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Zweites Intermezzo ^ Gnosis Der MystikerValentinus hinterlieÞ zwei Schulen: eine westliche (oder ro« mi- sche) und eine o«stliche (oder alexandrinische) Schule. Nachfolger beider Schulen haben die christliche Literatur mit wertvollen Schriften bereichert. Es sind Nachwirkungen des Urknalls, die in den Herzen der vom Christus (oder vom Logos ) inspirierten Menschen Resonanz fanden. Gegner beschul- digten diese Menschen spa« ter der gnostischen Ketzerei. Zweifellos waren sie von der Gnosis durchdrungen, besaÞen also die Einsicht, dass alles mit allem innerlich zusammenha« ngt. Ein alexandrinischer Schu« ler des Valenti- nus dru« ckte es so aus: ýGnosis ist das Wissen, wer wir sind, woher wir kom- men und wohin wir gehen.ß 382 Nach dem Fund bei Nag Hammadi im Jahr 1945 hat die Literatur u« ber die Gnostik sehr zugenommen. Meistens unterscheidet man darin zwischen Gno- stik (Gnostizismus) und Gnosis .Unter Gnostik wird die ‘Systematik’ verstanden. Darin geht es um das Prinzip des Geistfunkens, der in jedem Menschen vor- handen ist, und um die Mythen, die erkla« ren, wie dieser Geistfunke in den Menschen gekommen ist. Das wird durch Scho« pfungsberichte u« ber viele himmlische Gebiete erga« nzt, die von Engelskra« ften, lichten und finsteren Ma«chten und anderem mehr erfu« llt sind. Die Auffassung, dass ein Funke aus dem Pleroma, der ho« chsten go« ttlich-geistigenWelt, die wirkliche Essenz alles Irdischen bildet, ist eines der beiden Kriterien, die erfu« llt sein mu« ssen, damit nach wissenschaftlichen MaÞsta« ben von Gnostik gesprochen werden kann. Das zweite Kriterium ist die Unterscheidung zwischen dem ho« chsten Prinzip, dem Geist (oder wahren Gott 383 ) und einer niederen Kraft, einem Scho« pfer- gott, der fu« r die Scho« pfung der Seele und des Ko« rpers verantwortlich ist. Gnostik ist nicht dasselbe wie Gnosis, wenn auch die Gnosis natu« rlich die Basis der Gnostik bildet. Unter Gnosis wird die ‘Kenntnis des Alls’ verstan- den. Sogar protestantische Gelehrte unserer Zeit schreiben, dass Jesus Gno- sis , Kenntnis des Alls, besaÞ. 384 Heutige Theologen anerkennen, dass Gnosis ein geistiger Bestandteil des Urchristentums war. Die Systematik, den Gnostizismus, lehnen sie jedoch, genau wie ihre Vorga« nger aus dem 3. und 4. Jahrhundert, absolut ab. 124

Gnosis S.124-146

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Entnommen: Der Urknall des Christentums

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  • Zweites Intermezzo ^ Gnosis

    DerMystikerValentinus hinterlie zwei Schulen: eine westliche (oder ro mi-sche) und eine o stliche (oder alexandrinische) Schule. Nachfolger beiderSchulen haben die christliche Literatur mit wertvollen Schriften bereichert.Es sind Nachwirkungen des Urknalls, die in den Herzen der vom Christus(oder vomLogos) inspirierten Menschen Resonanz fanden.Gegner beschul-digten diese Menschen spa ter der gnostischen Ketzerei. Zweifellos warensie von der Gnosis durchdrungen, besaen also die Einsicht, dass alles mitallem innerlich zusammenha ngt. Ein alexandrinischer Schu ler des Valenti-nus dru ckte es so aus: Gnosis ist dasWissen, wer wir sind, woher wir kom-men und wohin wir gehen.382

    Nach dem Fund bei Nag Hammadi im Jahr 1945 hat die Literatur u ber dieGnostik sehr zugenommen. Meistens unterscheidet man darin zwischen Gno-stik (Gnostizismus) undGnosis.Unter Gnostik wird die Systematik verstanden.Darin geht es um das Prinzip des Geistfunkens, der in jedem Menschen vor-handen ist, und um die Mythen, die erkla ren, wie dieser Geistfunke in denMenschen gekommen ist. Das wird durch Scho pfungsberichte u ber vielehimmlische Gebiete erga nzt, die von Engelskra ften, lichten und finsterenMa chten und anderem mehr erfu llt sind. Die Auffassung, dass ein Funke ausdem Pleroma, der ho chsten go ttlich-geistigenWelt, die wirkliche Essenz allesIrdischen bildet, ist eines der beiden Kriterien, die erfu llt sein mu ssen, damitnach wissenschaftlichen Masta ben von Gnostik gesprochen werden kann.Das zweite Kriterium ist die Unterscheidung zwischen dem ho chsten Prinzip,dem Geist (oder wahren Gott383) und einer niederen Kraft, einem Scho pfer-gott, der fu r die Scho pfung der Seele und des Ko rpers verantwortlich ist.

    Gnostik ist nicht dasselbe wie Gnosis, wenn auch die Gnosis natu rlich dieBasis der Gnostik bildet.Unter Gnosis wird die Kenntnis des Alls verstan-den. Sogar protestantische Gelehrte unserer Zeit schreiben, dass Jesus Gno-sis, Kenntnis des Alls, besa.384 Heutige Theologen anerkennen, dass Gnosisein geistiger Bestandteil des Urchristentums war. Die Systematik, denGnostizismus, lehnen sie jedoch, genau wie ihre Vorga nger aus dem 3. und4. Jahrhundert, absolut ab.

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  • Die so genanntenGnostiker385 benutzten Mythen und Bilder, um zu ver-suchen, das Unsagbare auszudru cken. Aber diese Bildersprache wurdeimmer weniger verstanden. Eine Kirche, welche die symbolische Reinheitder Maria auf eine simple, physische Jungfra ulichkeit reduziert, ist gewissnicht in der Lage, die subtilen, bildhaften Nuancen der Metaphysik zu ver-stehen. Die meisten Kirchenva ter des 3. und 4. Jahrhunderts verstandennicht mehr, warum die Urchristen zwischen dem Menschen Jesus und derLogos- oder Christuskraft unterschieden. Sie beschuldigten die Erben derju dischen Christen des Doketismus, des Glaubens an einen Scheinko rperJesu. Die Erza hlungen u ber den lachenden Christus beim Kreuz blieben un-verstandenundwurden als Gottesla sterungen empfunden. DerUnterschiedzwischen dem totalen Sein und der scho pferischen Kraft erwies sich als zuschwierig, um in die christliche Lehre zu passen, denn sie sollte unter an-deremwegen des Zustroms der Christen im 4. Jahrhundert wie auch danacheinfach sein, damit die Armen an Geist sie ebenfalls verstehen konnten.Was nicht zu verstehen war, wurde ein Mysterium genannt. Mit all demhat die Kirche sich vom Prinzip der geistigen Bewusstwerdung verabschie-det und Gott zu einem fremden Gott werden lassen.

    Natu rlich haben es die Gnostiker den Kirchenva tern auch nicht geradeleicht gemacht. In die Beschreibungen der Mythologien schlich sich manchUnversta ndliches ein. Auerdem waren sie oft sehr detailliert. In einer derVersionen desApokryphon desJohannes, das man in einem Krug bei NagHam-madi wiederfand, werden Hunderte von Engelskra ften mit fast unaus-sprechlichen Namen aufgeza hlt, von denen jede fu r die Erschaffungbestimmter, menschlicherKo rperteile verantwortlich sein sollte. Das klingtin unsern Ohren befremdlich, aber in der Zeit der magischen Schriftenwaren in intellektuellen Kreisen solche Spekulationen absolut u blich undversta ndlich.

    Die Trennungslinie zwischen den unterschiedlichen Auffassungen u berdie Erlo sung wurde immer scha rfer gezogen. Wie in den vorangegangenenKapiteln besprochen, war die Erlo sung fu r christliche Lehrer und auch fu rdie Gnostiker eine Angelegenheit, die von innen her geschah. Der Urknallhatte den Christus in ihnen erweckt, der denWeg fu r die Gnosis des Alls unddas Erkennen des geistigen Kerns im Menschen freilegte. Der Mensch be-sitzt weder Seele nochGeist, ist aber ein Ausfluss, eine Emanation, des Geis-tes, der die Seelenschichten benutzt, bevor er im stofflichen Menscheninkarniert. Der Weg zu dieser Erkenntnis ist der Umformungsprozess imBewusstsein, durch den der neue Mensch geboren werden kann.

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  • Die spa tere Kirche legte immer mehrWert auf von auen erfolgende Er-lo sung: Christus sei am Kreuz fu r unsere Su nden gestorben und habe denMenschenwieder mit Gott verso hnt, der uns seit dem Fall aus dem Paradiesgezu rnt habe. Selbst sei der Mensch nicht fa hig, zur Erlo sung zu gelangen;nur durch die Gnade JesuChristi sei es mo glich. Die Konturen dieser groenUnterschiede in den Auffassungen zeichnen sich im 2. und 3. Jahrhundert inaller Deutlichkeit ab.

    Leider sind von den vielen Schriften der Schu ler desValentinus nur sehr we-nige erhalten geblieben. Ichwill auf zwei nahezu unbescha digte Texte etwasna her eingehen. Aus der westlichen Schule gibt es einen tiefsinnigenBrief desPtolemaeus an Flora, der uns durch den Kirchenvater Epiphanius u berliefertwurde. Und aus der o stlichen Schule stammt das faszinierende EvangeliumnachPhilippus, das bei Nag Hammadi gefunden wurde.

    Wir beginnen mit dem ersten: Ptolemaeus war, wie sein Lehrmeister Va-lentinus, ein tiefgru ndigerDenker. Er geniet die zweifelhafte Ehre, bei Ire-naeus die Reihe der Ketzer anzufu hren. Nach einer kurzen Einfu hrungseines fu nfteiligenWerkes beginnt derKirchenvater mit einer Beschreibungder kosmischen Kra fte nach Ptolemaeus:

    Dort war vor allen Zeiten in unsichtbaren und unbeschreiblichen Ho hen der voll-

    kommene A on, der Tiefe genannt wird.Unbegreiflich und unsichtbar, ewig und un-

    geboren, war er in erhabener Ruhe wa hrend endloser Ewigkeiten. Zu ihm gesellte

    sich die Stille. Da fasste die Tiefe den Gedanken, den Ursprung des Alls aus sich

    selbst hervorzubringen. Sie vertraute dieses Gedankenbild, als wa re es eine Saat,

    demMutterscho der Stille an.Die empfing es,wurde von demGedanken schwanger

    und gebar das Bewusstsein; gleich ihm, der hervorgebracht hatte und allein fa hig

    war, die Gro e desVaters zu erfassen. Mit ihm kam dieWahrheit hervor.386

    Der Logos erzeugt Bewusstsein und Leben, aus denen dann Mensch undGemeinschaft entstehen. Die A hnlichkeit mit dem System des Valentinusist gro. Aufschlussreich ist, dass die zehn beziehungsweise zwo lf A onen(eigentlich fu nf und sechs Paare ), die daraus entstehen, Namen haben:Tiefe und Vermischung, Unverga nglichkeit und Einswerdung, Selbst-sta ndigkeit und Genuss, Unbeweglichkeit und Verschmelzung, Eingebore-ner und Gesegneter, Trost und Glaube, Va terlichkeit und Hoffnung,Mu tterlichkeit und Liebe, Ewigkeitsbewusstsein und Vernunft, Verku ndi-gung und Glu ckseligkeit, Geliebte und Weisheit (Sophia).

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  • Danach wird die gnostische Mythologie beschrieben. Sie la uft, kurz ge-sagt, darauf hinaus, dass an der unterstenGrenze desPleromas, der Fu lle desLichtes, etwas geschieht: Sophia vergisst es, sich in ihrer Scho pfungswollustauf den Vater abzustimmen, und das Chaos, die Finsternis, wird manifest.Sie stellt einen Herrscher u ber die Finsternis. Dieser Demiurg erschafft dieHimmel der Finsternis analog der Lichtwelt daru ber. Zusammenmit seinenSo hnen und To chtern, denWa chtern der sieben so erzeugten Himmel, er-schafft der Demiurg aus Materie den ersten Menschen und haucht ihm eineSeele ein, die alle Aspekte der Wa chter der sieben Himmel in sich tra gt.U ber die Sophia erha lt der Mensch jedoch durch das Einsetzen eines Licht-funkens in seinWesen auch Anteil am Pleroma.388

    In seinemBrief anFlora erkla rt Ptolemaeus systematisch, wie die Gesetzeentstanden sind und welche Bedeutung sie haben.389 Der Verfasser beginntdie Erla uterung mit der Bemerkung, dass viele das mosaische Gesetz nichtbefolgen. Hiermit meint er wahrscheinlich jene Christen, die sichwenig umden Gott des Alten Testamentes ku mmerten, der in ihren Augen ein we-sentlich anderer war, als Gott der Vater, u ber den Jesus spricht und der ab-solut gut ist, der Gott des AltenTestamentes jedoch bestimmt nicht. DieseDiskussion gab es, wie berichtet, auch in den Kreisen um Marcion, der ra-dikal mit dem AltenTestament und dessen Gott brach. Ptolemaeus tat dasnicht. Er fu gte eine u berraschende Nuance hinzu: Es gibt einen guten Gottund einen schlechten, ungerechten Gott, den Teufel, und auerdem einenGott dazwischen, den gerechten Gott.

    Das Gesetz stammt nicht von Gott, demVater. Denn das Gesetz ist un-vollkommenundmuss durchweitere Gesetze erga nzt werden. Aber die Ge-setze sind auch nicht das Produkt des schlechten Gottes, denn der istungerecht. Gesetze aber mu ssen gerecht sein. Also stammen die Gesetzevon dem Baumeister und Scho pfer der ganzen Welt und aller Dingedarin. Dieser Gott kann der Gerechte genannt werden.

    Doch die Gesetze sind komplex, so lehrt Ptolemaeus. Die Gesetze sindnicht nur von Gott, einTeil von ihnen stammt von Moses und ein weitererTeil von den Fu hrern des Volkes, die selbst auch Gebote erlassen. Als Bei-spiel fu hrt der Briefschreiber die Ehescheidungsfrage an. Jesus wird imEvan-gelium nachMattha us gefragt, ob es erlaubt sei, sich von seiner Frau durcheinen Scheidebrief zu trennen. Er antwortet darauf: Das go ttliche Gesetzsagt, dass das, was es verbunden hat,vomMenschen nicht getrennt werdenkann. Moses hat aber eine Ausnahme gestattet eurer Herzensha rtewegen.390 Grundsa tzlich handelt Moses damit gegen das go ttliche Gesetz.

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  • Aber er hat Gru nde dafu r: Es ist eigentlich ein notwendiges U bel. KeineMilderung des go ttlichen Gesetzes wu rde zu unsa glich mehr Leid fu hren.Auerdem gibt es Menschen, die weitere Vorschriften hinzugefu gt haben,die noch mehr vom go ttlichen Gesetz abweichen.

    Ptolemaeus schreibt an Flora, dass er in einer weiteren Abhandlung aufden metaphysischen Hintergrund eingehen wird. Diese Abhandlung ist lei-der verloren gegangen. Ich kann mir vorstellen, dass der christliche Lehrerdarin erkla rt, dass es go ttliche Gesetze gibt, Lebensgesetze, die niemalsvera ndert werden ko nnen, weil sie ewig gu ltig sind. Der Rhein fliet vonder Schweiz in die Niederlande. Was man auch tun wu rde, er wird niemalsin die entgegengesetzte Richtung flieen. Das ist ein Naturgesetz. DiemenschlichenGesetze sind jedoch A nderungenund vera nderten Einsichtenunterworfen. Diese Gesetze ko nnen sogar gegen Naturgesetze und go tt-liche Gesetze verstoen, obwohl diesen und der Harmonie des Alls nichtgeschadet werden kann.

    Die Gesetze, bezeugt Ptolemaeus in seinem erhalten gebliebenen Brief anFlora,mu ssen eigentlich in drei Ebenenunterschiedenwerden.Die ersteEbenesind allgemeineVerbote: Du sollst nicht to ten, du sollst nicht ehebrechen, dusollst kein falsches Zeugnis geben. Die zweite Ebene, die Jesus lehrt, besagt:Nicht zornig werden, nicht begehren und nicht schwo ren. Die dritte Ebenegeht noch weiter, sie bedeutet eine vollkommene Erhebung des menschlichenSeinszustandes: Widerstehe dem Bo sen nicht, sondern wer dich auf deinerechteWange schla gt, dem biete auch die andere dar.

    Ptolemaeus schliet seinen Brief, indem er sich auf die apostolischeU berlieferung beruft, die auch wir empfangen haben, so dass alle Dingean der Lehre Jesu gepru ft werden ko nnen.

    Ganz andere Prosa, manchmal sogar Poesie, finden wir in einem Evangeli-um, das 1945 bei Nag Hammadi gefunden wurde, im Evangelium nachPhilip-pus, das ebenfalls von Schu lern desValentinus zusammengestellt wurde. Ichschliee nicht aus, dass wir es hier mit urspru nglichem Lehrstoff zu tunhaben. Im erstenTeil dieses Buches erfuhren wir, dass Lehrer eine wichtigeFunktion in den jungenGemeinden erfu llten. Sie legten dieWorte desHerrnaus und halfen den Menschen auf ihremWeg zum Ko nigreich Gottes. Es istanzunehmen, dass dabei Lehrstoff entstand, dem die Ausspru che Jesu alsBasis dienten. Dazu kamen Erga nzungen und Kommentare der Lehrerzum Nutzen jener Schu ler, die in Christus eingeweiht werden wollten. DasEvangelium nach Philippus entspricht teilweise diesen Bedingungen. Es sind

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  • darin authentische Aussagen Jesu zu finden, sowie Kommentare zu seinenWorten und Lehren. Daneben gibt es auch noch allgemeine Ero rterungen.

    Wenn wir es hier wirklich mit einem solchen alten Lehrstoff zu tunhaben, dann muss das aber nicht heien, dass er auch aus dem 1. Jahrhun-dert stammt. Es kann durchaus sein, dass a ltere Texte darin verarbeitetwurden. Die Form dieses Evangeliums entspricht jedoch eindeutig der va-lentinianischen Atmospha re des 2. Jahrhunderts.

    Es ist hier natu rlich nicht der Ort, um das Evangelium vollsta ndig wie-derzugeben. Ich will jedoch einige markante Passagen daraus anfu hren, diezeigen, dass dieVerfasser dieses Evangeliums, die unter demNamen Philip-pus schreiben, eine klare Einsicht in die tiefere Bedeutung der Lehren Jesubesaen. Der Urknall vibrierte noch in ihren Herzen.

    Was am Evangelium nachPhilippus unmittelbar auffa llt, ist die subtileWeise, inder u ber Christus berichtet wird.Ohne die bombastische Sprache derTheo-logie wird die Art Christi mit einfachenWorten beschrieben:

    Erst seit demTag, da Christus erschien,

    ist dieWelt wirklich erschaffen,

    blu hen die Sta dte

    und wird dasTote beseitigt.391

    Als der Logos in den Menschen eintrat, wurde der Mensch gleichsam neuerschaffen. Der alte Mensch (das Tote) konnte begraben werden. Der Logosist pra existent; er bestand bereits, bevor er sich in Jesus einsenkte (also seitBestehen der Welt). Er war jedoch noch nicht Fleisch geworden und nurwahrnehmbar fu r die Eingeweihten der Mysterien. Der Mensch wurde je-doch immer materieller (die Seele ^ Logos ^ war in die Ha nde der Ra ubergefallen). Darum erschien Christus nach seinemWillen zu jenemZeitpunkt,um die Menschheit zu erlo sen:

    Christus ist gekommen,

    damit er die einen loskaufe,

    andere errette,

    andere erlo se.

    Die Fremden kaufte er los

    und machte sie zu den Seinen.

    Die Seinen aber,

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    URKNALL

    KATERN9

    PAGINA129-144

  • die er als Pfa nder seinesWillens hinterlegt hatte,

    nahm er gesondert beiseite.

    Aber nicht erst, als er erschien,

    hinterlegte er die Seele als Pfand seinesWillens,

    sondern seit dieWelt besteht, ist die Seele in seinemWillen hinterlegt.

    Aber er erschien dann nach seinemWillen,

    um sie wieder an sich zu nehmen,

    da sie als Pfand ihm geho rte.

    Denn sie war unter die Ra uber gefallen

    und als Gefangene hinweggefu hrt worden.

    Er befreite sie aber

    und erlo ste die Guten in derWelt

    ebenso wie die Bo sen.392

    Bevor Christus kam,

    gab es kein Brot in derWelt.

    Ebenso wie im Paradiese Adams

    gab es damals in derWelt nur zahlreiche Ba ume

    als Nahrungsquelle fu r die Tiere.

    Sie bot keinenWeizen als Nahrung fu r den Menschen.

    Der Mensch nahm Nahrung zu sich,

    die fu r die Tiere gedacht war.

    Als aber Christus, der vollkommeneMensch, kam,

    brachte er Brot vom Himmel,

    damit sich der Mensch so erna hre,

    wie es ihm entspricht.393

    Christus ermo glicht die Auferstehung zur Unsterblichkeit des Geistes. Dasist, wie Paulus besta tigte, kein passives Geschehen, sondern eine aktive Tat.Jesus ist dem Menschen darin vorausgegangen:

    Etliche sagen:

    Der Herr ist zuerst gestorben und dann auferstanden.

    Aber sie irren.

    Denn er ist zuerst auferstanden

    und dann gestorben.

    Wenn jemand nicht zuerst die Auferstehung erwirbt,

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  • kann er nicht sterben!

    Nur wenn Gott in ihm lebt, kann er sterben.394

    Im Ersten Intermezzo dieses Buches steht, dass Jesus in den esoterischenJohan-nes-Akten in unterschiedlichenGestalten gesehenwird. Dennman sieht nur das,was man ist.Man kann nur etwas wiedererkennen, wennman es bereits kennt.Aber der Christus ist universell und erscheint auch den Kleinen, die ihn dannebenfalls als klein wahrnehmen. Aber was klein ist, kann wachsen. Es ist dieLiebe, die erna hrt. Wie liebevoll sind Zitate, die aus den Herzen der Men-schen kommen, in denen Christi Liebe vibrierte. Der Urknall geschah nichtvergebens:

    Jesus trug alles imVerborgenen.

    Denn er zeigte sich nicht so, wie er wirklich war,

    sondern er zeigte sich so, wie sie ihn sehen konnten.

    Er zeigte sich allenWesen:

    Den Groen erschien er gro,

    den Kleinen klein.

    Den Engeln erschien er als Engel

    und den Menschen als Mensch.

    So war dasWort vor allen verborgen.

    Nur wenige gab es, die ihn sahen

    und den Gedanken fassten,

    sie sa hen sich in ihm selbst.

    Denn als er sich seinen Ju ngern

    auf dem Berg imGlanz zeigte,

    war er nicht klein.

    Er war gro geworden,

    und er machte auch die Ju nger gro,

    damit sie seine Gro e sehen konnten.

    An jenemTag des Abendmahls sprach er:

    Der du denVollkommenen,

    das Licht,

    mit dem Heiligen Geist vereinigt hast,

    vereinige nun auch die Engel mit uns,

    den Abbildern.395

    131

  • Das Evangelium nach Philippus ist eine Sammlung von Aphorismen und Weis-heitsspru chen; meistens sehr tiefsinnig und manchmal auch wohltuend hu-morvoll. Die Verfasser halten dem Zuho rer und Leser einen Spiegel Christivor. So muss der fru he Unterricht in den Gemeinden gewesen sein: spru -hend, geistvoll und erfrischend:

    Niemand wird doch ein kostbares Gut

    in einem kostbaren Beha lter verstecken.

    Aber immer gab es Menschen,

    die ungeheure Scha tze in Beha lter legten,

    die keinen Heller wert waren.

    So ist es auch mit der Seele.

    Sie ist ein groer Schatz,

    aber sie ist in einen wertlosen Leib geraten.396

    In dieserWelt sind jene, die Kleider anziehen,

    wertvoller als die Kleider.

    Im Himmelreich jedoch

    sind die Kleider wertvoller als jene,

    die sie angezogen haben.397

    Durch dieWirkungen des Heiligen Geistes

    entstehen auch Irrtu mer,

    dann na mlich, wenn Menschen falsch auf ihn reagieren.

    Es ist auch der gleiche Hauch,

    durch den ein Feuer aufflammt oder erlischt.398

    Jeder Verkehr, der zwischen einander ungleichenWesen stattfindet, ist Ehebruch.399

    Wenn jemand etwas gibt, aber nicht aus Liebe,

    so nu tzt es ihm nichts, dass er gegeben hat.400

    Wenn die Perle in den Schmutz geworfen wird,

    wird sie davon nicht minderwertig.

    Auch wird sie nicht wertvoller,

    wenn sie mit Balsam gesalbt wird.

    Sie hat vielmehr stets den gleichenWert bei ihrem Eigentu mer.

    So ist es auch mit den Kindern Gottes:

    132

  • Wo immer sie sind ^

    sie haben den gleichenWert bei ihremVater.401

    Ein Esel, der im Kreis um einen Mu hlstein ging,

    ging und ging und legte hundert Meilen zuru ck.

    Als er endlich losgebunden wurde,

    befand er sich wieder am Ausgangspunkt.

    So gibt es auch Menschen, die bringen groe Entfernungen hinter sich

    und kommen doch keinen Schritt weiter.

    Wenn es Abend wird,

    haben sie keine Stadt und kein Dorf,

    kein Gescho pf und keine Natur,

    keine Macht und keinen Engel gesehen.

    Vergeblich haben sie sich bemu ht, die Elenden.402

    Fu rchte dich nicht vor dem Fleisch.

    Liebe es aber auch nicht.

    Fu rchtest du dich davor,

    wird es Herr u ber dich.

    Liebst du es,

    verschlingt und erwu rgt es dich.403

    Niemand kann sich ohne Licht selbst sehen,

    weder imWasser noch im Spiegel.

    Andererseits sieht man auch im Licht nichts

    ohneWasser und ohne Spiegel.

    Daher ist es notwendig, mit beidem getauft zu werden:

    mit Licht und mitWasser.

    Das Licht aber ist die Salbung.404

    Gott schuf den Menschen.

    Aber jetzt schaffen sich die Menschen einen Gott.

    So ist es in derWelt:

    Die Menschen schaffen sich Go tter

    und verehren ihre Scho pfungen.

    Aber inWahrheit mu ssten die Go tter

    die Menschen verehren.405

    133

  • Wer nicht fa hig ist zu empfangen,

    der wird noch viel weniger geben ko nnen.406

    Wer nur gezwungen Sklave ist,

    kann frei werden.

    Wer aber durch die Gnade seines Herrn frei geworden ist

    und sich selbst wieder der Sklaverei verkauft hat,

    kann nicht mehr frei werden.407

    Wer die Erkenntnis derWahrheit hat,

    ist frei.

    Der Freie aber su ndigt nicht.

    Denn wer su ndigt, ist der Su nde Knecht.

    DieWahrheit ist die Mutter,

    die Gnosis ist derVater.

    Die sich selbst nicht gestatten zu su ndigen,

    werden von derWelt freie Menschen genannt.

    In denen, die sich selbst nicht gestatten zu su ndigen,

    erhebt die Gnosis derWahrheit ihre Herzen.

    Das heit, sie haben sich befreit,

    so dass sie sich u ber dieseWelt erheben.

    Die Liebe aber ist immer dienstbar.

    Wer also frei geworden ist

    durch die Gnosis,

    ist durch die Liebe Diener derer,

    die noch nicht durch die Freiheit der Gnosis

    erho ht sind.

    Gnosis befa higt sie zur Freiheit.

    Die Liebe eignet sich nichts an.

    Sie braucht nichts an sich zu nehmen,

    da ihr alles geho rt.

    Sie sagt nicht: Das geho rt mir

    oder: Jenes ist mein Besitz,

    sondern sie sagt: Ich schenke dir alles.408

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  • Ein Hausherr verfu gte u ber alles:

    Kinder, Sklaven,Vieh, Hunde, Schweine,

    Weizen,Gerste, Stroh und Gras,

    O l, Fleisch und Eicheln.

    Er war ein kluger Mensch, der fu r jeden die richtige Nahrung kannte:

    Den Kindern setzte er Brot,Oliveno l und Fleisch vor,

    den Sklaven O l und Korn.

    DemVieh warf er Gerste, Stroh und Gras vor,

    den Hunden Knochen,

    den Schweinen Eicheln und Brotreste.

    Ebenso ist es mit dem Ju nger Gottes.

    Wenn er klug ist,

    versteht er die Ju ngerschaft richtig

    und la sst sich von ko rperlichen Formen nicht ta uschen.

    Er wird auf die Beschaffenheit der Seele eines jeden achten

    und entsprechend mit ihm reden.

    Es gibt viele Tiere auf derWelt, die menschliche Gestalt haben.

    Wenn er diese erkennt,

    wird er den Schweinen Eicheln vorwerfen,

    demVieh Gerste, Stroh undGras

    und den Hunden Knochen.

    Den Sklaven wird er die Grundbegriffe der Lehre geben,

    den Kindern aber die vollsta ndigen Lehren.409

    Das letzte Gleichnis zeigt deutlich, dass die Gnosis nicht auf die breiteMasseu bertragbar ist. Weisheit wird nicht von den Da chern gepfiffen. Bei demVerbreiten derGnosismuss man auf den Seelenzustand der Einzelnen achten.

    Diese Aphorismen zeigen deutlich ihren esoterischen Charakter. Es sindwahrhaft Texte fu r Eingeweihte; fu r jene, die nicht nur Ohren haben, son-dern auch ho ren ko nnen. Gehe nicht mit den Evangelien von Tu r zu Tu rhausieren, sondern lass die Liebe im Herzen aufblu hen. Entflamme einFeuer und fu lle keine Eimer mit theologischemGefasel.

    Erkenne den Urknall! Lass die Explosion weitervibrieren. Das ist, solesen wir, der Weg zur Erlo sung. Sprich daru ber nicht vom Ho rensagen,sondern werde selbst dazu. Lernt man, das eigene Selbst sehen, ist mankein gutgla ubiger Christ mehr, sondern wird zum Christus!

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  • Niemand kann etwas Unverga ngliches wahrnehmen,

    auer er wird selbst unverga nglich.

    Es ist mit derWahrheit nicht so wie auf derWelt,

    wo der Mensch die Sonne sieht,

    ohne selbst die Sonne zu sein;

    wo er den Himmel und die Erde

    und alles andere sieht,

    ohne selbst Himmel, Erde und dergleichen zu sein.

    Sondern im Reich derWahrheit

    siehst du etwas von ihr ^

    und wirst selbst zu ihr.

    Du siehst den Geist ^

    und wirst selbst zu Geist.

    Du siehst Christus ^

    und wirst selbst Christus.

    Du siehst denVater ^

    und wirst selbst zumVater.

    Hier auf dieserWelt siehst du alle Dinge,

    aber dich selbst siehst du nicht.

    In der anderenWelt jedoch

    siehst du dich selbst.

    Denn was du dort siehst,

    das wirst du selbst.410

    DieWahrheit kam nicht nackt in dieseWelt,

    sondern sie kam in Gleichnissen und Abbildern.

    Anders kann dieWelt dieWahrheit nicht empfangen.

    Es gibt eineWiedergeburt und ein Abbild fu r dieseWiedergeburt.

    Durch das Abbild muss dieWiedergeburt bewerkstelligt werden.

    Was ist die Auferstehung,

    und wie verha lt sich das Abbild zu ihr?

    Durch das Abbild wird die Auferstehung bewerkstelligt.

    Dann gehen das Brautgemach und sein Abbild

    durch das Abbild in dieWahrheit ein.

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  • Das ist dieWiederherstellung.

    Das muss mit jenen geschehen,

    die den Namen desVaters

    und des Sohnes und des Heiligen Geistes

    nicht nur leihweise erhalten,

    sondern ihn sich wirklich erwerben wollen.

    Wenn jemand diese Namen sich nicht wirklich erwirbt,

    werden ihm die Namen wieder genommen.

    Die Namen werden durch die Salbung

    mit dem Balsam der Kraft des Kreuzes erworben.

    Diese Kraft nannten die Apostel die Rechte und die Linke.

    Denn ein solcher Mensch ist nicht mehr nur ein Christ,

    er ist ein Christus.411

    Der Herr sprach:

    Ich bin gekommen,

    das Untere wie das Obere

    und das A uere wie das Innere zu machen.

    Ich bin gekommen, um sie alle an jenemOrt zu vereinigen.412

    Um erlo st zu werden, um das Selbst zu erreichen, muss der Mensch sichselbst auf die Suche begeben. Sowohl im Evangelium nachThomas als auch imju disch-christlichenHebra er-Evangelium sagt Jesus: Wer sucht, ho re nicht aufzu suchen, bis er findet. Wenn er findet, wird er erschu ttert werden. Ist ererschu ttert, wird er staunen.Und dann wird er u ber das All herrschen undzur Ruhe kommen.413

    ImEvangelium nachPhilippus heit es: Graben wir daher alle nach derWurzelder Bosheit, die in uns ist, und reien wir sie mit Stumpf und Stiel aus unse-rem Herzen! Das klingt a uerst modern in einer Zeit, in der Carl GustavJung die Individuationslehre offenbarte und seine Schu ler Bu cher u ber dieSchattenseite in jedem Menschen schrieben, die aufgelo st werden muss.Darum muss die Unwissenheit u berwunden werden. Das Leben ist Gnosis!

    Solange dieWurzel der Bosheit verborgen ist,

    ist sie stark.

    137

  • Wird sie aber erkannt,

    lo st sie sich auf;

    wird sie sichtbar,

    schwindet sie dahin.

    Deshalb heit es:

    Die Axt liegt schon an derWurzel der Ba ume.

    Die Axt ist nicht dazu da, abzuhauen ^

    was man abhaut,

    wa chst wieder nach ^,

    sondern die Axt dringt hinunter bis in den Grund,

    bis sie dieWurzel blolegt.

    Jesus riss dieWurzel derWelt ganz heraus,

    andere taten es nur teilweise.

    Graben wir daher alle

    nach derWurzel der Bosheit,

    die in uns ist,

    und reien wir dieWurzel ganz aus unserem Herzen!

    Sie wird ausgerissen,

    indemwir sie erkennen.

    Erkennen wir sie nicht,

    treibt sie in uns weiter

    und bringt ihre Fru chte hervor

    in unseren Herzen.

    Dann ist sie Herr u ber uns,

    und wir sind ihre Knechte.

    Sie nimmt uns gefangen,

    so dass wir tun,

    was wir nicht wollen,

    und nicht tun, was wir wollen.

    Sie bleibt ma chtig,

    weil wir sie nicht erkennen.

    Solange sie vorhanden ist,

    wirkt sie auch.414

    Die Unwissenheit

    ist die Mutter der Fru chte der Bosheit.

    138

  • Die Unwissenheit ist die Erzeugerin desTodes.

    So sprach dasWort:

    DieWahrheit wird euch befreien,

    wenn ihr sie erkennt.

    Die Unwissenheit ist Knechtschaft.

    Die Gnosis ist Freiheit.

    Wenn wir dieWahrheit erkennen,

    werden wir die Fru chte derWahrheit

    in uns ernten.

    Wenn wir uns mit ihr vereinigen,

    wird sie uns als Fu lle der Fu lle empfangen.415

    Der Herr sagte:

    Jede Pflanze, die mein himmlischerVater

    nicht gepflanzt hat,

    wird ausgerissen werden.416

    Das Bo se muss zuerst erkannt werden, bevor es u berwunden werden kann.Jemand, der dieWurzel der Schlechtigkeit nicht kennen lernt, wird ihr niefremd sein, sagt Jesus in einem Gespra ch mit Mattha us, Judas und MariaMagdalena.417 Wer die Finsternis seiner eigenen Seele nicht kennen lernenwill, kann in den Augen der Gnostiker kein wirklicher Christ sein. In denaltenGemeinden wurde der Schu ler erst dann getauft, wenn er dazu gereiftwar. So wirkte die Taufe wie ein Einweihungsritual. Dann erfuhr er denGeist so, wie er auch mit Jesus verschmolzen war. Wenn nicht, dann blieber ein Sonntagschrist.

    Es ist ziemlich sicher, dass es noch ein Mysterium, noch ein Sakrament gab,das der Salbung. Die Salbung war die Besta tigung fu r den Prozess, der in derTaufe seine vorla ufige Kro nung erhalten hatte:

    Wenn jemand zur Taufe insWasser hinuntersteigt

    und heraufkommt, ohne etwas erhalten zu haben,

    und dennoch sagt: Ich bin ein Christ,

    so hat er diesen Namen nur leihweise erhalten.

    Empfa ngt er bei der Taufe aber den Heiligen Geist,

    so hat er diesen Namen als Geschenk erhalten.

    139

  • Wer ein Geschenk erha lt,

    demwird es nicht wieder weggenommen.

    Etwas Geliehenes aber fordert man zuru ck.418

    Jesus empfing bei seiner Taufe im Jordan

    die Fu lle des Himmelreiches.

    Er, der vor der Entstehung derWelt geboren war,

    wurde erneut geboren.

    Der schon Gesalbte

    wurde wieder gesalbt.

    Der schon Erlo ste

    erlo ste nun andere.419

    Wer hinabsteigt insWasser der Taufe,

    den wird Jesus erlo sen,

    denn er stieg aus demWasser der Taufe hervor.

    So wird er vollenden,

    die getauft werden in seinem Namen.

    Sprach er nicht:

    So werden wir alle Gerechtigkeit erfu llen.

    Jene, die sagen,

    zuerst stirbt man, dann ersteht man auf, irren.

    Wenn man nicht zuerst, noch bei Lebzeiten, die Auferstehung empfa ngt,

    wird man imTod nichts empfangen.420

    Die Salbung steht u ber der Taufe.

    Denn durch die Salbung werden wir Christen genannt,

    nicht durch die Taufe.

    Auch Christus wurde durch die Salbung so genannt,

    denn derVater salbte den Sohn.

    Der Sohn salbte die Apostel.

    Die Apostel salbten uns.

    Wer gesalbt worden ist, hat alles:

    Er hat die Auferstehung,

    das Licht,

    das Kreuz

    140

  • und den Heiligen Geist.

    DerVater gab dem Sohn das alles

    im Brautgemach, dort empfing er es.

    DerVater war im Sohn,

    und der Sohn imVater.

    Das ist das Reich der Himmel.421

    Das Brautgemach ist der Zustand, in dem das Bewusstsein alles als einserfa hrt. Braut und Bra utigam verschmelzen miteinander. So wie Gott in derGenesis sprach: Die zwei werden eins sein.422 Wir erwa hnten bereits CarlGustav Jung. Dieser Seher erkla rte die Animus-Anima-Theorie, die Projek-tion desMa nnlichenundWeiblichen imMenschen. Dasmuss zuerst erkanntwerden, bevor die Integration stattfinden kann. DieVerfasser desEvangeliumsnachPhilippus kannten Jesu beru hmteWorte:

    Wenn ihr die Zwei zu Einem macht, und wenn ihr das Innere wie das A uere

    macht, und das A uere wie das Innere, und das Obere wie das Untere, und wenn

    ihr das Ma nnliche und dasWeibliche zu einem Einzigen macht, so dass das Ma nn-

    liche nicht mehr ma nnlich und dasWeibliche nicht mehr weiblich ist, dannwerdet

    ihr ins Reich eingehen.423

    Die Gnostiker benutzten ein wunderbares Bild fu r diese Einswerdung: dasBrautgemach, den Ort, wo Braut und Bra utigam sich begegnen und einswerden, dieHierosgamos, die geistigeHochzeit zwischen den einzelnenGlie-dern der Seele. Die Kinder , die aus dieserHochzeit hervorgehen, sind voll-kommen:

    Ein Pferd zeugt ein Pferd,

    ein Mensch zeugt einen Menschen,

    ein Gott zeugt einen Gott.

    Ebenso verha lt es sich mit dem Bra utigam und der Braut.

    Ihre Kinder entstehen aus der Hochzeit im Brautgemach.

    So gab es, solange das Gesetz besteht,

    auch niemals einen Juden,

    der aus einemGriechen hervorgegangen wa re.

    Auch wir waren Juden

    141

  • und wurden von Juden gezeugt,

    bevor wir als Christen

    aus Christus gezeugt wurden.

    Darumwerden sie die Erlo sten genannt,

    das auserwa hlte Geschlecht des Heiligen Geistes,

    der wahre Mensch,

    der Sohn des Menschen

    und der Nachkomme des Sohnes.

    In derWelt werden solche Menschen das wahre Geschlecht genannt.424

    Der Mensch verbindet sich mit dem Menschen,

    das Pferd mit dem Pferd,

    der Esel mit dem Esel,

    alle Arten mit ihren Artgenossen.

    So verbindet sich auch der Geist mit demGeist,

    dasWort vereinigt sich mit demWort,

    das Licht vereinigt sich mit dem Licht.

    Wenn du Mensch wirst,

    liebt dich der Mensch.

    Wirst du Geist,

    vereinigt sich der Geist mit dir.

    Wirst duLogos,

    vereinigt sich derLogosmit dir.

    Wenn du Licht wirst,

    vereinigt sich das Licht mit dir.

    Wenn du wie dieWesen von oben wirst,

    werden sich dieWesen von oben auf dir niederlassen.

    Wenn du Pferd wirst

    oder Esel, Kalb, Hund, Schaf

    oder ein anderesTier,

    das auer und unter uns lebt,

    ko nnen dich weder der Mensch,

    noch der Geist,

    noch derLogos,

    noch das Licht,

    142

  • auch nicht dieWesen von oben

    und innen lieben.

    Sie ko nnen nicht in dir wohnen,

    weil du keinen Anteil an ihnen hast.425

    Niemand wei, an welchemTag

    sich Mann und Frau miteinander vereinigen ^

    nur sie allein.

    Denn imGeheimen vollzieht sich

    die Hochzeit derWelt bei allen,

    die sich eine Frau genommen haben.

    Wenn sich aber schon die Hochzeit der Befleckung

    imVerborgenen vollzieht,

    umwie viel mehr ist die unbefleckte Hochzeit

    ein wirkliches Mysterium.

    Sie ist nicht fleischlich, sondern rein.

    Sie entspringt nicht der Begierde,

    sondern demWillen.

    Sie geho rt nicht zu Finsternis und Nacht,

    sondern zumTag und zum Licht.

    Die Getrennten werden vereinigt,

    das Leere wird erfu llt werden.

    Alle, die das Brautgemach betreten,

    werden sich mit dem Licht vereinigen.

    Sie vereinigen sich nicht

    wie bei den Hochzeiten der Befleckung,

    die sich nachts vollziehen.

    Das Feuer dieser Hochzeiten brennt nur nachts und erlischt dann wieder.

    Die Mysterien der heiligen Hochzeit

    aber vollziehen sich amTage

    und im Licht.

    Dieser Tag und sein Licht verlo schen niemals.

    Wenn jemand Kind des Brautgemachs wird,

    empfa ngt er dieses Licht.

    143

  • Wenn jemand es aber nicht empfa ngt,

    wa hrend er noch in dieserWelt ist,

    so kann er es auch

    in der anderenWelt nicht empfangen.

    Wer jedoch dieses Licht empfa ngt,

    wird weder verfolgt, noch gehalten, noch gequa lt werden ko nnen,

    ob er nun in derWelt lebt

    oder sie verla sst.

    Er hat dieWahrheit schon in den Abbildern empfangen.

    DieWelt wurde fu r ihn zur Ewigkeit,

    denn die Ewigkeit ist fu r ihn das Pleroma.

    Sie ist ihm, demwieder eins Gewordenen,

    jetzt offenbar geworden:

    Nicht verborgen in Finsternis und Nacht,

    sondern verborgen in einem vollkommenenTag

    und einem heiligen Licht.426

    DieVerfasser desEvangeliums nachPhilippus hatten vonValentinus gelernt, dassdie ko rperlicheVereinigung eine Stufe zur geistigen Einswerdung sein kann:

    Wer in derWelt aber nicht von derWelt ist, muss eine Frau lieben,um zusammen die

    Einswerdung zu erleben; wenn nicht, ist er geistig nicht auf einem gutenWeg und

    kann nicht zur Wahrheit durchdringen. Ein Mann dieser Welt jedoch, der mit

    einer Frau Gemeinschaft hat, wird auf dieseWeise dieWahrheit nicht entdecken,

    weil seine Sexualita t auf seiner Begierde basiert.427

    Diese Gnostiker betrachteten die go ttlichen Paare wie Tiefe und Stille, An-thropos und Sophia, Christus und Gemeinschaft, als geistiges Vorbild fu rden irdischen Menschen. Wenn derMensch sich dieses Abdrucks in seinerSeele bewusst wird, kann die ko rperliche Gemeinschaft als Einswerdungerlebt werden. So kann die Erde zumHimmel werden. So kann der verwirk-lichte Mensch bereits hier auf Erden etwas von diesem geistigen Brautge-mach erfahren und einen Schimmer des Gottesreiches wahrnehmen. Werdieses Gottesreich erlebt, erfa hrt gleichzeitig die Relativita t der Materie,denn er hat die Bindungen an sie gelo st. Er kann gleichsam daru ber lachen:

    Sehr zutreffend sagte der Herr:

    Einige gingen befreit lachend ins Reich der Himmel ein

    144

  • und kamen lachend heraus aus derWelt.

    So wird ein Mensch ein Christ,

    indem er die Taufe und die Salbung erha lt

    und sogleich lacht u ber dieWelt.

    Auch Christus stieg zur Taufe hinunter insWasser,

    und stieg wieder herauf,

    befreit lachend u ber dieseWelt.

    Er ma ihr keine gro ere Bedeutung zu

    als einem flu chtigen Scherz.

    Er verachtete ihreVerga nglichkeit

    und betrat lachend das Himmelreich.

    Wenn einer dieWelt verachtet

    und sie wie einen Scherz verschma ht,

    wird er sie lachend hinter sich lassen.428

    Die Gnostiker betonen also nicht das Leiden, sondern das Lachen, die Be-freiung vom Leiden.Gnosis ist Erlo sung.

    145

    URKNALL

    KATERN10

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