich durch die Seitenwände ausgeglichen. Bei diesem System bilden dagegen die gewölbte Decke, die Seitenwände und der Boden ein Ganzes, von dem sämtliche Teile zum Widerstand beitragen. Ist ein derartiger Behälter voll, erleiden alle Wandungen dazu die gleichen Spannungen.

    Nachstehende Ausführungen bringen einige Einzelheiten über die Behälter.

    A n w e n d u n g s b e r e i c h d e r B e h ä l t e r und z u l ä s s i g e H ö c h s t d rü ck e . Die Behälter eignen sich sehr gut zur Lagerung von Benzin und anderen leichten Stoffen, die bei normalen Temperaturen leicht verdunsten. Die gewählte Form ist besonders geeignet, den erzeugten Druck auszuhalten, wobei praktisch Verdunstungsverluste ausgeschaltet werden. Der Druck wurde durch Versuche gemessen, die ergaben, daß ein Druck, der fähig ist, Verdunstungsverluste für Natur-Gasolin (das eine Dampfspannung nach Reid von 12 bis 22 lbs hat) auszuschalten, zwischen 0,7 und 1,05 kg/cm2 schwankt. Diese Verhältnisse waren für den Entwurf der Behälter maßgebend.

    S ta t i s c h e V ersuche . Vor einigen Jahren hat man in Chicago Versuche mit einem kugelähnlichen Tank von 1200 cbm Inhalt vorgenommen. Dieser Behälter hatte einen horizontalen Durchmesser von 17,6 m und eine Höhe von 9,5 m; er Ist allen möglichen Belastungen unterworfen worden.

    Beim ersten Versuch wurde der Behälter mittels Preßluft unter Druck gesetzt. Bei diesem Versuch konnte man am unteren Teil des Mantels an der Stelle, wo die Berechnungen die Höchstbeanspruchungen angaben, eine Formänderung beobachten. — Belm zweiten Versuch hat man den Behälter mit Wasser gefüllt. Nachdem in geringer Höhe über dem Bau

    grund in der Längsrichtung eine Ausbeulung festgestellt wurde, brachte man rund um den Behälter an der Stelle der Ausbeulung einen Versteifungsbalken an. — Beim dritten Versuch wurde schließlich der mit Wasser gefüllte Behälter noch einem zusätzlichen Druck ausgesetzt, der von 0 beginnend 400 mal auf 0,35 kg/cm2 gesteigert wurde, was der normalen Beanspruchung eines solchen Behälters im Laufe eines Jahres entsprechen soll.

    V e r d u n s tu n g s v e r s u c h e . Für diesen Versuch goß man auf die Wasseroberfläche 3200 Liter Benzin, die eine Schicht von 5 cm Dicke bildeten. Daraufhin wurde der Behälter dicht verschlossen, und man beobachtete 42 Tage lang den Druck im Innern des Behälters. Diese Versuche haben ergeben, daß der Druck niemals 0,35 kg/cm2 überschritten hat, wodurch bewiesen wird, daß die Verdunstungsverluste praktisch gleich Null waren.

    Bild 1.

    A n w e n d u n g e n . Die vorstehend geschilderten Versuche sind von der Chicago Bridge and Iron Company vorgenommen worden, die seitdem zahlreiche Behälter dieser Art gebaut hat. Wir geben die Abbildungen von zwei Behältern (Bild 1 und 2) wieder, die kürzlich von dieser Firma gebaut wurden.

    Bild 1 zeigt zwei für die Warren Petroleum Company in Port Arthur, Texas, errichtete Behälter. Diese Behälter sind 12,15 m hoch und haben einen Durchmesser von 43 m.

    Der in Bild 2 dargestellte Behälter wurde für die Col-Tex Refining Company in Colorado, Texas, gebaut. Er hat einen Durchmesser von 16,15 m und 12 m Höhe. Sein Fassungsvermögen erreicht 1 500 000 Liter. Dieser Behälter Ist für die Aufnahme von Benzin vorgesehen und für einen Druck von 1,4 kg/cm2 berechnet worden.

    Bild 2.

    Der auf Bild 1 dargestellte Behälter wurde für einen Druck von1.05 kg/cm2 entworfen. Das Fassungsvermögen eines jeden dieser Behälter beträgt etwa 15 Millionen Liter.

    Die Behälter der Chicago Bridge and Iron Company, in den Vereinigten Staaten unter dem Namen „Hortonspheroid“ bekannt, werden in zwei Ausführungen gebaut: die erste für ein Fassungsvermögen von 360 000 bis 5 500 000 Liter nach Bild 2, die zweite für einen Inhalt von1.5 bis 15 Millionen Liter nach Bild 1.

    Die Behälter werden im allgemeinen geschweißt. Jede Anlage wird mit einem vollständigen Satz Druck- und Ablaßventile ausgestattet.

    (Nach L’Ossature Métallique vom 2. 7. 1938.)Ing. G. Dom , Berlin.

    I N H A L T : Ober die Probleme und Lösungen der StabllitStstheorle des Stahlbaues. — V e r s c h i e d e n e s : Sondertagung für Schweißtechnik. — Stahibehälter in SphSroidTorm mit großem Fassungsvermögen.

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