7
SaarbrückerZeitungvom17.Mai2011

11-05-17-SZ-Kämpferisch und schmeichelnd - kulani.de · eines Seminars in der Europäischen Akademie Otzen-hausen. Es war das dritte einer Reihe, die die 2500 Jahre Ge-schichte

  • Upload
    others

  • View
    0

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: 11-05-17-SZ-Kämpferisch und schmeichelnd - kulani.de · eines Seminars in der Europäischen Akademie Otzen-hausen. Es war das dritte einer Reihe, die die 2500 Jahre Ge-schichte

Saarbrücker�Zeitung�vom�17.�Mai�2011�

Page 2: 11-05-17-SZ-Kämpferisch und schmeichelnd - kulani.de · eines Seminars in der Europäischen Akademie Otzen-hausen. Es war das dritte einer Reihe, die die 2500 Jahre Ge-schichte
Page 3: 11-05-17-SZ-Kämpferisch und schmeichelnd - kulani.de · eines Seminars in der Europäischen Akademie Otzen-hausen. Es war das dritte einer Reihe, die die 2500 Jahre Ge-schichte

Saarbrücker�Zeitung�vom�27.�Oktober�2011��

Page 4: 11-05-17-SZ-Kämpferisch und schmeichelnd - kulani.de · eines Seminars in der Europäischen Akademie Otzen-hausen. Es war das dritte einer Reihe, die die 2500 Jahre Ge-schichte

S E I T E C 8 N R . 2 8 3 D I E N S T A G , 6 . D E Z E M B E R 2 0 1 1LOKALESWND

Die Franken im St. Wendeler Land Das St. Wendeler Land ist steinreich, sagt die Kulturlandschaftsinitaitive. Auch reich an Geschichte. Diese

Geschichte will die Initiative den Menschen näher bringen und erzählen. Ein Baustein sind Epochenseminare. Das dritte widmete sich den Franken.

Die Abtei steht auf den Ruineneines römischen Badetraktes

Tholey. Mit Johannes Naumannging es beim Epochenseminar aufExkursion in die Benediktinerab-tei St. Mauritius in Tholey. Die

Abtei wurde nicht „im leerenRaum“ am Fuße des Schaum-bergs gegründet, sondern es fin-den sich bereits römische Relikteauf dem Schaumberg.

Die heutige Kirche der Abtei St.Mauritius steht auf dem ehemali-gen Badetrakt einer riesigen rö-mischen Villenanlage, in derenRuinen sich vermutlich die ersteGlaubensgemeinschaft in Tholeyniederließ. Bei Grabungen imKlosterbereich wurde so einmehrphasiger römischer Bauentdeckt und spätantike Gegen-stände gefunden. Die Abtei trägtden Namen des Heiligen Mauriti-us, dessen Reliquien auch in Tho-ley aufbewahrt werden und Tho-ley in der Vergangenheit zu ei-nem Wallfahrtsort machten. St.Mauritius genießt als Märtyrerund Streiter Christi besondereVerehrung und wird häufig miteiner Lanze dargestellt.

Die Benediktinerabtei Tholeyerlebte eine wechselvolle Ge-schichte und wurde während derFranzösischen Revolution 1794aufgelöst. 1949 errichtete PapstPius XII. die Abtei neu, Möncheder Trierer Abtei St. Matthias sie-delten sich wieder an. Derzeitwird die Abtei im Zusammen-hang mit ihrer Neuausrichtungumgebaut. Es entsteht ein Zent-rum für Spiritualität und Kultur,das nach dem ersten Abt nach derWiederbesiedlung benannt wur-de. Ein Besuch im Museum Theu-legium rundete den Tag ab. red

Der heilige Mauritius, meist dar-gestellt mit Lanze. hier eine Statuein der Abteikirche Tholey.

bis 482), träumte, dass drei Grup-pen von Tieren an ihm vorbeizo-gen: zuerst eine Gruppe mit Lö-wen, Leoparden und Einhörnern,anschließend Bären und Wölfe,und zuletzt Hunde und andereKleintiere. Seine Frau Basinadeutete den Traum so, dass dieerste Generation der Merowingerstark werden würde wie die ersteTiergruppe, die zweite gierig wiedie zweite Gruppe und die dritteschwach. „Wenn diese Geschichtenicht wahr ist, dann ist sie gut er-funden, denn sie spiegelt in derTat den Verlauf der merowingi-schen Dynastie wider“, so Peter.

Im 5. Jahrhundert hatte Romden kriegerischen Angriffen derGermanen, Hunnen oder Persernicht mehr viel entgegenzuset-zen: Der Westteil des römischenReiches zerfiel. Auf die Keltenund Gallo-Romanen folgte im 5.Jahrhundert in unserer Regionein germanischer Stamm: dieFranken. Sie stammten ur-sprünglich vom Niederrhein. Ih-re „starken“ Könige der erstenGenerationen verstanden esnicht nur, viele kleine Stämme zueinem großen Stamm zu einigen,sondern auch, das ursprünglichefränkische Stammesgebiet durchEroberungen (Alamannien undAquitanien) um ein Mehrfachesauszudehnen. Das St. WendelerLand kam um 496 unter fränki-sche Herrschaft. Als erster frän-kischer Herrscher ließ sichChlodwig taufen. Dies war auchpolitisch wichtig für ihn, da dieBewohner der unterworfenengallo-römischen Gebiete bereitsrömisch-katholisch waren undihn so eher akzeptierten als einenAnhänger der alten Religion.Chlodwigs Söhne (Generationder Bären und Wölfe) setzten dieEroberungen fort um Burgund,Thüringen und die Provence.

Der letzten Generation der Me-rowinger hingegen entglitt zuse-hends ihre Macht. Ab 561 wurdedas Reich von Bruderkriegen zer-rissen. Zahlreiche Merowingerwurden, oft genug von nahen Ver-wandten, umgebracht. Es war ei-ne Zeit der Grausamkeiten, in derzusehends hohe Beamte, die sogenannten Hausmeier, die Machtübernahmen. Aus ihnen ging ab

Die fränkische Epocheim St. Wendeler Land:So lautete das Themaeines Seminars in der

Europäischen Akademie Otzen-hausen. Es war das dritte einerReihe, die die 2500 Jahre Ge-schichte im St. Wendeler Landund ihre Auswirkungen auf unserheutiges Leben beleuchtet. Man-fred Peter stellte die großen Zu-sammenhänge in der durch dieFranken geprägten Epoche dar,der Historiker Johannes Nau-mann zeichnete ein Bild des frän-kischen Erbes unserer Regionmit dem Schwerpunkt auf der Ab-tei in Tholey. Da die fränkischeEpoche nur wenige sichtbareZeugnisse im St. Wendeler Landhinterlassen hat, war die Abteiauch das Ziel einer Exkursion.Dass die Teilnehmer zu Beginnder Veranstaltung mit Glöck-chengeläut begrüßt wurden, lagvielleicht nur mittelbar daran,dass die Epoche der Franken (von457 bis 918, beziehungsweise 936nach Christus) generell durchden Siegeszug des Christentumsgeprägt war. Vielmehr tauchte inGestalt von Petra Schröder eine„echte“ Fränkin aus der Zeit derMerowinger auf, die aus ersterHand darüber informierte, wiesich die Frauen vor etwa 1500Jahren kleideten. Als Schmucktrug sie eine Halskette aus bun-ten Glasperlen. Ihr tunikaähnli-ches Gewand aus Wolle reichtenahezu bis zum Boden und wurdevon einem Gürtel zusammenge-halten. Da die Frauen damals oh-ne Handtaschen auskamen, tru-gen sie die wichtigen Dinge ein-fach am Gürtel – zum Beispielpraktische Gegenstände wieSchere, Kamm und Messer, aberauch ein Glöckchen gegen Dämo-nen, eine Zierscheibe entwederals Schmuck oder vielleicht auchals Kultgegenstand, einen Berg-kristall gegen Fieber.

Die kultischen Gegenständezeigen, dass der ursprünglicheGlaube der Menschen in ihremLeben noch eine große Rollespielte. So war auch die Traum-deutung wichtig, mit der ManfredPeter seinen Vortrag begann.Childerich, der erste König dermerowingischen Dynastie (457

679 das Geschlecht der Karolin-ger hervor, deren bedeutendsteVertreter Karl Martell (714 bis741) und sein Enkel Karl der Gro-ße (768 bis 814) waren.

Karl der Große gilt seit demMittelalter als vielleicht derwichtigste Herrscher des Abend-lands. Er wurde 800 zum Kaisergekrönt, auf den sich heute so-wohl die Deutschen als auch dieFranzosen in ihrer Nationalge-schichte berufen. Unter seinerRegierung erreichte das Franken-reich seine größte Ausdehnungund umfasste grob gesagt dasheutige Kerneuropa von den Py-renäen und Mittelitalien überBayern bis zur Elbe und Nordsee.Karl der Große setzte sich auchfür Reformen im Innern und fürdie Gründung von Stätten der Ge-lehrsamkeit, Klöstern, ein, die ih-rerseits mit dem Aufbau vonSchulen betraut wurden. NachKarls Tod 814 wurde das fränki-sche Reich ab 843 aufgeteilt. DerName des westlichen Teils klingtheute vertraut in unseren Ohren:Frankreich. Aus dem Ostfranken-reich ging das Heilige RömischeReich Deutscher Nation hervor.

Die keltische Epoche war vonHandwerk und Landwirtschaft,die römische vom Militärwesen,einer Verstädterung und Handelgeprägt. Die fränkische Kulturwar hingegen bäuerlich, in der dieBauern ihre Handwerksarbeitenauch selbst erledigten. Dies führ-te zu einem Niedergang der vor-mals blühenden Städte und Ort-schaften aus der Römerzeit. EinBeispiel aus unserer Region istdie römische Siedlung am Wares-wald bei Tholey, die etwa um 400verlassen wurde.

Gleichzeitig kamen Gelehrte

und Mönche in das Reich derFranken, um sie zu bekehren. Sowurde in unserer Region die äl-teste Klerikergemeinschaft, dasälteste Kloster Deutschlands ge-gründet, die Abtei von Tholey.Der fränkische Adlige AdalgriselGrimo, ein Großer des Reichesmit engen Verbindungen zu denmerowingischen Herrschern, er-wähnt in seinem Testament eineGlaubensgemeinschaft, die ernach Tholey berief und die sichvermutlich auf dem Areal desheutigen Klosters niederließ. Ervermachte ihr ebenso wie ande-ren kirchlichen Institutionen sei-nen Besitz. Hierzu zählten da-mals Menschen, Weiler, Wälder,Weinberge und Ländereien. Die-ses Pergament aus dem Jahr 634liegt nur noch in einer Abschriftaus dem 9. Jahrhundert vor undist die älteste erhaltene Urkundeder Großregion und eine der äl-testen Deutschlands.

Andere für unsere Regionwichtige Berichte sind nur teil-weise schriftlich belegt: So soll St.Wendelin der erste Abt des Klos-ters Tholey gewesen sein. Um ihnranken sich die verschiedenenLegenden, die nur schwer nach-prüfbar sind, denn durch Brändeund Verwüstungen liegen bis ins12. Jahrhundert kaum Original-Unterlagen vor. Dass er in der Be-völkerung hoch angesehen war,steht wohl außer Zweifel.

Der ursprüngliche Besitz derAbtei Tholey muss riesig gewesensein, wobei die Abtei im Span-nungsfeld zwischen den Bistü-mern Trier und Verdun seit derGrimo-Stiftung bis zur französi-schen Revolution immer wiederan Besitz verloren hat. Trotzdemstrahlte sie weit auf das St. Wen-

deler Land aus, indem sie zahlrei-che Pfarreien gründete. Interes-sant ist, dass die Diözesangren-zen die Grenzen der römischen

Verwaltungsbezirke aufnahmen,die sich ihrerseits an den kelti-schen Stammesgrenzen orien-tierten. Kerstin Adams

Von Bauern und Christen: Als der heilige Wendelin lebteDrittes Themenseminar zur Kulturgeschichte im St. Wendeler Land widmet sich der fränkischen Epoche

HINTERGRUND. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

In dem Projekt „St. Wendeler Land steinreich: Beispiel eine2500-jährigen europäischen Kulturentwicklung“ geht es da-rum, die kulturhistorischen Besonderheiten des St. WendelerLandes zu benennen und näher zu erforschen. Träger diesesProjektes ist die Kulturlandschaftsinitiative St. Wendeler Land.Partner sind die Europäische Akademie Otzenhausen und dasForum Europa. Ziel ist es, den Menschen die kulturellen Be-sonderheiten des St. Wendeler Landes in Verbindung mit demThema Europa näher zu bringen und die einzelnen geschicht-lichen Bausteine zu einer großen Erzählung über die Regionzusammenzufügen. Epochenseminare sind Teil dieses Projektes. Das nächste Semi-nar dieser Reihe bezieht sich auf das Heilige Römische ReichDeutscher Nation und findet am 14. Januar statt. Informationen gibt es bei der Europäischen Akademie Otzen-hausen, Telefon (0 68 73) 66 24 47 red

Johannes Naumann informiert in der Abteikirche ausfühlich über dieGeschichte des ältesten Klosters in Deutschland.

In der fränkischen Epoche breitete sich das Christentum immer mehr aus. In dieser Zeit entstand auch die Abtei Tholey. FOTOS: EVA HENN, KULANI

Petra Schröder in der Tracht einer Fränkin aus der Merowingerzeit.

P R O D U K T I O N D I E S E R S E I T E :

V O L K E R F U C H S

M AT T H I A S Z I M M E R M A N N

Page 5: 11-05-17-SZ-Kämpferisch und schmeichelnd - kulani.de · eines Seminars in der Europäischen Akademie Otzen-hausen. Es war das dritte einer Reihe, die die 2500 Jahre Ge-schichte

S E I T E C 8 N R . 4 6 D O N N E R S T A G , 2 3 . F E B R U A R 2 0 1 2LOKALESWND

Die Ritter im St. Wendeler Land Das St. Wendeler Land ist steinreich, sagen Vertreter der Kulturlandschaftsinitaitive. Auch reich an Ge-

schichte. Diese will die Initiative den Menschen näher bringen. Ein Baustein sind Epochenseminare. Das vierte führte ins Mittelalter.

Nikolaus Cusanus bereichertendas geistige Leben ebenso wieMinnesänger wie Wolfram vonEschenbach (Parzival), Walthervon der Vogelweide, Literatenwie Dante Alighieri (Divina Com-media/Göttliche Komödie), r Ge-offrey Chaucer (Canterbury Ta-les). Gesellschaftlich war dieEpoche des Weiteren durch Rit-tertum und Pilger wie in St. Wen-del.Das Reich und das Kaisertum: Waswar das Heilige Römische ReichDeutscher Nation überhaupt?Kein einheitlicher Staat, sondernbestand aus vielen Gebieten un-terschiedlicher Größe, die bei-spielsweise von einem König,Fürsten oder kirchlichem Wür-denträger regiert wurden. Diesestanden ihrerseits unter derHerrschaft eines deutschen Kö-

nigs oder Kaisers. ImLaufe der Jahrhun-derte verändertensich die Reichsgren-zen beträchtlich; inseiner größten Aus-dehnung umfasste eseine Fläche, die vonden heutigen Nieder-landen bis Kroatien,von Burgund bis andie Grenzen des pol-nischen Königreichs.

An der Spitze standder deutsche Königoder Kaiser. Der Kai-ser war der Schutz-herr des Papstes undbrauchte ihn seiner-seits für seine Krö-nung, so dass beidevoneinander abhän-gig waren. Sobaldsich dieses Gleichge-wicht änderte und ei-ner von beiden neueVerbündete fand, wa-ren Konflikte pro-grammiert.

Fünf große Herr-scherhäuser lenktendie Geschicke desReiches: Dieses wur-de von dem sächsi-

schen Adelsgeschlecht der Otto-nen (919-1024) begründet, Kai-serkrönung Ottos I. des Großen962. Er ist der bekannteste Otto-ne, dessen Ritterheer 955 in derSchlacht auf dem Lechfeld Un-garn besiegte.

Auf die Ottonen folgten die Sa-lier, ein fränkisches Geschlecht(1024-1125). Unter dem SalierHeinrich IV. kam es zum Investi-turstreit mit dem Papst: Es gingdarum, ob der Kaiser oder derPapst Bischöfe in ihre Ämter ein-setzen durfte (Investitur). Letzt-lich unterlag Heinrich IV. undmusste 1076 den Büßergang nachCanossa antreten.

Es begann mit den Kelten,dann kamen die Römer,dann die Germanen.Jetzt folgte mit einer

Veranstaltung zur „Epoche desHeiligen Römischen ReichesDeutscher Nation“ in der Otzen-hauser Europäischen Akademiedas vierte Seminar einer Reihe,die sich mit 2500 Jahren Ge-schichte im St. Wendeler Landund ihren Auswirkungen auf un-ser heutiges Leben befasst.

Die beiden Referenten Man-fred Peter und Johannes Nau-mann standen vor der schwieri-gen Wahl, aus der Fülle der The-men der 500-jährigen Epoche diebedeutendsten und für unsereRegion wichtigsten vorzustellen.Der folgende Text fasst beide Vor-träge zusammen.Finsteres Mittelalter? So finster,wie oft behauptet,war das Mittelaltergar nicht – so Petersund Naumanns über-einstimmendes Fazit.Zwar gab es Kriege,Kämpfe und Kreuz-züge. Epidemien wieder Schwarze Tod(die Pest) rafften im14. Jahrhundertschätzungsweise einDrittel der europäi-schen Bevölkerunghinweg. Und trotz-dem: Im Vergleich zuden Epochen vor undnach dem Mittelalterherrschte relativerFrieden. So wuchsder Wohlstand derMenschen.

Die Gesellschaft er-lebte ab dem13. Jahrhundert fun-damentale Umbrü-che: Die in der fränki-schen Zeit ländlichgeprägte Bevölke-rung drängte es ei-nerseits in neue, an-dererseist in wiedererblühende Städte.Wirtschaftlicher Auf-schwung war die Folge. Es gabwohlhabende Patrizier, aber aucheine städtische Unterschicht.Bauern wirtschafteten effektiver(Dreifelderwirtschaft).

Kirchen und Burgen wurdengebaut. Die meisten Dörfer, wiewir sie heute kennen, entstanden.Die Baukunst der Gotik, die nachLicht aufwärts gen Himmelstrebt, versinnbildlichte das Le-bensgefühl der Menschen. Diemit den Kirchenbauten verbun-denen Arbeiten schufen Aufträgefür die in Zünften organisiertenHandwerker. Berühmte Philoso-phen wie Albertus Magnus, Tho-mas von Aquin, Roger Bacon oder

Nach den Saliern kamen die inSchwaben beheimateten Staufer(1136-1254) an die Macht. Die be-kanntesten Kaiser sind Friede-rich I. Barbarossa und sein EnkelFriedrich II..

Auf die Staufer folgten die Lu-xemburger (1312-1437), derenKaiser Karl IV. (1316-1378) alsder wohl herausragendste Kaiserdes Spätmittelalters gilt. Er er-ließ die Goldene Bulle, eines derGrundgesetze des mittelalterli-chen Deutschen Reiches.

Nach den Luxemburgern re-gierten ab 1438 die Habsburger,unter denen das vorher auf Euro-pa ausgerichtete Reich Weltpoli-tik zu betreiben begann: Amerikawar entdeckt worden. Im ReichKaiser Karls V. „ging die Sonneniemals unter“, denn er herrsch-te auch über die spanischen Be-sitztümer in der Neuen Welt.Das kirchliche Leben: Das kirchli-che Leben im Heiligen Römi-schen Reich Deutscher Nationdominierten Päpste und Orden.Zudem beeinflussten verschiede-ne Persönlichkeiten das geistigeLeben, darunter Hildegard vonBingen und Meister Eckhart.

Das Wirken einiger Päpste istbis in unsere Zeit zu spüren.Papst Gregor VII. (etwa 1020bis1085) verbot die vorher durch-aus akzeptierte Priesterehe.Papst Urban II. rief 1095 zumersten Kreuzzug ins HeiligeLand. Das Pontifikat Sixtus’ IV.(1471-1484) wiederum steht bei-spielhaft für ein negatives Bilddes Papsttums, das den Boden fürdie Reformation bereitete. Es wardurch zügelloses Postengescha-cher zugunsten seiner Verwand-ten und schwungvollen Ablass-handel gekennzeichnet. Ein Gu-tes hatte seine Herrschaft: SeinerPrunksucht verdankt Rom heutezahlreiche prachtvolle Bauten, sodie Sixtinische Kapelle im Vati-kan.

Im Mittelalter entstandenzahlreiche Orden, einer ist derder Benediktiner. Die TholeyerAbtei ist bis heute ein Benedikti-nerkloster.Die seit dem siebtenJahrhundert dort ansässigen iro-schottischen Mönche des Ordensdes Heiligen Columban wurdeneinfach umgewidmet.

Wie alten Chroniken zu ent-nehmen, nahmen die Benedikti-ner im Mittelalter hauptsächlichAdelige auf. Dass diese ihre Le-benskultur mitbrachten und sichnicht immer dem Ordenslebenmit seinem Motto „Bete und ar-beite“ unterordneten, brachteProbleme mit sich. Diese Adels-wirtschaft wiederum führte zuReformen im 15. Jahrhundert.

In Tholey gibt es mit dem erstin den 1960ern entdeckten Grab

von Kuno von Pfullingen (1016-1066) einen Hinweis auf Macht-kämpfe. Kuno sollte auf Betrei-ben seines Onkels, des KölnerErzbischofs, den Trierer Bi-schofsstuhl einnehmen. Das Volkund der Klerus in Trier fühltensich indes übergangen. So hin-derten sie Kuno daran, in dieStadt zu kommen. Sie ließen ihngefangen nehmen und ermordeteihn. Seine Peiniger stürzten ihnden Quellen nach drei Mal von ei-nem Felsvorsprung. Weil er auchdas überlebte, enthaupteten sieihn zudem.

Der Seminarvormittag wurdemit Vorträgen zu Balduin von Lu-xemburg, St. Wendelin und einekurze Einführung zum fürSt. Wendel bedeutenden Univer-salgelehrten Nikolaus von Kues(Referent hier: Werner Martin),abgerundet.

Im Verlauf führte die Veran-staltung auf eine Exkursion zuzwei Burgen des St. WendelerLandes: nach Nohfelden und dieLiebenburg in Eisweiler. Durchdie St. Wendeler Basilika führteGerd Schmitt die Exkursions-Teilnehmer. Er verdeutlichte, wiesehr der Heilige Wendelin denCharakter dieses Gotteshausesgeprägt und Nikolaus Cusanusdie Gestaltung der Kirche beein-flusst haben. Die Basilika, vonErzbischof Balduin geplant, giltals eine der schönsten Kirchendes Saarlandes. Kerstin Adams

Von Kaisern, Rittern und KirchenmännernViertes Themenseminar zur Kulturgeschichte im St. Wendeler Land widmet sich dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation

HINTERGRUND. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

In dem Projekt „St. Wendeler Land steinreich: Beispiel einer2500-jährigen europäischen Kulturentwicklung“ geht es da-rum, die kulturhistorischen Besonderheiten des St. WendelerLandes zu benennen und näher zu erforschen. Träger diesesProjektes ist die Kulturlandschaftsinitiative St. WendelerLand. Partner sind die Europäische Akademie in Otzenhausenund das Forum Europa. Epochenseminare sind Teil dieses Projektes. Das nächste be-handelt die Europäische Epoche (Neuzeit) und findet am3. März statt. Informationen gibt es bei der Europäischen Akademie, Tele-fon (0 68 73) 66 24 47 red

Auf geht’s zum Turm der Liebenburg.

Blick nach oben auf die Deckengemälde der Wendelinus-Basilika in der Kreisstadt. FOTOS: KULANI

Die Exkursionsteilnehmer des Epochenseminars bekamen Einblicke indie Geschichte der Kirche des Wendelin.

Seine

Peiniger

stürzten ihn

den Quellen

nach drei

Mal von

einem

Felsvor-

sprung. Weil

er das

überlebte,

enthaupteten

sie ihn.Über den in Tholey

begrabenenKuno vonPfullingen

(1016-1066), dergegen den Trierer

Willen Bischofwerden sollte

P R O D U K T I O N D I E S E R S E I T E :

V O L K E R F U C H S

M AT T H I A S Z I M M E R M A N N

Page 6: 11-05-17-SZ-Kämpferisch und schmeichelnd - kulani.de · eines Seminars in der Europäischen Akademie Otzen-hausen. Es war das dritte einer Reihe, die die 2500 Jahre Ge-schichte

S E I T E C 8 N R . 8 0 D I E N S T A G , 3 . A P R I L 2 0 1 2LOKALESWND

Die Europäische Epoche im St. Wendeler Land Das St. Wendeler Land ist steinreich, sagen Vertreter der Kulturlandschaftsinitiative. Auchreich an Geschichte. Diese will die Initiative den Menschen näher bringen. Ein Baustein sind Epochenseminare. Das letzte behandelte die Neuzeit.

P R O D U K T I O N D I E S E R S E I T E :

V O L K E R F U C H S

M AT T H I A S Z I M M E R M A N N

Die Epoche im An-schluss an das Mittel-alter wird allgemein alsNeuzeit bezeichnet.

Man könnte sie aber auch die Eu-ropäische Epoche nennen. (Fast)alle europäischen Staaten erleb-ten in dieser Epoche (1492 bis1991) ihre größte geografischeAusdehnung und den Höhepunktihrer politischen und kulturellenMacht. Der Aufschwung der eu-ropäischen Staaten war auch be-gründet in der Zentralisierungder Macht bei den Monarchenund der beginnenden Expansionin die jeweiligen Kolonien. Dreigroße Revolutionen verändertenden Kontinent entscheidend undwirken sich bis zum heutigen Ta-ge aus.

Worum es dabei genau ging,machten die Referenten ManfredPeter und Bernhard Planz wäh-rend des Seminars „Die europäi-sche Epoche“ in der Europäi-schen Akademie Otzenhausendeutlich. Es war das letzte einerReihe, die sich mit 2500 JahrenGeschichte in unserer Regionund ihren Auswirkungen auf un-ser heutiges Leben befasste. Derfolgende Text enthält Elementeaus beiden Vorträgen.

Die religiöse Revolution

Der Boden für die religiöse Revo-lution (die Reformation) wurdein der Renaissance ab Mitte des15. Jahrhunderts vorbereitet, mitder das Mittelalter endete. DieRenaissance war eine Zeit, in derder Mensch immer stärker in dasZentrum des Denkens rückte.Dass die Erde nicht im Zentrumdes Universums steht und sichvielmehr um die Sonne dreht(Kopernikus), war nur eine dergroßen naturwissenschaftlichenEntdeckungen dieser Zeit, die andas Fundament der kirchlichenLehre rührten.

Entdeckungsreisen eröffnetenneue Welten, und auch im Inne-ren kehrte man sich immer stär-ker vom Leben und Denken desMittelalters ab: Der Humanis-mus orientierte sich an den Wer-ten und der Würde des Men-schen, wie wir sie auch heute ken-nen. Gutenberg erfand 1454 denBuchdruck, und so konnten sichdie neuen Ideen rasch verbreiten.Hinzu kam, dass das Ansehen desPapsttums zusehends verfiel:Viele hochrangige Kirchenmän-ner verteilten inzwischen luk-rative Ämter und Funktionen anihre eigenen Familienmitgliederund erfüllten ihre geistlichenFunktionen nur noch oberfläch-lich. So war es nur eine Frage der

Zeit, bis 1517 in Wittenberg einTheologieprofessor und Augusti-nermönch seine 95 Thesen zurReform des Glaubens und Den-kens verbreitete: Martin Luther,mit dem bei uns der Begriff Re-formation verbunden ist. Dieseführte zur Spaltung des westli-chen Christentums in verschie-dene Konfessionen (katholisch,lutherisch und reformiert).

Die Konflikte um diese Spal-tung entluden sich grausam imDreißigjährigen Krieg (1618 bis48), in dem es auch um Fragender Vorherrschaft in Europa gingund in dem europäische Mächtevon Spanien bis Schweden gegen-einander kämpften. Hungersnöteund Seuchen kamen hinzu, sodass ganze Landstriche entvöl-kert wurden.

Seit dem Augsburger Religions-frieden von 1555 galt das Prinzip„Cuius regio – eius religio“. Es be-siegelte das Recht der Herrscher,ihren Untertanen die Religionvorzugeben. Da das heutige Saar-land von verschiedenen Herr-scherhäusern mit unterschiedli-chen Konfessionen regiert wur-de, sind noch heute bestimmteOrte eher katholisch oder evan-gelisch geprägt.

Die politische Revolution

Auf das Chaos des Dreißigjähri-gen Krieges folgte eine Zeit vonHerrschern mit uneingeschränk-ter Macht, die die zerstörte Ord-nung wiederherstellen sollten:die Zeit des Absolutismus. Die ab-soluten Herrscher empfandensich als Herrscher von GottesGnaden, standen über den Geset-zen und übten alle Staatsgewaltaus. „Der Staat bin ich“, so derfranzösische König Ludwig XIV.(1638 bis 1715), dessen Ausspruchdiese Haltung überspitzt ver-deutlicht.

Trotzdem brachen sich im 17.und 18. Jahrhundert die Gedan-ken der Aufklärung immer stär-ker Bahn. Autoren wie Voltaire,Rousseau, Montesquieu oderauch Kant beriefen sich auf dieVernunft zur Befreiung der Men-schen aus ihrer Unmündigkeit.Sie forderten politische Gewal-tenteilung und Menschenrechte,Toleranz und persönliche Hand-lungsfreiheit.

Mit dem Sturm auf die Bastilleam 14. Juli 1789 begann die Fran-zösische Revolution. In dieserZeit entstand die Erklärung zuden Menschen- und Bürgerrech-ten, die für die Entwicklung dereuropäischen Geschichte bisheute so unverändert wichtig ist.

Die wirtschaftliche Revolution

Ab der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts änderten sich (zu-nächst in England) die wirt-schaftlichen und sozialen Bedin-gungen in nie gekanntem Maße.Erfindungen wie Webmaschinen,Dampfmaschinen, Lokomotiven,die industrielle Herstellung vonEisen und Stahl führten zu tiefgreifenden Umwälzungen der Ar-beitsbedingungen und Lebens-umstände der Menschen. Auf derSuche nach Beschäftigung dräng-ten sie in die Städte und fandendort unter zum Teil unsäglichenBedingungen Arbeit in den neuenFabriken oder Bergwerken. Einmittelloses Proletariat entstand,dessen Elend Proteste und Wi-derstandsaktionen auslöste.

Gleichzeitig führte die indust-rielle Revolution spätestens inden letzten Jahrzehnten des 19.Jahrhunderts zu Spannungen in-nerhalb (und teilweise auch au-ßerhalb) der europäischen Staa-tenwelt. Der Mitte des 19. Jahr-hunderts führende Nation Eng-land erwuchs an der Wende zum20. Jahrhundert zwei Rivalen:das Deutsche Reich (gegründet1871) und die Vereinigten Staatenvon Amerika. Eine ungeschickteBündnispolitik des DeutschenReiches führte zu neuen Bünd-niskonstellationen in Europa,

hinzu traten nationalistische Be-wegungen in Südosteuropa, diezusammen die Voraussetzungenfür den Ersten Weltkrieg von 1914bis 1918 schufen.

Das Ende der Epoche

Mit dem Ende der Epoche sinddrei große Entwicklungen ver-bunden: der Versailler Vertrag(1919), der von den im ErstenWeltkrieg unterlegenen Mächtenals schwere Demütigung emp-funden wurde, und die Weltwirt-schaftskrise (1929 bis 1932), diezu Massenarbeitslosigkeit und-verarmung führte. Beide Ent-wicklungen haben zum Erstar-ken des Nationalsozialismus undder Machtergreifung der Natio-nalsozialistischen ArbeiterparteiDeutschlands (NSDAP) 1933 bei-getragen. Als Folge wurden inDeutschland alle demokrati-schen Institutionen abgeschafft.Die nationalistische und rassisti-sche Ausrichtung der neuen„Führung“ in Deutschland führtezum Zweiten Weltkrieg (1939 bis1945) und stürzte Europa in eineKatastrophe nie gekannten Aus-maßes mit 40 bis 50 MillionenToten.

Bis heute wirken sich der Kriegund der verbrecherische Versuch,ein ganzes Volk aus rassistischenBeweggründen im Holocaustauszulöschen, auf die Mensch-heit aus.

Die zweite Hälfte des letztenJahrhunderts war geprägt durchden so genannten Kalten Krieg,in dem sich die hochgerüstetenSupermächte USA und UdSSRgegenüberstanden. Der Macht-verlust der europäischen Staatenzeigte sich immer deutlicher imVerlust ihrer Kolonien und fandletztlich im Zusammenbruch derSowjetunion 1991 seinen Schluss-punkt. Er bedeutete das Endedieser Epoche.

Gleichzeitig setzte nach demZweiten Weltkrieg eine optimis-tisch stimmende Entwicklungein: Allmählich bahnte sich dieeuropäische Einigung an, dieheute in ihrer letzten Entwick-lungsstufe als Europäische Unionfast alle europäischen Staatenumfasst.

Exkursionen

Der Nachmittag führte die Teil-nehmer auf eine Exkursion zuLandmarken der am Vormittagbehandelten Revolutionen. Sostand die evangelische Kirche inWolfersweiler stellvertretend fürdie Reformation. Pfarrer Jörg

Grates erklärte die Besonderhei-ten der Kirche mit ihrem mar-kanten Abendmahlstisch unddem Grab von Herzog Kaspar.Anschließend gab Weiler ein kur-zes Gratiskonzert auf der beein-druckenden Stummschen Orgel.

Anschließend ging es, einge-denk des Grafen Joseph Antonvon Öttingen-Dagstuhl, weiterzum Schloss Dagstuhl, wo die Be-sucher in der Kapelle, einemKleinod des Barock, die Bilderder Malergräfin Octavie de Las-salle bewunderten.

Abgerundet wurde die Exkursi-on mit einem Besuch der wieder-hergestellten Nagelschmiede inSitzerath, einem interessantenBeispiel für industrielle Ferti-gung in Heimarbeit in einem derDörfer der Region. Die HerrenWeiler und Paulus gaben dort ei-nen tiefen Einblick in die Arbeitin der Nagelschmiede und erklär-ten deren wirtschaftliche Bedeu-tung für Dorf und Region.

Da in der Kürze der Zeit nur ei-ne kleine Auswahl aller Themenbehandelt werden konnte, findenverschiedene Vorträge mit direk-tem Bezug zum St. WendelerLand statt: die „Reformation imSt. Wendeler Land“ (BernhardPlanz, 25. April, in St. Wendel-Niederkirchen), „Schloss Ese-beck in Gonnesweiler“ (JohannesNaumann, 15. Mai. in Nohfelden-Gonnesweiler), „300 Jahre Hiw-welhaus Alsweiler (Bernd Brill,23. Mai in Marpingen-Alsweiler)sowie „Die Französische Revolu-tion im St. Wendeler Land“ (Jo-hannes Schmidt, 13. Juni, Nonn-weiler-Kastel).

Revolutionen, Kriege und die Freiheit der MenschenDas fünfte Themenseminar zur Kulturgeschichte im St. Wendeler Land widmete sich der wechselvollen Geschichte der Neuzeit

Von Gastautorin Kerstin Adam

Die Exkursionsteilnehmer besuchten auch das Schloss Dagstuhl, 1760 von Graf Joseph Anton erbaut. FOTOS: KULTURLANDSCHAFTSINITIATIVE

Arbeiten der Gräfin Octavie zieren die Dagstuhler Schlosskapelle.

Festes Schuhwerk: ein mit Nägeln gespickter Schuh.

Ein Beispiel für industrielle Fertigung: die Sitzerather Nagelschmiede.HINTERGRUND. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

In dem Projekt „St. Wende-ler Land steinreich: Bei-spiel einer 2500-jährigeneuropäischen Kulturent-wicklung“ geht es darum,die kulturhistorischen Be-sonderheiten des St. Wen-deler Landes zu benennenund näher zu erforschen.Träger dieses Projektes istdie Kulturlandschaftsini-tiative St. Wendeler Land.Partner sind die Europäi-sche Akademie in Otzen-hausen und das Forum Eu-ropa. red

Die evangelische Kirche in Wol-fersweiler.

Page 7: 11-05-17-SZ-Kämpferisch und schmeichelnd - kulani.de · eines Seminars in der Europäischen Akademie Otzen-hausen. Es war das dritte einer Reihe, die die 2500 Jahre Ge-schichte

S E I T E C 6 N R . 7 M I T T W O C H , 9 . J A N U A R 2 0 1 3LOKALESWND

Die Zukunft des St. Wendeler Landes Das St. Wendeler Land ist steinreich, sagt die Kulturlandschaftsinitiative. Auch reich an Geschichte.Diese Geschichte arbeitete die Initiative in fünf Epochenseminaren auf. Beim sechsten ging es jetzt um die Zukunft des ländlichen Raumes.

Otzenhausen. „Wo geht es hin, undwas ist die Zukunft des St. Wende-ler Landes?“ Mit diesen Fragen er-öffnete Klaus Brill seinen Vortraganlässlich eines Zukunftsforumsin der Europäischen Akademie Ot-zenhausen. Das Zeitalter der Glo-balisierung sei, so Brill, „geprägtvon vielen technischen, wirt-schaftlichen, kommunikativenund sozialen Prozessen“, die sichgerade auf das alltägliche Leben inunserer ländlich geprägten Regionauswirken. Und so lautete diezentrale Frage nicht nur, wohindas St. Wendeler Land geht, son-dern auch, was getan werdenkann, um den Weg, den die Regionnimmt, beeinflussen zu können.

Dieses Forum war das letzte derVeranstaltungsreihe „St. Wende-ler Land steinreich: Auf den Spu-ren einer 2500-jährigen europäi-schen Kulturentwicklung“. Wäh-rend sich die ersten fünf Seminaremit der Vergangenheit und dengroßen historischen Persönlich-keiten des St. Wendeler Landesbefasst hatten, richtete sich dieletzte Veranstaltung auf die Zu-kunft. Der folgende Text enthälteine Zusammenfassung aus bei-den Vorträgen sowie der anschlie-ßenden Diskussion.

Blick von außen und innen

Die Referenten, die sich dem The-ma widmeten, können auf dasSt. Wendeler Land einen Blick so-wohl von innen als auch von außenwerfen: Der gebürtige PrimstalerManfred Peter, der heute in Lu-xemburg lebt, sowie der aus Als-weiler stammende Klaus Brill, derals Korrespondent in Warschauarbeitet. Beide widmen sich mitEngagement der Geschichte ihrerHeimat.

Zunächst gab Manfred Peter ei-nen Überblick über die großenEpochen der Geschichte imSt. Wendeler Land: die keltische,die römische, die fränkische, dieEpoche des Heiligen RömischenReiches Deutscher Nation und dieeuropäische. Diese Epochen dau-erten grob gesagt jeweils 500 Jah-re und orientierten sich an derKultur, die gerade herrschte. Man-fred Peter hat mit seinen Überle-gungen zur Einteilung der 2500-jährigen Kulturgeschichte in fünfjeweils 500-jährige Epochen undder Zuordnung von markantenLandmarken und Persönlichkei-ten die entscheidende Kernideezur Entwicklung der „ErzählungEuropa“ geliefert. Gleichzeitig hater mit seinem Talent, geschichtli-che Fakten kreativ zu interpretie-ren und spannend darzustellen, inden sechs Seminaren zu den ein-zelnen Epochen wertvolle Beiträ-ge geliefert.

Besonderen Wert legte Peter aufden Epochenwandel und wie die

Menschen diesen Übergang voneiner Epoche zur anderen gestal-teten. Im St. Wendeler Land gab eszwei Mal einen direkten kulturel-len Bruch, bei dem die bis dahinvorherrschende Kultur vernichtetwurde. Ebenso entwickelte sichaber ebenfalls zwei Mal in einemsolchen Epochenwandel aus einerbestehenden Kultur etwas Neues.Laut Peter endete die letzte, die„europäische“ Epoche, 1991 mitdem Zusammenbruch der Sowjet-union. Heute nun stehe man amBeginn einer neuen Epoche. Siewerde bestimmt durch die USA alsverbleibende Supermacht, aberauch durch den Aufstieg neuerStaaten wie China, Russland, In-dien und Brasilien. Durch die Er-fahrung der europäischen Integ-ration ist für Manfred Peter einvereintes Europa zum Modell fürandere Regionen geworden, zumBeispiel für Südamerika (Merco-sur) oder Südostasien (Asean).

Heute digitale Revolution

Die Machtverschiebungen unse-rer Zeit liegen nach seiner Ansichtin der rasanten technischen Ent-wicklung in Verbindung mit derdigitalen Revolution begründet.Sie seien die Vorbedingung für dieGlobalisierung. An den ländlichenRegionen liege es nun, diesen Epo-chenwandel nicht zum Kultur-bruch werden, sondern durch Ver-änderung des Bestehenden etwasNeues entstehen zu lassen, undzwar in einer „Entwicklung vonunten“.

Dies war das Stichwort für KlausBrill, der am Beispiel Alsweilersergründete, „wie sich die Globali-sierung auf unseren Alltag und un-ser Zusammenleben auswirkt: Al-te Häuser, Geschäfte, Gaststätten,aber auch Wörter aus dem Dialektverschwinden. Lebensmittel ausdem Ausland kauft man im Super-markt, statt sie daheim zu ernten.Schulen schließen und Vereine,früher das Zentrum dörflichen Le-bens, kämpfen um ihr Überleben“.Gleichzeitig seien für die meistenvon uns Hunger und Kälte, wie siedie Generation der heute 80- oder90-Jährigen kannte, Geschichte.Auto, Flugreisen und Urlaub seienfür viele selbstverständlich. UndTelefon, Fernsehen und Internettun das Ihre, dass die Menschenauf dem Land heute besser infor-miert und in vielen Dingen offenerund toleranter sind als früher.

„In allen Lebensbereichen hatsich der Austausch über Konti-nente hinweg beschleunigt undvervielfacht. Und es geht dabeinicht nur um Waren, Arbeitsplätzeund Finanzprodukte, sondernauch um Informationen, umDenkweisen, um Moden undSehnsüchte. Es geht um unserenganzen Lebensstil“, sagte Brill.

Drei Bereiche haben für Brill nachwie vor entscheidende Bedeutungfür den ländlichen Raum: das Ver-einsleben, die Migration und dieVernetzung. Aus eigener Erfah-rung berichtete Klaus Brill ausTschechien oder Rumänien, wo es

ein Vereinsleben, wie wir es ken-nen, nicht gibt. Und es damit auchunendlich mühsam für die Men-schen sei, eine Bürgergesellschaftaufzubauen. Ohne Vereine oderBürgerinitiativen blieben die Bür-ger den Eliten und Geschäftema-chern ihres Landes ausgeliefert.Der ländliche Raum in Deutsch-

land dürfe etwas so Wertvollesnicht verspielen.

Die meisten Vereine entstandenim 19. Jahrhundert und entspran-gen dem Freiheitsdrang der Men-schen. Der heutige Trend zur Frei-zeitgesellschaft und Individuali-sierung bringe so manche Vereinean ihr Ende. Dabei böten sie gera-de Jugendlichen einen Halt undGemeinschaftsgefühl. Was tun?Die Kultur des Helfens und derGemeinschaft könne zum Beispieldurch Bürgerinitiativen oder Pro-jekte, die idealerweise von beste-henden Vereinen angeboten wer-den, in einer neuen Form weiter-geführt werden. Daran könntensich Mitglieder unterschiedlicherVereine und vor allem diejenigenbeteiligen, die keiner Organisationangehören wollten, so Brill.Hauptsächlich Jugendliche, Rent-ner, Frauen und Migranten sinddiejenigen, die richtig angespro-chen werden müssten, um ehren-amtliches Engagement zu erhal-ten. Neben den Menschen, die so-wieso im St. Wendeler Land leben,seien Migranten in Zeiten schwin-dender Bevölkerungszahlenenorm wichtig. Das Phänomen derEin- und Auswanderung gebe es inunserer Region nicht erst seit ges-tern. Schon vor 2000 Jahrenmischte sich die keltische Bevöl-kerung mit Einwanderern: römi-schen Legionären, Händlern oderHandwerkern, die aus einem

Reich kamen, das von Spanienüber Nordafrika bis Rumänienreichte. Heute genüge oft ein Blickin die eigene Familiengeschichteoder auch nur ins Telefonbuch, umzu sehen, wie viele Deutsche ur-sprünglich nicht aus dem Gebietstammen, das heute Deutschlandheißt. Sie brachten Errungen-schaften mit, die das heutigeDeutschland prägen, zu den ältes-ten gehören beispielsweise dasChristentum und die Schrift. Die-se Entwicklung werde sich fortset-zen.

Landflucht seit 30 Jahren

Vor etwa 30 Jahren setzte aller-dings auch die stärkste Auswande-rungswelle der Geschichte aus dendeutschen Dörfern ein: Die Men-schen suchten in der Stadt bessereschulische und berufliche Mög-lichkeiten, neue Chancen. BeideGruppen, die Ein- und Auswande-rer aus einem Dorf, müssten ein-bezogen werden, um das Lebenauf dem Land zukunftsfest zu ma-chen. Dabei müsse klar sein: Esgibt ein Menschenrecht auf Mig-ration, aber es gibt auch ein Men-schenrecht auf Respekt gegenüberder eigenen (heimischen) Kulturund Identität und ihrer Aufrecht-erhaltung. Hier störten Heimatdö-delei und Volkstümelei ebenso wieblauäugiges Multi-Kulti-Getue, soBrill.

Der dritte Punkt betraf die Glo-

balisierung der Dorfpolitik, womitdie politische Beteiligung aller,auch parteiloser Bürger, gemeintist. Dabei seien das Fehlen vonVernetzung, Austausch und Infor-mation das größte Handicap füralle, die sich engagieren wollen.Ein Internetportal für kleine Städ-te und Dörfer mit Berichten überForschungsergebnisse, Informa-tionen über Politik für den ländli-chen Raum und praktische Erfah-rungen wären ein erster Schritt,um diesen Mangel zu beheben.Schlagkräftigere Lobby- oder Ak-tionsbewegungen für das Dorf wiein England, Frankreich, Skandina-vien oder manchen osteuropäi-schen Ländern könnten das Imagedes ländlichen Raumes heben,mehr Menschen hierhin ziehenund vor allem Verbesserungen fürdas Leben auf dem Land bewirken.

Dörfer und Kleinstädte abgedrängt

Tatsächlich würden heute aller-dings Dörfer und kleine Städte un-ter dem Druck der Globalisierungimmer stärker abgedrängt, soBrill, der eine „lautlose Revoluti-on“ forderte. Vor allem Frauen,aber auch Zugezogene und rüstigeRentner könnten dazu beitragen,dass die Dörfer lebendig bleiben.Dabei müssten Bürgerinitiativenund Dorfvereine mit Kommunal-politikern und ortsansässigen Un-ternehmen zusammenwirken.

Kerstin Adam

Kultur des Helfens und der Gemeinschaft muss bleibenZukunftsforum „Quo vadis? Die Zukunft des St. Wendeler Landes in Europa“: Vereine spielen im ländlichen Raum weiter eine wichtige Rolle

Gezielt auf die Neuankömmlinge zugehenVereinsleben, Ein- und Auswanderung bestimmten die Diskussion

Otzenhausen. Früher fand die In-tegration der Neubürger über dieKinder, Vereine oder die Kirchestatt; heute ist es hingegenschwierig, gezielt auf Neuan-kömmlinge zuzugehen, um sie indas Dorfleben einzubinden. „Esliegt an uns, wir als Gruppe dür-fen Neue nicht auflaufen lassen“,so das Fazit einer Teilnehmerindes Zukunftsforums. Besonderswichtig: die persönliche Anspra-che. Als Beispiele wurden in derDiskussion über die Thesen vondes Experten Klaus Brill Sportak-tionen genannt, Integrationskur-se, Kaffeerunden für Ältere,Tanzrunden, Back- und Kochkur-se mit internationalen, aber auchtraditionellen Rezepten unterEinbeziehung der Neubürger.

Eine weitere Idee war, einenWettbewerb zu organisieren, indem Arbeiten zu einer besondersfruchtbaren Dorfentwicklungprämiert werden, um die Akteurezu ermutigen und über die Me-dien einen Multiplikatoreffekt zuerzielen.

Dörfliche Initiativen solltensich dabei möglichst in regionaleStrategien einfügen. Im St. Wen-deler Land komme einer Organi-sation wie der Kulturlandschafts-initiative St. Wendeler Land einebesondere Rolle zu. Bereits in derVergangenheit habe die Kulanidurch ihre Projekte zahlreichePartner vernetzt, Vorhaben vo-rangetrieben und wertvolle Kon-zepte für die Zukunft entwickelt.

Diese Entwicklung bleibt nichtstehen: Die Kulani und ihre Part-ner, in diesem Fall die Europäi-sche Akademie Otzenhausen unddie Stiftung europäische Kulturund Bildung, haben sich jeden-falls weitere Projekte auf die Fah-nen geschrieben, um die Identi-tät der Menschen im St. Wende-ler Land weiter zu stärken. In den

kommenden Monaten wird dieReihe regionaler Vorträge zu ge-schichtlichen Themen weiterge-führt. Zudem wird eine Ausstel-lung mit wichtigen historischenund kulturtouristischen Themenund Persönlichkeiten aus demSt. Wendeler Land konzipiert,um den Bürgern, aber auch Tou-

risten und Zugezogenen die Be-sonderheiten des St. WendelerLands zu vermitteln. Kulturrei-sen in Zusammenarbeit mit derVolkshochschule St. Wendel sindgeplant, und all diese Elementesollen auch in außerschulischeLernorte eingebracht werden.

Kerstin Adam

Lebhafte Diskussionen und Vor-schläge der Teilnehmer prägtenden zweiten Teil des Tages. Esstellte sich heraus, dass den An-wesenden die Themen Vereinsle-ben sowie Ein- und Auswande-rung nach wie vor besonders unterden Nägeln brannten.

Im Gespräch (von links): Klaus Brill, Werner Feldkamp, und MichaelMatern, Studienleiter der Europäischen Akademie. FOTO: EVA HENN

Das Archivfoto zeigt Manfred Pe-ter mit seinem Buch „Das verges-sene Erbe“. FOTO: DIA-SAAR.DE

Gemeinsam die Zukunft gestalten: In den Dörfern des Bohnentales gibt es eine Reihe von Initiativen und Projekten, die das Zusammenleben stärken. FOTO: B&K