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Anhang 1. Erscheinungen der Festigkeit. § 465. Spaltbarkeit. In den Kapiteln IV bis VIII sind die- jenigen Vorgänge an Kristallen behandelt, für die bisher mit den Hilfs- mitteln der Symmetrie betrachtungen umfassende Gesetze aufgestellt werden konnten. In diesem ersten Anhang soll kurz über eine Reihe anderer Erscheinungen berichtet werden, für welche ähnliches noch nicht geleistet werden konnte. Die Erscheinungen -lieser Reihe hängen dadurch zusammen, daß sie sä.mtlich auf der Überwindung von Ko- häsionskräften innerhalb des Kristalles beruhen und Veränderungen betreffen, welche die Grenze der Gültigkeit der Elastizitätsgleichungen überschreiten; man kann sie in einem allgemeineren Sinne des Wortes als Festigkeitserscheinungen bezeichnen. Von ihnen ist die Spaltbarkeit nach ihren Gesetzmäßigkeiten am wenigsten erforscht. Was die Erfahrung bisher ergeben hat, ist einzig dieses, daß die Spaltungsebenen jederzeit in einer solchen Anzahl gleichwertiger auftreten, wie dies der Symmetrieformel des Kristalles entspricht, und daß sie durch das Gesetz der rationalen Indizes (s. § 43 u. f.) mit den Begrenzungselementen des Kristalles verknüpft sind, sonach selbst Begrenzungsebenen sein können. Demgemä.ß spalten die regulär-holoedrisehen Kristalle (Gruppe (28) Steinsalz nach Würfeln, Flußspat nach Oktaedern, der Kalkspat (Gruppe (9) nach Rhomboedern. Gelegentlich treten bei demselben Mineral mehrere verschiedenartige Spaltungsebenen gleichzeitig auf; so bei Baryt (Gruppe (6) eine ausgezeichnete Ebene normal zur Z-Achse und vier nach der Symmetrieformel (0, AP>, A .. (i» einander gleichwertige parallel zur Z-Achse. ElD Meßverfahren für die Größe der Spaltbarkeit existiert bisher noch nicht; in der Tat bietet schon eine präzise Definition dieser Größe Schwierigkeit. Vielleicht ließe letztere sich noch am ersten (im Anschluß an die Theorie der Biegung eines Stabes durch Ausübung einer transversalen Kraft auf sein freies Ende) folgendermaßen gewinnen. Sei ein Kristallpräparat von einer Länge L parallel einer Z-Achse und von einer Breite Eins parallel einer Y-Achse gegeben, wobei die YZ-Ebene die Spaltungsebena darstellt, und sei von demselben durch v 0 t I.. Xrllltallpbpik. 60

1. Erscheinungen der Festigkeit.978-3-663-15884-4/1.pdf · Flußspat nach Oktaedern, der trigonal~ho1oedrische Kalkspat (Gruppe (9) nach Rhomboedern. Gelegentlich treten bei demselben

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Anhang 1.

Erscheinungen der Festigkeit. § 465. Spaltbarkeit. In den Kapiteln IV bis VIII sind die­

jenigen Vorgänge an Kristallen behandelt, für die bisher mit den Hilfs­mitteln der Symmetrie betrachtungen umfassende Gesetze aufgestellt werden konnten. In diesem ersten Anhang soll kurz über eine Reihe anderer Erscheinungen berichtet werden, für welche ähnliches noch nicht geleistet werden konnte. Die Erscheinungen -lieser Reihe hängen dadurch zusammen, daß sie sä.mtlich auf der Überwindung von Ko­häsionskräften innerhalb des Kristalles beruhen und Veränderungen betreffen, welche die Grenze der Gültigkeit der Elastizitätsgleichungen überschreiten; man kann sie in einem allgemeineren Sinne des Wortes als Festigkeitserscheinungen bezeichnen.

Von ihnen ist die Spaltbarkeit nach ihren Gesetzmäßigkeiten am wenigsten erforscht. Was die Erfahrung bisher ergeben hat, ist einzig dieses, daß die Spaltungsebenen jederzeit in einer solchen Anzahl gleichwertiger auftreten, wie dies der Symmetrieformel des Kristalles entspricht, und daß sie durch das Gesetz der rationalen Indizes (s. § 43 u. f.) mit den Begrenzungselementen des Kristalles verknüpft sind, sonach selbst Begrenzungsebenen sein können. Demgemä.ß spalten die regulär-holoedrisehen Kristalle (Gruppe (28) Steinsalz nach Würfeln, Flußspat nach Oktaedern, der trigonal~ho1oedrische Kalkspat (Gruppe (9) nach Rhomboedern. Gelegentlich treten bei demselben Mineral mehrere verschiedenartige Spaltungs ebenen gleichzeitig auf; so bei Baryt (Gruppe (6) eine ausgezeichnete Ebene normal zur Z-Achse und vier nach der Symmetrieformel (0, AP>, A .. (i» einander gleichwertige parallel zur Z-Achse.

ElD Meßverfahren für die Größe der Spaltbarkeit existiert bisher noch nicht; in der Tat bietet schon eine präzise Definition dieser Größe Schwierigkeit. Vielleicht ließe letztere sich noch am ersten (im Anschluß an die Theorie der Biegung eines Stabes durch Ausübung einer transversalen Kraft auf sein freies Ende) folgendermaßen gewinnen.

Sei ein Kristallpräparat von einer Länge L parallel einer Z-Achse und von einer Breite Eins parallel einer Y-Achse gegeben, wobei die YZ-Ebene die Spaltungsebena darstellt, und sei von demselben durch

v 0 t I.. Xrllltallpbpik. 60

946 Anhang 1. Erscheinungen der Festigkeit.

Spaltung eine Lamelle derartig losgelöst, daß der Spalt sich von dem Ende 8 = L bis zu der Geraden 8 = 81 erstreckt. Angenommen, es sei dann am Ende 8 = L eine Kraft II parallel der X-Achse nötig, um die Spaltung weiterzuführen, so wird II(L - 81) ein Maß der Spaltbarkeit darstellen. Dabei ist vorausgesetzt, daß die Beobachtung die Konstanz dieses Produktes für eine bestimmte Spaltungsebene er­weist. Es ist nicht völlig undenkbar, daß Beobachtungen nach dem geschilderten Schema zwar eine Konstanz von II(L - 81) bei wechseln­dem L - 81 ergeben, solange die Richtung von Z in der Spaltungs­ebene konstant bleibt, dagegen aber wechselnde Werte, wenn diese Richtung variiert. In letzterem Falle wäre dann die Spaltbarkeit eine Funktion der Richtung innerhalb der Spaltungsebene.

§ 466. Zerreißungsfestigkeit. Die Spaltbarkeit hat offenbar ge­wisse Beziehungen zur Zerreißungsfeljltigkeit, insofern beim Spalten eines Kristalles eine Zerreißung des Zusammenhanges eintritt; indessen ist der Zusammenhang keineswegs einfach. Einmal tritt Zerreißung auch bei Kristallen auf, die keine Spur von Spaltbarkeit zeigen, anderer­seits kommen, wie neuere Beobachtungen erwiesen haben, bei der Zer­reißungsfestigkeit Umstände zur Geltung, die bei der Spaltbarkeit nach der ganzen Anordnung der Versuche nicht mitspielen. Wir werden darüber unten spezieller berichten.

Zerreißungsbeobachtungen sind bisher einzig an Präparaten in }i'orm von quadratischen Prismen ausgeführt worden. Der Quotient aus dem die Zerreißung bewirkenden longitudinalen Gesamtzug - durch ein Gewicht r hervorgebracht - und dem Querschnitt Q des Prismas (also r/ Q) galt früher als die Zerreißungsfestigkeit des Kristalles in der Richtung der Prismenachse.

Erste Beobachtungen über diese Festigkeit sind von Sohncke 1) an Steinsalz angestellt worden und lieferten als Ergebnis von wenig übereinstimmenden Einzelmessungen für Prismen achsen mit den Rich­tungskosinus

(1,0, .0), resp. 545

(1/V2, 1/V2, 0), 1085

(I/va, l/VS, l/VS) 1170 Gramm pro cm'.

Im Göttinger Institut später an demselben Mineral durchgeführte Messungen ') ergaben die völlig unerwartete Tatsache, daß die Zer­reißungsfestigkeit eines quadratischen Prismas keineswegs eine Funk­tion allein der Richtung der Prismenachse gegen den Kristall ist,

1) L. Sohncke, Pogg. Ann. Bd. 187, p. 177, 1869. 2) A. SeUa u. W. Voigt, Gött. Nachr. 1892, p. 494; Wied. Ann. Bd. 4:8,

p. 636, 1893.

§ 4136. Zerreißungsfestigkeit. 947

sondern in sehr hohem Maße durch die Orientierung der Seitenflächen bedingt wird, während sie sich bei konstanter Orientierung als eine merklich konstante Größe (unabhängig vom Querschnitt des Prä­parates) erweist.

Die zu den Beobachtungen dienenden Präparate waren nicht streng prismatisch, sondern (um ein Zerreißen innerhalb der Fassungen zu vermeiden) durch Einschleifen einer flachen Vertiefung in die vier Seitenflächen mit Hilfe eines Kreiszylinders nach der Mitte ein wenig dünner gestaltet, im übrigen hochpoliert. Es war dafür gesorgt, daß die Belastung stetig vergrößert wurde und genau axial auf das Prä­parat wirkte. Die Übereinstimmung der auf gleichartige Präparate bezüglichen Resultate war trotz aller Vorsicht nur eine mäßige, wie wohl zu begreifen, da eine jede, auf ein noch so kleines Bereich be­schränkte Inhomogenität (welche auf das elastische Verhalten gar keinen merklichen Einfluß übt) die Festigkeit eines Präparats ent­scheidend beeinflussen kann.

Von den gewonnenen Zahlen gibt der nachstehende Auszug, der die im Mittel auf 1 qcm kommende Zerreißungskraft in Grammen angibt, eine Vorstellung.

1. Stäbe mit der Längs- und einer Querrichtung in einer Haupt­koordinatenebene.

Ist ffJ der Winkel der Längsachse mit einer Hauptachse, so ergab

sich für ffJ = 00 15 ° 300 45 ° r = 571 553 737 1150.

Der zweite Wert ist hierbei wahrscheinlich nur infolge der Un­genauigkeit der Beobachtungen kleiner als der erste.

2. Stäbe mit der Längs- und einer Querrichtung in der Mittel­ebene zwischen zwei Koordinatenebenen.

Ist t/J der Winkel der Längsachse mit der in der Beobachtungs­ebene liegenden Hauptachse, so fand sich

für I/J = 0° 32° 54·p r = 917 1870 2150

90° 1840.

Nach Symmetrie wäre zu erwarten, daß der mittelste, auf die Richtung einer dreizähligen Symmetrieachse bezügliche Wert der größte sein sollte; wahrscheinlich erscheint deI' folgende ihm nur durch die Ungenauigk6it der Beobachtungen ein wenig überlegen.

3. Stäbe mit der Längsrichtung in einer Hauptachse. Bezeichnet X den Winkel der Querdimensionen gegen die beiden

anderen Hauptachsen, so ist

für X = 0° r=571

45° 917.

948 Anhang 1. Erscheinungen der Festigkeit.

4. Stäbe mit der Längsrichtung in der Mittellinie zwischen zwei Hauptachsen.

Bezeichnet Cl) den Winhl der einen Querdimension gegen die Ebene der betr. beiden Hauptachsen, so gilt

für Cl) = 0° 19° 380 45°

r == 1150 1620 1730 1840.

Die letzten beiden Reihen zeigen den überaus großen Einfluß der Orientierung der Seitenflächen des Präparates auf die Festigkeit.

Diese Resultate besitzen .ein besonders großes allgemeines Inter­esse. Sie zeigen zunächst, daß man sich von den Umständen, welche die Zerreißung eines Prismas bedingen, im vorliegenden Fall eine andere Vorstellung maohen muß, als gemeinhin gesohieht. Da die Beobachtungen die Konstanz des Quotienten r/ Q für eine und die­selbe Orientierung des Präparates bestätigt haben, so bleibt anschei­nend zur Deutung jener Resultate kein anderer Ausweg, als die An­nahme, daß jedenfalls bei Steinsalz, wahrsoheinlich aber noch in andern Fällen, die Oberflächenschicht eine geringel'e Festigkeit be­sitzt, als das Innere der Präparate, und daß diese Festigkei t mit der Orientierung der Oberfläohellsohicht variiert. Hat die Spannung und damit die Dilatation einen bestimmten durch deli. Quotienten r/ Q bedingten Wert erreicht, so entsteht zunächst in der Oberflächenschicht ein Sprung, der eine Schwächung des ganzen Prä­parates bedeutet und hierdurch unverweilt zum Zerreißen führt.

Natürlich ist mit dieser Auffassung noch keineswegs ein Weg zur Ableitung von Gesetzmäßigkeiten gegeben, und wenu bei den vielfältig einfacheren Verhältnissen, welche isotrope Körper darbieten, die Auffindung der elementaren Bedingungen für den Zerfall in Teile noch nicht gelungen ist, so kann es nicht wundernehmen, daß auch bei den Kristallen des einfachsten Systems noch vollständige Unklar­heit über die entsprechenden Gesetze herrscht.

Jedenfalls führen die beschriebenen Beobachtungen zu der inter­essanten prinzipiellen Frage, wie sich die Gesetze der Zerreißungs­festigkeit in das von uns aufgestellte und benutzte System der gerich<­teten Größen verschiedener Ordnung eingliedern lassen. Da die Orien­tierung der Seitenflächen des quadratischen Präparates einen wesent­lichen Einfluß auf seine Zerreißllugsfestigkeit hat, so kann letztere offenbar keine vektorielle Eigenschaft eines Kristalles sein; auch ein Tensortripel reicht zu ihrer Darstellung nicht aus, denn da bei einem Präparat von quadratischem Querschnitt die Querdimensionen einander gleichwertig sind, besitzt ein ihm zugeordnetes Tensortripel nach S. 138 notwendig die Symmetrie eines Rotationskörpers, liefert

§ 466. Zerreißungsfestigkeit. 949

also keine Abhängigkeit von der Orientierung der Konstituenten des Tripels normal zur Prismenachse.

Da die diskutierte Erscheinung Dach ihrer Natur zentrisch sym­metrisch ist, erfordert ihre Darstellung somit mindestens eine ge­richtete Größe vierter Ordnung. Legt man die Z'-Achse eines X' Y' Z'­Systems in die Längsachse des betrachteten quadratischen Prismas, die X'- und Y'-Achsen in die Seiten des Querschnittes, so kann man als einfachsten Ansatz (vierter Ordnung) für die betrachtete Festigkeit F schreihen

F = a(x") + f.JI"») + b(s") + C(f.JI'IS'') + (S'I X',) + d(X'ly'S).

Hierin bezeichnen die (x")" . AusdrUcke, die sich transformieren wie x"," und a, b, c, d Parameter. Der Ansatz trägt bereits der Vierzäbligkeit der Z' -Hauptachse des Präparates Rechnung.

Wir wollen, wie früher, ein XYZ-Hauptachsenkreuz des Kristalles einführen und die Orientierung des betrachteten Präparates durch das Schema von S. 590 bestimmen, welches lautet

I x' y' s'

x a1 fJl rl y a. fJs rt s a8 fJs rs

Wir können dann auch die Transformationeformeln von S. 590 benutzen.

Für einen Kristall des regulären Systems muß dabei

(x') = (y') = (s') =)1, (yS Si) = (SIlX~) = (xl'l) = q

sein, wobei p und q neue Parameter bezeichnen. Dann gibt die Ein­führung der Hauptachsen für F bei einer einfachen Reduktion

F= a[p(a1' + .. + fJl' + .. ) + 6q(a.'ass + .. + fJ.'fJs'+· .)] + (b - c) [P(rl' + .. ) + 6q(rs1rs2+ .. )] + c(p + 2q) (2)

+ d[p(a111fJII + .. ) + q(l + 6(a.asfJ.fJs + .. )J. Die Punkte bezeichnen die Glieder, welche aus den hingesetzten durch zyklische Vertauschung der Indizes (1, 2, 3) entstehen.

Da p oder q willkürlich gleich Eins gesetzt werden kann, so enthält dieser Ansatz fünf Parameter. Er entspricht im a.llgemeinen dem Verlauf der Beoba.chtungen, reicht aber nicht aus, um sie quanti­ta ti v darzustellen, was man am einfachsten erkennt, w-enn man die Werte der ersten und der letzten Zahl unter 3 und 4 mit den Forde-

950 Anhang I. Erscheinungen der Festigkeit.

rungen der Formel (2) vergleicht. Die quantitative Darstellung der Messungsresultate erfordert sonach die Heranziehung gerichteter Größen nach höherer Ordnung, wodurch das Problem sich sehr kompliziert.

Steinsalz ist der einzige kristallisierte Körper, über den bisher ausführliche Untersuchungen hinsichtlich der Zerreißungsfestigkeit vor­liegen. Vereinzelte Messungen sind über die gleiche Funktion auch bei Flußspat und Quarz angestellt 1), aber die geringe Übereinstimmung der Resultate, welche nach S. 947 in der Natur des Problems begrlindet ist, ermutigt nicht zu ihrer Fortfdhrung.

Zwei Beobachtungsreihen ') über die Drillungsfestigkeit von qua­dratischen Prismen von Steinsalz, deren Längsachsen übereinstimmend in eine Hauptachse fielen, während die Querdimensionen bei der ersten Reihe in den andern beiden Hauptachsen, bei der zweiten in deren Mittellinien lagen, ergaben auffallenderweise k ein e merklich ver­schiedenen Resultate. Da bei Steinsalz die Beschaffung von Beobach­tungsmaterial keine Schwierigkeit bietet, so wäre eine Fortsetzung der Beobachtungen über Festigkeit bei diesem Mineral gewiß eine lohnende Arbeit. Allerdings kommen bei einer solchen gelegentlich kompli­zierende Umstände zur Geltung, von denen in § 468 zu sprechen sein wird.

§ 467. Hirte. Über die spezielle Art der Festigkeit, welche als Härte (besser als Ritz-Härte) bezeichnet wird, nämlich über den Wider­stand gegen die ritzende Wirkung einer bewegten belasteten Spitze od. dgl, liegt eine ungemein große Anzahl von Untersuchungen vorS); viele der dadurch erhaltenen Resultate wecken auch ein großes Interesse, z. B. durch eine überaus deutliche Veranschaulichung der Verschieden­heit der geometrischen und der physikalischen Symmetrie von Kristall­flächen, über die allgemein S. 104 u. f. gesprochen ist. Theoretisch ist ihnen aber noch kaum beizukommen; fehlt es nach dem Inhalt des vorigen Paragraphen schon an Gesichtspunkten für eine Ableitung der Gesetze für die einfachste Art der Festigkeit, nämlich für die bei Zerreißung prismatischer Präparate zur Geltung kommende, so ist klar, daß für einen Vorgang von der Unübersichtlichkeit, wie ihn das Ritzen darstellt, noch weniger Erfolge erzielt sind.

Bezüglich der Symmetrie der Ritz-Härte läßt sich allgemein nur dieses aussagen, daß sie derjenigen gerichteter Größen höherer als zweiter Ordnung entsprechen miißte. In der Tat hängt die Härte

1) W. Voigt, Wied. Ann. Bd. {S, p. 668, 1898. 2) W. Voigt, Wied. Ann. 1. c. p. 667. 8) S. insbesondere Fr. Exner, Untersuchungen fiber die Hil.rte an Kristall­

flll.chen, Wien 1878; spätere Literatur auch in dem betr. Abschnitt des Winkel­mannschen Handbuches der Physik.

§ 468. Gleitungen. 951

einmal von der Richtung der Normale auf der geritzten Fläche und außerdem von derjenigen Richtung in dieser Fläche ab, längs deren das Ritzen vorgenommen wird, und diese letztere Richtung kommt in einem einseitigen, polaren Vorgang zur Geltung. Die niedrigsten gerichteten Größen, welche zur Darstellung in Betracht kommen, werden somit solche d I' i t tel' Ordn ung sein, aber es ist wahrschein­lich, daß sie nicht ausreichen werden. -

Es ist bekannt, daß Hertz 1) den Versuch gemacht hat, die alte, an prinzipieller Unklarheit leidende Definition der Härte durch eine völlig andere zu ersetzen. Er geht dabei von der Erfahrung aus, daß beim Andrücken einer kleinen Kugelfläche aus hinreichend starrem Material gegen die ebene Begrenzung eines isotropen Körpers in jenem Körper schließlich ein oberflächlicher kreiflrunder Sprung um die ge­drückte Stelle hel' um entsteht, und mißt die Härte durch die Größe des Druckes, bei welchem jener Sprung eintritt. Auerbach') hat aus­gedehnte Messungen nach dieser Methode angestellt.

Immerhin sind schwerwiegende Bedenken gegen die Hertzsehe Härtedefinition zu erheben. Diese Definition beruht wes..entlich auf der Annahme, daß in einem isotropen Körper ganz allgemein ein Sprung bei einem der Substanz individuellen Wert der lineäl'en Dilatation eintritt, und diese Annahme ist keineswegs richtig; Auerbachs Messungen lassen sich in der Tat durch die Hertz­sehen Formeln nicht darstellen. Auch eine mehrfach vertretene zweite Annahme, daß ein bestimmter Wert der Spannung das Zerreißen bedinge, entspricht der Erfahrung nicht. Damit entfällt aber die Möglichkeit, die Hertzsche Härte durch eine allein dem Medium individuelle Zahl auszudrUcken, was die Absicht war und sein mußte. Und selbst wenn die elementare Bedingung des Zerfalles bekannt wäre und die betreffenden Beobachtungen demgemäß auf einen der Substanz individuellen Parameter reduzierbar wären, würde die Methode dem Bedenken unterliegen, daß sie an eine nach theore­tischer Seite unnötig komplizierte Anordnung anknüpft; insbesondere ist eine Theorie der Hertzsehen Beobachtungsmethode bei Kristallen III absehbarer Zeit undurchführbar.

§ 468. Gleitungen. Eine der merkwürdigsten Entdeckungen im ganzen Bereiche der Kristallphysik ist die zuerst von Reusch S) an Kalkspat gemachte, dahin gehend, daß es bei gewissen Kristallen gelingt, durch äußere mechanische Einwirkungen beträcht-

1) H. Hertz, Crelles Journ., Bd. 92, p. 156, 1881. 2) F. Auerbach, Wied. Ann. Bd. !B, p. 61, 1891; Bd. (ö, p. 262, 1892. 3) L. Reusch, Pogg. Ann. Bd. 182, p.441, 1867; Bd. 147, p. 307, 1872.

952 Anhang 1. Erscheinuugen der Festigkeit.

liche Stfieke auf eine andere, der ursprünglichen nach einer Ebene spiegelbildlich entsprechende Konstitution zu bringen.

Die erste Form des Experimentes ist die, daß ein Kalkspat-Rhom­boeder (Fig. 211) parallel der Verbindungslinie zweier gegenüberliegen­

Fig. t11.

der äquatorialen Ecken (also z. B. nahe parallel der Y-Achse) zusammengepreßt wird. Dabei lagern sich die Teile von Schichten s s parallel zu den beiden Äquatorialkanten, die nicht in den ge-

__ "--_Y preßten Ecken zusammenlaufen, derart um, daß ihre Konstitution schließlich derjenigen des Spiegelbildes der ur­sprünglichen in bezug auf di~ Schicht­ebene entspricht. Man nennt diesen Vorgang Gleitung, die Ebene der Schichten die Gleitfläche.

Eine zweite von Baumhauer 1) angegebene Methode besteht darin, daß auf eine Stelle (z. B. die Mitte) einer Polkante mittels einer t transversal aufgesetzten Messerschneide ein normaler

Druck ausgeübt wird. Dann tritt bei den nach dem

~___ Pol hin liegenden Teilen des Rhomboeders Gleitung der erwähnten Art ein, derart, daß allmählich größere Partien die der ursprünglichen spiegelbildlich entspre­chende Konfiguration annehmen, wie dies Figur 212

Fis· tlJ. veranschaulicht. Ähnliche Gleitungen finden sich bei vielen Kristallen (auch bei

Steinsalz) und sind besonders systematisch von Miiggef) untersucht worden. Ihre geometrischen Gesetze sind leicht erkennbar und z. B. von Liebi.'1ch S) bearbeitet. Für eine Aufklärung der physi­kalischen Verhältnisse existieren ".ber nur erst Ansätze. Und doch ,.;----....,..---w---.-------7 liegt hier ein Problem vor, das für

" '. R,,/,'l unsere Erkenntnis des innersten

. ,

. . , , ,

/ \« I!.

," /,/ Aufbaues der Kristalle von fun-" damentaler Bedeutung zu werden

I

" verspricht. Denn mit der äußer--------- lich erkennbaren Umgestaltung der

FiS· 118. V olumenelemente muß nach diesen

Beobachtungen eine Umlagerung der Elementarmassen des Kri­stalls verknüpft sein, die gelegentlich in ganz anderem Sinne und in

1) H. Baumhauer, Zeitschr. f. Kryst. Bd. 8, p.688, 1879. 2) O. Milgge, zahlreiche Abhandlungen im N. Jahrb. für :Hin. seit 1883. 3) n. LiebiBch, GGtt. Nachr. 1887, p.436, N. Jahrb. f. :Hin. Beil. Bd. 6.

p. 106, 1888.

§ 468. Gleitungen. 953

anderen Zahlenverhältnissen vor sich geht, als die erstere. In der Tat: die geometrische Umgestaltung führt bei Kalkspat nach Figur 213 die mit der Hauptachse parallele materielle Gerade fXO der ursprünglichen Konfiguration in die Position {J über, wiihrend die mit {J kon'espon­dierende Gerade {Jo durch die Gleitung nach fX rückt, d. h. der Hauptachse parallel wird. Da wir nun gezwungen sind, die Elemell­tarmassen eines Kristalls nicht als Punkte zu betrachten, sondern ihnen eine der Kristallform entsprechende Symmetrie beizulegen, so­muß bei der beschriebenen Umgestaltung mit diesen Massen eine Veränderung vorgegangen sein, derart, daß bei dem Transport von fXO

nach {J die ausgezeichneten Richtungen der bez. Elementarmassen aus der Hauptachse heraus-, bei dem Transport von {Jo nach (X aber in dieselbe hineintreten.

Diese Veränderung der Elementarmassen kann in einer bloßen Drehung derselben bestehen, dergleichen (allerdings in engsten Grenzen verharrend) die molekulare Theorie der Elastizität im II. Abschnitt des VII. Kapitels annimmt; sie kanu auch von einer innermole­kularen U mlagerung begleitet sein, dergl. a. a. O. ausdrücklich außer Betracht gelassen ist.

Eine Entscheidung der Frage nach dem faktischen Verhalten der Elementarmassen ist noch nicht gegeben, doch erscheint eine bloße Drehung sehr unwahrscheinlich. In der Tat kann z. B. bei Kalkspat eine Drehung um die in. der Gleitfläche liegende X-Achse die Ele­mentarmasse überhaupt nicht in die (bezüglich der Gleitfläche) spiegel­bildlich entsprechende Orientierung bringen; es bedarf hierzu vielmehr noch einer Drehung um die Z-Achse. Eine solche wird aber durch die gemäß S. 952 bei den bez. Experimenten zur Wirksamkeit gebrach­ten Kräfte nach Symmetrie überhaupt nicht hervorgebracht; es müßte demnach bei einer bestimmten Deformation die ursprüngliche Orien­tierung der Elementarmassen labil werden und eine stabile Lage durch eine Drehung um die Hauptachse um 1800 erreicht werden. Es ist wahrscheinlich, daß eine innermolekulare Umlagerung die spiegel­bildlich-symmetrische Anordnung auf eine einfachere Weise hervor­bringen wird.

Was die wenigen vorliegenden Messungen über Gleitung an Kalkspatl) ergeben haben, ist nur dieses. Bezieht man den Kristall auf ein Achsenkreuz X'Y' Z', wobei die X'- mit der X-Achse des Hauptsystems zusammeniällt, so ist die äußerliche, geometrische De­formation durch Gleitung nach der X' y'-Ebene gegeben durch ein Verrückungssystem v' = kz'. Aus den für Kalkspat bestimmten ela­stischen Parametern ergibt sich nun, daß eine solche Deformation bei

1) W. Voigt, Wied. Ann. Bd. 89, p.432, 1890; Bd. 67, p. 201, 1899.

954 Anhang IJ. Beziehungen zwischen Kristallen und quasiisotropen Körpern.

diesem Mineral einen besonders kleinen Widerstand findet, wenn die X' Y' -Ebene in die beobachtete Gleitfläche fällt. Trotzdem ist die Größe ov' jos' - k im Moment des Eintretens der Gleitung noch außerordentlich klein (von der Ordnung 0,003) und gibt bei anderer Orientierung des X' Y' Z' -Kreuzes keinerlei Veranlassung zu singulären Vorgängen.

Anhang H.

Beziehungen zwischen Kristallen und quasiisotropen Körpern.

§ 469. Allgemeine Gesichtspunkte. Es ist bereits in der Ein­leitung (§ 4 u. f.). auf die prinzipiell so wichtige Tatsache hingewiesen ,vorde!l, daß viele gemeinhin als isotrop bezeichnete Körper in Wahrheit "quasiisotrop", d. h. Aggregate von Kristallbrocken sind, und daß demgemäß deren physikalische Konstanten mit denen der beziig­lichen Kristalle in Beziehung stehen müssen.

Diese Beziehungen sind freilich im allgemeinen außerordentlich kompliziert. Sie werden durchsichtig nur in dem schon in der Ein­leitung erwähnten Grenzfall, daß die Kristallbrocken klein sind selbst gegen die Dimensionen der Volumenelemente, die man bei der Ent­wickelung der Theorie eines Vorganges benutzt, dabei aber immer noch groß gegen die Wirkungsweise molekularer Kräfte, und daß sie außerdem den Raum lückenlos erfüllen.

Beide Annahmen sind in der Natur äußerst selten erfüllt. Die faktischen Abweichungen von der ersten sind allerdings dann meist unbedenklich, wenn die Kristallbrocken wenigstens klein gegen die der Beobachtung· unterworfenen Präparate sind, weil dann infolge der großen Zahl in Betracht kommender Volumen elemente die betreffende Erscheinung sich im ganzen merklich ebenso darstellt, als wenn jedes einzelne Volumenelement Kristallbrocken von allen möglichen Orientierungen enthielte.

Die faktischen Abweichungen von der zweiten Annahme sind ungleich wesentlicher; die Lücken, die sich bei den quasiisotropen Körpern häufig zwischen den Kristallbrocken finden, und die mitunter mit fremder Substanz ausgefüllt sind, haben der Regel nach einen be­deutenden Einfluß auf die physikalischen Eigenschaften der Körper. Infolge hiervon besitzen die unter den obigen Annahmen gewonnenen theoretischen Resultate auch meist nur eine beschränkte Anwendbar­keit auf wirkliche quasiisotrope Körper. Die absoluten Zahlwerte der

§ 469. Allgemeine Gesichtspunkte. 955

so aus den Parametern des bez. Kristalls abgeleiteten Parameterwerte sind fdr diese Körper nicht zu benutzen; allenfalls läßt sich bei V or­gängen, die von mehreren Parametern abhängen, erwarten, daß für einen und denselben Körper deren beobachtetes Verhältnis dem aus der Theorie gefolgerten gleich ist.

Setzt I;llan indessen die obigen beiden Annahmen als erfüllt voraus, so kommt die Theorie eines Vorganges in einem quasiisotropen Medium offenbar auf die Bildung eines gewissen Mittel wertes heraus über Vorgänge, die sich in dem bezüglichen homogenen Kristall abspielen, unter Voraussetzung aller möglichen Orientierungen des Kristalls gegen ein festes Achsensystem. Es ist einleuchtend, daß im allgemeinen diese Mittelwertbildung passend nicht mit dem thermodynamischen Potential (oder einer ähnlich gestalteten skalaren Funktion) vorgenommen wird, weil dasselbe in den Unabhängigen von einem höheren Grade ist, als die Funktionen, die der Beobachtung zugänglich sind, und die aus dem Potential durch Differentiationen gewonnen werden.

Als Ausgangspunkt für die Bildung des Mittelwertes werden sich nun von diesen abgeleiteten Funktionen ganz besonders solche empfehlen, die nach ihrer Definition Summen über Werte darstellen, die sich auf die einzelnen Moleküle oder Elementarmassen des Kör­pers beziehen. Bei den meisten oben behandelten Vorgängen ex 1-

stieren derartige Funktionen, die sich auf diese Weise als aus­gezeichnete darstellen.

Wir wollen im nachstehenden die wichtigsten vorkommenden Fälle im Anschluß an die Theorien der bez. Erscheinungen in homo­genen Kristallen, die in Kapitel IV bis VIII entwickelt sind, be­sprechen.

Dazu sei im voraus allgemein noch folgendes bemerkt. In jedem der zu besprechenden Fälle handelt es sich um die Berechnung von Mittelwerten, welche die Parameter kristallphysikalischer Gesetze für irgend ein festes Achsensystem XO yo ZO liefern, wenn man den bez. Kristall auf alle möglichen und zwar gleichmäßig verteilten Weisen gegen jene Achsen orientiert. Diese Orientierungen seien durch die Richtungskosinus "AI ßAI fA der Hauptachsen X, Y,Z des Kristalls gegen das Kreuz der XO, yo, ZO bestimmt, gemäß dem Schema

XO '1/ so.

x "1 ßl fl Y "il ßs f, S "3 ßs fs

und setzen wir in bekannter Weise

956 Anhang n. Beziehungen zwischen Kristallen und quasüsotropen Körpern.

"1 = - cos "" cos f cos & - sin"" sin f, fJ1 ==- - sin "" cos f cos & + cos "" sin f, r1 = + cosfsin&,

0:, ... - cos "" sin f cos & + sin"" cos f, fJl == - sin "" sin f cos & - cos "" cos f, r. = + sin f sin &,

IX8 = cos "" sin &, fJa = sin "" sin &, rs =- cos &.

(2)

Hierin bezeichnet & den Winkel zwischen Z und zo, "" den Winkel zwischen den Ebenen ZX und Zzo, f den Winkel zwischen den Ebenen ZO Xo und Zo Z.

Der Mittelwert I F i einer Funktion F ("', f, ft) für aUe möglichen Orientierungen von X, Y, Z gegen xo, yo, Zo ist dann gegeben durch

n lln 2n

IFI == sln .f.l! Fsin.ftd&dfdt/J. (3) ° 0 0

Dies ist die Grundformel für die weiterhin zu ziehenden quanti­tativen Folgerungen.

§ 470. Mittlere Strömungen. Für die Behandlung einer ersten Gruppe von Vorgängen knüpfen wir an die Formeln für die Strömung U eines imponderabeIn Fluidums unter der Wirkung einer treibenden Kraft V an, die in § 164 in der Form

Ui =- Zu Vi + Zu VI + Zu Va, ... resp.

(4)

(5)

angesetzt waren. Dabei stellten die Zu die Konstanten der Leit­fähigkeit, die khl; diejenigen des Widerstandes dar.

Denkt man sich innerhalb des quasiisotropen Mediums einen beliebigen ebenen Schnitt gelegt, der eine große Zahl beliebig orientierter Kristallbrocken durchsetzt, so ist die Strom dichte U" normal zu dem Schnitt an irgend einer Stelle definiert als die Summe der Strömungen, die alle die einzelnen homogenen Flächenelemente des Schnittes durch­dringen, bezogen auf die Flächeneinheit. Im Gegensatz dazu wird die treibende Kraft V durch den Zustand in einem einzigen Punkte definiert.

Wir schließen daraus, gemäß dem oben allgemein Gesagten, daß eine Theorie der Strömung in einem quasiisotropen Körper nicht an die Gleichungen (5), sondern an (4) wird anknüpfen müssen.

§ 470. Mittlere Strömungen. 951

Von den zwei im VI. Kapitel behandelten eigentlichen Strömungs­problemen betraf das erste·die elektrische, das zweite die WärmestrÖmung.

Bei beiden hatte (in den uns interessierenden Fällen) die treibende Kraft ein Potential, das im ersten Falle durch die elektrische Potential­funktion cp, im zweiten durch die Temperatur .f} dargestellt wurde. Beide Funktionen haben nun die Eigenschaft, durch die Grenz­flächen der KrishIlbrocken, welche den quasiisotropen Körper bilden, stetig hindurchzugehen. Wir werden hieraus schließen dürfen, daß bei hinreichender Kleinheit dieser Brocken das Potentialgefälle in allen denjenigen, welohe ein Volumenelement er­füllen, sehr nahe gleiche Größe besitzt.

Von den Strömungskomponenten gilt gleiches keineswegsjvon diesen sind nämlich nur die zu einer Zwischengrenze normalen, nicht auch die tangentialen in den Grenzen stetig. Denken wir uns z. B., um einen einfachen, leicht übersehbaren Fall zu erhalten, einen quasi­isotropen Körper aus dünnen zylinderiörmigen Kristallbrocken zu­sammengesetzt, deren Achsen parallel liegen, so wird die Strömung längs dieser Achsen von Zylinder zu Zylinder unstetig variieren können, während das longitudinale Potentialgefälle in benachbarten Zylindern merklich gleich sein muß.

Um nun zu quantitativen Beziehungen zu gelangen, betrachten wir ein nach den Koordinatenachsen orientiertes kleines Parallelepiped und schneiden dasselbe durch eine sehr große Anzahl von Schnitten normal zur X-Achse in Lamellen, deren Gesamtfläche mit Q bezeichnet werden möge. Diese Schnitte durchsetzen nach unserer Annahme eine überaus große Zahl kleiner Kristallbrocken von allen möglichen, unregelmäßig verteilten Orientierungen. Der Querschnitt irgend eines (J') dieser Brocken sei mit q, bezeichnet. Dann kann die mittlere Strömung I U1 1 nach der X-Achse innerhalb des betrachteten Volumens geschrieben werden

I U11- -~ ~ CU1)J q, = .~ ~ (111 VI + ln Vj + 118 'Vs),q" (6) j ,

wobei die Summen über alle Querschnitte q, zu erstrecken sind. Für die Ausführung dieser Summen fassen wir nun zunächst alle

,qk zusammen, die sich auf gleich orientierte Kristallbrocken beziehen; als gleich mögen dabei Orientierungen gelten. bei denen die drei Leitfähigkeitsachsen ZI, Zn' 1m innerhalb bestimmt abgegrenzter un­~ndlich feiner Elementarkegel liegen. Es zerfällt hierdurch die Summe in eine Doppelsumme nach dem Schema

I u;, I = ~ {8Zu 8c V;.)k qk + 8Zll 8eVII)kqk + 8Z18 8 (VS)k qk}' (7) I Tc i Tc i k

958 Anha.ng 11. Beziehungen zwischen Kristallen und quasiiaotropen Körpern.

wobei die zweiten Summen sich auf die einer bestimmten Orientierung (i) entsprechenden Feldkomponenten, die ersten auf alle möglichen Orientierungen beziehen.

Es ist nun bei den oben erörterten Stetigkeitsverhältnissen der Potentiale kein Grund einzusehen, warum die Summen S (V;)kqk, ... mit der Orientierung der Kristallbrocken, auf die sie sich beziehen, wechse1n sollten. Wir werden sie demgemäß ausschließlich als Funk­tionen des Ortes betrachten dürfen, an dem sich das Volumenelement befindet, und setzen

S(V;\qk= I Vi i Qu···, i

wobei I Vi I der mittlere Wert der bezüglichen Feldkomponente in dem Element ist, und Qu der Anteil von Q, der von Kristallen der Orientierung (i) bedeckt wird, für alle Orientierungen den gleichen Wert hat.

Hierdurch nimmt (7) die Form an

I Ui I = ~ {I Vi I S Zu Qi + I VJ I S Z11 Qi + I Va I S 113 Q;} , (8) i i I

und analoge Formeln gelten für I UB I und I u,,1 . Dabei stellen die

(9)

die mittlere Wert der Leitiähigkeitskonstanten lu dar, welche nun nach den am Ende des vorigen Paragraphen angegebenen Rege1n be­rechnet werden können. Die Bestimmung der bezüglichen Werte ge­lingt indessen hier ganz ohne Rechnung.

Um dies zu zeigen, wollen wir die in dem Kristall festen Haupt­achsen jetzt in die Achsen der Hauptleitfähigkeiten 1D 1m ZIII legen. Beschränken wir uns auf Kristalle ohne rotatorische Qualitäten, so sind die 1u nach S. 310 Tensorkomponenten, transformieren sich also nach dem Schema

Zu = lI a1t + lnatl+ lIIIaSt, ... ,

1t3 = lz P1 rl + 1u P2 r2 + 1m {J3 rs, ... (9)

Nun ist nach ~:ymmetrie klar, daß die Mittelwerte der Produkte ß"r", r"ah, aAß" verschwinden müssen. Die Mittelwerte der aAl, ßA" r"s hingegen müssen nach Symmetrie einander gleich sein, und da

ist, muß auch a,,2+ ß"I+ r/'= 1

§ 470. Mittlere Strömungen.

sein; d. h., es muß gelten

laA'1 = IßA'I = I r"s I = t· Dies führt dann auf

Ilu I = Iln I = Ilssl = t (Zx + Zn + lm),

Iln I = Ils1 I = Ilul = 0.

959

Unter den gemachten Voraussetzungen ergeben sich für den quasi­isotropen Körper die Strömungsformeln

I U1 I = II V1 I, I UII = II VII, I Us I = II VS I, (10)

wobei die Leitfähigkeit

(11)

sich als das Mittel der drei Hauptleitfä.higkeiten des bezüglichen Kristalls bestimmt.

Schreibt man

I V1 I = k I u;, I, I VI I = k I UII, I Vs I = k I Usl, (12)

so ist dann keineswegs zugleich auch k = i ("kr. + lcrr + km); hat der Kristall keine rotatorischen Qualitäten, so gilt vielmehr nach S. 310 k'll = I/l'll' also wegen k = I/l auch

(13)

Die Leitfä.higkeit des quasiisotropen Körpers berechnet sich also in ganz anderer Weise, als der Widerstand, aus den bezüglichen Kristallparametern.

Um hervortreten zu lassen, daß es sich dabei um recht merkliche Unterschiede handeln kann, seien die bezüglichen Zahlen für die ther­mische Leitfähigkeit von Quarz angegeben. Hier ist (wenn wir, wie im III. Abschnitt des VI. Kapitels, die Bezeichnungen 1'11 statt l'lll "'11 statt k'll' anwenden) gemäß S. 382 nach den Beobachtungen von Tuchschmidt

also

ferner

also

11 = 111 = 0,957, 1m =- 1,576,

1 = 1,163; ,,= 0,860;

"x = "11 = 1,045, "m = 0,635;

Diese Zahl weicht von der für " erhaltenen sehr beträchtlich ab.

960 Anhang n. Beziehungen zwischen Kristallen und qu&siisotropen Körpern.

Beobachtungen über elektrische und thermische Leitfähigkeiten quasiisotroper Körper, bei denen die Parameter der bezüglichen Kristalle bekannt sind, liegen meines 'Wissens noch nicht vor.

§ 471. Mittlere Momente. Von weiteren vektoriellen Funktionen haben die dielektrischen und magnetischen Mome·nte nach S. 196 u. r. die Eigenschaft, durch Summen über die den einzelnen Molekülen oder Elementarmassen individuellen Größen definiert zu werden. Wir werden demgemäß bei Vorgängen, die Momente erregen, die Mittelwertbildung an die für diese Größen gemachten Ansätze beim Kristall an­zuknOpfen haben.

Der denkbar einfachste Fall ist derjenige der Erregung von dielek­trischen oder magnetischen Momenten durch Temperaturänderung. Hier waren nach § 136 und 144 die Komponeten P,. resp. M" der Momente durch bloße Temperaturfunktionen F,. resp. GA definiert. Wegen der' Stelägkeit der Temperatur in Zwischengrenzen darf die­selbe in dem Volumenelement eines quasiisotropen Körpers als ebenso definiert gelten, wie in einem homogenen Körper. Die Bildung des Mittelwertes hat sich somit nur auf die Abhängigkeit der GA und F" von der Orientierung der Kristallbrocken gegen das feste Achsensystem xo, yo, Zo zu beziehen. '

Nun siud aber die G,. und FA Vektorkomponentenj sie trans­formieren sich durch die tX", PM 'Yh selbst, und ihre Mittelwerte I G" I I FA I verschwinden demgemäß. Ein quasüsotroper Körper kann hier­nach weder Pyroelektrizität, noch -magnetismus zeigen - was von vornherein einleuchtet. -

Die Erregung dielektrischer und magnetischer Momente durch Influenz geht den im vorigen Paragraphen behandelten Strömungs­problemen genau parallel. Die Ansätze

Pt = 'Y/11 E1 + 'Y/uEs + 'Y/18 Eu .•. , (14)

aus § 211 und 237 enthalten rechts in den praktisch interessierenden Fällen die Gefälle des elektrischen oder desmagneti.'ichen Potentiales, und an diese sind dieselben Betrachtungen anzuknl1pfen, wie im vorigen Paragraphen.

Es folgt hieraus, daß bei Erfüllung der in § 468 erörterten An­nahmen die Elektrisierungs- und Magnetisierungszahlen 'Y/ und " des quasiisotropen Körpers durch diejenigen des ihn bildenden Kristalls ausdrückbar sind gemäß den Formeln

'Y/ = ·H'Y/I + fJn + 'Y/nJ, ,,= t (XI + "n + :lern), (16)

§ 471. Mittlere Momente. 961

Gleiches gilt bezüglich der dielektrischen und der magnetischen Per­meabilitäten E und l" wegen der für diese gültigen Beziehungen von S. 437 u. 479.

Die Erscheinungen der dielektrischen und der magnetischen In­fluenz haben die Eigenschaft, daß eine A.bweichung des quasiisotropen Körpers von der zweiten Annahme in § 469, d. h. von derjenigen lückenloser Raum erfüllung, bei ihnen (ferromagnetische Körper aus­genommen) viel geringere Störungen bewirkt, als dies z. B. bei den Vorgängen der elektrischen und der Wärmeströmung stattfindet. Dies ist dadurch bedingt, daß für die magnetische und dielektrische In­duktion der leere oder der Luftraum verhältnismäßig viel permeabler ist, als für die Elektrizitäts- und Wärmeströmung. Man darf hier also eine relativ große Übereinstimmung zwischen dem theoretischen Wert der Parameter für den quasiisotropen Körper und der Erfahrung erwarten.

Diese Übereinstimmung wird noch begünstigt, wenn die Lücken zwischen den Kristallbrocken nicht leer, sondern. von einem der Kristall­substanz in Hinsicht der betreffenden Erscheinung nahestehenden Med'ium erfüllt ist. Einen solchen Fall hat Schmidt 1) bei Ausdehnung der § 231 beschriebenen Methode zur Bestimmung von Dielektrizitäts­konstanten auf Kristallpulver untersucht und dabei die Beziehung E = HEl + EIl + Em ) bestätigt gefunden. -

Auch in dem Falle der piezoelektrischen und piezomagne­tischen Erregung sind die Momente die für den Übergang zu quasi­isotropen Körpern geeigneten Funktionen. Sie sind durch die An­sätze von § 409 u. 461 als lineäre Funktionen der Deformationsgrößen bestimmt, über die -nun ähnliche Überlegungen anzustellen sind, wie über die Potentialgefälle in § 470.

In der Tat liegen die Verhältnisse auch völlig analog. Die De­formationsgrößen x"" ... XII drücken sich durch die Gefälle von Funk­tionen (nämlich den Verrückungskomponenten u, Vi w) aus, die sämt­lich stetig durch die Grenzen zwischen den verschiedenen Kristallbrocken gehen, vorausgesetzt freilich, daß diese Brocken fest aneinander haften. Es sind demgemäß die Mittelwertbildungen an die A.nsätze 20 resp. 346 von S. 818 und 939 zu knüpfen. Da aber die piezo. elektrischen und piezomagnetischen Konstanten ejh resp. nu sich mit Hilfe der Produkte dritten Grades aus den aAl ßh' f" transformieren, so ergibt sich für ihre Mittelwerte N ullj quasiisotrope Körper der vorausgesetzten Art können sonach weder piezoelektrisch, noch ma­gnetisch erregt werden.

1) W. Schmidt, Ann. d. PhYB., Bd. lt, p. 114, 1903.

v 0 i 9 t, KristallphJUk. 61

962 Anhang H. Beziehungen zwischen Kristallen und quasiisotropen Körpern.

§ 472. Mittlere Dmckkomponenten. Die Definition der Druck­komponenten X"" •.• X, im Innern eines Körpers auf S. 160 und 602 iührt dieselben auf die Summe der molekularen Wirkungen aller Massen diesseits eines Flächenelementes auf die Massen jenseits des­selben zurück. Nach den in § 469 auseinandergesetztenPrinzipien wird somit der Übergang von den elastischen Grundformein für einen Kristall zu denjenigen für den entsprechenden quasiisotropen Körper mit Hilfe des Systems (20) auf S. 568 zu geschehen haben, welches lautet

(16)

Die Cu stellen dabei die (isothermischen) Elastizitätskonstanten des Kristalls dar.

Über das Verhalten der Argumente x"',. . x, ist bereits am Ende des vorigen Paragraphen gesprochen worden; man kann also in An­knüpfung an das dort Gesagte die Grundformein der Elastizität für den quasiisotropen Körper in der Gestalt ansetzen

- I X., I = I Cu I ·1 x., I + IliJ I· I x, I + ... I cul·1 Xv I , (17)

Die Berechnung der Mittelwerte 1 Cu I der Elastizitätskonstanten cu: hat dabei nach dem Schema (3) auf S. 956 l~nter Heranziebung der allgemeinen Transformationseige.nschaften der Cu aus § 291 zu ge· schehen. l ) Dabei kann man sich die Berechnung dadurch erleichtern, daß der quasiisotrope Körper diejenige elastische Symmetrie haben muß, die in dem Parameterschema auf S. 587 Ausdruck gewinnt, daß also das Resultat der Rechnung die Form

-I XX 1 =cl Xxi +cIIY, I +cllz.l, -I Y./ =c, I y, I = {-(c-c1) IY.I, (18) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . haben muß. Die Berechnung ist demgemäß nur für zwei I Cu I aus­zuführen - höchstens für drei, wenn man Wert darauf legt, die Beziehung Cs = Hc - Cl) zu begründen. Man kann so etwa I Cu I ' I ~s I und I Cu I berechnen, für welche die Transformationsformeln nach § 289 und 291 sogleich angebbar sind.

Führt man die Abkürzungen

Cu + ~, + Css = 3A, c's + C,1 + C12 = 3B, CU + ~5 + C66 == 3C (19)

ein, so ergibt die Rechnung' das Resultat

1) W. Voigt, G6tt. Abh. tfl87, p. 48; Wied.Ann. Bd. 88, p. 673, 1889.

§ 472. Mittlel'e Druckkomponenten. ~63

c = ~ (3A + 2B + 40), Cl = i (A + 4B - 20),

cs =i(A-B+30), (20)

welches in dt'r Tat der Beziehung CI = t (c - Cl) entspricht. Diese Formeln gestatten also im Prinzip die Berechnung der

Elastizitätskonstanten eines quasiisotropen Körpers, der den gemachten Voraussetzungen entspricht, aus den Hauptkonstanten Chk des bez. Kristalls. Von Interesse ist dabei die Rolle, welche auch bei dem quasi isotropen Körper die Frage spielt, ob die Molekularkräfte nur Funktionen der Entfernung sind, oder aber mit der Richtung variieren. Im ersten Fane gelten nach § 299 die Beziehungen

(21)

hier gilt also B = C und infolge davon C = 3 cl> - jene von Poisson aus der molekularen Theorie geschlossene Beziehung zwischen den beiden Elastizitätskonstanten eines isotropen Körpers, welche sich im Widerspruch mit vielfältigen Erfahrungen befindet und daher der Gegenstand vieler Diskussionen gewesen ist. Diese Beziehung ergibt sich aus der molekularen Theorie auch dann, wenn man die mole­kularen Kräfte von der Richtung abhängig annimmt, falls nur die Elementarmassen völlig regellos gegeneinander orientiert sind, und die Erklärung der beobachteten Abweichungen stellte ein wichtiges Problem der molekularen EJastizitätstheorie dar.

Faßt man (in Übereinstimmung mit der Anschauung) die meisten für isotrop geltenden Körper als nur quasiisotrop, d. h. ;v';"l!j Kristall­brocken bestehend auf, so verschwindet, nachdem die Bestimmullg. der Elastizitätskonstantell für eine beträchtliche Reihe von Körpern die Nichtgültigkeit der Beziehungen (21), also das Wirken gerichteter Molekularkräfte erwiesen hat, jede Schwierigkeit. Mit dem Bestehen der Beziehungen (21) hört nämlich nach (19) und (20) zugleich die Poissonsche Beziehung C = 3cI zu gelten auf.

Das ist jene eigenartige Aufklärung, welche im Gebiete der Elastizitätstheorie das Verhalten der Kristalle über das Verhalten der isotropen Körper liefert, und auf die schon S. 8 aufmerksam gemacht worden ist. Daß übrigens unter Umständen auch Körper, die nach ihrer Konstitution nicht als quasiisotrop gelten können, Abweichnngen von der Foisson sehen Relation zeigen, und daß dieses Verhalten sich molekulartheoretisch durch die Annahme von Verrückungell erklären läßt, die sich den S. 605 gemachten und für einen ideal festen Körper charakteristischen V ol'aussetzungen nicht fügen, sei beiläufig erwähnt.I )

1) W. Voigt, Ann. d. Phys. Bd. 4, p. 187, 1901. 61*

964 Anhang H. Beziehungen 7.wischen Kristallen und quasiisotropen Körpern.

Bezüglich quantitativer Bestätigungen der Relationen (19) und (20) zwischen den Elastizitätskonstanten eines Kristalls und denjenigen des entsprechenden quasiisotropen Körpers liegen praktische Schwierig­keiten vor, darauf beruhend, daß die Voraussetzungen, auf welchen jene Relationen ruhen, bei solchen quasiisotropen Körpern, wo auch der homogene Kristall der Beoba'?htung zugänglich ist, äußerst selten erfüllt sind. Es handelt sich dabei um die Voraussetzung der lücken­losen Aneinanderschließung und des festen Zusammen­hanges der Kristallbrocken, welche den quasiisotropen Körper bilden. Diese Voraussetzungen sind vielleicht bei Metallen sehr voll­ständig erfüllt; aber hier sind die bezüglichen homogenen Kristalle nicht verfügbar. Die dichten Gesteine aus den beobachteten Kristallen (wie z. B. aus Kalkspat, Flußspat, Schwerspat) enthalten häufig die Kristalle durch ein fremdes Medium lose zusammengekittet und ergeben demgemäß elastische Widersprüche oder Konstanten, die beträchtlich kleiner sind, als diejenigen des homogenen Kristalls. Für den Quotienten ele1 ist trotzdem in einigen Fällen eine leidliche Über­einstimmung mit dem Resultat (19) und (20) gefunden worden.1)

Während bei den meisten untersuchten quasiisotropen Körpern das gefundene Verhältnis e/e1 der beiden Elastizitätskonstanten nicht gar weit von dem Poissonschen Wert 3 abweicht, liefern die Formeln (19) und (20) in Verbindung mit den beobachteten Hauptkonstanten eu für kristallisierten Quarz aus § 377 e/e1 nahe an 14. Beobachtungen an Feuerstein llnd Opal haben nun Werte e/e1 geliefert, welche diesem ganz abnr:.~en sehr nahe liegen, nämlich etwa 12 und 16. Freilich steht, nicht fest, ob man auf die Kristallbrocken, welche die letzteren dichten Minerale bilden, die Parameterwerte von Quarz anwenden darf; es ist nicht unwahrscheinlich, daß es sich hier um eine andere Mo­difikation kristallisierter Kieselsäme handelt. In jedem Falle erscheint aber die angenäherte Übereinstimmung des beobachteten mit dem be­rechneten Wert von e/e1 bedeutungsvoll.

1) W. Voigt, Wied. Ann. Bd. 38, p. 573, 1889; P. Drude und W. Voigt, ib Bel. 42, I'. 537, 1891; W. Voigt, ibo Bd. U, p. 168, 1891.

..

Anhang IH.

Über sekundäre Wirkungen bei piezoelektrischen Vorgängen, insbesondere im Falle der Drillung

und Biegung eines Kreiszylinders. Von W. Voigt.1)

1. Bei verschiedenen Gelegenheiten I) habe ich betont, daß die Dar­stellung, die ich einigen Problemen der piezoelektrischen Erregung und Deformation gegeben habe, nur eine erste Annäherung darstellt, die allerdings nach möglichen Abschätzungen der erreichbaren Genauigkeit der Messungen bereits entsprechen dürfte. In der Tat: die mechanische Einwirkung auf einen azentrischen Kristall erregt nicht nur direkt ein elektrisches Moment, sondern auch indirekt, insofern in dem erregten Kristall sekundäre piezoelektrische Spannungen auftreten, und diese einen weiteren Anteil zum Moment bewirken. Ähnlich wird ein Kristall, der in ein elektrisches Feld gebracht wird, nicht nur primär durch dieses deformiert; die Deformation wird vielmehr von der Erregung eines piezo­elektrischen Momentes begleitet, und die damit gegebene elektrische Verteilung liefert ein sekundäres Feld, das sich mit dem ursprünglichen verbindet. Dabei ist je nicht nur für das primäre, sondern auch für das sekundäre Feld die dielektrische Influenz in Rechnung zu setzen.

Die Verhältnisse sind also ganz analog denen, die bei den eigent­lichen Problemen der magnetischen und der dielektrischen Influenz von Kristallen vorliegen, und es hat unzweifelhaft ein theoretischf>s und prak­tisches Interesse, die geschilderten Vorgänge einer strengen Analyse zu unterwerfen. Eine solche Analyse ist nun aber gerade in den wichtigsten früher beobachteten Fällen - denjenigen paral1elepipedischer Präparate, von denen ein Flächenpaar leitende Belegungen trägt - kaum durch­führbar wegen der komplizierten Natur der sekundären Spannungen und Felder. Sie bietet dagegen keinerlei Schwierigkeiten in dem kürzlich von mir neu bearbeiteten FalleS) der Drillung und Biegung eines Kreis­zylinders. Ich werde sie demgemäß im folgenden entwickeln.

Bezeichnen Pli Ps, Ps die Komponenten des dielektrischen Momen-tes, ~l' ~2' ~s diejenigen des elektrischen Feldes für ein beliebig gegen

1) Aus Ann. d. Phys.48, 433, 1916. 2) V gl. insbes. W. Voigt, Lehrbuch der Kristallphysik, p. 916. Leipzig 1910. 3) W. Voigt, Gött. Nachr. 1916, p. 119; Ann. d. Phys. 48. p. 145. 1915.

Zitate von Formeln aus dieser früheren Arbeit werden weiterhin durch ein bei gesetztes I von Zitaten a.us der vorliegenden Arbeit unterschieden werden.

SS6 Anhang III. tJber sekundäre Wirkungen bei piezoelektrischen Vorgll.ngen,

den Kristall orientiertes Koordinatensystem, und sind x." ... x, die Da­formationsgrößen, auf dasselbe System bezogen, so lauten die allgemeinen Ansätze für die piezoelektrische Erregung:

P1 = e:1 x., + ... +.e;6 Xy + 1i:t ~1 + "l:z ~9 + 1J:s ~3' I Ps == e~1x., + ... + e~6x!l + "l~1~1 + "l;!~9 + 1J;s~s, Ps == 1a1 X., + ... + e~6Xg + 1J~1~1 + "l~1~2 + "l;3~S'

(1)

Dabei sind die e~k die piezoelektrischen Konstanten, die "l~k die allgemeinen Elektrisierungszahlen für den Kristall, und es gilt "l~/. = 1J;,k' Der obere Index' soll andeuten, daß sie beide auf das beliebig orientierte Koordi­natenkreuz bezogen sind, während die Symbole "lu und eu für das durch Symmetrieeigenschaften ausgezeichnete Hauptaehsensystem vorbehalten werden sollen. Die erregten dielektrischen Momente zerfallen nach den Formeln in einen auf der Deformation und einen auf der Influenzwirkung des Feldes beruhenden Anteil.

Die allgemeinen Spannungs- oder Druckkomponenten $." .. , $11 in dem Kristall sind gegeben durch

$., = - (e:1 x., + ' .. + C;6X,) + e:1 ~1 + e~1 ~2 + e~1 ~s usf. (2)

Hierin stellen die C~k die auf das willkürliche Koordinatensystem bezüg­lichen Elastisitätskonstanten des Kristalles dar. Die Spannungen zerfallen hiernach gleichfalls in einen elastischen und einen piezoelektrischen Anteil.

Löst man die Formeln (2) nach den Deformationsgrößen auf, so gelangt man zu

x., = - (S~l$., + ... + S:6$,) + d;l ~1 + a;l ~2 + d;l ~3 usf., (3)

wobei die S~k die elastischen, die d~k die piezoelektrischen Moduln des Kristalles sind. Wir notieren uns, daß gilt

(4)

Mit Hilfe der Formeln (3) kann man nun auch, was für unsere Zwecke bequem ist, in dem System (1) die Deformationsgrößen durch die Spannungskomponenten ersetzen und erhält damit

P1 = - (d;t$., + ... + d;6$,) + f:l~l + f;I~1 + f:S~3 nsf., (5)

wobei gesetzt ist ~'e~hd;h + 'Yl;j = f;~. (6)

" Um das ganze Rüstzeug für die Lösung unserer Aufgabe zn erhalten, hat man mit diesen speziellen Beziehungen der Piezoelektrizität noch die allgemeinen Gleichungen der Elektrostatik und der Elastizitätslehre zu kombinieren. In den letzteren treten jetzt die $." . , . $11 vollständig an Stelle der speziellen in der Elastizitätstheorie maßgebenden (rein ela­stischen) Spannungen X." ' , , XII'

insbesondere im Palte der Ddltung und Biegung eines Kreiszylinders. 967

2. Für die Potentialfunktion des längs seiner Achse Z homogen dielektrisch erregten Zylinders behalten wir den Ausdruck I (1) der vorigen Arbeit bei und schreiben ihn nach I (2)

e J' eJ" . rp = iJ""X + ay-, bel l

(7) J' = JPtin (rS)dqo' J" =Jp, In (r!)dqo·

r ist dabei die Entfernung des Flächenelementes dqo der X Y-Ebene an der Stelle xo' Yo bzw. Po, Xo von dem Aufpunkt an der Stelle x, y bzw. p, Xi Pt und Ps bezeichnen die dielektrischen Momente nach den transversalen Achsen X und Y. Der Wert rp ist jetzt für einen Punkt innerhalb des Zylinders zu berechnen (rp.).

Die piezoelektrischen Momente Pt und Ps nach X und Y stellen wir gemäß I (5) dar durch

Pt = A~ + ~(A:, cos nXo + B~ sin nXo), Ps = A~ + ... , (8)

wobei die A und B Funktionen von Po sind, und die Summen über 1 < n < 00 erstreckt werden.

Wenden wir für In (rS) die Reihen I (4) an, so ist, um die Inte­grale J' und J" für einen inneren Punkt auszuführen, die Integration über Po in zwei Teile 0 < Po < P und p < Po < R zu zerlegen. Der erstere Teil von J' und J" stimmt je mit dem in der früheren Arbeit allein benutzten mit Hilfe von I (41) berechneten Ausdruck übereini nur ist jetzt die obere Grenze der Integration P statt früher R, also auch zu setzen

p p

J f' n+ld - A' JB' n+ld - B' t:lnPo Po - "' "Po Po - n'· . (9) o 0

Der zweite Teil ist mit Hilfe der Reihe I (4S) für In (rl ) zu berechnen, welche p <Po voraussetzt. Kürzt man ab

R

J A~po In (P~)dpo = 5ll~, ... P

R R

f:A.~dPo =- ~' f:B~dPo =~' ... p:-1 n' p~-l n'

p p

so erhält man schließlich für innere Punkte gültig

J: =- 2,,; {A~ In (pt) - ~ h~h(A~ cos hlx + B~ sin hix) l + ~~ -~ r (~~ C08 hX + ~~ sin hX) },

(10)

(11)

dazu analog J;'. Hierin sind aber jetzt alle A, B, 5ll, ~ Funktionen von p.

968 Anha.ng III. "Ober sekundäre Wirkungen bei piezoelektrischen Vorgängen,

Für A: = a~p~, B~ = b:p~, ... wird speziell , a~pl(n+l) , b~p2("+l)

An = 2(n + 1)' 8" = 2(n + 1) , ...

2(~ =}ao [RS (ln (Rs) -1) - pS (In (p2) -1)],

2(: = .~ a: (R' - pS), !B~ = {b: (R' - pi), ... Hieraus folgt. bis auf eine irrelevante additive Konstante

.r. =n{aopll_~p"(~! - h~l) (a~ coshX + b" sinhx)}

und analog dazu J;'.

(12)

(13)

(14)

Setzt man dies in die Formel (71) für q; ein, so resultiert schließlich für das innere Potential allgemein

fPi = n {2p (a~ cos X + a~sin X)

- ~ (RlIp"-l_ pA+!) [(a~ + b~) cos (h -1)Xl

+ (b~ - a;;) sin (h - 1)1,]

+ ~ :;~ [a~ - b:) cos (h + 1)1, + (b~ + a~) sin(h + 1X]}.

(15)

In dem speziellen, uns besonders interessierenden Fall, daß P1 und P, lineäre Funktionen der Querkoordinaten sind, verschwinden alle a" und bIo mit Ausnahme von lt = 1, und der vorstehende Ausdruck redu­ziert sich, falls man unter Fortlassung des unteren Indizes 1 an den a und b schreibt:

P1 = a' x + b' Y = p(a' cos X + ö sin X), } Ps = a" x + b" Y = P (a" cos X + b" Bin X), (16)

auf fP, = n( - (R' - p')(a' + b") }

+ {p'[(a' - b") cos 2X + (a" + b') sin 2X]}. (17) Für die Feldkomponenten ~1 und ~2 im Innern des Zylinders folgt hieraus

-~1=nlx(3a'+b") +y(a"+b')}, I - ~lI = n(y (a' + 3b") + x(il' + b')). f (18)

Diese Resultate gelten für den "freien" Zylinder. Ist der Zylinder, wie bei absoluten Bestimmungen von Parameterwerten angezeigt, mit leitenden Belegungen der Mantelßäche versehen, die auf dem Potential Null erhalten werden, so kommt zu dem Potential der direkten piezo­elektrischen Erregung der Zylindersubstanz noch dasjenige der in den Belegungen influenzierten Ladung. Die Dichte "'0 dieser Ladung ist nach I (16) gegeben durch '

6 0 = iR[(a' - b") cos 2X + (a" + b') sin 2X], (19)

insbesondere im Falle der Drillung und Biegung eines Kreiszylinders. 969

ihr Potential 'P~ auf einen Punkt im Innern des Zylinders berechnet sich zu

cp; = - ~np2[((t' - b") cos 2X + (a" + b') sin 2X]. (20) Das Gesamtpotential von Zylinder und Belegung wird somit sehr

einfach zu 'Pi + 'P; = - n(R' - p')(a' + b") (21)

und liefert die Komponenten

- ~l = 2nx(a' + b"), - ~I = 2ny(a' + b'')i (22) das bezügliche Feld hat also rotatorische Symmetrie.

3. Wie schon am Ende von § 1 bemerkt, haben die Spannungen und Deformationen den allgemeinen elastischen Gleichungen zu genügen, die hier nicht reproduziert werden sollen. Es genüge, daran zu erinnern, daß bei dem rein elastischen Problem der Drillung und Biegung eines Kreiszylinders von beliebiger Orientierung gegen den Kristall alle Be­dingungen durch die Annahme von in den Querkoordinaten lineären und in der Längskoordinate konstanten Ausdrücken für Spannungen und Deformationen erfüllt werden. l ) Da nun Deformationen von einem solchen Gesetz primÜh' elektrische Momente von gleicher Natur bewirken, und da nach § 2 derartige Momente in dem Kreiszylinder (sei er nun frei oder mit Belegungen versehen) auch Feldkomponenten hervorrufen, die in den Querkoordinaten lineäl' und von der Längskoordinate unabhängig sind, so kann man versuchen, auch das Problem der Drillung und Bie­gung bei Berücksichtigung der piezoelektrischen Vorgänge durch nur in x und y lineäre Ansätze zu lösen.

Im Falle der Drillung durch ein Moment N genügen wir den ela­stischen Bedingungen durch die Werte

/$ = H =,Z = /$ = 0 H = - 2Nx z. = :NR!, (23) ., " • " ,. :n: R4 , - ,.'

wobei R den Radius des Zylinders bezeichnet. Trägt man diese Werte und dazu die durch (16) und (18) gegebenen in (5) ein und setzt die Faktoren von x bzw. von y auf beiden Seiten einander gleich, so gelangt man zu den Formeln

a' + nf;1(3a' + b") + nfl~(a" + b')

(24)

1) V gl. z. B. meine "Kristallphysik" , p. 617 ff.

970 Anhang JII. Ober sekundäre Wirkungen bei piezoelektrischen Vorgängen,

Aus ihnen sind die Werte a', b', a", b" zu berechnen, die, in (16) ein­gesetzt, die Lösung des piezoelektrischen Problems liefern.

Die Formeln (24) gelten für den freien Zylinder, wie er z. B. von Hrn. Röntgen der Beobachtung unterzogen worden ist. Für den mit leitenden und auf dem Potential Null erhaltenen Belegungen versehenen Zylinder, wie ihn gemäß der früheren Arbeit Dr. Freederickse nach meiner Anleitung beobachtet hat, sind an Stelle der Ausdrücke (18) die­jenigen (22) für die Feldkomponenten in (5) einzusetzen. Man gelangt so zu den Beziehungen

b' +2 f'( '+b,,,=_2Nd;6 :n: 12 a ) n B' , (25)

aN + 2:n:f;1 (a' + b") =

b" + 2:n:f;2(a' + b") = _ 2:::6 ••

Hier ist die definitive Berechnung der a', b', a", b" sehr einfach, da aus der ersten und letzten Formel sogleich die Beziehung folgt

(26)

Die so zu gewinnenden Ausdrücke für a', b', a", b" zeigen, daß (auf den ersten Blick überraschend) auch der ringsum mit auf dem Potential Null erhaltenen Belegungen bedeckte Kreiszylinder bei der Drillung im allgemeinen sekundäre Wirkungen aufweist. Das hierzu nach (5) er­forderliche innere elektrische Feld (i entsteht dadurch, daß die in den Belegungen influenzierte Ladung die Wirkung der piezoelektrischen Mo­mente zwar für Punkte des Außenraumes kompensiert, nicht aber für solche im Innern. Dies erkennt man leicht, wenn man die mit den Mo­menten Pt und Ps äquivalente räumliche und Oberflächenladung be­trachtet. Fitr die bezüglichen Dichten ~ und ($ gilt nämlich wegen (16)

- ~ == O~Pl + oPt = a' + b" 1 ox oy . + (1 == P1Xt P,y = tR[(a' + b") (27)

+ (a' - b") COB 2X + (a" + b') sin 2X].

Der durch die beiden variablen Terme bestimmte Anteil von 6 wird sowohl für innere als für äußere Punkte durch die in den Belegungen influenzierle und durch (19) gegebene Dichte 60 kompensiert. Der kon­stante Anteil von (1 wird aber durch ~ nur für äußere, nicht aber für innere Punkte neutralisiert; daß gerade seine Wirkung in den AUB-

insbesondere im Falle der Drillung und Biegung eines Kreiszylinders. 971

drücken (25) zur Geltung kommt, wird durch das hier wie dort auf­tretende Parameteraggregat (a' + b") signalisiert.

Im übrigen mag an die Systeme (24) und (26) noch die folgende allgemeine Bemerkung angeschlossen werden. Die sekundären Wirkungen bei der piezoelektrischen Erregung werden durch die Parameter (6)

1: , ~'d' , ,j =.:;;. e'h jh + 'YJ,j

h (28)

gemessen, die nebeneinander die piezoelektrischeu Parameter lmd die Elektrisierungszahlen enthalten. Dies gibt Veranlassung zu einer Ab­schätzung der Einflüsse der eigentlichen sekundären Piezoeffekte einer­und des Influenzvorganges andererseits.

Die piezoelektrischen Moduln d~k scheinen nach der Erfahrung 1) im allgemeinen mäßige Vielfache von 10- 8, die Konstanten e;'k eben­solche von lOH zu sein; die Summen in den r,~ werden also die Ord­nung 10- 3 in der Regel nicht übersteigen. Viel größer sind die Elek­trisierungszahlen 'YJ~j' die mit den allgemeinen Dielektrizitätskonstanten 8;j durch die Beziehungen

'YJ;j = (E;j -1)/4n, 'YJ;j = <)4n (29)

verbunden sind. Die 'YJ'jj insbesondere halten sich im allgemeinen in der Nähe von 1;3_ Demgemäß ist es auch nicht zulässig, die Formeln (24) - wie es offenbar nahe liegt - durch Annäherung aufzulösen.

Man möchte nach diesen Überlegungen auf einen ganz überwie­genden Einfluß der Influenz- über die sekundären Piezoeffekte und auf enorme Größe der ersteren schließen. Ein solcher Schluß würde aber irrig sein. Der Beobachtung ist nicht direkt das elektrische Moment P zu­gänglich, sondern das darauf beruhende elektrische Feld ~a im Außen­raume. Es läßt sich zeigen, daß die auf der Influenz beruhenden Anteile am Feld unmerklich klein sein können, trotz beträchtlicher Größe des entsprechenden Anteiles am Moment.

4. Um diese Verhältnisse übersichtlich darzustellen, wollen wir den Fall eines armierten Zylinders, der für quantitative Bestimmungen allein in Betracht kommt, noch etwas verfolgen, also an die einfacheren Formeln (25) und (26) anknüpfen. Kürzen wir ab

2n(d;, - d~5)/(1 + 2nif:1 + r;2) = F, (30) so liefern uns diese Formeln zusammen mit (16)

PI = ::. [(d~4 - Fr:1)x - (d;5 + Fr;s)y], I (31)

V gl. dazu die Zusammenstellung in meiner IIKristallphysik". p. 868 ff.

972 Anhang III. Ober sekundäre Wirkungen bei piezoelektrischen Vorgängen,.

Dabei messen die in F multiplizierten Glieder die sekundären Effekte. Man erkennt einerseits, daß alle Kristalltypen und Orientierungen

des Kreiszylinders, für welche d;, - d~5 = 0 wird, sekundäre Effekte überhaupt nicht zulassen, da für solche eben F verschwindet. Man sieht aber auch andererseits leicht, daß von den in r;1 und 1;2 multiplizierten Tenpen der absolute Wert für die beobachtbaren Erscheinungen keine Rolle spielt, diese letzteren vielmehr nur von der Differenz r;l - r;2 ab­hängen. Jene Terme geben nämlich zu P1 und PI Anteile, die man schreiben kann:

~ = - ~~:((r;l + r;2) + (r.'l - r;,)),

Pg = - ~~; «f;. + r;,) - ~'l - r;2»)' Die in r;l + r;2 multiplizierten Glieder stellen aber radiale Momente von rings um die Zylinderachse konstanter Größe dar, und solche können auf äußere Punkte keine Wirkung üben. Demgemäß wird die gesamte sekundäre Wirkung auf äußere Punkte allein bedingt durch die Glieder

p~ = - :: [(r;. - r;,)x + 2r;~YJ, 1 p; = - :: [2t~lx - (r;. - r;,)y]·

(32)

Nach der Bedeutung (28) der (;j treten also die Elektrisierungszahlen 'YJ~j in P;' und P;' nur in den Verbindungen

'YJ~1 - 'YJ~, und 'YJ~2 = 'YJ~1 auf, die von der Größenordnung der Unterschiede zwischen den Haupt. elektrisierungszahlen 'YJ11 'YJI' 'YJs sind. Damit ist e~'wiesen, daß allgemein die an einem gedrillten Kreiszylinder beobachtbaren sekundären Influenz­wirkungen nicht von den absoluten Werten der Elektrisierungszahlen abhängen. Beiläufig sei noch daran erinnert, daß in den Fällen, wo die Querachsen X und Y in Symmetrieachsen der dielektrischen Influenz liegen, 'YJ~2 = 'YJ~1 verschwindet und 'YJ~11 'YJ;2 zu Hauptelektrisierungszahlen werden. Sind die letzteren untereinander gleich - wie dies bei regulären Kristallen für jede Orientierung des Zylinders gilt -, so fallen die auf Influenz beruhenden sekundären Wirkungen völlig aus.

Welche Anteile die sekundären Momente (32) übrigens zu beobacht­baren Wirkungen des gedrillten Kreiszylinders beitragen, ist ohne neue Rechnung angebbar, da diese Anteile die Form

Pt = a'x + b'y, P~' = a"x + b"y

besitzen, von der die ganze Entwicklung der vorigen Arbeit ausgeht. Man braucht z. B. nur die Werte a', b', a", b", welche die Formeln (32)

insbesondere im Falle der Drillung und Bit'gllng eines Kreiszylinders. 973

liefern, in I (16) einzusetzen, um die Beträge der Ladungen zu berech­nen, die sekundär in den Belegungen des Zylinders entstehen.

Um ganz direkte Beziehungen zu beobachteten Verhältnissen zu gewinnen, seien noch die Parameterwerte für den Fall jener dreier Zy­linder von Bergkristall zusammengestellt, die mit ihren Achsen bzw. in die kristallographische Hauptachse, oder eine NebenlIochse, oder in die zu beiden normale Richtung fallen, und auf die sich die vorige Arbeit bezieht.

Im ersten Falle lauten die Systeme der piezoelektrischen Konstanten und Moduln e;'k und .d~k in den beiden ersten Reihen von (1) und (5):

eu - eu 0 ea 0 0, du - du 0 du 0 0, o 0 0 0 - eu 0, 0 0 0 0 - da - 2 du'

Somit gilt in (30) und (32)

zugleich ist

Dies gibt

e~4 = ew e~f> = 0, e~4 = 0, e~5 = - Cu.>

d;, =dw d;5 = 0, d;, = 0, d;5 = - da;

(;1 = r;s = 2ell du + e14da + 1/, r;s = r;l = 0;

demgemäß verschwinden bei der vorausgesetzten Orientierung wie die primären, so auch die sekundären Wirkungen.

Im zweiten Falle treten die Werte auf

es ist also

dazu gilt

o 0 0 - el , - eJ1 0, 0 0 0 - dl4 - 2du 0, o 0 0 0 0 0, 0 0 0 0 0 0;

e~4 = - ea, e~5 = - eu , e~4 = ~5 = 0, d;, = -dw d~5 = - 2du , d;, = d;5 = 0;

Somit wird hier

r;l = 2elldu + e14d14 + fll' r;, = fJs, r;, = r;l = O.

Hier kommt also eine sekundäre Wirkung zustande, für deren ausdrück­liche Berechnnng die oben allgemein zu (32) gemachte Bemerkung das Mittel angibt.

Im dritten Falle gelten die Systeme

o 0 0 0 0 0, 0 0 0 0 0 0,

es ist also o eu - eu 0 el,O, 0 du - du 0 da 0;

974 Anhang IlI. über sekundäre Wirkungen bei piezoelektriscben Vorgängen,

e~4 = ~5 = e~4 = 0, e~5 - e,." d;, =d;5 =d~4 = 0, d~5 =d14 ;

dazu kommt ?}~1 = ?}s, 'l~2 = '111 ?};, = ?};I = 0,

und es ergibt sich r;l = 'ls, r;, = 2eu dll + e14da + '11/ r;s .... r;I = 0.

Die sekundären Wirkungen sind vollkommen analog denen im vori­gen Fall.

Die zahlenmäßige Diskussion zeigt, daß die prinzipiell vorhandenen sekundären Wirkungen beim Bergkristall innerhalb der (ziemlich hohen) Grenze der Beobachtungsfehler bleiben. Dafür ist nach dem p. 9 u. f. Entwickelten nicht allein die Größenordnung der piezoelektrischen Kon­stanten und Moduln maßgebend, sondern nach höherem Maße die fak­tisch nur geringe dielektrische Aeolotropie jenes Kristalles. Bei Kri­stallen von sehr viel höherer Aelotropie - dergleichen in Wirklichkeit vorkommen - könnten aber die sekundären Wirkungen die Beobach­tungen selbst in dem hier vorausgesetzten Fall von auf dem Potential Null gehaltenen Belegungen wirklich fühlbar beeinflussen.

Die Effekte würden natürlich allgemein stärker sein, wenn die Be­legungen bei der Drillung des Zylinders auf andere Potentialwerte ge­langten, wie z. B. dann, wenn die Beobachtung nicht nach der Kompen­sationsmethode, sondern mit Hilfe von Elektrometerausschlägen vorge­nommen würde. I ) Die gleiche Bemerkung würde für den Fall des freien. nicht armierten Zylinders gelten, den Hr. Röntgen beobachtet hat; in­dessen ist derselbe, wie schon bemerkt, für absolute Bestimmungen kaum anwendbar, und somit hat der genannte Umstand wenig Gewicht.

Erwähnt mag noch abschließend werden, daß die sekundären In­fluenzwirkungen bei der Methode der Konstantenbestimmung mit Hilfe gepreßter parallelepipedischer Präparate besonders auch in Fällen, wo die Präparate schief gegen die dielektrischen Hauptachsen orientiert sind, recht wohl ins Gewicht fallen können, und dort jedenfalls genauer studiert werden müssen.') Bei den nur orientierten Versuchen dieser Art~ die zuerst Riecke und ich, sodann mehrere meiner Schüler durchgeführt haben, ist dies nicht geschehen. -

Ganz analoge Betrachtungen, wie sie vorstehend über die Drillung des Kreiszylinders mitgeteilt sind, lassen sich auch für seine Biegung anstellen. Hier sind nur die Werte (23) zu ersetzen durch

und $=H=H-Z-$=-O x y • x y

Z = _ 4Ly • nR'

4Mx oder = + nR' ,

1) Vgl. die vorige Arbeit, Ann. d. Phys. 48. p. Hi1. 1926. 2) Einiges Theoretische hierzu findet sich in meiner .,Krist:t11physik", p. 915ft".

insbesondere im Falle der Drillung und Biegung eines Kreiszylinders. 975

je nachdem die Biegung durch ein Moment L um die X, oder M um die Y-Achse bewirkt wird. Es handelt sich also wieder um lineäre Funk­tionen in x und y; die ganze R.echnung und Diskussion unterscheidet sich in nichts Wesentlichem von der obigen, kann also unausgeführt bleiben.

D. Die benutzten Grundformein (2) und (3) für die allgemeinen in einem piezoelektrisch erregten Kristall herrschenden Spannungen und Deformationen stellen auch den Ausgangspunkt für die strenge Theorie der Deformation eines in ein elektrisches Feld gebrachten (azentrischen) Kristallpräparates dar. Im Gegensatz zu dem oben erörterten Problem der piezoelektrischen Erregung ist aber bei dem neuen Problem nicht ein Spannungssystem, sondern ein Feld primär gegeben, so daß an Stelle von ~1I' .• besser zu setzen ist ~~ + ~l' ... , unter ~~, ... die primär gegebenen, unter ~u ... die sekundär entstehenden Komponenten ver­standen. Was die Spannungen $z" .. angeht, so wird bei Beobachtun­gen über piezoelektrische Deformation zumeist eine direkte mechanische Einwirkung auf das Präparat vermieden; jedenfalls ist dies in dem uns zunächst interessierenden Falle der Drillung eines Kreiszylinders ge­schehen. Trotzdem darf man nun aber nicht etwa bei beliebig gestalte­ten und beliebigen Feldern ausgesetzten Präparaten allgemein den Schluß ziehen, daß fehlenden mechanischen Einwirkungen notwendig auch ver­schwindende innere Spannungen entsprächen. Die durch (3) bestimmten Deformationsgrößen xz '" • haben nämlich (als Differentialausdrücke von den drei V errückungskomponenten) jene zuerst von Kirchhoff formu­lierten sechs Bedingungsgleichungen 1) zu erfüllen, und die $z'" . dürfen daher (bei fehlenden mechanischen Einwirkungen) nur dann beseitigt werden, wenn die hiernach resultierenden Ausdrücke fUr die x." .•. jenen Bedingungen genügen.

Setzt man nun einen Kreiszylinder mit der Achse parallel Z und ein primäres Feld von dem Gesetz

~~ == AOx + BOy, ~g = BOx - AOy, ~3 = 0 (33) voraus, über dessen experimentelle Herstellung in der früheren Arbeit gehandelt ist, so läßt sich zeigen, daß das hierdurch sekundär erregte Feld gleichfalls Komponenten besitzt, die in x und y lineär und von !4

unabhängig sind; demgemäß ist in diesem Falle die Beseitigung der $." •.. $" gestattet; denn durch in x und y lineäre und von z unab­hängige Ausdrücke für x." ... x" werden die Kirchhoffschen Bedingun­gen identisch erfüllt.

Hiernach werden z. B. die beiden ersten Formeln (5) vereinfacht zu

PI -= (~~ + ~1)f;1 + (~g + ~2)f;2' } (34)

Ps = (~~ + ij.l)f;l + (~g + fi2)f;2' 1) Vgl. z. B. meine "Kristallphysik", p. 769.

976 Anhang UI. Ober sekundäre Wirkungen bei piezoelektrischen Vorgängen,

Für die PI. behalten wir die Ansätze (16) bei j es gelten dann für Gi:1

und ~, in dem hier allein in Betracht kommenden freien Zylinder die Formeln (18), und die Einführung aller Werte in (34) liefert vier Be­ziehungen zwischen a', b', a", ~" und AO, JJO.

Aus diesen Formeln sind 0:, b', a", b" zu berechnen und durch die &11 Gi:, nach (18) in die Ausdrücke (3) für die Deformationen einzuführen, die jetzt einfach sind:

xz = d~1(&~ + @\) + a;1(&g + &,) usf. (35)

Da in den Werten (18) von &1' &2 nur die Aggregate

3a' + b" = l, a" + b' -- m, a' + 3b" = n (36) vorkommen, so bildet man am besten sofort die Gleichungen für diese Größen, welche lauten:

1 = AO(3t~'1 - f;.) + JJO(3fi, + f;l) - n: {3(ill + (3f:, + f;l)m + t:,n},

m = AO(f;t - ft', + JJO(fi1 + f;.) -1t{f;l l + (fil + f;2)m + fi, n },

n = AO(fil - 3f;,) + JJO(fis + 3f;\) -1t{f;1 l + (fi, + 3f;~)m + 3f;2n }.

(37)

Mit den hieraus folgenden l, m, n ist gemäß (18) und (36) zu bilden

- &1 = n(xl + ym), - ~. = 1t(xm + yn) (38) und dies Resultat in (35) einzusetzen. Damit erhält man die definitiven Ausdrücke für die Deformation des Zylinders im elektrischen Felde.

Es hat keinen Zweck, diese Rechnung allgemein durchzuführen j es mag genügen, den speziellen Fall eines Zylinders mit Achse parallel einer Nebenachse weiter zu bringen, auf den sich die in der frühereIl Arbeit beschriebenen Beobachtungen beziehen.

Hier gilt das zweite System W erte fi~ von p. 11, das wir abkürzen in fit = fu f;, = fs, f:2 = f;t = O. Die Formeln (37) liefern hier

1 = AO(3fl - fl + 81t~fs)/ Q, n = AO(fl - 3f, - 81tftf,)! Q, Q = (1 + 31tft)(1 + 31tf,) - n2~f21 (39)

m ~ IJO(fl + fs)![l + 1t(fl + f,)],

und man erhält für das gesamte Feld &0 + & die Formeln

&~ + &1 = (AO - nl)x + (BO - 1tm)y = A'x + B'y, &g + &, = (JJO + nm)x - (AO + nn) y = B' x - A"y.

} (40)

Diese Form weicht von der in der früheren Arbeit für &1' &, einge­führten (33) darin ab, daß A" und A' voneinander verschieden sind. Indessen hat dies für die Anwendung, bei der nur die in x und y lineäre

insbesondere im Falle der Drillung und Biegung eines Kreiszylinders. 977

Form eine Rolle spielt, keine Bedeutung. Speziell gestattet die Formel I (48) für die Drillungsgröße h, wie man leicht erkannt, unmittelbar die Übertragung auf die vervollständigte Theorie, wenn man nur A und B dort mit A' und H vertauscht, d. h. schreibt

2h' = d14.A' - 2dn H. . (41) Hat das Feld eine Orientierung gegen den Zylinder, bei welcher seine Wirkung maximal ist, so wird, wie früher gezeigt,

2h = C'D bei

Zugleich gilt A' = AO[1-n:(3fl - t;. + 8n:fd2)/Q], } (42) B' = IJO / [1 + n:(fl + f2)].

Wiederum wird der Einfluß aller sekundären Effekte durch die Parameter f gemessen, über die p. 8 u. f. ausführlich gesprochen ist. Für die Beurteilung ist aber wohl zu beachten, daß ein Teil der in die f multiplizierten Glieder bereits in der früheren Arbeit, wenngleich mehr summarisch, berücksichtigt worden ist. Es ist dort niimlich die Illfiuenz­wirkung des primären }i'eldes unter Vernachlässigung der dielektrischen Aeolotropie des Kristalles (als ein primärer Effekt) bereits in Rechnung gesetzt. Die in der früheren Arbeit eingeführten Parameter A und B entstehen demgemäß aus den obigen A' und B', indem mall in letzteren die sekundären piezoelektrischen Momente und die dielektrische Aeolo­tropie ignoriert, d. h. f1 = f2 = 11 setzt, unter 11 die mittlere Elektri­sierungszahl verstanden; dies gibt

A = AO 2AO B.... BU 2Bo 1 + 2"11 1 + I' 1 + 2"11 = 1 + E'

(43)

wobei E die mittlere Dielektrizitätskonstante bezeichnet. Man kann leicht den Zusammenhang dieser Resultate mit dem Ausdruck I (62) für C nachweisen.

Die Differenzen A' - A und B' - B sind also maßgebend für die Einwirkung der einzelnen Sekundäreffekte bei der elektrischen Drillung des Zylind~rs. Bei der Kleinheit der dielektrischen Isotropie einerseits, der piezoelektrischen Parameter

~e:hd;" " in den f andererseits ist ersichtlich, daß die sekundären Wirkungen bei

den überaus kleinen piezoelektrischen Drillungen sich nicht merklich geltend machen können.

Auch diese Überlegungen gestatten leicht eine Vervollständigung durch Berüeksichtigung der im elektrischen Feld entstehenden Biegun­gen; dieselbe mag aber hier unterbleiben.

978 Resultate.

Resultate. Die Vorgänge der piezoelektrischen Erregung und Deformation

von Kristallen, deren Grundgleichungen - ähnlich wie diejenigen der dielektrischen Influenz - überaus einfach gestaltet sind, spielen sich in Wirklichkeit in sehr komplizierter Weise ab, weil von dem erregten bzw deformierten Präparat sekundär Wirkungen ausgehen. Die Theorie einer der Beobachtung zugänglichen Erscheinung der genannten Gat­tungen kann nur dann voll befriedigen, wenn sie diese sekundären Wir­kungen berücksichtigt, - wie dies bei den dielektrischen Influenzprob­lemen ein für allemal verlangt wird. Indessen hat die Schwierigkeit der Aufgabe wesentliche Resultate in dieser Richtung bisher nicht zu ge­winnen erlaubt. Es wird in der vorliegenden Arbeit gezeigt, daß für die gleichförmige Drillung und Biegung eint>s Kreiszylinders sich beide piezoelektrischen Probleme mit großer Leichtigkeit vollständig durch ... führen lassen. Die Resultate gestatten eine klare Beurteilung des Ein­flusses der sekundären Wirkungen auf die Beobachtungen und erweisen, daß dieselben in den speziellen untersuchten Fällen als unwesentlich gelten können.

Göttingen, im September 1915.

(Eingegangen 11. September 1916.)

I ••

Additional material from ISBN , is available at http://extras.springer.com

Lehrbuch der Kristallphysik,978-3-663-15316-0