22
urn:nbn:de:0233-2009033115 1 Rolf Badenhausen Wadhincúsan, monasterium Ludewici Zur Ludwig-Signatur der Thidrekssaga In der Chronik des westfälischen Klosters Wedinghausen steht zu lesen: um 1220: Klosterschreiber Ludowicus schreibt eine prächtige Bibel und verfasst die „Heime- Erzählung“, ein Bestandteil der Thidreks- Saga. 1 Roswitha Wisniewski erkennt in diesem Scriptor den nieder- deutschen Verfasser einer chronistischen Überlieferung, die als Hauptvorlage der Thidrekssaga ins Altnorwegische über- tragen worden sein soll [1961:261f.]. Die daraus abgeleitete Folgerung auf ein vorherrschend übersetzerisches Großwerk harmoniert mit später vorgelegten und hier nicht weiter beglei- teten Forschungsbeiträgen, die aufgrund nicht vernachlässig- barer Indizien von einer umfassenden niederdeutschen und von dort aus schriftgelehrter Feder stammenden Quelle der Thidrekssaga ausgehen. 2 Zu deren Vermittlungsintention haben jedoch weder fachwissenschaftliche Betrachtungen noch die Germanistin Wisniewski eine überzeugende Begrün- dung vorbringen können, mit der die von ihr detektierte Groß- vorlage aus literartypologisch nachweisbarem chronistischen Milieu vor dem Hintergrund oder gar anhand oberdeutscher Reimdichtung als pseudohistorisches Falsifikat automatisiert bzw. postuliert werden darf. 3 Mit diesem Beitrag soll vielmehr der Frage nachgegangen werden, ob nach dem Klosterbericht der Thidrekssaga und neben einer noch zu interpretierenden Ortung des offenbar westfälischen Stifts im Land der „Lungbarden“ Heimes Klos- ter Wadhincúsan als Entstehungsort der Haupt- und Großquel- le der Thidrekssaga erhärtet werden kann. Seit Jacob Grimm haben sich F. J. Mone, die beiden Textüber- setzer F. H. von der Hagen und August Raszmann, Ferdinand Holthausen, Carl Brestowsky und andere Forscher, darunter auch der Arnsberger Philologe Norbert Höing, in abweichen- den Fokussierungs- und Bewertungstiefen mit Lokalisierungen des in der Thidrekssaga an später Stelle genannten Klosters Wadhincúsan befasst. Aus jüngeren Veröffentlichungen hat Heimes Klosterepisode nach den Vorstellungen von Horst P. Pütz, eine forschungsbibliografisch orientierte Bestandsauf- nahme mit dem Versuch, die Übermittlungs- bzw. Bearbei- tungsgeschichte der Thidrekssaga aus zum Teil beschränken- den Perspektiven aufzuhellen, sowohl manche wohlwollende Rezension als auch berechtigte Detailkritik hervorgerufen. 4 Seinen Beitrag aufgreifend hat sich Hermann Reichert mit Heime in Wilten und in der Thidrekssaga [1994] um eine sachthematische Nachbetrachtung, Aufarbeitung und Emenda- tion von stoffgeschichtlichen und forschungsrelevanten Zu- sammenhängen bemüht. Wie er einleitend zur Quellenproble- matik feststellt, sind die übergeordneten Fragen, um derent- willen die Klosterepisode meist behandelt wird, die nach dem Entstehungsort und der Entstehungsart der Thidrekssaga [...] [1994:503]. Die in diesem Fragen- und Antwortkomplex unterzubringen- den Erkenntnisse müssen mit dem Überlieferungs- bzw. Ver- mittlungstypus ihres Quellenmaterials im Einklang stehen. Da ein nicht unerheblicher Teil der Fachwissenschaft von einem zunehmend diskutierten Großwerk als schriftliche Vorlage der altnordischen und altschwedischen Handschriften ausgeht, kommt vor allem der Analyse und Interpretation des Kloster- berichts der Thidrekssaga eine besondere Bedeutung zu. In- soweit muss auch das mit mediävalem Literaturverständnis korrelierende sophistische Verhältnis zwischen Autor und Werk beachtet werden. Zum Kontext des Heime-Ludwig- Berichts gibt Hermann Reichert zu bedenken, dass die Person, die die Klosterepisode in die Thidrekssaga einführte [...] sogar dieselbe Person gewesen sein könnte, die Wedinghau- sen in die Thidrekssaga einführte. Gegenüber Pütz nennt er die für uns an Wahrscheinlichkeit gewinnende Alternative, wonach der maßgeblich beteiligte Thidrekssaga-Scriptor eine Erzählung von Heime, die bereits in Wedinghausen spielte und gar keine Kuttenfarbe enthielt, nach einem letztlich romanischen Werk über einen Helden, von dem Ähnliches mit Nennung der Farbe erzählt wurde, bear- beitet und ergänzt. Das kann auch in Norwegen gesche- hen sein [1994:508]. Demnach besteht nur zum Teil eine fakultative Übereinstim- mung mit Wisniewski [1961:266]. Hier muss im Weiteren mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass sich der Adressant eines Berichts mit bestimmten Ver- mittlungswerten seiner Quelle identifiziert, in die Handlungs- ebene einsteigt und somit – beispiels- und vorzugsweise zur Hinterlegung seines literarischen Autogramms – an inhaltli- cher Darstellung partizipiert. Ein Beispiel aus der Vorstufen- diskussion zur oberdeutschen Stoffverarbeitung anführend hat der Verfasser auf die dahingehend zu interpretieren versuchte Gestalt Pilgrim der mhd. Nibelungendichtung aufmerksam gemacht [2005:177]. Allerdings bedienen sich nicht nur poe- siereiche Stoffumsetzungen des Erzählungsmittels eines zu- meist bereuenden, zum vorgenannten wie mutmaßlich zu sehenden Fallbeispiel werkschöpferischen Klosterdaseins, das hier mit einem untadelig agierenden Würdenträger verbunden ist. So begegnet uns der „moniage“ auch in historischen Herr- scher-Vitae, antiquarischen und mittelalterlichen Chroniken und Historiografien. In der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts verarbeitet Ulrich von Türheim Le moniage Rainouart und Le moniage Guil- laume, diesen als seinen Willehalm. Doch im Gegensatz zur eher antiquarischen Berichtstilistik der kopistischen Hand- schriften der Thidrekssaga ist Türheims Werk als literarchro- nologisch gut nachvollziehbares Beispiel von schöpferisch anreichernder Quellenverarbeitung anzuführen. Wie uns bei weitem aber nicht nur Türheim verdeutlicht, kommt dem Klostergang des Protagonisten für die epische Vollendung

Document1

Embed Size (px)

DESCRIPTION

sobre el NIBELUNGENLIED

Citation preview

Page 1: Document1

urn:nbn:de:0233-2009033115

1

Rolf Badenhausen

Wadhincúsan, monasterium Ludewici Zur Ludwig-Signatur der Thidrekssaga

In der Chronik des westfälischen Klosters Wedinghausen steht zu lesen:

um 1220: Klosterschreiber Ludowicus schreibt eine

prächtige Bibel und verfasst die „Heime-Erzählung“, ein Bestandteil der Thidreks-Saga.1

Roswitha Wisniewski erkennt in diesem Scriptor den nieder-deutschen Verfasser einer chronistischen Überlieferung, die als Hauptvorlage der Thidrekssaga ins Altnorwegische über-tragen worden sein soll [1961:261f.]. Die daraus abgeleitete Folgerung auf ein vorherrschend übersetzerisches Großwerk harmoniert mit später vorgelegten und hier nicht weiter beglei-teten Forschungsbeiträgen, die aufgrund nicht vernachlässig-barer Indizien von einer umfassenden niederdeutschen und von dort aus schriftgelehrter Feder stammenden Quelle der Thidrekssaga ausgehen.2 Zu deren Vermittlungsintention haben jedoch weder fachwissenschaftliche Betrachtungen noch die Germanistin Wisniewski eine überzeugende Begrün-dung vorbringen können, mit der die von ihr detektierte Groß-vorlage aus literartypologisch nachweisbarem chronistischen Milieu vor dem Hintergrund oder gar anhand oberdeutscher Reimdichtung als pseudohistorisches Falsifikat automatisiert bzw. postuliert werden darf.3 Mit diesem Beitrag soll vielmehr der Frage nachgegangen werden, ob nach dem Klosterbericht der Thidrekssaga und neben einer noch zu interpretierenden Ortung des offenbar westfälischen Stifts im Land der „Lungbarden“ Heimes Klos-ter Wadhincúsan als Entstehungsort der Haupt- und Großquel-le der Thidrekssaga erhärtet werden kann. Seit Jacob Grimm haben sich F. J. Mone, die beiden Textüber-setzer F. H. von der Hagen und August Raszmann, Ferdinand Holthausen, Carl Brestowsky und andere Forscher, darunter auch der Arnsberger Philologe Norbert Höing, in abweichen-den Fokussierungs- und Bewertungstiefen mit Lokalisierungen des in der Thidrekssaga an später Stelle genannten Klosters Wadhincúsan befasst. Aus jüngeren Veröffentlichungen hat Heimes Klosterepisode nach den Vorstellungen von Horst P. Pütz, eine forschungsbibliografisch orientierte Bestandsauf-nahme mit dem Versuch, die Übermittlungs- bzw. Bearbei-tungsgeschichte der Thidrekssaga aus zum Teil beschränken-den Perspektiven aufzuhellen, sowohl manche wohlwollende Rezension als auch berechtigte Detailkritik hervorgerufen.4 Seinen Beitrag aufgreifend hat sich Hermann Reichert mit Heime in Wilten und in der Thidrekssaga [1994] um eine sachthematische Nachbetrachtung, Aufarbeitung und Emenda-tion von stoffgeschichtlichen und forschungsrelevanten Zu-sammenhängen bemüht. Wie er einleitend zur Quellenproble-matik feststellt, sind die übergeordneten Fragen, um derent-willen die Klosterepisode meist behandelt wird, die nach dem Entstehungsort und der Entstehungsart der Thidrekssaga [...] [1994:503].

Die in diesem Fragen- und Antwortkomplex unterzubringen-den Erkenntnisse müssen mit dem Überlieferungs- bzw. Ver-mittlungstypus ihres Quellenmaterials im Einklang stehen. Da ein nicht unerheblicher Teil der Fachwissenschaft von einem zunehmend diskutierten Großwerk als schriftliche Vorlage der altnordischen und altschwedischen Handschriften ausgeht, kommt vor allem der Analyse und Interpretation des Kloster-berichts der Thidrekssaga eine besondere Bedeutung zu. In-soweit muss auch das mit mediävalem Literaturverständnis korrelierende sophistische Verhältnis zwischen Autor und Werk beachtet werden. Zum Kontext des Heime-Ludwig-Berichts gibt Hermann Reichert zu bedenken, dass die Person, die die Klosterepisode in die Thidrekssaga einführte [...] sogar dieselbe Person gewesen sein könnte, die Wedinghau-sen in die Thidrekssaga einführte. Gegenüber Pütz nennt er die für uns an Wahrscheinlichkeit gewinnende Alternative, wonach der maßgeblich beteiligte Thidrekssaga-Scriptor

eine Erzählung von Heime, die bereits in Wedinghausen spielte und gar keine Kuttenfarbe enthielt, nach einem letztlich romanischen Werk über einen Helden, von dem Ähnliches mit Nennung der Farbe erzählt wurde, bear-beitet und ergänzt. Das kann auch in Norwegen gesche-hen sein [1994:508].

Demnach besteht nur zum Teil eine fakultative Übereinstim-mung mit Wisniewski [1961:266]. Hier muss im Weiteren mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass sich der Adressant eines Berichts mit bestimmten Ver-mittlungswerten seiner Quelle identifiziert, in die Handlungs-ebene einsteigt und somit – beispiels- und vorzugsweise zur Hinterlegung seines literarischen Autogramms – an inhaltli-cher Darstellung partizipiert. Ein Beispiel aus der Vorstufen-diskussion zur oberdeutschen Stoffverarbeitung anführend hat der Verfasser auf die dahingehend zu interpretieren versuchte Gestalt Pilgrim der mhd. Nibelungendichtung aufmerksam gemacht [2005:177]. Allerdings bedienen sich nicht nur poe-siereiche Stoffumsetzungen des Erzählungsmittels eines zu-meist bereuenden, zum vorgenannten wie mutmaßlich zu sehenden Fallbeispiel werkschöpferischen Klosterdaseins, das hier mit einem untadelig agierenden Würdenträger verbunden ist. So begegnet uns der „moniage“ auch in historischen Herr-scher-Vitae, antiquarischen und mittelalterlichen Chroniken und Historiografien. In der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts verarbeitet Ulrich von Türheim Le moniage Rainouart und Le moniage Guil-laume, diesen als seinen Willehalm. Doch im Gegensatz zur eher antiquarischen Berichtstilistik der kopistischen Hand-schriften der Thidrekssaga ist Türheims Werk als literarchro-nologisch gut nachvollziehbares Beispiel von schöpferisch anreichernder Quellenverarbeitung anzuführen. Wie uns bei weitem aber nicht nur Türheim verdeutlicht, kommt dem Klostergang des Protagonisten für die epische Vollendung

Page 2: Document1

Rolf Badenhausen Wadhincúsan, monasterium Ludewici • Zur Ludwig-Signatur der Thidrekssaga

2

seiner Vita eine zweifellos besondere moralische Aussagekraft zu. Für unseren Kontext muss allerdings auch der nicht unprob-lematische, weil hier vor allem geschichtliche Faktenlagen tangierende Umgang mit dem zur Buße auferlegten Klosterda-sein in historiografisch ambitionierten Überlieferungen mitge-sehen werden. So zählen die Verfasser von z. B. der Kaiser-chronik und der hier noch zu betrachtenden Chronicon Nova-liciense zu den Berichterstattern, die von scheinbar wirklichen Klostergängen auch anderenorts bekannter Herrschergestalten wissen wollen und die conversio ihrer Protagonisten im gene-rellen (und somit im Einzelnen noch zu differenzierenden) Zusammenhang mit „geschichtlicher“ bzw. „chronistischer“ Begebenheit sehen. Der Heime-Ludwig-Moniage als Erzählschluss der Thidrekssaga? Corinna Biesterfeldt hat sich mit dem literarischen Stellenwert des Klostergangs in seiner Bedeutung als Erzählschluss an der prekären Grenze zwischen fiktiv gebundener Textwelt und realer Lebenswelt der Rezipienten näher befasst und hierzu fünf Werke unterschiedlicher Gattungszugehörigkeit herange-zogen [2004]. Anhand von Kaiserchronik, König Rother, Orendel, Barlaam und Josaphat (nach Rudolf von Ems) und dem Prosa-Lancelot gelangt sie zu der Erkenntnis, dass der ‚moniage’ [...] als strukturell bedeutsamer, inhaltlich werten-der Fluchtpunkt auf die zentralen Themen welthaltigen Erzäh-lens antwortet. Wenn sie weiter folgert, dass Erzählen von Herrschaft und Erzählen von der Beziehung zum Du sich mit dem geistlichen Schlussbaustein zu einer charakteristischen Synthese verbinden, die dem Rezipienten als letzte Aussage gültig im Gedächtnis bleibt, dann wird im Kontext des Heime-Ludwig-Berichts noch besonders zu hinterfragen sein, ob diese Aussage das Erzählen von der Beziehung zum philologi-schen Ich als Autor und Adressant einschließen darf. Der somit auch an der Thidrekssaga zu untersuchende literari-sche „moniage“, eine altfranzösische Wortschöpfung aus dem griechisch-lateinischen monachus, bezeichnet den Eintritt in ein dem Rezipienten (dem Hörer und/oder Leser) zugänglich gemachtes Klosterleben, also „Mönchwerdung“ und „Mönch-dasein“. Wenngleich bereits einige Autoren antiquarischer Überlieferungen diese conversio in erzählungsinstrumentaler Funktion verwenden, erlangte der Moniage-Schluss in mittel-hochdeutscher Epik besondere narrative Tragkraft. Wie sich an charakteristischen Beispielen aus solchem Milieu aufzeigen lässt, ist planungssystematisches Vollendungsbestreben des Adressanten für die Vita seines Protagonisten hier deutlich zu erkennen. In den von Biesterfeldt quellenanalytisch herange-zogenen Literaturkomplex fallen jedoch nicht nur die von ihr dezidiert betrachteten fünf Werke, sondern neben Türheims schöpferischer Bearbeitung von Guillaume d’Orange aus dem chanson-de-geste-Bereich z. B. auch Wolfdietrich (D), Etzen-bachs Wilhelm von Wenden, der Anfang bis Mitte des 14. Jahrhunderts datierte Arme Heinrich nach Hartmut von Aue. Wollte man für den Zeitraum des 12. und 13. Jahrhunderts auch mittelniederdeutsche Autoren heranziehen, könnte der von Roswitha Wisniewski im Soester Umfeld lokalisierte Chronist als Vorlagengeber für die Thidrekssaga in Erwägung gezogen, zumindest aber deren altnordische Übermittlung wegen der conversio des Heime-Ludwig näher untersucht werden.

Im Gegensatz zur Moniage-Konzeption von z. B. dem Prosa-Lancelot beansprucht der Wadhincúsan-Bericht über König Dietrichs Gefolgsmann Heime offenbar nicht einen der Kom-plexität und „Sinn gebender Konsequenz“ des Werkganzen genügenden Erzählschluss. Auch die facta mit ficta amalgamierende Kaiserchronik zeigt gegenüber dem Heime-Ludwig-Bericht eine deutlich zu unterscheidende Moniage-Intention, die der Autor vom Reimepos als heilsgeschichtliche bedeutsame Haltepunkte im kontextuellen Rahmen eines nach göttlichem Plan beständig voranschreitenden Verlaufs verfolgt, um Hörern und Lesern die auf Künftiges vorausweisende Sinnhaftigkeit des Weltengangs evident zu machen [2004:148].

Der grundlegende Unterschied zwischen dem Moniage-Einsatz der Thidrekssaga und den in den vorgenannten Bei-spielen enthaltenen conversio-Erzählungen besteht vielmehr darin, dass letztere mit besonderem erzählstrategischen Kon-zept – so zum Teil unschwer nachweisbarem „entrelacement“ – den Klostergang im dominierenden Umfeld christlicher bzw. theologischer Frage- und Moralstellungen thematisieren und auf diese Weise sowohl für den Protagonisten als auch Rezi-pienten zu einer konsequenten Schlusslösung gelangen. Misst man die Heime-Ludwig-conversio der Thidrekssaga an diesen Kriterien, dann kommt man leicht auf disparate Folgerungen. Eine auf ihren Moniage abzielende Entwicklung anhand von Heimes Profil und Wirken, der seinen Zorn über die schmach-volle Vertreibung seines Königs an den Liegenschaften vom Landvolk eines gnadenlos vorgegangenen Despoten abreagiert – welcher längst unter intrigantem Einfluss seines Ratgebers und zuletzt offenbar kurzzeitigen Nachfolgers drei männliche Thronfolger beseitigen ließ –, scheint in solchem Kontext vielleicht noch vereinbar.5 Nichtsdestoweniger wirkt der Heime-Ludwig-Bericht eher post scriptum eingefügt. Nach erzählungstypologischen Kriterien wird er aber kaum als moralgeschichtlich kennzeichnender Schlusspunkt der Thidrekssaga eingefordert werden können. Hierfür spricht vor allem das Vorgehen des Adressanten, eine deutliche Abgren-zung in Form einer reconversio vorgenommen zu haben. Mit diesem Konzept, hier durch Dietrichs Einwirken auf Heime und dessen Wiedereintritt in ein schändliches weltliches Le-ben, kann nicht mehr von einem Moniage als repräsentativ tragfähiger Erzählschluss des Werkganzen die Rede sein. Insofern wird noch zu hinterfragen sein, ob der Adressant der Heime-Ludwig-conversio andere und in diesem Fall offen-sichtlich überlagerte Sinngebung(en) beabsichtigt.

Der Vilhjálmr-Moniage der Karlamagnús saga Zum altnordischen Überlieferungskomplex des 13. Jahrhun-derts wird insbesondere auf eine rezeptive Affinität zwischen Thidrekssaga und Karlamagnús saga hingewiesen. Nach deren B/ß-Fassung befindet sich der Vilhjálmr-Moniage in der IX. und somit vorletzten Branche. Allerdings lässt sich nach dem verfügbaren Handschriftenbestand eine chronologische Abhängigkeit des Heime-Moniage von dem des Vilhjálmr (Wilhelm) nicht herausfiltern.6 Ausschlaggebend sind hier weniger nur zum Teil vergleichbare ideelle Überschneidungen – die im Rahmen einer conversio eines erfahrenen weltlichen und somit vorweg zu misstrauenden mächtigen Kämpen ohne-hin zu erwarten sind – als vielmehr und in der Hauptsache handlungsmotivische Schwerpunkte, die gesamtkontextuell jedoch erheblich divergierenden Sinngebungskonzepten unter-liegen. Im Übrigen bietet auch das historische und geografi-sche Umfeld, so jenes Kloster Gellone von dessen Gründer

Page 3: Document1

Rolf Badenhausen Wadhincúsan, monasterium Ludewici • Zur Ludwig-Signatur der Thidrekssaga

3

Wilhelm von Aquitanien, keine greifbare Analogie zur Wad-hincúsan-conversio. Im Gegensatz zu Karls Gefolgsmann Wilhelm wird Heime von seinen Mitbrüdern unterstützt. Man beachte aber die abwei-sende Ignoranz des Klostervorstehers, als sich Heime zur Rettung des Stifts gegen Aspilan rüsten will und in entschei-dender Weise nur mit Erkenntnis und Hilfe seiner zunächst erschrocken reagierenden Klostergenossen seine Waffen wiedererlangt. Angst vor Existenzverlust stärkt hier die Brü-dergemeinschaft. Der Sieg über die Bedrohung beschert Hei-me, der fortan seine Klosterregel nach wie vor halten und somit nicht von seinen Mitbrüdern ausgegrenzt werden kann, einen „ausnehmenden Empfang“. Eine weitere und durchaus Beachtung verdienende Diskrepanz zeigt sich in der Vermö-genslage und späteren Situation der Klöster. Das Stift Wad-hincúsan wächst durch Heimes Eintritt „lediglich“ zu großer Zierde heran7 und wird schließlich und nur nach der Thidreks-saga unter dem Einfluss vom weltlichen Dienstherrn des Pro-tagonisten der Grund zu dessen Zerstörung sein. Nach dem Verlassen des Klosters erhält Heime von seinem König „ein reiches Lehen“, wogegen Wilhelm jedoch ein Eremitendasein beschieden ist. Auch die Todesschicksale sind inkongruent: Während der Landesherrscher zu Ehren Wilhelms dessen würdevolle Bestattung arrangieren sowie eine Kirche errichten lässt, stirbt Heime bei dem Versuch, ein riesiges Vermögen von einem Gegner zu holen, der ihm weit überlegen ist und ihn tödlich verwundet. Das Motiv des teuflischen Dietrich zur Sühne an diesen Widersacher lässt sich mit seiner Gier nach Schatzung relativieren, für die er wohl auch sein Leben lassen will . Für einen Kriegszug gegen einen Heidenführer und Gegner seines Gebieters, wie ihn Wilhelm nach seinem Klos-teraufenthalt siegreich führt, wird man schwerlich eine über-zeugende inhaltliche Parallele zu Heime konstruieren können. Man vergleiche aber den hier nicht weiter verfolgten Protago-nisten von Wolfdietrich (D), der wie Wilhelm in seinem Mo-niage dazu berufen wird, einen Heideneinfall niederzuschla-gen. Eine gleichwohl m. E. zu konzedierende Übereinstim-mung besteht in der Beziehung des Gefolgsmanns zu seinem Herrn. Beide Herrscher suchen nach ihrem Getreuen, was allerdings wegen „rühmlicher Verbreitung von Heimes großer Tat“ nicht außergewöhnlich, sondern eher konsequent und verständlich erscheint. Noch bemerkenswert ist ein Passus, wonach der Held seinem Gebieter in Verkleidung begegnet (so Wilhelm) bzw. ihn mit vorsätzlich verstellendem Auftritt vorführt (so Heime). Dies mag auf eine teilrezeptive, also zumindest dieses Erzählmuster verwertende Stoffverarbeitung hindeuten.

Die Chronicon Novaliciense Partiell relevante Analogien zur Wadhincúsan-conversio lassen sich in der auf Anfang bis Mitte des 11. Jahrhunderts datierten oberitalienischen Chronicon Novaliciense feststellen. Eine besonders markante Parallele zwischen ihrem Waltharius und Heime formt sich aus der Kräftigung des zu schwachen Streitrosses für den Kampfeinsatz. Allerdings fehlt hier die vom Protagonisten der Thidrekssaga mit „durchschlagender Hand“ gemachte „Rossprobe“. Waltharius, Sohn des Königs von Aquitanien, fasst den Entschluss, seine Sünden in einem besonders streng geführten Kloster abzubüßen. Nach einer Odyssee erreicht er das Novaleser Kloster. Dessen Chronist zitiert zwar seine Vita nach dem Waltharius, kennt aber nicht die Abweichungen, die aus der Walter-Darstellung der Thidrekssaga folgen. Das heroische Wirken des in Piemont wirkenden Protagonisten wird mit der Erzählung verdeutlicht,

dass er dem Kloster zustehende, jedoch von Handlangern des Königs geraubte Zuweisungen wiederbeschafft haben und noch später das Stift dreimal gegen Heidenüberfälle verteidigt haben soll. Der Angabe, dass dieser Walter für sich und seinen Enkel, Abkömmling eines Sohnes seiner Gefährtin Hildegund, ein Felsengrab anlegte, ist eine chronistische Bezeugungsfor-mel beigefügt: Die Gebeine der darin Begrabenen will der Verfasser gesehen haben.8 Im Gegensatz zu Heime in Wad-hincúsan verlässt Waltharius jedoch nicht mehr das Novaleser Kloster, in/an dem er bis zu seinem Lebensende wirkt. Das literarische Ranking dieses Waltharius wird auch dahin-gehend auf den Punkt gebracht, dass der Novaleser Chronist dessen Tradition lediglich „paraphrasiert“. Ogier Eine Moniage-Tradition dieses Dänenhelden begegnet uns in Alexander Neckam’s De naturis rerum, ein wahrscheinlich um 1180 abgeschlossenes naturwissenschaftliches Werk. Wie der bereits erwähnte Wilhelm zählt auch Ogier zum Über-lieferungsbestand der Karlamagnús saga und somit zum Sagenkreis um Karl den Großen. Allerdings bezieht sich dieser Quellenkomplex, so einschließlich der Chanson de geste Chevalerie Ogier, nicht auf seinen Moniage. Vereinzelt geäußerte Vorbehalte gegenüber seiner faktisch glaubwürdi-gen Identität reichen von bezweifelter nationaler Zugehörig-keit – er wird als Sohn des um 800 gegen einfallende Franken kämpfenden Dänenkönigs Gudfrid überliefert – bis zu einem legendären Kampf gegen die Sarazenen an der Seite von Karl dem Großen, worin Ogier einen Riesen namens Brehus er-schlagen haben soll. In den Kontext des Klosterberichts der Thidrekssaga fällt insbesondere der von Neckam überlieferte Moniage des Ogier im Kloster Meaux, Departement Seine-et-Loire. Die hier mit Heimes prüfendem Vorgehen auffällig synchron verlaufende „Rossprobe“ dürfte der Verfasser der Heime-Ludwig-conversio weitergereicht haben.

Für die überlieferungsgeschichtlich geprägte und in diesem Fall sicher nicht vollkommen erfassbare Perspektive auf re-zeptive Abhängigkeiten der Heime-Ludwig-Erzählung könnte vorläufig postuliert werden, dass die noch zu erkundende besondere Botschaft des Wadhincúsan-Berichts eher nicht beeinflusst werden würde.

„Heimo“ zu Kloster Wilten In der Mitte des 13. Jahrhunderts in Norddeutschland abge-schlossenen Chronik Annales Stadenses, abgefasst von Abt Albert von Stade, wird das Grab eines offenbar riesenwüchsi-gen Heymo zu Kloster Wilten bei Innsbruck beschrieben. Der Gründungszeitpunkt dieses Prämonstratenser-Stifts sowie die Erwähnung des Grabes vom Klosterbruder „Heymo“ am Altar der Wiltener Stiftskirche lassen darauf schließen, dass eine archaische Fassung der bis gegen Ende des 16. Jahrhunderts in zwei Überlieferungssträngen vorliegenden und zu diesem Zeitpunkt zusammengefassten Wiltener Klostergründungssage bereits seit der Entstehungszeit dieser Niederlassung im Um-lauf war. Die greifbar früheste urkundliche Überlieferung über das Prämonstratenser-Stift berichtet auf das Jahr 1138 von dessen Einsetzung in Amtsführung von Bischof Reginbert von Brixen, wogegen ein von J. J. Jezl hergestellter Kupferstich (1677) jene dem Gründungsmythos huldigende Signatur

Page 4: Document1

Rolf Badenhausen Wadhincúsan, monasterium Ludewici • Zur Ludwig-Signatur der Thidrekssaga

4

Haymon Fundator Monasterii Wilthinensis, obiit Anno D. 878 führt. Nach den Forschungen des Wiltener Abts Heinrich Schuler soll ein vorausgegangener erster Kirchenbau ein vergleichsweise kleineres Holzgebäude hervorgebracht haben, das von Hütten in schlichter Ausführung umgeben war, den vermutlich ersten Klostereinheiten. Damit ließe sich das Vor-handensein einer kirchlich-klösterlichen Niederlassung in bereits karolingischer bis frühottonischer Zeit folgern. Man wird zum Kontext der Thidrekssaga von einer disponier-ten Beziehung zwischen der Wiltener Klosterlegende und dem Heime-Ludwig-Bericht ausgehen können. Nach der von Franz Joseph Mone Zur Geschichte der teutschen Heldensage zitier-ten ältesten Verschriftlichung der Wiltener Tradition soll Heimo entweder aus Welschland oder, „wie andere meinen“, vom Rhein gekommen sein. Allerdings stimmt das Wappen dieses Heimo, der einen weißen Querbalken ohne Pferde-Insignie in seinem schlichten grünen und somit leicht kon-struierbaren Schild führt, nicht mit der Heraldik des nieder-deutschen Heime der Thidrekssaga überein. Vielmehr werden Heimos Kämpfe gegen den Riesen Thyrsus9 und einen Gold hütenden Silldrachen, einen Lindwurm, der ganz im Interesse des Leibhaftigen die dennoch gelingende Fertigstellung des Klosters verhindern sollte, zum einen mit unberechenbarer Naturgewalt und wertvollen Bodenschätzen sowie zum ande-ren (nach einer Gelehrtendeutung im 17. Jahrhundert) mit der Verdrängung der heimischen rätoromanischen Bevölkerung (= Thyrsus) durch im 6. Jahrhundert einfallende Bajuwaren (= Heimo) ausgelegt. Daneben besteht noch eine obstinate Über-lieferung, die Heimo, Haymo oder Haymon als einen Gaugra-fen identifiziert, der im Streit seinen Grenznachbar im Ober-inntal erschlagen haben soll und zur Sühne dieser Tat das Kloster stiften musste. Das Öffnen der mutmaßlichen klöster-lich-kirchlichen Gruft des Heimo im 17. Jahrhundert brachte zwar keinerlei weitere Erkenntnisse,10 wohl aber wegen gra-bungsstatischer Wagnisse den Glockenturm der ebenfalls dem Hl. Laurentius gewidmeten Stiftskirche zum Einsturz. Mit zeitkritischem Blick auf die ober- und niederdeutsche Überlieferungslage – Abt Albert datiert seine Wilten-Nennung bzw. den expliziten Enspruc-Eintrag auf 1151 – dürfte der Verfasser vom Wadhincúsan-Moniage ein supplementäres Muster für seinen Protagonisten aus der Wiltener Gründungs-sage rezipiert und somit für Dietrichs Gefolgsmann in sein Kloster an der Ruhr transferiert haben. Da auch sein Heime bzw. „Ludwig“ einen siegreichen Kampf gegen einen Riesen führt, darf sehr wohl angenommen werden, dass über den Kenntnisstand des Benediktiners und späteren Minoriten Albert von Stade bereits hinausgehende Detailkenntnisse über die Wiltener Tradition im nord- bzw. niederdeutschen Raum gegen Ende des 12. bis spätestens Mitte des 13. Jahrhunderts verfügbar waren. Diese Auffassung stützt sich auf die in geist-lichem Schrifttum bewahrten und verbreiteten Ordensge-schichten und -chroniken, die nicht zuletzt auf Informations-austausch bei Pilgerfahrten und Reisen zur Literaturbeschaf-fung zurückgehen dürften. Aus literarchronologischen Erwä-gungen wird man der Wiltener Tradition insoweit einen auffälligen motivischen Stellenwert für den erstverant-wortlichen Verfasser/Bearbeiter der Heime-Ludwig-conversio zubilligen können/müssen, der wegen seiner außergewöhnlichen Berichtgebung und offensichtlichen Urheberfunktion zumindest für diesen besonderen Teil des Gesamtwerks wohl nicht in Altnorwegen verortet werden muss. Auch dieser zum hochmittelalterlichen Transfer von vorherrschend verschriftlichten Traditionen beispielhaft zu sehende Kontext lässt auf eine überaus dynamische okzidentale Erstverbreitung mediävaler Literatur schließen.11

Der Heime-Ludwig-Bericht in nonkonformistischer Bedeutung

„Autorgramm“ der Thidrekssaga? Treffen nach den bislang vorliegenden stoffanalytischen Er-kenntnissen die Leser/Hörer der Thidrekssaga eher unvorbe-reitet auf die Botschaft der Heime-Ludwig-conversio, die somit ihren Anspruch auf Abgrenzung von den übrigen Be-richten anmeldet? Will das Werkganze, das sich ansonsten erkennbar um ein zeitgeschichtliches Kontinuum von und um Dietrichs Vita bemüht, uns einen Part vor Augen führen, der in offensichtlich mehrschichtiger Sinngebung ein zeitgenössi-sches Umfeld des im Kloster Wedinghausen schreibenden und auf diese Weise seine Signatur hinterlassenden Ludewicus emittieren soll?12 Roswitha Wisniewski vermerkt zur Quellenlage und Bearbei-tungshistoriografie der chronistischen Vorlage der Thidreks-saga:

Als Entstehungsort wird man zunächst Soest vermuten. Soest ist der entscheidende Schauplatz des Geschehens, der Chronist war mit der Soester Lokaltradition be-kannt. Es ist sehr naheliegend anzunehmen, daß der Verfasser der Chronik ein Soester war, der für Soester schrieb, wahrscheinlich in der Blütezeit der Stadt, als sie Residenz des Kölner Erzbischofs Philipp von Heins-berg (1167–91) war. Als Hansestadt hatte Soest Bezie-hungen zu den nordischen Handelszentren, so daß gar keine Schwierigkeit besteht, sich vorzustellen, daß eine Soester Chronik nach Bergen, dem vermutlichen Entste-hungsort der Ths., gelangte. [1961:261]

Sie erkennt mit ihrem lediglich beispielartigen Hinweis auf die Novaleser Geistlichenchronik, dass

in diesen conversio-Erzählungen noch einmal eindring-lich deutlich wird, wie die „weltliche“ Heldensage durch die kirchliche Sichtweise von Chronisten verän-dert werden kann [a.a.O., S. 262]

und folgert schließlich S. 264 zur niederdeutschen Verfasser-frage der Thidrekssaga, dass

[...] daher der Gedanke nahe liegt, daß ein Wedinghau-sener Mönch nicht nur der Verfasser der Erzählung von Heimes Klosterleben war, sondern auch der Verfasser der ganzen Chronik oder Historia, die der Saga als Vor-lage diente. So wie der Novaleser Mönch die Geschichte seines Klosters durch die conversio des Waltharius be-reichern konnte, so konnte der Wedinghausener Mönch sein Kloster in einer Episode seines Werkes „mitspielen lassen“.

Wadhincúsan im Zeitbild von Wedinghausen

Aus verfügbaren Aufzeichnungen geht hervor, dass Kloster Wedinghausen bereits kurze Zeit nach seiner Gründung einen weit reichenden Ruf als Scriptorium erlangte. Nach den Anga-ben von Caesarius von Heisterbach verfasste der aus England stammende Schreiber Richard hier sein Werk über die Heilige Ursula und die Elftausend Kölner Jungfrauen, und auch hier, in einer literarischen Metropole des hochmittelalterlichen Niederdeutschlands, starb Richard um 1190. Noch auf das 14. Jahrhundert datieren Quellen einen rector scholarum.

Page 5: Document1

Rolf Badenhausen Wadhincúsan, monasterium Ludewici • Zur Ludwig-Signatur der Thidrekssaga

5

Bild 1. Stift Wedinghausen 2008. Das hinter den Bäumen befind-liche Gebäude (links) gehört nicht zur Klosteranlage

Wir entnehmen dem Wadhincúsan-Moniage, dass Heime als weltlicher Erwachsener, nach den vorausgegangenen Berich-ten wohl längst im letzten Drittel seines Lebens, eine Aufnah-me in eine Klostergemeinschaft begehrt, die ihn – nach vielen Ordensregeln jedoch keineswegs selbstverständlich – nach offenbar gewissenhaftem Abwiegen des Für und Wider auf-nimmt. Tatsächlich war Wedinghausen die einzigste Prä-monstratenser-Niederlassung in Westfalen, die auch Nichtade-lige als consversi ihrer Gemeinschaft zuführte. Heinrich I. von Arnsberg, dem als Buße für sein mörderisches Vorgehen gegen den eigenen Bruder die Gründung des Stifts Weding-hausen auferlegt worden war, trat später (an seinem Lebens-ende) in dieses Kloster ein.

Bild 2. Die Klosterkirche des Stifts Wedinghausen wurde im 19. Jahrhundert umbenannt in die Propsteikirche St. Laurentius.

Das Kloster Wadhincúsan war offensichtlich nicht Not lei-dend, obwohl natürlich davon ausgegangen werden muss, dass es immer eine willkommene zweckdienliche Verwendung für einzubringende Vermögenswerte in nachfolgend geistlicher Verantwortung geben wird. Hier entscheidet der Abt als Klos-tervorsteher über Heime und sein Vermögen. Zwar wurde das Kloster Wedinghausen in seiner Anfangszeit von Pröpsten geleitet, jedoch von ca. 1185 bis 1220 von Äbten geführt. Nachfolgend wurden wiederum Pröpste als Vorsteher einge-setzt, ab 1518 waren erneut Äbte mit der Leitung des Stifts beauftragt.13 Aus westfälischen Urkunden geht außerdem hervor, dass Anfang des 13. Jahrhunderts das Kloster wohlha-bend genug war, um selbst Güter zu erwerben.

Bild 3. Westansicht der Wedinghausener Propsteikirche.

Nachdem nun Heime als Bruder „Ludwig“ dem Kloster einige Zeit diente, ist von einer massiven Bedrohung die Rede, denn da war auch reiches Landgut, welches den Mönchen gehör-te.14 Auch das Kloster Wedinghausen hat vor allem in der zweiten Hälfte und gegen Ende des 12. Jahrhunderts politische Unruhen und Umbrüche überleben müssen: Heinrich der Löwe und die Bischöfe von Köln, Münster, Paderborn und Minden gehen massiv gegen Heinrich I. von Arnsberg vor. Arnold von Isenburg, der Vater Dietrichs III. von Altena-Isenburg, führt aus Habsucht viele Fehden mit einflussreichen Verwandten und Nachbarn und gerät dabei in tiefe Verschul-dung. Sein Sohn Dietrich III. ist zu dieser Zeit Probst zu Soest und Xanten (1196–1218), dann Bischof von Münster (1218–1226). Wenn dessen diözesaner Scriptor Ludewicus die zeit-geschichtlichen Bedrohungen seines Heimatraums und Klos-tersitzes für ein mit dem Heime-Ludwig-Moniage weiterge-reichtes Innuendo transponieren wollte, dann hätten dieser Dietrich zumindest in rein namentlicher Assoziation, wohl aber die beiden kriegerischen „Heim–riche“ Anspruch auf inspirative Patenschaft.15

Insofern mag also durchaus eine Gelegenheit für den Weding-hausener Scriptor bestanden haben, die auch sein Kloster bedrohenden politischen Auseinandersetzungen für seinen Wadhincúsan-Bericht unter dem vermenschlichten Oberbeg-riff Aspilan zusammenzufassen.16

Aus dem Dialog zwischen dem Abt und dem zum Kampf gegen diesen „Riesen“ bereiten Bruder „Ludwig“ – streng genommen hat Heime seine Identität bei seinem Klostereintritt abgelegt – liegt eine besondere Übereinstimmung mit lokalen baugeschichtlichen Zusammenhängen vor. Auf „Ludwigs“ Frage, wo sich sein Schwert und Heerkleid befinden, antwor-tet der Abt:

„Dein Schwert kannst du nicht mehr erhalten; es ist zerhauen und zu Türbändern des Münsters verarbeitet, und deine übrige Rüstung ist auf dem Markte verkauft zum Besten des Klosters.“

Page 6: Document1

Rolf Badenhausen Wadhincúsan, monasterium Ludewici • Zur Ludwig-Signatur der Thidrekssaga

6

Bild 4.

Denkmal des Klostergründers in der Wedinghausener Propsteikir-che.

Wortlaut der Inschrift:

B. HENRiCVS

Ex COMiTE ARNS= BER-GENSi, FVNDATOR

ET COMES MONAS

WEDINGHUSANi.

In beiden Fällen darf sich vor nur wenig langer Zeit die Klos-terkirche im Aufbau befunden haben. Wie aus den überliefer-ten Dialogen bald hervorgeht, irrt sich der Abt zwei Mal im Gespräch mit „Ludwig“, und zwar nicht nur über den Verbleib von dessen Schwert und Rüstung, sondern auch über das Schicksal vom Pferd unseres Helden. Doch die dem Abt un-terstehenden Klosterbrüder wissen es besser – eine nebenbei untergeschobene Vorgesetztenkritik?

Bild 5. Das Arnsberger Klosterstift Wedinghausen im ersten Viertel des 13. Jhs. nach einem Rekonstruktionsmodell von Egbert Harbert.

Interessant scheint eine altnordische Bemerkung über „Lud-wigs“ Kampf gegen Aspilan: „segia Þyðersk kvæði“. Da hier-über dem Verfasser eine bereits bestandene und hinreichend parallele deutsche Tradition bibliografisch unbekannt ist, mag sich der altnordische Bearbeiter über einen Erzählungsteil gewundert haben, der wohl nur in seiner zu übertragenden Vorlage gestanden haben dürfte. Eine möglicherweise subtil verkleidete Analogie aus dem Wedinghausener Milieu konn-te/musste dieser Redaktor nicht erkennen und so dürfte er lediglich – sofern er die Wiltener Klostersage über Heime nicht assoziieren konnte (!) – auf das ihm von der Heime-

Ludwig-conversio erstmalig angebotene Riesenkampf-Lied geschlossen haben. Die handschriftlichen Beschreibungen von „Ludwigs“ siegrei-chem Kampf gegen eine riesige lokale und in diesem Fall personalisierte Bedrohung weisen eine bemerkenswerte Über-einstimmung mit der Arnsberger Topologie und Wedinghau-sener Klosteranlage auf [1961:263].17 In den Zusammenhang von Autorenumfeld und Autorensignatur der Thidrekssaga stellt Roswitha Wisniewski eine namensurkundliche Untersu-chung mittelalterlich-westfälischer Zertifikate von Ferdinand Holthausen. Sie schreibt: Auffällig ist auch, daß in Holthau-sens Zusammenstellung der Heldennamen aus westfälischen Urkunden von 799–1290 weitaus die meisten Nachweise aus Arnsberger und Soester Urkunden des 13. Jahrhunderts stammen, a.a.O. Seite 266.18 Wie sie auf gleicher Seite mit Helmut de Boors Beitrag über Die Kultur Skandinaviens darauf hinweist, konnte/durfte der altnorwegische Bearbeiter seinen übertragenden Spielraum mit einem schwarzen statt weißen Habit für Heime-Ludwig erweitern: Prämonstratenser und Zisterzienser haben in Norwegen nicht recht Fuß fassen können. Es gab nur zwei unbedeutende Prämonstraten-serklöster im Süden des Landes, die dänischem Einfluß zu-neigten.19 In seiner sorgfältigen Bestandsaufnahme des zeit- und ortsge-schichtlichen Umfelds vom Wedinghausener Scriptor „Lud-wig“ ergänzt Norbert Höing [1988:67f.] zum „Kuttenprob-lem“:

Der Erklärungen für diese Ungereimtheit gibt es mehre-re. In Norwegen sind nur 2 Prämonstratenser-Klöster gegründet worden: Tönsberg um 1190 und Dragsmark um 1240. Sie lagen südlich bzw. östlich von Oslo, also im Osten des Landes, weit entfernt von der Stadt Ber-gen, die im äußersten Westen liegt. Die beiden Klöster waren im 13. Jh., z. Z. der Entstehung der ältesten Handschrift der Thidrekssaga, eben erst entstanden, demzufolge noch wenig bekannt und sind immer unbe-deutend geblieben. Der Schreiber der Handschrift (um 1260) und ganz bestimmt der vielleicht noch ältere Ver-fasser der Thidrekssaga konnten also kaum den Orden mit dem weißen Habit kennen. Für sie waren die Mön-che schwarz gekleidet, wie man es von den Benedikti-nern gewohnt war [...] Hinzu kommt noch, daß mögli-cherweise in der Heime-Geschichte, wie sie eventuell in Wedinghausen entstanden ist, gar keine Farbangabe über die Mönchskutte gestanden, vielmehr der Verfasser oder Schreiber der Thidrekssaga in Norwegen die „schwarze“ Farbe hinzugefügt hat.

Auch folgende Tatsache könnte eine Erklärung sein. Die einzelnen Klöster des Prämonstratenser-Ordens waren früher sehr selbständig und frei in der Gestaltung ihres klösterlichen Lebens. Der Generalabt in Prémontré hatte, vor allem in den ersten Jahrhunderten (12./13. Jh.), nur geringen Einfluß. Ludger Horstkötter, selbst Prämonstratenser, sagt in seinem Aufsatz „Die Prämonstratenser in Westfalen“, der 1982 erschien: „Kein Prämonstratenser-Kloster gleicht dem anderen: weder in der Tagesordnung, noch in der Gestaltung der Liturgie, der Aufgabenstellung, K le i d u n g , Lebensfüh-rung und Ausbildung seiner Mitglieder ...“ Auch die Tatsache, daß der Klostervorsteher in den meisten deut-schen Prämonstratenser-Klöstern bis ins 16. Jh. hinein Propst hieß, während das Gründungskloster Prémontré und demgemäß die meisten Klöster in den übrigen Län-dern einen Abt hatten (s. o.), ist ein Zeichen für diese

Page 7: Document1

Rolf Badenhausen Wadhincúsan, monasterium Ludewici • Zur Ludwig-Signatur der Thidrekssaga

7

Selbständigkeit. – Von den Prämonstratenserinnen in Rumbeck und Oelinghausen wissen wir übrigens, daß sie sich bis zur Mitte des 17. Jhs. bzw. bis 1480 in der Ordenstracht von den anderen Klöstern unterschieden. Bis dahin trugen sie einen „dunkelfarbigen Rock mit leinenem Oberwurf, dazu eine schwarze Haube mit sei-denen Bändern, die bis auf die Hüften herabfielen.“

Demnach fragt Höing also zu Recht:

Wäre es da nicht möglich, daß man in Wedinghausen in der ersten Zeit ein „schwarzes Habit“ hatte? Wir wissen über die Kleidung in Wedinghausen in den ersten Jahr-hunderten nichts.

Noch hervorzuheben ist Höings Hinweis, dass in den ersten Jahrzehnten nach Gründung des Klosters die hl. Maria die eigentliche Patronin der Kirche verkörperte und hier erst später (im 19. Jh.) der hl. Laurentius hervortrat. So beschwört auch im Wadhincúsan-Bericht der Abt gegenüber Heime, dass hier das Gut verwahrt wird, welches Sancta Maria und Gott gehört. Auch das Niederbrennen von Wadhincúsan, hier nun wegen seiner Weigerung, Schatzung an den Landesmächtigen zu entrichten, fügt sich als Motivsegment in das literarische Autogramm des Wedinghausener Scriptors Ludewicus, der die Folgen des verheerenden Kloster- und Kirchenbrandes von 1210 aus nächster Nähe zu spüren, zumindest aber wohl zu sehen bekommen hat. Insoweit mag er dieses für manchen Klosterbruder sicher traumatisierende Ereignis erzählungsin-haltlich verarbeitet haben. In interpretatorischer Hinsicht bleibt jedoch offen, ob für diese Katastrophe – falls z. B. ein fahrlässiger Kerzenumgang ausscheiden sollte – ein alteinge-sessener Kirchen- bzw. Stiftangehöriger verantwortlich war. Damit dürfte zugleich feststehen, dass der Wedinghausener Schreiber seinen in den Handschriften bewahrten Beitrag, darin jener geschickt von sich zu weisende „Selbstpasquill“,20 wohl kaum vor 1210 abgefasst haben wird. Aus der Weding-hausener Chronik geht hervor, dass sich der Wiederaufbau Propsteikirche Jahrzehnte hinzog. Im Jahr 1254 wurde der in frühgotischem Stil ausgeführte Chorraum vollendet, das Hauptschiff erst um 1350.

Nach der ältesten verfügbaren Handschrift erschlägt Heime den Abt und alle Klosterbrüder, bevor er das Kloster ausraubt und schließlich in Brand setzt. Die jüngere altnordische bzw. isländische Handschrift A will dagegen bessern und schreibt, dass König Dietrich das Kloster in Asche legte und alles Gut in seine Schatzkammer brachte.

Bild 6.

Hochmittelalterliches Brandstiftungsmotiv im Sauerland-Museum Arnsberg.

Heime in „Lungbardenland“ – zur geografischen Vermittlungsschicht

Ineinander greifende Hauptkolorite der Wedinghausener Berichttektonik sind zum einen die vom ordensgeistlichen Adressanten vorgenommene lokale Selbstidentifizierung und zum anderen die mit überregionaler ordensgeschichtlicher Rezeption in Verbindung zu bringende Heimo-Wilten-Legende, die als Modulationskomponente für eine spannende und wohl auch von westfälischer Zeitgeschichte inspirierten Darstellung nicht übersehen werden darf.

Bild 7.

Kupferstich aus dem Jahr 1669 von Christoph Metzger.

Nord-Süd-Panorama (v.l.n.r.) von Arnsberg mit einer Teilan-sicht der schmalen Wedinghau-sener Ruhrinsel – nach dem Heime-Ludwig-Bericht der sich anbietende Austragungsort des Kampfes gegen Aspilan.

Das ebenfalls in dieser Westan-sicht aufgenommene Arnsberg von Merians Zeichner weist ein Gräberfeld im Kirchhof aus.

Page 8: Document1

Rolf Badenhausen Wadhincúsan, monasterium Ludewici • Zur Ludwig-Signatur der Thidrekssaga

8

Wir lesen in der mit Ritter-Schaumburgs Anmerkungen verse-henen Neuausgabe der Thidrekssaga [10] über das Reich des Wadhincúsan bedrohenden Aspilan, dass der Riese manche Güter hatte in diesem Lande der Langbarden (A/B 430). In Endnote 146 zu diesem ethnologischen Terminus heißt es: Nordisch: Lungbarde. Hier merkt Ritter-Schaumburg an, dass von der Hagen im Text Lombardei setzt. Die Veror-tungsproblematik dieses Lumberdi wird allerdings auch von anderen Berichtkontexten verdeutlicht. So entnehmen wir Mb_415 und dem inhaltlich konformen Kapitel 357 der alt-schwedischen Texte ein Raumgefüge, wo Didrik und Hilde-brand sich christianisieren ließen und das ganze Reich, das zu Rom gehörte und Lumberdi und manch anderes Land. Nach der Berichtchronologie soll zu dieser Zeit – d. h. nach dem Fall der Niflungen – König Dietrich das Reich vom Huna-land-König Aktilius (vgl. altschw. Handschriften) übernom-men haben; vgl. mit Ritter-Schaumburgs Zeitstellung der Thidrekssaga die Frankenexpansion des 6. Jahrhunderts. Bereits an früherer Stelle liefert Mb 275 (Erschlagung von Ake d. Ä.) den Hinweis, dass man in Langbardenland zuerst vom Tod des Harlungenfürsten zu berichten wusste – nach Ritter-Schaumburgs revidierter Geografie ein durchaus berechtigter Hinweis des Scriptors auf seinen bis in rheinische Gebiete reichenden Aufzeichnungsraum. Zu denken gibt uns außerdem und insbesondere Mb 287: Hildebrand reitet mit einer offen-sichtlich zu verstärkenden Schar von Mitstreitern zunächst von Dietrichs Sitz ins Langbardenland, dann zur Mundia21 und von dort in das Reich Ermenriks (vgl. „Amelungenland“ nach Mb 284), um ihn hier mit Vergeltungszügen zu schädi-gen. Insofern müsste Langbardenland im niederrheinischen Raum verortet werden. Dieser zunächst irritierende Terminus kann nach den übrigen Vermittlungskontexten nur auf einer besonderen geografischen Vorstellung früher Berichterstat-tung beruhen, die einen Übertragungs- bzw. Bearbeitungsfeh-ler eines ähnlich klingenden Raumbegriffs in bzw. aus dem Quellenmaterial der Thidrekssaga am wahrscheinlichsten macht.

Für alle oben genannten Textstellen folgen nur dann geo- und handlungsstrategisch schlüssige Berichtzusammenhänge, wenn sich Lumberdi auf oder bis in den nieder- und ostrheini-schen Raum erstreckt.22.1 Wie es in dem noch folgenden und Heimes Klostergang vorangestellten Bericht heißt, führt er seine guerillataktisch anmutenden Vorstöße gegen die nun-mehr zu Ermenriks Reich gehörenden Amelungen bzw. Öm-lungen aus einem offenbar sicheren Rückzugsbereich.22.2 Von dort bzw. aus seinem Aktionsraum führt sein Weg schließlich zu einem Kloster, das im Handlungskontext zu einem eher unfernen Lumberdi–Lungbardi gehören darf. Ritter-Schaumburg setzt in Sv 377 seiner deutschen Übersetzung der altschwedischen Texte an Wadhinkusan Endnote 114 und schreibt unter dieser: [...] Nicht Wedinghausen, das in ganz anderem Raum liegt – eine Angabe, die sich bei einer bemer-kenswert hohen Aufklärungsquote von rund 99% aller Ortsre-gistereinträge von [10] offenbar bestreiten lässt. (Siehe auch das vom Verfasser aktualisierte Glossar [16].) Nach seiner anderenorts mehrfach zitierten Deutung, hier um einen stim-migen Gesamtzusammenhang mit Heimes Wadhincúsan-Bericht anhand der ansonsten folgerichtigen Erkenntnis be-müht, dass hier Späteres eingemischt ist, stellt Ritter-Schaumburg ein seit vorkarolingischer Zeit ostfränkisches Territorium zur Disposition: Hier gibt es nun ebenfalls ein Kloster ähnlichen Namens, nämlich Wadingozzan, heute Wadgassen an der Saar. Auch Wadgassen war Prämonstra-tenser-Abtei [1982:303]. Villa Vadegozzinga zu Wadgassen wird 902 als fränkischer Königshof bezeugt, die Prämonstra-tenser-Abtei 1135 von einem Saarbrücker Grafengeschlecht gegründet. Somit gab es scheinbar einen hinreichenden asso-ziativen Auslöser für den in Wadhincúsan-Wedinghausen postulierten Scriptor und Ordensgeistlichen, sein Kloster für die Beziehung zum literarischen Ich als Autor und Adressant in Heimes letztbekannten Handlungsraum zu verlegen und somit seine Signatur in das Großwerk einzufügen. Zum ande-ren sollte jedoch nicht übersehen werden, dass der völkisch-geografische Terminus Lungbardi sehr wohl als rezeptive und von der legendären Gründungstradition der Prämonstratenser-Abtei Wilten mitgeformte Modulationsgröße erscheinen darf.

Bild 8.

Thidrekssaga-Geografie: Eifelraum, Sauer-land, Bergisches Land.

In dem 136 Einträge umfassenden geogra-fischen Register von [10] befinden sich auf S. 802 unter dem Anfangsbuchstaben L nur die Einträge Langobardenland, Lombardei, Lungbardenland und Lurwald in seiner Bedeutung für das Sauerland und (z. T.) Bergische Land. Die zitierten nordischen Schreibweisen zum letztgenannten Termi-nus weisen jedoch erhebliche Freiheitsgra-de in der Stockholmer Fassung (Mb) und den isländischen Handschriften auf:Lur(n)val(l)d, Latalduv, Lutumalld, Lutu-val(l)d, Lutuwal(l)d, Lyraval(l)d. Mb und die altschwedische Dietrich-Chronik be-vorzugen das Wortpräfix Lyr.

Aus der von einem Übersetzer bzw. Text-bearbeiter unverstandenen Schreibweise Lurnvald–Lyrvald konnte relativ leicht auf Lumbald geschlossen und schließlich als Lumbard–Lombard missverstanden wer-den. Das Suffix -val(l)d bzw. -wal(l)d weist eindeutig auf deutsches Vokabular hin.

Page 9: Document1

Rolf Badenhausen Wadhincúsan, monasterium Ludewici • Zur Ludwig-Signatur der Thidrekssaga

9

So wird man zur altnordischen Übertragung und Deutung unklarer bzw. linguistisch fraglicher geografischer Quellen-termini den historischen Stellenwert dieser romanischen Regi-on mitsehen müssen:

Bereits vor Beginn des 6. Jahrhunderts hielten die Langobarden („Langbarden“) das Gebiet an der mittleren Donau (heute Nie-derösterreich), überquerten dann Drau und Save, um nach der Jahrhundertmitte sowohl weiter südliche (bis an Dalmatien gren-zende) als auch südwestliche Gebiete in Besitz zu nehmen. Hier erobert der Langobardenführer Alboin 569 die Po-Ebene und trägt in entscheidendem Maß zur Gründung der italienischen Lombardei bzw. „Lombardia“ bei. Diese musste sich erst 754 und hier ebenfalls den Franken unter Pippin durch Reichsaufteilung beugen.i (Das Gebiet zwischen den Apenninen und dem unteren Po ging als jene wohlbekannte historische Schenkung an den Papst.) Rund zwei Jahrzehnte später übernahm die expansive Machtpolitik Karl des Großen das Langobardenreich, und noch bis ins Hochmittelalter sollten die bedeutendsten politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen in diesem Teil von Italien fallen.

Dieser Kontext legt entweder schlichte Verwechselung oder eine rezeptive Angleichung nahe, womit das ungeläufigere niederdeutsche Toponym ausschied. Hierdurch schrumpfte für die auswärtigen bzw. weiter nördlich ansässigen Scriptoren der altnordischen und altschwedischen Handschriften die geografisch-literarische Distanz zwischen niederdeutscher Handlungsebene, dem Wiltener Heime-Motiv sowie jener „hippokryphen Stoffanreicherung“ aus der Chronicon Novali-ciense auf ein zusammenhängendes Lumberdi–Lungbardi. Und sie durften den südlichen Komplementär des niederdeut-schen Heime deswegen – und streng genommen nur deswegen – aus der souveränen Feder des niederdeutschen Verfassers des Heime-Ludwig-Berichts weiterreichen, weil dessen erzäh-lungsintegrative Wadhincúsan-Signatur ohnehin einer Zeit-transformation bedurfte.23 Ritter-Schaumburg hat zur räumlichen Identifizierung von Lumberdi – Lungbardi auf das zu seiner geschichtlichen Bedeutung sicher fragliche Lampaden bei Trier hingewiesen. Für diesen Kontext dürfte allerdings unzweifelhaft feststehen, dass ein ereignisgeschichtlich zu kreditierender Heime weder zwischen Rhein und Weser noch im Mosel-Saar-Raum des 6. Jahrhunderts auf ein zu Wadhincúsan phonetisch bzw. linguis-tisch ähnlich lautendes Kloster treffen konnte. Dies ist hier jedoch nicht der entscheidende Punkt. Vielmehr bilden die später in Heimes umfassendem, jedoch auch zu differenzie-rendem Handlungsraum errichteten Prämonstratenser-Abteien den Schaltimpuls für den Link des Scriptors auf den Heime-Ludwig-Moniage. Und wie sich zeigt, moduliert er mit un-schwer erkennbaren Zutaten aus zwei südlichen Klostertradi-tionen seine Erzählung zum literarischen Ich.

Zusammenfassung Nach handschriftlich überlieferten Zusammenhängen darf aus Lumberdi – und dies zeigt die übersetzerische Variantenbreite von Lur(n)vald – ein altnordisch unverstandener geografischer Quellenterminus gefolgert werden. Dieser konnte mit einem assoziativen Stellenwert zwar leicht, aber entgegen den Be-richten der Thidrekssaga – wegen einer daraus übereinstim-mend erschließbaren westfälischen Raumentsprechung für das Kloster Wadhincúsan – durch jene oberitalienische Bezugs-größe fehlinterpretierend ersetzt sowie mit anderen und ledig-

i Bereits um 530–540 zählten die Quellenregionen von Rhein und Inn zu fränkischen Erwerbungen.

lich teilrezeptiv gewürdigten Quellen synonymisiert werden. Somit besteht kein überzeugender Anlass, einen niedergerma-nisch verwurzelten Heime, der noch aus anderen und von der Thidrekssaga wohl kaum abhängigen nordischen Überliefe-rungen hervorgeht, aus dem von Ritter-Schaumburg aufge-zeigten Vermittlungskorpus herauszulösen und anhand der Heime-Ludwig-Berichtintention die archaischen Haupt- und Teilkomponenten der „Saga“ in den romanischen Bereich zu verlegen.24 Daneben wurde kein fundiert unterlegter Einwand gegen die von Ritter-Schaumburg aufgezeigte große Stimmig-keit der Thidrekssaga-Geografie [Wisniewski 1990] vorge-bracht, der den interpretatorischen und insoweit auch raum-zeitlichen Überlieferungskomplex mittelalterlicher Ge-schichtsschreibung in Frage stellen würde. Es lässt sich vielmehr resümieren, dass die Heime-Ludwig-conversio die Thidrekssaga aus ihrem chronikalischen bzw. historiografischen Genre nicht herauslösen kann. Wie weitere und hier nicht zu verfolgende Untersuchungen aufzeigen, kann eine pseudohistorische Vermittlungsintention der altnor-dischen und altschwedischen Handschriften am fragmenta-risch vorliegenden Geschichtsbild des 5. und 6. Jahrhunderts im Wertungspotenzial und Selbstverständnis mediävistischer Chronistik jedoch nicht evident gemacht werden.25 Noch einzugehen ist auf die typologische Erzählsituation des Verfassers vom Heime-Ludwig-Bericht. Scheinbar ohne Ein-schränkungen fügt er einen neuen Schauplatz in seine Überlie-ferung ein, nimmt mit einer Raum-Zeit-Transformation Ein-fluss auf die chronologische Abfolge von Berichten. Er verän-dert und lenkt die Protagonisten seiner Erzählung, macht von der Möglichkeit Gebrauch, seine Figuren zu kontrastieren und zu polarisieren, führt Heime und selbst Dietrich von Bern augenscheinlich neuer zielgerichteter Bestimmung zu. All dies weist deutlich auf auktorialen Typus hin. Gegen diesen Gestus spräche der Auftritt des pseudonymen Ludwig – der auf Er-zählungsebene bzw. „in dargestellter Wahrheit“ aber Heime ist – als besondere Andeutung des Berichtverfassers der Thidrekssaga, wodurch dieser, wie man zunächst folgern könnte, seine epische Distanz zu dieser speziellen Episode formell aufgeben würde. Im Interesse des Adressanten wird man jedoch einräumen müssen, dass nach seinem Wissen diese Identifizierung nur einer verhältnismäßig kleinen zeitge-nössischen Lesergruppe gelingen dürfte. Demnach liegt einer-seits eine eingeschränkte auktoriale Erzählsituation, anderer-seits und insofern ein erzählerischer Mischtypus aus Außen- und Innenperspektive vor. Nur in dieser komplexen Erzähl-struktur der Heime-Ludwig-conversio kann die Signatur ihres Verfassers nachgewiesen werden, der Heime sehr wohl als Reflektorfigur verwendet, um auch aus milieuspezifischer interner Perspektive zu berichten. Aus dieser anteiligen Er-zählsituation soll/kann die Involvierung bzw. der persönliche Stellenwert des Erzählers allenfalls indirekt hervorgehen. Insoweit besteht eine beabsichtigte Überschneidung mit den Weltenebenen des Erzählers und seiner Bezugsgestalt, aus der ein personaler Gestus zur Hinterlegung der Verfassersignatur zu deduzieren ist. Die conversio und reconversio zu Wadhincúsan, „Heimes verdientes Schicksal“ und Dietrichs Rache für seinen Tod stehen in einem so deutlichen motivischen Kontext zum Dä-mon Thidreks, dass von einer Konzeptumsetzung aus solitärer Feder ausgegangen werden darf. Nach diesen letzten Berich-ten der Thidrekssaga bestehen Verfügungspotenzial und litera-rische Autorität über einen Vermittlungsstoff, die die Kompe-tenz des Moniage-Verfassers jedoch nicht nur für den Schluss-teil der Thidrekssaga nahe legen. Sein besonderer sowie auch

Page 10: Document1

Rolf Badenhausen Wadhincúsan, monasterium Ludewici • Zur Ludwig-Signatur der Thidrekssaga

10

auf andere Berichtteile abgestimmter Eingriff in das Stoffge-füge dieser Überlieferung ist weniger in Altnorwegen als vielmehr in Wedinghausen plausibel zu machen.26 Mit jenem Dialog zu Kloster Wadhincúsan, der auf Heimes anfänglicher Weigerung folgt, sich Dietrich von Bern erkennen zu geben, belegt der Verfasser dieses Berichts an mehreren Beispielen sein Wissen über weite Teile des Gesamtwerks.

Wenn der von Wisniewski identifizierte Wedinghausener Bibelscriptor seine Visitenkarte im geografisch-historischen Kontext auch auf andere Überlieferungsteile der Thidrekssaga gelegt haben wollte, müsste das von Ritter-Schaumburg loka-lisierte „Babilonia“ als sicher trefflichstes Synonym für jenes nachrömisch rheinische Sündenbabel – die Kölner Colonia – konzediert werden.27 Im textstilistisch korrespondierenden Konzept erscheint vor allem König Dietrichs Entrückungstod als Überlieferungsschluss im Tenor kirchlich-chronistischer Tradition: Wieder ist hier, wie auch sonst nur im Wadhincú-san-Bericht, von Anrufung der Schutzheiligen Maria die Rede. Wie Helmut Voigt diesen Kontext in seinem Nachwort zur Thule-Neuauflage von Fine Erichsens Übersetzung ohne vernichtende Kritik quellenkritisch berücksichtigt, hat bereits J. J. A. A. Frantzen die heroische Weltgeschichte um Dietrichs Zentralgestalt (so Heinrich Hempel) mit einer lateinischen Dietrich-Chronik als prosaische Kernvorlage der altnordischen Textzeugnisse alternativ zur Disposition gestellt.28

Im offensichtlich kompensatorischen Interesse gegenüber einem traditionsreichen nordisch-heidnischen Stoffzyklus verortet der Verfasser des Detleif-Berichts den Heimatort von Biterolfs Sohn und Dietrichs Gefolgsmann ausgerechnet dort, wo 1155 ein Kloster entstanden war, das von Prämonstraten-sermönchen betrieben wurde (vgl. Sv 114 bzw. Mb 111). Doch woher sollte ein Bergenser Klosterschreiber nicht nur die ortsgeschichtlichen Soester und Wedinghausener Details, sondern auch die mit frühen Thidrekssaga-Berichten geliefer-ten Einzelheiten kennen – jene besonderen Denkmäler wie z. B. die nachweislichen Saurier- bzw. „Großtier“-Spuren am Osning und wiederum Detleifs besondere Verknüpfung mit einem solchen „Fil “, dem sonst nur noch im Wadhincúsan-Bericht eine Rolle beschieden ist?29 Auch wenn ein norwegi-scher Scriptor auf eine erschöpfende literarische und geografi-sche Exkursion in den niederdeutschen Raum entsendet wor-den wäre, dann müsste eine plausible Begründung gefunden werden, warum die älteste verfügbare Handschrift der Thidrekssaga nicht von überwiegend singulärer Feder, son-dern von einer auffallenden Anzahl unterschiedlicher Scripto-ren abgefasst wurde. Eine Folgerung, die auch hier auf Priori-tätsfindung aus höheren und niedrigeren Wahrscheinlichkeiten basieren muss, kann nur in der Form überzeugen, dass in kritischem Forschungskonsens die Thidrekssaga – am an-schaulichen Beispiel der Stockholmer Handschrift aus einem zwar dynamischen, eingeführten Quellenstoff aber auch sinn-gemäß bewahrenden Milieu – auf eine im Wesentlichen weit-gehend übersetzerische sowie aus zeiteffizienten Gründen auf mehrere Schreiber verteilte Übertragung ihres verschollenen Großwerks in Form eines chronistischen, zumindest historio-grafischen Geschichtsbands basieren wird.30 Vor allem aber wird man für eine Kontraposition gegenüber diesem berechtigten Postulat anhand literaturgeschichtlicher Maßstäbe und Grunderkenntnisse aus der Mediävistik nicht plausibel machen können, dass sich ein im Textumfang einer zweibändigen Bibelausgabe befassender Scriptor für seine Auftragsarbeit lediglich auf den Heime-Ludwig-Part der Thidrekssaga beschränkt haben sollte.

Bild 9. Als Schöpfer einer um 1220 in Wedinghausen abgefass-ten Handschrift des Alten Testaments, koloriert mit über 60 aufwendig gestalteten Initialen, zeichnet Ludewicus sein Werk gemäß Ausg. Bd. I (Darmstädter Hs. 48): Hunc pro peccatis librum scripsit lodhewicus. Ars bona scriptorum labor ingens nobile lucrum.31 Auf die unschwer erkennbare Analogie im ers-ten Satz muss für unseren Kontext, der Heime-Ludwig-conversio, nicht weiter aufmerksam gemacht werden.

Soweit aus den ersten uns bekannten Verarbeitungen von Quellenmaterial nachweislich fremdländischer Herkunft für die expandierende heimische Literatur unter Norwegens Großkönig Hákon IV. hervorgeht, haben die in seiner Regent-schaft tätigen Schriftgelehrten um jenen Abt und Bruder Róbert den vorzugsweise bewerteten „Herrscher- und Gefolgetopos 1+12“ aus importierter Literatur entnommen. Die Thidrekssaga und ihre zu fordernde Großvorlage betreffend finden wir jedoch nirgends einen faktischen Nachweis für die vor allem auf „rezeptionsästhetische Lernfähigkeit“ bauende Mutmaßung, dass ein zeitgenössisches altnordisches Scriptorium das sophistische, nach inhaltlichen Kriterien sicherlich sowohl detaillierte regionalliterarische als auch planungssystematische Kenntnisse erfordernde Vermittlungskonzept für den Heldenkreis um Dietrich von Bern eigenverantwortlich aus der Taufe gehoben haben soll.32 Zur Leitfigur der Thidrekssaga, die insbesondere nach ihren letzten Kapiteln in kaum zu übersehender Darstellung den besitzgierigen, dämonischen Antipoden zum biblischen Apos-telführer etabliert, noch unter Hinweis auf die Titelgestalt der aus importiertem Stoffangebot weitgehend übersetzerisch übertragenen Karlamagnús saga:

Man könnte sowohl für Karl als auch für Theode-rich/Dietrich von einem ‚architektonischen Zitat’ aus-gehen [...] Neben dieser typologischen Stilisierung be-deutsamer Herrschergestalten zum Rex Christus und ih-rer zwölf Getreuen zu den Aposteln kennt die Bibel und in ihrer Auslegung auch die patristische Tradition zu-dem allgemeinere Bedeutungen der Zahl Zwölf, die möglicherweise als Vorstellungshintergrund für die lite-rarische Verwendung des Zwölferbundes in der Þiðreks saga und Karlamagnús saga dienen können. Augustinus etwa deutet in seiner Auslegung von Mt 19,28/Lc 22,30 [...] die Zwölfzahl dahingehend, daß sie „hier nicht wörtlich zu nehmen, sondern als Zeichen einer Fülle von Erwählten zu verstehen“ sei. Als verdoppelte Sechs-zahl steht die Zahl Zwölf im Alten Testament bisweilen auch für Vollkommenheit und Fülle oder wird in der Bi-bel allgemeiner auch bereits „als stellvertretendes Zei-chen des Ganzen, der Gesamtheit verstanden“. Diese allgemeinere Bedeutung der Zahl Zwölf als der um eine charismatische Gestalt gescharte Gruppe von Erwählten mag ebenfalls auf den Charakter der Dietrichs- und Karls-Runde zutreffen. (S. Kramarz-Bein 2002:140; zu dieser Quelle und „Dietrichs Zwölfzahl“ siehe u. a. [15].)

Page 11: Document1

Rolf Badenhausen Wadhincúsan, monasterium Ludewici • Zur Ludwig-Signatur der Thidrekssaga

11

Trotz abweichender Raum- und Zeitorientierungen an inso-weit inkongruenten Themenkreisen folgt der erzählstilistische Typus der Thidrekssaga nicht unwesentlich jener grundsätzli-chen Gestaltungsmethodik, die u. a. in der Historia Brittonum wiederzufinden ist. David R. Howlett erkennt in der mehrfach edierten insularen Überlieferung a work of architectonic genius making use of the sophisticated 'Biblical style' in its construction (zit. [4], S. 236). Wie die oben zitierte Autorin weiter feststellt, ist wie im Fall des Moniage das Entscheidende hier aber wiederum der makrostrukturelle Kontext, der Karlamagnús saga und Þiðreks saga als kompositionell und kontextuell eng zusammengehörig erscheinen lässt. Bedeutsam an dem Moniage-Thema der Karlamagnús saga und Þiðreks saga ist, daß es in beiden Fällen in die jeweilige Alters- bzw. Todessequenz eingefügt wird und im noch größeren Zusammenhang des Heldenbun-des um Karl und Dietrich steht (a. a. O. Seite 151). Allerdings wird nicht nur von dieser Autorin ein überzeugungsfähiger Indizienkontext vermisst, der Inhalt und Struktur der Thidrekssaga als eine im Wesentlichen altnordische Eigenleis-tung glauben macht. Nach paläografischen Kriterien für das scheinbar hybride Gebilde Thidrekssaga, vor allem zum Gebietertopos 1+12 entwickelt und ausgelegt von alt- und neuphilologisch-protektionistischer Hybris, darf die Quelle ihrer Handschriften jedoch nicht in die Nähe des Wedinghausener Bibelscriptors gerückt werden.

Quellen und Literaturhinweise Stoffgeschichte Thidrekssaga:

[1] Wisniewski, Roswitha: Die Darstellung des Niflunge-nunterganges in der Thidrekssaga; Hermaea Bd. 9, Max Niemeyer, Tübingen 1961.

[2] Reichert, Hermann: Heime in Wilten und in der Thidrekssaga. In: Studien zum Altgermanischen. Festschr. f. Heinrich Beck. Hg. H. Uecker (Ergänzungs-bände zum Reallexikon der Germanischen Altertums-kunde 11), Berlin 1994, S. 503–512.

[3] Biesterfeldt, Corinna: Moniage – Der Rückzug aus der Welt als Erzählschluß; Hirzel, Stuttgart 2004.

[4] Badenhausen, Rolf: Sage und Wirklichkeit. Dietrich von Bern und die Nibelungen; Verlag Monsenstein und Van-nerdat, Münster 2007.

[5] Badenhausen, Rolf: Die Mosel im Licht der Thidrekssa-ga und Dietrich-Chronik http://www.badenhausen.net/harz/svava/Thidrekssaga-Mosel.pdf

[6] Badenhausen, Rolf: Zur Transmission der Thidrekssaga und Didrikskrönikan; http://www.badenhausen.net/harz/svava/Transmission_Sv.htm

[7] Badenhausen, Rolf: Dietrich von Bern – Chronik oder Dichtung? http://www.badenhausen.net/harz/svava/Wadhincusan.htm

[8] Badenhausen, Rolf: Die Nibelungen – Dichtung und Wahrheit; Verlag Monsenstein und Vannerdat, Münster 2005.

[9] Ritter-Schaumburg, Heinz: Dietrich von Bern; Herbig, München 1982.

[10] von der Hagen, Friedrich Heinrich: Die Thidrekssaga; Bd. I u. II, Otto Reichl – Der Leuchter 1989.

[11] Wisniewski, Roswitha: Wohin zogen die Nibelungen wirklich? Zum Stand der Nibelungenforschung; Eigen-

druck v. Europa-Institut der Universität des Saarlandes, Saarbrücken, 1990.

[12] Badenhausen, Rolf: Zur Schuldfrage von „Attila“ und Grimhild, Atli und Gudrun http://www.badenhausen.net/harz/svava/GrimhildsRache.htm

[13] Erichsen, Fine: Die Geschichte Thidreks von Bern; Eugen Diederichs Verlag, Düsseldorf–Köln 1967.

[14] Frantzen, J. J. A. A.: Über den Stil der Þiðrekssaga; Neophilologus 1916 (Johnson Reprint Corp. 1963), S. 196–209.

[15] Badenhausen, Rolf: Zwölf um Dietrich von Bern – Hel-denphysiognomie aus der Retorte? http://www.badenhausen.net/harz/svava/ZwoelfumDietrichvonBern.htm

[16] Geografisches Glossar Thidrekssaga: http://www.badenhausen.net/harz/svava/ThsGlossary.htm

[17] Badenhausen, Rolf: THEUDERICH I. Vita Rex Franco-rum. http://www.badenhausen.net/rolf-badenhausen/Theuderich_I.pdf

[18] Badenhausen, Rolf: Merovingians by the Svava http://www.badenhausen.net/harz/svava/MerovingSvava.htm

[19] Vitt, Helmut G.: Wieland der Schmied; ‚verlag die wie-landschmiede’, Kreuztal, 1985.

Stift Wedinghausen:

• Baugeschichte der Abteikirche Wedinghausen, der heu-tigen Propsteikirche Arnsberg; in: Die Propsteikirche in Arnsberg; Arnsberg 1951.

• Die Baudenkmäler der Stadt Arnsberg, 1980–1990; Arnsberg, 1990.

• Féaux de Lacroix, Felix: Geschichte Arnsbergs. Arns-berg, 1895; Nachdruck Werl 1983.

• Gosmann, Michael: Die Arnsberger Prämonstraten-serklöster Wedinghausen, Oelinghausen und Rumbeck; in: Sauerland 2/2006.

• Höing, Norbert: Klosterschreiber Ludovicus von We-dinghausen (1210/36) und die Thidrekssaga; in: Arns-bergs Alte Schriften; Strobel-Verlag, Arnsberg, 1988, S. 63–68 (ISBN 3-87793-022-0).

• Höing, Norbert: Das Kloster Wedinghausen; in: 750 Jahre Arnsberg. Zur Geschichte der Stadt und ihrer Bür-ger; Arnsberg, 1989.

Stift Wilten:

• Heider, Gustav (Hg.): Jahrbuch der Kaiserlich-Königlichen Central-Commission zur Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale; Band IV., Wien 1860.

• Gamper, Hans: Wilten in der Sage; in: Wilten – Nordti-rols älteste Kulturstätte, Vlg. Hans Bator Bd. I, 1924.

• Stebich, Max: Alpensagen; Vlg. Julius Breitschopf, Wien 1958.

Abbildungsnachweise

Bild 1 Verfasserfoto. Bild 2 Verfasserfoto. Bild 3 Verfasserfoto. Bild 4 Verfasserfoto. Bild 5 Sauerland-Museum Arnsberg/Verfasserfoto. Bild 6 Sauerland-Museum Arnsberg/Verfasserfoto. Bild 7 Sauerland-Museum Arnsberg/Grafikrepro. Bild 8 Verfasser (nach Angaben von H. Ritter-Schaumburg). Bild 9 Hessische Landes- u. Hochschulbibliothek Darmstadt.

Page 12: Document1

Rolf Badenhausen Wadhincúsan, monasterium Ludewici • Zur Ludwig-Signatur der Thidrekssaga

12

Endnoten

1 http://www.kloster-wedinghausen.de/geschichte/chronik.html [Okt.2008]. 2 Mit einer textkritischen Stoffanalyse der Thidrekssaga (darunter Untersuchungen ihrer generellen Berichtstilistik, ihrer Syntax, ihres personellen, ethnologischen und geografischen Vokabulars) kann eine originäre altnorwegische Sagenkompilation von maß-geblich volksprachlichen bzw. mündlichen Quellen weder erwie-sen noch anhand eines leichtgläubig herangezogenen „Sagamann-Prologs“ (Sammlungsbestand jüngere A/B-Handschriften) plausi-bel gemacht werden. Siehe hierzu u. a. Dietrich Hofmann sowie andere nicht überzeugend argumentierende Analysten, die etwa wegen Fehlens einer umfassenden mittelniederdeutschen Schrift-quelle chronistischer oder historiografischer Art eine adäquate verschollene Großvorlage der verfügbaren altnordischen Hand-schriften kategorisch ausschließen und insofern deren quelltextli-che Hinweise auf orale Traditionsstränge vielmehr als vorrangigen Kompilations- bzw. Kompositionsstoff glauben machen wollen.

Die redaktionellen Bearbeitungen und Übertragungen des impor-tierten Quellenmaterials der Thidrekssaga fallen in jene literarkul-turelle Epoche Altnorwegens, in der chronistische bzw. historio-grafische Überlieferungen generell und nachweislich unter dem Begriff „saga“ übersetzt bzw. klassifiziert wurden. Insoweit sind forschungswissenschaftlich unkritische Pauschalisierungen sowie ungenügend differenzierte Parallelisierungen von diesem altnor-disch umfassend beanspruchten Sammelterminus zurückzuweisen.

Wenn zu dem hermeneutischen Kerngeflecht Susa der Thidrekssa-ga wiederum Dietrich Hofmann sowie ansatzweise längst vor ihm Ferdinand Holthausen z. B. einen ortscharakteristischen Schlan-gen- oder Reptilienturm im hochmittelalterlichen Soest historisch disponierbar machen, so darf ohne Weiteres daraus sicher nicht gefolgert werden, dass dort eine vergleichbare bauliche Einrich-tung in erheblich früherer bzw. von Ritter-Schaumburg erkannter Zeit gar unmöglich war. Die von alt- und z. T. neuphilologischer Forschung gegen ihn, die Thidrekssaga, dazu korrespondierende Indiziengewichte der Soester Grabungsfunde reklamierte, jedoch nirgends evident gemachte „niederdeutsche Geschichtsaneignung“ erscheint fiktiv abgesegnet durch Anreihungen von Pseudodenk-mälern nach heldenepischen Rezeptionszyklen ostgotisch-romanisch begriffener Scheingeschichtlichkeit; vgl. a. Heinrich Beck mit seinem nicht mehr plausibel zu machenden Nexus aus Tradition und Translozierung.

Aus dazu konträrer Forschungskritik lässt sich jedoch nicht bestreiten, dass einer der herausragendsten und mit ausnehmend chronistischer Bezeugung eingeleiteten Höhepunkte der Thidreks-saga in der unmittelbar auf den Niflungenuntergang folgenden Übernahme des Soester bzw. niederdeutschen Raumes durch den Titelprotagonisten gipfelt. Im interpretativen Kontext haben wir hier – offensichtlich von einem dort ansässigen Chronisten – die kaum zu übersehende geschichtliche Rezeption der unter Theude-rich I. erfolgten ostfränkischen Territorialausdehnung. Noch inso-weit erscheint der nach Mb 360 vorgeblich trügerische Hinweis auf die Führungsschwäche des rechtsrheinischen Großherrschers, anspielend verdeutlicht mit jener schicksalhaften Botschaft an die im Waltharius fränkisch titulierten Niflungenherrscher, keines-wegs deplatziert; siehe unter anderem [12], dort insb. Endnote 7. Schließlich folgt – als erzähltypologischer Glanzpunkt für den Titelprotagonisten und wiederum aus fränkischer Geschichte des 6. Jhs. – die christlich betonte Umsetzung von Theuderichs Re-konstitution des vordem an auffallend instabilen klerikalen und insoweit folgernd auch innenpolitisch wirren Verhältnissen gelit-tenen Trier (Roma II). Das weitere stringente Synchronisations-modell innerhalb historiografisch-chronistischer Vermitt-lungstypologien (mit rezeptivem Potenzial auf das transgene Spannungsfeld „Dietrich-Epik“) ist die Vereinbarkeit von Thidreks Vertreibung und Exil mit Theuderichs massiver Verlet-

zung der von seinem ostgotischen Namensvetter statuierten sowie schließlich militärisch eingeforderten „Pax Gothica“ [17],[18]. 3 Mit den von R. Wisniewski zu Recht und begründend ausgefilter-ten Stoffanreicherungen aus oberdeutscher Heldenepik (vgl. Ver-fasser 2007) kann die chronistische bzw. historiografische Quel-lenidentität der Thidrekssaga – wie sie dies implizit folgert – wegen ihres berichtgeografisch wie handlungsstrategisch verbind-lichen Vermittlungskomplexes (Ritter-Schaumburg) jedoch nicht abgelöst werden. Stattdessen und nichtsdestoweniger dirigiert Wisniewski den oberrheinisch-burgundischen Raum verwüstende Steppenkrieger von der Theiß zu ihrem Häuptling im westfälischen Soest und spricht im Tenor altphilologischer Unterstellungen und Translozierungen niedergermanischer Traditionslinien in unglaub-liche romanische Bereiche über ihr Rätsel Thidrekssaga.ii Auch demnach werden wir ihr weder die nicht nur von Joachim Heinzle aufgezeigte politisch-missionarische Subtilität des Nibelungenlie-des noch die von der Thidrekssaga scheinbar unbegreiflich imper-tinent vermittelte ostrheinische Frankenexpansion des 6. Jhs. als bewertungsrelevante Kenngrößen unvoreingenommener Literatur- und Geschichtsforschung zumuten dürfen.

Wer ohne fundierte Nachweise einen Geschichtsfälscher oder Wahrheitsverdreher in Wedinghausen bzw. dessen Gelehrtenklos-ter positioniert, wird sowohl den Soester Kammergräberfunden als auch z. B. Gustav Neckels kritischer Hinterfragung raumoriginärer Ansprüche nieder- und oberdeutscher Liedertradition eher weni-ger, jedoch einer dominanten südosteuropäischen Erzählungsorien-tierung eddischer Heldenlieder um so mehr Bedeutung beimessen müssen. Eine daran anknüpfende, sich um irreale ostgotische und hunnische Denkmäler bemühende Forschungsauffassung möchte nicht zuletzt die älteste verfügbare Schicht altnordischer Atli-Tradition mit Skalden glauben machen, die den auf Ritters nieder-deutscher Nibelungenroute nirgends zu findenden historischen Auftritt des Großkhans von der Theiß mit genealogischer Einbin-dung in ihre nordischen Heldengalerien kompensiert haben sol-len.iii 4 Pütz, Horst P.: Heimes Klosterepisode. Ein Beitrag zur Quellen-frage der Thidrekssaga; Z.f.d.A. 100, 1971. Wegen der mit [2]

ii Es ist generell zu erwarten, dass die Transplantation einer historio-grafischen oder chronistischen Überlieferung in einen ihr nicht hinrei-chend entsprechenden Raum, so anhand von reimepischem u./o. unkritisch differenziertem (literar-)geschichtlichen Kontext, zumeist keine genügende Übereinstimmung mit anerkannten oder anerken-nungsfähigen historischen Darstellungen erweisen wird. Insoweit haben mit solchem Prozedere versuchte Diskreditierungen der umloka-lisierten Tradition mit seriöser Literaturforschung wenig zu tun. iii Da vor allem den Verfassern der z. T. als „Nachdichtungen“ be-zeichneten späten Lieder der Helden-Edda stoffgeschichtliches Mate-rial über das südosteuropäische, „gotische“, „zweite Hun(n)enland“ sicherlich nicht unbekannt gewesen sein dürfte, sind kompilative Ausgestaltungen dieser Autoren von archaisch-niederdeutschen Atli-Gudrun-Traditionen nicht außer Acht zu lassen.

Zum Rezeptionskontext Niflunga saga in den altnordischen und altschwedischen Handschriften der Verfasser in [7]:

Ritter-Schaumburg hat diesen Überlieferungen ein nicht dominantes, aus der vermittelnden Projektion eines mittelalterlichen Chronisten dessen aufschwellendes Kolorit von Heldenepik gegenüber einer gleichwohl von ihm per Testimonium oder literartypisch adäquat gekennzeichneten Grundsubstanz zugebilligt [...] Für das um kunst-volle erzählerische Vollendung bemühte mediävalchronistische Me-tier ist gerade in diesem Kontext nun überhaupt nicht ausgeschlossen – aus der Sicht Ritter-Schaumburgs vielmehr davon auszugehen –, dass der von R. Wisniewski identifizierte niederdeutsche Quellenliefe-rant der altnordischen und altschwedischen Handschriften einen anderenorts erkennbar verzerrend ausgestalteten archaischen Tradi-tionskomplex kompilativ in dessen raumoriginäres Milieu zurückhol-te.

Page 13: Document1

Rolf Badenhausen Wadhincúsan, monasterium Ludewici • Zur Ludwig-Signatur der Thidrekssaga

13

vorliegenden Bezugnahme auf diesen Beitrag wird hier auf dessen erneute Betrachtung verzichtet. Zu Pütz’ methodischen Fehldispo-sitionen zählt z. B. das Assoziieren von Benediktinermönchen für das Wiltener Prämonstratenserkloster, so zwecks vereinfachender Deutungsvariante zum sog. „Kuttenargument“. Ein auch anderen-orts mit wenig seriöser Wertungstiefe behandeltes Interpretations-kriterium jener voreingenommen rezensierenden Kräfte, die alt-nordisches Textmaterial ggf. „neuronal vernetzen“ möchten. Auffällig in Pütz’ Beitrag ist dessen wenig überzeugende sowie auch von Hermann Reichert z. T. beanstandete Vorgehensweise zur Auslegung von Quellen- und Transmissionsbeziehungen für den Heime-Ludwig-Bericht, woraus die nicht unerhebliche Ein-schränkung dazu gebotener forschungskognitiver Maßstäbe und Kriterien folgt. Nach Pütz sei demnach offenbar evident, daß all diese Motive nicht originales Eigentum eines in der Forschung postulierten Wedinghausener Chronisten gewesen sind. Es kann damit auch nicht zur Debatte stehen, daß die Episode von Heimes Klosterleben Elemente der Geschichte des Klosters Wedinghau-sen verarbeitet [1971:191].

Den kontextuell unkritisch bis apodiktisch vertretenen Positionen von Pütz und Susanne Kramarz-Bein weiterhin folgend auch eine von Robert Nedoma begleitete und beurteilte Diplomarbeit von G. Reschreiter (2010). Eine derartige Forschungskohabitation mag durchaus dem aktuellen Wertungshorizont einer österreichischen Universität genügen. Jedoch bestehen erhebliche Zweifel, dass diese künftig auch internationalen Forschungsansprüchen gerecht wird. 5 Es heißt nach den A/B-Handschriften Kap. 429, dass Heime oft in das Land Ermenriks bzw. Sifkas geritten und dort zerstörerisch tätig war, indem er Höfe verbrannt und Leute erschlagen hatte. Heime geht hier gegen Amelungen bzw. Ömlungen vor, die nach den Gransport-Berichten an Ermenriks Reich um die Moselmetro-pole Trier = Roma secunda grenzen und sich seiner Streitmacht gegen Dietrichs ersten wie offenbar kaum erfolgreichen Rücker-oberungsversuch angeschlossen hatten; siehe hierzu auch die Gransport-Analyse [5]. Die quelltextliche Begründung, dass Heime seine Taten gar erst beim Eintreffen der Todesnachricht über Ermenriks Nachfolger bereut haben soll, klingt nicht über-zeugend. Nahe liegender erscheint vielmehr die damit durchaus bewusst verdeutlichte Zäsur und Auskopplung für die Moniage-Montage des Scriptors. 6 Die Alterskritik von Wilhelms Weib wird als Grund für seinen umgehenden Aufbruch zu einem Kloster genannt. Später wird dann der Hinweis nachgeschoben, dass mit diesem Moniage Wil-helm seine Gott missfallenden Taten abbüßen soll. Hierzu dürfen nicht jene szenische Ergänzungen außer Acht gelassen werden, die ebenso gut die Karlamagnús saga rezipiert haben könnte. 7 Insoweit muss Heimes Vermögen wohl kaum für die infrastruk-turelle Erhaltung eines Not leidenden Klosters verbraucht werden. Es steuert vielmehr und lediglich zu Verzierungen bei. 8 Es dürfte dennoch schwierig sein, dem Chronisten eine wider besseres Wissen vorgenommene Irreführung zu unterstellen: Er könnte zu einer Grabstätte geführt worden sein, die man bereits in Jahrhunderte langer, jedoch historisch offenbar fragwürdiger Lokaltradition für die des Waltharius hält. Der Verfasser geht von einer archaischen Waltharius-Tradition eher im niederdeutschen/ mittelrheinischen als oberdeutschen Raum aus. Insofern bedarf sein knapper synoptischer Hinweis [2007:32] dieser Ergänzung. 9 Vgl. „Thyrsenbach“ nördlich von Wilten. 10 Man hatte lediglich die angeblich von Heimo dem Drachen abgeschnittene Zunge als Hornstück von einem Schwertfisch analysieren können.

11 Wie der Verfasser u. a. in [12] anmerkt, fällt zu Sigfrids Er-schlagung das sehr schmale Zeitfenster zwischen den oberdeut-schen Redaktionen vom Liedepos, dem Daurel et Beton aus dem Sagenkreis um Karl den Großen und der Stockholmer Festland-Handschrift „Membran(e)“ auf. Zum hochmittelalterlichen Litera-turgefälle zwischen verfügbarer Bibliografie und oraler Rezitation bestehen lediglich Vermutungen über Einfluss und Umfang von Spielmannsepik in zeitgenössischen Verschriftlichungen. 12 Norbert Höing [1988:68] über diesen im Westfälischen Urkun-denbuch verzeichneten Scriptor: 1210 beurkundet er als „Luthevi-cus capellanus“ (WUBVII, I Nr. 77), er war also Kaplan. 1222 unterschreibt er mit „Ludewicus scriptor“ (WUB ebd. Nr. 225 ), 1224 mit „Ludowicus canonicus in Wedinchusen“ (Urkunde in der Darmstädter Handschrift Nr. 857), 1229 zeichnet er als „Ludewicus plebanus“, ist also Pfarrer, wahrscheinlich von Arnsberg (WUB VII, 1 Nr. 328), 1231–1236 finden wir ihn vier-mal als Zeugen in Urkunden mit dem Titel „Prior in Rumbeck“ (WUB VII, 1 Nr. 368, 395, 439, 446). Im Nekrolog (Totenver-zeichnis) wird er genannt „Ludowicus scriptor, Prior in Rumbike, canonicus noster“ (StAM Hs. VII 6129 fol. 19V, zum 20. Oktober).

Der Verfasser dankt Herrn Michael Gosmann (Stadt- und Land-ständearchiv Arnsberg) für den Hinweis auf den von Norbert Höing verfassten und hier zitierten Beitrag Der Klosterschreiber Ludovicus von Wedinghausen (1210/36) und die Thidrekssaga (siehe oben unter Quellen und Literaturhinweise). Die Verweise des Verfassers auf das WUB, so 2007:30, zitieren Angaben von [1], S. 265. 13 Siehe Höing 1988:67. 14 Der Verfasser zitiert aus der Ausgabe von F. H. von der Hagen. 15 Grundsätzlich lässt sich unterstellen, dass klösterliche Scripto-ren – wie sehr wahrscheinlich auch in diesem Fall – weisungsge-bundene Auftragsarbeiten zu verrichten hatten. 16 Wenn englischsprachige Pressemedien manche Politiker und prominente Persönlichkeiten zuweilen als bull in a china shop animalisieren, dann müsste nachgefragt werden, warum – gleich-wohl acht Jahrhunderte früher – der Wedinghausener Berichtgeber jenen Elefanten („Fil “) und dessen riesigen Besitzer nicht vor einem greifbaren Hintergrund metaphorisch verarbeiten durfte. 17 Der Verfasser zitiert 2007:34f. das von R.Wisniewski aus den altnordischen Handschriften entnommene Ortsbild des Klosters aus der Darstellung eines Beobachters, der die Wedinghausener Anlage und Topologie vor Augen hatte.

Wie die aktuelle Kartografie von Wedinghausen zeigt, dürfte die umweglose Rückkehr des „Ludwig“ von der größten Ruhrinsel in seine Abtei aus westlicher Richtung über den Kirchhof geführt

haben, vgl. auch Bild 5 und Bild 6. Die ältere Arnsberger Kartografie weist mehrere Ruhrin-seln noch auf der Ostseite der Weding-hausener „Landzunge“ aus. Jedoch dürften auch mit Höings An-gaben [1988: 66] wenig Zweifel darüber bestehen, dass „Lud-wig“ durch die nördli-che Hauptpforte in das Kloster geleitet wurde. Wedinghausen, 2008.

Page 14: Document1

Rolf Badenhausen Wadhincúsan, monasterium Ludewici • Zur Ludwig-Signatur der Thidrekssaga

14

18 Siehe Ferdinand Holthausen: Studien zur Thidrekssaga; in Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur, IX, Nr. 3, 1884. Trotz anscheinend beeindruckender Namenentspre-chungen aus seiner Erhebung, die mit der von J. S. Seibertz zu-sammengestellten dreibändig mächtigen Urkundensammlung aus dem Herzogtum Westfalen sicher manchen wahrscheinlichkeitsbe-dingten Treffer zu mittelalterlichen wie dazu wohl auch längst populärliterarisch vergebenen Eigennamen gelingen lassen dürfte, wagt Holthausen allerdings nicht die Gesamtvorlage der Thidreks-saga aus westfälischer Feder zu folgern (a.a.O., S. 498–503).

19 Handbuch der Kulturgeschichte II, Bd. 12, Athenaion, S. 32. 20 Online-Beitrag [7] zum möglichen Interpretationsspielraum:

Zum weitläufigeren Identifikations- und Deutungspotenzial dieser Episode ist vor allem mit Anspielung auf die Gesta Hludowici (vgl. Thegan Kap. 19) keineswegs ausgeschlossen, dass im subtil-kritischen Geistlichenmilieu unter Heimes Aliasnamen und Epi-sode eine – von neuerer Forschung unter Hinweis auf sonst verfügbares Quellenmaterial jedoch kategorisch zu relativieren versuchte – destruktiv verdrehte Frömmigkeit zu persiflieren war.

Aus westfälischen Klosterüberlieferungen folgt ein offenbar Zeit überschneidender Wedinghausener Aufenthalt des Anekdoten und ironischen Darstellungen zugeneigten Caesarius von Heisterbach. 21 Wenn in diesem Berichtkontext zu Hildebrands Vergeltungszug nur einmal und zuletzt Mundia genannt wird – die sich nach Rit-ter-Schaumburgs Geografie in der niederrheinischen Tieflands-bucht bis in den südlichen, von Gebirgszügen umgebenem Ahr-raum erstreckt –, dann wird dies darauf zurückzuführen sein, dass in dem von Ermenrik noch kaum besetzten nördlichen Teil ein dort gegen ihn mobilisierbares Volk auf einen zunächst ostrheinischen Anwerbungszug im Langbardenland = Lurvald nicht mitgeführt und somit nicht zusätzlich betreut werden musste.

Man beachte hierzu die von Eugen Ewig zum Herzogtum Ribua-rien kartografierte Häufung von hl. Märtyrern und missionarischen Patronen gewidmeten Kirchen- u. Kapellenstätten in einem exzep-tionell nur wenige Quadratkilometer umfassenden Bereich um Mündt und Müntz: Die Civitas Ubiorum, die Francia Rinensis und das Land Ribuarien in: Spätantikes und fränkisches Gallien (I), München 1976; S. 474. Zum literarhistorischen Kontext u. a. Franz-Josef Schweitzer: Die ältesten literarischen Quellen zum rheinischen Burgunderreich und das MUNDIACUM-Problem. Eine Bestandsaufnahme. In: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein (AnnHVNdrh) 203, 2000; S. 7–22. Im kulturge-schichtlichen Zusammenhang und insbesondere zur Siedlungsdich-te zwischen Ville–Erft und Rur–Inde in spät- und nachrömischer Zeit siehe auch Bernd Päffgen: Die spätrömische Besiedlung im Umland von Köln. Vortrag zur Konferenz: Römische Legionslager in den Rhein- und Donauprovinzen – Nuclei spätantik-frühmittelalterlichen Lebens? Bayerische Akademie der Wissen-schaften, München, 28.–30.03.2007.

Die niederrheinische Bucht zwischen Aachen, Neuss und Bonn war mit ihren besonders fruchtbaren Lössböden Kernbereich der Provinz Germania Inferior. Großflächige Bodenuntersuchungen in diesem heute vor allem im Braunkohletagebau genutzten Gebietes haben gezeigt, dass hier bereits seit der Jungsteinzeit intensiver Ackerbau betrieben wurde. Die geologische Bedeutung dieser Region erstreckt sich außerdem auf beachtliche Bodenvorkommen an verschiedenen Erzen, Mineralgesteinen, Tonerden und Quarz-sand, wie dies für die Keramik- und Glasherstellung sowie das Kunstschmiede-Handwerk benötigt wird. 22.1 Raumzeitgeschichtlich besonders aufschlussreich ist nach Mb 415 die Aufzählung von zu Rom (= Trier a. d. Mosel) gehörenden Reichen u n d Lumberdi in einem Zug, womit die noch unter Theuderich I. erfolgte Ausweitung des fränkischen Reiches auf ostrheinische Gebiete hervorgehoben sein dürfte. Auf einen weite-

ren Höhepunkt in den Vitae dieses Theuderich und Dietrich von Bern der Thidrekssaga verweist [5] mit Endnote 13. Mit Hinweis auf [17] stellt der Verfasser in seinem Online-Beitrag [7] fest:

Unter Berücksichtigung erkennbar korrespondierender Über-schneidungen, darunter die ostfränkische Expansion in den mit-tel- und niederdeutschen Raum sowie später die Konsolidierung der Treverermetropole mit hervorgehobener Hinwendung des Königs auf christliche Wertvorstellungen, konzentrieren sich fränkische Historiografie und die altnord./altschw. Überlieferun-gen auf zwei unterschiedliche Altersabschnitte von Theuderich I. (Midlife–Alter) und Dietrich (Jugend–Midlife).

Mit deutlicheren Worten aus dem Blog eines Historikerforums (Auszug):

Es war Theuderich I, unter dem die fränkische Übernahme des vordem niedergermanisch-sächsischen Soest angegangen wur-de und die er, neben seinen mitteldeutsch-thüringischen Ambi-tionen, sicher ebenso geschickt eingefädelt und z. T. miterlebt hat. Der Vorlagenautor der Thidrekssaga führt uns diesen Vorgang mit keinem anderen als dem von süddeutscher Hel-dendichtung aufgeschnappten Nibelungenschicksal vor Augen – welch schockierende Metaphrase! Zwar verlieren nach bei-den Varianten die angerückten Gaste nur knapp gegen die Streitmacht des Gastgebers, jedoch weisen die altnordischen und altschwedischen Handschriften zu den Susaer Darstellun-gen absolut zutreffend darauf hin, dass Thidrek das fortan ausgeblutete Reich des "Attila" übernimmt. Es war Theuderich I, der noch während der Osterweiterung seines Frankenreiches mit einer weiteren Großtat die Mosel-metropole Trier = Roma secunda von despotischer Gewalt-herrschaft befreit hat. Und es sind wiederum die altnordischen und altschwedischen Textzeugnisse, die nicht nur dieses Er-eignis grundsätzlich bestätigen, sondern dazu auch Vorge-schichte und Hintergründe vermitteln wollen. Zwei Höhepunkte aus der Herrschervita dieses Theuderich. Zwei unverkennbare Höhepunkte aus der Thidrekssaga. Wie unverfroren überliefern deren Verfasser oder der von einer Germanistin in einem Atemzug als Bibelscriptor und Ge-schichtsfälscher gebranntmarkte Epos-Urheber wirklich? http://www.g-geschichte.de/forum/voelkerwanderung-germanen/2665-friesen-soest-6.html#post81495

Nach verfügbaren fränkischen Quellen wissen wir zwar nicht, warum Theuderich den Ort Trier erst um 525 – als er noch einige hundert Kilometer südwestlich der Treverermetropole mit massi-vem militärischen Einsatz einen Reichsanspruch durchsetzen wollte – christlich rekonstituieren und somit auch grundlegend konsolidieren konnte. Anhand zuverlässiger Quellen ist jedoch weitestgehend unbestritten, dass sich dieser Moselort über meh-rere Jahrzehnte – zumindest von ca. Ende des 5. bis Anfang des 6. Jhs. – in einer auf offensichtlich erheblich unruhige innenpoliti-sche Zustände zurückzuführenden klerikalen Instabilität befunden hat. So sehr zu Thidreks Exil das Hildebrandslied und die Raben-schlacht als Rezeptionsgrundlage der altnordischen Handschrif-ten bemüht werden, so wenig überzeugende Parallelen lassen sich dabei aus der historischen Vita des ostgotischen Theoderich aufzeigen. Oder mit Wikipedias Worten zu dessen Rezeption: Die Sagenbildung stellt dabei die historischen Tatsachen geradezu auf den Kopf [...] (abgerufen 02.07.2010 unter Theoderich der

Große) – forschungsbibliografische Anmaßung über den altnordi-schen Vermittlungsstoff par excellence! Hierzu erübrigt sich u. a. der Hinweis, dass im Gegensatz zu den Handschriften des Nibe-lungenliedes der deutlich ältere Waltharius seine mit Heldendich-tung gewürdigten Protagonisten Guntharius und Hagano als F r a n k e n bezeichnet. [...] Genealogische Angaben über die Merowingerkönige des 5. Jhs. sind nicht mehr als vage Vermu-tungen fränkischer und ostgotischer Historiografen. Der von Gregor v. Tours aus nebulöser Herkunft verarbeitete, durch einen kaum minder moralisierenden Widukind v. Corvey nicht unerheb-lich widersprochene Kontext um Sippe und Wirken des ersten

Page 15: Document1

Rolf Badenhausen Wadhincúsan, monasterium Ludewici • Zur Ludwig-Signatur der Thidrekssaga

15

fränkischen Theuderich wurde von der älteren Quellenforschung wenig kritisch hinterfragt. Eugen Ewig, der die Thidrekssaga sicher nicht als frankengeschichtliche Forschungsquelle herange-zogen hat, vermutet die Herkunft von Theuderichs Mutter aus einem Herrschergeschlecht im Raum Köln (Francia 18/1, S. 49). Mit Ritter-Schaumburgs Gleichsetzung von Babilonia als die rheinische Colonia, welche sich nach römischen Überlieferungen mit keinem prägnanteren Sündenbabel nördlich der Alpen ver-gleichen und vereinbaren lässt,iv liefern die altnordischen Hand-schriften Thidreks Mutter aus einer dort wie auch zwischen Bern–Bonn und Aachen–Varne–Bern identifizierten Elsung-Dynastie. Auch wenn der Part von Thidreks Vater Thetmar zu kurz und farblos erscheint, mit dieser Gestalt eine patriotische Interpolati-on eines niederdeutschen Vorüberlieferers vorliegen mag, kann Ewigs räumliche und rangliche Vermutung über Theuderichs Mutter auch insoweit wenig erschüttert werden.

Widukind folgt mit seiner Thiadricus-Erzählung nicht Gregor von Tours’ namentlicher Überlieferung von Theuderichs Vater, den der sächsische Chronist als Huga identifiziert. Zumindest finden wir im Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Bd. 30 (2005), unter Theuderich I. (S. 459–463) die zu Recht formulierte Quel-lenkritik, dass Gregor von Tours behauptet, T.s Mutter sei nur eine Beischläferin (concubina) Chlodwigs I. gewesen (S. 460). Dort heißt es weiter über diesen Theuderich (S. 459), dass er vor 484 geboren sein soll und die erste Tat aus T.s. Leben, von der wir wissen sein nach 507 im Auftrag Chlodwigs I. unternommener südgallischer Feldzug war. Nachdem Theuderichs Sohn Theude-bert eine „Däneninvasion“ im väterlichen Auftrag zurückgeworfen haben soll, spätestens 520 – nach Chlodwigs Tod –, dokumentiert Gregor von Tours erstmals die monarchische Autorität Theude-richs aus der Kölner aula regia. Zu dieser Zeit, zwischen 520 und 525, war Theuderich mindestens 36 Jahre alt! Für die Interpretati-on von Vertreibung, Exil und Rückeroberungsberichten der Thidrekssaga ist also keineswegs ausgeschlossen, dass deren Protagonist Theuderich in einem Machtkonflikt unterlag, welcher entweder Konsequenzen aus seinem südgallischen Zug von 507 nach sich zog oder einen paternalen/maternalen und damit auch rheinische Gebiete tangierenden Erbrecht-Streit betroffen haben konnte. So, wie im subjektiv-subtilen Vorstellungskomplex ein scheinbar verlässlicher fränkischer Historiograf die Mutter Theu-derichs bewusst verkannt haben mag, durfte dessen Vater von einem nicht minder verzerrenden mediävalhistoriografischen Konzept – das aus niederdeutschem Traditionspatriotismus nicht weniger als die Tilgung des primus rex Francorum der Lex Salica ausmachen konnte – mit einer in der Thidrekssaga überlieferten Ersatzgestalt unkenntlich gemacht werden. Zu Bedenken gegen-über Chlodwigs leiblicher Vaterschaft von Theuderich I. der Verf. 2005:130f. und [18]. Eugen Ewig über Chlodwigs Genealogie: Die Kölner Könige zählte Chlodwig zu seinen parentes.v

iv Siehe z. B. Salvian von Marseille: De gubernatione Dei. MGH AAI, S. 74; u. a. auch Gregor von Tours: Liber vitae patrum VI, 2. v Zum Geschichtsbild der Franken und den Anfängen der Merowinger in (ders.): Spätantikes und fränkisches Gallien (III), 2009; S. 72 [56]. Siehe auch [5], dessen Endnote 13 zu Theuderich I. konstatiert: Da mit Ausnahme zweier südgallischer Feldzüge (507 und um 524) sowie des Thüringerkriegs (530/531) über den um 520 mindestens 36-jährigen Ostfrankenkönig militärische Aktionen sonst kaum bekannt sind – bis zu diesem Zeitpunkt nur sein Zug für Chlodwig –, liegt mit einer fachwissenschaftlich bezweifelten Genealogie des Gregor von Tours für ein Elternteil Theuderichs (RGA 30, 2005) kein hinreichender Grund vor, ihn von einer Synchronisation mit der rheinfränkischen Titelgestalt der Thidrekssaga und altschwedischen Dietrich-Chronik zu suspendieren. Mit dem rund ein halbes Jahrhundert betragenden Überlieferungsvakuum über Trier – nur ein Beispiel zu eklatant defizitären oder möglicherweise bewusst getilgten Geschichtszeugnis-sen – lässt sich aus fränkischer Geschichtsschreibung ebenso nicht biografisches Material aus Theuderichs Frühzeit fordern, zu der im Kontext die zumindest zeitliche Übereinstimmung auffällig korreliert!

Helmut G. Vitt [19] zitiert die Projektion des Thidrek nach Mb 14 (Übers. Fine Erichsen, Thule 22) und folgert [1985:131–132]:

Dies ist die genaue Beschreibung eines Angehörigen des Clans der „goldhaarigen Könige" vom Stamme der Sugambrer, eines Mitgliedes der merowingischen Familie, deren königliches Cha-risma durch die langen, goldenen Locken angezeigt wurde, die ja bekanntlich während Chlodwigs rabiatem Ausrottungskampf gegen alle möglichen Wettbewerber um die fränkische Krone so oft eine tragische Rolle gespielt haben. Und es ist aufschlußreich, daß die merowingertypische goldene Lockenpracht in der Ths. erstmals bei ihm ausdrücklich erwähnt wird, während sein Vater und Großvater ohne dieses spezielle Signum beschrieben werden. [...] Seit Chlodwig kennt man übrigens die „Monopolisierung“ des Königstitels. Er, der sich anfänglich selbst nur als der erste unter gleichen fühlen durfte, begann mit der absoluten Ausrich-tung der fränkischen Tradition auf die Tradition des merowingi-schen Königsgeschlechtes. Es ist schlicht undenkbar, daß sich unter diesen Aspekten die „Königssage“ eines anderen Ge-schlechtes so dauerhaft in der Überlieferung hätte halten können. [...] Theuderich I. mit dem Thidrek der Sage gleichzusetzen, ist also eine recht naheliegende Vermutung, die noch an Wahr-scheinlichkeit gewinnt, wenn wir uns erinnern, daß Karl der Große die „vulgaria carmina“, die alten Volksgesänge, auf-schreiben ließ, zu denen, wie wir schon länger vermutet haben, auch das deutsche Original der Thidrekssaga gehört haben muß.

Noch ergänzend zu den „mittelbaren“ Differenzierungsangeboten zwischen fränkischem und ostgotischem Theoderich [1985:133]:

Der „Poeta Saxo“ schrieb darüber Ende des 9. Jahrhunderts: „Heldenlieder, in der Volkssprache verfaßt, feiern mit hohem Lob Karls Vorfahren. Sie berichten über Pippin, Karl, Ludwig (Chlod-wig), Theoderich, Karlmann und Lothar.“ Hier wird also ein Theoderich als Vorfahre Karls genannt, in einem Atem mit Chlodwig, und dabei kann es sich nun beim besten Willen nicht um Theoderich den Großen handeln, hier kommt nur Theuderich I. in Betracht. Die Bemerkung des sächsischen Poeten beweist für mein Gefühl eindeutig, daß es tatsächlich sagenartige Überliefe-rungen über Theuderich gegeben hat, und es wäre schon ein sehr merkwürdiger Zufall, wenn gerade diese völlig verschollen wä-ren, sich aber gleichzeitig ein ganzer Roman, eine der größten Geschichten in deutscher Zunge, über irgendeinen historisch überhaupt nicht in Erscheinung getretenen fränkischen Kleinkö-nig gleichen Namens erhalten hätte, wie es Ritter neuerdings anzunehmen scheint.

Die altnordischen Textzeugnisse mit lückenhafter und zweifellos subjektiver frühfränkischer Geschichtsschreibung abwägend gelangt Vitt mit der von Ritter-Schaumburg umrissenen Überliefe-rungsgeografie zu der Erkenntnis (a.a.O.):

Weit überzeugender erscheint es doch, daß wir den Sagendietrich unmittelbar in der merowingischen Dynastie zu suchen haben, ja, daß die ganze Thidrekssaga möglicherweise die frühe Geschichte des merowingischen Ostreiches darstellt.

Nach den von Vitt herangezogenen heldenepischen und historio-grafischen Quellen sowie einem dazu differenziert gefilterten Ritter-Schaumburg erhärtet sich schlussfolgend sein obiges „mög-licherweise“ auf die alternativ nur einzig mögliche Frühgeschichte des fränkischen bzw. merowingischen Ostreiches. Siehe zum geschichtsinterpretativen Kontext u. a. auch [12], Abschnitt Drap Niflunga. Die auch Theuderich I. zugeschriebenen, jedoch literar-historisch und -chronologisch später begegnenden Begriffe „Ripu-arier – ripuarisch“ sowie „Austrasier – austrasisch“ werden ande-

Dieser Zusammenhang erlaubt mit Blick auf Thidreks Exil und seine spätere Rückgewinnung von Rom–Trier jedoch nicht den historiogra-fischen Ausschluss der Thidrekssaga bzw. altschwedischen Hand-schriften als originär niederdeutsche sowie nachfolgend von auswär-tigen Scriptoren übertragene Darstellung über diesen Frankenkönig.

Page 16: Document1

Rolf Badenhausen Wadhincúsan, monasterium Ludewici • Zur Ludwig-Signatur der Thidrekssaga

16

renorts gelegentlich geohistorisch rückprojizierend verwendet, so der Verf. [2005–2007], siehe hier auch Endnote 27.1. 22.2 Von H. Ritter-Schaumburg unabhängig recherchierte Nachwei-se über die Geografie der Amelungen und Ermenriks Reich: Ver-fasser 2005:242. Wie die Handschriften berichten, soll Heim, Studas Sohn, lange Zeit in unbewohnten Wäldern gehaust, von dort oft in das bewohnte Land Sifkas geritten und darin immer großen Schaden getan haben (vgl. Mb 429). Daraus lässt sich folgern, dass Heime seine Vergeltungszüge von einem sicheren und somit von Dietrichs mächtigem Gegner wohl nicht beherrsch-ten Bereich anging. Da der Eifelraum zum Gebiet der zu Ermen-riks Reich gehörenden Amelungen zählt, erscheinen jene unbe-wohnten Wälder als ostrheinischer Lurwald als Heimes sicheres Rückzugsgebiet.

Wenn eine Handschrift König Dietrichs Bern „südlich von Wad-hincúsan“ überliefert, so wird man aus geografischer Position und Sicht des Scriptors den mit jenem Hochsitz verbundenen Eifel-raum, das (von Ermenrik nach Dietrichs Vertreibung vereinnahm-te) Berner Reich in südwestlicher Richtung zu verorten haben. Allerdings werden präzisierende Richtungsangaben, die aus zwei jener vier Haupthimmelsrichtungen zusammengesetzt sein könn-ten/müssten, nicht von den Handschriftenverfassern verwendet.

23 Man beachte daneben andere wertungsrelevante Zusammenhän-ge etwa für die Berichte über „König Artus“, Herbort und Hilda; siehe hier Endnote 27.3 sowie der Verfasser 2007:250f.

24 Die von Forschung und Lehre verbreitete Vorstellung, welche die Thidrekssaga als quellenanalytisch nachgewiesene chronisti-sche/historiografische Überlieferung von ostfränkischen, nieder-deutschen und baltischen Geschichtsberichten gestaltungsoriginär oder -inspirativ in den süddeutschen u./o. oberitalienischen Raum transloziert, hält einer seriösen fachwissenschaftlichen Stoffbetrachtung nicht stand.

Wenn die älteste Atli-Erzählung der Helden-Edda nicht als eine von der Thidrekssaga unabhängige Tradition über das niederger-manische Schicksal der Brüder Gunnar und Hogni gewertet wer-den darf, siehe hierzu auch [12], dann müsste im Interesse prote-gierender Stoffauffassung und ihrer beweiskräftig angestrebten Überführung des „Wedinghausener Pseudochronisten“ hinterfragt werden, ob jede weitere zur historischen Verifizierung der Thidrekssaga und ihres Niflungenuntergangs geforderte mediävale Quelle nicht doch und lediglich den Burgundenfall im Sinne des Nibelungenliedes assoziieren und reklamieren darf. Zur Wahrung einer sich darauf gründenden, aus Sicht nicht weniger Fachwissen-schaftler scheinbar vorzüglichen und daher bis zur altphilologi-schen Doktrin erhobenen Anschauung niederdeutscher Ge-schichtsaneignung dürfte eine Gegenüberstellung jener Etzel-Attila-Analogien mit den erzählungsmotivisch erheblich abwei-chenden Atli-Gudrun-Bildnissen der ältesten eddischen Traditions-stufen nur wenig erwünscht sein.

Wenn Saxo Grammaticus 1131 von einem sächsischen Vortrag wusste, den er speciosissimi carminis contextu notissimam Gri-mildae erga fratres perfidiam de industria memorare adorsus vermerkt (Gesta Danaorum XIII, 6,7), dann lässt sich daraus sicher nicht der evidente Einfluss oberdeutscher Reimepik nach den verfügbaren Handschriften des Nibelungenliedes ableiten.

Zum Historizitätskontext von Liedepos und Thidrekssaga ist hinsichtlich ostfränkischer Entwicklungsverhältnisse und frühme-rowingischer Zeitereignisse die altphilologischen Forschungsposi-tionen dienende Präjudizierung nicht nachvollziehbar, dass wegen vorhandener Lakunen an historischen Zeitbildern über das 5. und 6. nachchristliche Jahrhundert die Thidrekssaga einen aus Ritter-Schaumburgs Sichtweise unhaltbaren oder indiskutablen Quellen-wert verkörpern müsse; s. dazu auch [5], S. 2f. sowie dort, wie hier bereits weiter oben zitiert, Endnote 13.

25 Man vergleiche dazu z. B. Dorothea Klein zur Beitragssamm-lung von Bernd Bastert über die beispielhafte „Konstruktion eines Mythos“ – Karl der Große in den europäischen Literaturen des Mittelalters [Tübingen 2004]:

Auskunft zu geben auf die Frage: „Was geschah wirklich?“, war nicht das zentrale Interesse mittelalterlicher Geschichtsschreiber. Viel wichtiger war es, über den eigenen Standort im Kontinuum der Zeit zu orientieren und über das fortgesetzte Wirken Gottes in der Welt zu unterrichten, gegenwärtige Verhältnisse durch die Rekonstruktion des Herkommens zu legitimieren und aufzuzeigen, wie es zugeht in der Welt, und zwar gerade dadurch, daß histori-sche Personen und Ereignisse in ihrer exemplarischen Bedeutung und nicht in ihrer unverwechselbaren Einmaligkeit und Beson-derheit präsentiert werden. Dabei läßt sich das Interesse am Musterhaften im historischen Diskurs, der aus der lateinischen Schrift- und Klerikerkultur hervorgegangen ist, genauso nachwei-sen wie in genuin volkssprachig-mündlichen Geschichtsüberliefe-rungen [...] (Archiv 243, 2006, S. 123–127.)

Auch für die Thidrekssaga und die altschwedischen Handschriften wurde, wenngleich längst nicht erschöpfend, typisierende Model-lierung ihres Protagonisten nach konventionellen Erzählschemata aus mediävalchronistischem/-historiografischem Milieu aufge-zeigt. Gegenüber der Karlsfigur als bibliografisch anschauliches Beispiel für die Transformation einer historischen Person in einen Typus mit exemplarischer Funktion (Klein) haben hochmit-telalterliche Literaten die Berner Herrschergestalt – zu dieser Zentralfigur aber auch eine bestimmte Anzahl ihrer Helden – wegen deren Auftritte im Nibelungenlied sowie in mhd. Dietrich-Dichtung jedoch genrecharakteristisch vorbelastet. Obwohl das geschichtliche Gesamtbild Karl des Großen dagegen nicht von „Karlsdichtung“ dominiert wird, lässt sich aus seinen literarischen Vitae die „Konstruktion eines Mythos“ aufzeigen. 26 Zu beachten ist Dietrichs Tod infolge seiner Rache an den altschwedisch überlieferten Wideke (Witig bzw. Widga). For-schungskritische Hinweise beziehen sich auf eine spätere redakti-onelle Hinzufügung. Abgesehen vom besonderen Verhältnis zwi-schen Dietrich und Hildebrand, dem nach den Darstellungen der übrigen Gefolgsleute des Berner Königs eine zu unterscheidende Funktion zukommt, erscheint Heime aus den Handschriften als erster vorgestellter Held unter seinesgleichen. Diese Beobachtung aus der Abfolge der Heldeneinführungen und -abgänge nach der (scheinbaren) Regel „first in – last out“ hat die germanistische und nordistische Forschung mit planungsstrukturellem Vorgehen des möglicherweise/wahrscheinlich für das Werkganze verantwortli-chen dritten Redaktors der Stockholmer Festlandhandschrift in Zusammenhang gebracht, siehe hierzu auch letzte Endnote. 27 Dazu auch [5], Text zu Bild 2 bzw. dort Endnote 6.

Diese Synonymisierung bzw. Apposition für Köln lässt sich offen-bar in klerikalem Schrifttum des 11. Jhs. finden: Nach einer Re-cherche des Privatforschers Reinhold Stirnberg soll Bischof Mein-hardus von Bamberg Babilonia für Köln in einem auf das Jahr 1080 datierten Brief verwendet haben (vgl. mit weiterer Quellen-angabe Forschungen zur Thidrekssaga, Bd. 1, S. 170).

Zu diesem in allen Handschriften verzeichneten Ortsterminus haben überwiegend englischsprachige Forscher Anfragen an den Beitragsverfasser gerichtet, ob eine offenbar niederdeutsche Vor-lage der Thidrekssaga die unverkennbar theologisierte Frankenge-schichte des Gregor von Tours mit einer „ostrheinisch-sächsischen“ Darstellung des „talentiertesten ersten Austrasierkö-nigs“ (Theuderich I.) zumindest ansatzweise persiflieren will. Bereits dieses in einen chronistisch-historiografischen Deutungs-komplex gerückte Wertungskriterium zeigt im Kontext mit erzähl-strukturellen Gestaltungsmechanismen der Thidrekssaga – und dazu deren wohl kaum vernachlässigbare Vorlagengeber Ludewi-cus von Wedinghausen –, dass mit (s)einem weiter erkundenswer-

Page 17: Document1

Rolf Badenhausen Wadhincúsan, monasterium Ludewici • Zur Ludwig-Signatur der Thidrekssaga

17

ten Verfasserprofil ein derartiger literarischer Gestus nicht grund-sätzlich ausgeschlossen werden darf.

27.1 Als weiteres mustergültiges Beispiel biblischer Anschauung – hier zum Gestaltenbestand – ist der Bericht König Salomon von Frankenland zu nennen. In Fine Erichsens Übersetzung einer alt- wie neuphilologisch klassifizierten „spielmännisch-burlesken Episode zur höfischen Unterhaltung“ begegnen uns gleich zwei biblische Gestaltennamen: Salomon und Antiokus – „Antiochus“ (s. Kap. 24 des Jarl-Iron-Berichts, Thule 22; vgl. sonst Mb 266).

Nach Traditionen, die Einlass in den Babylonischen Talmud und den Koran fanden, soll Salomon nicht nur die Sprache der Vögel gesprochen,vi sondern auch Macht über die Tierwelt besessen haben. Antiochus IV. Epiphanes – „den erschienenen Gott“ – allegorisiert der Prophet Daniel als „Kleines Horn“ seiner apoka-lyptischen Darstellung der „Vier Tiere“. Nach den apokryphen Makkabäerbüchern hellenisierte der Seleukidenherrscher Jerusa-lem, plünderte dessen Tempel und wandelte ihn in ein Zeusheilig-tum um.

Zur Namengebung bzw. Herkunft des Apollonius der Thidrekssaga verweist Erichsen auf eine mögliche Inspiration aus der Historia Apollonii regis Tyri, die König Antiochus als einen Protagonisten führt und göttlich-christliche Wertvorstellungen heidnisch-barbarischen Motiven bis hin zur Blutschande gegenüberstellt. Als das mit der Thidrekssaga harmonierende Initialmotiv könnte zwar die innige Vaterliebe König Salomons zu seiner Tochter herausge-stellt werden, jedoch sind hier weder eine inzestuöse Beziehung noch die nach der Historia des Apollonius beliebten Rätselproben genannt. In seiner antiken lateinischen wie auch auf griechisch überlieferten Erzählung (3. bis spätestens 4. Jh. n.Chr.) begegnet eine Reihe von Textpassagen, die Analogien vorzugsweise mit Überlieferungen des Neuen Testaments aufweisen (vgl. z. B. bei Lukas, Matthäus). Als eine weitere und für den zweifellos geistli-chen Verfasser dieser Thidrekssaga-Erzählung nicht minder inte-ressante Anspielung könnte der historische, jedoch auch mit zahl-reichen Legenden umwobene Apollonius von Tyana in die Waag-schale geworfen werden, den auch F. W. Bautz im Biografisch-Bibliografischen Kirchenlexikon als „neupythagoreischen Theo-sophen“ führt.

Eine deutliche Spur führt von An t i o c h i a zum Hauptquartier der Kaiser am Rhein: zu den vertrauten Freunden des gefeierten Rhetors zählte sowohl der aus Antiochia stammende Historio-graph Ammianus Marcellinus wie der fränkische Heermeister Richomer. Für das en passant personifizierende Notabene des klerikalen Schreibers – seine subtile genealogische Legitimation des Salomon – haben wir hier das sakral fundierte geografische Supplement zu einem säkular greifbaren Kontext, den Eugen Ewig Zum Geschichtsbild der Franken und den Anfängen der Mero-winger hinterlegt wissen wollte!vii

vi Das „multi- bzw. variotonale“ Pfeifen als historisch hinreichend belegtes Kommunikationsmittel beherrsch(t)en nicht nur Einheimische auf der Kanareninsel Gomera. Wie Ritter-Schaumburg in seiner Ana-lyse Hermann der Cherusker anmerkt [2008:273], berichtet Gérard de Sède in seiner Publikation Le mystère gothique (Das Geheimnis der Goten; Herrsching 1986) von einer ähnlichen Pfeifsprache gotischer Völker. Unter günstigen Bedingungen, so Ritter-Schaumburg aus seinen Quellen, wurden (und werden noch heute) mit der auf Gomera bis in zwitschernde Lautformen reichenden Sprache („El silbo“) Distanzen von mehreren Kilometern überbrückt. Für Sigurd der Thidrekssaga und die Heldenlieder der Edda ein nicht unerhebliches Interpretationskriterium? vii Unter vorgenanntem Aufsatztitel in Spätantikes und fränkisches Gallien (III), 2009; angeführtes Zitat: S. 63 [47]. Richomeres ging aus dem Trierer Hofkreis von Gratian hervor und gilt als Nachfolger von Teutomeres, einem hohen römischen Offizier fränkischer Herkunft, der 363 zum Gefolge von Julianus in Antiochia gehörte. Einen Richi-mer überliefert Gregor von Tours mit der Anmerkung Theudomerem

Bei den Zwistigkeiten zwischen Jarl Iron, Apollonius und deren Gegenspieler Salomon dreht es sich zunächst um eine teils theatra-lisch, teils komödiantisch verlaufende Brautwerbung von Irons Bruder Apollonius um die (durch eine Erkrankung früh sterbende) Tochter des Frankenkönigs,viii wobei die nachfolgende Handlung ins rächerische Dezimieren eines immensen Bestands in den Tier-reichen der jeweils anderen Partei übergeht. Der ernste, somit nicht von Vandilmars unfreiwilligem Ritt auf dem größten Wisent des Reviers geprägte Höhepunkt dieser Erzählung besteht aus dem offenbar salomonischen Urteil des Frankenkönigs zur Auslösung des nach Apollonius’ Erkrankungstod eingekerkerten Iron. Wie auch F. H. von der Hagen übersetzt, soll Irons Gemahlin und Apollonius’ Schwägerin Isold gar König „Attila“ – altschw. Akti-lius (!) – schriftliche Fürsprache zur Freilassung seines Vasallen im Süden von dessen Reich abgerungen haben. Wie dann Erichsen ergänzt, soll außerdem der Soester König „von Salomons Vater Antiokus von frühester Kindheit an aufgezogen worden sein“.

Der in den Handschriften genannte Wald von Ungara lässt sich unweit von Tyra nahe am Rhein lokalisieren. Dort, wo anstelle eines altnordisch (un)verstandenen Gaus der „Ungeren“ vielmehr der vom CODEX LAURESHAMENSIS bedachte „Engersgau“ auf-taucht – ein wohl überwiegend rechtsrheinisches Gebiet südlich von Sieg oder Wied bis zur Lahnmündung. Dort, wo mit neuerlich revidierter Begrenzungslokalisation von Abnoba mons nach den Angaben des Ptolemäus (Matthias Springer 2004:24) bereits längst jene Ingriones als potenzielle Namenspender aufgetreten sein konnten. Dieses in den Westerwald übergehende Gebiet konnte Iron von seinem Lehensitz Brandinaborg – dem zur Disposition stehenden B r a ndenb e r g südöstl. von Aachen – binnen drei Pferdemarschtage erreichen (Mb 264). Ritter-Schaumburg verortet das Tyra von Irons Bruder als Th ü r zwischen Wipperfürth und dem Rhein (dort aber das kartografisch verzeichnete „Thier“; vgl. [10], S. 765, Endnote 75). Dazu lässt sich jedoch die wesentlich plausiblere Bezugnahme des Scriptors auf das von Ritter-Schaumburg immerhin buchstäblich richtig angegebene Thür der Pellenz anführen.ix

regem Francorum, filium Richimeris [...] Nach Ritter-Schaumburgs Chronologie und Geografie der Thidrekssaga ist in der ersten Hälfte des 5. Jhs. der Frankenführer Thetmar als Onkel („Vaterbruder“) von Thidreks Großvater zu lokalisieren. Richimers Sohn Theudomer wurde 414 o. 415 auf römischen Befehl hingerichtet.

Zum erstgenannten altnordischen/altschwedischen Thetmar ein weite-rer Hinweis auf Ewig, der in Trojamythos und fränkische Frühge-schichte jenen Theudemar/Theudomer vermerkt, den Gregor als ersten namentlich bekannten rex Francorum ausfindig gemacht hatte (RGA, Bd. 19, S. 14).

Übrigens verbinden weder die Thidrekssaga noch die altschwedischen Handschriften die überlieferungs- wie handlungsstrategisch nur im Eifelraum zu lokalisierenden Amelungen mit der Abstammung Thidreks/Didriks (vgl. dagegen jene „Amaler“ in der Genealogie Theoderich d. Gr.).

viii Zu Formen und »Effemination« in deutschprachigen Erzähltexten des 13. Jahrhunderts der Beitrag von Andrea Moshövel: wîplîche man (V&R unipress, Göttingen 2009). Darin jedoch nicht der Einbe-zug der Thidrekssaga. Zur Poetik der Wolfdietrich-Dichtungen insbe-sondere Lydia Miklautsch: Montierte Texte – hybride Helden (de Gruyter, Berlin 2005). Aus dem mhd. Ortnit- und Wolfdietrich-Stoffkreis, vgl. Ortnits Brautwerbung um die Tochter eines Inzest begehrenden Heidenkönigs sowie Hugdietrichs friedliche Brautwer-bung im sog. Crossdressing, ist aus stoffchronologischer Perspektive ein motivrezeptiver Einfluss auf die Thidrekssaga bzw. ihre zu for-dernde schriftliche Vorlage nicht evident zu machen. Bereits die griechische Heldensage vom Trojanischen Krieg überliefert die von Konrad v. Würzburg gewürdigte Episode über Achilleus und Deida-mia.

ix Dieser mit einer offenbar karolingischen Heiligenlegende bedachte Ort wird im Jahr 1112 in der zweiten Stiftungsurkunde des Klosters

Page 18: Document1

Rolf Badenhausen Wadhincúsan, monasterium Ludewici • Zur Ludwig-Signatur der Thidrekssaga

18

Zum berichtgeografischen Kontext, so auch zum „Walslangawald“ (Valslönguskóg), der Verfasser in [18]:

The scribe of Mb 246 locates Walslanga at certain ‘western border’ of Franka riki, cf German Thidreks saga translation by F. H. von der Hagen. Ritter identified Walslanga ('Valsløngva')x as German Westerwald, a woodland which, as the MS provides, partially belonged to the realm of that ‘Salmon’. A western or north-western border of his land actually seems plausible if the Franks had already taken their first new regions on the lower Lahn and Main river ('Frank-furt'). From second quarter to the middle of 6th century, the Franks invaded Thuringia on a Mid-German territory extending from the upper Main to the upper Weser and the Elbe. So far, the medieval writer certainly means an area known today as '(Unter-) Franken' with regional inhabi-tants still called 'Mainfranken'. The author of Mb 250 remarks that King Salmon attended a colloquium of apparently ‘Ripuarian Franks’ at King Ermenrik’s Roma [secunda]. Ritter has placed this event at the end of 5th century. Thus 'Salmon', a nickname for a mighty Frankish chief seemingly given by a sophisticated cleri-cal author, might appear synonymous with the first (or an early) Frankish conqueror and new ruler of lower and mid Main re-gions. The ford ('furt') of Main river on an obvious outstanding former location related to the Franks – today the metropolis of a large area –, from the MS to be roughly determined in eastern position of the former Walslanga centre, was an important strate-gic passage presumably after the withdrawal of the Romans and certainly after Migration Period.

[A. a. O. eine zeitgeschichtliche Anmerkung zu ‘Ripuarian Franks’: Although some modern research would criticize the usage of this expression for an eastern Frankish tribe or territory on the mid and lower Rhine of 5th century, many elder historians seem to have applied this term incorrectly in ethnological and chronological context, eg Wilhelm Giesebrecht, German transla-tor of Gregory of Tours. Nonetheless, a certain number of authors might just geographically regard 'Ripuaria' or 'Ribuaria', consid-ering nothing more than a region of unknown borders around the former Roman based 'civitas' of Cologne. Regarding late Migra-tion Period resp early Merovingian era, this region has been traditionally suggested from the mid and lower Moselle to the mid and lower Rhine. (See RGA 24, 2003, or the more comprehensive analysis by Matthias Springer: Riparii – Ribuarier – Rhein-franken ...; Erg. z. RGA, 19, 1998.)]

Insofern ließe sich das narrative Verhältnis zwischen epischer Erzählintention und historiografischer Disposition des mit raum-zeitgeschichtlicher Frankenkartografie vermittelten Salomon-Berichts sondieren. Nicht unbedingt nachbiblisch-historisch aus-geschlossen werden darf der imponierende, wegen sonst fehlender Vergleichsquellen vom Autor dieser Episode anscheinend bewusst synonymisch gewählte Name für einen etabliert mächtigen Fran-kenherrscher, der aus den ersten ostrheinischen Invasoren hervor-gegangen sein mag! Hier thematisiert ein bestimmtes mediävales Vermittlungsinteresse zwar diesen Franken als Protagonisten eines noch glimpflich verlaufenden Nachbarschaftskonflikts, jedoch lassen sich Figur und Erzählung – einerseits wegen einer bemer-

Laach bezeugt. Der Thürer Raum um dieses Stift besaß längst vor seiner ersten urkundlichen Erwähnung einen beachtlichen wirtschaftli-chen und siedlungskulturellen Stellenwert, der sich nach archäologi-schen Funden bis auf das 5. vorchristliche Jahrhundert datieren lässt. x Altnord. Wurfmaschine. Schon die Tatsache, dass (abgesehen von einer wenig dramatisch beschriebenen Gefangennahme des Jarl Iron) in der gesamten Episode über Salomon von Frankenland wegen rechtzeitiger Flucht von Irons Männern nirgends von Waffenkampf unter den Gefolgsleuten der Protagonisten die Rede ist, spricht eher für einen Übertragungsfehler aus einem niederdeutschen Text mit origi-nalsprachlicher Schreibweise des von Ritter-Schaumburg lokalisierten Waldgebietes.

kenswert großen Lakune über ostfränkische Geschichte sowie andererseits zum Vorlagentypus einer Historia – keineswegs innerhalb rein fiktiver Dimension absichern.

Wie uns dazu Gregor von Tours in seinen Decem libri historiarum aufzeigt, zögerte ein Vertreter aus den Reihen fränkischer Könige nicht, den kaum minder biblisch klingenden Namen Samson – so benannt auch Thidreks Großvater – an einen seiner Abkömmlinge zu vergeben. Auch wenn unter dem Gesichtspunkt einer Gesamt-betrachtung frankendynastischer Namensgebungen [...] Paten-schaften zum Gedenken an biblische Gestalten keineswegs typi-siert werden können [Verfasser 2007:363]. Zum Iron-Bericht vermerken die altnordischen Überlieferungen deutsche Traditi-on(en). Der vorüberlieferte und somit eher aus einer niederdeut-schen Bearbeitung weitergereichte Salomon-Bericht, hier zum Personenbestand mit einem antiquarischen und biblischen Cogno-men zur figürlichen und vermutlich auktorial betonten Darstellung einer keineswegs unwichtigen geopolitischen Grenze in Thidreks Vita, lässt sich zum chronistisch verarbeiteten Vorlagenmaterial (aus) einer Historia postulieren. Während nach dem Wirken des biblischen Salomon das Alte Testament über eine Volksteilung in die Reiche Israel und Juda berichtet, zieht König Ermenrik bald nach der Salomon- und Iron-Erzählung die Grenzen seines Fran-kenreichs weiter ost- und nordostwärts und damit gegen das Huna-land von König Aktilius. Hierzu beseitigt Ermenrik die Ake-Söhne und vertreibt Dietrich, ein kaum zu übersehender inhaltlicher Höhepunkt der Thidrekssaga.

Zum erzählstrukturellen Konzept der Thidrekssaga – insoweit aber auch zum literarischen Profil ihres Vorlagenlieferanten – darf das von christlicher Legende geprägte Thür nicht übersehen werden. Mit der in der Pellenz zu lokalisierenden Erzählung über Apollo-nius und seinen Bruder Iron liegt vielmehr ein weiterer Milieu-nachweis des Berichtverfassers vor: Um die Thürer Wallfahrtskir-che St. Maria „Fraukirch“ – um die Gedenkstätte der auch seinem westfälischen Sitz gewidmeten Patronin – darf eher ein literarisch erfahrener niederdeutscher denn altnorwegischer Erstüberlieferer eine sowohl altgeschichtlich als auch erzählungstraditionell höchst bemerkenswerte Region im Reich von Thidrek bzw. Theuderich I. aufgegriffen haben. Der patriotisch-historische Aussagewert dieses Berichts wird durch die Verfügungsgewalt eines Franken über einen Gegenspieler verdeutlicht, der noch durch Soester Einfluss ein rheinisches Lehen erhalten hatte. Mangels anderer Quellen kann allerdings keine verlässliche Aussage darüber getroffen werden, ob oder inwieweit solcher Zusammenhang im strikten Gegensatz zu den raumpolitischen Verhältnissen des 5.–6. Jhs. zu sehen ist. Einen Übernahmekonflikt zwischen dem machtexpansi-ven Chlodwig I. und offenbar längst autark zu sehenden rheini-schen Franken umschreibt Gregor von Tours mit der Anfang des 6. Jhs. erfolgten Beseitigung des bei Köln residierenden Sigibert.xi Dessen Reich könnte sich bis in die Confluentes-Region erstreckt haben und die mit der Salomon-Iron-Erzählung angedeuteten Besitzverhältnisse mögen auch insoweit ein Grund mehr für Chlodwig bedeutet haben, sich der Rheinfranken zu bemächtigen!

27.2 Mit einem ergänzenden Erzählmuster aus der Pellenzer Heili-genlegende verdrängt wiederum eher der kontinentale Scriptor und Vorlagengeber der Thidrekssaga als deren Bergenser Redaktions-leiter die von altnordischer Tradition ohne Mythos überlieferte Geburts- und Kindheitserzählung über Sigurd/Sigfrid (vgl. Völ-sungasaga). In davon grundverschiedener Vermittlungsintention übernehmen nichtsdestoweniger die Scriptoren der Thidrekssaga jene unübersehbare Rezeption aus der Vita der Genoveva von Brabant. Diese nach verfügbaren chronistischen Quellen zwar nicht historisch abzusichernde, jedoch in der Pellenz als Heilige

xi Decem libri historiarum II, 40. Zu beiden fränkischen regna auch Karl Ferdinand Werner: Die „Franken“. Staat oder Volk? in: Erg.-Bd. 19 z. RGA (1998), S. 98.

Page 19: Document1

Rolf Badenhausen Wadhincúsan, monasterium Ludewici • Zur Ludwig-Signatur der Thidrekssaga

19

verehrte Gestalt verbindet der Urheber von Mb 152–168 (vgl. Sv 148–160) mit der Genesis eines Heros, dessen Eulogie und Epilog die Thidrekssaga nirgends mit annähernder Entsprechung ihrer Titelgestalt auszugleichen vermag.

Insoweit darf die Sisibe-Erzählung, darin vor allem die Motivnah-me aus der biblischen Erzählung über Moses Geburt – die Fluss-fahrt des Neugeborenen in den altnordischen/altschwedischen Handschriften – dem Konzept des Wedinghausener Scriptors entsprechen [Verfasser 2007:173,444–446]. Des Weiteren lässt das entscheidende Argument des hintersinnigen Ratgebers vor seinem König zur Vertreibung von dessen Neffen auf ein rhetori-sches Gestaltungsmuster aus dem biblischen Exodus, 2. Buch Mose 1,8–10, schließen. Die Herder-Bibel (Ausg. 1966) überlie-fert diesen Passus:

Da kam ein neuer König in Ägypten zur Herrschaft [...] Dieser sprach zu seinem Volke: „Seht, das Volk der Israeliten wird für uns zu zahlreich und zu stark. Wir wollen klug gegen es vorgehen [...]

Ritter Schaumburg übersetzt aus Sv 238 der altschwedischen Handschriften:

Eines Tages sprach Sevekin zu König Ermenrik: „Mir scheint, daß du bald auf der Hut sein mußt vor deinem Neffen, König Didrik von Bern. Er ist ein ungetreuer Mann und ein mächtiger Kämpe. Du mußt dich vorsehen, daß er nicht dein Reich dir abgewinnt! Er vergrößert jeden Tag sein Reich, und deins ver-mindert er [...]

Eine vor allem im Alten Testament stereotypisch verwendete Formel zum Ausdruck einer schmerzvollen seelisch-physischen Reaktion befindet sich in den Berichten über Brynhild und Sigfrid bei den Niflungen: Brynhild, die nach schicksalhaftem Ablauf jener pikant intimen Verhältnisse die für sie höchst desillusionie-rende und schmachvolle Botschaft ihren Schwägern vorträgt (Mb 344), zerreißt in ihrer Verzweiflung ihre Kleider ebenso wie der biblische Hiob sein Gewand (siehe Kap.1,20).xii

27.3 Der Scriptor der Episode Herbort und Hilda ergänzt den Hof der zwölf Jarle zählenden Tafelrunde ihres arthurianisch exponier-ten Vaters mit z wö l f M ö nc hen und liefert somit (s)ein milieu-spezifisches Charakteristikum, das in der Artus-Epik seinesglei-chen sucht (Mb 236).xiii Noch in gleichem Kapitel folgt die kaum zu übersehende szenische Anspielung des Scriptors auf den (bzw. seinen) späteren Wadhincúsan-Bericht: Während der erregte Herbort einen Hilda anvertrauten Mönch so hart schüttelte, dass er ihm Haut und Haar ausriss, wendet sich Heime in stilistisch-systematischer Steigerung an den Mönchabt des Klosters und schüttelte ihn so heftig, dass er ihm vier Zähne ausbrach.

Dieses Kapitel der Thidrekssaga weist noch mit anderer Anspie-lung auf seinen zweifellos belesenen Verfasser hin: Auf dem extravaganten Kopfschmuck einer schier vergötterten Hilda thront gleich zweimal der griechisch-römische Pfau als apotheotisches Symbol der antiken Hera und Juno.xiv

xii Weitere Beispiele (AT): Im Schmerz über den weltlichen Verlust seines Lehrers Elija zerreißt dessen Schüler und Nachfolger Elischa sein Kleid, Könige 2,12. Des Weiteren, in einem anderen Handlungs-kontext, auch Josua 7,6. xiii Über die Beliebtheit der Artus-Erzählungen im niederdeutschen Raum hinterlässt Cäsarius von Heisterbach um 1220 die Anekdote, dass ein Abt während seiner Predigt eingenickte Klostergenossen nur durch Ausruf von König Artus’ Namen wachgerüttelt haben soll. xiv „Juno Ludovisi wurde für Goethe und seine Weimarer Freunde ein Stück erlebter Antike.“ So folgert Reinhard Häussler in seiner Publikation Hera und Juno: Wandlungen und Beharrung einer Göttin (Steiner, Stuttgart 1995). Darin Häussler S. 40: Dem Pfau, mit seinem Krönchen so trefflich zu Hera Basíleia und Iuno Regina passend, kam offensichtlich die höhere Weihe zu, und die vermittelte Hera. Im

Bereits in der Einführung von Hildebrand finden wir eine gestal-tungstypisierende Hervorhebung aus der biblischen Beziehung Davids zu Jonathan mit dem besonderen Verhältnis Thidreks zu Hildebrand; siehe Kap. AB = Mb 15. (Zur bevorzugten Kapiteltei-lung der Thidrekssaga [15], {Druck-}Seite 2.) Zu diesem Ver-gleich bezweifeln z. B. Andersson (1986) und Tómasson (1988) sicher zu Recht den Einfluss des altnorwegischen Königsspiegels („Konungs skuggsjá“) auf den Prolog der Thidrekssaga. Wegen unklarer chronologischer Zusammenhänge in der altnordischen Stoffverarbeitung kann hier keineswegs der Nachweis geführt werden, dass der Verfasser dieser Vorrede dem Schreibkollegium der überliefernden Handschriften diesen biblischen Vergleich zugeführt oder sonst in irgendeiner aktiven Beziehung zu deren Vorlagenverarbeitung gestanden haben muss.

27.4 Zu einem Stoßgebet entschließt sich Thidrek in seinem offen-bar fabulösen Bergara-Abenteuer, wo der Berner König einen Drachen besiegt. Die Parallelen zum Wolfdietrich gehen hier derart ins Detail, dass selbst der Verfasser der Version D (wo zwei Drachen dem Helden entkommen können) darauf hinweist, dass sie 80 Jahre später von Dietrich von Bern erschlagen werden. (Offenbar meint der Erzähler als ersten Drachen das von Thidrek am Osning getötete Fil .) Über die Abhängigkeit der altnordischen Handschriften von Darstellungen der Ortnit- bzw. Wolfdietrich-Überlieferungen liegen kontroverse Auffassungen vor, siehe z. B. Miklautsch a. a. O. 27.5 Nicht zuletzt begegnet auch in den Niflunga-Berichten eine Danksagung in Gottes Namen, so Mb 367 im Dialog zwischen Hogni und Eckewart. 28 Bereits Helmut de Boor denkt in seinem 1932 erschienenen Beitrag über Das Attilabild in Geschichte, Legende und heroi-scher Dichtung an ein möglicherweise kirchlich bestimmtes Profil des ober- wie auch insbesondere niederdeutsch tradierten „Attila“ als flagellum dei.

Zu erwähnen ist aus Frantzens Beitrag Über den Stil der Þiðreks-saga sein Hinweis auf besondere textrhythmische Lesarten in handschriftlichen Teilbereichen. Neben Tardus- und z. T. katalek-tischen Planusschlüssen stellt er an Kapitelauszügen aus dem ersten Teil der Wilzenüberlieferung auch auffällige trochäisch-daktylische Satzmerkmale fest. Die von Frantzen noch angeführte Redewendung Um Átila kónung er nú at rœða ließe sich zwar mit einer poetischen Vorlage in Verbindung bringen, doch schränkt er zugleich ein, dass hinter dieser Aussage auch ein schlichter chro-nistischer Stil verborgen sein darf: De Áttila rége núnc est dicén-dum [1916:198–200].

samischen Heraion war der Pfau das heilige Tier; nach Athen ge-langte er im 5. Jh. Nach Rom freilich fand das schöne, angeblich eitle — in Wahrheit balzfreudige —, auf alle Fälle wohlschmeckende Tier frühestens im 2. Jh. v. Chr. Pompejanische Wandgemälde zeigen Juno mit Pfau, auf Münzen von Leptis Magna weist der Pfau Livia als Juno aus. Neben Juno begegnet in der Kapitolinischen Trias auch Minerva, zu der Maurus Servius Honoratus in seinen Vergil-Kommentaren anmerkt, dass sie vom gelähmten/verkrüppelten Schmiedegott Vulca-nus während ihres Besuches in seiner Schmiede sexuell drangsaliert worden sei.

Insoweit besteht auch ein offensichtliches Motivangebot an den Ver-fasser des Weland-Berichts.

Zum weitläufigen Rezeptionskomplex siehe auch S. 404 bei Manfred Stuckmann: Wappenschilderungen und historisch-heraldische An-spielungen in Konrad von Würzburgs Trojanerkrieg; Diss. Wuppertal 2003. Zum Pfau in christlicher Symbolik und Auslegung siehe u. a. Heinrich Laag: Kl. Wörterbuch d. frühchristl. Kunst und Archäologie; Reclam (TB), 1990 sowie das Herder-Lexikon Symbole (bearb. v. Marianne Oesterrreicher-Mollwo); Freiburg 1978/1993.

Page 20: Document1

Rolf Badenhausen Wadhincúsan, monasterium Ludewici • Zur Ludwig-Signatur der Thidrekssaga

20

Frantzen will mit Textbeispielen aufzeigen, dass zumindest man-che Passagen in den Handschriften der Thidrekssaga einen Rück-schluss auf satzmelodische Quelleneigenschaft nahe legen. So verweist er auf einen Dialog zwischen Ecke und Thidrek über den Schmiedezwerg Albrich (Mb 98), deren Passus er nach Friese (s. unten) wie folgt zitiert: S. 79. En Þat sverð var stolit ok leynt lengi, en Þat gerði Alfrikr dvergr, hinn mikli stelari, hann kom i Þat berg ... xv

Die Reime waren natürlich: gestolen : verholen; dwerg : berg, wie mhd. verholn : verstoln; berc : getwerc. Weitere von Frantzen aufgegriffene Beispiele:

S. 80. Þegar er dagr kømr, Þa vil ek, at hvarr okkar taki Þat af annars hendi sem fa ma.

Es reimte dag : mag, mhd. tac : mac.

Nu brénn ok glóar svá mitt hiárta sem Þetta gúll glóar i minom sióð.

Die von Fr. dazu angeführte Parallele hat den Reim tut : glut, also etwa:

Min herte nu so brennet unde gloit,

Also dat golt in minem gordel dot.

S. 82. sva er sagt, at engi maðr hafi vitat aðr ne siðan drengilegra tveggia

manna vig. – Reim: e noch sit : strit.

In: lata ma ek lif mitt her usw. waren die Reimworte offenbar lif : wif

Dass nach Frantzens sagengenerischen Vorstellungen für diese Partien eine Art Spielmannspoesie als Vorlage gedient haben soll, kann hier nicht nachgegangen werden. Doch wird man mit ihm sicher davon ausgehen dürfen, dass für die episch getränkten Darstellungsbereiche der Thidrekssaga eine adäquate gelehrte Fassung verantwortlich zeichnet und die altnordische Übertragung auch hier bestrebt ist, der schöpferischen bzw. auch fremdsprach-lichen Qualität ihrer Quelle mit angemessener Stilistik zu entspre-chen. Allerdings ist längst nicht ausgeschlossen, dass manche im Altnorwegischen bzw. Altnordischen „beispielhaft durchscheinen-de satzmelodische Umsetzungen“ – soweit hierzu eher zufällige Entsprechungen jedoch keineswegs ausgeklammert werden dürfen – in gewissem Umfang einen kaum mehr als übersetzerischen Hintergrund haben können.

Zum literarischen Milieu der in Altnorwegen unter Hákon IV. übertragenen Thidrekssaga stellt Frantzen in bemerkenswerter Übereinstimmung mit dem aktuellen Forschungsstand grundsätz-lich fest (S. 206f.):

Die Þs ist keine alleinstehende Erscheinung in der nordischen Litteratur: sie stammt aus denselben Kreisen und derselben Zeit, wie die Volsunga- die Karlamagnussaga, zu welchen sie ja auch sonst Beziehungen hat, und wie die RiddarasQgur: es sind Samm-lungen und prosaische Bearbeitungen resp. Übertragungen einheimischer und fremder Dichtwerke, gelehrte höfische Littera-tur aus den Kreisen Hakons Hakonssonar und seiner Nachfolger.

xv Fine Erichsen übersetzt: Das Schwert war gestohlen und lange verborgen. Das hatte Zwerg Alfrik, der berüchtigte Räuber, getan. Er d r a n g heimlich in den F e l s e n ...

F. H. von der Hagen übersetzt mit offensichtlich engerem Bezug auf den Quelltext: Dieses Schwert aber ward gestohlen und lange verbor-gen, und das tat Z w e r g Alberich, der berüchtigte Dieb: er k a m heimlich in den B e r g ...

Niemand bezweifelt, daß diese Litteratur auf schriftlicher Überlieferung beruht, daß dem Verfasser der VQlsungasaga eine mit dem Codex regius verwandte Handschrift vorlag, daß die KMSxvi nach Abschriften französischer chansons de geste und lat. Chroniken bearbeitet ist, daß wir in den RiddarasQgur eine Übertragung afr. Romane vor uns haben. Die Vergleichung dieser nordischen Prosaerzählungen mit den erhaltenen Quellen ergibt, trotz vielfacher Überarbeitung und Kürzung, nie willkürliche Änderungen in den Einzelheiten und im Gange der Erzählung, sondern getreue Wiedergabe des Inhalts, häufig sogar engen Anschluß an den Wortlaut. So wenig wird die Treue angezweifelt, daß wir unbedenklich diese Prosaauflösungen zur kritischen Wiederherstellung verderbter Stellen und zur Ergän-zung von Lücken der Originale benutzen. Natürlich hat auch hier bei der Bearbeitung fr. Stoffe jene Scandinavisierung stattgefunden, von welcher Fr.xvii S. 25–26 spricht; dadurch wird aber die Darstellung der Ereignisse, die Schilderung der Charak-tere und die Motivierung nicht berührt. Auch da wo der Nordlän-der der Sache vielleicht wenig Verständnis und Interesse entge-genbringt, weicht er doch nicht willkürlich von seiner Vorlage ab. Während nach Fr. dem Nordländer die tiefe Religiösität des deutschen Dietrich unverständlich geblieben sein soll, hat der Verfasser der KMS den so viel stärker ausgeprägten religiösen Charakter des Kaisers Karl und seiner Paladine nicht verwischt.

Frantzen favorisiert als unmittelbare niederdeutsche Quelle (= „ursprüngliche Sage“) der Thidrekssaga

[...] ein Spielmannsbuch, welches das ganze Vortrags-Repertorium seines Besitzers enthielt, oder eine von einem Lieb-haber angefertigte, aus mehreren derartigen Spielmannsbüchern erwachsene Sammelhandschrift von epischen Liedern mit prosai-schen Einleitungen und Zwischenstücken.

Nichtsdestoweniger lesen wir wenig später:

Ich halte es auch nicht für ausgeschlossen, daß in dem gelehrten Hofkreise Hakons eine lat. Dietrichschronik bekannt war, aus welcher der Ss.xviii für seine prosaischen Geschichtsberichte, Genealogien u. dergl. schöpfte, ebenso wie der Verf. der KMS neben der chanson de geste auch den Pseudoturpin benutzte. Der Cursus in den Satzschlüssen, und Namensformen, wie Osantrix, Vilcinus, Attila, Amilias, Ercam, Ravennam, Ostacie weisen darauf hin; auch der Ausdruck erinnert dann und wann an den Chronikstil. Daß aber der Sagamann den ganzen riesigen Kom-plex von historischen und genealogischen Berichten mit Hunder-ten von Namen, von zahlreichen längeren und kürzeren Liedern, nach mündlicher Mitteilung aus dem Gedächtnis aufgeschrieben hätte, das kommt mir an und für sich schon unglaublich vor (S. 208–209).

Allerdings sollen die Bearbeitungen für das uns vorliegende litera-rische Endprodukt auf Frantzens Vorstellung beruhen, dass

zu den prosaischen Stücken größtenteils die pseudohistorischen Berichte, Genealogien, Beschreibungen, vielfach auch Kriegszüge gehören, welche die poetischen Erzählungen einleiten oder um-rahmen, sowie zahlreiche in letztere eingestreute Bemerkungen und Hinweise, die wohl meist späteren Redaktoren oder Schrei-bern entstammen.

Deren Anteil will Frantzen als gesamtkontextuell wenig willkom-mene Anreicherung glauben machen und setzt nach:

Der Stil dieser Stücke hat etwas Stereotypes: es kehren immer die nämlichen Wendungen wieder, was freilich durch die Ähnlichkeit

xvi Karlamagnús saga

xvii Friese, Hans: Thidrekssaga und Dietrichsepos. Untersuchungen zur inneren und äusseren Form; Berlin 1914. xviii Sagaschreiber

Page 21: Document1

Rolf Badenhausen Wadhincúsan, monasterium Ludewici • Zur Ludwig-Signatur der Thidrekssaga

21

der Situationen bedingt wird. Ein Land heißt so und so, der Fürst wird genannt und in feststehenden Hyperbeln beschrieben, des-gleichen seine Gattin, Kinder – es folgen Botschaften, Unterhand-lungen, Reisen, Kriegszüge, Schlachten und Belagerungen, daneben Ausfahrten junger Helden, Abenteuer und Kämpfe [...] Wiederholt wird man in diesen Stücken durch gewisse formelhafte Ausdrücke, z. B. Eingangsformeln, Begrüßungen, Briefsendungen, Botschaften und dgl. [...] an den Stil lateinischer Chroniken erinnert, wie denn auch Haupt zahlreiche Berührungen zwischen der Saga und Helmolts Chronica Slavorum nachgewiesen hat (S. 198).

Frantzen vermeidet die Verortung der für diese Berichte zuständi-gen Redaktoren oder Scriptoren – Altnorwegen? Im deutlichen Gegensatz zu seinen kaum angreifbaren Feststellungen über das altnordische Bearbeitungsprozedere importierter Quellen (vgl. a.a.O. Seiten 206–207) kommt Frantzen mit seinem keineswegs überzeugenden Urteil über berichtsgeschichtlich politische bzw. chronistische Dimensionen im Vermittlungskorpus der Thidreks-saga nicht ansatzweise in den Sinn, dass der in Altnorwegen über-tragene Vorlagenstoff in gewissem wie bereits weiter oben umris-senem Umfang aus der Feder eines episch ambitionierten Chronis-ten/Historiografen stammen darf. Hätte sich Frantzen um eine Relativierung seines eklatanten textanalytischen Defizits bemüht, dann wäre der überlieferte Text der Þs, die man als eine Art Roman- oder Novellenchronik bezeichnen kann – so meidet er scheinbar bewusst eine expressive Gleichsetzung der Thidrekssaga mit einer Historia – vielmehr am umfassenden Beispiel seiner in Aussicht gestellten lateinischen Dietrichschronik plausibel zu machen gewesen.

Aus vergleichenden Untersuchungen von verfügbaren und in Altnorwegen umgesetzten kontinentalen Stoffangeboten haben wir dort eher überwiegend übersetzenden als ihre Quellen abschwei-fend interpretierenden Redaktoren eigene Phraseologismen, se-mantische und idiomatische Textcharakteristika einzuräumen. Jedoch wird man diese grundsätzliche Erkenntnis nicht gegen eine postulierfähige und insoweit auch sinngemäß übertragene Vorlage der Thidrekssaga verwenden können; siehe zu ihrem Großwerk-Kontext auch [6].

Nach der historischen Datierung vom Wedinghausener Kirchen- und Klosterbrand darf das erste Viertel des 13. Jhs. als Zeitfenster von Fertigstellung und Manuskriptabgabe für die altnordische Thidrekssaga nicht ausgeschlossen werden. Insoweit sind bereits bestehende ältere rezeptionschronologische Annahmen und Folge-rungen für den altnordischen Literaturkontext unter Umständen neu auszurichten. Auch scheint keineswegs ausgeschlossen, dass nach inhaltlicher Anpassung und Insertion des Wadhincúsan-Berichts an verhältnismäßig später Stelle des Gesamtwerks der Scriptor seine vor der Brandkatastrophe gerettete Arbeit bereits im ersten Jahrzehnt des 13. Jhs. begonnen und mit solcher Positionie-rung angezeigt haben könnte. 29 Zu dem von Ritter-Schaumburg ausgefilterten „Jägerlatein“ am Osning:

Hierzu zählen die bei Barkhausen im Teutoburger Wald gefunde-nen Großtierspuren, mit denen eher der heimatkundliche Überlie-ferer als ein altnordischer Redaktor für zwei Gefolgsmänner von König Dietrich (Sintram und Fasold) eine Episode liefert. Die mittelalterlich beliebte und bis zu frühen christlichen Bildzeugnis-sen zurückverfolgbare Motivik des Halbverschlungenen begegnet u. a. in der oberdeutschen Virginal, einer aventiurehaften Diet-richepik (vermutlich noch 13. Jh.), sowie in der von Konrad Justinger verfassten Berner Chronik (15. Jh.), wonach ein Sintram bei der von ihm miterbauten schweizerischen Festung Burgdorf seinen Bruder Baltram (Beltram) aus einem Drachen herausge-schnitten haben soll. Die Abhängigkeit der Thidrekssaga-Episode mit Sintram und Fasold von südlicher oder romanischer Traditi-on, siehe auch deren Vermerke im Reimepos Biterolf und Dietleib, kann anhand verfügbarer Quellen jedoch nicht aufgezeigt wer-

den. (Siehe Online-Beitrag [15], Anmerkung i zur Endnote 1; Quellenstand: 24.06.2010.)

Die Verarbeitung des in kirchlicher Tradition verankerten Halb-verschlungenen-Motivs darf von einem mittelalterlichen Bibelsc-riptor und chronistischen Verfasser in einem Großwerk-Kontext erwartet werden. In der Initiale zu Psalm 69 im St. Albans Psalter (Psalter der Christina von Markyate, 12. Jh.) zieht Christus einen Sterblichen aus einem Drachenmaul. Im späten 12. Jh. entstand für das Tympanon am Westportal der Pfarrkirche St. Peter in Strau-bing eine vergleichbare Szene, die Erzengel Michael in kämpferi-scher Montur um die Seelenrettung eines im Drachenschlund befindlichen Menschen verdeutlichen oder schlicht Psalm 35 versinnbildlichen soll [Abb. Verfasser 2007:267]. Im 13. Jh. folgte eine Umsetzung mit einem Fries an der Abteikirche Andlau im Elsass [Abb. Verfasser a.a.O.]. Eine weitere Ausgestaltung dieses offensichtlich beliebten hochmittelalterlichen Motivs aus christli-cher Symbolik befindet sich an einem Säulenkapitell (12./13. Jh.) im Chorumgang des Basler Münsters.

30 Ein literarisch engagierter Scriptor mag im vermittlungsstilisti-schen Komplex einer Historia – gegenüber einer allerdings nicht ohne bibliografische Ausnahmefälle „nüchterner“ vermittelnden hochmittelalterlichen Chronik – die größere Herausforderung für seine Geschichtsschreibung gesehen haben. Im Übrigen wurden Bedenken, die gegen eine (auch im Altnordischen mögliche) Komposition einer Historia zum einen aus chronistischer Überlie-ferung wie zum anderen aus untenschiedlichen (der „saga“ zuge-schriebenen) Erzählungsgenres sprechen, von Seiten seriöser Textforschung nirgends plausibel angemeldet. 30.1 Noch textrelevant anzumerken sind berichtübergreifend lokali-sierbare referenzielle Routineformeln, die nicht unbedingt von einem altnordischen Redaktor hinzugefügt, sondern bereits aus dessen Vorlage entnommen worden sein können, demnach ebenso gut auf ein niederdeutsches Großwerk des dortigen Berichtliefe-ranten hinweisen dürfen. Beispielsweise im Gransport-Zug (Mb 321), wo sich Aktilius von einem Susaer Turm an sein Volk wen-det und bald steigernd Mb 324, wo Ermenrik den höchsten Turm seiner Romaburg bestiegen hat, um seine Untertanen gegen die Bedrohung zu ermutigen. Bereits nach Kap. 2 (Hs. A) besteigt Ritter Samson für seine Werbung um Hildiswid den höchsten Festungsturm. Im Bericht über den Niflungenuntergang begibt sich König Aktilius – nur wenig später nach Grimhild – auf einen Turm zu Susa, um seine Krieger gegen den Feind anzuspornen (Mb 380). Der vorausgegangene Bericht über den Wilzenkrieg zwischen Aktilius und dem östlichen Herrscher Waldemar erwähnt auch Dietrich von Bern auf dem höchsten Turm von Aktilius Residenz (Mb 293).

Wir müssen also mit der Wahrscheinlichkeit rechnen, dass diese Formeln auf eine akrophile Neigung u./o. damit beabsichtigte Signierung durch den Verfasser dieser Berichte hindeuten. Sie mögen aber auch, und insoweit kaum minder subtil, auf das „weit-sichtig herausragende“ architektonische Charakteristikum seines klerikalen Milieus anspielen – also jenen Turm eines Residenz- bzw. Kirchengebäudes, das längst nicht einzig im Raum Bergen zu suchen ist! 30.2 Es gibt zu denken, dass sich die Thidrekssaga nicht so recht in ein bestimmtes altnordisches Literaturgenre kategorisieren lassen will. Die Forschung hat insoweit – allerdings mit kaum befriedi-genden Folgerungen – wiederholt versucht, die „literarische Kom-plexität“ der vorliegenden Handschriften mit altnorwegischer bzw. Bergenser Zusammenführung unterschiedlicher Traditionsarten und -linien transparent zu machen („Kompilation“ und „Komposi-tion“). Die damit vor allem auf altnordische Entstehungsverhält-nisse konzentrierte, hierdurch eingeschränkte und somit nicht überzeugungsfähige Diskussion über die Genre-Problematik der Thidrekssaga zeigt und mahnt vielmehr, dass eine eingeführte Großvorlage, eine mit epischen Gestaltungszügen umrahmte chro-

Page 22: Document1

Rolf Badenhausen Wadhincúsan, monasterium Ludewici • Zur Ludwig-Signatur der Thidrekssaga

22

nistische Quelle, nicht außer Acht gelassen werden darf. Unter Berücksichtigung von hierzu übersetzerischen wie auch stilistisch-idiomatischen Einflüssen auf entwicklungstendenziell grundsätz-lich mögliche narratologische Überschneidungen mit den Genoty-pen „Fornaldarsögur“ und „Riddarasögur“ kann importiertes sowie mit berechtigtem Postulat verschollenes Vorlagenmaterial nicht ohne glaubhafte, für die Thidrekssaga bislang nicht erbrachte Nachweise einer altnordischen Urheberschaft zugewiesen werden. (Zur literargeschichtlichen Problematik sollte sich der Hinweis erübrigen, dass ein vor allem von der jüngeren nordistischen For-schung erkannter Glanz mancher altnordischer Verschriftlichung auf vorlagenkonform angestrebte Übertragungen aus kontinentaler Literatur – soweit diese noch handschriftlich zur Verfügung oder in rekonstruktiver Bedeutung zur Debatte steht – zurückgeführt werden kann.)

31 „Dieses Buch schrieb zur Sühne für seine Sünden Lodhewicus. Gute Kunst der Schreiber erfordert gewaltige Mühe, bringt aber edlen Gewinn.“

Zitat S. 62 aus Arnsbergs Alte Schriften, 1988.

32 Zu der das Großwerk Thidrekssaga zweifellos umfassenden Gestaltungssystematik konstatiert Endnote 13 von Online-Quelle [15]:

Das Ausscheiden der Vierergruppe aus Hornboge, Amelung, Sintram und Herbrand spiegelt insofern ein Sequenzmuster aus ihren Einführungen, als eben dort zwischen ihnen stets ein nicht dieser Formation angehörender Held als „Verbindungsmann“ auftaucht. (Man beachte die Unschärfe bei den Einleitungen von Hornboge und Witig.) Es folgen die Berichte über die Todes-schicksale der aus den Einführungen dann sequenziell formierten Dreiergruppe aus Wildeber, Detleif und Fasold, gefolgt vom Fall der Zweiheit Gunter und Hagen. Mit Heime, der als „Ludwig“ aus dem Wadhincúsan-Moniage mit besonderem erzählungsexpo-nierten Gewicht hervortritt, liegt eine scheinbar subtil verkleidete Gruppenformation 4 – 3 – 2 – 1 vor. Nach der daraus folgenden runden Quersumme verbleiben noch zwei Helden: Für Witig = Wideke reicht die altschwedische Dietrich-Chronik eine offen-sichtlich später edierte Schlussgestaltung nach. Eine Sonderstel-lung beansprucht wohl auch der immerhin an später quelltextli-cher Stelle kurz erwähnte Tod von Hildebrand, der in obigem Formationssystem Heime vielleicht ersetzen, jedoch nicht unkri-tisch mit allen übrigen Gefolgsleuten des Berner Königs gleich-behandelt werden darf [...]

Daraus a.a.O. folgernd:

Wenn die Thidrekssaga im vordringlichen Interesse ihrer Vorle-sung am altnorwegischen Königshof verfasst worden sein sollte, müsste die vermittlerisch-typologische Wirksamkeit der gestal-tungsprägnant erscheinenden Heldeneinführungen und -abgän- ge für einen zweifellos mehrere Sitzungen bedürfenden Hörer-kreis kritisch hinterfragt werden. Auch vor diesem Hintergrund ließen sich die Handschriften der Thidrekssaga im Vergleich mit anderen im 13. Jh. importierten, allerdings noch verfügbaren Schriftquellen weniger mit sophistischen Ambitionen eines alt-nordischen Scriptoriums als vielmehr mit einer auch von anderen überlieferungscharakteristischen Zusammenhängen nahe geleg-ten Großvorlage aus kontinentaler Urheberschaft wahrscheinlich machen. (Quellenstand: 18.02.2010.)

Mit Hinweis auf die Darstellungen von Friese gibt Frantzen zu Bedenken, dass zumindest einige und in diesem Fall offensichtlich reimstilistische Passagen auf einen zur literarischen Originalität bewusst eingebrachten deutschsprachigen Quellenanteil der Thidrekssaga hindeuten können. Im Kontrast dazu befindet sich allerdings eine nicht katalogisierte lateinische Textfassung, die Johan Peringskiöld 1715 „für die Auslandschule“ liefert, so nach seinem sonst streckenweise erheblich spekulativen Vorwort u. a.

zur Historizität seiner Manuskriptausgaben. Nach intertextuellen Vergleichskriterien kann die Zurückübersetzung dieses lateini-schen Skripts selbst aus allen bekannten Redaktionen jedoch nicht ohne Weiteres plausibel gemacht werden. Dazu [5] mit einem Stichprobenbeispiel, woraus nur der von Peringskiöld angegebene lateinische Passus die lokalgeografische bzw. in diesem Fall hydronomische Stimmigkeit erkennen lässt. Diese lateinische Fassung könnte von einem altnordischen oder altnorwegischen Textübertrager aus einer eher gleichsprachigen als direkte Rede enthaltenden altnordischen/-norwegischen Schriftquelle angefertigt worden sein, die augenscheinlich ihre besondere Nähe zu den Inhalten der Stockholmer Handschrift zu erkennen gibt.

Das von Peringskiöld angeführte lateinische Skript liefert zusätzli-che Angaben, die Rückschlüsse auf ein literarisches Verfasserpro-fil anregen und in den katalogisierten Redaktionen sonst oder in einem unmittelbar vergleichbaren Passus nirgends gefunden wer-den können. So z. B. deren Kapitel XL mit einer weiten Appositi-on für die Gestalt des Alprici : genii istius monticolæ. Selbst durch Konzedieren der einen oder anderen redaktionell unerheblichen Hinzufügung lässt sich dieses Skript unter strengen quellen-stemmalogischen bzw. textanalytischen Aspekten wohl kaum als unmittelbare Vorlage der altschwedischen Handschriften wahr-scheinlich machen.

Zu der insbesondere von Friese vorgebrachten Auffassung über die altnordische Textverarbeitung (s. o.) bleibt hier lediglich der generelle Hinweis auf jenes bearbeitungstypische Merkmal, dass zwar Versgestaltungen in altnorwegisch importierten und übersetz-ten Werken des 13. Jhs. in Prosa umgeschrieben wurden, umge-kehrt aber die Übertragung von Formen indirekter Aussagen (bzw. entsprechend personenbezogener Argumente) in direkte Rede keineswegs ausgeschlossen werden darf. (Man vergleiche in einem gleichwohl anderen Kontext die übersetzerische Qualität der Strengleikar, eine größtenteils von einer Marie de France verfass-ten Liedersammlung. Wenngleich diese Autorin weder ihre famili-äre Herkunft noch nähere Angaben zu ihrer Person preisgibt, bedarf der Verfasser-Hinweis 2007:192 dieser klar stellenden Anmerkung.)