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124/0 AZ 8021 Zürich Der Zürcher Zeitung 208. Jahrgang Montag, 1. Juni 1987 5lf ttf Älier 3f ittttttt Briefadresse von Redaktion. Verlag und Druckerei: Postfach, CH-8021 Zürich, Telefon (01) 258 II II, Telex 817099 Auslandvertrieb: Postfach 660, CH-8021 Zürich, Telex 816 570 Annoncenabteilung: Postfach 215, CH-8021 Zürich, Telex 817 053 Inlandabonnemente: Tel. (01) 258 15 30 Abonnementspreise auf Seite und schweizerisches Handelsblatt bFr. 50.- Llt. 1800.- Esc. 130.- dKr. 9.- Din. 540.- sKr. 9.- Schweiz DM 1.80 IFr. 38.- Pts. 160- .. . ,n fFr. 7.50 hn. 2.75 Kan. Inseln IT. l.JM Dr. 120.- nKr. 9.- Pu. 175.- X 0.70 öS 18 Konsequenzen aus dem Debakel der sowjetischen Luftabwehr Entlassung Verteidigungsminister Sokolows Ernennung General Jasows zum Nachfolger Die Sowjetführung hat mit der «Pensionierung» von Verteidigungsminister Sokolow und der Entlassung des Oberkommandierenden der Luftabwehrtruppen, Koldunow, rasch und entschieden auf das Versagen der sowjetischen Abwehr reagiert, welche den Grenzüberflug und die Landung einer Cessna auf dem Roten Platz in Moskau nicht ver- hindert hatte. Die Ernennung des relativ unbekannten Armeegenerals Jasow zum neuen Verteidigungsminister bedeutet eine Desavouierung der höchsten Armeeführung. Mr. Moskau, 31. Mai Der formell vom Präsidium des Obersten So- wjets beschlossene Wechsel an der Spitze des Verteidigungsministeriums ist am Samstag abend von Tass ohne Hinweis auf die Flugzeug- affäre bekanntgegeben worden. Die «Prawda» wiederholte am Sonntag auf der zweiten Seite in sechs Zeilen, dass Marschall Sokolo w «im Zu- sammenhang mit seiner Pensionierung von sei- nen Pflichten als Verteidigungsminister der So- wjetunion entbunden» worden sei, ohne ein Wort des Dankes oder der Würdigung seiner Verdienste anzufügen. Die Ernennung seines Nachfolgers, des 64jährigen Armeegenerals Di- mitri Jasow, wurde dagegen auf der ersten Zei- tungsseite publiziert. Der 75jährige Sokolow, der soeben noch mit Generalsekretär Gorba- tschew am Warschaupakt-Gipfel in Ostberlin teilgenommen hatte - was nicht auf einen be- vorstehenden Zwangsrücktritt schliessen liess -, ist somit in altem Kreml-Stil brüsk und ohne Ehren abgesetzt worden. Sondersitzung des Politbüros Das Politbüro ist am Samstag abend nach der Rückkehr der Kreml-Führer aus Ostberlin zu einer Sondersitzung zusammengetreten, um sich den Bericht des Verteidigungsministeriums über die Luftraumverletzung vom Donnerstag anzuhören. Dabei wurde die Entlassung des 63jährigen Chefs der Luftabwehrtruppen, Alex- ander Koldunow, beschlossen, um, wie es im Communique hiess, «die Führung des Verteidi- gungsministeriums der UdSSR zu stärken». Das Communique hielt fest, dass das vom deutschen Bürger Mathias Rust gesteuerte Flugzeug beim Anflug der sowjetischen Grenze durch Radarge- räte der Luftabwehr entdeckt worden sei und dass sowjetische Kampfflugzeuge die westdeut- sche Maschine zweimal umkreist hätten. Das Po- Tagesinformation Köpferollen im Kreml Als Folge der Landung eines deutschen Privatflugzeuges auf dem Roten Platz sind in Moskau Verteidigungsminister Soko- low und der Chef der Luftabwehrtruppen, Marschall Koldu- now, entlassen worden. Neuer Verteidigungsminister ist Ge- neral Jasow. Seiten I und Waldbrände in der Inneren Mongolei Die Waldbrände in China nehmen noch kein Ende: Nun sind auch in der Inneren Mongolei schwere Verwüstungen zu ver- zeichnen, und nach wie vor droht die Gefahr eines Übergrei- fens der sibirischen Brandherde. Seite Sondersteuern in Frankreich Mit zeitlich begrenzten Sondersteuern und Beitragserhöhun- gen will die französisch e Regierung das sich abzeichnende Defizit in der Sozialversicherung ausgleichen. Seite Lebendige Gemeinden der «Minderheit Kirche» Die Schweizerische Evangelische Synode hat in Genf Ober Möglichkeiten beraten, von der Pfarrer- zur Gemeindekirche zu gelangen, sowie die «missionarische Situation» in der heu- tigen Gesellschaft analysiert. Seite 17 US-Reiter am Luzerner CSIO überlegen Den Grossen Preis der Schweiz am Luzerner CSIO hat die Amerikanerin Katherine Burdsall vor ihrem Landsmann Louis Jacobs gewonnen. Seite 47 Senna Erster des Formel-1-GP in Monte Carlo Mit klarem Vorsprung vor Nelson Piquet (2.) und Michele Alboreto (3.) hat Ayrton Senna das Formel- 1 -Rennen im Für- stentum Monaco für sich entschieden. Seite 49 inhaltsübersicht Umfang 60 Seiten Ausland 1-4 Roman 24 Vermischtes 5 Radio und TV 29/30 Wirtschaft 7, 9/10 Stadt und Inland 17-19 Kanton Zürich 31-35 Feuilleton 21, 23 Sport 47-52 Anzeigen-Überblick Seite litbüro spricht von einer «unannehmbaren Un- bekümmertheit und Unentschlossenheit» des Kommandos der Luftabwehr, das es unterlassen habe, den Flug der Cessna - ohne Anwendung von Kampfmitteln - zu unterbrechen. Man kann in der Tat nur rätseln, warum ein Eingrei- fen an der Grenze und beim langen Anflug von Moskau unterblieb: Ob wegen der «Harmlosig- keit» einer Cessna, aus Angst vor einem ähnli- Der neue sowjetische Verteidigungsminister, General Dimitri Jasow. (Bild key) chen Debakel wie 1983 beim Abschuss einer ko- reanischen Passagiermaschine oder wegen tech- nischen oder menschlichen Versagens. Das Politbüro spricht weiter von einer «ern- sten Unzulänglichkeit in der Organisation der Alarmbereitschaft bei der Überwachung des so- wjetischen Luftraums, einem Mangel an ange- messener Wachsamkeit und Disziplin sowie ei- ner groben Pflichtverletzung in der Führung der Streitkräfte durch das sowjetische Verteidi- gungsministerium». Damit ist die ganze Armee- spitze involviert, was erklären mag, dass keiner der drei Ersten Stellvertretenden Verteidigungs- minister - Generalstabschef Sergei Achromejew, der Oberkommandierende des Warschaupakts, Kulikow, oder Armeegeneral Pjotr Luschew- als Nachfolger Sokolows gewählt wurde, sondern ein Armeegeneral auf der Stufe der stellvertre- tenden Minister. Jasow ist erst vor kurzem auf diesen Posten berufen worden, er war für die Personalabteilung zuständig. Vorher war er Kommandant des zentralasiatischen und an- schliessend des fernöstlichen Militärdistrikts ge- wesen. Er ist Kandidat des ZK und Mitglied des Obersten Sowjets. Vor weiteren Strafmassnahmen? Das Politbüro unterstrich weiter die «funda- mentale Bedeutung der Aufgabe, die Kampfbe- reitschaft und Disziplin der Streitkräfte resolut auszuweiten, den Befehl über die Truppen effi- zient zu machen und ihre ständige Fähigkeit zu garantieren, jeden Übergriff auf die Souveräni- tät des Sowjetstaates zu unterbrechen». Dies schliesst an eine bisher schon mehrmals öffent- lich geäusserte Kritik über mangelnde Ausbil- dung und Disziplin in der sowjetischen Armee an. Die (zivile) Staatsanwaltschaft ist beauftragt worden, die Umstände der Luftraumverletzung vom Donnerstag und die Verantwortung der «offiziellen Personen» sowie des deutschen Pi- loten zu untersuchen. Das bedeutet, dass nach den politischen Sanktionen höhere und niedri- gere Militärchargen auch noch gerichtlich abge- urteilt werden dürften, wobei angesichts der heftigen Reaktion des Politbüros und der spür- baren Erschütterung des militärischen Selbstge- fühls der Sowjetunion wohl eher drakonische Strafen für die sowjetischen Verantwortlichen zu erwarten sind. Die deutsche Botschaft in Moskau ist am Samstag vom sowjetischen Aus- senministerium über die Verhaftung und Befra- gung des 19jährigen Hamburger Piloten, der mit seinem Coup eine aussergewöhnliche Irritation der Sowjetmacht ausgelöst hat, unterrichtet worden. Ein Sprecher der Botschaft erklärte, man hoffe, in dieser Woche mit Mathias Rust Kontakt aufnehmen zu können. Das Ende einer Interimslösung? Eine normale, das heisst ehrenvolle Ablö- sung des 75jährigen Marschalls Sergei Sokolow zu einem anderen Zeitpunkt wäre wohl kaum eine Überraschung gewesen. Er hatte die Alters- grenze überschritten und konnte seine öffentli- chen Funktionen wegen Krankheit - vermutlich eines Herzinfarkts - 1986 zeitweilig nicht mehr wahrnehmen. An der Revolutionsparade im vergangenen November hatte ihn General Lu- schew vertreten, der deshalb als möglicher Nachfolger galt. Sokolow war, noch unter Tschernenko, im Dezember 1984 zum Nachfol- ger des verstorbenen Marschalls Dimitri Usti- now ernannt worden, galt aber im Gegensatz zu Ustinow als wenig einflussreicher und eher un- politischer Berufsmilitär, der nach seiner Mili- tärkarriere 14 Jahre lang Erster Stellvertreten- der Verteidigungsminister gewesen war, bis er an die Spitze nachrückte. Anders als Ustinow wurde er auch nie Vollmitglied im Politbüro, sondern blieb seit dem Apri l 1985 immer nur Kandidat. Seine Ernennung war als «Interimslösung» betrachtet worden. Politische Rollen spielten eher Achromejew in der Unterstützung und Mitformulierung von Gorbatschews Abrü- stungsvorschlägen und Kulikow mit seinem Versuch, direkte Verhandlungen zwischen der Nato und dem Warschaupakt anzubahnen und die «friedliche Doktrin» des östlichen Bündnis- ses zu propagieren. Allgemein glaubte man, dass Gorbatschew den Einfluss der Armee zu- rückzubinden wünschte und möglicherweise wieder an einen Zivilisten an der Spitze des Ver- teidigungsministeriums dachte. Dazu hat die Zeit nun allerdings nicht gereicht. Es ist aber bereits vermutet worden, dass Jasow durchaus ein Kandidat Gorbatschews sein könnte. Für die hartnäckigen Spekulationen über ein gestör- tes Verhältnis zwischen dem Abrüstungspoliti- ker Gorbatschew und den Militärs gab es nie konkrete Beweise. Der Wortlaut des Politbüro- Communiqucs gibt jetzt jedenfalls deutlich ge- nug zu erkennen, wer bei wem in der Schuld steht. Siehe Artikel auf Seite Blutige Kämpfe in Südlibanon Angriff des «Islamischen Widerstandes» auf israelische Stellungen Sidon, 31. Mai. (afp/ Reuter) Freischärler der vorwiegend schiitischen Organisation Islami- scher Widerstand haben sich am Sonntag blu- tige Kämpfe mit israelischen Truppen und der Miliz Südlibanesische Armee (SLA) geliefert. Die siebenstündigen Gefechte hätten vor Mor- gengrauen mit dem bisher grössten Angriff auf israelische Stellungen in Südlibano n begonnen, hiess es in einer in Sidon verbreiteten Erklärung der Organisation. Über die Zahl der Toten und Verletzten lagen unterschiedliche Angaben vor. Nach Darstellung der Organisation überfielen die Guerilleros drei gemeinsam von Israeli und der proisraelischen SLA gehaltene Stellungen bei dem Bergrücken Jebel Saß innerhalb der von Israel festgelegten südlibanesische n Sicher- heitszone. Die Verteidiger hätten «schwere Ver- luste» erlitten, ein SLA-Milizionär sei gefangen- genommen worden. Die eigenen Verluste wur- den mit zwei Toten und einem Verletzten ange- geben. Nach israelischen Militärangaben kamen bei den Gefechten acht muslimische Guerilleros und fünf christliche SLA-Milizionäre ums Le- ben. 26 Kämpfer, darunter 6 israelische Solda- ten, seien verwundet worden, sagte ein Armee- sprecher in Tel Aviv. Die SLA sprach von acht toten Milizionären und elf Verletzten. Ein Polizeisprecher in Sidon sagte, die Israeli hätten im Laufe der Kämpfe mehrere Dörfer von Helikoptern aus angegriffen. Dabei seien zehn Menschen verletzt worden. Andere Quellen sprachen von einem Toten und neun Verletzten. Israelische Razzia in einem Palästinenserlager Tel Aviv, 31. Mai. (Reuter) Israelische Solda- ten haben am frühen Sonntagmorgen eine um- fangreiche Operation im westjordanischen Palä- stinenserlager Balata bei Nablus begonnen. Aus Sicherheitskreisen in Tel Aviv verlautete, die Soldaten durchsuchten das Lager nach verdäch- tigen Jugendlichen, die sich als Steinewerfer ge- gen israelische Militärfahrzeuge betätigt hätten. Anwohner berichteten, die Soldaten durch- kämmten systematisch Haus für Haus. Alle männlichen Personen über 13 Jahren müssten sich in einer Schule zum Appell sammeln. Über das von 14 000 Menschen bewohnte Lager sei eine Ausgangssperre verhängt worden. Unveränderte INF-Position Washingtons Ablehnung eines Vorstosses von Weinberger durch Reagan Im Rahmen der Vorbereitungen in Washington für ein Abkommen mit der Sowjet- union über die nuklearen Mittelstreckenwaffen hat Präsident Reagan einen von Verteidi- gungsminister Weinberger präsentierten Vorschlag abgelehnt, die Formel von Reykjavik über Bord zu werfen und die vollständige Beseitigung der LRINF-Gefechtsköpfe zu ver- langen. Diese Meldung ist in einem kurzen Interview des Stabschefs des Weissen Hauses, Howard Baker, mit der «Washington Post» enthalten. H. K. Washington. 31. Mai Reagans Beschluss ist genaugenommen die Ablehnung von Weinbergers Vorstoss, zum jet- zigen Zeitpunkt eine entsprechende Änderung am Vertragsentwurf vorzunehmen, wie er aaf dem Genfer Verhandlungstisch liegt. Die Hal- tung der Administration zielt demnach weiter- hin darauf hin, dass man eine Elimination der in Asien und den USA aufzustellenden restli- chen hundert Sprengköpfe im Prinzip vorziehen würde, in den Verhandlungen aber gegenwärtig diese Forderung nicht als Bedingung stellt. Kein Interesse an einer Verzögerung des Dialogs Baker erklärte gegenüber der «Post», es wäre nach seiner Auffassung ein Fehler gewesen, den vorliegenden Vertragsentwurf vom Tisch zu nehmen, weil diese Handlung eine bedeutsame Verschiebung in der amerikanischen Verhand- lungsposition signalisiert hätte. Dies hätte laut Baker nicht nur den INF-Dialog, sondern auch die übrigen Verhandlungen mit Moskau beein- trächtigt. Baker fügte hinzu, Staatssekretär Shultz, der im Apri l in Moskau die amerikani- sche Position bestätigt hatte, habe sich gegen jede Korrektur an der Vertragsskizze ausgespro- chen und Reagan in dieser Richtung beraten. Für Reagans Beschluss bestimmend war laut Baker die Meinung, dass ein neuer Stellungsbe- zug den Gang der Verhandlungen verlangsamt hätte. Nicht erst mit diesem Hinweis ist klar geworden, dass der Zeitdruck auf amerikani- scher Seite bereits seine Wirkung ausübt. Inner- halb der Administration überwiegt immer noch die Auffassung, dass Reagan und Gorbatschew im Herbst in Washington ein INF-Abkommen unterzeichnen könnten. Allem Anschein nach spielt diese Erwartung bei den politischen Ent- scheidungen eine spürbare Rolle. Administration und Kongress haben gegen- wärtig ziemlich grosse Mühe, den Eindruck zu vermeiden, als sei es vor allem die amerikani- sche Seite, die auf ein Abkommen drängt. Das Interesse des Weissen Hauses und des Staatsde- partements, noch in der verbleibenden Amtszeit Reagans zum Handschlag mit Moskau zu kom- Oppositionsführer in Singapur verhaftet Singapur, 30. Mai. (dpa) Der Generalsekretär der oppositionellen Arbeiterpartei Singapurs, Joshua Jeyaretnam, und zwei andere Parteimit- glieder sind am Samstag bei einer Demonstra- tion vor dem Präsidentenpalast der Inselrepu- blik von der Polizei festgenomme n worden. Die drei hatten gegen die Verhaftung von 16 Perso- nen protestiert, die nach Darstellung des Innen- ministeriums angeblich in eine kommunistische Verschwörung zum Sturz der Regierung von Premierminister Lee Kuan Yew verwickelt wa- ren. Neue Zürcher Zeitung vom 01.06.1987

124/0 Älier · 124/0 AZ 8021 Zürich Der Zürcher Zeitung 208. Jahrgang Montag, 1. Juni 1987 5lfttf Älier3fittttttt Briefadresse von Redaktion. Verlag und Druckerei: Postfach, CH-8021

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Page 1: 124/0 Älier · 124/0 AZ 8021 Zürich Der Zürcher Zeitung 208. Jahrgang Montag, 1. Juni 1987 5lfttf Älier3fittttttt Briefadresse von Redaktion. Verlag und Druckerei: Postfach, CH-8021

124/0AZ 8021 Zürich Der Zürcher Zeitung 208. Jahrgang Montag,

1. Juni 1987

5lfttf Älier3fitttttttBriefadresse von Redaktion. Verlag und Druckerei:Postfach, CH-8021 Zürich, Telefon (01) 258 II II, Telex 817099Auslandvertrieb: Postfach 660, CH-8021 Zürich, Telex 816 570Annoncenabteilung: Postfach 215, CH-8021 Zürich, Telex 817 053Inlandabonnemente: Tel. (01) 258 15 30Abonnementspreise auf Seite

und schweizerisches Handelsblatt bFr. 50.- Llt. 1800.- Esc. 130.-dKr. 9.- Din. 540.- sKr. 9.-

Schweiz DM 1.80 IFr. 38.- Pts. 160-.. . ,n fFr. 7.50 hn. 2.75 Kan. InselnIT. l.JM Dr. 120.- nKr. 9.- Pu. 175.-

X 0.70 öS 18

Konsequenzen aus dem Debakel der sowjetischen Luftabwehr

Entlassung Verteidigungsminister SokolowsErnennung General Jasows zum Nachfolger

Die Sowjetführung hat mit der «Pensionierung» von Verteidigungsminister Sokolowund der Entlassung des Oberkommandierenden der Luftabwehrtruppen, Koldunow,rasch und entschieden auf das Versagen der sowjetischen Abwehr reagiert, welche denGrenzüberflug und die Landung einer Cessna auf dem Roten Platz in Moskau nicht ver-hindert hatte. Die Ernennung des relativ unbekannten Armeegenerals Jasow zum neuenVerteidigungsminister bedeutet eine Desavouierung der höchsten Armeeführung.

Mr. Moskau, 31. Mai

Der formell vom Präsidium des Obersten So-wjets beschlossene Wechsel an der Spitze desVerteidigungsministeriums ist am Samstag

abend von Tass ohne Hinweis auf die Flugzeug-affäre bekanntgegeben worden. Die «Prawda»wiederholte am Sonntag auf der zweiten Seite insechs Zeilen, dass Marschall S o k o l ow «im Zu-sammenhang mit seiner Pensionierung von sei-nen Pflichten als Verteidigungsminister der So-wjetunion entbunden» worden sei, ohne einWort des Dankes oder der Würdigung seinerVerdienste anzufügen. Die Ernennung seinesNachfolgers, des 64jährigen Armeegenerals Di-mitri Jasow, wurde dagegen auf der ersten Zei-tungsseite publiziert. Der 75jährige Sokolow,der soeben noch mit Generalsekretär Gorba-tschew am Warschaupakt-Gipfel in Ostberlinteilgenommen hatte - was nicht auf einen be-vorstehenden Zwangsrücktritt schliessen liess -,ist somit in altem Kreml-Stil brüsk und ohneEhren abgesetzt worden.

Sondersitzung des Politbüros

Das Politbüro ist am Samstag abend nachder Rückkehr der Kreml-Führer aus Ostberlinzu einer Sondersitzung zusammengetreten, umsich den Bericht des Verteidigungsministeriumsüber die Luftraumverletzung vom Donnerstaganzuhören. Dabei wurde die Entlassung des63jährigen Chefs der Luftabwehrtruppen, Alex-ander Koldunow, beschlossen, um, wie es imCommunique hiess, «die Führung des Verteidi-gungsministeriums der UdSSR zu stärken». DasCommunique hielt fest, dass das vom deutschenBürger Mathias Rust gesteuerte Flugzeug beimAnflug der sowjetischen Grenze durch Radarge-

räte der Luftabwehr entdeckt worden sei unddass sowjetische Kampfflugzeuge die westdeut-sche Maschine zweimal umkreist hätten. Das Po-

TagesinformationKöpferollen im Kreml

Als Folge der Landung eines deutschen Privatflugzeuges aufdem Roten Platz sind in Moskau Verteidigungsminister Soko-low und der Chef der Luftabwehrtruppen, Marschall Koldu-now, entlassen worden. Neuer Verteidigungsminister ist Ge-neral Jasow. Seiten I und

Waldbrände in der Inneren Mongolei

Die Waldbrände in China nehmen noch kein Ende: Nun sindauch in der Inneren Mongolei schwere Verwüstungen zu ver-zeichnen, und nach wie vor droht die Gefahr eines Übergrei-fens der sibirischen Brandherde. Seite

Sondersteuern in Frankreich

Mit zeitlich begrenzten Sondersteuern und Beitragserhöhun-gen will die französische Regierung das sich abzeichnendeDefizit in der Sozialversicherung ausgleichen. Seite

Lebendige Gemeinden der «Minderheit Kirche»

Die Schweizerische Evangelische Synode hat in Genf OberMöglichkeiten beraten, von der Pfarrer- zur Gemeindekirchezu gelangen, sowie die «missionarische Situation» in der heu-tigen Gesellschaft analysiert. Seite 17

US-Reiter am Luzerner CSIO überlegen

Den Grossen Preis der Schweiz am Luzerner CSIO hat dieAmerikanerin Katherine Burdsall vor ihrem LandsmannLouis Jacobs gewonnen. Seite 47

Senna Erster des Formel-1-GP in Monte Carlo

Mit klarem Vorsprung vor Nelson Piquet (2.) und MicheleAlboreto (3.) hat Ayrton Senna das Formel- 1 -Rennen im Für-stentum Monaco für sich entschieden. Seite 49

inhaltsübersicht Umfang 60 Seiten

Ausland 1-4 Roman 24Vermischtes 5 Radio und TV 29/30Wirtschaft 7, 9/10 Stadt undInland 17-19 Kanton Zürich 31-35Feuilleton 21, 23 Sport 47-52

Anzeigen-ÜberblickSeite

litbüro spricht von einer «unannehmbaren Un-bekümmertheit und Unentschlossenheit» desKommandos der Luftabwehr, das es unterlassenhabe, den Flug der Cessna - ohne Anwendungvon Kampfmitteln - zu unterbrechen. Mankann in der Tat nur rätseln, warum ein Eingrei-fen an der Grenze und beim langen Anflug vonMoskau unterblieb: Ob wegen der «Harmlosig-keit» einer Cessna, aus Angst vor einem ähnli-

Der neue sowjetische Verteidigungsminister, GeneralDimitri Jasow. (Bild key)

chen Debakel wie 1983 beim Abschuss einer ko-reanischen Passagiermaschine oder wegen tech-nischen oder menschlichen Versagens.

Das Politbüro spricht weiter von einer «ern-sten Unzulänglichkeit in der Organisation derAlarmbereitschaft bei der Überwachung des so-wjetischen Luftraums, einem Mangel an ange-messener Wachsamkeit und Disziplin sowie ei-ner groben Pflichtverletzung in der Führung derStreitkräfte durch das sowjetische Verteidi-gungsministerium». Damit ist die ganze Armee-spitze involviert, was erklären mag, dass keinerder drei Ersten Stellvertretenden Verteidigungs-

minister - Generalstabschef Sergei Achromejew,

der Oberkommandierende des Warschaupakts,Kulikow, oder Armeegeneral Pjotr Luschew- alsNachfolger Sokolows gewählt wurde, sondernein Armeegeneral auf der Stufe der stellvertre-tenden Minister. Jasow ist erst vor kurzem aufdiesen Posten berufen worden, er war für diePersonalabteilung zuständig. Vorher war erKommandant des zentralasiatischen und an-schliessend des fernöstlichen Militärdistrikts ge-

wesen. Er ist Kandidat des ZK und Mitglied desObersten Sowjets.

Vor weiteren Strafmassnahmen?

Das Politbüro unterstrich weiter die «funda-mentale Bedeutung der Aufgabe, die Kampfbe-

reitschaft und Disziplin der Streitkräfte resolutauszuweiten, den Befehl über die Truppen effi-zient zu machen und ihre ständige Fähigkeit zugarantieren, jeden Übergriff auf die Souveräni-tät des Sowjetstaates zu unterbrechen». Diesschliesst an eine bisher schon mehrmals öffent-lich geäusserte Kritik über mangelnde Ausbil-dung und Disziplin in der sowjetischen Armeean.

Die (zivile) Staatsanwaltschaft ist beauftragtworden, die Umstände der Luftraumverletzung

vom Donnerstag und die Verantwortung der«offiziellen Personen» sowie des deutschen Pi-loten zu untersuchen. Das bedeutet, dass nachden politischen Sanktionen höhere und niedri-gere Militärchargen auch noch gerichtlich abge-

urteilt werden dürften, wobei angesichts derheftigen Reaktion des Politbüros und der spür-baren Erschütterung des militärischen Selbstge-

fühls der Sowjetunion wohl eher drakonische

Strafen für die sowjetischen Verantwortlichenzu erwarten sind. Die deutsche Botschaft inMoskau ist am Samstag vom sowjetischen Aus-senministerium über die Verhaftung und Befra-gung des 19jährigen Hamburger Piloten, der mitseinem Coup eine aussergewöhnliche Irritationder Sowjetmacht ausgelöst hat, unterrichtetworden. Ein Sprecher der Botschaft erklärte,man hoffe, in dieser Woche mit Mathias RustKontakt aufnehmen zu können.

Das Ende einer Interimslösung?

Eine normale, das heisst ehrenvolle Ablö-sung des 75jährigen Marschalls Sergei Sokolowzu einem anderen Zeitpunkt wäre wohl kaumeine Überraschung gewesen. Er hatte die Alters-grenze überschritten und konnte seine öffentli-chen Funktionen wegen Krankheit - vermutlicheines Herzinfarkts - 1986 zeitweilig nicht mehrwahrnehmen. An der Revolutionsparade imvergangenen November hatte ihn General Lu-schew vertreten, der deshalb als möglicherNachfolger galt. Sokolow war, noch unterTschernenko, im Dezember 1984 zum Nachfol-ger des verstorbenen Marschalls Dimitri Usti-now ernannt worden, galt aber im Gegensatz zuUstinow als wenig einflussreicher und eher un-politischer Berufsmilitär, der nach seiner Mili-tärkarriere 14 Jahre lang Erster Stellvertreten-der Verteidigungsminister gewesen war, bis eran die Spitze nachrückte. Anders als Ustinowwurde er auch nie Vollmitglied im Politbüro,sondern blieb seit dem April 1985 immer nurKandidat.

Seine Ernennung war als «Interimslösung»

betrachtet worden. Politische Rollen spielten

eher Achromejew in der Unterstützung undMitformulierung von Gorbatschews Abrü-stungsvorschlägen und Kulikow mit seinemVersuch, direkte Verhandlungen zwischen derNato und dem Warschaupakt anzubahnen unddie «friedliche Doktrin» des östlichen Bündnis-ses zu propagieren. Allgemein glaubte man,dass Gorbatschew den Einfluss der Armee zu-rückzubinden wünschte und möglicherweise

wieder an einen Zivilisten an der Spitze des Ver-teidigungsministeriums dachte. Dazu hat dieZeit nun allerdings nicht gereicht. Es ist aberbereits vermutet worden, dass Jasow durchausein Kandidat Gorbatschews sein könnte. Fürdie hartnäckigen Spekulationen über ein gestör-

tes Verhältnis zwischen dem Abrüstungspoliti-ker Gorbatschew und den Militärs gab es niekonkrete Beweise. Der Wortlaut des Politbüro-Communiqucs gibt jetzt jedenfalls deutlich ge-nug zu erkennen, wer bei wem in der Schuldsteht. Siehe Artikel auf Seite

Blutige Kämpfein Südlibanon

Angriff des «Islamischen Widerstandes»auf israelische Stellungen

Sidon, 31. Mai. (afp/Reuter) Freischärler dervorwiegend schiitischen Organisation Islami-scher Widerstand haben sich am Sonntag blu-tige Kämpfe mit israelischen Truppen und derMiliz Südlibanesische Armee (SLA) geliefert.Die siebenstündigen Gefechte hätten vor Mor-gengrauen mit dem bisher grössten Angriff aufisraelische Stellungen in Südlibanon begonnen,hiess es in einer in Sidon verbreiteten Erklärungder Organisation. Über die Zahl der Toten undVerletzten lagen unterschiedliche Angaben vor.Nach Darstellung der Organisation überfielendie Guerilleros drei gemeinsam von Israeli undder proisraelischen SLA gehaltene Stellungen

bei dem Bergrücken Jebel Saß innerhalb dervon Israel festgelegten südlibanesischen Sicher-heitszone. Die Verteidiger hätten «schwere Ver-luste» erlitten, ein SLA-Milizionär sei gefangen-genommen worden. Die eigenen Verluste wur-den mit zwei Toten und einem Verletzten ange-geben.

Nach israelischen Militärangaben kamen beiden Gefechten acht muslimische Guerillerosund fünf christliche SLA-Milizionäre ums Le-ben. 26 Kämpfer, darunter 6 israelische Solda-ten, seien verwundet worden, sagte ein Armee-sprecher in Tel Aviv. Die SLA sprach von achttoten Milizionären und elf Verletzten.

Ein Polizeisprecher in Sidon sagte, dieIsraeli hätten im Laufe der Kämpfe mehrereDörfer von Helikoptern aus angegriffen. Dabeiseien zehn Menschen verletzt worden. AndereQuellen sprachen von einem Toten und neunVerletzten.

Israelische Razziain einem Palästinenserlager

Tel Aviv, 31. Mai. (Reuter) Israelische Solda-ten haben am frühen Sonntagmorgen eine um-fangreiche Operation im westjordanischen Palä-stinenserlager Balata bei Nablus begonnen. AusSicherheitskreisen in Tel Aviv verlautete, dieSoldaten durchsuchten das Lager nach verdäch-tigen Jugendlichen, die sich als Steinewerfer ge-gen israelische Militärfahrzeuge betätigt hätten.Anwohner berichteten, die Soldaten durch-kämmten systematisch Haus für Haus. Allemännlichen Personen über 13 Jahren müsstensich in einer Schule zum Appell sammeln. Überdas von 14 000 Menschen bewohnte Lager seieine Ausgangssperre verhängt worden.

Unveränderte INF-Position WashingtonsAblehnung eines Vorstosses von Weinberger durch Reagan

Im Rahmen der Vorbereitungen in Washington für ein Abkommen mit der Sowjet-union über die nuklearen Mittelstreckenwaffen hat Präsident Reagan einen von Verteidi-gungsminister Weinberger präsentierten Vorschlag abgelehnt, die Formel von Reykjaviküber Bord zu werfen und die vollständige Beseitigung der LRINF-Gefechtsköpfe zu ver-langen. Diese Meldung ist in einem kurzen Interview des Stabschefs des Weissen Hauses,Howard Baker, mit der «Washington Post» enthalten.

H. K. Washington. 31. MaiReagans Beschluss ist genaugenommen die

Ablehnung von Weinbergers Vorstoss, zum jet-zigen Zeitpunkt eine entsprechende Änderungam Vertragsentwurf vorzunehmen, wie er aafdem Genfer Verhandlungstisch liegt. Die Hal-tung der Administration zielt demnach weiter-hin darauf hin, dass man eine Elimination derin Asien und den USA aufzustellenden restli-chen hundert Sprengköpfe im Prinzip vorziehenwürde, in den Verhandlungen aber gegenwärtigdiese Forderung nicht als Bedingung stellt.

Kein Interessean einer Verzögerung des Dialogs

Baker erklärte gegenüber der «Post», es wärenach seiner Auffassung ein Fehler gewesen, denvorliegenden Vertragsentwurf vom Tisch zunehmen, weil diese Handlung eine bedeutsameVerschiebung in der amerikanischen Verhand-lungsposition signalisiert hätte. Dies hätte lautBaker nicht nur den INF-Dialog, sondern auchdie übrigen Verhandlungen mit Moskau beein-trächtigt. Baker fügte hinzu, StaatssekretärShultz, der im April in Moskau die amerikani-sche Position bestätigt hatte, habe sich gegenjede Korrektur an der Vertragsskizze ausgespro-chen und Reagan in dieser Richtung beraten.Für Reagans Beschluss bestimmend war lautBaker die Meinung, dass ein neuer Stellungsbe-zug den Gang der Verhandlungen verlangsamthätte. Nicht erst mit diesem Hinweis ist klar

geworden, dass der Zeitdruck auf amerikani-scher Seite bereits seine Wirkung ausübt. Inner-halb der Administration überwiegt immer nochdie Auffassung, dass Reagan und Gorbatschewim Herbst in Washington ein INF-Abkommenunterzeichnen könnten. Allem Anschein nachspielt diese Erwartung bei den politischen Ent-scheidungen eine spürbare Rolle.

Administration und Kongress haben gegen-wärtig ziemlich grosse Mühe, den Eindruck zuvermeiden, als sei es vor allem die amerikani-sche Seite, die auf ein Abkommen drängt. DasInteresse des Weissen Hauses und des Staatsde-partements, noch in der verbleibenden AmtszeitReagans zum Handschlag mit Moskau zu kom-

Oppositionsführerin Singapur verhaftet

Singapur, 30. Mai. (dpa) Der Generalsekretärder oppositionellen Arbeiterpartei Singapurs,Joshua Jeyaretnam, und zwei andere Parteimit-glieder sind am Samstag bei einer Demonstra-tion vor dem Präsidentenpalast der Inselrepu-blik von der Polizei festgenommen worden. Diedrei hatten gegen die Verhaftung von 16 Perso-nen protestiert, die nach Darstellung des Innen-ministeriums angeblich in eine kommunistischeVerschwörung zum Sturz der Regierung vonPremierminister Lee Kuan Yew verwickelt wa-ren.

Neue Zürcher Zeitung vom 01.06.1987