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10 JAHRE MEDIEN Im Netz, im Print, in Leipzig. W ir waren vor 10 Jahren unzu- frieden und sind es noch. Un- zufrieden mit dem Zustand der Medien, ganz gleich ob regional, überregional oder internatio- nal. Im Print und vor allem im Netz. Doch die Gründe haben sich über die Zeit geän- dert. Was zur Gründung der Leipziger Internetzeitung von einst drei Leipzigern führte und heute immerhin auf 10 Journalisten anwachsen ließ, war die Sehnsucht nach nachvollziehbarem Journalismus, ortsgebunden und erfahrbar durch die Leser in der eigenen Realität. Seit zwei Jahren debattieren wir parallel zum Alltag das zweite Hauptthema wieder neu: Bezahlte Arbeit in einem Bereich, in welchem immer mehr um uns herum ohne Bezahlung arbeiten „dürfen“. Dies funktioniert auch deshalb, weil Medien nie wirk- lich über Medien schreiben – die Prekarisierung ist an vielen Orten abgeschlossen, die Talsohle für manchen Kollegen längst erreicht. So teilen nun auch Journa- listen das Schicksal vieler Berufe, die sich kaum oder wenig automatisieren lassen. Wie in jedem Handwerks- beruf wurde die Arbeit von Journalisten vielerorts ent - wertet. Das Berufsbild hat längst darunter gelitten und fast scheint es so, der Journalist sei jemand, der eigent - lich nichts kann. Doch betrachtet man seine Rolle in ei- ner Demokratie, muss man sagen: Vorsicht! Oder besser: Demokratiealarm. Der Anfang, dies zu ändern, ist mit der L-IZ und den Kooperationen längst gemacht: Im Wortsinne nachhal- tig, da in einem wachsenden Archiv jederzeit prüfbar. Denn wir sind auch aktuelle Chronisten unserer Stadt. Was uns bis heute auch in den Freundschaften mit der 3VIERTEL, den jungen Kollegen vom Weltnest vor Ort und weiteren Partnern in Jena, Dresden, Rostock und Halle trägt, ist immer noch die Grundlage des nachvoll- ziehbaren Journalismus vor Ort. Weiter auf Seite 3 Weiter auf Seite 4 W ir schreiben das Jahr 2014. In Leipzig wird es ab sofort ein Printmedium weniger geben. 3VIERTEL beendet hiermit seine Publikationstätigkeit und beendet damit auch ein Projekt des kostenlosen Journalismus in Leipzig. Wir haben 50 Ausgaben in monatlicher Erscheinungs- weise herausgegeben, dem Leser ein wertvolles jedoch kos- tenloses Produkt angeboten, welches über Anzeigen die Gelder für den Druck, die Verteilung, und die Redaktions- kosten erwirtschaftet hat. Damit haben wir mehr erreicht als vielleicht zu erwarten war, doch stoßen wir nunmehr seit einiger Zeit an unsere Grenzen, denn der Rahmen für den Journalismus, den wir uns wünschen zu produzieren, setzt mehr gute Journalisten voraus, die wir auch angemes- sen finanzieren wollen. Damit kommen wir zum Kernthe- ma: Geld. Der flüchtige Wechselstoff, vor geraumer Zeit erfunden, um Investitionen zu ermöglichen, ist der Stoff, der in dem Kreislauf unserer Wertschöpfungskette leider fehlt. Der Anzeigenmarkt ist Vergangenheit und kein Fi- nanzierungsgarant für Journalismus. Seit geraumer Zeit finden wir, 3VIERTEL, die Leipzi- ger Internetzeitung und das Weltnest, zusammen, um über die Zukunft der Leipziger Medienlandschaft abseits der einzigen Tageszeitung zu beraten. Gefunden wurden viele Fragen, manche Antworten und einige Anregungen zum Handeln. Seit einiger Zeit haben wir angefangen zu handeln. 3VIERTEL veröffentlicht Artikel auf der Leipziger Internetzeitung, die Leipziger Internetzeitung im Gegenzug bei 3VIERTEL, wir haben auch schon Anzeigen- und Wer- begelder gemeinsam eingespielt und untereinander verteilt, alles auf der Basis eines gewachsenen Vertrauens und eines gemeinsamen Verständnisses dafür, dass wir nur gemeinsam vorankommen können. DAS ENDE Vom Ende. Weiter auf Seite 5 BLICK IN DIE GLASKUGEL Die Zukunft des lokalen Journalismus. G efragt nach der Zukunft des (hyper-) lokalen Journalismus kann meine Ant - wort nur lauten: „Die kennt niemand – auch ich nicht.“ Aber ich will mich nicht drücken und zwei weitergehende Fragen aufwerfen: Was genau hat sich eigentlich in den vergangenen – sagen wir 15 – Jahren verändert, wenn wir vom Lokaljournalismus sprechen? Und: Welche Prämissen, die heute die Diskussion prä- gen, müssen hinterfragt werden? Zur Beantwortung der ersten Frage müssen einige Grundlinien der Medienentwicklung skizziert werden: Seit Anfang dieses Jahrhunderts werden ausnahmslos alle journalistischen Informationen digitalisiert; man kann sie also ohne größeren Aufwand jenseits von Print über beliebige andere Kanäle verteilen. Mobile Endgeräte aller Art – bis hin zu Wearables wie der iWatch oder der Google-Brille – ermöglichen, dass zielgerichtete Kommunikation von Individuen un- tereinander bzw. mit Organisationen und Unternehmen jederzeit und an allen Orten möglich ist. Durch das Cloud Computing werden Smartphones, Ta- blets oder Datenbrillen zu Supercomputern, mit denen der Nutzer orts- und zeitunabhängig nicht nur Informa- tionen abrufen kann, sondern auch Dinge wie Preisver- gleiche oder den Einkauf von Eintrittskarten erledigen kann. Diese Entwicklungen hatten bzw. haben für die klas- sischen Lokal- und Regionalzeitungen zweierlei Folgen. Erstens: Für Menschen unter 35 ist dieser Zeitungstyp – ob als gedruckte Zeitung oder als Zeitungswebsite – irrelevant geworden. Diese Altersgrenze schiebt sich mit den Alterskohorten nach oben. Reichweite und Lesein- tensität nehmen in allen Altersgruppen ab.

10 JAHRE MEDIEN DAS ENDE BLICK IN DIE … · gleiche oder den Einkauf von Eintrittskarten erledigen kann. ... dem Willen, will sagen dem Drang etwas in die Welt zu stellen, das durch

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10 JAHRE MEDIENIm Netz, im Print, in Leipzig.

Wir waren vor 10 Jahren unzu-frieden und sind es noch. Un-zufrieden mit dem Zustand der Medien, ganz gleich ob regional, überregional oder internatio-nal. Im Print und vor allem im

Netz. Doch die Gründe haben sich über die Zeit geän-dert. Was zur Gründung der Leipziger Internetzeitung von einst drei Leipzigern führte und heute immerhin auf 10 Journalisten anwachsen ließ, war die Sehnsucht nach nachvollziehbarem Journalismus, ortsgebunden und erfahrbar durch die Leser in der eigenen Realität. Seit zwei Jahren debattieren wir parallel zum Alltag das zweite Hauptthema wieder neu: Bezahlte Arbeit in einem Bereich, in welchem immer mehr um uns herum ohne Bezahlung arbeiten „dürfen“. Dies funktioniert auch deshalb, weil Medien nie wirk-lich über Medien schreiben – die Prekarisierung ist an vielen Orten abgeschlossen, die Talsohle für manchen Kollegen längst erreicht. So teilen nun auch Journa-listen das Schicksal vieler Berufe, die sich kaum oder wenig automatisieren lassen. Wie in jedem Handwerks-beruf wurde die Arbeit von Journalisten vielerorts ent-wertet. Das Berufsbild hat längst darunter gelitten und fast scheint es so, der Journalist sei jemand, der eigent-lich nichts kann. Doch betrachtet man seine Rolle in ei-ner Demokratie, muss man sagen: Vorsicht! Oder besser: Demokratiealarm. Der Anfang, dies zu ändern, ist mit der L-IZ und den Kooperationen längst gemacht: Im Wortsinne nachhal-tig, da in einem wachsenden Archiv jederzeit prüfbar. Denn wir sind auch aktuelle Chronisten unserer Stadt. Was uns bis heute auch in den Freundschaften mit der 3VIERTEL, den jungen Kollegen vom Weltnest vor Ort und weiteren Partnern in Jena, Dresden, Rostock und Halle trägt, ist immer noch die Grundlage des nachvoll-ziehbaren Journalismus vor Ort.

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Wir schreiben das Jahr 2014. In Leipzig wird es ab sofort ein Printmedium weniger geben. 3VIERTEL beendet hiermit seine Publikationstätigkeit und beendet damit auch ein Projekt

des kostenlosen Journalismus in Leipzig.

Wir haben 50 Ausgaben in monatlicher Erscheinungs-weise herausgegeben, dem Leser ein wertvolles jedoch kos-tenloses Produkt angeboten, welches über Anzeigen die Gelder für den Druck, die Verteilung, und die Redaktions-kosten erwirtschaftet hat. Damit haben wir mehr erreicht als vielleicht zu erwarten war, doch stoßen wir nunmehr seit einiger Zeit an unsere Grenzen, denn der Rahmen für den Journalismus, den wir uns wünschen zu produzieren, setzt mehr gute Journalisten voraus, die wir auch angemes-sen finanzieren wollen. Damit kommen wir zum Kernthe-ma: Geld. Der flüchtige Wechselstoff, vor geraumer Zeit erfunden, um Investitionen zu ermöglichen, ist der Stoff, der in dem Kreislauf unserer Wertschöpfungskette leider fehlt. Der Anzeigenmarkt ist Vergangenheit und kein Fi-nanzierungsgarant für Journalismus.

Seit geraumer Zeit finden wir, 3VIERTEL, die Leipzi-ger Internetzeitung und das Weltnest, zusammen, um über die Zukunft der Leipziger Medienlandschaft abseits der einzigen Tageszeitung zu beraten. Gefunden wurden viele Fragen, manche Antworten und einige Anregungen zum Handeln. Seit einiger Zeit haben wir angefangen zu handeln. 3VIERTEL veröffentlicht Artikel auf der Leipziger Internetzeitung, die Leipziger Internetzeitung im Gegenzug bei 3VIERTEL, wir haben auch schon Anzeigen- und Wer-begelder gemeinsam eingespielt und untereinander verteilt, alles auf der Basis eines gewachsenen Vertrauens und eines gemeinsamen Verständnisses dafür, dass wir nur gemeinsam vorankommen können.

DAS ENDE Vom Ende.

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BLICK IN DIE GLASKUGEL Die Zukunft des lokalen Journalismus.

Gefragt nach der Zukunft des (hyper-)lokalen Journalismus kann meine Ant-wort nur lauten: „Die kennt niemand – auch ich nicht.“ Aber ich will mich nicht drücken und zwei weitergehende Fragen aufwerfen: Was genau hat sich

eigentlich in den vergangenen – sagen wir 15 – Jahren verändert, wenn wir vom Lokaljournalismus sprechen? Und: Welche Prämissen, die heute die Diskussion prä-gen, müssen hinterfragt werden?

Zur Beantwortung der ersten Frage müssen einige Grundlinien der Medienentwicklung skizziert werden: Seit Anfang dieses Jahrhunderts werden ausnahmslos alle journalistischen Informationen digitalisiert; man kann sie also ohne größeren Aufwand jenseits von Print über beliebige andere Kanäle verteilen.

Mobile Endgeräte aller Art – bis hin zu Wearables wie der iWatch oder der Google-Brille – ermöglichen, dass zielgerichtete Kommunikation von Individuen un-tereinander bzw. mit Organisationen und Unternehmen jederzeit und an allen Orten möglich ist. Durch das Cloud Computing werden Smartphones, Ta-blets oder Datenbrillen zu Supercomputern, mit denen der Nutzer orts- und zeitunabhängig nicht nur Informa-tionen abrufen kann, sondern auch Dinge wie Preisver-gleiche oder den Einkauf von Eintrittskarten erledigen kann.

Diese Entwicklungen hatten bzw. haben für die klas-sischen Lokal- und Regionalzeitungen zweierlei Folgen. Erstens: Für Menschen unter 35 ist dieser Zeitungstyp – ob als gedruckte Zeitung oder als Zeitungswebsite – irrelevant geworden. Diese Altersgrenze schiebt sich mit den Alterskohorten nach oben. Reichweite und Lesein-tensität nehmen in allen Altersgruppen ab.

3 AUSGABE L

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Westwerk Leipzig

Karl-Heine-Straße 93

04229 Leipzig

0341 - 33 11 774

[email protected]

www.3viertel.de

Herausgeber Cesare Stercken

Chefredakteur: Moritz Arand

Lektorat: Juliane Gall

Redakteure: Oscar Adlerhut, Moritz Arand,

Michael Freitag, Michael Geffken, Pauli Grünbaum,

Christin Pomplitz, Cesare Stercken, Vanessa Wolf

Website: Matthias Basan, Pixeldepartment

Bilder: Ildiko Sebestyen Photographie

Druckerei: Bechtle Verlag & Druck

Auflage: 10.000 Exemplare

Erscheinungsw.: monatlich, freie Verteilung

Für unverlangt eingesendete Manuskripte übernehmen wir keine Verantwortung !!!

IMPRESSUM

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

es ist so weit. 3VIERTEL vollendet sich. Wie das geht? Ganz einfach: wir hören auf!

Das überrascht Sie? Das können wir verstehen. Des-halb eine kurze Skizze unserer Entscheidung, Ihnen et-was zu nehmen, was Ihnen womöglich ans Herz gewach-sen ist.

3VIERTEL ist über die Jahre hinweg zu einem Medi-um lokaler Berichterstattung geworden, das in der Lage war, ein Vakuum zu füllen, das im Zuge der selbstver-schuldeten Krise des Journalismus entstand und das die Redaktionen immer weniger im Stande waren zu füllen. Das, was die Leserschaft in ihrem Leben direkt angeht, ging mehr und mehr verloren. Diese Nische haben nicht nur wir genutzt. Dabei haben wir immer versucht, da-rauf zu achten, im Besonderen das Allgemeine nicht aus den Augen zu verlieren - und umgekehrt. Der Auf-wand, der dabei betrieben wurde, stand zu keinem Zeit-punkt im Verhältnis zum Ertrag. Die Selbstausbeutung ist immer auch Garant für Fremdausbeutung gewesen. Wer die prekären Zustände allerdings als Produkt der Freiheit zurechtlügt, verkauft das Scheitern als Erfolg.

Das soll natürlich nicht heißen, dass wir auf ganzer Linie versagt haben. Im Gegenteil: Die Grenzen des For-mats sind erreicht. Die Grenzen der Ausbeutung längst überschritten. Wenn die Nischen zu eng werden, liegt das nicht daran, dass die Wände näher kommen, son-dern daran, dass man sich des geringen Platzes, der immer schon gering war, erst jetzt bewusst wird. Es ist ein wenig wie mit den kindlichen Erinnerungen: Was uns in unserer Erinnerung so riesengroß erhalten bleibt, erweist sich im Hier als minder groß. Das ist dem einfa-chen Umstand geschuldet, dass wir damals kleiner wa-ren und die Welt uns groß erschien.

Was wir hier tun, tun wir allerdings nicht aus Frust, obschon in manchen Momenten viel davon dabei war. Wir gehen diesen Schritt aus Überzeugung und vor al-

lem, weil es die einzig richtige, zu vertretende Konse-quenz ist. Wir könnten noch über Jahre hinweg das La-mento unserer Misere mantra-artig vor uns hertreiben. Die Freiheit zum Ende erleichtert und adelt die Tat.

Wer wie wir bereit ist, die richtigen Schlüsse zu ziehen, der wird einsehen, dass es nur so wird gehen können, dass dieser Verlust auch geben kann und wird. Kritik ist immer schon Teil des anderen Tuns, ist es aber noch nicht selbst. Als notwendige Bedingung der Möglichkeit des Anderen wäre sie als reiner Selbstzweck Totengräber der Zukunft. Kühnes Beginnen ist halbes Gewinnen, hat Heine dereinst gedichtet. Deshalb frisch zur Tat. Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag! Und weil dieses Blatt immer auch Heimstelle und Spielraum für Utopien war, lassen wir es uns nicht neh-men, Ihnen den Vorschein eines neuen Noch-Nicht-Ortes aufleuchten zu lassen.

Eine neue Zeitung muss her!

Ich spreche von einer Wochenzeitung für ganz Leip-zig, die am Ende vielleicht für ganz Mitteldeutschland sprechen kann. Die LEIPZIGER ZEITUNG wird mit die-sem Anspruch das Medienangebot Leipzigs in wesentli-chen Punkten ergänzen und bereichern. Lesen Sie dazu unbedingt die Seiten vier bis fünf. Dazu bedarf es neuer Mitspieler, die bereits im schwankenden Kahn auf hoher See sitzen und dort vorgestellt werden.

Der Kreuzer gehört allerdings nicht dazu. Dort ist man immer noch – ob versteckt ironisch wegen des ei-genen Versagens oder schlichtweg aus purer Arroganz – der Meinung, ein Alleinstellungsmerkmal zu besitzen. Schade! Und doch hat uns Andreas Raabe (Chefredak-teur des Kreuzers) auf Seite 11 einige Fragen beantwor-tet.

Nebenbei: Der Chefredakteur der einzigen Leipziger Tageszeitung stand uns für ein Interview zur Frage nach der Zukunft des lokalen Journalismus nicht zur Verfü-gung. Befragt nach dem Zustand der LVZ, wiegelten An-gestellte der Journaille mit dem Kommentar ab, man würde sie kündigen, wenn sie alles kundgeben würden, was dort vor sich geht. Die Bild-Zeitung hat auf unsere Anfrage erst gar nicht reagiert.

Neben einem Text von Michael Geffken (Leipzig School of Media) versammelt die letzte Ausgabe ganz im Sinne des Abschieds und des Aufbruchs Diverses. Adlerhut präsentiert in gewohnter Manier strukturell- antisemitische Strukturen im Fußball. Grünbaum kom-mentiert die Debatte um die Sterbehilfe und fragt nach dem Begriff der Würde. Frau Wolf beschäftigt sich mit der Journalistenausbildung an der Universität Leipzig, auch Nietzsches Journalismuskritik in ihrer Zeitlosigkeit findet Platz und es gibt sogar ein Gedicht.

Was bleibt noch zu sagen? Vielleicht kommt dadurch, dass wir Ihnen etwas wegnehmen, was nicht Wenigen zur Gewohnheit geworden ist, etwas in Gang, das ein Bewusstsein dafür schafft, was Journalismus ist und wie dieser funktionieren kann. Denn eins muss unmiss-verständlich klar sein: Journalismus, so wie wir ihn ver-stehen, kostet in erster Linie Geld – unabhängig von dem Willen, will sagen dem Drang etwas in die Welt zu stellen, das durch keinen Gegenwert abgegolten werden kann. Das, was wir hier machen, ist Arbeit. Diese tun wir gern. Aber nicht um ihrer selbst willen. Deshalb müssen auch Sie sich fragen: Was sind Informationen Ihnen wert?

Wenn Sie sich jetzt enttäuscht fühlen, dann werten Sie dieses Gefühl doch bitte positiv um. Sie sind nicht mehr getäuscht! Sie sehen jetzt klarer!

Im Namen der gesamten Redaktion danken wir unseren Leserinnen und Lesern, unseren Anzeigen-kunden und wünschen uns ein baldiges Wiedersehen im neuen Jahr!

Herzlichst Ihr Moritz Arand

OPTIK WEISSLindenauer Markt 904177 Leipzig

Tel.: 47 84 10 [email protected]

3 AUSGABE L

10 JAHRE MEDIENIm Netz, im Print, in Leipzig. VON MICHAEL FREITAG

Online kehrt zurück zur gedruckten Zeitung?

Nicht nur das – auch im Netz werden wir uns erneut und stetig weiter wandeln. Hier, wie auch im Printbe-reich beginnt gerade erst, was man eine echte Metamor-phose vom Beobachter zum kommunizierenden Begleiter der Mitmenschen nennen könnte. Denn das Netz ist dia-logisch aufgebaut, eine ständige Wechselbeziehung zwi-schen Sender und Empfänger, zwischen Journalist und Leser. Warum sollte eine gedruckte Zeitung das nicht auch können?

Genau deshalb werden auch wir Journalisten wieder das Spielen lernen müssen, wie alle, die zukünftig zum Nachdenken oder eben Wegbegleiter ihrer Leser sein wollen. Dies beinhaltet neben Berichterstattung auch das Vorstellen von wirtschaftlichen und gesellschaftli-chen Innovationen in der Region, ihre Unterstützung und nachhaltige, kritische Flankierung. So wie wir auch die ersten Jahre in der L-IZ begonnen haben, ist es nun an der Zeit, dies gemeinsam mit Partnern in Form einer Wochenzeitung zu versuchen.

Denn, und das ist einer der Auslöser: in den vergange-nen 10 Jahren ist viel passiert, im Netz, in der Branche, in Leipzig. Und vieles hat noch nicht stattgefunden. Der Übergang zum Netzkaufmedium beginnt. Und gedruckte Kostenloszeitungen werden ebenso verschwinden, wie die gedruckten Tageszeitungen mit ihren Abonnenten sterben und sich in Wochenperiodika wandeln werden.

Die Ausgangslagen

Jahrelang haben im ganzen Land Journalisten und vor allem Leser wider besseren Wissens geglaubt, es würde irgendwie doch gut gehen mit dem Geld verdie-nen in diesem Internet. Wegen der unendlichen Reich-weiten würden die Wirtschaftsunternehmen sicher viel Geld zahlen, um ihre unzähligen Neukunden im Netz zu erreichen.

Um uns herum verharrten in dieser Zeit viele Journa-listen in einer Art Angststarre. Die Hoffnung vieler war bis vor zwei Jahren, dass die lohnknausrigen Verleger das Problem schon lösen würden. Es galt fast als schick, sich gegeneinander zu positionieren: Verlag gegen Jour-nalisten und umgekehrt. Und oft ging dieser Kampf zu Lasten des Lesers.

Darauf, dass es nun die Verleger lösen, warten einige noch bis heute und übersehen, dass sie die Verleger nicht mehr brauchen – wenn sie bereit sind, sich mit anderen zusammenzuschließen und sich als ein Team zu verste-hen. Das haben wir bei der Leipziger Internet Zeitung erfolgreich und wenn auch wenig, so doch Geld verdie-nend getan und werden es nun auch im Printbereich gemeinsam mit anderen Journalisten fortsetzen.

Auf einmal steht das für immer mehr auch sichtbar auf der Agenda, was uns vor 10 Jahren vielleicht nicht grundlos in Leipzig als erster Stadt in Deutschland be-wegte: die Demokratie braucht freie Medien und eben-so freie Journalisten. Das jedoch ist etwas, was private Medienkonzerne letztlich nicht interessiert. Private Me-dien geben sich oft selbst wie die Unternehmen, welchen sie die Leviten lesen und die sie kontrollieren müssten. Dabei haben sie sich von unternehmerischen, journalis-tisch angetriebenen Häusern in Aktionärsgesellschaften transformiert, die selbst ausbeutend stickige Strukturen erhalten.

Vielleicht sind auch deshalb viele von ihnen gravie-renden Irrtümern aufgesessen. Sie ersticken an ihren eigenen Hierarchien und haben sich bislang statt innova-

tiven Ideen lieber dem Protektionismus und der Markt-bereinigung durch Aufkauf oder Niederschlagung zuge-wandt. An die Beteiligung ihrer eigenen Journalisten als Teilhaber an anwachsenden Archivwerten und letztlich mediale Zeitchroniken haben unzählige Medienhäuser bis heute nicht einmal gedacht. Oft auch, weil nach wie vor die alten Kapitäne oder ihre übrig gebliebenen Frau-en die Häuser führen und dies wie in den Zeiten der Deutschland AG versuchen. Machterhalt um der Macht wegen ist im Vorstellungsgespräch auf einen neuen Job in diesen Kreisen noch immer omnipräsent.

Die Auswirkungen

Was schon in anderen Branchen Duckmäusertum und Angepasstheit fördert, ist für die Kreativität und den freien Geist einer Handwerksgilde namens Journa-listen tödlich.

Von Geschäftsführern, nicht von Unternehmern, geführte Zeitungszombies diktieren die Landschaft mit marginalen Veränderungen und fehlender Erneue-rungskraft. Den Rest der Innovation, deren Ursprung nicht in Deutschland zu suchen ist, erlegen die Chefre-dakteure im Blattschuss, weil sie längst öfter bei der Geschäftsleitung ihrer schrumpfenden Blätter sitzen oder sich lieber in etablierten Zirkeln herumtreiben, als auf der Straße mit Menschen zu sprechen. Aber wo soll Mut herkommen, wenn die Angst vor der Entlas-sung die Zeilen vieler diktiert?

Nebentöne

Immer öfter kann man beobachten, dass kritische Medien von Werbekunden gemieden werden. Sie holen ihre Käufer lieber im Zustand der maximalen Ablen-kung ab. Der „Freizeituser“ kauft mehr als der kriti-sche Leser mit dem dominierenden Wunsch nach In-formation. Information ist also nicht unbedingt der Freund der Werbung.

So entsteht ein mehrfach sinnloser Wettstreit zwi-schen den Netzriesen und Regionalmedien, bei wel-chem die Verlierer natürlich längst feststehen, ginge es nur um Reichweiten und Verfügbarkeit von willi-gen Konsumenten. Darüber hinaus zahlen Verlage, wie die Mitteldeutsche Online Medien (L-IZ) oder die 3VIERTEL und andere da Steuern, wo sie tätig sind. Vor Ort, in Leipzig, und das zu Konditionen, bei wel-chen jeder Google-Manager sofort gefeuert werden wür-de. Nicht, weil in Leipzig etwa die Intelligenz fehlte, es anders zu regeln, sondern weil es regionale Unterneh-men sind, die eine Heimat und eine Basis haben. Und diese erhalten und mitgestalten wollen.

Support your local Writer

Genau da wollen wir, die L-IZ und weitere Partner und Journalisten in Leipzig nun hin. Ohne die Leser ist dies nicht zu schaffen, sie werden zukünftig immer stärker mitbestimmen, wer den Auftrag erhält, für sie Informationen zu sammeln, zu gewichten und zu be-schreiben. Die Leser werden sich entscheiden müssen, was sie wollen: Dass ein Mensch seine Zeit darin in-vestiert, einer Frage wirklich auf den Grund zu gehen oder ob es bei flotten Beschreibungen an der Ober-fläche eines tiefen Sees belassen muss. Die Anfällig-keit für Journalisten sich sonst aufgrund von Zeitnot und schwankenden Einnahmen korrumpieren zu las-sen oder gleich in die PR-Agentur zu wechseln, steigt immer weiter an. Die Leser werden also entscheiden können, was sie wollen.

Der Preis für diese Mitbestimmung wird in Euro gemessen, nicht mehr in unendlichen Reichweiten des Netzes und der Hoffnung darauf, dass irgendwann ein

sehr wackliges Geschäftsmodell „Werbung“ ausgerech-net im Netz funktioniert, was es so in der Medienbran-che noch nie gab.

Eine Refinanzierung von Journalismus durch eine einseitige Ausrichtung auf Werbeeinnahmen bringt etwas mit sich, was auch die Leser unruhig machen sollte, welche auf freie Informationslagen mit dem An-spruch auf Wahrheit, Relevanz und Glaubwürdigkeit achten. Solange die Leser nicht Teil der Refinanzie-rung sind, wird mindestens eine Ahnung bleiben, dass ein Artikel im Netz oder einer kostenfreien Wochen-zeitung eben nicht so unabhängig ist, wie er sich gibt. Und er könnte damit richtig liegen.

Drei einfache Wahrheiten am Schluss

Um eine wirkliche Erneuerung zu erreichen, wel-che eine bessere Rückkehr zu etwas sehr Altem, eben dieser Mitfinanzierung durch Leser sein wird, müs-sen Leser wissen, was sie mit lokalem Journalismus eigentlich unterstützen. Die erste unumstößliche Wahr-heit des Journalismus ist: Jede Nachricht ist lokal. Sie hat einen Ort, an welchem sie sich ereignet, und eine Zeit, in der sie stattfindet, Wirkungen hinterlässt, Entwicklungen bedingt. Die zweite außer Diskussion stehende Wahrheit: Ohne dass sich ein möglichst vor-urteilsfreier, aufnahmefähiger und nicht ganz dummer Zeitgenosse Zeit dafür nimmt, dies alles vor Ort zu dokumentieren, zu filmen, zu (be)schreiben und so für die Menschen erfahrbar zu machen, existiert keine va-lide Information für sehr viele Andere.

Denn die, welche zum Zeitpunkt des Ereignisses ei-ner anderen Tätigkeit nachgingen – also wortwörtlich und für ihre Erwerbsarbeit an einem anderen Ort wa-ren –, werden statt einer Information mit Gerüchten vorliebnehmen müssen, mit Halbwahrheiten, wie sie heute schon zu Millionen im Netz kursieren.

Die dritte Wahrheit hat ihre Wirkung in den Medien längst entfaltet: Die Zeit fehlt. Die Wirkungen sind unübersehbar. Gleiche Meldungen Tag um Tag in allen Medien, die Dominanz der Presseagenturen wie dpa und Reuters, in welche sich viele Ex-Journalisten flüchteten, wächst. Viele Medien sind längst selbst durch starke Lobbygruppen lenkbar geworden und fallen Tag für Tag zum Beispiel auf die immer gleichen Ökonomen, Experten und Studienmacher herein. Dies geschieht auch den besten Journalisten, wenn sie eben für Nachfragen oder gar eine Umgebungsrecherche kei-ne Zeit mehr haben.

Die Leser merken genau das und sie haben Recht, wenn sie sich über ähnliche Wortlaute in vielen Netz-zeitungen wundern. Oder gar konstatieren: Gewisse Meinungen und Perspektiven, welche oft auch etwas mit der Sozialisation, einer von Stadt zu Stadt unter-schiedlichen Gesellschaft und regionalen Einflüssen bedingt sind, finden medial überhaupt nicht statt.

Fortsetzung von Seite 1:

Eine neue Zeitung

ist möglich.www.leipzigerzeitung.net

Auf dieser Internetseite finden Sieab sofort regelmäßig Informationenzu dem neuen gemeinschaftlichen

Projekt von 3VIERTEL, Leipziger Internetzeitung

und Weltnest.

Wenn in Leipzig viele kleinere engagierte Projekte ne-beneinander und unabhängig voneinander sich von der großen Tageszeitung an die Wand fahren lassen, dann ist das zwar ein idealistischer Grabenkampf, aber keine wirkliche Alternative einer Zukunft für Journalisten in Leipzig.

Nun sind wir in unseren gemeinsamen Gesprächen an dem Punkt, dass wir Wege suchen, unsere Visionen um-setzen zu können. 3VIERTEL wird zunächst seine Print-publikationstätigkeit einstellen, um an der Entwicklung einer Wochenzeitung zu arbeiten. Denn die eine Not-wendigkeit, ein Finanzierungsmodell auf die Beine zu stellen, geht Hand in Hand damit, eine schlagkräftige Truppe zusammenzutrommeln, die sich dem Scheinrie-sen LVZ stellen mag.

Die neue Wochenzeitung

Wir wollen eine Wochenzeitung für Leipzig, eine echte Alternative, sich zu informieren, und damit den lokalen Dialog der Menschen zu lokalen Themen fördern. Die LEIPZIGER ZEITUNG soll eine unabhängige, vom Leser finanzierte Wochenzeitung sein, die abonniert werden kann. Die LEIPZIGER ZEITUNG braucht dafür 12.000 Leser, die uns abonnieren und damit eine Bürgerbewe-gung hin zu bezahlbarem Journalismus ins Leben rufen. Werden Sie aktiv und unterstützen Sie die Medienviel-falt in Leipzig.

www.leipzigerzeitung.net

Um Ihnen unsere gemeinsame Arbeit etwas transparen-ter zu machen, präsentieren wir den internen Dialog nun einmal öffentlich:

Warum arbeiten wir (Leipziger Internetzeitung, Weltnest und 3VIERTEL) zusammen?

Nils Schmidt (Weltnest): Alle drei Medien werden von Menschen aus Leipzig gemacht, die ein echtes Interesse an der Stadt haben. Alle drei Medien wurden von en-gagierten Bürgern gegründet und stehen für die Fort-schreibung einer Leipziger Tradition, sich selbst in das Stadtgeschehen einzumischen. Und vor allem: die Leipzi-ger Internetzeitung ist eine weit verbreitete Online-Zei-tung und eine der wichtigsten Quellen in dieser Stadt, 3VIERTEL ein mit Sorgfalt und guter Schreibe erstell-tes Printprodukt und Weltnest ein meinungsbetonter Blog, der Debatten anstoßen und unterhalten will. Die drei Medienangebote sind für Leser komplementär und tun etwas für die Medienvielfalt in dieser Stadt - darum macht eine Zusammenarbeit Sinn.

Moritz Arand (3VIERTEL): In Leipzig herrscht offen-kundig ein Ungleichgewicht in der Machtverteilung des Medienangebots. Die einzige Tageszeitung ist am Ende, selbst die Bild Leipzig ist in vielen Belangen besser. Und

doch gibt es in dieser Stadt viele Alternativen, die nur wenig berücksichtigt werden, schon allein deswegen, weil diese Alternativen keine oder nur sehr geringe wirtschaftliche Potenz mitbringen, die auf dem Markt benötigt wird. Aus diesem Grund müssen sich Formate jenseits der Leitmedien zusammenschließen, um in der Bündelung von Kompetenzen, Erfahrungen und Ideen mächtig zu werden - soll heißen, einen relevanten Gegen-pol zur Medienöffentlichkeit darzustellen.

Robert Dobschütz (Leipziger Internetzeitung): Wir alle leben in einer Stadt, wir alle wollen verschiedene Arten von Journalismus ausprobieren und dies in allen Spielarten. Egal ob Video, Audio, Netzradio, gedruckte Zeitung oder der Alltag eines Bild- und Textbeitrages im Netz. Und wir alle stehen über alle Medienarten hinweg der gleichen noch unbeantworteten Frage gegenüber: Wie ist journalistische Arbeit auch zukünftig bezahlbar?

Konkurrenz zwischen den Genannten und auch nicht Genannten besteht dabei nur auf dem Gebiet der (Ge-schäfts)Ideen in einer gleichlautenden Umgebung na-mens Leipzig. Was es sinnvoll macht, diese intern zu teilen, voranzutreiben und so manchen Schritt gleich ge-meinsam zu gehen. Die Lösung besteht dabei darin, das Teilen von Ideen mit dem Teilen von erzielten ideellen und finanziellen Ergebnissen zu verbinden. Hier endet die Konkurrenz und wird durch Vertrauen und gemein-sames Handeln ersetzt.

Die Begründungen dazu sind einfach: Will man die Komplexität einer Stadt wirklich abbilden, ist die Sum-me immer mehr als nur das Ergebnis ihrer Teile. Das Verstehen setzt immer genau dann ein, wenn die Pros und Contras eines Themas zu Tage gefördert wurden und das Resultat in Beziehung zu seiner Umgebung, wie wirtschaftliche Entwicklung, Politik und Gesellschaft ge-setzt wurde. Ein weiterer Grund ist das Verhalten von scheinbaren Monopolisten, welche bei den Innovationen zwar lang-sam sind, jedoch vor allem eines besitzen: die finanziel-len Mittel, die neuen Ideen einer Stadt aufzusaugen und als ihre eigenen zu präsentieren. Es geht also auch um den Schutz eigener Ideen.

Cesare Stercken (3VIERTREL): Mit vereinten Kräf-ten und frei von Konkurrenzgehabe sehen wir im ge-meinsamen Handeln die Chance, in Leipzig etwas zu bewegen. Und statt verschiedene Projekte nebeneinan-der im Nischendasein vertrocknen zu lassen, wollen wir die große Gießkanne holen, den Samen zu sähen, eine neue Medienlandschaft in Leipzig zu begründen. Ja, wir sind in gewisser Weise auch alle etwas wahnsinnig, aber wer Großes erreichen will, sollte nicht klein anfangen zu denken.

Was wollen wir mit unserer Zusammenarbeit er-reichen?

Nils Schmidt (Weltnest): Wir wollen unsere Kompe-tenzen in den Bereichen Redaktion, Lesermanagement, Print, Social Media und Marketing bündeln, gemeinsa-me Projekte angehen und Leipziger Themen aus mehr Perspektiven recherchieren und beschreiben. Dabei wer-den wir unser eigenes Profil behalten und den Stil und die Inhalte bieten, für die uns unsere Leser schätzen. Journalismus als lokalgesellschaftlicher Faktor ist für uns zudem unerlässlich für die demokratische Willens-bildung in Leipzig und wir wollen diese durch unsere Ko-

operation fördern, wo wir nur können. Alle drei Medien haben außerdem auch Werbepartner, die von der Zusam-menarbeit und steigender Reichweite profitieren werden.

Moritz Arand (3VIERTEL): Wir wollen eine Stellung in Leipzig einnehmen, die der Übermacht der Monopolis-ten die Allmachtsphantasien streitig macht, und damit aktiv in städtische Prozesse aufklärend eingreifen. Aber: Wer führen will, muss sich zuallererst selber führen kön-nen. Deswegen wird es wichtig sein, genau zu reflektie-ren, wo Chancen und Grenzen der vielen Anliegen zu finden sind, was Journalismus heißt, wie die Leipziger Journalismuslandschaft zu dem werden konnte, was sie heute ist. In diesem Sinne sind wir das Glied einer lan-gen Kette, deren Glieder nur lösen kann, wer erkannt hat, wo sie geschmiedet wurden.

Robert Dobschütz (Leipziger Internetzeitung): Es geht um die Bezahlung einer handwerklichen Arbeit, welche sich simpel tituliert Lokaljournalismus nennt. Dieser hat drei Eigenschaften: er ist „dreckig, teuer und transparent“. All dies gilt es zu erhalten und gemeinsam auch mit den Leipzigern auszubauen. Es muss also das Ziel blei-ben, auch Informationen, welche entweder übersehen werden oder in anderen lokalen Medien sogar bewusst nicht stattfinden, weiteren Raum zu verschaffen, eine Bühne zu bieten, wo sie gehört werden können.

Cesare Stercken (3VIERTEL): Das Ziel, eine Wochen-zeitung in Leipzig zu etablieren, setzt die nötigen Kräf-te dafür voraus, diese setzen wir maximal gemeinsam frei. Wir werden sicherlich nicht überall mit dieser Idee mit offenen Armen empfangen. Als Einzelne haben wir gemeinsam den Stein ins Rollen gebracht, nun sollten wir gemeinsam aufpassen, dass wir damit auch die ge-wünschten Ziele erreichen.

Warum braucht es in Leipzig eine Wochenzeitung?

Nils Schmidt (Weltnest): Das Leseverhalten von Men-schen verändert sich, viele haben immer weniger Zeit für die Tageszeitung und bestellen ihre Abos ab. Gleichzeitig wird diese immer inaktueller, da reine Nachrichten heut-zutage online einfach besser funktionieren. Viele Leser verlangen dennoch nach mehr Qualität, Einordnung lo-kaler Themen und Relevanz für ihren Alltag. All das kann eine Wochenzeitung wunderbar leisten, außerdem ist sie ein Stück Lesegenuss in unserer schnelllebigen Zeit. Sie kann sich auf wichtige Themen fokussieren, wo eine Tageszeitung alles abdecken will. In anderen Städ-ten wie Dresden wird dieses Thema bereits in der Praxis von Verlagen realisiert. Leipzig steht hier mit seinem monopolistischen Medienmarkt aktuell leider noch hin-ten an.

5 AUSGABE L

4DAS ENDE

Vom Ende.

VON CESARE STERCKEN

Fortsetzung von Seite 1:

Zweitens: Die Werbeeinahmen der Verlage sinken dra-matisch. Die Rubrikenanzeigen (Auto, Jobs, Wohnungen) haben sich fast völlig aus der Zeitung verabschiedet, ebenso die Markenartikelanzeigen. Auch lokaler Handel, Handwerker und Dienstleister wandern zunehmend ins Internet ab. Resultat: Sparmaßnahmen in vielen Verla-gen mit bösen Folgen für die redaktionelle Qualität – mitsamt weiteren Leser-Verlusten.

Die zweite Frage – Welche Prämissen müssen hin-terfragt werden? – führt in einer strukturkonservativen Branche wie der Medienbranche naturgemäß zu heftigen Scharmützeln zwischen den beiden beteiligten Lagern: Die Früher-war-alles-besser-Fraktion kämpft gegen die Digital-Fraktion.

Für die Früher-war-alles-besser-Fraktion ist klar: Jün-gere Mediennutzer bedienen sich heutzutage nur noch zufällig statt regelmäßig professioneller journalistischer Nachrichtenquellen, um sich über das lokale Umfeld zu informieren. Wer ist schuld? Das Internet. Befürchtete Folge: Politische Ignoranz und gesellschaftliches Des-interesse breiten sich aus, Nutzer können nicht mehr zwischen professionell-journalistischen und nichtprofes-sionellen Medienangeboten unterscheiden.

Die Digital-Fraktion setzt auf das Prinzip Hoffnung: Für den Fall, dass es keine Lokalzeitungen mehr geben sollte, glaubt man an eine Art Selbstregulierung der öf-fentlichen Kommunikation. Die Prognose: Wenn es eine (lokale) Information gibt, die wichtig ist, so wird diese den Nutzer schon finden – via Social Media, via hyperlo-kale Blogs, Schwarmintelligenz eben…

Beide Fraktionen können ihre Behauptungen nicht sonderlich gut belegen. Umfassende Untersuchungen zu diesen Themenfeldern gibt es nicht, die einschlägigen Studien sind oft von den Interessen der jeweiligen Auf-traggeber geleitet und führen in der Regel zu ebenso banalen wie allgemeinen Ergebnissen: „Junge Leute le-sen weiterhin gerne Zeitschriften.“ Oder: „Die Politikver-drossenheit wächst.“

Man weiß schlicht nicht, was Nutzer im Angesicht ei-ner dramatisch sich verändernden (Medien-)Welt wollen – und wahrscheinlich kann man es in einer so dynami-schen Situation auch gar nicht wissen. Wir beobachten im Augenblick ein großangelegtes gesellschaftliches Ex-

periment. Die Fragen lauten: Wie werden sich Menschen in der Zukunft darüber informieren, was in ihrem loka-len Umfeld geschieht? Und: Wer liefert diesen Menschen den Input und die Plattformen für die im lokalen Umfeld nötigen Diskussionen und Diskurse?

Sicher ist, dass die Lokal-Berichterstattung der pro-fessionellen Medien in den letzten Jahren begonnen hat, sich aus der Fläche zurückzuziehen; die weißen Flecken auf der journalistischen Landkarte werden größer. Lo-kalredaktionen werden geschlossen, die Stadtteilbericht-erstattung minimiert, manche Zeitungen verschwinden ganz.

In diese Lücke sind in den vergangenen Jahren In-itiativen und Projekte gestoßen, die neue Formen und Formate des Lokaljournalismus entwickelt haben. In Leipzig sind das z. B. neben der fast schon klassischen Stadt(teil)Zeitung 3VIERTEL mit ihrer leider nicht sehr aufregenden Website – die Leipziger Internet Zeitung (www.l-iz.de) oder das Weltnest-Blog (www.weltnest.de).

Die Leipziger Internet Zeitung versucht, die klassi-sche Lokalzeitung – samt aller Inhalte inklusive Kultur und Sport – ins Netz zu transferieren und somit eine Alternative zum Monopol der Leipziger Volkszeitung zu bieten. Weltnest hat keinen umfassenden Informations-anspruch, ist eher Diskussionsplattform für ausgewählte Themen und Zielgruppen.

Alle drei Projekte sind – auf sehr unterschiedliche Weise – gut gemacht. Sind sie aber schon ein Beleg da-für, dass sich in Leipzig eine in der Zusammenschau befriedigende Alternative zur Leipziger Volkszeitung entwickelt hat – oder gar ein Ersatz? Ich glaube das (noch) nicht. Dafür sind die redaktionellen Ressourcen der Projekte zu gering, ist die Finanzierung zu prekär, sind die Zielgruppen zu speziell.

Diese Einschätzung verweist auf ein Problem, das auch die klassischen Medien haben (s.o.): Guter Jour-nalismus kann in digitalen Zeiten nur noch zu einem geringen Teil durch Werbeeinnahmen finanziert werden. Nutzer müssen also bereit sein, für guten Journalismus zu bezahlen.

Hat der (hyper-)lokale Journalismus also eine Zu-kunft? Ja, wenn er es uns – den Nutzern, Stadtteilbewoh-nern, Bürgern – wert ist.

Michael Geff-ken ist gelern-ter Lokaljour-nalist, war viele Jahre in leitenden Positionen für Zeitungen und Zeitschriften tätig und leitet heute die Leip-zig School of Media. www.leipzigschoolof-media.de.

5 AUSGABE L

BLICK IN DIE GLASKUGEL Die Zukunft des (hyper-)lokalen Journalismus.

VON MICHAEL GEFFKEN

Gegen den Drachen

Du lass dich nicht verwirrenvon bunter Wirklichkeit.

Gebiet dem Unrecht Einhalt, entgegen alter Einfalt,

im Hier und Jetzt sogleich.

Du lass dich nicht erschüttern von der Bequemlichkeit.

Wahrheit kann nie verbittern, und sollen wir auch zittern,

schon vor dem großen Streit.

Komm, lass dich nicht ablenken von deiner fremden Wut.

Was Meinungsmacher denken, für dich Skandale ranken, raubt dir den eigenen Mut.

Auch lass dich nicht verstören, bedrückt dich Einsamkeit,

die allzu fröhlich tönen, die jammern beim Entwöhnen,

in munt rer Heiserkeit.

Und lass dir nicht vorgaukeln, Freiheit sei ein Geschenk, sie täglich zu gebrauchen,

nicht an die Macht verkaufen, in Kriechspur und Gezänk.

Jens-Uwe Jopp

Fortsetzung von Seite 1:

Moritz Arand (3VIERTEL): Eine gedruckte Wochen-zeitung ist wichtig, weil diese die Ereignisse kompri-miert und verdichtet und als beruhigter Kommentar dem Trommelfeuer der digitalen Informationsflut kurie-rend zur Seite stellt, den jeder zunehmend nötig hat.

Robert Dobschütz (Leipziger Internetzeitung): Jede Stadt schreibt ihre eigene Chronik und viele werden da-rin vergessen. Mal, weil eine Obrigkeit einige ausspart, oder der Markt wie derzeit quasi monopolisiert ist. Dann fallen folglich in der Rückschau wichtige Zeitbewegun-gen unter den Tisch, weil zu wenige Quellen überliefert sind und auch diese immer eine Färbung, Weglassungen oder gar bewusste Verdrehungen in sich tragen. Mit ei-ner wirklich ernsthaft betriebenen Wochenzeitung kann man dies verhindern. Es existiert immer eine Art Meinungsmonopolisie-rung, wenn große Strukturen wie die der LVZ zentral und hierarchisch geleitet werden. Am Ende entscheidet dann doch der Chefredakteur, der Chef vom Dienst und

im Zweifel – natürlich nie wirklich – der Anzeigenkun-de oder die wichtigen „Umgebungsgeschäfte“ in solchen Strukturen über die Themensetzung. Da man dies glauben, vermuten und annehmen, aber natürlich schon aus juristischen Gründen nicht behaup-ten kann, hier eine einfache Frage, welche sich bewusst auf alle darin involvierten Zeitungen im Lande bezieht: Würde eine Regionalzeitung wirklich über Dumpinglöh-ne, soziale Verwerfungen und Ausbeutung im Post- und Zeitungszustelldiensten berichten, wenn sie selbst ei-nen betreibt? Was sie natürlich nicht wirklich tut, denn selbstredend ist dieser Zustelldienst juristisch eine ande-re Gesellschaft. Das Thema findet dennoch nicht statt. Hinzu kommt, dass eine regional monopolisierte Zei-tungslandschaft auch für die im Monopol arbeitenden Journalisten nicht sinnvoll ist. Sie werden Stück um Stück immun gegenüber Widersprüchen, müssen sozusa-gen einen inzestuösen Innendialog ohne öffentlichen Wi-derpart führen. Ein kritischer Dialog im Interesse einer

klugen Lösung ist also immer nur möglich, wenn ein we-nigstens gleichwertiges Gegenüber eine andere Meinung einbringt.

Cesare Stercken (3VIERTEL): Frei von dem Trieb nach Rendite, und frei in unserer Suche nach The-men, wäre die LEIPZIGER ZEITUNG eine aufklärende Schreibfeder und erfrischende Lektüre in der Leipziger Medienlandschaft. www.leipzigerzeitung.net

Bildquelle:

Leipzig School of Media

7 AUSGABE L

6ALMA MATER FÜR ANGEHENDE JOURNALISTEN

Die Universität Leipzig als Kaderschmiede. VANESSA WOLF

Das Wesen des Gerüchts, die Pyramiden-form der Nachricht, das Informations-freiheitsrecht, empirische und kognitive Darstellungsformen – das alles gehört zum Grundvokabular eines ausgebil-deten Journalisten. Prof. Dr. Marcus

Machill referiert darüber jeden Mittwoch ab 13.15 Uhr im Hörsaal 1 des Hauptgebäudes der Universität Leip-zig. Rund 30 junge engagierte Studierende versuchen ihm dabei zu folgen. Sie alle lassen sich an der Univer-sität Leipzig zu Journalisten ausbilden. Im Studiengang Journalistik werden sie in den wichtigen Bereichen wie Print, Hörfunk, Fernsehen und Onlinejournalismus auf den Beruf vorbereitet und können sich je nach Interesse spezialisieren.

Einzigartig in ganz Deutschland ist der Aufbau des Mas-ter-Studiengangs in Leipzig mit seiner Kombination aus Theorie und Praxis. Erst nach drei Jahren erhalten die Studierenden den Titel Master of Arts. Grund dafür ist das einjährige Volontariat, das an der Uni Leipzig ins Studium integriert ist. In Kooperation mit überregiona-len Medien wie dem MDR, der Deutschen Welle oder auch der taz will man dafür sorgen, dass jeder Studie-rende einen Volontariats-Platz bekommt. Da das Volonta-riat als Eingangstor in eine journalistische Karriere gilt, profitieren die Studierenden enorm von dieser Regelung.

Die Beliebtheit des Studiengangs schlägt sich alljähr-lich in den Bewerberzahlen nieder. Längst nicht jeder Bewerber bekommt einen Studienplatz. Zur Aufnahme

in das Journalistik-Studium bedarf es erst einmal ei-ner eingehenden Eignungsfeststellung. Die Lehrenden haben sehr konkrete Vorstellungen über die Vorkennt-nisse, die jeder Bewerber mitbringen soll. Insbesondere auf praktische Erfahrungen wird Wert gelegt. Die soll der angehende Student aber bitte nicht bei Hochschul- oder Bürgermedien, sondern bei professionellen Medien gesammelt haben. Erst wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, gibt es die Chance bei einem Auswahlgespräch zu brillieren und mit der eigenen Motivation, Informiert-heit, Urteilsfähigkeit sowie seinen sozialen Kompetenzen zu überzeugen. Beweist man dabei, dass man schon vie-les und vor allem mehr als andere kann, bekommt man einen Studienplatz. Eine nicht ungewöhnliche Praxis, die schon vor der eigentlichen Ausbildung selbstbewusstes Auftreten und hohe Leistungsbereitschaft abverlangt.

Prof. Dr. Marcel Machill, Leiter der Abteilung Journa-listik, suggeriert mit seinem Lebenslauf eine nicht enden wollende Leistungsbereitschaft. Die Liste seiner wissen-schaftlichen und journalistischen Auszeichnungen und Erfolge ist lang: „Professor Machill hält akademische Grade aus drei Ländern“, heißt es in seinem Internet-auftritt – einen davon hat er in Harvard erworben. Er ist vor allem für die Einführungs-Vorlesungen zustän-dig und scheint großen Wert darauf zu legen, dass auch die Qualität seiner jetzigen Arbeit mit den Studierenden öffentlich einsehbar ist. Ein umfassendes Archiv von Evaluationen seiner Lehrveranstaltungen der letzten zehn Jahre ist online, was durchaus ungewöhnlich ist im Universitätsbetrieb. Die Bewertungen von Studierenden zum Ende des Semesters sollen den Lehrenden nämlich vor allem helfen, ihre Veranstaltungen zu verbessern, auf Wünsche einzugehen und Probleme zu erkennen. Ma-chills Studenten haben ihn fast durchgängig gut bis sehr gut bewertet. Auf die Frage, wie oft sie seine Vorlesung besuchen, wurde in den meisten Fällen „immer“ geant-wortet.

In dieser wunderbaren Welt der lückenlosen Erfolge und immerwährender Vorbildlichkeit fällt der Medien-rummel um die „Causa Machill“ vor vier Jahren beson-ders auf. Prof. Machill hatte einen seiner Studenten we-gen Urheberrechtsverletzung verklagt. Deutschlandweite Medien wie die Süddeutsche Zeitung oder Spiegel on-line stürzten sich auf diesen Konflikt. Sie kritisierten Machill und seine Arbeit als Lehrbeauftragter stark. Es kamen Meinungen auf, die seine Arbeit als niveaulos und seine Person als unmenschlich und unbarmherzig beschrieben. Ein Lauffeuer von Beschwerden, Darstel-lungen und Gegendarstellungen entstand, das sich nur langsam beruhigte.

Ebenfalls kritisiert wurde der Einsatz von Prof. Wolf-gang Kenntemich als Honorarprofessor. Kenntemichs Lebenslauf steht insbesondere Machills wissenschaft-licher Vorzeige-Karriere inklusive Harvard-Abschluss diametral gegenüber. Der fast 70-jährige war Bild- Büroleiter und MDR-Redakteur. Er hat nicht einmal einen Hochschulabschluss, dafür aber bei der Entwicklung von Sendungen wie Brisant und MDR-Aktuell mitgewirkt. In Leipzig gibt er nun Seminare zur Entwicklung neuer Sendeformate.

Medialer Konservatismus und bürgerliche Konventionen statt Innovation

Seine Arbeit scheint jedoch, zumindest was die öffen-tlich zugänglichen Produkte der Studierenden angeht, nicht gefruchtet zu haben. Keine Spur lässt sich von neuen Sendeformaten im studentisch produzierten Magazin „Vierzehn09“ finden. Die im Internet frei ver-fügbare Nachrichtensendung der Journalistik-Studieren-den strotzt nur so vor medialem Konservatismus und bürgerlichen Konventionen. Im aktuellen Beitrag tritt eine Moderatorin um die 25 Jahre mit sauber zurechtge-legten Haaren und seriösem Blazer auf, um im typischen Nachrichten-Sing-Sang einen Beitrag zum Mindestlohn anzumoderieren. Ein Format, das selbst die Öffentlich-rechtlichen modernisiert und an den Zeitgeist angepasst haben, denkt man etwa an das neue tagesthemen-Studio.

Quereinsteigerberuf „Journalist“

Das Master-Studium Journalistik ist nicht die einzi-ge Möglichkeit, Journalist zu werden. Der „Journalist“ ist in Deutschland keine geschützte Berufsbezeichnung, sondern ein Tätigkeitsberuf. Verschiedene Ausbildungs-wege können deshalb zum Beruf des Journalisten füh-ren. Doch egal ob die Ausbildung an einer Journalis-tenschule, Universität oder direkt bei einer Zeitung erfolgt, immer sind die Bewerberzahlen viel höher als die vorhandenen Ausbildungsplätze. Auch wenn sich die Sphäre der Öffentlichkeit über die etablierten Medien hinaus auf soziale Netzwerke und Blogs erweitert hat, werden die Medien auch in Zukunft als Kontrollinstanz an Meinungsbildung und Wissensvermittlung teilhaben. Folglich stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien die Journalisten von morgen ausgewählt werden sollen, was sie können müssen und wer sie ausbildet, damit die Unabhängigkeit der Medien gefördert und vom Recht auf freie Meinungsäußerung auch zukünftig Gebrauch gemacht wird.

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9 AUSGABE L

8SKLAVEN DES ÖFFENTLICHEN GESCHMACKS

Nietzsches Journalismuskritik ist zeitlos gültig.

VON MORITZ ARAND

Dass Nietzsche Bücher geschrieben hat, weiß sogar mein Kind – weil ich es ihm gesagt habe. Dass Nietzsches Bücher zum Großteil in Leipzig verlegt wurden, wissen wahrscheinlich nur die, die in ihrem Germanistik- oder Philosophie-

studium mit der Publikationsgeschichte in Berührung gekommen sind.

Nun ist auch hinlänglich bekannt, dass Verlage nicht nur Bücher publizieren, sondern auch Tageszeitungen und andere Zeitschriften drucken und der Öffentlich-keit zuführen. Die, welche sich mit dem Geschäft der täglichen Nachrichten verdingen, nennt man Journalis-ten (oder auch Redakteure). Und gerade gegen diesen Berufsstand hegte der in Röcken geborene Autor des Zarathustras einen nicht unerheblichen Verdacht. Nicht nur die Person des „schreibfingrigen Sclaven“ war ihm verdächtig. Die Kritik des Journalistenwesens der dama-ligen Zeit ist im Kontext von Nietzsches Denken immer auch als eine Kritik der öffentlichen Meinung einer mo-dernen Gesellschaft zu verstehen, deren Pathologie er analysiert.

Nietzsche, so Kurt Baartz in seiner umfangreichen Studie zu einer Theorie der öffentlichen Meinung, ist der erste Philosoph gewesen, der sich eingehend mit dem Phänomen der Massenmedien beschäftigt hat. Die-se exponierte Stellung des an der Universität Leipzig studierten Philologen liegt in der Tatsache begründet, dass die Voraussetzungen für die Massenmedien sich damals erst formierten. Nietzsche erblickte 1844 am „Vorabend“ der Märzrevolution von 1848 das Licht der Welt. Im Zuge dieser Ereignisse kamen Entwicklungen in Gange, die auch Auswirkungen auf die Presse hatten. Neben der Senkung der Papierpreise, der Aufhebung der Zollschranken und der damit verbundenen Erleichterung des Vertriebs, kam es auch zu politischen Lockerungen der Zensur.

In der Paulskirchenverfassung (1854), die allerdings nie umgesetzt werden konnte, gab es keine Zensur mehr. Im Reichspreßgesetz von 1874 wurden Freiheitsrechte formuliert, die aber bereits 1878 durch die Sozialistenge-setze abgeschafft wurden. Bewegte Zeiten also, in denen der Sohn eines protestantischen Pfarrers aufwuchs. Das Aufblühen des Meinungsjournalismus konnte der junge Nietzsche hautnah mitverfolgen. Überall schossen Zei-tungen aus dem Boden. Lebhaft muss sich Nietzsche an seine Tante Rosalie erinnert haben, die immer fleißig in der „Vossischen Zeitung“ las und deren Inhalte im Familienkreis diskutiert wurden.

Nietzsches spätere Kritik am Journalismus seiner Zeit speist sich nicht aus purer Ablehnung. Sie ist Resultat einer tiefen Verstrickung in die Geschichte des Presse-wesens. Er selber hatte immer wieder Kontakt zu Ver-tretern der Presse – schon allein aus Gründen seiner eigenen publizistischen Tätigkeit, deren Produkte in den Gazetten besprochen wurden. Die harsche Kritik, die er für seine außergewöhnlichen Werke zumeist erhielt, mö-gen einen Teil der Ablehnung ausmachen, bilden aber nicht dessen Kern.

Nietzsche selber schrieb für die „Norddeutsche Allge-meine Zeitung“ Rezensionen für Konzerte in Leipzig. In eben jener Zeitung schrieb auch Richard Wagner etwas über Nietzsches „Die Geburt der Tragödie“, dessen Ins-piration der Leipziger Komponist selbst war. Dazu war Nietzsche selber Zeitungsleser – er las später jeden Tag das französische Journal des Débats – und war von den Äußerungen der Presse über seine Person nicht ganz unberührt. So bemerkte er einmal, dass die antisemi-tischen Äußerungen seiner Schwestern ihm geschadet

haben, und muss mit der Tatsache, dass in jedem anti-semitischen Korrespondenzblatt der Zarathustra zitiert wurde, mehr als unglücklich gewesen sein. Denn eines war Nietzsche aller Verfälschungen zum Trotz nicht – Antisemit.

An den Redakteur Dr. Paneth, der über ihn schreiben wollte, schrieb er in einem Antwortbrief: „Mein Werk hat Zeit – …50 Jahre später werden vielleicht einigen (oder einem: – Es bedürfte eines Genies dazu!) die Au-gen darüber aufgehen, was durch mich getan ist. Augen-blicklich ist es aber nicht nur schwer, sondern durchaus unmöglich ... von mir öffentlich zu reden, ohne nicht grenzenlos hinter der Wahrheit zurückzubleiben …“ Was hier in den Ohren vieler nach Überheblichkeit klingen mag, zeigt eine Grundkonstante im Schaffen Nietzsches: er war unzeitgemäß und wusste das. Unzeitgemäß war und ist nun auch seine Kritik an den Massenmedien und ihren Vertretern.

Papierne Sklaven des Tages und Sprachverderber

Für Nietzsche ist der Journalist der, der aus dem Tag für den Tag schöpft. Ein Journalist kann für Nietzsche jeder sein, der über eine allgemeine Bildung verfügt und diese der Öffentlichkeit zugänglich macht, jenseits von

Ausbildung, Arbeitsverhältnis oder Art des Mediums. Journalismus ist demnach weniger Berufsstand als Ideo-logie, erklärt Braatz.

Die Journalisten haben den Auftrag, den Status quo, dem sie verpflichtet sind, schreibend funktionsfähig zu halten und dessen Glaubenssätze durch Verbreitung zu stützen. Dabei komme es darauf an, dass die „plumpen Burschen“, so Nietzsche, „zum Lachen oberflächlich sind“ und damit Behagen und Sicherheit herstellen sollen, damit nur niemand in die Verlegenheit kommt, selbst denken zu müssen. Nietzsche kritisiert auch die Überheblichkeit der Pres-se und derer, die bei ihr Zuflucht suchen, weil sie an-dernorts keine finden. Auch wenn er den Journalisten als Opfer seiner Zeit und eines übersteigerten Kommu-nikationsbedürfnisses kurz in Schutz nimmt, ist er sich nicht zu schade, ihn im gleichen Atemzug als entgleisten Bildungsmenschen abzuurteilen. „Der Journalismus ist eine typische Karriere für Studienabbrecher und Berufs-wechsler.“

Die „Tragik der Presse“, so Rudolf K. Goldschmidt in einem Aufsatz von 1932, liegt in ihrer Aufgabe als Exponent der Massendemokratie. Die Probleme des Alltags müssen verständlich formuliert werden.

9 AUSGABE L

SKLAVEN DES ÖFFENTLICHEN GESCHMACKSNietzsches Journalismuskritik ist zeitlos gültig.

VON MORITZ ARAND

Damit verbunden sieht Nietzsche die Gefahr der Ober-flächlichkeit und Verkürzung, die durch den Zwang zur Aktualität entsteht. Die Journalistik legt sich hierbei über alles und vermeint, alles erklären zu können, kann es aber nicht, so Nietzsche. Das Wissen des Meisters, der nach geduldiger Arbeit zu endgültigen Resultaten kommt, fehlt hier. Der Diener des Augenblicks (Journa-list) tritt an die Stelle des Genius (Erlöser des Augen-blicks). Und damit tritt auch das Journal an die Stelle der Bildung.

Durch die Anonymität des Journalismus und die Struktur- und Sanktionsschwäche der Öffentlichkeit wächst das Selbstgefühl und sinkt das Verantwortungs-gefühl des Journalisten. Verstecken hinter dem Medium, ausgestattet mit dem Wunsch nach Macht bei gleichzei-tigem Misstrauen ihr gegenüber und den vermeintlich Mächtigen, kann der Schreiberling seinem feindseligen Wüten gegen die Kultur fröhnen. Hinzu tritt noch nach Meinung Nietzsches die Ab-stumpfung des Schreibenden zu unfruchtbarem Zei-tungsstil. Für Nietzsche war „Zeitungsdeutsch“ gleich „Schweinedeutsch“. Der Journalist schreibe den Stil der Masse. Nietzsche wendet sich gegen die Sprachverödung, ist deswegen aber noch lange kein Sprachpurist. Er kriti-siert den Mangel an Anstößigem, weil das Anstößige für ihn das wahrhaft Produktive ist. Die Verwahrlosung der Zeitungssprache wird für Nietzsche zur Bildungsfrage, da diese mit der Muttersprache beginnt.

Mit den Zeitungsschreibern kritisiert Nietzsche auch die Zeitungsleser, die Bequemlichkeit erwarten und kei-nen Wert auf Hintergedanken legen. „… – Da hat es einer schlimm, welcher am meisten Wert auf die Hinter-gedanken legt, und mehr als alles Ausgesprochene die Gedankenstriche in seinen Büchern liebt.“

Bildungszerfall und Status quo der Fiktionen

Nietzsche verwirft, laut Yong-Soo Kang, die Meinungs-fabrikation der Medien und macht auf die zunehmende Abhängigkeit von Massenmedien ob des Bildungszerfalls aufmerksam. Das Scheinwissen und die Scheininfor-mation produzieren einen falschen Kulturstolz, der zu unkritischer Akzeptanz falscher Identitätsmuster führe.

Die Überflut der Information absorbiert das kritische Denken und zwingt zur Unreflektiertheit, entbindet den Leser von der Notwendigkeit des Nachdenkens. Die Folge davon ist Gedankenlosigkeit und Unproduktivität. Hin-zu kommt für Nietzsche noch das Bedürfnis nach Sen-sation, das die Massenmedien bedienen, um durch die Orientierung an Tagesereignissen das Bedürfnis nach oberflächlicher, müheloser und folgenloser Information sicherzustellen und um im Kampf mit der Konkurrenz erfolgreich zu sein. Die Information ist dann nur noch Verdummungsmittel und regressive Gewalt. Damit mün-det Nietzsches Kritik der Massenkultur in die Kritik der „vulgarisierten Öffentlichkeit“.

Durch die themensetzende Macht des Journalismus entsteht nach Nietzsche ein Nachrichtenwert, über den nicht der Leser entscheidet. Die mutwillige Konstruktion von Realität führt zu einer Irreführung der Öffentlich-keit. Man liest mitunter Berichte über Dinge, die nie existiert haben, außer in der Vorstellung derer, die aus ihrer Perspektive einem Publikum berichten. Das Urteil des Einzelnen kann nur auf vermittelte Wirklichkeit zurückgehen, womit ein prinzipielles Problem der Ver-mittlung von Information an Dritte angesprochen ist, zu deren Lösung auch Nietzsche nichts beizutragen hat, außer den Apell an die kritische Kraft des Rezipienten. Die Gefahr der selbstgeschaffenen Medienöffentlich-keit besteht dadurch allerdings weiterhin. Durch die Presse schwindet das stabilisierende Gewicht der unmit-telbaren Erfahrung. Erfahrung ist nichts Selbsterlebtes mehr, so Baartz. Der moderne Mensch erlebt immer we-niger, obwohl doch die Verfügbarkeit des Wissens uner-messlich hoch scheint. Dieses Wissen ist für Nietzsche aber nur noch Selbstbetrug. Es geschieht nichts, was sich faktisch ereignet, sondern nur das, was ausgewählt wurde. Durch diese Selektionsregeln der Massenmedien ent-steht eine Scheinwelt im Kopf der Rezipienten. Damit ist die Kultur der öffentlichen Meinung für Nietzsche nicht auf viel mehr als auf Glauben begründet, auf das, was sie als Religion und Unmündigkeit überwunden geglaubt hat. Die Medien transzendieren die Welt, die Zeitung tritt an die Stelle der täglichen Gebete und die vermeintliche Information wird zur Offenbarung. Man will nichts sehen und hören müssen, was dem Geglaubten widerspricht.

Dazu kommt noch, dass durch die Beschleunigung des Lebens Geist und Auge an ein halbes oder falsches Sehen und Urteilen gewöhnt werden. Der Wunsch nach Dissonanzvermeidung muss durchkreuzt werden, so Nietzsche, der sich vehement gegen die falsche Harmonie der öffentlichen Meinung gewendet hat.

Zeitgemäße Unzeitgemäßheit

Nietzsches Unzeitgemäßheit ist die Überschärfe sei-ner Aktualität, deren beschämende Wahrheit nur wenige aushalten können – damals wie heute. Sensationsgier, Verkürzungen des Denkens, die ungesunde Beschleuni-gung durch die digitalen Bildmaschinen, wenig Ruhe, wenig Zeit, der Meinungsjournalismus, der eine ganze Gesellschaft propagandistisch auf eine Linie trimmt ... es hat sich wenig geändert, wagt man einen Blick in die Gegenwart unserer Presselandschaft. Alles vorher Beschriebene liest sich wie eine Bestandsaufnahme des Jetzt. Ob Tagesschau, Print- oder Onlinemedien – über-all wird ordentlich geschrien, um den Klang der Schwei-nerei, die sich ereignet, übertönen zu können. Das „Her-dentier“ wird hier zum „Weide-Glück“ der Illustrierten geführt, weil es nicht weiß, dass es sich selbst regieren kann. Und mittendrin der Journalist. Also ich. Wenn ich Nietzsche lese, fühle ich mich hier und dort ertappt. Das dem so ist, fühlt sich richtig an. Als aufgeklärte Auf-klärer, die wir Schreiberlinge doch sein sollten, ist die Reflektion unseres Selbstverständnisses, erst das der eigenen Person, dann das des Berufsstandes, die notwen-dige Bedingung und das eigentliche Eignungskriterium für einen Journalisten, wie ihn Nietzsche leider nicht kennen gelernt hat und wie es heute nur wenige gibt. Ob ein solcher gewollt wird, ist eine Frage, die zu stellen ich mir untersagt habe.

---Quellen: Kurt Braatz: Friedrich Nietzsche - eine Studie zur Theorie der öffentlichen Meinung. Berlin/New York 1988, Yong-Soo Kang: Nietzsches Kulturphilosophie. Würzburg 2003, Rudolf K. Goldschmidt: Nietzsche und die Presse. In: Zeitungswissenschaft: Monatsschrift für internationale Zeitungsforschung. Jg. 7. Berlin 1932.

DER TOD KENNT KEINE WÜRDEEin Kommentar zur Sterbehilfe.

VON PAULI GRÜNBAUM

Ich weiß nicht, was Sterben mit Würde zu tun haben soll. Und doch argumentieren alle Sei-ten in der gegenwärtig geführten Sterbehilfe-debatte mit ihr. Und dabei gibt es doch nichts Unwürdigeres als das Sterben oder den Tod selbst. Die Sterblichkeit bedroht unser Selbst-

verständnis, kränkt unsere narzisstische Natur nach-haltig weil entgültig. Und dabei ist auch klar, dass der Tod als das Gegenteil von Sein gar nichts mit Würde zu tun haben kann. Die Würde entspringt dem Sein. Da wir als sterbliche Wesen aber nichts anderes als Sein denken können, hat die Würde in diesem Bereich der Seinsabwesenheit auch nichts verloren. Die Forderung nach würdevollem Sterben hat demnach etwas zutiefst Widersprüchliches. Eher wäre doch die Frage nach dem selbstbestimmten Ende zu stellen. Dass diese Freiheit zum Tode nun aber nach dem Willen der Befürworter der Sterbehilfe rechtlich festgeschrieben werden soll, torpediert den Freiheitscharakter zusehends. Denn da-mit würde ein Reglement Einzug halten, das bis in die letzten Winkel des Eigenen das Sterben und den Tod der staatlichen Regulierung unterwirft. Freiheit sieht anders aus.

Und dazu wird in dieser Debatte doch wieder der ei-gentlich wesentliche Punkt ausgeblendet, ich bin geneigt zu sagen, gerade dadurch verdrängt: Ich meine die Frage nach einer Welt, in der der Tod nichts Erstrebenswertes

mehr ist. „Utopisches Bewusstsein meint ein Bewusst-sein, für das also die Möglichkeit, dass die Menschen nicht mehr sterben müssen, nicht etwas Schreckliches hat, sondern im Gegenteil das ist, was man eigentlich will“, hat Adorno in seinem mit Ernst Bloch geführten Utopiegespräch einst formuliert. Insofern ist die Debatte Ausdruck einer sterbensmüden Gesellschaft, die lieber den schönen Tod – was für eine contradictio in adjecto – rechtlich festnageln will, als Bedingungen zu schaffen, die ein Leben ermöglichen, in dem keiner in seiner Exis-tenz so bedroht ist, dass er den Freitod als last Exit für erstrebenswert hält.

In Zeiten, in denen Flüchtlinge vor den Mauern Euro-pas auf der Suche nach Leben nur den Tod finden, ist die Debatte geradezu zynisch. Und doch müssen die Ängste vor dem letzten Verlust ernst genommen und themati-siert werden. Ob diese Debatte dafür die richtige Form ist, ist höchst zweifelhaft.

Dass die Kirche etwas gegen die Selbstkreuzigung hat, ist ganz klar. Ihr Geschäft ist der Tod. Ihr Wappen-tier ist der Gekreuzigte, das Kreuz das Todeszeichen der Erlösung, in dessen Zeichen Jesus Christus durch seine Auferstehung den Tod, nicht aber das Sterben, überwun-den haben soll. Dass der Gekreuzigte auch ein Leben hatte, wird nur von seinem alles entscheidenden Tod aus gedacht und dieses Leben dann auch noch auf dieses

Ereignis hin zurechtgeträumt. Ebenso wird gern ausge-blendet, dass das Sterben Jesu in realiter ein wissent-lich in Kauf genommener indirekter Suizid war – alle Revolutionäre haben einen Hang zur Selbstzerstörung. In das Himmelreich, in dessen Jenseits das Diesseits negiert wird und das das Endziel allen Strebens sein soll, kann nur der gelangen, der den irdischen Leidens-weg zu Ende geht. So gesehen an Papst Johannes Paul II. Diese Entscheidung stand ihm frei. Goethes Werther jagte sich eine Kugel in den Kopf, weil er Lotte nicht haben konnte. Auch das stand ihm frei.

Und damit berühren wir wieder den Kern der emotio-nal geführten Debatte. Es geht um die Wahl und um die Selbstbestimmung, die kein Recht zu regeln hat, weil ein solches dem Grundgedanken der Freiheit widerspricht.

Wer leiden will, der soll leiden. Wer sich dem Zu-spruch der Pistolen verbunden fühlt, dem sei auch das gestattet. Aber bitte ohne die Absolution von oberster Stelle. Der Versuch, das Sterben zu regeln, ist Ausdruck von Hilflosigkeit der eigenen Endlichkeit gegenüber. Die-se Enttäuschung der Selbstherrlichkeit zu akzeptieren, ist unmöglich. Möglich ist aber ein Leben, das seine ei-gene Negation als ihm innewohnend zu integrieren im Stande ist, ohne dem Tod zu viel Macht über das Leben einzuräumen, obwohl der große Gleichmacher vorläufig am Ende weiter siegen wird.

11 AUSGABE L

10I LIKE FUSSBALLTOD

Struktureller Antisemitismus in der Kritik an RB Leipzig.

VON OSCAR ADLERHUT

Apropos Abschied: Leipzig bringt Deutschland den Fußballtod. Glaubt man den Bannern in nahezu allen Fan-kurven der Weltmeisterrepublik, dann stirbt in Leipzig der Fußball, so wie ihn sich viele zurechtträumen. Die Reinheit

seines Blutes wird von bösen Konzernmächten bedroht und verunreinigt die Kultur der Tradition. Und das be-sonders oder eben gerade in Leipzig, dort, wo die Brau-sefußballer am Ufer der Elster sich anschicken, ganz Fußballdeutschland in einer Flutwelle schlechter Limo-nade zu ersaufen. Aber bitte mal genauer hingeschaut. Das Arschloch im Wandschrank wurde gefunden. Tür auf und feste draufgehauen – ganz nach Bedarf. Und der Bedarf ist gegenwärtig hoch!

Wenn statt von den pestbringenden Ratten aus Leipzig die Rede ist, wenn die Reinheit der Tradition besudelt wird, wenn die homogene Wir-Gruppe der Chauvinisten der guten alten Zeiten sich im Hass auf den Feind, der in ihr phantasiertes Machtgebiet einfällt, vereinen und zum Endkampf aufrufen, dann kommen im Zuge einer vermeintlichen Kritik an RB Leipzig, wenn auch teils dem Unwissen geschuldet, unverhohlen strukturell anti-semitische Klischees aufs Tapet, die offensiver nicht sein könnten. Die Ideologie des strukturellen Antisemitismus richtet sich nicht, wie in der „klassischen“ Form der Fall,

gegen Juden. Die Begriff-lichkeiten und Argumen-tationsstruktur sind al-lerdings die selben.

Das nun hier Folgende gilt nicht für alle, aber für viele. Und deswegen wird es auch nur wenigen gefallen.

Pathische Projektion und pseudoreligiöser Charakter

Anhand des Textes „Elemente des Antise-mitismus“ von Adorno und Horkheimer wird in der Folge nachskiz-ziert werden, warum das Auflehnen gegen einen Vertreter eines ganzen Zeitgeistes und die Pro-jektion aller Ängste und Hoffnungen auf diesen ein falsches Bewusstsein zeitigt.

Gleich zu Beginn des Aufsatzes liest man, dass Geld und Geist das verleugnete Wunschbild der durch Herrschaft Ver-stümmelten sind, deren die Herrschaft sich zu ih-rer eigenen Verewigung bedient. Der Kaufmann zeigt den Arbeitern, was sie sich nicht leisten kön-nen. Das Missverhältnis bekommen sie erst im Nachhinein mit und är-gern sich ob ihres Unver-mögens, das zu erkennen. Für dieses Unvermögen müssen nun aber andere

ihren Kopf hinhalten, nicht der Fabrikant. „Die bloße Existenz des anderen ist das Ärgernis.“ Liest man die Kritik an RB Leipzig so, dann zeigt sich etwas Wesent-liches. Der Verein, denn ein solcher ist RB Leipzig, steht stellvertretend für einen Sport, der sich als Vermark-tungsmaschine zeigt und damit das Selbstverständnis seiner Anhänger bedroht. Dass diese sich nicht in der Vehemenz gegen ihre Autorität wenden wollen, ist klar. Ein Schuldiger muss her. Das, was man sich selbst ver-boten hat, wird auf den anderen projiziert und in der Vernichtung dessen, was beschämt wiederholt. Der nur allzu verständliche Wunsch selbst die ersehnten Erfolge der eigenen Mannschaft zu feiern wird verdrängt. Dieser gewünschte Erfolg wird nun beim anderen verteufelt, weil dieser bei einem selbst keinen Platz finden darf.

Das Zauberwort heißt bei Adorno und Horkheimer „falsche Projektion“. Diese macht sich die Umwelt ähn-lich und wendet alles Eigene auf ein Äußeres, so dass das, was diesem widerspricht, als Feind angesehen wer-den kann. Ein Wahnsystem wird zur vernünftigen Norm in der Welt und der Mordlustige sieht im Opfer den Ver-folger, den er in vermeintlicher Notwehr attackiert.

In Gesellschaft bedarf der Einzelne allerdings einer steigenden Kontrolle der Projektion, indem er diese ver-feinern und hemmen lernt, um Distanzierung und Iden-tifikation, Selbstbewusstsein und Gewissen bilden zu

können. Das gelingt nur durch Unterscheidung zwischen Eigenem und Fremdem und dem Erkennen und Anerken-nen des Unterschiedes von Innen und Außen. Im Antise-mitismus fällt diese Reflexion im projektiven Verhalten aus, so Adorno und Horkheimer. Indem es nicht mehr den Gegenstand reflektiert, reflektiert es nicht mehr auf sich und verliert die Fähigkeit zur Differenz. Die Wut auf die Differenz, auf das Andere, Verschiedene wird durch die Fixierung auf eine Minderheit, die als sozial bedrohlich empfunden wird, abgeführt. Statt das „Pro-tokoll der eigenen Machtgier aufzunehmen werden die Protokolle der Weisen von Zion geschrieben“ und den Anderen zugeschrieben – die Verschwörung hat da be-reits praktische Form angenommen. Die Außenwelt wird mit dem befrachtet, was im Paranoiker selber ist. Das zwanghaft projizierende Selbst kann nichts projizieren, als sein eigenes Unglück, von dessen ihm innewohnen-den Grund es selbst abgeschlossen ist.

Die Ideen, die in der Realität keinen festen Halt fin-den, werden zu fixen. Damit schafft der Paranoiker alle nach seinem Bilde und entwickelt seine Allmachtsphan-tasien, die eigentlich seiner Ohnmacht entspringen und als eigentliche Notwehr gegen sich selbst verstanden werden müssen.

Durch diese pathische Projektion kommt es zur Über-tragung gesellschaftlich tabuierter Regungen des Sub-jekts auf ein Objekt, hier der verhasste Verein, dort die Gruppe von Individuen, die vernichtet werden sollen. Das Böse ist immer das Andere, obwohl die Regung vom Subjekt selbst kommt und auf das Außen übertragen wird. Dadurch wird versucht, die Regung abzumildern und die Triebenergie abzubauen. Der Zerstörungsdrang entsteht hier erst durch Verdrängung und Wiederholung der Verdrängung. Der paranoische Wahn falscher Pro-jektion projiziert alles nach außen, was ihm eigentlich eigen ist. Die Lust selbst mächtig zu sein und deren Ver-sagung wirft er dann denen vor, die mächtig sind, und will diese vernichtet sehen.

Und so kann in der Pseudoreligion Fußball im Rausch vereinter Ekstase der paranoische Mechanismus be-herrscht werden. Der pseudoreligiöse Charakter fungiert hier als Art der Selbsterhaltung. Die Mitglieder wollen ihre Wahnideen allein nicht glauben. Er fungiert als Sammelbecken, in dem die eigene Paranoia durch die kollektiven Formen des Wahns abgelöst werden kann. Dort können andere verfolgt werden, denen man die eige-ne Misere vorhalten. Die Schuld an ihrem eigenen Schre-cken projizieren sie auf die, die greifbarer sind als die anonyme Gewalt, der sie unwissend damit dienen, dass sie das richtige Unbehagen auf die Falschen projizieren.Mit diesem Mechanismus kann Herrschaft sich verewi-gen, die nur solange bestehen, wie die Beherrschten das Ersehnte als das Verhasste ansehen – Differenz und Selbstregierung. Für Horkheimer und Adorno bestehen diese Züge im Glück ohne Macht, Lohn ohne Arbeit, Heimat ohne Grenzstein, Religion ohne Mythos. „Trotz und wegen der offenbaren Schlechtigkeit der Herrschaft ist diese so übermächtig geworden, dass jeder Einzel-ne in seiner Ohnmacht sein Schicksal nur durch blinde Fügsamkeit beschwören kann.“

Und was heißt das jetzt? Man darf RB Leipzig kritisie-ren, man muss das, was dort passiert, nicht als absolut gut, ebenso wenig als absolut böse ansehen. Wenn aller-dings ein Verein, der bestehende Möglichkeiten nutzt, zum absolut Bösen stilisiert wird und nicht die Bedin-gungen dieser Möglichkeiten analysiert und kritisiert werden, dann zeigt sich die Paranoia, ganz im Sinne Adornos und Horkheimers, als Symptom der Halbgebil-deten, die ihr beschränktes Wissen als Wahrheit hypos-tasieren. Eine solche „Kritik“ lenkt von den eigentlichen Mechanismen repressiver Gewalt ab und verewigt dessen Status quo. Peter Neururer (Trainer vom Vfl Bochum) hat das im übrigen erkannt und auch öffentlich geäu-ßert. Die deutschen Leitmedien, die fleißig am Mythos RB mitarbeiten, scheinen diese Erkenntnis ihrerseits of-fensiv zu verdrängen, in dem sie das Gut-Böse-Schema fortscheiben. Der FIFA, der UEFA, der DFL oder dem DFB wird es recht sein.

3VIERTEL: Wozu überhaupt noch Lokaljournalismus, brauchen die Menschen den noch?

Andreas Raabe: Lokaljournalismus ist grundlegend wichtig und Grundlage der demokratischen Meinungs-bildung. Hier, in der Stadt, leben die Menschen. Die Stadt ist praktisch die Basis der demokratischen Meinungsbil-dung. Hier fängt letztlich alles an, daher ist es wichtig die Menschen genau da zu informieren, hochwertigen Journalismus im lokalen Bereich zu machen.

3VIERTEL: Welche Probleme hat der (Lokal-) Journalis-mus und welchem Wandel ist er unterworfen?

Andreas Raabe: Es wird immer schwieriger, Journalis-mus zu finanzieren, was mit der Lage auf dem Anzeigen-markt in Verbindung steht. Diese Entwicklung hat sich in den letzten Jahren extrem verschärft, das liegt ganz klar am Internet. Vor dem Internet hatte die Zeitung das Anzeigenmonopol. Jeder, der eine Anzeige schalten wollte, tat das in der (Tages)Zeitung. Jetzt gibt es das Internet, da ist der Platz unbegrenzt und der Preis für eine Anzeige liegt ein zehn- oder 20-faches unter dem, was es in der Zeitung kosten würde. Das ist praktisch die Krise des Journalismus im Allgemeinen. Was es inhaltlich schwieriger macht, ist die Geschwin-digkeit. Im Internet muss alles schneller gehen. Beson-ders die Konkurrenz zu anderen Medien bewirkt, dass Informationen relativ schnell in die Öffentlichkeit gewor-fen werden, ohne eine sorgfältige Überprüfung. In Bezug auf Leipzig gibt es als großes Medium nur die LVZ, das ändert sich inzwischen. Aber traditionell ist das schon immer so gewesen, was eine Grundlage dafür war, dass es den Kreuzer als Al-ternative heute überhaupt noch gibt. Es gab lange Zeit nichts, was noch einen anderen Blickwinkel auf die Stadt einnimmt. Beim Kreuzer steht dazu noch die Freiheit der Autoren weit vorn, da wird auch das Geld eigentlich fast unwichtig. Vielfalt in den Medien ist wichtig, und die ist bedroht.

3VIERTEL: Was braucht guter Journalismus demnach?

Andreas Raabe: Journalismus braucht professionelle Strukturen und eine Struktur, die wirtschaftlich trag-fähig ist. Im Idealfall kann das Zusammenspiel aus Berufsjourna-listen und Blogger fruchtbar sein. Einer bringt den Stein beispielsweise ins Rollen und andere Journalisten, mit der Kompetenz und Zeit, das Angefangene weiterzuführen, springen darauf an. Aber richtiger Journalismus ist keine Freizeitbeschäftigung, sondern ein Beruf, ein Handwerk.

Der eigene Schatten treibt sie um. Die Verfolger sind selbst nur verfolgte.

11 AUSGABE L

„MEDIENVIELFALT IST WICHTIG“3VIERTEL hat Andreas Raabe, Chefredakteur des Stadtmagazins

Kreuzer zur Zukunft des Lokaljournalismus befragt.

EIN INTERVIEW VON CHRISTIN POMPLITZ

3VIERTEL: Wozu überhaupt noch Lokaljournalismus, brauchen die Menschen den noch?

Andreas Raabe: Lokaljournalismus ist grundlegend wichtig und Grundlage der demokratischen Meinungs-bildung. Hier, in der Stadt, leben die Menschen. Die Stadt ist praktisch die Basis der demokratischen Meinungsbil-dung. Hier fängt letztlich alles an, daher ist es wichtig die Menschen genau da zu informieren, hochwertigen Journalismus im lokalen Bereich zu machen.

3VIERTEL: Welche Probleme hat der (Lokal-) Journalis-mus und welchem Wandel ist er unterworfen?

Andreas Raabe: Es wird immer schwieriger, Journalis-mus zu finanzieren, was mit der Lage auf dem Anzeigen-markt in Verbindung steht. Diese Entwicklung hat sich in den letzten Jahren extrem verschärft, das liegt ganz klar am Internet. Vor dem Internet hatte die Zeitung das Anzeigenmonopol. Jeder, der eine Anzeige schalten wollte, tat das in der (Tages)Zeitung. Jetzt gibt es das Internet, da ist der Platz unbegrenzt und der Preis für eine Anzeige liegt ein zehn- oder 20-faches unter dem, was es in der Zeitung kosten würde. Das ist praktisch die Krise des Journalismus im Allgemeinen. Was es inhaltlich schwieriger macht, ist die Geschwin-digkeit. Im Internet muss alles schneller gehen. Beson-ders die Konkurrenz zu anderen Medien bewirkt, dass Informationen relativ schnell in die Öffentlichkeit gewor-fen werden, ohne eine sorgfältige Überprüfung. In Bezug auf Leipzig gibt es als großes Medium nur die LVZ, das ändert sich inzwischen. Aber traditionell ist das schon immer so gewesen, was eine Grundlage dafür war, dass es den Kreuzer als Al-ternative heute überhaupt noch gibt. Es gab lange Zeit nichts, was noch einen anderen Blickwinkel auf die Stadt einnimmt. Beim Kreuzer steht dazu noch die Freiheit der Autoren weit vorn, da wird auch das Geld eigentlich fast unwichtig. Vielfalt in den Medien ist wichtig, und die ist bedroht.

3VIERTEL: Was braucht guter Journalismus demnach?

Andreas Raabe: Journalismus braucht professionelle Strukturen und eine Struktur, die wirtschaftlich trag-fähig ist. Im Idealfall kann das Zusammenspiel aus Berufsjourna-listen und Blogger fruchtbar sein. Einer bringt den Stein beispielsweise ins Rollen und andere Journalisten, mit der Kompetenz und Zeit, das Angefangene weiterzuführen, springen darauf an. Aber richtiger Journalismus ist keine Freizeitbeschäftigung, sondern ein Beruf, ein Handwerk.

3VIERTEL: Ist die Journalistische Ausbildung ein Muss?

Andreas Raabe: Man braucht eine Ausbildung, ja. Wobei der Journalismus dennoch eine ganz klassische Querein-steiger-Branche ist. Was ich am wichtigsten finde und auch selbst aus meinem Studium mitgenommen habe, ist das Bewusstsein der ethischen Ansprüche. Dass man sich klar darüber ist, was es bedeutet, Massenkommuni-kation zu betrieben, darüber, welche Rolle man selbst für die Gesellschaft spielt und was Journalismus ist, was er bedeutet. Das heißt Kritik zu üben, alles zu hinterfragen und nicht von der immer stärker werdenden Public Rela-tions beeinflusst zu werden.

3VIERTEL: Die Klagen der Tageszeitungen über sin-kende Verkaufszahlen und die Prognosen des baldigen Aussterbens der Tageszeitung nicht nicht neu. Woran liegt das? Ist diese Bewegung auch beim Kreuzer längst angekommen?

Andreas Raabe: Interessanterweise nicht. Tatsächlich ist es so, dass wir im Verkauf eine Tendenz nach oben haben. Allerdings auf einem sehr geringen Niveau, ver-steht sich. Für uns ist es natürlich eine schöne Entwick-lung, aber ökonomisch bringt es uns nur sehr wenig. Es gibt viele, schnelle und kostenlose Informationen einfach im Internet. Der Medienkonsum im Internet ist möglich und für viele befriedigend. Aber das eigentliche ökonomische Problem ist wirklich der Anzeigenmarkt. Runter bekommen wir vom Copyp-reis einer verkauften Ausgabe – je nach Vertriebsform – höchstens 50, oft aber nur 20 Prozent.

3VIERTEL: Ist das nicht ein Teufelskreislauf?

Andreas Raabe: Ja, selbstverständlich. Die journalisti-schen Medien haben weniger Geld zur Verfügung durch die sinkenden Anzeigen, die im Internet billiger und un-begrenzt sind. Die Verlage wollen sparen, dadurch wird das journalistische Angebot schlechter. Es wird weniger gekauft und die Anzeigen rentieren sich noch weniger. Das ist ein sich selbst beschleunigender Kreislauf.

3VIERTEL: Warum wurde überhaupt angefangen, so viele Informationen kostenlos im Internet zur Verfügung zu stellen?

Andreas Raabe: Meiner Ansicht nach war das eine klas-sische strategische Fehlleistung der Medienmanager ge-wesen.

3VIERTEL: Ist der Leser dahingehend wieder umerzieh-bar, wieder für Informationen/Journalismus zu bezah-len?

Andreas Raabe: Ja, das wird auf jeden Fall kommen. Das wird sicher dauern, aber in zehn bis 20 Jahren wird es sicher wieder normal sein, für journalistische Arbeit zu bezahlen – auch im Internet. Jetzt ist das schwierig, das System funktioniert nur, wenn wirklich alle einen Beitrag verlangen. Denn sonst wird es immer die kosten-lose Konkurrenz geben. Aber Seiten wie Spiegel online oder Bild.de schreiben momentan als Einzige schwarze Zahlen und werden sich sicherlich nicht durch eine Pay-Wall selbst ins Bein schießen. Im Lokalen gibt es bereits eine Menge Experimente. Die LVZ setzt aktuell gewisse Artikel hinter eine Bezahl-schranke, in der Praxis funktioniert das noch nicht so ganz. Am Ende wird jeder nach einer Möglichkeit, im Internet Geld zu verdienen, schauen müssen, denn dort sind die Leser.

3VIERTEL: Wird die Tageszeitung wirklich aussterben?

Andreas Raabe: Ich kann mir nicht vorstellen, dass die gedruckte Tageszeitung überleben wird. Das wird irgendwann aufhören oder in Richtung Wochenzeitung gehen, was man jetzt auch schon in Amerika beobachten kann. Oder hin zu dem, was wir machen, eine hapti-sche Ergänzung zu dem, was im Internet passiert. Wir glauben daran, dass ein Printprodukt wie der Kreuzer überlebensfähig ist, durch die Blickwinkel, die wir geben wollen, die es im Internet nicht gibt, und durch langsa-meren Journalismus.

Die langsameren Printprodukte werden nicht ausster-ben. Es ist ein Bedürfnis der Menschen, zu einem spä-teren Zeitpunkt die kurze und schnelle Info aus dem Internet dadurch zu ergänzen, Details und Hintergründe in Ruhe auf Papier nachzulesen.

3VIERTEL: Nimmt durch die zunehmende Schnelligkeit der Gesellschaft und das Internet die Qualität des Jour-nalismus ab?

Andreas Raabe: Durch die Schnelligkeit besteht na-türlich die größere Gefahr, Informationen ungenügend hinterfragt rauszugeben und damit auch der Falschmel-dungen zu veröffentlichen und durch PR-Agenturen be-einflusst zu werden. Mittlerweile ist das fast eine Art Zwang, aus dem man sich eigentlich bewusst rausneh-men müsste. Dazu kommt noch, dass die Redaktionen extrem eingedampft werden und je weniger Leute in den Redaktionen sitzen und je weniger die Gate-Keeper-Funktion übernehmen, desto weniger prüfen sie und des-to mehr lassen sie durch. Die Tendenz liegt dabei eher bei mehr, also dass mehr Informationen ungeprüft in die Welt geraten. Aber dass die Qualität grundsätzlich abnimmt, würde ich auch nicht sagen. Journalismus ist und bleibt ein Handwerk. Letzlich ändert sich durch die Verbreitungs-form nicht viel daran. Es ist schwerer geworden, guten Journalismus zu finanzieren, zumindest aktuell plus-minus zehn Jahre.

3VIERTEL: Wird sich diese Lage künftig verbessern?

Andreas Raabe: Die Möglichkeiten dafür sind auf jeden Fall da! Das Internet bietet ganz andere Möglichkeiten der Verwaltung von guten Geschichten, die man früher nicht hatte. Das hängt alles immer wieder mit Geld zusammen. Wenn man alles vernünftig refinanzieren könnte, dann wären die Möglichkeiten im Internet ganz toll. Die Verbreitung wäre bei weitem günstiger, viel umfangreicheres Arbeiten und eine größere Reichweite wären möglich. Die Möglichkeiten im Internet sind für Journalisten eigentlich sehr gut. Aber damit sind wir wieder am Beginn. Wie kann das nötige Geld generiert werden, um si-cherzustellen, dass professionell gearbeitet wird und aus-reichend Zeit vorhanden ist. Das ist zurzeit einfach noch nicht gegeben.

In Frankreich gibt es da schon ganz erfolgreiche Pro-jekte. Zum Beispiel das investigative Online-Magazin mediapart.fr. Dort wird per Online-Abo hochwertiger Journalismus ermöglicht und von den Lesern ganz klas-sisch durch ein Abonnement finanziert. Zudem versucht die Firma hinter Mediapart gerade, alles auf Gemeinnüt-zigkeit umzustellen. Die Anerkennung von Gemeinnüt-zigkeit für Recherchejournalismus könnte ein Baustein für die zukünftige Finanzierung dieses wichtigen Teils der Kontrolle von Demokratie werden