1
12 graswurzelrevolution januar 2016/405 grenzenlos MINGA: Kollektive Arbeit - gemeinsamer Widerstand Die Selbstorganisation der indigenen Bewegung im Süden Kolumbiens Sie sind eine der Speerspitzen der zivilen Opposition in Kolumbien, von ihnen gingen etliche der landesweiten Proteste und Widerstandsaktionen in den letzten Jahren aus. Ihr Kampf richtet sich gegen Freihandel und Krieg, für Land und Autonomie: die indigene Bewegung im Department Cauca im Süden Kolumbiens und ihre Selbstorganisation CRIC (Consejo Regional Indígena del Cauca / Regionaler Rat der Indigenen im Cauca). MINGA nennen sie die gemein- schaftliche Arbeit, das kollekti- ve Handeln. Dabei kann es sich um das gemeinsame Einbringen der Ernte oder den Bau einer Schule handeln. Eine MINGA wird von der gesamten Gemein- schaft beschlossen und alle brin- gen sich mit ihrer Zeit und Ener- gie dabei ein. Als MINGA bezeichnen die In- digenen aber auch seit mehreren Jahren ihre großen Demonstra- tionen und Mobilisierungen, die oft das gesamte Department Cauca lahmlegen und manchmal ihren Weg bis nach Bogotá neh- men. In den Jahren 2004 bis 2008 wurde aus der MINGA-Bewe- gung der Indigenen des Cauca eine breite landesweite Protest- Bewegung, die im Herbst 2008 mit 30.000 Menschen bis in die Hauptstadt Bogotá zog und den ultra-rechten Präsidenten Uribe herausforderte. Dieser Aufstand richtete sich gegen die neolibe- rale Politik, insbesondere das geplante Freihandelsabkommen mit den USA, gegen die Mili- tarisierung der Gesellschaft und die allgemeine Repression der rechtsextremen Regierung, Ar- mee, Polizei und Paramilitärs. Zu Beginn der MINGA legten mehrere Tausend Indigene im Norden des Cauca mit Straßen- blockaden der Panamericana tagelang große Teile der Provinz lahm. Bei den Auseinanderset- zungen mit Polizei und Militär starben drei Indigene, minde- stens 100 wurden verletzt. Der indigenen Bewegung gelang jedoch der Schulterschluss mit kleinbäuerlichen und afroko- lumbianischen Gemeinschaften, mit den streikenden Zuckerrohr- Arbeiter_innen im benachbar- ten Department und sie bezog schließlich auch weitere Teile der zivilen Opposition und so- zialer Bewegungen ein. Der im Cauca beginnende Aufstand zog dann als Massen-Demonstration weiter Richtung Norden bis zur Hauptstadt Bogotá. Überall fanden entlang der Route große Versammlungen und öffentliche Veranstaltungen statt. Auch aus anderen Landesteilen und Him- melsrichtungen machten sich Menschen auf den Weg ins Zen- trum der Macht, um sich an der knapp sechs Wochen dauernden MINGA zu beteiligen. Bei der Abschlussdemonstration in Bo- gotá erfolgte auch der Schulter- schluss mit den Gewerkschaften und ihrem Dachverband CUT. Der ultra-rechte Präsident Uri- be ließ sich am Ende zwar zum „Dialog“, aber nicht zu Zuge- ständnissen bewegen. Er setzte seine Politik der „harten Hand“ bis zum Ende seiner zweiten Amtszeit 2010 fort. Von der MINGA zum „Congreso de los Pueblos“ Obwohl die MINGA weni- ge konkrete Veränderungen in Wirtschaft und Politik erreichen konnte, war sie ein wesentlicher Schritt in der Stärkung und For- mierung der zivilen Opposition in Kolumbien. Sie ist maßgeb- lich an der Gründung des „Con- greso de los Pueblos“ im Okto- ber 2010 beteiligt. („Kongress der Völker“ – als Gegenentwurf zum „Congreso de la Republi- ca“ – dem kolumbianischen Par- lament) Der Congreso versteht sich als Movimiento Social Colombiano – also als Soziale Bewegung Ko- lumbiens. Er vereint Menschen, Gruppen und Organisationen aus allen gesellschaftlichen Teilbereichen: Frauen, Student_ innen, Gewerkschafter_innen, Kleinbäuer_innen, indigene und afrokolumbianische Gemein- schaften und ihre Organisatio- nen, Umwelt-Aktivist_innen/ Gruppen, Kulturschaffende und Menschenrechtsaktivist_innen. Innerhalb dieser Bewegung spielen die Indigenen des Cau- ca weiterhin eine wesentliche Rolle. Ihre radikale Ablehnung neoliberaler Politik und Wirt- schaft, ihre klaren und oft recht radikalen Forderungen, ihr kon- sequentes Handeln (z.B. Land- besetzungen) und insbesondere ihre starke Organisation und Gemeinschaft verleihen ihnen eine große Ausstrahlung. Sie bestehen absolut auf ihre Auto- nomie und grenzen sich zu allen bewaffneten Akteuren ab. Der dritte Weg – Autonomie und eigener Widerstand Besonders im Norden des Cauca sitzen die Indigenen daher zwi- schen den Stühlen: Die FARC- Guerilla und das Militär kämp- fen um die territoriale Kontrolle und nehmen keinerlei Rücksicht auf die indigene Zivilbevölke- rung. Diese Streitkräfte haben sich vielerorts mitten in den Dorf- gemeinschaften und Städtchen installiert und missbrauchen die Zivilbevölkerung als Schutz- schild für ihre militärischen Ein- richtungen. Dennoch bombar- diert die FARC-Guerilla diese Stellungen mit ihren ungenauen Gaszylinder-Raketen. Besonders schockierend war der Angriff der FARC auf den Poli- zei-Stützpunkt im Städtchen To- ribio mit einem mit Sprengstoff gefüllten LKW im Juli 2011. Dabei kamen drei Menschen ums Leben, 100 wurden ver- letzt. Rund 460 Häuser wurden so stark beschädigt, dass die Be- wohner_innen vorübergehend in Nachbardörfern Unterschlupf suchen mussten. Zugleich unterdrücken Polizei und Armee den zivilen Wider- stand der Indigenen, räumen Landbesetzungen und zerschla- gen Demonstrationen mit Bra- chialgewalt. Paramilitärs bedro- hen und ermorden die Köpfe der Bewegung. Auch während der seit 2012 laufenden Friedensgespräche der FARC mit der kolumbiani- schen Regierung setzten sich die bewaffneten Auseinander- setzungen fast unvermindert fort. Ein einseitig von der FARC ausgerufener Waffenstillstand verminderte die kriegerischen Handlungen nur wenig. Erst im April 2015 erklärte die Regierung von Präsident San- tos, zumindest auf Bombardie- rungen von Guerilla-Stellungen verzichten zu wollen. Nach zwi- schenzeitlichen Eskalationen und De-Eskalationen lebt die Zivilbevölkerung weiterhin in dieser brüchigen Waffenpause. Im Juli 2015 erklärte die Regie- rungsdelegation in Havanna, ein beidseitiger Waffenstillstand sei greifbar. Frieden… mit Würde und Gerech- tigkeit! Für viele Teile der sozialen Be- wegungen in Kolumbien sind die Verhandlungen der FARC- Guerilla mit der Regierung Kolumbiens ohnehin nur einer von etlichen Schritten auf dem Weg zum Frieden. Zum einen fehlt ein Dialogprozess der Re- gierung mit der zweitgrößten Guerilla – dem ELN (Ejercito de Liberación Nacional). Zum anderen sehen sich die zi- vile Opposition und die sozialen Bewegungen keineswegs durch die Guerillas vertreten und stel- len ihre eigene Agenda für einen Friedensprozess auf. Daher hat sich im November 2015 ein breites Bündnis aus vielen Teilen der sozialen Be- wegungen in Kolumbien zu ei- ner „Mesa Social para la Paz“ zusammengeschlossen – einem sozialen Verhandlungstisch für den Frieden. Neben dem Congreso del los Pueblos und der Bewegung der Afrokolumbianer_innen PCN (Proceso de Comunidades Ne- gras) sind auch kleinbäuerliche, studentische, kirchliche und po- litische Organisationen dabei. Die indigenen Gemeinschaften sind mit ihrer Nationalen Or- ganisation ONIC prominent vertreten. Sie wollen neben den Verhandlungstischen der beiden Guerillas mit der Regierung ei- nen dritten eröffnen, bei dem die Belange der Zivilgesellschaft vonseiten der sozialen Bewe- gungen eingebracht und verhan- delt werden. Zentrale Vorstel- lung und Forderung des breiten Bündnisses ist ein Frieden mit sozialer und Umwelt-Gerech- tigkeit. Es sollen die Gründe des bewaffneten Konflikts verhan- delt werden, die in der massiven Ungleichheit und Ungerechtig- keit, der Exklusion und Mar- ginalisierung der Mehrheit der Bevölkerung liegen. Zu den besonders Marginali- sierten gehören die indigenen Gemeinschaften in Kolumbien. Ihre Bewegung im Cauca mit der Selbstorganisation CRIC wird auch weiterhin eine beson- dere Bedeutung bei der Über- windung dieser Ausgrenzung und Ungleichheit spielen. MINGA-Kaffee Eine besonders charmante Art, die Autonomie und den Wider- stand der Indigenen Bewegung im Süden Kolumbiens zu un- terstützen bietet nun das Kaf- feekollektiv Aroma Zapatista mit dem solidarisch gehandelten Kaffee des CRIC (Regionaler Rat der Indigenen im Cauca). Durch den Verkauf von gleich drei hochwertigen Kaffee- bzw. Espresso-Sorten wird die Öko- nomie und Autonomie der Indi- genen gestärkt. Neu im Sortiment sind der (Fil- ter-)Kaffee MINGA und der Es- presso KINTÍN aus dem Cauca und der Espresso Estrella Fusión, ein Mix von Arabica-Bohnen aus Chiapas und dem Cauca – quasi die Begegnung der beiden aufständischen Bewegungen. Den Kaffee aus dem Cauca kauft das Hamburger Kaffee-Kollek- tiv zu einem solidarischen Preis direkt bei der Genossenschaft des CRIC – der Central Coope- rativa Indígena del Cauca CEN- COIC. Der Regionale Rat der Indígenen im Cauca (CRIC) Seit seiner Gründung im Jahr 1971 wird der regionale Rat der Indigenen im Cauca (CRIC) verfolgt und kriminalisiert. Da- mals wollten Großgrundbesit- zer, regionale Politiker und ihre bewaffneten Schergen eine indi- gene Bewegung und Organisie- rung im Keim ersticken. Doch die Selbstorganisierung der Indigenen im Cauca konnten sie nicht verhindern. Der Wider- stand gegen Kolonisierung und Unterdrückung hat eine lange Geschichte und führte 1971 zur Gründung des regionalen Rates der indigenen Gemeinden im Cauca, dem Consejo Regional Indígena del Cauca. Damals standen besonders der Kampf gegen die „terraje“ – eine Art Frondienst – sowie die Frage nach eigenem Land im Vordergrund des Kampfes der indigenen Bevölkerung, die hauptsächlich als KleinbäuerIn- nen ihr Überleben bestritten. Diese Selbstorganisierung der Indigenen im CRIC begann im kleinen Ort Jambaló im Nor- den des Cauca. Diese Region ist seither als widerständig bekannt und auch heute der Ausgangs- punkt vieler Proteste und Mobi- lisierung. Der CRIC vertritt heute einen Großteil der indigenen Bevöl- kerung im Cauca. Dazu zählen verschiedene indigene Völker („pueblos indígenas“): die Nasa (Paez), Totoró, Yanaconda, Guambiano, Guanaco, Kokonu- ko, Inga, Eperaras. Alle haben ihre eigene Kultur und Identität und – mit Ausnahme der Yana- conda – auch ihre eigene Spra- che behalten. Die Nasa sind mit einer Bevöl- kerung von rund 120.000 Mit- gliedern die größte Gruppe. Jochen Schüller Quellen und weitere Informationen: CRIC – Consejo Regional Indígena: www.cric- colombia.org/portal/ ACIN: www.nasaacin.org/ Congreso de los Pueblos: http://congresodelos- pueblos.org/ Mesa Social para la Paz: https://mesasocialpaz. wordpress.com/2015/10/28/llamamiento/ „Kolumbien: Bewaffneter Konflikt und indigene Autonomie“ – Raul Zelik www.rosalux.de/filead- min/rls_uploads/pdfs/Standpunkte/Standpunk- te_international/Standpunkte_int_06-2012.pdf The 2008 Indigenous and Popular Minga in Colombia: Civil Resistance and Alternative Communication Practices - http://sdonline. org/51/the-2008-indigenous-and-popular-minga- in-colombia-civil-resistance-and-alternative- communication-practices/ Dokumentar-Film Casa OCCIO (spanisch): www. youtube.com/watch?v=-Ai2wRvFjrI Jochen Schüller ist freier Journalist in Hamburg und hat Kolumbien und die Indigenen im Cauca mehrfach besucht. Von 2003 - 2013 war er Beauftragter von Brot für die Welt für Öffentlichkeitsarbeit zu Kolumbien und leitete ein Menschenrechtsprojekt. Anzeige Gemeinsame Feldarbeit. Foto: Jochen Schüller

12 graswurzelrevolution januar 2016/405 grenzenlos MINGA ... · bestehen absolut auf ihre Auto-nomie und grenzen sich zu allen bewaffneten Akteuren ab. Der dritte Weg – Autonomie

  • Upload
    others

  • View
    0

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: 12 graswurzelrevolution januar 2016/405 grenzenlos MINGA ... · bestehen absolut auf ihre Auto-nomie und grenzen sich zu allen bewaffneten Akteuren ab. Der dritte Weg – Autonomie

12 graswurzelrevolution januar 2016/405 grenzenlos

MINGA:KollektiveArbeit-gemeinsamerWiderstandDie Selbstorganisation der indigenen Bewegung im Süden KolumbiensSiesindeinederSpeerspitzenderzivilenOppositioninKolumbien,vonihnengingenetlichederlandesweitenProtesteundWiderstandsaktionenindenletztenJahrenaus.IhrKampfrichtetsichgegenFreihandelundKrieg,fürLandundAutonomie:dieindigeneBewegungimDepartmentCaucaimSüdenKolumbiensundihreSelbstorganisationCRIC(ConsejoRegionalIndígenadelCauca/RegionalerRatderIndigenenimCauca).

MINGA nennen sie die gemein-schaftliche Arbeit, das kollekti-ve Handeln. Dabei kann es sich um das gemeinsame Einbringen der Ernte oder den Bau einer Schule handeln. Eine MINGA wird von der gesamten Gemein-schaft beschlossen und alle brin-gen sich mit ihrer Zeit und Ener-gie dabei ein.Als MINGA bezeichnen die In-digenen aber auch seit mehreren Jahren ihre großen Demonstra-tionen und Mobilisierungen, die oft das gesamte Department Cauca lahmlegen und manchmal ihren Weg bis nach Bogotá neh-men.In den Jahren 2004 bis 2008 wurde aus der MINGA-Bewe-gung der Indigenen des Cauca eine breite landesweite Protest-Bewegung, die im Herbst 2008 mit 30.000 Menschen bis in die Hauptstadt Bogotá zog und den ultra-rechten Präsidenten Uribe herausforderte. Dieser Aufstand richtete sich gegen die neolibe-rale Politik, insbesondere das geplante Freihandelsabkommen mit den USA, gegen die Mili-tarisierung der Gesellschaft und die allgemeine Repression der rechtsextremen Regierung, Ar-mee, Polizei und Paramilitärs. Zu Beginn der MINGA legten mehrere Tausend Indigene im Norden des Cauca mit Straßen-blockaden der Panamericana tagelang große Teile der Provinz lahm. Bei den Auseinanderset-zungen mit Polizei und Militär starben drei Indigene, minde-stens 100 wurden verletzt.Der indigenen Bewegung gelang jedoch der Schulterschluss mit kleinbäuerlichen und afroko-lumbianischen Gemeinschaften, mit den streikenden Zuckerrohr-Arbeiter_innen im benachbar-ten Department und sie bezog schließlich auch weitere Teile der zivilen Opposition und so-zialer Bewegungen ein. Der im Cauca beginnende Aufstand zog dann als Massen-Demonstration weiter Richtung Norden bis zur Hauptstadt Bogotá. Überall fanden entlang der Route große Versammlungen und öffentliche Veranstaltungen statt. Auch aus anderen Landesteilen und Him-melsrichtungen machten sich Menschen auf den Weg ins Zen-trum der Macht, um sich an der knapp sechs Wochen dauernden MINGA zu beteiligen. Bei der Abschlussdemonstration in Bo-gotá erfolgte auch der Schulter-schluss mit den Gewerkschaften und ihrem Dachverband CUT.Der ultra-rechte Präsident Uri-be ließ sich am Ende zwar zum „Dialog“, aber nicht zu Zuge-ständnissen bewegen. Er setzte seine Politik der „harten Hand“ bis zum Ende seiner zweiten

Amtszeit 2010 fort.

VonderMINGAzum„CongresodelosPueblos“ Obwohl die MINGA weni-ge konkrete Veränderungen in Wirtschaft und Politik erreichen konnte, war sie ein wesentlicher Schritt in der Stärkung und For-mierung der zivilen Opposition in Kolumbien. Sie ist maßgeb-lich an der Gründung des „Con-greso de los Pueblos“ im Okto-ber 2010 beteiligt. („Kongress der Völker“ – als Gegenentwurf zum „Congreso de la Republi-ca“ – dem kolumbianischen Par-lament)Der Congreso versteht sich als Movimiento Social Colombiano – also als Soziale Bewegung Ko-lumbiens. Er vereint Menschen, Gruppen und Organisationen aus allen gesellschaftlichen Teilbereichen: Frauen, Student_innen, Gewerkschafter_innen, Kleinbäuer_innen, indigene und afrokolumbianische Gemein-schaften und ihre Organisatio-nen, Umwelt-Aktivist_innen/Gruppen, Kulturschaffende und Menschenrechtsaktivist_innen. Innerhalb dieser Bewegung spielen die Indigenen des Cau-ca weiterhin eine wesentliche Rolle. Ihre radikale Ablehnung neoliberaler Politik und Wirt-schaft, ihre klaren und oft recht radikalen Forderungen, ihr kon-sequentes Handeln (z.B. Land-besetzungen) und insbesondere ihre starke Organisation und Gemeinschaft verleihen ihnen eine große Ausstrahlung. Sie bestehen absolut auf ihre Auto-nomie und grenzen sich zu allen bewaffneten Akteuren ab.

DerdritteWeg–AutonomieundeigenerWiderstand

Besonders im Norden des Cauca sitzen die Indigenen daher zwi-schen den Stühlen: Die FARC-Guerilla und das Militär kämp-fen um die territoriale Kontrolle und nehmen keinerlei Rücksicht auf die indigene Zivilbevölke-rung. Diese Streitkräfte haben sich vielerorts mitten in den Dorf-gemeinschaften und Städtchen installiert und missbrauchen die Zivilbevölkerung als Schutz-schild für ihre militärischen Ein-richtungen. Dennoch bombar-diert die FARC-Guerilla diese Stellungen mit ihren ungenauen Gaszylinder-Raketen.Besonders schockierend war der Angriff der FARC auf den Poli-zei-Stützpunkt im Städtchen To-ribio mit einem mit Sprengstoff gefüllten LKW im Juli 2011.Dabei kamen drei Menschen ums Leben, 100 wurden ver-

letzt. Rund 460 Häuser wurden so stark beschädigt, dass die Be-wohner_innen vorübergehend in Nachbardörfern Unterschlupf suchen mussten.Zugleich unterdrücken Polizei und Armee den zivilen Wider-stand der Indigenen, räumen Landbesetzungen und zerschla-gen Demonstrationen mit Bra-chialgewalt. Paramilitärs bedro-hen und ermorden die Köpfe der Bewegung.Auch während der seit 2012 laufenden Friedensgespräche der FARC mit der kolumbiani-schen Regierung setzten sich die bewaffneten Auseinander-setzungen fast unvermindert fort. Ein einseitig von der FARC ausgerufener Waffenstillstand verminderte die kriegerischen Handlungen nur wenig. Erst im April 2015 erklärte die Regierung von Präsident San-tos, zumindest auf Bombardie-rungen von Guerilla-Stellungen verzichten zu wollen. Nach zwi-schenzeitlichen Eskalationen und De-Eskalationen lebt die Zivilbevölkerung weiterhin in dieser brüchigen Waffenpause. Im Juli 2015 erklärte die Regie-rungsdelegation in Havanna, ein beidseitiger Waffenstillstand sei greifbar.

Frieden…mitWürdeundGerech-tigkeit!

Für viele Teile der sozialen Be-wegungen in Kolumbien sind die Verhandlungen der FARC-Guerilla mit der Regierung Kolumbiens ohnehin nur einer von etlichen Schritten auf dem Weg zum Frieden. Zum einen fehlt ein Dialogprozess der Re-gierung mit der zweitgrößten Guerilla – dem ELN (Ejercito de Liberación Nacional). Zum anderen sehen sich die zi-vile Opposition und die sozialen Bewegungen keineswegs durch die Guerillas vertreten und stel-len ihre eigene Agenda für einen Friedensprozess auf. Daher hat sich im November 2015 ein breites Bündnis aus vielen Teilen der sozialen Be-wegungen in Kolumbien zu ei-ner „Mesa Social para la Paz“ zusammengeschlossen – einem sozialen Verhandlungstisch für den Frieden.Neben dem Congreso del los Pueblos und der Bewegung der Afrokolumbianer_innen PCN (Proceso de Comunidades Ne-gras) sind auch kleinbäuerliche, studentische, kirchliche und po-litische Organisationen dabei. Die indigenen Gemeinschaften

sind mit ihrer Nationalen Or-ganisation ONIC prominent vertreten. Sie wollen neben den Verhandlungstischen der beiden Guerillas mit der Regierung ei-nen dritten eröffnen, bei dem die Belange der Zivilgesellschaft vonseiten der sozialen Bewe-gungen eingebracht und verhan-delt werden. Zentrale Vorstel-lung und Forderung des breiten Bündnisses ist ein Frieden mit sozialer und Umwelt-Gerech-tigkeit. Es sollen die Gründe des bewaffneten Konflikts verhan-delt werden, die in der massiven Ungleichheit und Ungerechtig-keit, der Exklusion und Mar-ginalisierung der Mehrheit der Bevölkerung liegen. Zu den besonders Marginali-sierten gehören die indigenen Gemeinschaften in Kolumbien. Ihre Bewegung im Cauca mit der Selbstorganisation CRIC wird auch weiterhin eine beson-dere Bedeutung bei der Über-windung dieser Ausgrenzung und Ungleichheit spielen.

MINGA-Kaffee

Eine besonders charmante Art, die Autonomie und den Wider-stand der Indigenen Bewegung im Süden Kolumbiens zu un-

terstützen bietet nun das Kaf-feekollektiv Aroma Zapatista mit dem solidarisch gehandelten Kaffee des CRIC (Regionaler Rat der Indigenen im Cauca). Durch den Verkauf von gleich drei hochwertigen Kaffee- bzw. Espresso-Sorten wird die Öko-nomie und Autonomie der Indi-genen gestärkt. Neu im Sortiment sind der (Fil-ter-)Kaffee MINGA und der Es-presso KINTÍN aus dem Cauca und der Espresso Estrella Fusión, ein Mix von Arabica-Bohnen aus Chiapas und dem Cauca – quasi die Begegnung der beiden aufständischen Bewegungen. Den Kaffee aus dem Cauca kauft das Hamburger Kaffee-Kollek-tiv zu einem solidarischen Preis direkt bei der Genossenschaft des CRIC – der Central Coope-rativa Indígena del Cauca CEN-COIC.

DerRegionaleRatderIndígenenimCauca(CRIC)

Seit seiner Gründung im Jahr 1971 wird der regionale Rat der Indigenen im Cauca (CRIC) verfolgt und kriminalisiert. Da-mals wollten Großgrundbesit-zer, regionale Politiker und ihre bewaffneten Schergen eine indi-gene Bewegung und Organisie-rung im Keim ersticken.Doch die Selbstorganisierung der Indigenen im Cauca konnten sie nicht verhindern. Der Wider-stand gegen Kolonisierung und Unterdrückung hat eine lange Geschichte und führte 1971 zur Gründung des regionalen Rates der indigenen Gemeinden im Cauca, dem Consejo Regional Indígena del Cauca. Damals standen besonders der Kampf gegen die „terraje“ – eine Art Frondienst – sowie die Frage nach eigenem Land im Vordergrund des Kampfes der indigenen Bevölkerung, die hauptsächlich als KleinbäuerIn-nen ihr Überleben bestritten. Diese Selbstorganisierung der Indigenen im CRIC begann im kleinen Ort Jambaló im Nor-den des Cauca. Diese Region ist seither als widerständig bekannt und auch heute der Ausgangs-punkt vieler Proteste und Mobi-lisierung. Der CRIC vertritt heute einen Großteil der indigenen Bevöl-kerung im Cauca. Dazu zählen verschiedene indigene Völker („pueblos indígenas“): die Nasa (Paez), Totoró, Yanaconda, Guambiano, Guanaco, Kokonu-ko, Inga, Eperaras. Alle haben ihre eigene Kultur und Identität und – mit Ausnahme der Yana-conda – auch ihre eigene Spra-che behalten. Die Nasa sind mit einer Bevöl-kerung von rund 120.000 Mit-gliedern die größte Gruppe.

JochenSchüller

Quellen und weitere Informationen: CRIC – Consejo Regional Indígena: www.cric-colombia.org/portal/ ACIN: www.nasaacin.org/Congreso de los Pueblos: http://congresodelos-pueblos.org/Mesa Social para la Paz: https://mesasocialpaz.wordpress.com/2015/10/28/llamamiento/ „Kolumbien: Bewaffneter Konflikt und indigene Autonomie“ – Raul Zelik www.rosalux.de/filead-min/rls_uploads/pdfs/Standpunkte/Standpunk-te_international/Standpunkte_int_06-2012.pdf The 2008 Indigenous and Popular Minga in Colombia: Civil Resistance and Alternative Communication Practices - http://sdonline.org/51/the-2008-indigenous-and-popular-minga-in-colombia-civil-resistance-and-alternative-communication-practices/ Dokumentar-Film Casa OCCIO (spanisch): www.youtube.com/watch?v=-Ai2wRvFjrI

Jochen Schüller ist freier Journalist in Hamburg und hat Kolumbien und die Indigenen im Cauca mehrfach besucht. Von 2003 - 2013 war er Beauftragter von Brot für die Welt für Öffentlichkeitsarbeit zu Kolumbien und leitete ein Menschenrechtsprojekt.

Anzeige

Gemeinsame Feldarbeit. Foto: Jochen Schüller