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Inhaltliche und didaktische Erläuterung der Unterrichtseinheit Thematischer Schwerpunkt und Inhalte der Unterrichtseinheiten Die Unterrichtseinheit führt in die moderne Theorie des Geistes (und der Seele) ein. Sie enthält 8 Teileinheiten sowie einen allgemeinen Lehrerband zum gesamten 1 Projekt. Der allgemeine Lehrerband enthält zusätzlich zu diesen Erläuterungen folgende Ab- schnitte (in gesonderten Dokumenten): (1) Der didaktische Trend zur modernen systematischen Philosophie (2) Die praktische Erprobung der Unterrichtseinheit (3) Literaturangaben zur Einführung (4) Curriculare Bestimmungen in Bundesländern zu Philosophie / Anthropologie Sekundarstufe II (5) Publikationen von Wolfgang Detel zur Theorie des Geistes (6) Klausur (7) Erwartungshorizont zur Klausur Die 8 Teileinheiten enthalten folgende Themen: (1) Die Kontur des Geistes (erste Erläuterung grundlegenden Merkmale des Geistes: Repräsentationaliät und Bewusstsein). (2) Geist, Algorithmen und Wahrnehmungen (das kognitionswissenschafliche Bild vom Geist). (3) Geist und Repräsentation (Vertiefung der Theorie der Repräsentation). (4) Geist, Bewusstsein und Gefühle (Vertiefung der Theorie des Bewusstseins). (5) Gedankenlesen und Interpretation (der Zugang zum Geist). (6) Kognitive Anthropologie (die kognitive Auszeichnung des Menschen im Ver- gleich zu Primaten). (7) Geist, Gehirn und Religion (Neurobiologie, Psychologie, Theologie). Zu den Autoren: Helga Detel-Seyffarth, pensionierte Studienrätin; Prof. Dr. Wolfgang Detel, emeri 1 - tierter Lehrstuhlinhaber im Fach Philosophie (zuletzt Philosophisches Institut der Universität Frank- furt/Main). Zu den Publikationen von W. Detel zur Theorie des Geistes (vgl. das gesonderte Doku- ment dazu). 1 zur Vollversion

1 Sie enth lt 8 Teileinheiten sowie einen allgemeinen ... · (3) Die Neurobiologie kann sichtbar machen, welche neuro nalen Netzwerke zu welchem Zeitpunkt feuern (bildgebendes Verfahren))

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Inhaltliche und didaktische Erläuterung der Unterrichtseinheit

Thematischer Schwerpunkt und Inhalte der Unterrichtseinheiten

Die Unterrichtseinheit führt in die moderne Theorie des Geistes (und der Seele)

ein. Sie enthält 8 Teileinheiten sowie einen allgemeinen Lehrerband zum gesamten 1

Projekt.

Der allgemeine Lehrerband enthält zusätzlich zu diesen Erläuterungen folgende Ab-

schnitte (in gesonderten Dokumenten):

(1) Der didaktische Trend zur modernen systematischen Philosophie

(2) Die praktische Erprobung der Unterrichtseinheit

(3) Literaturangaben zur Einführung

(4) Curriculare Bestimmungen in Bundesländern zu Philosophie / Anthropologie

Sekundarstufe II

(5) Publikationen von Wolfgang Detel zur Theorie des Geistes

(6) Klausur

(7) Erwartungshorizont zur Klausur

Die 8 Teileinheiten enthalten folgende Themen:

(1) Die Kontur des Geistes (erste Erläuterung grundlegenden Merkmale des

Geistes: Repräsentationaliät und Bewusstsein).

(2) Geist, Algorithmen und Wahrnehmungen (das kognitionswissenschafliche Bild

vom Geist).

(3) Geist und Repräsentation (Vertiefung der Theorie der Repräsentation).

(4) Geist, Bewusstsein und Gefühle (Vertiefung der Theorie des Bewusstseins).

(5) Gedankenlesen und Interpretation (der Zugang zum Geist).

(6) Kognitive Anthropologie (die kognitive Auszeichnung des Menschen im Ver-

gleich zu Primaten).

(7) Geist, Gehirn und Religion (Neurobiologie, Psychologie, Theologie).

Zu den Autoren: Helga Detel-Seyffarth, pensionierte Studienrätin; Prof. Dr. Wolfgang Detel, emeri1 -tierter Lehrstuhlinhaber im Fach Philosophie (zuletzt Philosophisches Institut der Universität Frank-furt/Main). Zu den Publikationen von W. Detel zur Theorie des Geistes (vgl. das gesonderte Doku-ment dazu).

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(8) Geist und Freiheit (Einbettung der Freiheitstheorie in die Theorie des

Geistes).

Struktur der Teileinheiten

Jede Teileinheit enthält zwei Bände:

A Schülerband, der aus zwei Teilen besteht:

1. Power-Point-Präsentation zum jeweiligen Unterthema, die

➢ anhand von Fragen und kleinen Aufgaben unter Angabe der Lösungen in das

Thema einführt, und

➢ diese Einführung durch Beispiele, Bilder und Videos unterstützt und den In-

halt einübt, wobei

➢ die Rechte der Bilder von den Autoren gehalten werden, während die Videos

durch Links angegeben werden und am Computer oder Smartboard direkt im

Internet aufgerufen werden können.

2. Übungsteil mit

➢ einer Zusammenfassung des Inhalts der Teileinheit

➢ Hausaufgaben zum systematischen Inhalt

➢ Spezielle Aufgaben zu einschlägigen Texten

➢ Allgemeine Aufgaben zu vier klassischen Texten

B Lehrerband, der aus folgenden Teilen besteht:

Zusammenfassung und Lösungen:

(1) Zusammenfassung des Inhalts in Gestalt von Definitionen und Erläuterungen.

(2) Lösungen der innerhalb der PPP (also im Unterricht) gestellten Aufgaben.

(3) Lösungen der Hausaufgaben.

(4) Lösungen (mit Vorschlagscharakter) zu den speziellen Textaufgaben der

Textarbeit

(5) Analysevorschläge zu den vier klassischen Texten

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CHAU

Aufbau der Teileinheiten

1. Die acht Teileinheiten bilden einen kontinuierlich aufgebauten Unterrichts-

gang und enthalten so viel Material, dass der Unterricht der gesamten Ein-

heit mindestens drei Monate (mit 2 Stunden pro Woche) in Anspruch nehmen

würde.

2. Doch können die Teileinheiten auch gekürzt oder ganz aus dem Unterricht

herausgenommen werden.

3. Die einleitende erste Teileinheit führt in kurzer Weise diejenigen geist-theo-

retischen Grundbegriffe ein, die in allen weiteren Teileinheiten vorausge-

setzt und zum Teil noch genauer entwickelt werden.

4. Daher kann jede der Teileinheiten 2 – 8 zusammen mit der ersten Teileinheit

auch gesondert unterrichtet werden.

5. Die erste Teileinheit muss also in jedem Fall unterrichtet werden. Aber da-

nach kann jede beliebige Kombination aus den Teileinheiten 2 – 8 im Unter-

richt thematisiert werden (flexibles Modell Erste Teileinheit Plus).

Curriculare Hinweise

1. Im Rahmen des Curriculums im Fach Philosophie lässt sich die Unterrichts-

einheit problemlos in der ersten Hälfte der 11. Klasse des Gymnasiums unter

dem – für diese zeitliche Periode üblichen – Schwerpunkt Anthropologie an-

siedeln.

2. Denn alle Bundesländer schreiben das Thema Anthropologie zu Beginn der

Sekundarstufe II für den Philosophie-Unterricht vor, und zwar fast immer mit

ausdrücklichem thematischem Verweis auf die geist-theoretischen Grundla-

gen der Anthropologie (vgl. das gesonderte Dokument dazu).

3. Diese Platzierung ist tatsächlich mehr als berechtigt, denn

a. die Anthropologie hat in letzter Zeit eine kognitive Wende erfahren; Was

den Menschen ausmacht, und wodurch er sich von den Tieren unterschei-

det, wird primär auf kognitiver Ebene diskutiert und erforscht.

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CHAU

b. Die Theorie des Geistes entwickelt sich immer mehr zu einer philosophi-

schen Grundlagendisziplin, die beispielsweise für Logik, Erkenntnis- und

Wissenschaftstheorie, Sprachphilosophie, aber auch für die Ethik syste-

matisch vorausgesetzt werden muss.

4. Genau diese neue Entwicklung und philosophische Ausrichtung wird in unse-

rer Unterrichtseinheit thematisiert (vgl. das gesonderte Dokument dazu).

Pädagogische Hinweise

1. Es handelt es sich um fertige und ausgearbeitete Unterrichtseinheiten, die in

der vorliegenden Form ohne weitere Vorbereitung unterrichtet werden kön-

nen. Alle Teileinheiten zusammen füllen ca. ein Halbjahr aus.

2. Die Verwendung der Videos im Unterricht setzt Smartboards in den Klassen-

räumen voraus. Wenn diese Voraussetzung nicht gegeben ist, gibt es zwei Al-

ternativen:

a. Die Fragen zu den Videos können in Hausaufhaben umgemünzt werden, so

dass die SchülerInnen die Videos zu Hause am Computer anklicken und

betrachten können.

b. Die LehrerInnen laden die Videos nur zu Zwecken des Unterrichts selbst

herunter und framen (integrieren) sie selbst in ihr eigenes erworbenes

Unterrichtsmaterial (dieses Framen ist nach deutschem Recht in kosten-

pflichtigem Material bisher nicht erlaubt, nach europäischem Recht aller-

dings seit kurzem bereits zugelassen).

Natürlich kann nicht ausgeschlossen werden, dass die in den Teileinheiten

aufgeführten Videos aus dem Internet herausgenommen werden. In diesem

Fall gibt es folgende Alternativen:

a. Das Video und die entsprechenden Fragen werden im Unterricht ausgelas-

sen.

b. Die LehreInnen suchen selbständig nach Ersatz im Netz (der sich fast im-

mer finden lässt).

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VORS

CHAU

c. Die LehrerInnen geben dem Verlag Bescheid (darum würden wir in jedem

Fall bitten). Dann werden wir alternative Videos im Netz suchen und auf

der Website des Verlages aufführen.

3. Die Unterrichtseinheit weicht vom Vorgehen im üblichen Philosophie-Unter-

richt an der gymnasialen Oberstufe und den meisten verbreiteten Schulbü-

chern für Philosophie recht deutlich ab, entspricht jedoch einem zunehmen-

den neuen Trend (vgl. das gesonderte Dokument dazu):

a. Die Arbeit an kurzen Auszügen aus klassischen Texten der Philosophie

steht nicht mehr im Mittelpunkt des Unterrichts.

b. Stattdessen versucht die Unterrichtseinheit, vornehmlich gegenwärtige

philosophische Theorien einzubringen. Dabei soll auch die interdisziplinä-

re Vernetzung, die für die gegenwärtige Philosophie zunehmend an Be-

deutung gewinnt, ansatzweise deutlich werden.

c. Dabei wird unterstellt, dass die verschiedenen Komponenten der interdis-

ziplinären Theorie des Geistes empirisch gestützte und demnach fallible

Theorien sind. Dies gilt auch für die philosophische Komponente (insbe-

sondere gehen wir im Einklang mit einflussreichen neueren philosophi-

schen Ansätzen wie beispielsweise der Philosophie Donald Davidsons da-

von aus, dass philosophische Begriffsarbeit und empirische Forschung

nicht methodisch separiert werden können).

d. Die philosophische Theorie des Geistes soll möglichst multimedial, an-

schaulich und klar präsentiert werden. Die vielen Übungsaufgaben sollen

eine feste Lösbarkeitserwartung mit sich führen, die für SchülerInnen zu

bewältigen ist und ihnen manchmal vielleicht sogar Spaß machen kann.

e. Die aufgeführten Definitionen, Explikationen, und Erläuterungen sollen

im Unterricht so weit wie möglich anhand der Beispiele, Bilder, Videos

und Fragen erarbeitet werden. Die Power-Point-Präsentationen führen

dann die exakte Form der Definitionen etc. explizit auf. Das wirkt auf

den ersten Blick ein wenig hölzern. Wir haben jedoch die Erfahrung ge-

macht, dass es am Ende der Diskussionen in der Klasse günstig ist, wenn

eine SchülerIn die Definition etc. laut vorliest und die SchülerInnen gege-

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VORS

CHAU

benenfalls zu der Definition noch Fragen stellen oder Bemerkungen ma-

chen können.

f. Die Textarbeit wird keineswegs ausgeklammert:

➢ Es werden vier sehr gut geeignete klassische philosophische Texte zum

Thema Geist und Seele aufgeführt (Platon, Descartes, Leibniz, Hegel),

die aus ihrem historischen Kontext heraus gewürdigt, aber auch aus Sicht

der modernen Philosophie des Geistes kritisch kommentiert werden sollen

(diese vier Texte können bereits nach Abschluss der ersten Teileinheit be-

arbeitet werden).

➢ Die Beilage jeder Teileinheit enthält weitere Vorschläge für eine gezielte

Textarbeit.

4. Für diese didaktische Ausrichtung eignet sich die Behandlung der Theorie des

Geistes und der Seele besonders gut, denn sie liegt an der Schnittstelle von

Philosophie, kognitiver Psychologie, Linguistik, Primatologie, Anthropologie

und Kulturtheorie (und kann gleichwohl auf ein erträgliches Schulniveau her-

untergebrochen werden). Trotz mancher Kontroversen im Detail kann man

heute sagen, dass Grundlagen einer Theorie über die "Maschinerie" unseres

Geistes auch an der Schule gelehrt werden und interessante, zum Teil le-

benspraktisch relevante Themen involvieren.

5. Wir haben 6 der 8 Teileinheiten dieser Unterrichtseinheit in einem acht-wö-

chigen Unterrichtsversuch an zwei Hamburger Gymnasien getestet – mit gro-

ßem Erfolg, wie eine anonyme Evaluierung durch die beteiligten Schüler und

Schülerinnen ergeben hat (vgl. das gesonderte Dokument dazu).

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CHAU

Inhaltsverzeichnis

1. Inhaltliche Zusammenfassung ……………………….. 3

2. Lösungen zu PPP-Aufgaben ………………………………… 7

3. Lösungen zu den Hausaufgaben …………………….. 12

4. Lösungsvorschläge zu speziellen Textaufgaben … 14

5. Analysevorschläge zu den vier klassischen Texten .. 16

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CHAU

1. Inhaltliche Zusammenfassung

M 7.1 Aktive Gehirnzustände (1) Mentale Zustände des Menschen sind meist Zustände des menschlichen

Gehirns, die geistige Merkmale (= geistige Eigenschaften) haben. (2) Ein aktiver Gehirnzustand besteht meist aus einem mehr oder weniger

großen neuronalen Netzwerk, dessen Neuronen feuern. (3) Die Neurobiologie kann sichtbar machen, welche neuronalen Netzwerke zu

welchem Zeitpunkt feuern (bildgebendes Verfahren)).

M 7.2 Gefühl und Gehirn, Angst und Amygdala (1) Das Angstgefühl ist nicht identisch mit der neuronale Aktivität der

Amygdala. (2) Die neuronale Aktivität der Amygdala ist nicht nur mit dem Angstgefühl

korreliert, sondern diese neuronale Aktivität ist notwendig dafür, dass eine Empfindung von Angst auftreten kann.

(3) Die neuronale Aktivität der Amygdala ruft das Angstgefühl kausal hervor. M 7.3 Beziehung zwischen mentalen Zuständen und Gehirnzuständen

(1) Jeder bisher untersuchte geistige Zustand und jede bisher untersuchte geistige Fähigkeit wird von einem bestimmten neuronalen Aktivitätsmuster kausal hervorgerufen.

(2) Ein geistiger Zustand ist daher ein neuronales Aktivitätsmuster (also ein aktiver Gehirnzustand), das physikalische und biologische, aber auch mentale Eigenschaften aufweist.

(3) Der Geist einzelner Menschen, also ihre persönliche Seele, ist an ein aktives lebendes Gehirn gebunden.

(4) Der Hirntod des Menschen führt zum Untergang und Sterben des persönlichen Geistes und daher auch der persönlichen Seele.

(5) Wir dürfen nicht auf ein persönliches Leben nach dem Tod hoffen, und wir sollten unsere Lebensentscheidungen nicht von dieser Hoffnung leiten lassen.

(6) Die Theorie (1) – (5) ist bisher durch Korrelationen zwischen neuronalen Aktivitätsmustern und mentalen Zuständen sehr gut empirisch bestätigt.

(7) Doch kann niemals endgültig ausgeschlossen werden, dass sich eine gut gesicherte wissenschaftliche Theorie irgendwann dennoch als falsch erweist und durch eine bessere Theorie ersetzt werden muss.

M 7.4 Standard-Modell 1 zum Gehirn-Geist-Problem: Ontologischer Dualismus (= Substanz-Dualismus)

(1) Gehirn (allgemeiner Natur) und Geist sind verschiedene Substanzen, das heißt mentale Zustände sind nicht-physische Zustände.

(2) Mentale Zustände können kausal auf physische Zustände einwirken.

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CHAU

(3) Der Bereich physischer Zustände ist kausal geschlossen, d.h. für alle physischen Zustände gibt es hinreichende physische Ursachen.

M 7.5 Klassisches Leib-Seele-Problem: (1) Die Thesen (1) – (3) des ontologischen Dualismus (M7.4) sind nicht

miteinander konsistent, d.h. können nicht zugleich wahr sein. (2) Mentale Zustände (Geist) gelten nach dem ontologischen Dualismus als

gänzlich immateriell, aber dann ist für die Wirksamkeit des Geistes aus moderner natur-wissenschaftlicher Sicht kein Kausalitätsmodell verfügbar.

M 7.6 Disposition Die Disposition eines Zustandes ist die Tendenz dieses Zustandes, unter wohlbestimmten Bedingungen einen weiteren Zustand kausal hervorzubringen.

M 7.7 Token und Typ (1) Ein Token ist ein konkretes, materielles, raum-zeitlich lokalisiertes,

einzelnes und in seiner Beschaffenheit einmaliges Vorkommnis eines Gegenstandes, Zustandes oder Ereignisses.

(2) Ein Typ ist eine schematisierende Struktur, die durch ihre Tokens exemplifizierbar ist.

M 7.8 Standard-Modell 2 zum Gehirn-Geist-Problem: Identitätstheorie (1) Geist und Gehirn sind identisch. (2) Genauer: Der Geist ist ein Teil des Gehirns mit speziellen physikalischen

Eigenschaften.

M 7.9 Standard-Modell 2.1 zum Gehirn-Geist-Problem: Behavioristische Theorie des Geistes

(1) Verhalten (behavior) besteht lediglich aus physiologischen Reaktionen auf externe Reize.

(2) Mentale Zustände sind nichts weiter als beobachtbare Verhaltensdispositionen physischer Zustände oder physischer Gegenstände.

M 7.10 Standard-Modell 2.2 zum Gehirn-Geist-Problem: Typen-Physikalismus

(1) Bestimmte mentale Typen sind nichts weiter als bestimmte physikalische Typen.

(2) Das mentale Vokabular kann in ein synonymes physikalistisches Vokabular übersetzt werden.

M 7.11 Standard-Modell 2.3 zum Gehirn-Geist-Problem: Token-Physikalismus

(1) Jeder einzelne Zustand als Token, der als ein mentaler Zustandstyp klassifizierbar ist, ist auch als ein mentaler Zustandstyp klassifizierbar.

(2) Das mentale Vokabular kann nicht in ein synonymes physikalistisches Vokabular übersetzt werden.

M 7.12 Standard-Modell 3 zum Gehirn-Geist-Problem: Eigenschaftsdualismus (1) Mentale Zustände sind aktive Gehirnzustände, die u.a. mentale

Eigenschaften (Repräsentationalität, phänomenales Bewusstsein etc.) haben.

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(2) Im Falle mentaler Zustände rufen ihre zugrundeliegenden aktiven Gehirnzustände (in Gestalt neuronaler Aktivitäten) die mentalen Eigenschaften kausal hervor.

(3) Mentale Eigenschaften sind ihrem Typ nach verschieden von physikalischen (biologischen, chemischen) Eigenschaften.

(4) Mentale Zustände sind kausal wirksam und zugleich rational organisiert (d.h. es gibt mentale Verursachung).

M 7.13 Die Erzeugung des Geistes im Gehirn (1) Es gibt überwältigende empirische Belege für folgende Regularität:

Neuronale Aktivität NA führt kausal zu mentalem Zustand MZ (abgekürzt: NA ≥ MZ). Damit ist die Erzeugung des Geistes wissenschaftlich erklärt.

(2) Vielleicht gibt es Faktoren A, B, C …, so dass gilt: NA ≥ A ≥ B ≥ C ≥ … ≥ MZ. Dann wäre die Erzeugung des Geistes besser erklärt. Aber alle Erklärungen müssen ein Ende haben. Daher hängt die wissenschaftliche Erklärbarkeit der Erzeugung des Geistes nicht am komplexen Modell (2), sondern wäre auch mit dem einfachen Modell (1) gegeben.

(3) Die Erzeugung des Geistes ist ein wissenschaftliches Wunder.

M 7.14 Mentale Verursachung als Problem (1) Der Eigenschaftsdualismus und unsere alltägliche Erfahrung scheinen die

Möglichkeit der mentalen Verursachung vorauszusetzen. (2) Wenn mentale Zustände letztlich Gehirnzustände sind, mit denen mentale

Eigenschaften korreliert sind, dann liegt es aus naturwissenschaftlicher Sicht nahe anzunehmen, dass im Falle der mentalen Verursachung der physische aktive Gehirnzustand den gesamten Job tut.

In diesem Fall wäre der Geist zwar vorhanden und nicht mit physischen Zuständen typen-identisch, aber in der Welt kausal wirkungslos (epiphänomenalistisches Modell des Geistes)

M 7.15 Strategie zur Lösung des Problems der mentalen Verursachung (1) Das epiphänomenalistische Modell des Geistes setzt die klare Separierung

zwischen physischer und mentaler Komponente von mentalen Zuständen voraus.

(2) Vielleicht sind jedoch in mentalen Zuständen die physische Komponente (die neuronale Aktivität) und mentale Komponente (Repräsentationalität, Bewusstsein) notwendi- gerweise mit der mentalen Komponente verknüpft.

(3) Dann würden sich diese beiden Komponenten ontologisch nicht voneinander separieren lassen.

(4) Daher könnten kausale Kräfte nur auf die notwendige Einheit von physischen und mentalen Komponenten in mentalen Zuständen bezogen werden.

(5) Es wäre also diese ontologisch enge Konfiguration von Physischem und Mentalem (=mentaler Zustand), die kausal auch auf rein physische Elemente wirkt und wirken kann.

M 7.16 Auffassung von Seele und Körper in Bibel und Koran (1) Führende moderne Vertreter von Christentum und Islam bezeichnen die

Lehre von der Unsterblichkeit der Seele als Grundpfeiler ihres Glaubens. Diese Lehre lässt sich jedoch weder in der Bibel noch im Koren belegen.

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(2) In der Bibel und im Koran wird die Seele nicht mit einem Teil des Menschen, sondern mit dem ganzen lebenden Mensch identifiziert — die Seele ist der Mensch als lebendiger Körper.

(3) Der Lehre der Bibel und des Koran zufolge ist die Seele daher nicht unsterblich. Vielmehr ist eine Wiederauferstehung und ein ewiges Leben des Menschen in seiner ursprünglichen Körper-Seele- Einheit möglich.

(4) Dieselbe Auffassung findet sich auch bei Homer. (5) Pythagoras dagegen vertritt eine Seelenwanderungslehre, derzufolge die

Seele zumindest zeitweise außerhalb des Körpers existieren kann. Diese Lehre ist mit den Auffassungen in Koran und Bibel unvereinbar.

M 7.17 Hinduismus und Buddhismus (kurze Zusammenfassung) (1) Jede Tat (Karma) hat sowohl Ursachen als auch Wirkungen und ist an

irdische Wünsche gebunden. (2) Das Ziel jedes Lebewesens ist es, sich von seinen irdischen Wünschen so

weit wie möglich zu befreien. (3) Lebewesen werden meist wiedergeboren, d.h. nach dem Tod bleibt ihre

Seele erhalten und tritt nach einer gewissen Zeit in einen neuen Körper ein (Wiedergeburt).

(4) Die Wiedergeburten jedes Lebewesens richten sich darnach, inwieweit ihm die Befreiung von irdischen Wünschen gelingt.

(5) Der gesamte Ablauf vollzieht sich in einem Kreislauf, der kein Ende findet, solange Lebewesen noch an irdischen Wünschen hängen und so immer ein neues Karma geschaffen wird.

(6) Eine Befreiung davon ist nur möglich, wenn man sich von allen irdischen Wünschen befreit und keine Taten (kein Karma) vollzieht, die zur Wiedergeburt führen.

(7) Wichtig dafür ist die Erkenntnis der wahren Natur der Dinge und ihrer kausalen Verkettung durch das Karma (Erleuchtung).

(8) Dann geht die Seele endgültig in das Nirwana (das unpersönliche Ur-All) ein und verliert ihre persönliche Identität.

M 7.18 Religionen und wissenschaftliche Theorie des Geistes (1) Die Seele kann nach hinduistischer Auffassung zwar unabhängig vom Körper

existieren, aber wenn der Mensch die Erleuchtung erreicht hat, geht die Seele ins Nirwana ein. Dabei löst sich ihre Individualität auf. Zumindest die individuelle, persönliche Seele ist nach dieser Lehre nicht unsterblich.

(2) Von allen bis hierher skizzierten religiösen Auffassungen zu Seele und Körper kommt die Lehre in der Bibel, im Koran und in den homerischen Epen der modernen Theorie des Geistes noch am nächsten – und zwar insofern, als diese Lehre von der untrennbaren Bindung der Seele an den lebenden Körper ausgeht.

(3) Die Auferweckung des lebenden Körpers vom Tod ist natürlich mit dem wissenschaftlichen Weltbild unvereinbar und bleibt im Christentum und Islam eine unbestimmte Spekulation, die einem inakzeptablen Wunschdenken (einem Denken, das etwas für wahr hält, weil es großartig wäre, wenn es wahr wäre) gefährlich nahekommt.

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7. Geist und Gehirn 1

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(1) Mentale Zustände wie zum Beispiel Angst, Hunger oder Absichten schweben nicht irgendwo (man weiß nicht wo) frei in unserem Körper herum, sondern sind mit Zuständen des

menschlichen Gehirns verbunden.

(2) Diese „Verbindung“ angemessen zu beschreiben ist ein erhebliches Problem. Die minimale Interpretation ist: Zu jedem mentalen Zustand, der zur Zeit t im Gehirn G einer Person P auftritt, gibt es eine Region von G, deren Neuronen zu t feuern.

Aufgabe 1:

Studiere den folgenden 5-minütigen Schulfilm über das menschliche Gehirn:

Link: http://www.youtube.com/watch?v=gXwrh6XOACA.

• Welches Thema wird in diesem Video behandelt?

• Welche Defizite weist das Video aus geist-theoretischer Sicht auf?

1. Mentale Zustände und Gehirnzustände 2

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CHAU

Was ist genauer mit Zuständen des Gehirns gemeint? ➢Das Gehirn besteht aus Neuronen. Das sind Nervengebilde, die kleine

elektrische Ströme und chemische Botenstoffe weiterleiten können.

➢Wenn die Neuronen elektrische Ströme und Botenstoffe tatsächlich übertragen, sagt man auch: die Neuronen sind aktiv und feuern.

➢Zustände des Gehirns sind Muster aktiver, feuernder Neuronen.

1. Mentale Zustände und Gehirnzustände 3

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CHAU

M 7.1 Aktive Gehirnzustände

(1) Die mentalen Zustände des Menschen sind meist Zustände des menschlichen Gehirns, die geistige Merkmale (= geistige Eigenschaften) haben.

(2) Ein aktiver Gehirnzustand besteht meist aus einem mehr oder weniger großen neuronalen Netzwerk, dessen Neuronen feuern.

(3) Die Neurobiologie kann sichtbar machen, welche neuronalen Netzwerke zu welchem Zeitpunkt feuern (bildgebendes Verfahren)).

Aufgabe 3:

Wenn wir mit neurobiologischen Mitteln die Teile des Gehirns und seine aktiven Zustände untersuchen,

(a) Können wir dann in ihnen geistige Zustände erkennen, z.B. Schmerzen, Wünsche oder Träume?

(b) Welches Problem folgt aus der Antwort auf Frage (a)?

1. Mentale Zustände und Gehirnzustände 5

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Beispiel: Neurobiologie und Angst – die Korrelation

Ein wissenschaftlicher Bericht

(1) Neurobiologischer Befund: Patientin SM leidet an der seltenen Urbach-Wiethe Krankheit, die Amygdala zerstört (rot gefärbt im linken Bild).

(2) Psychologischer Befund: SM empfindet keinerlei Angst, z.B. weder wenn sie bedroht noch wenn sie sozial gemobbt wird.

1. Mentale Zustände und Gehirnzustände 6

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Inhaltsverzeichnis

1. Inhaltliche Zusammenfassung ……………………….. 3

2. Hausaufgaben …………………………………………………. 7

3. Aufgaben zu speziellen Texten …………………….. 8

4. Allgemeine Aufgaben zu vier klassischen Texte …… 11

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3. Aufgaben zu speziellen Texten

Analysiere kurz den folgenden Artikel von Reinhold Nöth vor dem Hintergrund von M 7.1 – M 7.18. Link: http://www.kirche-und-dialog.de/index.php?id=149&tx_ttnews%5BpS%5D= 1276243042&tx_ttnews%5Bpointer%5D=9&tx_ttnews%5Btt_news%5D=99&tx_ttnews%5BbackPid%5D=89&cHash=55f00d1850ef2a23ac36f5b170fca713#

„Was verstehen wir unter „Seele“? Das Wort Seele hat ganz unterschiedliche Bedeutungen … In diesem Beitrag soll es ganz speziell um die „unsterbliche Seele“ gehen, ein Problem, um das sich die Menschen seit Jahrtausenden Gedanken machen und die Wissenschaften wie Theologie, Philosophie oder auch Hirnforschung bis heute streiten.

1 Die Unsterblichkeit der Seele nach der griechischen Philosophie

Eine klare und eindeutige Position, die für viele Menschen bis heute Gültigkeit hat, hat der große griechische Philosoph Platon (+ 347 v.Ch.) vertreten...Er sagt: Nicht die sinnlich wahrnehmbaren Dinge haben wahres Sein, sondern die dahinter stehende Idee… Auf den Menschen bezogen  heißt dies: Der Körper des Menschen ist vergänglich,  sterblich, unvollkommen, seine Seele ist unsterblich und ewig. Im Tod trennt sich die Seele vom Körper, der sie wie in einem Kerker gefangen hält … Diese idealistische Weltanschauung mit einer dualistischen Trennung zwischen vergänglicher Materie und geistiger Idee hat sich später nachhaltig auf  die Philosophie und die christliche Theologie ausgewirkt. Vor allem die Lehre von der unsterblichen Seele überzeugt noch heute viele Menschen bis hin zum Glauben an die Seelenwanderung und Reinkarnation…

2 Das christliche Verständnis vom Leben nach dem Tod

2.1 Die fundamentalen Aussagen der Bibel

Das Fundament, auf dem der christliche Glaube fest gegründet ist, ist die Bibel. Auch die Bibel spricht von „Seele“. Gemäß dem Schöpfungsbericht formt Gott den Menschen aus Staub und haucht ihm den Lebensatem ein, „so wurde er eine lebendige Seele“ (Gen 2,7). Der Mensch ist also eine Einheit von Leib und Seele. Gott schenkt ihm das Leben, nicht eine unsterbliche Seele. Der Begriff „Seele“, hebr. „nephesch“, wird ähnlich bildhaft wie das griech. „psyche“ im Neuen Testament für Leben gebraucht, meint aber auch oft den ganzen Menschen, seine Person, sein Ich.

Das Alte Testament kennt in den meisten seiner 45 Bücher kein Leben nach dem Tod, erst das späte Buch Daniel (Kap. 12) spricht erstmals von einer Auferstehung am Ende der Zeit. Die Toten, die in der Unterwelt (scheol) mit Leib und Seele ruhen, werden von Gott zum Leben erweckt.

Erst das Neue Testament entfaltet die frohe Botschaft von einem neuen Leben nach dem irdischen Tod. Grundlage ist der Tod und die Auferstehung Jesu, sind die Begegnungen mit dem auferstandenen Christus in seinem sichtbaren und doch verklärten Leib. Nach ersten Zweifeln (Mk 16,11; Lk 24,11; Joh 20,24 ff) sind die Jünger von seiner Auferstehung überzeugt und machen sie zur zentralen Botschaft ihres Glaubens: Christus ist „der Erstgeborene unter den Toten“ (Kol 1,18), er ist

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(b) Begründungsstrukturen im Text zu ermitteln versucht. (2) Bewerte den Text kurz aus moderner geist-theoretischer Perspektive.

Platon über die Seele

Text

Phaidon Was sagen wir also von der Seele, daß sie sichtbar sei oder nicht sichtbar?

Nicht sichtbar. Also unsichtbar? Ja… Und nicht wahr, auch das haben wir schon lange gesagt, daß die Seele, wenn sie sich des Leibes bedient, um etwas zu betrachten, es sei durch das Gesicht oder das Gehör oder irgend einen andern Sinn, denn das heißt vermittelst des Leibes, wenn man vermittelst eines Sinnes etwas betrachtet, dann von dem Leibe gezogen wird zu dem, was sich niemals auf gleiche Weise verhält, und daß sie dann selbst schwankt und irrt und wie trunken taumelt, 1

weil sie ja eben solches berührt? - Das haben wir gesagt. -

Wenn sie aber durch sich selbst betrachtet, dann geht sie zu dem reinen, immer seienden, nicht Sterblichen und sich stets Gleichen , und als diesem verwandt hält 2

sie sich stets zu ihm, wenn sie für sich selbst ist und es ihr vergönnt wird, und dann hat sie Ruhe von ihrem Irren und ist auch in Beziehung auf jenes immer sich selbst gleich, weil sie eben solches berührt, und diesen ihren Zustand nennt man eben die Vernünftigkeit?

Auf alle Weise, o Sokrates, sagte er, ist dies schön und wahr gesagt. (79 B-e)…

Es erkennen nämlich die Lernbegierigen, daß die Philosophie … zeigt, daß alle Betrachtung durch die Augen voller Betrug ist, voller Betrug auch die durch die Ohren und die übrigen Sinne, und deshalb sie überredet, sich von diesen zurückzuziehen, soweit es nicht notwendig ist, sich ihrer zu bedienen, und sie ermuntert, sich vielmehr in sich selbst zu sammeln und zusammenzuhalten und nichts anderem zu glauben als wiederum sich selbst, was sie für sich selbst von den Dingen an und für sich anschaut. Was sie aber vermittelst eines anderen betrachtet, dieses, weil es in jeglichem anderen wieder ein anderes wird, für nichts Wahres zu halten, und solches sei ja eben das Wahrnehmbare und Sichtbare, was sie aber selbst sieht, sei das Bedenkbare und Unsichtbare. (82E – 83 B).

Theaitetos

Nicht wahr, jenes wahrzunehmen, was irgend für Eindrücke durch den Körper zur Seele gelangen, das eignet schon Menschen und Tieren von Natur, sobald sie geboren sind. Allein zu den Schlüssen hieraus auf das Sein und den Nutzen gelangen nur schwer mit der Zeit und durch viele Mühe und Unterricht die, welche überall dazu gelangen? - So ist es allerdings. … In jenen Eindrücken also ist keine Erkenntnis, wohl aber in den Schlüssen daraus. Denn das Sein und das wahre Wesen zu erreichen, ist, wie es scheint, nur durch diese möglich, durch jene aber unmöglich. - Das leuchtet ein. (186 B-C)

Gemeint ist die physische, körperliche Welt, die sich in ständiger Veränderung befindet,1

Gemeint sind die platonischen Ideen, die jedoch nicht mentale Elemente sind, sondern Formen (Strukturen) wie 2

etwa mathematische Gebilde, die immer gleich bleiben (der Ausdruck Idee kommt von griech. eidos = Form, Struktur).

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Politeia (Über den Staat) Gibt es ein Geschäft der Seele, welches du schlechterdings mit nichts anderem in der Welt verrichten kannst? Zum Beispiel folgendes: Das Sorgen, Beherrschen und Beraten und alles Derartige, können wir es mit Recht etwas anderem als der Seele zuteilen und behaupten, daß es jenem eigen sei? - Nein, nichts anderem. - Und wie ist's mit dem Leben, werden wir es als Geschäft der Seele bezeichnen? Ganz wohl, erwiderte er. Also behaupten wir, daß es auch eine Tugend der Seele gebe? - Jawohl. - Wird nun, 3

Thrasymachos, die Seele ihre Geschäft gut verrichten, wenn sie ihrer eigentümlichen Tugend beraubt ist, oder ist das unmöglich? - Es ist unmöglich. - Es muß also notwendig eine schlechte Seele schlecht beherrschen und sorgen, die gute aber in allen diesen Beziehungen gut verfahren. - Notwendig. - Nun haben wir aber zugegeben, daß Gerechtigkeit Tugend der Seele sei und Ungerechtigkeit ihre Schlechtigkeit? - Das haben wir zugegeben. (I, 353 C-E)

Folgendes aber ist nunmehr schwierig, ob es dieses nämliche ist, womit wir das 4

Einzelne verrichten, oder ob drei und mit jedem etwas anderes? Ob wir mit dem einen von dem, was in uns ist, lernen, mit dem andern zornig sind und dann mit einem dritten Begierde haben nach den auf Nahrung und Zeugung bezüglichen Genüssen und was sonst noch damit verwandt ist, oder ob wir mit der ganzen Seele jedes Einzelne davon verrichten, wenn wir dazu den Anlauf genommen haben? Dies ist es, was schwierig ist in angemessener Weise zu bestimmen. ( IV, 436 A-B)

Nicht ohne Grund also, fuhr ich fort, werden wir die Ansicht hegen, daß es ein Doppeltes und von einander Verschiedenes sei, indem wir das, womit sie überlegt, das vernünftig Überlegende der Seele nennen, das aber, womit sie verliebt ist und hungert und dürstet oder sonst etwas leidenschaftlich begehrt, das Unvernünftige und Begehrende, das gewisse Erfüllungen und Genüsse liebt? Nein, vielmehr mit Recht, versetzte er, werden wir dies annehmen. Damit seien uns denn, sagte ich, zwei in der Seele befindliche Arten bestimmt. Der Zorn nun aber und das, womit wir zornig sind, ist es ein Drittes? Oder mit welchem von jenen beiden wäre es gleichartig? (IV, 439 D-E)

Ist es nun etwas Verschiedenes auch von diesem? Oder ist es eine Art des 5

Vernünftigen, so daß nicht drei, sondern zwei Arten in der Seele wären, ein Vernünftiges und ein Begehrendes? Oder wie es ja im Staate der diesen zusammenhaltenden Klassen drei waren, die erwerbende, helfende und beratende, ist so auch in der Seele dies, das Zornartige, als drittes, ein Gehilfe des Vernünftigen von Natur, wofern es nicht durch schlechte Erziehung verdorben worden ist? - Notwendig das dritte, war seine Antwort. -

Tugend (griech. arete) ist generell die optimale Form oder der optimale Zustand einer Sache (etwa die Tugend 3

eines Messers). Nur die Tugenden der Seele haben einen ethischen Aspekt.

Das heißt hier im Kontext: dieselbe seelische Komponente.4

Das heißt der Zorn und die zornartige seelische Komponente (und Ähnliches).5

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Ja, sagte ich, wofern es sich als verschieden von dem Vernünftigen erweist, wie es sich als verschieden von dem Begehrenden erwiesen hat. Das wird sich ohne Schwierigkeit erweisen, versetzte er; denn auch an den Kindern kann man dies sehen, daß von Zorn sie gleich nach ihrer Geburt voll sind, der Vernunft dagegen werden einige, wie mir's scheint, niemals teilhaftig, die meisten aber erst spät. Ja, beim Zeus, bemerkte ich, da hast du schön gesprochen. Auch an den Tieren kann man das sehen, was du sagst, daß es wirklich so sich verhält. Überdies wird auch das oben einmal angeführte Wort des Homer es bezeugen: Aber er schlug an die Brust und redete scheltend sich selbst zu; denn hier läßt ja Homer deutlich das über das Bessere und Schlechtere Nachdenkende auf das unvernünftig Zürnende als ein von sich Verschiedenes schelten. Du hast vollkommen recht, erwiderte er. (IV, 440 A-441B)

Gebührt es nun aber nicht dem vernünftigen Teile zu regieren, da er weise ist und die Vorsorge für die ganze Seele hat, dem zornartigen Teile aber, jenem gehorsam und verbündet zu sein? - Freilich. - Und wenn diese beiden denn in dieser Weise erzogen sind und in Wahrheit das Ihrige gelernt haben und dafür gebildet sind, so werden sie die Aufsicht führen über das Begehrende, das ja den größten Teil der Seele in jedem ausmacht und von Natur ganz unersättlich ist... - Freilich, versetzte er. - … Und tapfer also, denke ich, nennen wir nach diesem Teile jeden Einzelnen, wenn das Zornartige an ihm … das von der Vernunft als schrecklich und nicht schrecklich Vorgezeichnete erkennt und befolgt? - Richtig, sagte er. - Weise jedoch nach jenem kleinen Teile, dem, der in ihm regierte und jenes vorschrieb, der seinerseits gleichfalls Wissen in sich hat, nämlich von dem, was jedem Einzelnen und der ganzen Gesamtheit von ihnen drei zuträglich sei? - Freilich. …. Wie aber? Besonnen nicht wegen der Freundschaft und Zusammenstimmung von eben diesen, wenn das Regierende und die beiden Regierten der gleichen Meinung sind, daß das Vernünftige regieren müsse, und wenn sie nicht mit ihm im Streite liegen? Besonnenheit ist allerdings, antwortete er, nichts anderes als dies, bei einem Staate wie bei einem Einzelnen. Aber nun gerecht wird er doch sein durch das, was wir schon oft gesagt haben, und auf die angegebene Weise? - Ganz notwendig. (IV 441E-442D)

Phaidros Zuvörderst nun muß man über die Natur der Seele, die göttliche sowohl als die menschliche, indem man teils ihre Leiden, teils ihr Tun ins Auge faßt, das Wahre begreifen. Der Anfang des Nachweises aber ist folgender: Jede Seele ist unsterblich, denn das stets Bewegte ist unsterblich. Was aber ein anderes bewegt und von einem anderen bewegt wird, das hat, sofern es ein Aufhören der Bewegung hat, auch ein Aufhören des Lebens. Das sich selbst Bewegende allein also, sofern es nie sich selbst verläßt, hört nie auf, bewegt zu sein, aber auch für das andere, was bewegt wird, ist dieses Quelle und Anfang der Bewegung….Hat man aber gesagt, daß das von sich selbst Bewegte unsterblich sei, so darf sich einer auch nicht schämen, es auszusprechen, daß eben dieses das Wesen und die Natur der Seele sei. Denn jeder Körper, dem das Bewegtwerden von außen zuteil wird, ist

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