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12. Neuer Fall

12. Neuer Fall - blitz-verlag.de · Mumtaz Mahal ruhten. Bewundernd schauten die meist indischen Besucher darauf. Öllampen brannten bereits in der Kuppel und ver-stärkten das gedämpfte

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12. Neuer Fall

Larry Brent � Neue FälleDie Geheimen X-Akten der PSA

HÖLLENSOHNvon Earl Warren

BLITZ-Bücher werden nach der alten Rechtschreibung gesetzt.Wir verwenden ausschließlich umweltfreundliches Papier.

© 2006 by BLITZ-Verlag GmbHRedaktion: Jörg Kaegelmann

Covergestaltung: Mark Freier (www.freierstein.de)Titelbild: Emmanuel Hennè

Illustration: Pat Hachfeld (www.dunkelkunst.de)Fachberatung: Chris Daber

Lektorat: TTT, MallorcaSatz: Mark Freier, München

Druck und Bindung: Drogowiec, PolenAll rights reserved

www.BLITZ-Verlag.deISBN 3-89840-812-4

Teil 1: DER DÄMONISCHE GURU

London

�Du bist mein Sohn, Larry Brent!� rief die dämonische Stimme.�Alles, was du bisher getan hast, ist nur eine Vorbereitung für deinewahre Bestimmung. Rha-Ta-N�my, die Großen Alten, alle werdensie wiederkommen. Und du wirst die Speerspitze sein.�

Der hochgewachsene, sportlich durchtrainierte Mann warf sichin dem Bett eines Londoner Hotels hin und her.

Er sah Spinnen, dämonische Fratzen, hörte schaurige Klänge.Hände, die sich aus einem glühenden Abgrund streckten, griffennach ihm.

Als er weglaufen wollte, sanken seine Füße im Boden ein. Erbemühte sich, schrie � doch der Sumpf sog ihn ein.

Vor ihm erschien eine Fratze.�Mein Sohn!� erscholl es aus ihrem Mund.Larry konnte sich nur noch in Zeitlupe bewegen. Kam nicht von

dem Dämon weg.Schweißgebadet stöhnte er: �Meine Eltern sind menschlich. Du

bist nicht mein Vater.��Glaubst du das wirklich?� fragte die unheimliche, drohende

Stimme. �Höre in dich hinein. Hättest du keine dämonische Natur,hättest du nie so viele von uns vernichten können. Doch das ge-schah nur, damit du dich üben konntest. Alles gehorcht dem GroßenPlan, Höllensohn.�

Larry schlug um sich. Er schrie. Eine harte Hand packte ihn beider Schulter und schüttelte ihn. Im ersten Moment nach dem Er-wachen wußte der PSA-Agent nicht, wo er war. Er schaute in IwanKunaritschews besorgtes Gesicht.

�Hattest du einen Alptraum, Towarischtsch?� fragte der Russe,wobei er kehlig das R betonte.

�Einen Alptraum? � Ja, ja, es ist ein schlimmer, ein schreckli-cher Traum gewesen.�

�Das kann ich verstehen nach dem Fall, den wir gerade gelöst

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haben und nach den Erlebnissen, die wir hatten. Entspann dich,nimm einen Drink, geh ein wenig auf den Balkon und atme diefrische Nachtluft ein. Dann wirst du ruhig weiterschlafen kön-nen.�

Larry nickte. Er versuchte zu lächeln, aber es wurde nur eineverzerrte Grimasse daraus. Im nächsten Moment verwandelte sichIwans Gesicht in eine schreckliche Fratze. Eine hornige rostroteZunge schnellte heraus. Prankenhände packten Larry mit gewal-tiger Kraft. Der Mund des Monsters vor ihm wurde zu einem tun-nelgroßen Rachen aufgerissen, aus dem stinkende Grabluft drang.

�Höllensohn�, dröhnte die Stimme, die er schon vorher in sei-nem Traum gehört hatte. �Jetzt ist es soweit. Du kommst zu mirnach Indien, nach Kanpur. � Von dort wird die Finsternis über dieErde kommen. � Höllensohn.�

Larry schrie, als er in den Rachen hineingerissen wurde.

Agra, Indien

Im Schein der untergehenden Sonne wirkte das Tadsch Mahal wieein Wunder aus einer fernen Welt. Die Anlage befand sich am Uferdes Yamuna River, bei Agra im indischen Staat Uttar Pradesch,dem bevölkerungsreichsten Staat des menschenwimmelnden In-dien.

Worte waren zu schwach, um den überwältigenden Eindruck deskuppelgekrönten Bauwerks aus makellosen weißen Marmor zu be-schreiben. Es erhob sich in vollendeter Harmonie aus einer was-serdurchflossenen Gartenanlage mit blühenden Büschen und Bäu-men.

Ein kostbares Rankenwerk von Edelsteinen und Halbedelstei-nen schmückte den Marmor. Es handelte sich um das Mausoleumder Mumtaz Mahal, der Lieblingsgattin des Mogulkönigs Shahd-schahan. 1631 war sie gestorben, von ihrem Gatten unendlich be-trauert.

20.000 Handwerker, Bauleute und Künstler hatten zwei Jahr-zehnte gearbeitet, um das Bauwerk in seiner Vollendung zu schaf-fen. Auch Shahdschahan hatte dort nach seinem Tod seine letzteRuhe gefunden.

Touristen und Reisende bewunderten an diesem Abend im Mon-sunmonat den erhabenen Bau mit der großen Tornische und den inzwei Stockwerken angeordneten kleineren Fensternischen. Eineaus Marmor geschnitzte Wand umgab die beiden Sarkophage inder Krypta genau im Mittelpunkt des Mausoleums.

Noch drängten sich die Besucher. Gedämpftes Licht fiel durchdie in kunstvoller Steinmetzarbeit hergestellten Marmorgitter inden Wandöffnungen. In dem großen Raum im Innern der Kryptaherrschte feierliche Stille. Fotografieren und Filmen war hier strengverboten, livrierte Wächter achteten darauf, daß das Verbot einge-halten wurde.

Kein Blitzlicht störte die Weihe des Raumes.Ein dämmriges Halbdunkel herrschte dort und umschmeichelte

die beiden kostbaren Sarkophage, in denen Shahdschahan undMumtaz Mahal ruhten. Bewundernd schauten die meist indischenBesucher darauf. Öllampen brannten bereits in der Kuppel und ver-stärkten das gedämpfte Licht.

Die zwiebelförmige Zentralkuppel, die Minarette an den Eckendes Hauptbaus und die vier hochragenden, schlanken Türme außer-halb des Zentralbaus wirkten im Sonnenuntergang alabastern. Farb-töne, die nicht nur Maler und Kunstenthusiasten begeisterten.

Hunderte von Zuschauern und Besuchern des Tadsch Mahal stan-den stumm vor Bewunderung da oder flanierten davor auf und ab.Keiner sprach ein lautes Wort.

Doch dann geschah etwas Seltsames. Im Vorhof, bei den Sou-venir- und Erfrischungsläden, materialisierte aus dem Nichts plötz-lich ein hagerer Fakir. Im Moment zuvor war nichts zu sehen ge-wesen, wie ein Souvenirhändler, der vor seinem Stand saß, späterbeschwor.

Dann erschien, in der Luft schwebend, im Fakirsitz mit ver-schränkten Beinen, der hagere Mann mit dem schmutzigweißen

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Turban. Er trug nur einen Lendenschurz und war so mager, daßman seine Rippen zählen konnte.

Ein Bartgestrüpp verdeckte den größten Teil seines Gesichtes.Seine dunklen Augen lagen tief in ihren Höhlen und funkelten wiedie eines Fanatikers. Obwohl er von Gestalt nur knapp mittelgroßwar, wirkte er sehr beeindruckend.

Er verharrte in der Luft schwebend.Seine stechenden Augen richteten sich auf den Souvenirhändler

Jawahal Jandri. �Kennst du mich?� fragte er in Urdu, einer der Hauptsprachen

Indiens. Geschockt schüttelte der Händler den Kopf. �Du wirst mich noch besser kennenlernen�, sagte der Schwe-

bende. �Ich bin Tschandragupta Prad, Diener Kali Durgas, dergroßen Göttin und Würgerin. Kali, die der Tod erfreut, der ohnedas Vergießen eines Blutstropfens stattfindet. Kali, die dem Heu-len der Hyäne in der Nacht lauscht. � Ich bin gekommen, um daszu vollenden, was vor Jahrhunderten begann.�

Der Händler duckte sich unter dem Blick des frei in der Luftschwebenden Fakirs. Auch andere Umstehende waren jetzt auf-merksam geworden.

�Bhagwan�, sagte Jawahal. �Meister. Sehe ich dich wirklich,oder bist du eine Vision?�

Der Fakir grinste ihn an. Mit drei gespreizten Fingern deutete erauf ihn. Der Händler faßte sich an die Kehle, plötzlich bekam erkeine Luft mehr. Eine unsichtbare Hand würgte ihn. Er taumelteumher und warf dabei Stücke aus seiner Auslage zu Boden.

Andere Händler eilten dem Röchelnden zu Hilfe.�Warum tust du das?� fragte eine Inderin im Sari den schwe-

benden Fakir. �Bei Wischnu, dem Erhalter, der Händler hat dirnichts getan.�

�Darum geht es nicht!� zischte der Fakir.Seine Augen funkelten rot, und Rauch stieg aus seinem wirren

Bart. Er kreuzte die Unterarme übereinander. Ein Blitz zuckte vomHimmel, Donner krachte, und urplötzlich fauchte eiskalter Wind.

Wolken jagten herbei und ballten sich über der Millionenstadt Agraund besonders dem Bezirk am Fluß zusammen, wo das herrlicheTadsch Mahal stand.

Monsunregen stürzte nieder, zum zweiten Mal an diesem Tag.Es goß wie aus Kübeln. Menschen flüchteten vor dem Regen. Aberschlimmer noch, mit ihm kamen riesige Spinnen, Skorpione undAsseln. Man konnte nicht unterscheiden, ob sie mit dem Regenvom Himmel fielen, also aus den Wolken regneten, oder von demFakir auf andere Weise herbeigezaubert wurden.

Ein Dutzend dieser Monster trieb sein Unwesen, attackierteschreiende Menschen. Ein älterer Inder erlitt vor Furcht einen Herz-infarkt und starb im Vorhof.

Ein paar Spinnen, Ungeheuer mit fünf Meter langen Beinen, klet-terten am Tadsch Gate, dem dreißig Meter hohen, kunstvoll mitSteinmetzarbeiten verzierten weißmarmornen Eingangsportal.Durch dieses gelangte man in das Geviert, in dem das Tadsch Mahalstand.

Die langbeinigen Spinnen rannten blitzschnell, wie nur Spinnenes konnten, die senkrechte Mauer hinauf oder hinunter. Die Skor-pione und Asseln bewegten sich langsamer.

Die Giftstachel der Skorpione zuckten, ihre Zangen bewegtenund schlossen sich mit lautem Klappern. Die vielbeinigen, häßli-chen Asseln drohten ebenfalls mit ihren Kieferzangen.

Es war ein scheußlicher, grauenvoller Anblick. Vor seiner gräu-lichen Schar schwebte der Fakir, die Arme überkreuzt, auf dasTadsch Mahal zu. Er näherte sich dem Zentralgebäude. Hinter ihmvermochte der Souvenirhändler wieder zu atmen.

Mit blau angelaufenem Gesicht hockte er röchelnd unter seinemVerkaufstisch. Dorthin war er in seiner Not gekrochen. Zwei sei-ner Freunde, ein Händler und sein Gehilfe, kauerten bei ihm. DerRegen klatschte auf das Schutzdach des Verkaufsstandes. Wasser-pfützen bildeten sich, Rinnsale flossen aus ihnen ab.

Gnädig verhüllte der dicht fallende Regen viel von dem Grauen.Man hörte den Donner, sah die zuckenden Blitze, vernahm das hef-tige Rauschen des Regens. Wie ein Sturzbach hörte er sich an.

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Schreie gellten. Ein paar vereinzelte Schüsse krachten. Von denuniformierten Wächtern des Tadsch Mahal leisteten zwei oder dreiWiderstand. Die anderen flohen, von Panik gepeitscht.

Ein junger Wächter wurde von zwei Skorpionen und einer Asselregelrecht zerstückelt. Damit bezahlte er seinen tapferen Widerstand.Er hatte ihm nichts genützt. Doch immerhin hatte er Mut gezeigt.

Der hagere Fakir schwebte nun, wie von einem Luftkissen ge-tragen, ins Hauptgebäude des Tadsch Mahal, durchs große Tor unterder weißmarmornen Zentralkuppel. Er grinste befriedigt.

Obwohl das bei seiner Visage und dem Bartgestrüpp schwer zuerkennen war, strahlte er eine unglaubliche Arroganz und gewal-tigen Hochmut aus. Da bin ich, was wollt ihr, sagten sein Auftre-ten und seine Haltung. Ich, Tschandragupta Prad, bin der Aller-größte.

Ich trete euch Würmer allesamt in den Staub.Zwei Dutzend Monsterspinnen und ebensoviele Riesenskorpione

und -asseln hatte er mitgebracht. Sie stellten sozusagen seine Leib-garde dar, die Horrorgarde des Tschandragupta.

Auf dem Kuppelbau des Tadsch Mahal krabbelten einige Spin-nen, ein Hohn für die Götter Indiens und für seine Machthaber.Eine Blasphemie, die das herrliche Bauwerk beschmutzte.

In der malerischen Tornische, von der man in die Krypta mit denSarkophagen des Shahdschahan und der Mumtaz Mahal hinab-steigen konnte, verharrte die grauenvolle Schar. Der Fakir schloßseine Augen. Er bewegte die Arme mit einer kurzen gebieterischenGeste, spreizte sie bis in Schulterbreite.

Die Handflächen zeigten nach unten.Schluß, bedeutete das.Schlagartig hörte das magische Monsungewitter auf. Die Wol-

kendecke zerriß, kein einziger Blitz zuckte mehr. Die Sonne be-schien eine Szene des Grauens beim Tadsch Mahal. In Agra warAlarm gegeben worden. Wächter des Tadsch Mahal, das als Na-tionaldenkmal und -heiligtum geschützt wurde, hatten per Funkund Handy die Stadtpolizei und das Militär in der Kaserne vonAgra verständigt.

Die Polizisten beeilten sich nicht einzugreifen. Allzu stark wardie Polizei von Agra sowieso nicht, zudem von Korruptionsskan-dalen gebeutelt. Eher feige als tapfer, außer wenn es galt, Ver-kehrssünder zu erfassen oder gegen kleine Gauner vorzugehen.

Die Soldaten hingegen unterstanden dem markigen GeneralAfzal, der nicht fackelte, sondern sofort einen Großeinsatz befahl.

�Bei Schiwa, dem Zerstörer!� befahl er, als laufende Meldun-gen vom Tadsch Mahal bestätigten, was zuerst niemand geglaubthatte. �Panzer vor, Spezialeinheit greift an! Schickt Hubschrau-ber los!�

Afzal war nicht zu bremsen. Doch sein Eingreifen und der Ein-satz seiner Soldaten sollten zu spät kommen. Ob sie etwas ge-nutzt, was sie erreicht hätten, stand ohnehin nicht fest.

Im Tadsch Mahal ging es indessen weiter.

Das Gewitter hatte schlagartig aufgehört. Im 290 auf 120 Metergroßen Vorhof waren Verkaufsläden und -stände teils arg beschä-digt von Sturm und Regengüssen, die eine ungeheure Gewalt ge-habt hatten. Ein paar Tote und Verletzte lagen umher. Verwundetestöhnten.

Eine Mutter preßte ihr Kind an sich, ohne zu begreifen, daß esgestorben war. Quasi im Vorbeilaufen hatte ein Skorpion es mitseinem Giftstachel getroffen. Meist hatten die Skorpione nur ge-droht und die Menschen, überwiegend Inder, doch auch ausländi-sche Touristen, eingeschüchtert und in Panik versetzt. Genauso dieSpinnen und Asseln.

Die harmlosen Menschen verkrochen sich, auch von den Wäch-tern wagte keiner mehr einen Widerstand. Der Korporal derWachtruppe schaute mit nacktem Entsetzten auf die zerstückelteLeiche seines jungen Untergebenen.

�Pandit war ein Narr, auf diese Monster zu schießen�, sagte erzu einem anderen Untergebenen, der hinter ihm in der Nische kau-erte. �Ich bin nicht lebensmüde.�

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Er griff an das Schiwa-Amulett, das er unter dem Uniformhemdtrug.

Derjenige, der den Schrecken hervorgerufen hatte, schwebte nochimmer in Hockstellung über den nach unten führenden breiten Trep-penstufen der zentralen Tornische. Auf dem Tadsch Mahal krab-belten außen noch ein paar seiner Monster. Die anderen befandensich bereits drinnen. Sie kontrollierten alles, griffen jedoch nie-manden an.

Der Fakir öffnete die Augen. Sie funkelten und blitzten fana-tisch. �Ich bin wiedergekommen!� rief er auf Urdu, doch jeder ver-stand ihn. �Tschandragupta Prad, der Guru des Schreckens, kehrtezurück, um zu vollenden, was ihm vor Jahrhunderten nicht gelang.� Diesmal wird Kali stärker als ihre Widersacher sein. � Ich öffnefür sie das Tor!�

Schaurig erklang sein Lachen. Die Menschen, die noch im TadschMahal weilten, verkrochen sich in Ecken und Winkel. Der weiß-marmorne Prachtbau war zu einer Stätte des Grauens geworden.Die geschockten Menschen bebten und zitterten. Sie wären alle-samt am liebsten in irgendein Mauseloch gekrochen.

Tschandragupta, der Guru des Schreckens, schwebte nun in dieGrabkammer hinunter. Langbeinige Spinnen rannten, und ein paarSkorpione und Asseln krochen hinter ihm her.

Der herrliche Ort wurde entweiht. Die Spinnen und das übrigeGewürm besudelten ihn mit ihren Exkrementen.

Vor den reichverzierten, verschwenderisch mit Edelsteinen be-setzten Sarkophagen hielt Tschandragupta an. Sein Blick glitt überdie Sarkophage, die geschnitzte Marmorwand und die Kenotaphe1

mit hervorgehobenen Schriftzeichen und Blumenornamenten. Dochder schreckliche Guru war nicht gekommen, um die Schönheit die-ses auf der Welt einmaligen Orts zu genießen.

Ihn trieb etwas anderes.�Nun�, grollte er, �stolzer Shahdschahan, der seine Gattin mehr

als alles auf der Welt liebte, dem sie Sonne und Universum war,

1 Kenotaph (griechisch) = Erinnerungsmal für Tote mit Inschriften usw.

der sie mehr verehrte als alle Götter. Arjumand Banu, die du Mum-taz Mahal genannt wurdest, die Krone des Palastes, Geliebtestealler Frauen auf dieser Welt � so sehen wir uns wieder. � Ich binwieder da.�

Die Gebeine der Toten in den Sarkophagen schwiegen. Wie wärees anders möglich gewesen? Doch vielleicht, irgendwohin, in an-dere Dimensionen, ja, ins Nirwana, drang des Schrecklichen Ruf.Und erreichte die Seelen von Shahdschahan und Mumtaz Mahal,die in Ewigkeit vereint waren, nachdem sie ihm der Tod auf Erdenentrissen hatte.

Abermals lachte der Guru.Dann spreizte er seine Finger, und mit donnerndem Krachen zer-

sprangen die Sarkophage, wurden von dem Sockel gestürzt. Drei-hundertfünfzig und mehr Jahre alte Gebeine und zwei Totenschä-del landeten klappernd auf dem Marmorboden.

Tschandragupta setzte erstmals einen Fuß auf die Erde.Er stellte sich hin, und wuchtig trat er gegen einen Totenschä-

del, daß er klappernd gegen die Wand flog. �Da, Shahdschahan, der mich demütigte!� rief Tschandragupta.

�Damals hast du mich hinrichten lassen, doch jetzt bin ich wiederda.�

Damit nahm Tschandragupta wieder seine schwebende Hock-stellung ein. Jahrhundertelang, Äonen, hatten ihn Höllenqualen ge-peinigt, seit sein erster großer Plan scheiterte. Denn die Zeit ist re-lativ, besonders in den Dimensionen des Jenseits, ein Tag ist wietausend Jahre, tausend Jahre sind wie ein Tag. Der Kreis schließtsich, und ewig dreht sich das Rad des Chakras, an das wir alle ge-kettet sind, die Menschen wie auch Dämonen und Götter.

Tschandragupta hatte seinen Haß abreagiert. Er schwebte hinaus.Seine Horrorleibgarde folgte ihm, krabbelte und kroch hinterher,Gewürm aus dem Höllenschlund. Vor dem Tadsch Mahal hieltensie an. Die Menschen draußen, die den ersten Schrecken über-wunden und sich hervorgewagt hatten, flohen sofort wieder.

�Bis bald, bei Kali!� rief Tschandragupta. Er breitete die Arme aus. Ein dunkler Trichter formierte sich, in

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dem Schatten waberten, und in dessen Hintergrund rote und gelbeFunken tanzten. Der Trichter weitete sich aus, stinkender Moder-geruch quoll aus ihm hervor, wie von einem Gebläse.

Von einem Moment zum anderen verschlang der magische Trich-ter den Höllenguru und seine monströse Ungezieferschar. Sie wur-den wie von einem gewaltigen Staubsauger verschlungen. Und derTrichter verschwand.

Ein Kind weinte, seine bebende Mutter versuchte, es zu trösten.Verwundete stöhnten. Ein Mann lachte im Schock wie irr und ranntemit dem Kopf gegen die Marmormauer.

�Kali hat mich gerufen!� rief er dabei. �Ich folge dir, großerTschandragupta, nimm mich mit!�Es krachte. Blutüberströmt, bewußtlos, mit einem Schädelbruch,sank der Inder nieder. Er war das vorläufig letzte Opfer des Gurusdes Grauens.

Hubschrauber flogen heran. Panzer rückten zum Tadsch Mahal vor.Schwerbewaffnete Soldaten sprangen von den Lastwagen, die sievon der Kaserne herbefördert hatten. Drei Jeeps mit Maschinen-gewehren fuhren als Vorhut von General Afzals Truppe in den Vor-hof. Sie trafen auf keinen Widerstand und fanden keinen Gegnermehr vor.

Der Spuk war verschwunden. Die Soldaten besetzten das TadschMahal und erledigten ihre militärische Pflicht. Afzal selbst stieg auseinem Hubschrauber, der im Innenhof der Anlage landete.

Der General war knapp mittelgroß, drahtig und grauhaarig. Ertrug eine randlose Brille und hatte ein Barett auf dem Kopf. SeineGeneralsterne auf den Achselstücken waren die einzigen Rangab-zeichen. Die Pistole in der Hand, ließ er es sich nicht nehmen, so-fort bis in die innere Krypta vorzustoßen.

Einen Lagebericht seiner Untergebenen hatte er schon erhalten.Er trug einen Headset � ein Kehlkopfmikrophon und ein Funkmi-krophon im Ohr � und hörte ständig die neuesten Berichte. Afzal

überschaute die Lage. Selten gab er einen knappen Befehl, seineUntergebenen waren gut geschult.

In der Krypta sah er fassungslos die Verwüstung. Ein National-heiligtum, ein in der ganzen Welt bekanntes Baukunstwerk, war ge-schändet worden. Es würde Jahre dauern, bis es wieder restauriertwerden konnte. Viel schlimmer jedoch war der psychologischeAspekt.

Für Indien war diese Attacke des Tschandragupta genausoschlimm wie eine Schändung der Peterskirche in Rom oder dieZerstörung des Louvre in Paris für die westliche Welt.

Afzals Hand zitterte.�Unglaublich�, sagte er. �Was für ein Wesen war das, das sogar

die Gebeine der erhabenen Toten geschändet hat? Welcher Haßtrieb es?�

Ihm fiel ein, daß ihn seine Truppe hören konnte, das Mikrophonwar eingeschaltet. Er faßte sich.

�Wie steht es um die Verwundetenversorgung?� fragte er. �Die ersten Ambulanzen sind da. Die Polizei ist ebenfalls er-

schienen.� Afzal grinste abschätzig. �Wir haben die Lage im Griff.Bisherige Zählung: fünf Tote, darunter ein kleines Kind, zahlrei-che Verletzte.�

�Gut. Ende�, erwiderte der General.Wir haben die Lage im Griff, dachte er, aber nur, weil kein Geg-

ner mehr da ist. Er überlegte die Konsequenzen dessen, was er be-reits wußte. Wie sollte er oder sollten andere Militärs einem Geg-ner begegnen, der aus dem Jenseits auftauchte, zuschlug und wiederverschwand? Das war unmöglich, ganz davon abgesehen, daß sichdie Frage erhob, ob normale Waffen überhaupt etwas gegen Gei-ster oder ein Wesen mit solchen übernatürlichen Kräften wie denGuru des Grauens nützten?

Afzal schaltete die Funkverbindung ab. Er wendete sich an denRanger-Leutnant, der mit der MPi im Anschlag neben ihm stand.

�Delhi muß verständigt werden�, sagte der General. �Das ist einFall für die Regierung. Ein Aufschrei wird durch das Land gehen.Es sind Sondermaßnahmen erforderlich.�

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�Welche, Sir?� fragte der lange Leutnant.Ja, welche, überlegte sich Afzal?�Es wird doch irgendwo auf der Welt Leute oder eine Abteilung

geben, die gegen solchen Höllenspuk antreten kann?� sagte er, undes war mehr eine Frage.

General Afzal kannte die PSA nicht. Die Psychoanalytische Spe-zialabteilung, gegründet von David Gallun alias X-RAY-1. Zwan-zig Männer und zwanzig Frauen weltweit waren ihre Agenten, spe-ziell geschult, körperlich topfit, hochintelligent, furchtlos, mitstählernen Nerven. Meist allein oder zu zweit traten sie an und be-standen unglaubliche Abenteuer.

Einer davon war Larry Brent alias X-RAY-3. Und in Indien gabes das X-GIRL-R, Adida Modderjee, sehr jung noch, eine Nach-wuchsagentin, aber hochbegabt.

�In Delhi�, sagte der General, �wird man Bescheid wissen, waszu tun ist oder wohin es sich zu wenden gilt.�

Die Stimme des harten Militärs bebte. Seine Worte waren mehrals ein Hilfeschrei.

New York

Es war Hochsommer in New York. In den Straßenschluchten Man-hattans kochte der Asphalt. Zwei Stockwerke unter dem Speise-restaurant Tavern on the Green im Central Park, in der unterirdi-schen Zentrale der PSA, herrschte eine angenehme Kühle.

Nur wenigen Eingeweihten war hier der Zutritt gestattet, selbsthöchste Regierungskreise der USA wußten nichts von der PSA.Eine geheime Tür führte vom Kellergeschoß des Restaurants ineine Kammer, die ein getarnter Lift war.

Der Daumenabdruck desjenigen, der diese Kammer betrat, setzteden Lift in Gang. Außerdem wurde der Fahrstuhl natürlich durcheine Kamera überwacht. Und spezielle Abtaster maßen in der Arteines Enzephalogrammgerätes die Gehirnströme des oder der In-

sassen der Kammer. Es war praktisch unmöglich für ungebeteneBesucher, bei der PSA einzudringen.

Trotzdem hatten es mächtige Dämonen in der Vergangenheitschon geschafft, weshalb zusätzlicher Schutz angebracht wordenwar.

David Gallun, der Leiter und Gründer der PSA, hatte weltweiteVerbindungen und erhielt Gelder aus geheimen Quellen, die ihmkeine Auflagen machten und ihn frei schalten und walten ließen.Gallun alias X-RAY-1 besaß eine gewaltige Macht, denn er hatteKenntnis von Dingen, die außer ihm kein Mensch auf der Weltwußte und verfügte über Mittel, die unglaublich waren.

Meist wirkte er ernst, die ungeheure Arbeitslast, die mit der Lei-tung der PSA verbunden war, blieb nicht spurlos bei ihm. Nurmanchmal, im vertrauten Kreis, ging er aus sich heraus und erwiessich als charmanter Gesellschafter.

Er war unverheiratet � in seiner Vergangenheit war viel Tragi-sches geschehen. Zweimal schon war er klinisch tot gewesen undnur durch die Kunst der Ärzte gerettet worden. Gallun, ein Mitt-fünziger mit dichtem, glatt zurückgekämmtem grauem Haar warblind. Doch er verfügte über besondere paranormale Fähigkeiten� er war ein Empath, der Stimmungen und Gefühle anderer Men-schen spüren und in ihnen wie in einem offenen Buch lesen konnte.

Sogar über weite Entfernungen war das möglich.An diesem Tag, 16 Uhr Ortszeit, studierte X-RAY-1 die Tages-

berichte. Der mittelgroße Mann mit der Blindenbrille saß hinterseinem Schreibtisch im Innersten der PSA. Seine nervigen Fingerglitten über die Aufzeichnungen in Blindenschrift. Die Buchsta-ben waren erhaben angebracht, sie zu spüren und zu entziffern er-forderte lange Übung.

Gallun hörte zudem viele Aufzeichnungen und Berichte. Er hattesich daran gewöhnt, seine Behinderung auszugleichen. Seine übri-gen Sinne gewannen an Schärfe, seit er sein Augenlicht verlor. SeinTastsinn, das Gehör, Geruch und Gefühl hatten sich enorm gestei-gert. Wenn er sich einmal in einem Raum aufgehalten hatte und ver-traut mit ihm geworden war, vergaß er das nie mehr, dann brauchte

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er keinen Blindenstock und konnte sich wie ein normal Sehenderdort bewegen.

Auf seine Art war Gallun ein Phänomen und ein Genie. SeineAgenten kannten ihn nicht persönlich, keiner wußte, wie er aus-sah. Auch daß er blind war, war ihnen unbekannt.

Gallun, das Gehirn und der Motor der PSA, trank einen Schluckaus dem Glas mit kühlem Wasser auf seinem Schreibtisch. In demMoment erhielt er die Meldung aus Indien. Ein hochrangiger Re-gierungsbeamter aus Delhi wendete sich direkt an ihn.

Der Mann wußte nicht viel über die PSA. Doch daß er sich beieinem paranormalen Fall oder übernatürlichen Ereignissen dort-hin zu wenden hatte, war ihm bekannt, und das reichte.

Der Computer Big Wilma hatte den Anruf entgegengenommen.Durch ein Programm des PSA-Computerspezialisten Simon Sa-batzki meldete sich der Computer jeweils mit einer Frauenstimmeund vermochte sich auf den Anrufer einzustellen sowie die Dring-lichkeit des Anrufs zu analysieren.

Big Wilma flirtete sogar, wenn auch nicht ständig, und nannte,wenn er danach gefragt wurde, den Namen Wilma. Wilmas rauchigeAltstimme war unverkennbar und mancher, der mit der PSA zu tunhatte, wäre gern mal, wenn er sich in New York aufhielt, mit Wilmaausgegangen.

Bisher war es noch keinem gelungen!Wilma stellte also direkt zu X-RAY-1 durch, was in dem Fall

sein mußte. Der Empath Gallun zuckte zusammen, als er den Ge-fühlssturm des Anrufers wahrnahm.

�Ich leite sofort alles Notwendige in die Wege, Mr. Banerjee�,sagte er dann zu dem Anrufer, der in Englisch, der IntegralspracheIndiens, mit ihm gesprochen hatte. �In Kürze werden PSA-Agen-ten sich des Falls annehmen.�

�Wer?� fragte der Anrufer. �Wie viele?��Drei�, antwortete Gallun, nachdem er zwei Sekunden überlegt

hatte. �X-RAY-3, X-RAY-7 und X-GIRL-R. Letztere ist Inderin.��Wie sind ihre Namen, falls sie sich an mich wenden und meine

Unterstützung brauchen, Sir?�

�Die brauchen Sie nicht zu wissen, Mr. Banerjee. Sie werdensich, falls sie Sie benötigen, ausweisen.�

�Gut�, sagte Banerjee, der Anrufer aus dem fernen Indien. �Glau-ben Sie, daß die PSA bald etwas erreichen kann? Die nationale Si-cherheit Indiens steht auf dem Spiel. Da sind Mächte im Spiel, dieschrecklicher und grauenvoller sind als eine Atombombe.�

�Das weiß ich, Mr. Banerjee�, antwortete der Blinde in der PSA-Zentrale kühl. �Bisher sind wir noch mit allen Problemen fertiggeworden.�

Aber um welchen Preis, dachte Gallun. Er hatte erlebt, wie PSA-Agenten und -Agentinnen das Leben verloren oder ein Schicksalerlitten, das viel schlimmer war als der Tod. Wie Menschen wahn-sinnig wurden, auf die Seite der dämonischen Mächte hinüber-schwenkten.

Die Mächte der Finsternis waren ungeheuer stark, ihr Sog ge-waltig. Schaust du in den Abgrund, schaut der Abgrund in dich,sagte das Sprichwort.

Gallun beendete das Gespräch. Er rief Simon Sabatzki, den Com-puterspezialisten, der zudem sein persönlicher Diener und teilweiseauch Pfleger geworden war. Simon hatte den unvergessenen, vonDr. Satanas getöteten Bony bei X-RAY-1 abgelöst. Der mittelgroße,bebrillte Mann kam.

Er sah eher wie ein Bankbeamter oder Lehrer aus als wie einSpitzenmitarbeiter der PSA.

�Du kannst gehen, Simon. Ich werde noch eine Weile hierblei-ben müssen. Ich rufe dich an, wenn du mich abholen sollst.�

Sabatzki fragte: �Soll ich Ihnen einen Imbiß bringen, Sir? Siehaben seit heute morgen nichts mehr gegessen.�

X-RAY-1 lächelte. �Du bist sehr besorgt um mich. Ja, bitte tu das.�Als Simon Sabatzki ihm ein Glas Milch und zwei Sandwiches

brachte, telefoniert David Gallun bereits. Über Satellitenfunk gingsein Anruf an die PSA-Agenten Larry Brent, Iwan Kunaritschewund X-GIRL-R Adida Modderjee. Larry und Iwan hielten sich inLondon auf, Adida befand sich in ihrer Wohnung in einem mehr-stöckigen Apartmenthaus in Kalkutta.

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Gallun erreichte seine männlichen PSA-Agenten über den PSA-Ring mit der stilisierten Weltkugel, die eine Minisende- und -emp-fangsanlage enthielt, Adida Moderjee über den Anhänger an ihremArmkettchen, der die gleiche Funktion hatte. Jeder PSA-Agent warweltweit jederzeit zu erreichen, wenn er die Weltkugel bei sichtrug, und konnte zudem angepeilt werden.

Adida Modderjee hatte bereits von den Vorfällen in Agra gehört.�Ich fliege sofort hin�, teilte sie mit.�Ja�, stimmte Gallun zu, �aber unternehmen Sie nichts voreilig

und im Alleingang. Warten Sie ab, bis X-RAY-3 und X-RAY-7 dasind, bevor Sie aktiv werden.�

�Ich habe verstanden, Sir.�Alle drei hörten über die Konferenzschaltung mit, Larry Brent

und Iwan Kunaritschew in London um 2.45 Uhr morgens, AdidaBanerjee in Kalkutta vormittags um 7.18 Uhr, jeweils Ortszeit. InNew York war es 21.45 Uhr. In New York zeigte der Kalender nocheinen Tag früher an als in London oder Kalkutta.

�Wir werden schon auf die Kleine aufpassen�, sagte Iwan Ku-naritschew mit seiner tiefen Baßstimme. �Keine Sorge, Sir.�

Er befand sich bei Larry Brent im Hotelzimmer und hatte des-sen Alptraum erwähnt. X-RAY-1 hatte das zur Kenntnis genommen,zumal in diesem Horrortraum Indien erwähnt worden war, war abernicht weiter darauf eingegangen.

�Gott mit euch�, erwiderte David Gallun nun und beendete dieVerbindung.

Er saß allein am Schreibtisch. Simon war längst gegangen. SeineGedanken kreisten um die Geschehnisse in Agra und waren bei sei-nen PSA-Agenten, die er auf den Fall angesetzt hatte. Der NameTschandragupta Prad und die Bezeichnung Guru des Schreckens,die Banerjee ihm aus Delhi genannt hatte, erinnerten ihn an etwas.

X-RAY-1 meinte, diese Bezeichnungen schon einmal gehört zuhaben. Er wendete sich an den Computer. Das Sprachsystem war ak-tiviert, das seine Stimme empfing und in elektronische Signale um-wandelte, die einfachste Art für den Blinden, mit dem Computer zukommunizieren. Vor ein paar Jahren war es noch anders gewesen.

In der Anfangszeit hatte er jeweils in eine mit Braillé-Buchsta-ben2 versehene Tastatur getippt und die Auswertung per Loch-streifen ausgedruckt erhalten, was er dann mit den Fingern las.Auch die PSA rüstete technisch auf und aktualisierte sich jeweils.

X-RAY-1 lehnte es strikt ab, sich in politische oder Kriminalfälleeinzumischen. Er beschränkte die Tätigkeit der PSA von Anfangan strikt auf den übernatürlichen Sektor und hatte damit eine weiseEntscheidung getroffen. Sonst hätte er niemals nationalitätenüber-greifend arbeiten können, sondern wäre längst mit den Politikernin Konflikt geraten.

�Suche Tschandragupta Prad�, gab er ein.Kurz darauf meldete ihm der PC über Lautsprecher mit ange-

nehmer Frauenstimme: �Leider kein Ergebnis.��Guru oder Fakir des Schreckens.��Negativ.��Danke, Wilma, oder spreche ich mit Clever Sophie?�Mit warmem Klang, aber unpersönlich, erfolgte die Antwort.

�Hier spricht das Zentralsystem des PSA-Computers. Wir sind inalle wichtigen Informations-Datennetze der Welt eingeloggt. Zudemverfügen wir über unsere eigene paßwortgeschützte Datenbank.Ich kann mich wahlweise mit Wilma oder mit Sophie melden, Sir.�

Ich war in dem Fall eigentlich unzutreffend, weil ein Computerkein Ego und keine Persönlichkeit hatte, sondern ein Rechner war.Doch eine andere Bezeichnung wäre sehr umständlich und schwie-rig geworden.

�Danke�, erwiderte Gallun, ohne einen Namen auszuwählen. ImGrund genommen war es egal. �Programm beendet.�

Der Computer schaltete ab. David Gallun überlegte. Es war vielpassiert, seit er die PSA gegründet hatte, deren Leiter er seitdemwar. Zeitweise, als er nach dem Mordanschlag von Dr. Satanas imKoma gelegen hatte, hatte ihn Larry Brent vertreten. X-RAY-1hatte sein Leben dem Kampf gegen die Mächte der Finsternis ge-weiht.

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2 Braillé = Blindenschrift

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Viele Jahre führte er diesen nun schon. Er hatte Siege errungen,aber auch harte Niederlagen einstecken müssen. Manchmal fragteer sich tief in seinem Innern, ob er überhaupt eine Möglichkeithatte, nachhaltig etwas zu verändern und die Mächte des Bösen zuschwächen.

Ausrotten konnte er die Dämonen niemals. Sie waren so alt wiedie Welt selbst, teils sogar älter. Doch er mußte mit seiner PSA denKampf führen, denn ohne ihn wäre die Welt noch schlechter drangewesen. Wer einmal sein Nachfolger sein würde, wußte Gallunnoch nicht. Larry Brent bot sich an � doch das konnte erst in vie-len Jahren der Fall sein, denn X-RAY-3 wurde im aktiven Einsatzdringend gebraucht.

Ich muß noch viele Jahre durchhalten, dachte der Blinde. Manch-mal sehnte er sich nach Ruhe und Frieden. Doch das war ihm nochnicht vergönnt.

London, kurze Zeit zuvor

Eine harte Hand packte Larry Brent bei der Schulter. Schüttelteihn. Als er erwachte, sah er Iwan Kunaritschews gutmütiges unddennoch hartes Gesicht über sich.

�Hattest du einen Alptraum, Towarischtsch? Du hast das halbeHotel zusammengeschrien.�

Larry war naßgeschwitzt. Er bemühte sich, wieder zu sich zukommen. Schon einmal hatte er geglaubt, aus einem Alptraum zuerwachen, was sich dann als die Fortsetzung desselben erwiesenhatte. Wie bei jemand, der träumte, er würde in seinem Badezim-mer von einem Krokodil verschlungen, aufwachte, ins Bad ging undwieder an das Krokodil geriet.

Der blondhaarige, braungebrannte PSA-Agent schüttelte denKopf, um seine Sinne zu klären. Er kniff Iwan in den Arm.

�Was soll das, Towarischtsch?��Iwan, bist du es wirklich?�

�Nein, ich bin Boris.� Baris, sprach Iwan das aus. �Ich habe nurIwans Mütze auf. � Ist mit dir etwas nicht in Ordnung, Larry? Hastdu Probleme?�

Larry setzte sich auf die Bettkante. Jemand klopfte an die Türdes Hotelzimmers und fragte, ob alles in Ordnung sei. Iwan Ku-naritschew erwiderte, das wäre der Fall.

�Mein Freund hat nur schlecht geträumt. � Nein, danke, ein Arztist nicht nötig. � Danke. � Danke. � Nein, keine Probleme. � Ja,danke.�

�Das ist der Hotelpage�, erwiderte Larry müde und drückte Iwaneine Pfundnote in die Hand. �Gib ihm ein Trinkgeld, sonst fragt ernoch eine halbe Stunde.�

Iwan öffnete die Tür und drückte dem Pagen das Geld in dieHand. Der bedankte sich und ging endlich. Larry schenkte sicheinen doppelten Whisky ein.

Seine Hand war ruhig. Als Iwan eine Zigarette anzünden wollte,eine von seinen Selbstgedrehten, bat er ihn, es zu lassen.

�Deine Vampirkiller verstänkern mir das Schlafzimmer.��Bei anderen Zigaretten weiß ich nicht, daß ich rauche. Und es

stimmt nicht, daß von meinen Filterlosen die Vampire tot von denWänden fallen. Sie sind es schon vorher � untot.�

�Aber herunterfallen tun sie�, sagte Larry und grinste.Er hatte sich wieder gefaßt. Iwans Gegenwart tat ihm gut. Der

Einsneunzig große, athletisch gebaute Russe mit dem kurzge-schorenen Haar war ein Gemütsmensch. Er hatte schon mehr er-lebt als zehn Menschen, die dreimal so alt waren wie er. Genau wieLarry. Ihre Freundschaft war unverbrüchlich.

Trotz gelegentlicher Frotzeleien, oder gerade deshalb, wurde sieimmer besser. Jeder hatte dem anderen mehrfach das Leben ge-rettet. Die beiden PSA-Agenten konnten sich unbedingt aufeinan-der verlassen.

Larry erzählte Iwan von seinem Traum.�Höllensohn�, sagte er. �Dieses Ungeheuer hat mich seinen Sohn

genannt. Und er sagte, wir würden nach Indien gerufen.�In dem Moment gab der PSA-Ring, den jeder der beiden Agen-

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ten an der Hand trug, ein akustisches Signal ab. Beide meldetensich. David Gallun wendete sich an sie. Adida Modderjee wurdein die Konferenzschaltung einbezogen.

Als das Gespräch beendet war, schaute Larry Iwan Kunaritschewan.

�Indien�, sagte er. �Wir müssen nach Agra.��Aber nicht nach Kanpur, wie die Stimme in deinem Alptraum

verlangte�, erwiderte der Russe.�Die beiden Städte liegen nicht weit auseinander�, antwortete

Larry. �Ob Tschandragupta Prad es war, der mich rief? Der imTraum zu mir sprach?�

�Das werden wir bald erfahren�, erwiderte Iwan und griff zumTelefon, um am Londoner Flughafen Heathrow anzurufen.

Er wollte schnellstmöglich einen Flug nach Indien buchen. Obes nach Agra oder Kanpur eine Direktverbindung gab, wußte ernicht. Doch nach Bombay, Kalkutta und Delhi gab es jederzeitFlüge. Und von dort konnte es kein Problem sein, entweder dieeine oder die andere Stadt zu erreichen.

�Das hört sich übel an, was uns da geschildert wurde, Larry�,sagte Iwan.

Larry Brent seufzte.�Wann wäre das einmal nicht der Fall?� fragte er. �Irgendwann

holt uns beide der Teufel.�Iwan grinste.�Ich bin aufgewachsen in Sozialismus�, sagte er in absichtlich

gebrochenem Englisch. �Da chibt es keine Hölle, nur Mangelver-sorgung und Planungsfehler.�

Larry lachte. Iwan erreichte die Nachtbereitschaft des Airports.Kurz darauf sagte er: �Um 7.45 Uhr können wir von Heathrow

nach Bombay fliegen, von dort haben wir rasch einen Anschlußflugnach Agra. Das sind zehn Stunden Flug, Brüderchen. � Gib mirWodkaflasche, Schlafen lohnt nicht mehr. Schlafen kann ich inFlugzeug.�

�Aber kneif nicht wieder die Stewardeß in den Hintern, wie beimletzten Flug.�

�Was kann ich dazu, daß sie ein so pralles und ansprechendesHinterteil hatte? Meine Hände haben sich selbständig gemacht.Das war ein russisches Kompliment. Die Stewardeß hat es ver-standen und lächelte mich an. Nur die Zimtzicke in der Sitzreihegegenüber beschwerte sich, das wäre ein chauvinistischer Über-griff. Dabei hätte ich den bei ihr bestimmt nicht unternommen.�

�Ich will es dir glauben�, antwortete Larry und reckte sich. �Malsehen, welche Komplimente du für die Stewardessen von IndianArways übrig hast.�

�Bei so einem Po, wie ihn diese Stewardeß hatte�, antworteteIwan derb, �sagen wir Russen: Sie hat einen Arsch wie ein Herr-gott.�

Larry Brent schaute ihn an. Wie immer in solchen Fällen sagteer das, was man bei Iwan Kunaritschew dann besser sagte: Nichts.

Im Gegensatz zu Iwan wollte er noch anderthalb Stunden schla-fen. Er hatte es nötig.

London und Bombay

Larry Brent und Iwan Kunaritschew passierten am Flughafen Hea-throw die elektronische Kontrolle. Beide wurden mit dem Scannerabgetastet, der keine Waffen bei ihnen entdeckte. Auch das Hand-gepäck passierte die Kontrolle auf dem Laufband. Larry nahm seineTragetasche an sich.

Seine Smith & Wesson-Laserpistole lag in einem verstecktenSpezialfach dieser Tasche. Sie war von einer Hülle umgeben, dieRadar- und Röntgenstrahlen sowie auch den normalen Metallde-tektor neutralisierte. Es war nicht möglich, die Waffe damit zu fin-den.

Sie unterschied sich rein äußerlich nicht von einer normalen Pi-stole der Firma Smith & Wesson. Im Griff befand sich allerdingseine Spezialbatterie, die den Laser speiste, der eine eigene Mün-dung oberhalb der normalen Pistolenmündung hatte. Die Öffnung

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war nadelfein, der strichdünne Strahl kaum wahrzunehmen, hattejedoch eine mörderische Intensität.

Ein solcher Laserschuß durchdrang selbst eine Stahlplatte voneinem Meter Dicke. Es handelte sich um eine mörderische Waffe,die David Gallun bisher unter Verschluß hielt, weil er meinte, daßdie Menschheit noch nicht reif dafür sei.

Der Laser vermochte einen Werwolf und einen Vampir zu töten.Bei Geistern und Dämonen der höheren Ordnung richtete er je-

doch nichts aus, da waren andere Waffen angesagt. Die männli-chen PSA-Agenten trugen den Laser meist im Schulterhalfter, dieAgentinnen benutzten eine handlichere Version, die auch in ein gutverborgenes Halfter zum Beispiel an der Innenseite des Ober-schenkels paßte.

Die Laserpistole war sogar unter Wasser einsetzbar, wie Larryschon ausprobiert hatte. Im Warteraum hatten die Passagiere nochkurze Zeit Aufenthalt, ehe ihr Flug aufgerufen wurde.

Durch den Flugsteig gelangten sie zu der Boeing 777 der In-dian Airlines. Als die Maschine startete, hatte Larry Brent schondie Augen geschlossen. Iwan Kunaritschew fing bald neben ihmzu schnarchen an, bis Larry ihn in die Seite stieß.

Auch Iwan hatte seinen Laser auf die bewährte Weise an Bordgeschmuggelt. Das Handgepäck mit den Waffen befand sich imFach.

Das moderne Langstreckenflugzeug hatte mit Zusatztanks einemaximale Reichweite von 16.983 Kilometern und erreichte eineHöchstgeschwindigkeit von circa 950 Stundenkilometern. ZweiMantelstrom-Triebwerke von Pratt & Witney mit je 332 KN Stand-schub trieben es an.

Die Besatzung war in dem Fall zwölf Mann stark, einschließlichder Stewardessen. Von den 460 Plätzen an Bord des Großflugzeugswaren nicht alle besetzt. In Beirut war eine Zwischenlandung vor-gesehen. Von dort sollte es nach Bombay gehen.

Mit ihrer Kollegin Adida Modderjee wollten Larry und Iwan ent-weder in Agra oder in Kanpur zusammentreffen. Sie würden sichüber die PSA-Weltkugel mit ihr in Verbindung setzen. Larry Brent

hatte nicht vergessen, daß ihn die Horrorfratze in seinem Alptraumnach Kanpur rief, und er bezweifelte nicht, daß er dem Ruf folgenmußte.

Hübsche Stewardessen in Saris, mit einem Punkt als Kastenzei-chen auf der Stirn, teilten die Getränke und die Bordmahlzeit ausund verkauften aus dem Duty-free-Shop, der für alle Fluggesell-schaften ein gutes Zusatzgeschäft war. Bis Beirut verlief der Flugohne Zwischenfälle.

Während Iwan wie ein Toter schlief, erwachte Larry nach einerWeile. Er schaute sich den Film an, der während des Fluges ge-zeigt wurde, verlor jedoch bald das Interesse und setzte die Kopf-hörer wieder ab. Gelangweilt blätterte er in einer Illustrierten.

Die Boeing flog in zehntausend Meter Höhe im strahlenden Son-nenschein durch die Stratosphäre. Larry hatte einen Fensterplatzergattert und schaute durchs Bullauge auf das Land tief unter sichhinunter. Er sah Grün und Braun, konnte gerade mal Gebirge undgroße Geländeformationen erkennen.

Wolkenfetzen trieben darüber. Larry sah ein Stück von der sil-bern glänzenden Tragfläche und das Düsentriebwerk an der Steu-erbordseite der Maschine. Der Zwischenstopp in Beirut lag schonhinter ihnen. Da sie nach Osten flogen, verloren sie scheinbar Zeitund würden um 22.15 Uhr Ortszeit in Bombay landen.

Beim Rückflug holten sie diese Zeit gegebenenfalls wieder ein.Die Datumsgrenze würden sie bei dem Flug allerdings nicht pas-sieren.

Larry nippte an seinem Obstsaft. Eine Stewardeß erschien, fragteihn nach seinen Wünschen und lächelte ihn an. Der blondhaarige,grauäugige PSA-Agent kam bei Frauen immer gut an. Er hatte einjungenhaftes Lächeln. Niemand, der ihn so sah, hätte vermutet,wieviel schrecklichen Gefahren er schon ins Auge gesehen hatte,und daß er ein gefährlicher und gefürchteter Dämonenjäger war.

Manch anderer, der nur halb soviel hinter sich hatte, wäre ein ner-vliches Wrack gewesen oder mit schlohweißen Haaren durch dieGegend gelaufen.

Die Stewardeß ging weiter. Larry und Iwan waren die einzigen,

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die in der Sechserreihe saßen. Der Russe fläzte sich über drei Sitze.Er hatte einen gesegneten Schlaf, und das war besser, dachte Larry,als wenn er erwachte und seine Vampirkiller rauchte.

Der PSA-Agent schaute abermals aus dem Bullauge. �Höllensohn�, raunte in seinem Geist eine Stimme. �Ich wußte

es, daß du kommst. Ich warte auf dich.�Larry wurde es übel. Der Schweiß brach ihm aus. Sein Magen

verkrampfte sich einen Moment. Als er wieder durchs Bullaugeschaute, wollte er seinen Augen nicht trauen. Auf der Tragflächedraußen hockte nämlich im Schneidersitz ein Fakir mit weißemTurban.

Er war nur mit einem Lendenschurz bekleidet und hatte die Armeverschränkt. Mit glühenden, fanatischen Augen starrte der dürreKerl mit dem Bartgestrüpp Larry an.

�Mein Sohn�, vernahm Larry in seinem Geist. �Ich bin der, derimmer wiedergeboren wird. Tschandragupta Prad, den du nichttöten kannst.�

Was willst du? dachte Larry.�Dich.�Der Fakir verschwand. Das war kein wirrer Traum, sondern eine

Schreckensvision. Larry lief es kalt den Rücken hinunter. Währender noch überlegte, ob er Iwan aufwecken sollte, sah er ein haari-ges Spinnenbein vor dem Bullauge.

Er schaute sich im Flugzeug um. Außer ihm hatte wie es aussahniemand den Fakir bemerkt. Die Passagiere dösten, manche un-terhielten sich halblaut. Während des Fluges gab es für die Passa-giere nicht viel zu tun, die Bewegungsmöglichkeiten waren ziem-lich beschränkt.

Meist war ein Flug langweilig. Für Larry in dem Fall nicht mehr.Er schaute auf das Spinnenbein. Es bewegte sich, und dann ver-deckte der Leib einer großen, häßlichen Spinne das Bullauge.

Sie schaute herein. Ihre Kieferzangen, mit denen sie dem OpferGift einspritzte und es tötete, seine Innereien auflöste und auf-saugte, bewegten sich. Larry starrte in zwei der acht Augen.

Bösartig glotzten sie ihn an.

Der PSA-Agent stieß Iwan Kunaritschew an. Der Russe erwachteund blinzelte verschlafen. Larry deutete auf das Bullauge.

Iwan zuckte zusammen. Auch er sah die Spinnenaugen, die Kie-ferzangen und einen Teil von dem Spinnenleib. Er rieb sich überdie Augen.

�Ich sollte nicht mehr soviel Wodka trinken. Andere sehen weißeMäuse...�

Larry stieß ihn an. �Das ist keine Sinnestäuschung. Jedenfallskeine von der Art, die du erwähntest. Vorher habe ich den Guru desSchreckens gesehen. Er saß auf der Tragfläche und nannte michwieder seinen Höllensohn.�

�Bogossuzedat! Verdammt! Was machen wir jetzt?��Nichts�, sagte Larry. �Wir müssen abwarten, wie es sich wei-

ter entwickelt.��Und wenn Tschandragupta das Flugzeug zum Absturz bringt,

herunterholt, Larry?��Das glaube ich nicht, denn dann wäre ich tot. Ich schätze je-

doch, daß er mich lebend braucht.�Selbst jetzt ließ Larry sein logisches Denken nicht im Stich.

Außer ihm und dem Russen bemerkte keiner im Flugzeug die Mon-sterspinne oder die Spinnenvision. Die beiden PSA-Agenten ver-suchten, die Monsterspinne zu ignorieren, die außen am Flugzeugherumkrabbelte.

Immer wieder zeigte sie sich ihnen vor dem Bullauge, wobeiman meist nur einen Teil ihres Körpers erkennen konnte. Einmalkrabbelte sie auf die Tragfläche. Das Flugzeug neigte sich ein wenigzur Seite, doch der Pilot glich es aus.

Larry war froh, als die Maschine plangemäß Bombay erreichte.Nach der Landung auf dem Flughafen, neunzehn Kilometer vomZentrum der menschenwimmelnden Zehn-Millionen-Metropoleentfernt, verließen die beiden Freunde und Kampfgefährten dasFlugzeug. Sie passierten die Paß- und Zollkontrolle. Die für In-dien notwendigen Impfungen hatten sie nicht.

Ein höflicher Beamter teilte ihnen mit, daß sie diese am Flug-hafen nachholen konnten. Das wurde erledigt. In einem Restau-

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rant im Terminal nahmen die Zwei dann ein spätes Abendessenein.

Es war nach 23 Uhr, als sie es beendeten und sich in einem Air-port-Hotel einquartierten. Am nächsten Morgen wollten sie vonBombay weiterfliegen, einer der größten Städte des subtropischenHalbkontinents Indien. Mit einer Milliarde Menschen, dreizehnHauptsprachen und weit über tausend Dialekten, vielen Stämmenund krassen Gegensätzen war Indien eine farbenprächtige, exoti-sche Welt für sich.

Als Verwaltungs- und Einheitssprache diente immer noch Eng-lisch, obwohl Indien seit 1947 unabhängig und seit 1950 eine Re-publik ist. Es gehört jedoch noch immer zum Commonwealth. Ohnedie englische Sprache wäre Indien als Staat nicht funktionsfähiggewesen.

Die Nacht verlief ohne Störung. Larry und Iwan verzehrten amfolgenden Morgen im Airport-Hotel ihr Frühstück. Beide trankenMineralwasser. Iwans Wodkakonsum hielt sich meist in Grenzen,nur ab und zu schlug er über die Stränge. Der Russe zündete sicheine Selbstgedrehte mit seinem Spezialtabak an, dessen Herkunftund Zusammensetzung er niemand verriet.

Eine Stechmücke drehte sich zweimal in der Luft und sank nie-der, als sie in seine Rauchwolke geriet. Iwan focht das nicht an.

�Charascho3, Brüderchen�, sagte er. �Der Spinnenflug ist zuEnde, und dein Papa hat sich nicht wieder gemeldet. Wir müssenheute weiter nach Agra. Doch zuerst ruf Adida, unsere schöne Kol-legin, an.�

Am Flughafen, nachdem sie gebucht hatten, suchte sich Larryeine ruhige Ecke, was im Terminal mit mehreren Abteilungen undEtagen nicht einfach war. Er fand schließlich eines in einer Eckebei einer Gepäckaufbewahrung. Nachdem er ein paar Kulis abge-schüttelt hatte, die ihm irgendwelche unnötigen Dienste anboten,aktivierte er den Ring mit der Weltkugel, durch die das stilisierteGesicht eines Menschen schimmerte.

3 Charascho (Russisch) = Gut