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14 Schraubenverbindungen Dipl.-Ing. Josef Esser 14.1 Schrauben und Muttern 14.1.1 Herstellung von Schrauben und Muttern Spanende Formgebung Bei spanender Formgebung werden Verbindungselemente meist aus Automatenstahl gefertigt. Dieser Stahl ist nur zulässig für Schrauben der Festigkeitsklassen bis 6.8 (Ausnahme 5.6) und Muttern der Festigkeits- klassen5, 6, 04, 11H, 14H und17H. Spanende Formgebung wird auch bei der Weiter-/Fertigbearbeitung von kalt- oder warmgepressten Rohlingen aus Vergütungswerkstoff ange- wendet, z. B. Drehen oder Schleifen bei der Herstellung von Dehn- oder Passschrauben sowie beim Schneiden von Innengewinden, Abgraten von Sechskantköpfen und Fertigbearbeiten von Zeichnungsteilen. Spanlose Formgebung Warmformung erfolgt überwiegend bei Werkstoffen mit hohen Um- formkräften (hoher Verformungswiderstand), hohen Stauchverhältnissen und Abmessungen > M30 (maschinentechnischer Grenzbereich). Vorteil: keine Verfestigung wie bei der Kaltverformung metallischer Werkstoffe. Bei der Kaltformung werden die Zugfestigkeit und Streckgrenzeerhöht, die Bruchdehnung und Brucheinschnürung reduziert. Daher ist nur eine begrenzte Verformungsfähigkeit vorhanden. Kaltformung dominiert bei Grserienfertigung und kleinen bis mittleren Stauchverhältnissen im Abmessungsbereich bis M30. Die Schraubenfertigung erfolgt meist in mehreren Stufen auf einer oder mehreren Maschinen, die Mutternfertigung auf Quertransportpressen. Das Gewinde wird auf Spezialmaschinen geschnitten oder geformt. 14.1.2 Warmbehandlung Schrauben der Festigkeitsklassen ab 8.8 müssen nach DIN EN ISO 898-1 vergütet werden, ebenso Muttern der Festigkeitsklassen 05, 8 (> M16), 10 und 12 nach DIN EN 20898 Teil 2. Die Vergütung (rten und An- lassen) erfolgt meist auf automatischen, kontinuierlichen Vergütungs-

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14 Schraubenverbindungen

Dipl.-Ing. Josef Esser

14.1 Schrauben und Muttern

14.1.1 Herstellung von Schrauben und Muttern

Spanende Formgebung

Bei spanender Formgebung werden Verbindungselemente meist aus

Automatenstahl gefertigt. Dieser Stahl ist nur zulässig für Schrauben der

Festigkeitsklassen bis 6.8 (Ausnahme 5.6) und Muttern der Festigkeits-klassen 5, 6, 04, 11H, 14H und 17H.

Spanende Formgebung wird auch bei der Weiter-/Fertigbearbeitung vonkalt- oder warmgepressten Rohlingen aus Vergütungswerkstoff ange-wendet, z. B. Drehen oder Schleifen bei der Herstellung von Dehn- oder

Passschrauben sowie beim Schneiden von Innengewinden, Abgraten vonSechskantköpfen und Fertigbearbeiten von Zeichnungsteilen.

Spanlose Formgebung

Warmformung erfolgt überwiegend bei Werkstoffen mit hohen Um-formkräften (hoher Verformungswiderstand), hohen Stauchverhältnissenund Abmessungen >M30 (maschinentechnischer Grenzbereich).

Vorteil: keine Verfestigung wie bei der Kaltverformung metallischer

Werkstoffe.

Bei der Kaltformung werden die Zugfestigkeit und Streckgrenze erhöht,

die Bruchdehnung und Brucheinschnürung reduziert. Daher ist nur einebegrenzte Verformungsfähigkeit vorhanden. Kaltformung dominiert beiGroßserienfertigung und kleinen bis mittleren Stauchverhältnissen imAbmessungsbereich bis M30.

Die Schraubenfertigung erfolgt meist in mehreren Stufen auf einer oder

mehreren Maschinen, die Mutternfertigung auf Quertransportpressen.Das Gewinde wird auf Spezialmaschinen geschnitten oder geformt.

14.1.2 Warmbehandlung

Schrauben der Festigkeitsklassen ab 8.8 müssen nach DIN EN ISO 898-1vergütet werden, ebenso Muttern der Festigkeitsklassen 05, 8 (>M16),10 und 12 nach DIN EN 20898 Teil 2. Die Vergütung (Härten und An-lassen) erfolgt meist auf automatischen, kontinuierlichen Vergütungs-

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256 14 Schraubenverbindungen

straßen. Zur Vermeidung unerwünschter Aufkohlung oder Randentkoh-lung werden diese mit genau gesteuerter Schutzgasatmosphäre betrieben.Ofentypen: Schwingretorten- und Banddurchlauf-Öfen mit Kapazitätenvon 150 … 1500 kg/h.

14.1.3 Normung

Die mechanischen Eigenschaften der Schrauben sind in der DIN ENISO 898-1 genormt (s. Tabelle 14.1), die der Muttern in der DIN ENISO 898-2 (Regelgewinde) und DIN EN ISO 898-6 (Feingewinde). Der

Geltungsbereich umfasst normale Anwendungsbedingungen für Schrau-ben und Muttern aus unlegiertem und niedrig legiertem Stahl bis M39,an die keine speziellen Anforderungen hinsichtlich Schweißbarkeit,Korrosionsbeständigkeit, Warmfestigkeit über 300 °C und Kaltzähigkeit unter –50 °C gestellt werden.

Die Norm sieht für hochfeste Schrauben oberhalb von 800 N/mm2 vier

Festigkeitsklassen vor.

Die Festigkeitsklasse 9.8 findet überwiegend in den angelsächsischenLändern Anwendung.

Tabelle 14.1: Mechanische Eigenschaften von Schrauben [nach EN ISO 898-1 (1999)]

Festigkeitsklasse

3.6 4.6 4.8 5.6 5.8 6.8 8.8 10.9 12.9

≥M16 >M161)

nom 300 400 400 500 500 600 800 800 1000 1200Zugfestigkeit Rm

(in N/mm2)min 330 400 420 500 520 600 800 830 1040 1220

Streckgrenze ReL

(in N/mm2) bzw.

nom 180 240 320 300 400 480 640 640 900 1080

0,2-%-Dehngrenze

RP0,2 (in N/mm2)

min 190 240 340 300 420 480 640 660 940 1100

Bruchdehnung A5

(%)

min 25 22 14 20 10 8 12 12 9 8

min 95 120 130 155 160 190 250 255 320 385Vickershärte

HV 10max 220

2)220

2)220

2)220

2)220

2)250 320 335 380 435

min 90 114 124 147 152 181 238 242 304 366Brinellhärte

HB F = 30D2

max 2092)2092)

2092)2092)

2092)238 304 318 361 414

Kerbschlagarbeit (ISO-U) (in Joule)

min – – – 25 – – 30 30 20 15

1) Für Stahlbauschrauben ab M122) Ein Härtewert am Ende der Schraube darf höchstens 250 HV betragen bzw. 238 HB

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14.1 Schrauben und Muttern 257

Die Bezeichnung der Festigkeitsklassen erfolgt mit zwei durch einenPunkt getrennten Zahlen, z. B. 8.8, 10.9 oder 12.9.

Die erste Zahl entspricht 1/100 der Nennzugfestigkeit Rm in N/mm2.

Die zweite Zahl gibt das 10fache des Verhältnisses der Nennstreck-grenze zur Nennzugfestigkeit an (ReL/Rm bzw. Rp0,2/ Rm)

Sonderfestigkeiten und eingeengte Festigkeitstoleranzen sind inner-halb bestimmter Grenzen möglich und sinnvoll.

Für Muttern ist derselbe Anwendungsbereich festgelegt. Sie werden indrei Gruppen unterteilt:

a) Muttern für Schraubenverbindungen mit voller Belastbarkeit.

Sechskantmuttern DIN EN 24032 (Typ 1), Regelgewinde oder DIN EN

28673 (Typ 1), Feingewinde für Festigkeitsklassen 6 und 8, oder DIN

EN 28674 (Typ 2), Feingewinde für Festigkeitsklassen 10 und 12.Nennhöhen der Muttern m ≥ 0,85d.

b) Muttern für Schraubenverbindungen mit eingeschränkter Be-

lastbarkeit. DIN EN 24035 (Regelgewinde) und DIN EN ISO 8675(Feingewinde). Genormt sind die Festigkeitsklassen 04 und 05.

c) Muttern für Schraubenverbindungen ohne festgelegte Belastbar-

keit werden mit einer Zahlen-Buchstaben-Kombination bezeichnet. DieZahl steht für 1/10 der Mindest-Vickershärte, und H steht für Härte.Genormt sind die Festigkeitsklassen 11H, 14H, 17H und 22H.

Schrauben und Muttern gleicher Festigkeitsklasse (10.9/10) ergebenVerbindungen, bei denen die Muttern an die Schraubenfestigkeit ange-passt sind. Muttern der höheren Festigkeit können für Schrauben der

niedrigeren Festigkeit verwendet werden.

14.1.4 Qualität

Bei Schrauben und Muttern ist die Qualität in Maßnormen (Produkt-normen) geregelt, die durch Grundnormen und Technische Lieferbe-

dingungen ergänzt werden. Neben Toleranzen werden mechanischeEigenschaften und Fragen hinsichtlich der Abnahmeprüfung geregelt.

Wichtige Technische Lieferbedingungen sind die DIN 267, DIN EN

ISO 898, DIN ISO 4759. Sie enthalten Verweisungen auf andere Grund-normen nach DIN und ISO, sowohl für genormte Schrauben und Mut-tern als auch für Zeichnungs- und Sonderteile. Die in Maß-, Grund- undGütenormen sowie in Technischen Lieferbedingungen definierten An-forderungen werden durch ebenfalls genormte Vereinbarungen für dieAbnahmeprüfung ergänzt: DIN ISO 3269. Hier sind die wichtigsten

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258 14 Schraubenverbindungen

maßlichen und physikalischenMerkmale sowohl für Werkstoffe als auchfür Überzüge in bestimmten „Annehmbaren Qualitätsgrenzlagen“ (AQL)festgelegt. Dieses genormte „Mindestqualitätsniveau“ gilt immer dannals Vereinbarung, wenn in der Zeichnung oder Bestellung nichts Abwei-chendes vereinbart wird.

14.2 Zeichnungs- und Kaltformteile

Auf modernen Kaltumformmaschinen werden neben Schrauben undMuttern auch Verbindungselemente und Formteile hergestellt, die nicht

unbedingt ein Gewinde aufweisen. Solche Präzisionsteile sollten hin-sichtlich ihrer Form, Toleranzen und mechanischer Eigenschaften zwi-schen Hersteller und Anwender besprochen und festgelegt werden. DieseTeile können

nur kaltgeformt eingebaut werden, wenn Form und Toleranzen dengeforderten Ansprüchen entsprechend ausgerichtet sind. Die durchdie Kaltumformung erzielbare Festigkeit von Rm = 750 N/mm2 undein nicht unterbrochener günstiger Faserverlauf können eine nach-folgendeWarmbehandlung überflüssig machen.

kalt umgeformt sein und mit zusätzlichen meist zerspanendenArbeitsgängen den speziellen Anforderungen angepasst werden.

bei geeigneter Werkstoffwahl durch zusätzliche Wärmebehandlungauf höhere Festigkeiten gebracht werden.

Zusätzliche Bearbeitungsverfahren

Riffeln und Rändeln erfüllen die Aufgaben des zylindrischen Presssit-zes. Gegenüber der Passung ist eine preiswertere spanlose Fertigung –durch Entfall des Schleifens – mit geringeren Einpresskräften möglich.Der Riffel verhindert das Herausfallen der Schraube und überträgt das

Drehmoment der Mutter.

Gewindewalzen ist das am weitesten verbreitete zusätzliche Bearbei-tungsverfahren. Beim Gewindewalzen nach der Vergütung wird die dyna-mische Haltbarkeit (Dauerhaltbarkeit) des Gewindes wesentlich gesteigert.

Auf gleichem Prinzip basiert auch die spanlose Herstellung von Dehn-schäften durch Dehnwendel oder Dehnrillen (Bild 14.1). Ein- oder

mehrgängige Dehnwendelschrauben kommen bei Zylinderkopfschrau-ben zum Einsatz. Bei geschickter konstruktiver Anpassung der Walz-,Kern- und Außendurchmesser sowie der Wendel- oder Rillenprofilelassen sich die Funktionen „Dehnschaft“ und „Passung/Zentrierung“miteinander kombinieren.

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14.3 Auslegung und Berechnung von Schraubenverbindungen 259

Bild 14.1: Dehnwendel- und Dehnrillenschraube [TFS]

Auch das Kalibrieren optimiert die Funktion „Passung/Zentrierung“. Ineiner Art Zieh- oder Reduziervorgang werden enge Durchmessertoleran-zen erzielt, gegenüber dem Schleifen eine kostengünstige Alternative.

Erfolgreich mit dem Kaltpressen kombinierbar ist das Festwalzen. Es

wird zur Steigerung der Dauerhaltbarkeit im Bereich von Querschnitts-übergängen eingesetzt und ist mit dem Gewindewalzen nach dem Vergü-ten vergleichbar.

Insbesondere bei Zeichnungsteilen sind auch spanende Bearbeitungs-gänge wie Drehen, Schleifen, Bohren und Fräsen verbreitet. Speziell beidiesen Teilen sollten Hersteller und Anwender im frühesten Entwick-lungsstadium zusammenarbeiten.

14.3 Auslegung und Berechnung

von Schraubenverbindungen

Die Berechnung von Schraubenverbindungen ist ein komplexes Gebiet,

das im Rahmen dieses Kapitels nicht ausführlich behandelt werden kann.Daher sei hier auf die VDI-Richtlinie 2230 hingewiesen, die Hinweisezur Schraubenberechnung enthält und regelmäßig aktualisiert wird.Nachfolgend wird in kurzer Form nur die überschlägliche Auslegungund Berechnung von Schraubenverbindungen beschrieben.

14.3.1 Grobe Kalkulation

Für eine Annäherung und grobe Kalkulation kann Tabelle 14.2 herange-zogen werden.

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260 14 Schraubenverbindungen

Tabelle 14.2: Überschlägliche Dimensionierung von Schraubenverbindungen [TFS]

Betriebskraft pro Schraube

Nenndurch-

messer1) (in mm)

Festigkeitsklasse

statisch in

Achsrichtung

FA

(in N)

dynamisch in

Achsrichtung

FA

(in N)

statisch und/oder

dynamisch senkrecht

zur Achsrichtung

FQ

(in N)

Vorspann-

kraft1)

Fv (in N)

8.8 10.9 12.9

1600 1000 320 2500 4 – –

2500 1600 500 4000 5 4 4

4000 2500 800 6300 6 5 5

6300 4000 1250 10000 72)

6 5

10000 6300 2000 16000 8 72)

72)

16000 10000 3150 25000 10 92) 8

25000 16000 5000 40000 14 12 10

40000 25000 8000 63000 16 14 12

63000 40000 12500 100000 20 16 16

100000 63000 20000 160000 24 20 20

160000 100000 31500 250000 30 27 24

250000 160000 50000 400000 – 30 30

1) Die angegebenen Nenndurchmesser und Vorspannkräfte gelten für Schaftschrauben; beiDehnschrauben ist wegen des verringerten Taillenquerschnittes diejenige Abmessung zu

wählen, die der nächsthöheren Laststufe entspricht.2) AbmessungenM7 undM9 nur in Sonderfällen verwenden.

Beispiel: Eine Verbindung soll eine axiale schwellende Belastung von40 000 N aufnehmen. Aus Tabelle 14.2 ergibt sich

Festigkeitsklasse 8.8 / AbmessungM20

Festigkeitsklasse 10.9 / AbmessungM16

Festigkeitsklasse 12.9 / AbmessungM16

Vergleich: Unter Berücksichtigung aller bekannten Bedingungen, wieAnzahl und Rauigkeit der Trennfugen, Klemmlänge, Krafteinleitung undAnzugsbedingungen, ergibt die exakte Berechnung nach VDI 2230

folgende Dimensionierungen:

Festigkeitsklasse 8.8 / AbmessungM16

Festigkeitsklasse 10.9 / AbmessungM14

Festigkeitsklasse 12.9 / AbmessungM12

Ergebnis: Der Benutzer dieser Tabelle kann mit einer ausreichendenSicherheit kalkulieren.

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14.3 Auslegung und Berechnung von Schraubenverbindungen 261

Zur Bestimmung der Vorspannkraft und des Anziehdrehmoments ist

die Kenntnis der Reibungszahlen wesentliche Voraussetzung. Unter-schiedliche Oberflächen und Schmierbedingungen lassen ein großes

Spektrum an Reibungszahlen zu (Tabelle 14.3).

Tabelle 14.3: Reibungszahlen [TFS]

Oberflächenzustand µgesbei Schmierzustand

Schraube Mutter ungeschmiert geölt/gewachst

vergütungsschwarz

phosphatiert

Dünnschicht-phosphatiert

galvanisch verzinkt

Zink-Lamellen-Überzüge

ohne Nachbehandlung 0,125… 0,180,125… 0,180,08 … 0,1250,10 … 0,160,16 … 0,24

0,125… 0,160,125… 0,140,08 … 0,100,10 … 0,140,08 … 0,12

Für die Berechnung sind die fett gedruckten Werte zu berücksichtigen. Wird mit MoS2

geschmiert, ist eine Reibungszahl von µges = 0,10 einzusetzen.

Zur Unterstützung einer definierten Montage werden Verbindungsele-mente durch zusätzliche Schmierung beim Hersteller in ein Reibzahl-fenster von µges = 0,09… 0,15 (gemessen nach DIN EN ISO 16047)gelegt. Für weitere Reibungszustände wird auf die VDI 2230 verwiesen.Zur Berechnung werden die niedrigsten Werte der Reibzahlspanne he-rangezogen. Mit diesen Werten können in den Tabellen 14.4 Vorspann-kraft und Anziehdrehmoment abgelesen werden.

Bei Sicherungsschrauben mit Verzahnung, Verrippung oder mit Kleb-stoff im Gewinde werden in vielen Fällen höhere Reibungszahlen auftre-ten (Prospektangaben der Hersteller berücksichtigen oder durch Ver-suche ermitteln).

Anziehdrehmomente und Vorspannkräfte für Festigkeitsklassen, dienicht in den vorliegenden Tabellen aufgeführt sind, können errechnet werden, indem die bekannten Werte für MA und F

vmit dem Verhältnis

der Streckgrenzen der gesuchten und der bekannten Festigkeitsklassemultipliziert werden.

Beispiel: M10, Festigkeitsklasse 8.8, MA = 49 N ⋅ m, Mindeststreck-grenze Rp0,2 = 640 N/mm2.

Gesucht: MA für M10, Festigkeitsklasse 5.6 (MindeststreckgrenzeReL = 300 N/mm2).

MA/5.6 = (reL/5.6/Rp0,2/8.8) · MA/8.8

MA/5.6 = (300/640) · 49 N ⋅ m = 23 N ⋅ m

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262 14 Schraubenverbindungen

Tabelle 14.4: Vorspannkräfte und Anziehdrehmomente für Schrauben mit Kopfauflagen nach DIN

EN 24014, DIN EN 24015, DIN EN ISO 4762 [TFS]

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14.3 Auslegung und Berechnung von Schraubenverbindungen 263

Ebenso ist es möglich, hinreichend genau MA und Fvfür Abmessungen

zu berechnen, die nicht in vorhandenen Tabellen aufgeführt sind. DieVorspannkraft einer Schraube beträgt bei µges

= 0,14 unter der Annahme,dass die Gesamtbeanspruchung durch Vorspannkraft und Torsion 90 %der Mindeststreckgrenze beträgt, ungefähr:

Fv= 0,7 · Rp0,2 · A

sfür Schaftschrauben

Fv= 0,7 · Rp0,2 · AT für Dehnschrauben

Die Mindeststreckgrenze ist bekannt aus DIN EN ISO 898/1. Der Span-nungsquerschnitt errechnet sich aus:

As=

2

2 3

4 2

d dp +Ê ˆ◊ Á ˜Ë ¯

d2Flankendurchmesser, d

3Kerndurchmesser (Nominalwerte nach

DIN 13 Teil 13)

Der Taillenquerschnitt AT kann der Zeichnungsvorgabe entnommenwerden. Das Anziehdrehmoment errechnet sich aus folgender Formel:

MA = Fv[0,16 · P + µges

(0,58 · d2+ DKm/2)]

P Steigung in mm, µgesGesamtreibungszahl (= 0,14), d

2Flanken-

durchmesser in mm nach DIN 13 Teil 13, DKm = (dh + dw)/2 mitt-

lerer Reibungsdurchmesser der Kopf- oder Mutternauflage in mm,

dh Bohrungsdurchmesser in mm nach DIN ISO 273, dw

Außen-durchmesser der Kopf- oder Mutternauflage in mm, d

3Kerndurch-

messer in mm nach DIN 13 Teil 13

Beispiel:

Berechnung des Anziehdrehmoments für eine Schraube M10 DIN EN

ISO 4762-10.9

Fv= 0,7 · Rp0,2 · A

s= 0,7 · 940 · 58 N = 38200 N

MA = Fv[0,16 · P + µges

(0,58 · d2+ D

Km/2)]

mit DKm = (dh + dw)/2 = (11 + 16)/2 mm = 13,5 mm

MA = 38200 [0,16 · 1,5 + 0,14(0,58 · 9,026 + 13,5/2)] N ⋅ mm

= 73 264 N ⋅ mm = 73 N ⋅ m

Der Wert in der Tabelle beträgt 72 N ⋅ m, der Fehler ist vernachlässigbar.

Bei Schmierung mit MoS2-Paste reduziert sich die Reibungszahl auf ca.

µges= 0,10. Das errechnete Anziehdrehmoment sollte um 20 % verringert

werden, da die Schraube ansonsten überzogen würde. Die Vorspannkraft erhöht sich trotzdem um ca. 10 %.

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264 14 Schraubenverbindungen

14.3.2 Genaue Berechnung einer Schraubenverbindung

Zur exakten Berechnung einer Schraubenverbindung sei auf die VDI-Richtlinie 2230 „Systematische Berechnung hochbeanspruchter Schrau-benverbindungen“ oder auf Fachliteratur, z. B. das „Schrauben Vademe-cum“, verwiesen. Die VDI-Richtlinie 2230 unterliegt einer ständigenAktualisierung und ist das Ergebnis einer Gemeinschaftsarbeit von

Experten des VDI-Ausschusses „Schraubenverbindungen“.

14.4 Verhalten von Schraubenverbindungen

unter Belastungen

Die Streckgrenze ist der wichtigste mechanische Wert der Schraube,nicht die Zugfestigkeit!

Zieht man eine Schraubenverbindung immer fester an, so wächst der Widerstand stetig, bis die Grenze erreicht wird, ab der die Schraube be-ginnt, sich bleibend zu längen. Dann genügt eine geringere Kraft, um sieweiter zu längen. Beim Nachlassen der Beanspruchung geht die Schraubeallerdings nicht mehr in ihre ursprüngliche Länge zurück, da die „Streck-grenze“ überschritten wurde. Diese Streckgrenze des Schraubenbolzens

Rp0,2 ist – ausreichende Mutternfestigkeit oder Einschraubtiefe vorausge-setzt – die wichtigste Größe für die Dimensionierung jeder Schrauben-verbindung. Sie gibt die maximal ertragbare Kraft an, bei der die bleibendeVerformung der Schraube nicht größer als 0,2 % ist.

Beim Überschreiten dieser Last längt sich die Schraube und geht

schließlich zu Bruch.

Heute setzt inzwischen ein Trend zur Montage in den plastischen Be-reich (streckgrenzengesteuertes und drehwinkelgesteuertes Anziehen)ein. Innerhalb des elastischen Bereichs gleicht die Schraube einer Feder,die nach der Entlastung auf die ursprüngliche Länge zurückfedert.

Setzt sich die Belastung oberhalb der Streckgrenze fort, tritt eine blei-bende plastische Verlängerung ein, beim Erreichen der Bruchgrenzeerfolgt ein Gewaltbruch. Das Gebiet der plastischen Verformung sowiedie Bruchfestigkeit haben für die Schraubenberechnung keine entschei-dende Bedeutung.

Die plastische Verformung ist allerdings von Bedeutung, wenn beiÜberbelastung besonders zähe Schrauben erforderlich sind. Dies ist beiden Anziehverfahren über die Streckgrenze hinaus der Fall, besonders

bei drehwinkelgesteuerter Montage, wobei das Überschreiten der

Streckgrenze deutlich ausfallen kann. Die Wiederverwendung derart

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14.4 Verhalten von Schraubenverbindungen unter Belastungen 265

montierter Schrauben ist fraglich und von verschiedenen Parameternabhängig.

Bild 14.2 zeigt, dass die plastischen Reserven bis zum Bruch der

Schraube beachtlich sind und ein Mehrfaches des elastischen Bereichs

betragen. Zu beachten ist, dass die Zähigkeit mit steigender Vergütungs-festigkeit sinkt. Bei der Auslegung der Verbindung ist zu berücksichti-gen, welche dieser Eigenschaften notwendiger für den spezifischenAnwendungsfall ist.

Bild 14.2: Vergleich Starrschraube – Dehnschraube [TFS]

Bild 14.3: Kraft-Verlängerungs-Schaubilder für a) Schraube, b) Flansch [TFS]