1959-1979- Since 59 - 50 Jahre Fair Trade Original

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    Auszug aus:

    Since 5950 Jaar Fair Trade Original

    Autorin: Judith van der Stelt

    2009 der niederlndischen Originalausgabe:Fair Trade Original, Culemborg/NL

    Dies ist eine bersetzung der ersten zwei Kapitel dieses Buches; sie beschreiben die Jahre1959 1979. Diebersetzung ist ungekrzt und ohne inhaltliche Vernderungen; nurerluternde Funoten wurden hinzugefgt.

    bersetzung aus dem Niederlndischen:

    Stephan Stricker und Erika Rasp, MISEREOR, 2011

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    Es ist besser, auf ehrl iche Weise mit den Entwicklungslndern Handel zu treiben, al s ihnen

    Spenden zu schicken.

    (Paul Mei js, Grnder der S.O.S.)

    Die Jahre 1959 69

    Zusammenfassung

    Im Volkshaus von Kerkrade1 fand am 4. Januar 1959 die Grndungsversammlung des KomiteeSteun Onderontwikkelde Streken2 (S.O.S.) statt, des Vorlufers der heutigen Fair Trade Origi-nal. Unter dem Motto Keine Reden, sondern Taten setzte sich die Stiftung zum Ziel, das Ar-mutsproblem in der Welt anzugehen. Nicht durch Nothilfe, sondern durch das Befhigen der

    Menschen in den Entwicklungslndern, sich selbst zu helfen. Dank der begeisterten und charis-matischen Vorgehensweise des Grnders, Paul Meijs, wuchs die Stiftung unglaublich schnell.Mit allerlei Aktionen holten Ehrenamtliche Geld herein, das dann fr Projekte in der Dritten Weltverwendet wurde. 1967 wechselte die S.O.S. von der Spendenwerbung hinber zum Handel.Damit begann Paul Meijs eine bis dahin unbekannte Art der Entwicklungszusammenarbeit: KeineHilfe, sondern Handel!

    Eine Explosion der Nchstenliebe

    An einem Sommertag des Jahres 1958 verreiste Enny Wolak aus Kerkrade mit dem Bus nach Pa-ris. Sie hatte zwei Wochen Ferien, und in denen wollte sie als Freiwillige bei Abb Pierre3 mitar-beiten. Die Art, wie dieser Pater ber Nchstenliebe sprach, war Enny aus der Seele gesprochen.Er hatte sich solidarisch erklrt mit den rmsten und tat sein uerstes, um ihr Leben ertrgli-cher zu machen. Das tat er, indem er mehr oder weniger provisorische Unterknfte fr sie baute,in einer brachliegenden Region bei Paris. Es waren Menschen, die sich in der Gesellschaft nichtetablieren konnten, wie Landstreicher, Einsame, Alkoholiker und ehemalige Hftlinge. Der Paterhielt seine citam Laufen durch das Sammeln und Verkaufen von Lumpen, und durch den Ver-kauf von schlichten Produkten, die dort hergestellt wurden.

    1Kerkrade (Deutsch: Kirchrath) ist eine niederlndische Gemeinde im Sdender Provinz Limburg. Am 1.April 2005 zhlte Kerkrade 49.563 Einwohner. Kerkrade liegt an der niederlndischen Staatsgrenze undgrenzt unmittelbar an die deutsche Stadt Herzogenrath(bei Aachen). Nach: www. wikipedia.de,24.9.2010

    2 in etwa: Komitee zur Untersttzung unterentwickelter Regionen3Abb Pierre (1912-2007) genoss weltweite Bekanntheit als der Grnder der Emmaus-Bewegung.Im

    Frankreich der Nachkriegszeit wardie Wohnungsnotgro. Tausende waren obdachlos. Im Dezember1949 bat man Abb Pierre (damals noch Abgeordneter im franzsischen Parlament) um Hilfe fr eine

    Familie, die ihr Haus verlassen musste. Die Familie fand dank Abb Pierre eine neue Unterkunft undnannte dieses Haus Emmaus, nach dem Dorf in der Nhe von Jerusalem. Immer mehr Menschen klopftenbei der Emmaus-Bewegung an. Um helfen zu knnen, verlie Abb Pierre das Parlament und widmetesich vollstndig der Begleitung dieser Bewegung.(Anmerkung aus Since 59, Seite 25)

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    Enny war in diesem Sommer 23 Jahre alt. Sie arbeitete im Archiv der KohlenbergwerkeLauraund Julia, und auerdem hatte sie eine Nebenbeschftigung in einem Reisebro. In der weni-gen Zeit, die ihr brig blieb, besuchte sie unter anderem den Diskussionsclub Das ist Leben.Unter der Leitung eines Paters oder Kaplans sprach sie zusammen mit Altersgenossen ber Gottund den Zustand der Welt. Daneben organisierten sie jedes Jahr eine Aktion fr Menschen in Not.Diese Kombination von Reden und Handeln fand Enny anziehend. So blieb es nicht bei groenReden, sondern man konnte fr seine Nchsten wirklich etwas bedeuten. Eben deswegen hattesie sich auch als Freiwillige bei Abb Pierre gemeldet. ber das Reisebro, in dem sie arbeitete,konnte sie sie Reise nach Paris organisieren. Die Reisegesellschaft, der sie sich anschloss, hattezwar Lourdes zum Ziel, aber Paris by nigh t stand als Zwischenstopp auf dem Programm. AmAbend darauf reiste die Gruppe nach Lourdes weiter, whrend Enny sich auf die Suche nach dercitdes Abb Pierre machte. Der Kontrast zur Nacht davor konnte nicht grer sein: Hatte sie einpaar Stunden zuvor noch das flamboyante, ausgelassene Zentrum der Stadt gesehen, kam sienun an die Schnittrnder. Die citwar eine Versammlung von Wellblech-Unterknften, wo jede

    kleine Mnze mehrfach umgedreht wurde, damit mglichst vielen Menschen geholfen werdenkonnte. Enny wurde zusammen mit anderen weiblichen Freiwilligen aus Belgien und Frankreichin einer besonderen CommunautFminine dEmmausuntergebracht. Da bekam sie dann zuhren, dass ihre Hilfe vor allem in einer Lumpenwscherei bentigt wurde. Seite an Seite mitweiblichenClochardsnahm sie ihre Arbeit auf. Sie war motiviert, sich so sehr wie mglich einzu-setzen, aber gleichzeitig machte sie all das Elend krank, das sie hier sah.. Anfangs konnte sienichts essen, spter wurde es etwas besser. Nach ein paar Tagen in der Wscherei wurde sie ineine Werkstatt fr Rattanmbel versetzt. Diese Mbel wurden verkauft, und der Erls kam denArmen zugute. In dieser Werkstatt lernte sie den franzsischen Freiwilligen Alain Godon kennen.Alain nahm schon etwas lnger teil an der Armee des Abb Pierre. Er erzhlte Enny, dass er in

    diesem Sommer schon einmal mit einer Niederlnderin zusammen gearbeitet hatte, einem Md-chen aus Den Haag, das er gerne wieder treffen wrde. Als Enny nach zwei Wochen wieder heimin die Niederlande musste, schlug Alain vor, zusammen zurck zu reisen. Mde und voller Ein-drcke vom rmsten und schlechtesten Stadtteil von Paris gingen sie zurck nach Kerkrade.Alain reiste von dort weiter nach Den Haag, und Enny nahm den Faden ihres alltglichen Lebenswieder auf.

    In den ersten Tagen nach ihrer Rckkehr sprudelte sie ber vor lauter Berichten. Enny wollte dieBotschaft des Abb Pierre ber die Nchstenliebe so gut wie mglich weitertragen, so dass jederin ihrer Umgebung begriff, wie dringend seine Notrufe waren. In De Mijn, der Mitarbeiterzei-

    tung der BergwerkeLaura und Julia4

    , schrieb sie ber ihre Erfahrungen, und auch whrendder Diskussionsabende von Das ist Leben berichtete sie ausfhrlich darber, was sie in Parisgesehen hatte. Zwischenzeitlich korrespondierte sie mit Alain. Nach kurzem Aufenthalt in denNiederlanden war Alain mit seiner Freundin aus Den Haag nach Sizilien gereist, wo sie sich PaterDanilo Dolci angeschlossen hatten. Das Elend in Sizilien sah anders aus als in Paris, aber auchhier war Hilfe fr die Armen dringend notwendig. Alain beschrieb die rmlichen Umstnde, unterdenen die Fischer mit ihren Familien lebten, und wies darauf hin, dass es vor allem an Medika-menten und an guter Baby- und Kindernahrung mangelte. Seine Briefe brachten Enny auf eine

    4Gemeint sind hier die beiden in auslndischem Besitz befindlichen BergwerkeLaura en Vereenig ing undJuliain Eygelshoven, damals ein Dorf in den sdlichen Niederlanden, heuteder nrdlichste Stadtteil derGrenzstadt Kerkrade.

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    Idee: Im Diskussionsclub waren sie gerade dabei, ein geeignetes Ziel fr ihre Jahresaktion zuberaten. Vielleicht, so uerte Enny whrend ihrer Versammlung, wre es ja eine gute Idee, Me-dikamente und Milchpulver fr Sizilien zu sammeln. Sie besprachen die Vor-und Nachteile, undnoch schneller als sonst wurde es zehn Uhr. So wie immer wurden sie pnktlich um 22.00 Uhraus dem Saal geworfen, aber als echte Himmelsstrmer lieen sie sich dadurch nicht ablenken.Sie berieten in aller Ruhe in einem Caf weiter, und schlielich waren sie sich einig: Das Sam-meln von Medikamenten hatte zu viele Haken und sen, aber die Beschaffung von Milchpulverwar eine phantastische Idee.

    Enny war froh, dass sie ihre Vereinsmitglieder begeistern konnte, aber sie zweifelte noch an derUmsetzung ihres Vorhabens. Glaubt ihr, dass wir mit unserem kleinen Verein gengend Geldzusammen bringen knnen, um einen substantiellen Beitrag zu liefern?. Sie hatte selbst keineIdee, wie sie das in der kurzen Zeit schaffen sollte, und sie machte sich Sorgen, dass sie Alainmit einem sehr geringen Ertrag enttuschen wrde. Aber glcklicherweise kam in diesem Mo-ment Frans Roukens mit einem Vorschlag. Frans war nicht nur Mitglied von Das ist Leben5; er

    war auch Vorsitzender der Jugendgruppe der Katholischen Volkspartei6 (KVP). Diese Gruppe ver-sammelte sich an jedemSonntag im Volkshaus in Kerkrade. Dort sprachen sie unter der Leitungvon Paul Meijs ber Glauben, Politik und Gesellschaft. Bei den KVP-Jugendlichen diskutieren wirstndig ber den Hunger in der Welt und die Notwendigkeit von Hilfsaktionen, so Frans. Gehdoch mal mit mir zum Volkshaus und berichte dort von der Arbeit von Pater Danilo Dolci. Viel-leicht knnen wir ja zusammen was tun.

    Eine inspirierende Zusammenarbeit

    Fr Paul Meijs war der Sonntag kein Tag, um sich in einem Sessel mit einer Zigarre entspanntzurckzulehnen. Im Gegenteil, nach der Frhmesse trank er eine Tasse Kaffee mit Frau und Kin-dern und ging dann schnell zum Volkshaus, wo die KVP-Jugendlichen ihn erwarteten. SeineGruppe war die aktivste KVP-Jugendabteilung in dieser Provinz7, und darauf war er stolz. Was erin den Jugendlichen wiedererkannte, war die gleiche Begeisterung und derselbe Idealismus frdie Weltverbesserung. Als er diese Gruppe 1953 grndete, war es genau das, was er wollte: Ju-gendliche anregen, ber den Glauben und gesellschaftliche Themen nachzudenken. Er selbst tatauch nichts lieber als das, obwohl es ihn nicht wenig Anstrengung kostete, seinen freien Sonn-tag zu opfern. Whrend der Woche reiste er als Vertreter fr Tabakwaren durch die mittleren undsdlichen Niederlande, um seine Familie zu ernhren, und die Abende und das Wochenendesetzte er fr die Parteiarbeit ein. Er selbst war in jungen Jahren Mitglied der KVP geworden, weiler Politik als ein Mittel ansah, den Menschen zu helfen. Am liebsten wre er Missionspriestergeworden, aber da er aus einem armen Elternhaus kam, musste er diesen Traum aufgeben undsich eine Anstellung suchen. Nun versuchte er, ber sein ehrenamtliches Engagement doch nochden Menschen zu helfen.

    Die KVP-Jugendlichen organisierten jedes Jahr zu Weihnachten eine Aktion fr Menschen in Not.Als Enny Wolak im Herbst 1958 als besondere Gastrednerin die Gruppe besuchte, hatte Paul

    5Dit is leven6Die konfessionell geprgte Katholieke Volkspartij7Die niederlndische Provinz Limburg

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    Meijs noch keine Idee, was in diesem Jahr das Thema der Weihnachtsaktion werden sollte. AlsEnny nun ihre Geschichte von Paris und Sizilien erzhlte, fiel ihm die Antwort auf diese Fragemehr oder weniger in den Scho. Die beiden ergnztensich hervorragend: Sie suchte Partner frihre Sizilien-Aktion, und Meijs fand ein geeignetes Ziel fr die Weihnachtsaktion. Ennys Idee, diein den vergangenen Wochen langsam herangereift war, nahm durch die Begegnung mit PaulMeijs konkrete Form an. Direkt nach ihrem Vortrag stand er auf und fragte Hast du schon einenPlan? Enny hatte keine Idee, wie ihr kleiner Diskussionsclub binnen kurzer Zeit viel Geld httebeschaffen knnen, und gab dies auch rundheraus zu. Wir knnen Altpapier sammeln, schlugsie vor, und Punkte sammeln von den Waschmittelkartons. Aber mehr wei ich auch noch nichtgenau. Meijs hatte damit kein Problem. Ihre Absicht war gut, und die Umsetzung wrde er gerneuntersttzen. Went vr jet dunt dan dunt vr t jot8, sagte er begeistert in seinem limburgischenDialekt. Das heit so viel wie Wenn wir was machen, dann machen wirs richtig!. Und soentstand an diesem Sonntagabend aus der Diskussion heraus der Plan fr die MilchaktionSizilien; nach einer Idee von Enny Wolak und unter der Regie von Paul Meijs.

    Um einen Einstieg zu finden, wollte Paul Meijs ganz Kerkrade auf den aktuellen Stand derSituation in Sizilien bringen. Er verfasste einen eindringlichen Text, suchte Fotos unternhrterKinder dazu und bertrug den Jugendlichen die Aufgabe, daraus ein Flugblatt zu machen. Danachtrat er an Schulen und Jugendverbnde mit der Frage heran, ob sie mit helfen wollten, denn frdie groe Sammelaktion wurde viel Arbeitskraft bentigt. Am 17. Dezember lag in jederWohnung in Kerkrade ein Flugblatt auf der Eingangsmatte, das direkt an die Weihnachtsgefhleappellierte. Die Bewohner wurden gebeten, das Titelblatt entlang der Perforation abzutrennenund es mithilfe des gummierten Randes an das Fenster zu kleben. Im Nu hing in fast allenFenstern in Kerkrade das Plakat Wir machen mit bei der Milchaktion Sizilien9. In derZwischenzeit trat Meijs an die Presse heran, und sowohl das Limburgsch Dagblad wie auch derZuid-Limburger berichteten umfassend und riefen dazu auf, grozgig zu spenden. Dies wirdeine Aktion alles oder nichts schrieben sie. Dies wird eine Explosion der Nchstenliebe. Reichund Arm in Kerkrade mssen mitmachen, denn es gibt Menschen, die noch rmer dran sind alsdie rmsten in Kerkrade. Fr diejenigen, die schon vor der groen Aktion ihr Portemonnaieffnen wollten, wurde eine besonderes Girokonto erffnet. Der Aktionstag selbst war der 21.Dezember 1958. Zwischen zwlf und vier Uhr zogen die KVP-Jugendlichen und die Jugendlichenvon Das ist Leben mit ihren Sammelbchsen herum, whrend im Haus von Enny Wolak einvorbergehendes Koordinationszentrum eingerichtet wurde. Als am Abend Bilanz gezogenwurde, stellte sich heraus, dass ein Betrag von 3.289,60 Gulden10gesammelt worden war. Dieser

    Erls wurde ber Nacht in einem Schuhkarton unter das Bett von Vater und Mutter Wolakgeschoben, und am nchsten Tag brachte Enny das Geld zur Bank.

    In Italien packte Alain sofort seinen Koffer, als er von Enny hrte, wie erfolgreich die Aktion frSizilien gewesen war. Und whrend er per Anhalterdie Strecke nach Kerkrade zurcklegte, orga-nisierte Paul Meijs ein festliches Treffen fr alle, die an der Aktion mitgearbeitet hatten. Erneutwar das Volkshaus der Ort des Treffens. Und dort, unter den Augen der Presse und der Ehrenamt-lichen, wurden Alain symbolisch 3.264 Dosen Milchpulver bergeben. Alain Godon berbringt

    8Limburgisch ist der regionale Dialekt, eng verwandt mit dem Dialekt auf der deutschen Seite der Grenze.9Wij doen mee aan de Melkactie Sicili10ca.1.500,-Euro

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    den Dank der sizilianischen Bevlkerung titelte der Zuid-Limburger einige Tage spter. DieDankbarkeit der Fischer war gro, aber die italienische Mafia war von dieser Aktion deutlich we-niger angetan. Zurck auf der Insel wurde Godon ein Brief zugestellt, in dem er aufgefordert wur-de, zu einem festgelegten Zeitpunkt und auf einem festgelegten Weg die Insel zu verlassen. DieMilchpulverdosen lie er sicherheitshalber in ein anderes Dorf zustellen. Hierdurch blieb dieAktion einmalig, aber die Freude ber den Erfolg war darum nicht geringer. Die Milchaktion frSizilien wurde so der Nhrboden fr die Grndung des Komitee Steun Onderontwikkelde Stre-ken (S.O.S.)11, der Vorlufer-Organisation der heutigen12 Fair Trade Original. Whrend des Ab-schlussfestes am 4. Januar 1959 ergriff Paul Meijs das Wort und versprach seinen Zuhrern,dass die Jugendlichen mit ihrem Engagement weitermachen wrden. Dieses Versprechen lste ernoch am gleichen Nachmittag mit der Grndungsversammlung der S.O.S. ein. Frank Roukenswurde Kassenwart, Enny Wolak Sekretrin, und er selbst schulterte die Rolle des Vorsitzenden.

    Keine Reden, sondern Taten

    Obwohl die S.O.S. grtenteils aus der KVP-Jugendgruppe hervorgegangen war, waren die Funk-tionre der KVP nicht besonders glcklich ber den Erfolg der Stiftung. Sie wollten, dass sichihre Jugendlichen weniger mit Aktionen beschftigten und mehr mit echter Politik, wie etwaWahlen zu organisieren und gegen den Kommunismus zu kmpfen. Der Parteivorstand selbstkndigte eine Reorganisation der Jugendgruppen an, um so die Zgel wieder etwas straffer an-ziehen zu knnen. In ganz Limburg emprten sich Jugendliche gegen dieses Vorhaben, und inKerkrade noch am meisten. Am 13. September 1958 fand dort im Volkshaus eine Protestver-sammlung statt, in der Paul Meijs bekanntgab, dass er seine Funktion als Jugendleiter der KVP

    niederlegte. Sein Rcktritt kostete die KVP so viele junge Mitglieder, dass sie ihre Plne eilendsnderte und sich mit einer weniger einschneidenden Revision zufrieden gab. Inzwischen arbeite-te Paul Meijs gemeinsam mit den Jugendlichen weiter an der Errichtung seiner Stiftung. Nachdem Aufgebot vom 4. Januar im Volkshaus musste nun auch ein Termin festgelegt werden zurUnterzeichnung der Stiftungsurkunde; dies geschah dann am 20. Juli 1959. In der Monatszeit-schrift Joker der KVP-Jugendlichen brachte Meijs die Aufgaben der S.O.S. zu Papier. Er schrieb,dass die S.O.S. bei Aufbau und Erhaltung einer funktionierenden Wirtschaft in den unterentwi-ckelten Lndern helfen msse, so dass die Menschen dank dieser Untersttzung lernenkonnten,auf eigenen Beinen zu stehen. Keine gelegentliche Nothilfe also, so wie sie diese noch fr Sizili-en gegeben hatten, sondern die Herausbildung der Fhigkeit zur Selbsthilfe. Und so wie Enny

    Wolak betonte auch Meijs die Bedeutung der Taten vor den Reden. Er schrieb: Wie haben wirWeihnachten gefeiert? In welchen Verhltnissen? Haben wir da, in diesen Tagen, als wir es unsam warmen Herd gut gehen lieen, mit dem leckeren Pudding und dem Sekt, haben wir da auchnur einen kleinenMoment lang an unseren Nchsten gedacht, der nicht einmal ein Stck trocke-nes Brot zur Verfgung hat, um Weihnachten zu feiern? Wer von uns kann dazu ja sagen? WennSie Ihre eigenen Kinder vor Ihren Augen vor Hunger krepieren sehen, dann sind Sie nicht in derStimmung, Geschwtz ber den lieben Jesus anzuhren. Dann wnschen Sie sich nur noch Ta-ten, christliche Taten.

    11 etwa: Untersttzungskomitee frunterentwickelte Regionen12bezieht sich auf das Jahr 2009

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    Bei den ehrenamtlichen Mitarbeitern der S.O.S. gab keinen Mangel an Taten. Die meisten hatten,so wie Paul Meijs, einen Beruf, so dass ihre Arbeit fr die Stiftung abends und am Wochenendestattfand. Begeistert holten sie durch Aktionen und Spenden Geld herein, um es direkt wieder frProjekte in Entwicklungslndern einzusetzen. Initiator Meijs ging dabei innovativ ans Werk. Erschrieb alle Inhaber von Girokonten in Kerkrade an, schickte ihnen ein Flugblatt ber den Hungerin der Welt und schloss einen dringenden Aufruf an, doch Geld zu berweisen. Dieses Experi-ment war so erfolgreich, dass er diese Aktion ausweitete. Erst in der restlichen Provinz, dann infnf willkrlich ausgesuchten Orten im ganzen Land, und noch einen Schritt weiter in den ganzenrestlichen Niederlanden. Und weil es fr die Ehrenamtlichen unmglich war, alle 700.000 Konto-inhaber anzuschreiben, die es damals in den Niederlanden gab, bat Meijs eine ganze Reihe ka-tholischer Oberschulen in Limburg um ihre Mithilfe. Unter der Anleitung eines Paters schriebendie Schler Tausende von Umschlgen. Die Mhe dieser vielen Ehrenamtlichen war nicht verge-bens, denn die Aktion unter den Girokontoinhabern erbrachte im Jahr 1960 1.325,50 Gulden13,aber im Jahr 1961 brachten dieselben Girokonteninhaber bereits 116.679,04 Gulden14 auf, und

    auch in den Jahren danach stiegen die Einnahmen weiter. Und whrend auf der einen Seite dasGeld hereinkam, ging es auf der anderen Seite genauso schnell wieder heraus. Die Zuschuss-Antrge kamen, vor allem in den ersten Jahren, berwiegend aus der Mission. Meijs hatte unteranderem Kontakt zu Missionsschwestern in Nyassaland (dem heutigen Malawi) und mit Patres inUganda, Guatemala, Italien, Indien und Tansania. Die beantragten Zuschsse waren fr ganzverschiedene Projekte vorgesehen: Von der Konzipierung einer beruflichen Ausbildung fr ver-nachlssigte Jugendliche bis hin zum Bau eines Brunnens.

    Die Herausforderung fr Meijs und die Seinen war, genau so viel Geld hereinzuholen wie sie aus-gaben. Aber dieses Vorhaben war durch Aktionen und Spenden alleine nicht mehr machbar. Da-rum ging er auch auf die Suche nach anderen Gebern. Unter anderem klopfte er bei MISEREORan15. Diese Einrichtung der katholischen Kirche in Deutschland hatdie Zustndigkeit fr die Ko-ordination und auch fr neue Initiativen der Entwicklungszusammenarbeit. Sie bekommt auchGeld aus kirchlichen Quellen und verwendetees fr Vorhaben in Entwicklungslndern. ber siekonnte Meijs ebenfalls Informationen ber Lnder und Projekte einholen. In dieser Zeit reiste erselbst nmlich nicht nach Afrika oder Indien, um sich ber den Stand der Dinge unterrichten zulassen. Derartig weite Reisen hielt er fr Geldverschwendung und berhaupt berflssig. Er leis-tete Hilfe auf Vertrauensbasis, oder auch aufgrund von Berichten, die er von den Missionarenerhielt. Und so wie die Missionare ihn auf dem aktuellen Stand hielten, informierte Meijs auchseine Spender. Wer einmal eine Spende an die S.O.S. geschickt hatte, wurde immer wieder an-

    geschrieben. Und wie! Aus den vielen Notrufen, die die S.O.S. Jahr um Jahr an ihre Spender ver-schickte, sprach nicht nur Meijs Leidenschaft, sondern auch sein sicheres Gefhl fr eine guteWerbung.Wirf mich nicht in den Papierkorb!16war der packende Aufmacher des ersten Fnfjah-resberichtes. Dieser Satz schlug genauso ein wie das weinende Kind auf dem Umschlag oderauch wie die Broschre selbst. Senden Sie dieses Faltblatt an einen Freund oder Bekannten,dann helfen Sie uns doppelt, so ein Aufruf innendrin. In einem anderen packenden Bericht derS.O.S. gab es eine Zusammenstellung von Briefausschnitten aus verschiedenen Lndern. Auf der

    13ca. 601,- Euro14ca 52.947,- Euro15 Die MISEREOR-Geschftsstelle ist im grenznahen Aachen nur 10 km vonKerkrade entfernt.16 im Original: Gooi mij niet in de prullebak!

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    linken Seite standen kurze Berichte von Menschen, die sich fr erhaltene Untersttzung bedank-ten, auf der rechten Seite von Menschen, die noch Hilfe bentigten. Las man als Spender dieseAusschnitte nacheinander, erfuhr man in Krze, welche Wirkung die Hilfe hatte. Nicht zu spendenwar dann eigentlich keine Option mehr.

    Nchstenliebe

    Paul Meijs war ein Mann, der voller Leidenschaft an etwas glauben konnte. An Gott und Maria,aber auch an die Strke von Kirche und Politik. Das bedeutete nicht, dass er jede berzeugungder Kirche oder Partei unbedingt untersttzte. In den Anfangsjahren der S.O.S. wurde auer derchristlichen Nchstenliebe auch die Bekmpfung des Kommunismus als Ziel der Stiftung formu-liert. Vor allem in KVP-Kreisen wurde der Kommunismus als das Bse gesehen, das es mit allenMitteln zu bekmpfen galt. Anfnglich stand auch Meijs dahinter, dass auch diese Zielsetzung in

    die Satzung aufgenommen wurde, aber im Laufe der Jahre fand er diesen Einschub nicht mehrwichtig und stellte insbesondere die christliche Nchstenliebe als Ziel in den Vordergrund. Alser Anfang 1963 ein neues Bro bezog, beschrieb er die Zielstellung der S.O.S. ausdrcklich alsunpolitisch. Entwicklungshilfe hat viele Aspekte sagte er. Man knnte viele Grnde nennen,warum Hilfe fr die Entwicklungsregionen wnschenswert, notwendig oder geboten ist. Strategi-sche, wirtschaftliche oder politische Aspekte tragen jedoch die groe Gefahr in sich, dass sie beider Beurteilung von Hilfeleistungen wichtiger werden als letztlich die Hilfe selbst. Deswegenbenennt unsere Stiftung S.O.S. als einziges Motiv fr diese Hilfe die christliche Liebe zum Nchs-ten. Dieser Ton fiel nicht bei allen auf fruchtbaren Boden. Die S.O.S. solle sich nicht als einchristlicher Club profilieren, sondern als ein katholischer Verein, meinten seine Glaubensbrder.

    Meijs wurde von Kardinal Alfrink17 einbestellt und bekam den Auftrag mit, die S.O.S. eindeutigeran die katholische Kirche zu binden. Alfrink riet ihm auerdem, mit hnlichen katholischenGruppen zu fusionieren, um so mehr Spielraum zu bekommen. Als Meijs von seinem Besuchbeim Kardinal zurckkam, musste er an ein Buch denken, dass er kurz zuvor gelesen hatte: DieSchlssel zum Knigreich von A.J. Cronin18. Dieses Buch ber eine Unglubigen, der eher in denHimmel kommt als ein Pfarrer, hatte ihn tief beeindruckt und in dem Gedanken bestrkt, nichtalles nur schwarz-wei zu sehen. Und obwohl er die Kirche und den Kardinal sehr schtzte, be-schloss er, sich diesmal stur zu stellen und die S.O.S. nicht direkt an die katholische Kirche zubinden. Christliche Nchstenliebe fand er als Zielsetzung mehr als hinreichend. Aber fr die Kir-che war die Sache damit noch nicht erledigt. Alle Schulen in Limburg bekamen einen Brief mit

    der Mitteilung, dass Hilfe fr die S.O.S. nicht mehr ntig wre, weil die Stiftung nicht mit der Kir-che verbunden sei. Und auch innerhalb der KVP, die Partei, die er all die Jahre so treu untersttzthatte, verlor Meijs langsam aber sicher an Vertrauen. 1964 trat er als Vorsitzender des Kreisver-bandes Heerlen zurck. 1968, als nach einer Spaltung die Politische Radikale Partei (PPR) ent-stand, schlossen sich fnf KVP-Mitglieder aus den Provinzialgremien dieser neuen fortschrittli-chen Partei an. Paul Meijs war einer von ihnen. Leider erhielt die PPR bei den folgenden Wahlenzum Provinzialrat nur einen Sitz, und der war nicht fr Paul Meijs. Obwohl er diesen Ausgang

    17 Bernard Jan Kardinal Alfrink (* 5. Juli 1900, 17. Dezember 1987),1955-1975 Erzbischof von Utrecht18Archibald Joseph Cronin (* 19. Juli 1896, 6. Januar 1981), schottischer Arzt und Schriftsteller

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    sehr bedauerte, so gab es doch einen Vorteil: Jetzt konnte er noch mehr Zeit und Energie fr dieS.O.S. einsetzen.

    Diese Energie wurde auch dringend gebraucht, denn die S.O.S. war inzwischen von einem Spen-denwerbe-Verein zu einer europischen Handelsorganisation herangewachsen. Dieser Schritt

    wurde 1966 angestoen durch einen Brief des Freundes und Geistesverwandten Pater Bohnen

    19

    .Bohnen hatte mit Geld der S.O.S. eine Werkstatt fr Holzschnitzeren in einem Elendsviertel vonPort-au-Prince auf Haiti eingerichtet. Diese Werkstatt hatte reichlich fr Arbeitsmglichkeitengesorgt, aber jetzt hatte der Pater vierzig Menschen angestellt, und der lokale Markt war schnellgesttigt, so dass ein Groteil der Produktion in die Hnde schlecht bezahlender Zwischenhnd-ler zu fallen drohte. Lieber Paul schrieb Bohnen, als er befrchten musste, dass sein Lebens-werk in eineSackgasse geraten wrde, knnte ich die Kredite vielleicht in natura abbezahlen?Meijs, der schon seit lngerem einen angeregten Briefwechsel mit dem Pater unterhielt, be-schloss seinem Freund zu helfen. Er schlug vor, versuchsweise und auf Kosten der S.O.S. eineLadung Schnitzwerke nachKerkrade zu verschiffen. Anschlieend wrde er selbst versuchen, sie

    an den Mann zu bringen. Als er dann merkte, mit welcher Leichtigkeit er die Figuren los wurde,fand er zu einer ganz neuen Form der Entwicklungszusammenarbeit: Ehrlicher Handel20.

    Die Frage von Pater Bohnen hatte Meijs die Augen geffnet. Bohnen war nmlich nicht der Einzi-ge, der Probleme mit dem Absatz seiner Produkte hatte. Die S.O.S. bekam immer hufiger Be-richte darber, dass die Produzenten ihre Produkte nur mhsam in der eigenen Umgebung ver-kaufen konnten. Die S.O.S. hatte wohl die Mglichkeiten fr eine gute und geregelte Produktiongeschaffen, ber die Absatzmrkte aber offensichtlich nur ungengend nachgedacht. Lag dieLsung fr diese Absatzprobleme vielleicht im reichen Europa? Meijs beschloss, sich weiter die-ser Frage zu widmen, und beriet mit MISEREORund weiteren Organisationen der Entwicklungs-hilfe im In- und Ausland. Auch sie erkannten das Problem, und schnell kamen sie auf die Idee zurGrndung einer europischen Verkaufsorganisation. Diese Organisation sollte direkten Kontaktaufnehmen mit einzelnen Produzenten oder mit Genossenschaften vor Ort. Um sich nicht aufallzu dnnem Eis zu bewegen, sondierte der Vorstand der S.O.S. die Meinungen einer Reihe vonOrganisationen in Mittel und Sdamerika, wo mit Untersttzung von MISEREORdas genossen-schaftliche Handelssystem bereits ziemlich umfassend ausgebaut worden war. Die Genossen-schaften waren unmittelbar begeistert, konnten sie sich doch aufgrund mangelnder Erfahrungund Konkurrenz von kommerziellen Betriebennur mit Mhe ber dem Wasser halten. Eine even-tuelle Untersttzung aus Europa wrde ihre Zukunft sehr viel weniger unsicher machen. Ende1966 fllteMeijs die Entscheidung. Er gab seine Anstellung als Tabakwaren-Vertreter auf, um ab

    dem 1. Januar 1967 ganz in den Dienst der S.O.S. zu treten: Die erste ehrliche Handelsorganisa-tion21 in Europa.

    19 Pater Laurens Bohnen, Salesianer Don Boscos, stammteaus dem limburgischen Dorf Susteren(ca. 30km nrdlich von Kerkrade, unweit der deutschen Grenze), ab 1955 als Missionar auf Haiti.20 im Original: eerlijke handel21 im Original: eerlijke handelsorganisatie

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    Von der Hilfe zum Handel

    Der bergang von der Spendenwerbung zum Handel war nicht ohne Mhen. Die ersten Monatedes Jahres 1967 waren spannend, vor allem fr Meijs und seine Familie. Er hatte die Sicherheit

    eines festen Einkommens aufgegeben, aber er wusste noch nicht, ob die neue Form der Entwick-lungsarbeit gut ankommen wrde. ber die Mission wurden bereits Anfang 1967 Kontakte zuGenossenschaften und Produzentengruppen in mehreren Entwicklungslndern geknpft, aberviele Produzenten waren noch gar nicht auf einen Export nach Europa vorbereitet. Es dauertenoch bis zum Juli, bis die erste Lieferung Waren in den Verkauf gehen konnte.

    Im Sommer 1967 war es endlich soweit; Meijs erhielt die erste Warenladung aus Haiti, Macaound von den Philippinen. Es handelte sich unter anderem um Holzschnitzereien, handbearbeite-tes Elfenbein und Perlmutt, Perlenstickereien und Flechtwerk. Es war beabsichtigt, diese Produk-te ber den normalen Handel zu verkaufen, aber er schickte zunchst einen Brief an tausendeder S.O.S.-Untersttzer. Der Tenor dieses Briefes war: Wir haben Sie immer um Geld gebeten,nun knnen wir dem etwas gegenberstellen! Wir haben handgefertigte Artikel hereinbekom-men, und Sie knnen diese Waren zu einem besonderen Preis kaufen. Die Reaktion war ber-wltigend. Binnen kurzem hatte Meijs die Waren an den Mann gebracht. Hauptschlich ber dieSpender, aber auch durch den Verkauf ber die Kirche. Inzwischen war er rege damit zugange,alle anfnglichen Probleme der neuen Handelsorganisation zu lsen. Er musste beispielsweisedafr sorgen, dass die Investitionen in die Werksttten verantwortbar vorgenommen wurden; ermusste darauf achten, dass die Waren effizient verpackt wurden so dass ein berma an Ver-packungsmaterial den Preis des Artikels nicht nachteilig beeinflusste und im eigenen Hausmusste er den Umzug in ein greres Gebude vorbereiten, um die schnell anwachsenden Vorr-

    te auch unterbringen zu knnen.Stammten die ersten Warenlieferungen noch berwiegend aus Projekten, die von der S.O.S.selbst finanziert worden waren, so nahm Ende 1967 die Zahl der Zusammenarbeits-Antrge vonselbststndigen Produzentengruppen zu. Die S.O.S. garantierte den Produzenten nicht nur denVerkauf ihrer Produkte gegen einen ordentlichen Preis, sie vermittelte auch Information undAusbildung, um ihnen den Weg zu effizienteren Produktionsweisen zu zeigen und auf langeSicht auch zur Selbststndigkeit. Die S.O.S. achtete darauf, dass sie nur Organisationen, Institu-tionen oder Personen als Handelspartner anerkannte, die nicht eigene Interessen oder Gewinn-absichten verfolgten, sondern die Verbesserung des Gemeinwohls. Der dringende Aufruf zu Mit-leid, der zu Anfang der sechziger Jahre noch vorherrschte, wich einem etwas nchterneren Ton:

    keine Hilfe, sondern Handel! Die Geschfte liefen ber Erwarten gut, aber Ende der sechzigerJahre kam die Frage auf, wie vielen Menschen die S.O.S. noch wrde helfen knnen. Am Vor-abend des zehnjhrigen Jubilums schienen die Grenzen der Stiftung erreicht. In einem Interviewmit dem Limburgsch Dagblad22 sagte Meijs: Stndig bekommen wir neue Anfragen von Men-schen herein, die ihre Sachen auch ber die S.O.S. an den Mann bringen wollen. Bis jetzt muss-ten wir noch niemanden abweisen, aber wenn das so weitergeht, werden wir bald dazu gezwun-gen sein. Eigentlich schade, aber wir knnen es fast nicht mehr finanzieren. () Wir mssteneigentlich ber ein greres Kapital verfgen, um alle Anfragen annehmen zu knnen. DieNachfrage wurde schnell grer als das Angebot, und neue Investitionen wurden notwendig. Die

    22 Regionale Tageszeitung in den sdlichen Niederlanden

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    bestellten Waren mussten nmlich im Voraus bezahlt werden, da die meisten Produzenten nichtber gengend Kapital verfgten, um grere Lieferungen aus eigenen Mitteln zu finanzieren.Dieses Konstrukt machte groe Bestellungen vorlufig unmglich, und Paul Meijs wusste zu die-ser Zeit nicht, wie er dieses Problem in der nheren Zukunft lsen sollte.

    Verwhnen Sie einen Freund oder sich selbst

    Die Zielsetzung der S.O.S. wurde in einer der Produktwerbungen Ende der sechziger Jahre so be-

    schrieben: Die Stiftung Entwicklungszusammenarbeit impor tiert Produkte aus der Drit ten Welt,

    die DIREKT bei den Produzenten eingekauft wurden. Dadurch erhal ten die Hersteller dieser Waren

    den hchstmgl ichen Arbeitslohn; der Zwischenhandel wi rd ausgeschaltet. Die S.O.S. garantiert ,

    dass fr al le ihre Produkte EHRLICHE Preise bezahl t wurden. Das ist UNSER Beitrag zu einer ge-

    rechteren Verteilung des Wohlstandes. Durch den Kauf von S.O.S.-Produkten tragen Sie dazu bei,

    dass jene Mitmenschen eine wirkl iche Existenzmgli chkeit bekommen. Sie brauchen das nichtaus Mit leid tun; Sie bekommen auch etwas fr Ihr Geld. Bezahlen Sie einen angemessenen Preis,

    verwhnen Sie dami t einen Freund oder sich selbst . Eine grere Freude knnen Sie den Herstel -

    lern d ieser Artikel ni cht machen.

    Ich finde, dassihr freinander wichtig sein msst23

    Wer sich in die Geschichte der Fair Trade Orig inal24vertieft, landet unvermeidl ich bei Paul Meijs;

    dem Grnder und Vorsitzenden der S.O.S.25

    , der mit seinem unbegrenzten Enthusiasmus undErfi ndungsreichtum die Sti ftung in kurzer Zeit grogemacht hat. Paul Mei js war die Seele der

    S.O.S., sagte die Mitbegrnderin Enny Wolak in einem Interview im Jahr 2000. Was ihn aus-

    zeichnete, war ein unbegrenztes, fast schon dummes Vertrauen dar in, dass es funktioniert , auf

    jeden Fall funkt ioniert .

    Leider ist es im Jahr 2009 nicht mehr mgli ch, Paul Meijs zu interviewen. Er starb am 5. Mai 1984

    im Alter von 64 Jahren. Und doch ist ein Rckblick nicht mgli ch, ohne den begeisternden Grn-

    der mi t ins Bild zu nehmen. Darum wurde fr dieses Buch anhand von erhal ten gebli ebenen In-

    23 Quellenangabe fr die folgenden Seiten im Buch Since 59 -50 Jaar Fair Trade Original (Seite134):Interviews met: Paul Meijs jr en mevrouw Enny Bijnens-Wolak

    24 Zur Quellenlage insgesamt schreibt die Autorin, Judith van der Stelt, im Vorwort (S. 9): Vooral voor deLimburgse jaren van S.O.S. heb ik dankbaar gebruik gemaakt van het onderzoek dat de heer P. Arnold in2000 heeft gedaan. De heer Arnold is werkzaam bij het Sociaal Historisch Centrum voor Limburg enschreef naar aanleiding van zijn onderzoek de tekst: Niet kletsen maar doen! Uit deze tekst heb ik veelinformatie overgenomen, vooral voor de eerste twee hoofdstukken. Sie bezieht sich hier auf diePublikation von Paul Arnold, erschienen in denStudies over de sociaal-economische geschiedenis vanLimburg/ Jaarboek van het Sociaal Historisch Centrum voor Limburg, jaargang XLVI(2001), Went vr jetdunt dan dunt vr t jot! De geschiedenis van deKerkraadse Stichting Steun Onderontwikkelde Streken,

    later S.O.S. Wereldhandel, 1959-1986, S. 3-44.25 Die heutige Stichting Fair Trade Original wurde ursprnglich gegrndet als Komitee SOS (StichtingSteun voor Onderontwikkelde Streken), errichtet u.a. durch Paul Meijs, spter dann umbenannt inStichting SOS (Steun Ontwikkelings Streken).

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    terviews und Texten von Paul Mei js ein fikti ves Interview zusammengestellt ganz und gar im

    Einklang mit seiner eigenen Kreativitt: Wenn es linksherum nicht geht, dann machen wir es ebenrechtsherum...

    Wo und wann sind Sie geboren?Ich wurde am 23. Mai 1919 in Kerkrade geboren. Kerkrade war damals noch eine lose Ansamm-lung mehrerer Siedlungen, die sich jeweils um ein Bergwerk herum gruppierten. Wir wohnten ander Eisenbahn in der Nhe der Grube Domaniale26 , in der mein Vater Steinkohle abbaute. Hau-er nannte man das damals. Nach mir wurden noch zwei Jungen geboren.

    Woran erinnern Sie sich aus Ihrer Kinderzeit?

    Meine Jugendzeit fand statt unter dem Rauch der Steinkohlengrube und im Schatten der Kirche.Familie, Arbeit und Kirche waren zu dieser Zeit von zentraler Bedeutung. Die niederlndischeProvinz Limburg war zu dieser Zeit noch zu hundert Prozent katholisch, aber das bedeutet nicht,

    dass es keine Kritik an der Kirche gab im Gegenteil. Die Kirchenleitung unterlie es ziemlichoft, sich an die Seite der Arbeiter zu stellen, obwohl es gerade diese waren, die ein recht schwe-res Leben hatten. Das war in den dreiiger Jahren, als groe Armut herrschte. Daher brauchtendie Menschen Untersttzung nicht nur durch Worte, sondern auch durch Taten. Und daranmangelte es ziemlich oft.

    Und das machte Sie betroffen?

    Ich nahm es wahr, auch als Kind, und bereits als junger Mensch hatte ich das Bedrfnis, etwasfr die Menschen zu tun, denen es weniger gut ging. Ich wre gerne Priester geworden, und dannam liebsten in die Mission gegangen. Der Idealismus darin sprach mich an, aber auch das Pio-nierleben. Ich strengte mich also in der Schule an, las alles ber die Mission, was ich findenkonnte, musste aber letztlich nach drei Jahren den Besuch des Bernardinus-Gymnasiums27 inHeerlen abbrechen, weil es fr meine Eltern zu teuer war.

    Sie haben das Gymnasium al so nicht abgeschlossen?

    Nein, ich habe diese drei Jahre mit Erfolg durchlaufen, aber dann war das Geld aufgebraucht undich musste mir eine Anstellung suchen. Ich begann bei der Bettdeckenfabrik Buck in Kerkrade,und meine Freizeit verwendete ich fr die Politik. Im Jahr 1936, ich war damals gerade 17 Jahrealt geworden, wurde ich Vorsitzender des KVP28-Propagandaclubs in Bleijerheide29. In dieser

    26 Die Domaniale Mijn bestand aus der alten, zeitweilig unter staatlicher Kontrolle, teilweise inmehrheitlich deutschem, teils in niederlndischem Privatbesitz befindlichen Schachtanlageunmittelbar an der deutsch-niederlndischen Grenze an der Nieuwstraat/Neustrae. Quelle:http:/ /de.wikipedia.org/wiki/ Kerkrade, 19.8.2010.

    27 Gymnasium mit 5jhrigem Ausbildungsgang: Door de opkomende mijnbouw aan het begin van detwintigste eeuw was er in Heerlen behoefte aan middelbaar onderwijs. In 1911 begonnen Francis-caanse paters het 'Sint-Bernardinus, R.K. Hoogere Burgerschool met 3-jarige cursus'. In september1913 kwamen de eerste leerlingen op de school. Sint Bernardinus breidde in 1918 uit met eenMiddelbare handelsschool en in 1919 werd de 3-jarige HBS omgezet in een 5-jarige. In 1930 werd aanSint Bernardinus een Gymnasium toegevoegd. Vanaf 1970 verviel de 'St.' voor de naam en werd de

    naam veranderd in 'Bernardinuscollege'. Quelle: http://www.charlesvos.nl/ religieuze-weken/kruiswegstaties/ bernarduskapel-heerlen, 19.8.2010.28Die konfessionell geprgte Katholieke Volkspartij29Ortsteil von Kerkrade

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    Funktion habe ich mein Gefhl fr die ffentlichkeitsarbeit entwickelt, das mir dann spter beider S.O.S. noch gute Dienste geleistet hat.

    Was zog Sie in der Politi k so an?

    Fr mich ist der Glaube immer mein Leitfaden gewesen. Ich denke, dass jeder fr die anderen

    wichtig sein muss. Etwa so, wie in der Erzhlung vom barmherzigen Samariter, dem Mann, derseinenganzen Mantel hergibt. Und da ich kein Priester werden konnte, wurde ich eben politischaktiv. Wenn ich linksherum nicht helfen kann, dann probiere ich es eben rechtsherum, dachteich. Ich war immer ein Mann der Tat: Nicht schwtzen, sondern handeln. Auch mit dem Risiko,Fehler zu machen. Wenn du merkst, dass du einen Fehler gemacht hast, dann dreh dich um,mach es noch einmal und diesmal besser. Das war seinerzeit auch der Ausgangspunkt der Ju-gendlichen der KVP.

    Wie sah Ihr Leben als junger Erwachsener aus?

    Aktiv, um nicht zu sagen sehr beschftigt. Ich hatte immer mehrere Funktionen gleichzeitig:

    tagsber meine bezahlte Arbeit, abends die Politik und nachts meine eigene Firma.Sie hatten auch eine eigene Firma?

    Ja sicher. Nach meiner Zeit auf der Mittelschule begann ich ja bei Buck, einer Bettdeckenfabrik,und da kam ich eigentlich recht schnell auf den Gedanken: So eine Bettdeckenfabrik, das kannich auch. Als ich dann bei Buck ausgeschieden war, richtete ich auf dem Dachboden einen Raumein, in dem ich berdecken herstellte. Steppen nannte man das. Ich hatte eine groe Maschine,mit der ich Lage fr Lage der berdecke bereinander steppte. Erst eine Lage Damast, dann Wol-le, dann wieder Damast und so weiter, und am Schluss die Fransen. Meine Frau stellte die ber-decken dann spter fertig. SaMa hie unsere Firma, nach Sancta Maria.

    Also machten Sie sich schon nach Ihrer ersten Anstellung selbststndig?Ja, aber das war neben meiner normalen Anstellung; sonsthtte ich kein hinreichendes Einkom-men gehabt. Nach Buck bin ich zunchst noch ein paar Jahre Berufssoldat gewesen, das wardirekt nach dem Krieg. Whrend des Krieges war ich im Widerstand, und danach war ich eineZeitlang Lagerkommandant in Brunssum30. Es gab unglaublich viel Arbeit in den Kohlegruben,und daher musste ich Mnner, die whrend des Krieges bei der NSB31 mitgemacht hatten, dortarbeiten lassen. Als das Lager geschlossen wurde, bin ich Handelsvertreter geworden bei Mignot& De Block, einerEindhovener32Tabakwaren-Firma. Mein Bezirk erstreckte sich in etwa ber diemittleren und sdlichen Niederlande, so dass ich den ganzen Tag unterwegs war. Wenn ich dannabends nach Hause kam, hatte ich meistens eine Sitzung oder Zusammenkunft der KVP, und

    wenn es das nicht gab, dann kmmerte ich mich um Menschen mit finanziellen oder persnli-chen Problemen. Danach, ungefhr gegen halb zwlf, ging ich auf den Dachboden, um noch einpaar berdecken zu nhen.

    Sie kmmerten sich um Menschen mit finanziellen oder persnlichen Problemen, sagten Sie. Wie

    sah das genau aus?

    30 Niederlndische Kleinstadt in der Provinz Limburg.

    31 Die Nationaal-Socialistische Beweging in Nederland (NSB) war in der 1. Hlfte des 20. Jahrhundertseine zunchst faschistische, spter nationalsozialistische Partei in den Niederlanden. Quelle:http://de.wikipedia.org/wiki/Nationaal-Socialistische_Beweging, 20.8.2010

    32 Niederlndische Stadt in der Provinz Nordbrabant.

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    Ja, wie ging das? Ich hielt in dieser Zeit eine Sprechstunde ab, als eine Art Ombudsman oderSozialarbeiter, wie man es auch immer nennen mag. Es wurde einfach zur Praxis, dass unsere

    Tre immer offen stand fr Menschen mit einem Problem, ob finanziell oder in privaten Angele-genheiten. Ich bin immer ein Mensch der Tat gewesen, nicht wahr? Was das betrifft, hatte ichmanches Mal meine Mhe mit den groen Worten der Kirche und der Schwerflligkeit der Poli-tik. Ich finde es traurig, wenn gute Absichten in endlosen Diskussionen versanden - ich findeeher, man muss sie anpacken und umsetzen.

    Und das taten Sie.

    Ja, das tat ich. Erst als Ombudsman, spter als Vorsitzender der KVP-Jugendgruppe. Ich hattegemerkt, dass meine aktive Einstellung und meine Ideale bei Jugendlichen gut ankamen. Darumgrndete ich 1953 in Kerkrade eine rtliche Gruppe der KVP-Jugendorganisation. Jeden Sonn-tagmorgen kamen wir im Volkshaus zusammen, und dann sprachen wir ber gesellschaftliche

    Themen, ber Gott und darber, wie wir das Leben in der Gemeinschaft untersttzen konnten.Dies habe ich immer auerordentlich gerne gemacht. Auch als ich 1956 zum Vorsitzenden des

    KVP-Kreisverbandes Heerlen und danach zum Vorsitzenden des KVP-Bezirksvorstandes Limburggewhlt wurde, widmete ich den Jugendlichen weiterhin Aufmerksamkeit. Ich versuchte, so oftwie mglich selbst bei den Zusammenknften anwesend zu sein.

    Erinnern Sie sich an di e erste Begegnung mi t Enny Wolak im Jahre 1958?

    Enny wurde von Frans mitgebracht, Frans Roukens. Sie kam, um uns ber ihre ehrenamtlicheArbeit in Paris und ber die Armut auf Sizilien zu berichten. Gemeinsam mit ihren Vereinskolle-gen von Dit is leven33 hatte sie den Plan entwickelt, die jhrliche Gute-Tat-Aktion34 fr Sizili-en abzuhalten, aber sie wusste noch nicht ganz genau, wie sie das angehen sollte. Die Jugendli-chen von Dit is leven wollten genauso wie unsere Jugendlichen den Menschen in Not helfen.

    Das wichtigste, was sie noch lernen mussten, war die Beachtung professioneller Regeln bei derUmsetzung dieses Vorhabens. Nun, dazu gab ich gerne Hinweise. Ich war natrlich lter als dieanderen und hatte etwas mehr Arbeits- und Lebenserfahrung. Durch meine Ttigkeit als Wer-bungs-Verantwortlicher der KVP hatte ich obendrein viel Erfahrung in PR-Aktivitten sammelnknnen. Ich half ihnen bei anfnglichen Schwierigkeiten und trug, wo ntig, etwas bei, aber dietatschliche Umsetzung, wie etwa Werbezettel austragen oder Geld einsammeln, machten sieselbst.

    Auf die Sizil ien-Aktion folgte die Grndung der S.O.S. Also folg te die eine Aktion der anderen, und

    sie waren alle erfolgreich. Waren Sie berhaupt nochmal zuhause?

    Ja, sogar sehr oft! Anfangs hatten wir noch keine eigenen Rume, so dass alle S.O.S.-Aktivittenbei uns zuhause stattfanden. Da war ein einziges Kommen und Gehen der Ehrenamtlichen;manchmal saen wir bis tief in die Nacht zusammen, um Flugbltter zu falten. Doch ich habe dasnie als Druck erfahren; ich tat es gerne. Und meine Frau untersttzte mich, das ist sehr wichtig.Sie kmmerte sich um die Kinder und sorgte fr das gemeinsame Zuhause. Spter dann, als dieS.O.S. eigene Rumlichkeiten bekam, stand unser Haus immer fr Gste offen. Obwohl unsereWohnung eher klein war und wir fnf Kinder hatten, so kamen doch stndig Menschen, um etwaszu essen oder um zu schlafen. Dann sagte ich beispielsweise: Morgen wird ein Bischof aus Ma-

    33Das ist Leben34jaarlijkse goede doelenactie

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    lawi bei uns wohnen. Ach ja, es klappte immer alles prima, und was uns natrlich enorm ermun-terte, war der Erfolg: Die Aktionen der S.O.S. kamen gut an, und wir bekamen reichlich Aufmerk-samkeit in der Presse. Aber fragen Sie mich nicht nach der Anzahl der Stunden, die ich damalsdamit verbrachte denn ja, es waren viele Ich schlief manchmal nur zwei, drei Stunden, undfreie Tage gab es nicht. Sonntags ging ich zu meiner Jugendgruppe, oder ich predigte.

    Predigen?

    Ja, ich predigte in der Region Sd-Limburg. Berichte ber die Dritte Welt meistens, denn davonwusste ich nun mal recht viel. Und gegen Ende der sechziger Jahre, als die S.O.S. den bergangvom Spendensammeln zum Fairen Handel hinter sich hatte, verkaufte ich nach dem Ende derMesse die Handwerksprodukte, die wir importierten.Da wurde immer gut verkauft.

    Das riecht nach Geschftemacherei .

    Nein, das war es ganz und gar nicht. Die S.O.S. arbeitete, was diese Handwerksprodukte betrifft,vllig anders als die blichen Aufkufer. Tatschlich trafen wir Entscheidungen, die kommerziell

    vllig unangemessen waren. Mastab unserer Entscheidungen war hauptschlich: Wer produ-ziert dies? Ist der Gegenstand arbeitsintensiv? Sind die verwendeten Materialien teuer? Die letz-ten beiden berlegungen sind sehr wichtig. Je arbeitsintensiver ein Produkt ist, desto mehr kn-nen wir die Entwicklung durch Hilfe untersttzen. Sind aber die Materialkosten hoch, dann ist derAnteil der Arbeit am Verkaufspreis gering und damit ist es fr uns dann wiederum weniger inte-ressant, verstehen Sie? Rein wirtschaftlich betrachtet, argumentierten wir eigentlich vllig unan-gemessen. Ein [normaler] Aufkufer htte sich totgelacht.

    Der bergang zu einer Handelsorganisation war fr Sie und fr Ihre Famil ie ein Schrit t in die Un-

    sicherheit . Sie gaben Ihre feste Anstellung auf, aber wussten noch nicht, wie die Zukunft ausse-

    hen wrde.

    Das stimmt. Meine Frau hatte dann auch die unvermeidlichen schlaflosen Nchte, und ich ver-stand das gut. Wir hatten fnf junge Kinder, und ich gab unsere finanzielle Sicherheit auf in derErwartung, nein, in der Hoffnung, dass schon alles gut werden wrde. Ich finde, dass man imLeben manchmal auch einen Sprung wagen muss. Natrlich, unser Einkommen wurde deutlichgeringer, aber ich hatte ein Ziel vor Augen: Den Fairen Handel35. Und ich hatte sehr viel dafrbrig, um der neuen Ausrichtung eine Chance zu geben, dem Schritt von der Entwicklungshilfezur Entwicklungszusammenarbeit. Auerdem lag dies im Trend, denn die neue Art der Entwick-lungszusammenarbeit war in diesen Jahren aktuell. Die zweite UNCTAD-Welthandelskonferenzfand 1968 in Neu-Delhi statt und hatte als Motto Keine Hilfe, aber Handel.

    Denken Sie, dass der Faire Handel36

    besser als Hil fe ist?Sicher. Es ist viel besser, Handel mit Entwicklungslndern auf eine ehrliche Art zu betreiben, alsihnen Almosen zu geben. Natrlich kann man Geld schenken, aber es ist viel wichtiger, dass manMenschen die Mglichkeit gibt, sich selbst zu entwickeln.

    Anlsslich des 25 jhr igen Jubilums der S.O.S. Wereldhandel redete in einer Ansprache ber Sie

    u.a. Herr P. de Vri es, S.O.S.-Vorsi tzender zwischen 1970 -1976. Er sagte: Paul bekommt immer

    alles irgendwie hin. Er kann alles regeln : Bei der S.O.S war es so, dass zum Bau einer Garage der

    35eerlijke Handel, wrtlich: ehrlicher Handel36dto.

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    Gouverneur kam, beim Anbau eines Schuppens dann ein Nobelpreistrger, und als dann i rgend-

    wo eine Treppe und ein Keller eingebaut wurden, da kam Prinz Claus37.

    Tja, wir haben oft gebaut, und bei diesen Gelegenheiten bekamen wir immer einen besonderenBesuch. Ich finde: Man soll so etwas hoch ansetzen. Zur Erffnung des neuen Lagers und Bros

    in der Holzstraat

    38

    kam 1972 der Nobelpreistrger Prof. Dr. Jan Tinbergen. Und als spter einneues Lager dazu gebaut wurde, kam Prinz Claus. Sowohl Prinz Claus wie auch Professor Tinber-gen waren auerordentlich interessiert an der Entwicklungshilfe, und ich fand es angemessen,sie dabei zu haben. Und warum sollte ich sie nicht fragen? Und ich bekam ja auch eine Zusage.Ist doch fantastisch, oder? Auf diese Art bekam ich mehr Publizitt, und dank dieser ffentlich-keit konnte ich der S.O.S. zu mehr Bedeutung verhelfen. S.O.S. begann irgendwann einmal miteiner Handvoll Ehrenamtlicher und einem Startkapital von 10 Gulden. Inzwischen ist Fair TradeOriginal eine Organisation mit 50 Mitarbeitern/-innen geworden, mit einem Jahresumsatz von 14Millionen Euro. Davon konnte ich 1959 noch nicht einmal trumen.

    37 Claus von Amsberg,Prinzgemahl der niederlndischen Knigin Beatrix(* Hitzacker, 6. September1926, Amsterdam, 6. Oktober 2002)38 in Kerkrade

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    Die Jahre 1969 79

    Wir liefern Ihnen Kaffee ohne Beigeschmack

    Zusammenfassung

    In den siebziger Jahren gibt es Hhen und Tiefen. Anfangs luft es gut: Der Umsatz verdoppeltsich jhrlich, und es kommen immer neue auslndische Niederlassungen hinzu. Finanziell ge-strkt durch die Aktion 1000 x 1000 beginnt Paul Meijs mit dem Verkauf von sauberem Kaf-fee39. Obwohl dieses Vorhaben voller Risiken ist, wird es mit der Zeit ein groer Erfolg. Wenigererfolgreich ist die Zusammenarbeit mit den auslndischen Partnern. So schnell, wie die Tch-ter dazukommen, so schnell werden sie auch wieder unabhngig. Nur Belgien bleibt dabei. In

    sterreich, Deutschland und der Schweiz entstehen selbstndige Organisationen mit eigenerGeschftspolitik. Um den daraus entstehenden Umsatzrckgang aufzufangen, erffnet S.O.S. inden Niederlanden eigene Lden und verstrkt den Kontakt zur nationalen Weltladen-Vereinigung40. Die Weltlden werden grter S.O.S.-Kunde, aber die Zusammenarbeit mit derWeltladen-Vereinigung verluft nicht immer reibungslos. Sie und die S.O.S. sind unterschiedli-cher Meinung bezglichder richtigen Vorgehensweise in der Entwicklungshilfe. Fr die Macherbei S.O.S. steht der Warenverkauf im Mittelpunkt. Die Redner von der Weltladen-Vereinigungfinden, dass das nicht gengt. S.O.S. solle sich viel mehr um die Strukturen kmmern, die derUngleichheit in der Welt zugrunde liegen, und dagegen etwas tun. Auch im eigenen Kreis wirddie Diskussion ber die richtige Ausrichtung immer nachdrcklicher gefhrt. Gleichzeitig wird

    die Forderung nach mehr Mitsprachemglichkeiten, nach einer demokratischeren Organisations-form lauter. Es folgt eine turbulente Zeit, die letztendlich zum Ausscheiden von Paul Meijs fhrt.Zu diesem Zeitpunkt seines Ausscheidens ist S.O.S. eine nicht mehr steuerbare Organisationgeworden, mit stark sinkenden Umstzen. 1979 folgt dann eine drastische Reorganisation.

    Trume und Taten

    Am 21. Juli 1969 setzte Neil Armstrong als erster Mensch einen Fu auf den Mond. Dabei spracher die legendren Worte Ein kleiner Schritt fr einen Menschen, aber ein groer Sprung fr die

    Menschheit. Die ganzen Niederlande verfolgten die Fernsehbilder, und die meisten Menschenwaren ganz erfllt davon, wie weit wir schon auf technologischem Gebiet waren. Das galt auchfr Paul Meijs. Er war so wie jeder andere ganz ergriffen von den Fernsehbildern, aber machtesich auch seine eigenen Gedanken dazu. In einer seiner Predigten, die er kurz nach dieser Fern-sehsendung hielt, sagte er: Es ist tatschlich fantastisch, was die Amerikaner auf technologi-schem Gebiet erreicht haben. Ich wre aber noch viel mehr beeindruckt, wenn wir so miteinanderden Hunger in der Welt besiegt htten. Und so umriss er in ein paar knappen Stzen sein The-ma, packte sein Publikum am Schlafittchen und lie es in der nchsten halben Stunde nicht

    39wrtlich: zuivere koffie40 Landelijke Vereniging van Wereldwinkels der niederlndische Weltladen-Dachverband

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    mehr los: Meijs war ein begnadeter Erzhler. Er verstand es, die Anteilnahme, dieer selbst bis insein Innerstes versprte, auch anderen zu vermitteln. Fr seine Predigten schpfte er aus derAktualitt und aus den Berichten, die er von den Patres und Missionsschwestern bekam, mitdenen er intensiv korrespondierte. Die Projekte, die sie in Indien, Guatemala oder Malawi beglei-teten, waren fr ihn hervorragende Ausgangspunkte, von denen aus thematisch auf die Unge-rechtigkeit in der Welt und den Sinn von Hilfsaktionen eingegangen werden konnte. Der Ton, derin seinen Predigten immer wieder durchklang, kehrte auch wieder in den vielen Prospekten, diedie S.O.S. an ihre Spender verteilte. Neben den allgemeinen Informationen ber Aktionen undProjekte fanden sich dort auch regelmige Betrachtungen wie etwa Wir beten mit vollemMund: Unser tgliches Brot gib uns heute. Und was ist mit all den anderen? oder Sie sterbennicht, weil wir zu viel essen, sondern weil wir zu wenig denken.

    Wie in den Niederlanden, so stand Meijs auch in Deutschland und Belgien auf der Kanzel. Einemsolchen Besuch ging immer ein Orientierungsgesprch mit dem rtlichen Pfarrer voran: Meijsbeschrieb seine Ttigkeit und fragte dann nach der Erlaubnis zum Predigen wie auch zum Ver-

    kauf nach dem Ende der Messe. Das war eine clevere Abfolge, denn wenn die Kirchgnger nacheinem inspirierenden Gottesdienst hinten in der Kirche die kunsthandwerklichen Produkte ste-hen sahen, dann holten sie ohne weiteres Zgern ihr Portemonnaie hervor. Neben seinen Besu-chen in den Kirchen versorgte Meijs im Auftrag von Organisationen und Aktionsgruppen auchVerkaufsausstellungen. Jahr fr Jahr stopfte er sein Auto bis unter das Dach voll mit Schnitzerei-en, Muschelketten, Kokosmatten und anderen Produkten, um sie irgendwo im eigenen Land oderdirekt jenseits der Grenze in Deutschland oder Belgien an den Mann zu bringen. In Deutschlandhatte er gute Kontakte mit Brot fr die Welt, Welthungerhilfe, Terre des Hommes und MISEREOR,in Belgien unter anderem mit Kinderen van de wereld und der belgischen Oxfam. Fr alle dieseOrganisationen wurde die S.O.S. ab 1969 der grte Lieferant von Waren. Gleichzeitig wurde sieimmer fter von diesen Gruppen um Beratung und Untersttzung gebeten. Diese wachsendeZusammenarbeit brachte Meijs auf die Idee, die S.O.S. zu einer groen westeuropischen Orga-nisation zum Handel mit der Dritten Welt auszubauen. Mit diesem Traum begann er das neue

    Jahrzehnt.

    Ende der sechziger Jahre schien die S.O.S. fast an ihre Grenzen gekommen zu sein, aber dannstand kaum ein Jahr spter die Tr zu einer noch rosigeren Zukunft weit offen. Es luft fantas-tisch sagte Meijs 1970 in einem Interview mit De nieuwe Limburger41. 1969 hatten wir einenUmsatz von 256.00042 Gulden, fr dieses Jahr hoffen wir auf eine halbe Million, und fr dasnchste ziele ich eine Million an.43 Die S.O.S. bekam Wind in ihre Segel. Das war vor allem dem

    in Deutschland und Belgien wachsenden Verkauf zu verdanken, aber auch der Grndung vonWeltlden im eigenen Land. Der erste Weltladen44 wurde 1969 in Breukelen45 erffnet. Den An-sto zu dieser Grndung gab das Scheitern der UN-Konferenz zu Handel und Entwicklung46

    (UNCTAD) 1968 in New Delhi. Lnder der Dritten Welt hatten whrend dieser Konferenz die Forde-

    41 Damalige regionale Tageszeitung in den sdlichen Niederlanden42ca. 116.000,- Euro43 Quellenangabeim Buch Since 59 -50 Jaar Fair Trade Original (Seite134): De Nieuwe Limburger, 24.

    September 197044NL: Wereldwinkel45 Niederlndische Gemeinde in der Provinz Utrecht46 United Nations Conference on Trade and Development -UNCTAD

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    rung nach Abschaffung von Importzllen aufgestellt, um dadurch ihre Produkten einen freierenZugang zu den westlichen Mrkten zu geben. Als diesem Wunsch nicht gefolgt wurde, rief nachdem Ende der Konferenz der Journalist Dick Scherpenzeel47 zur Grndung von Dritte-Welt-Ldenauf. Ehrenamtliche sollten hier die Produkte verkaufen knnen, die durch Zollschranken behin-dert wurden. Sehr schnell folgte die Grndung von Weltlden in Amsterdam, Rotterdam, Haarlemund vielen anderen Stdten. Sie verkauften Rohrzucker und Handwerksprodukte, die sie bei derS.O.S. einkauften.48

    Bald reichten die Arbeitskraft von Meijs und auch der verfgbare Raum nicht mehr aus. Wirmssen unser Lager erweitern, in Utrecht muss es ein zustzliches Lager geben, und in Deutsch-land werden wir drei Lager brauchen, erzhlte Meijs im gleichen Interview mit De Nieuwe Lim-burger. Ein Jahr spter gab es die drei Lager in Deutschland. In eben diesem Sommer 1971 reis-te auch eine Gruppe von Bauhandwerkern aus Italien nach Kerkrade. Diese jungen Mnner, dievom Internationalen Bauorden angeworben waren, waren gekommen, um in ehrenamtlicher Ar-beit den neuen Erweiterungsbau der S.O.S. zu errichten. In den Monaten zuvor war es Meijs und

    seinem Vorstand gelungen, einen Architekten, einen Bauunternehmer und mehrere Lieferantenvon Baumaterialien zu berreden, zum Selbstkostenpreis ihre Sachkunde und Materialien frden Bau dieses neuen Lagers und zwei zustzlicher Brorume bereit zu stellen. Am 13. Januar1972 vollzog der Rotterdamer Hochschullehrer und Nobelpreistrger Prof. Dr. Jan Tinbergen denErffnungsakt, und vor der anwesenden Presse gab Meijs die Umsatzzahlen fr das Jahr 1971bekannt: 1.179.80049 Gulden. Sein ursprngliches Ziel von einer Million war also weit bertrof-fen worden.

    Eine Tochter!

    Eine groe westeuropische Organisation fr Handel mit der Dritten Welt: Mit diesem Traum be-gann Meijs das neue Jahrzehnt, und er war fest entschlossen, ihn bald in die Wirklichkeit umzu-setzen. In denersten zehn Jahren der S.O.S. hatte er die Grenze nach Deutschland und nach Bel-gien regelmig berquert, um Waren dorthin zu bringen oder um zu predigen. In diesen Jahrentraf er dort Menschen an, die so wie er selbst im Ehrlichen Handel mitmachten oder knftigmitmachen wollten. Als die S.O.S. 1971 die Internationalisierung zur Storichtung ihrer Politikmachte, hatte Meijs bereits einen umfangreichen Adressenbestand von Menschen angelegt, dieim Ausland etwas fr ihn tun konnten. Auerdem bekam er Kontaktadressen von MISEREOR, derEinrichtung der Katholischen Kirche in Deutschland fr den Bereich der Entwicklungszusammen-arbeit und fr die Koordination unterschiedlicher Projekte. MISEREOR hatte Kontakte bis in diehchsten Kreise der rmisch-katholischen Kirche - und machte diese Kontakte gerne fr Meijsnutzbar, da die S.O.S. auch fr ihre Entwicklungsprojekte bedeutsam war.

    Was Meijs 1967 als Ein-Mann-Unternehmen begonnen hatte, wuchs in fnf Jahren zu einer gro-en Stiftung mit dreizehn hauptamtlichen Mitarbeitern und einer wechselnden Anzahl Ehrenamt-

    47niederlndischer Journalist (19231973)

    48 Quellenangabe(zu den Weltladen-Grndungen) im Buch Since 59 -50 Jaar Fair Trade Original (Seite134): uit De derdewereldbeweging, geschiedenis en toekomst, pagina 128. Auteur: Hans Beerends.Uitgeverij Jan van Arkel/ Novib, 1993.

    49ca. 535.000,- Euro

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    licher heran. Im Jahr 1972 wurde ein Umsatz in Hhe von 1.601.000 Gulden erzielt, und 1973stieg dieser Betrag auf 2.556.000 Gulden. Es stellt sich heraus, dass die von uns gewhlte Formder Entwicklungsarbeit sehr erfolgreich ist, sagte Meijs in der Zeitschrift Bijeen. Wir habenkein einziges Problem mit dem Verkauf. Im Gegenteil, wir mussten einige Bestellungen ableh-nen, weil unsere Lager im Dezember leer waren. Die Nachfrage war so berwltigend, dass derEinkauf nicht hinterherkam. In Deutschland wurde 1973 die erste Tochter geboren sie hrteauf den Namen Dritte Welt Handels GmbH50 mit einer Hauptniederlassung in Wuppertal undzwei Depots in Frankfurt und Stuttgart. An der Errichtung zweier vergleichbarer Tochterunter-nehmen in der Schweiz und in sterreich wurde gearbeitet. In Belgien krempelte Enny Wolak diermel hoch und grndete eine Verkaufsgruppe in Genk51. Sie war nach ihrer Hochzeit nach Belgi-en umgezogen, was dem damaligen S.O.S.-Vorsitzenden H. R. de Vries die Aussage entlockteWir haben Frau Wolak dorthin verheiratet, um die Arbeit in Belgien fortzusetzen.52 In derSchweiz und in sterreich ging Meijs selbst auf die Suche nach motivierten Personen.

    Dank seiner guten Kontakte mit MISEREOR begann er sein Erweiterungsvorhaben in sterreich

    mit dem Besuch bei einem Erzbischof dieses Landes. Er wurde dort auf das allerherzlichste emp-fangen und konnte in einem persnlichen Gesprch seine Plne darlegen. Noch am gleichenNachmittag beschloss der Bischof, dass die S.O.S. eine Niederlassung in Salzburg und in Wienerffnen drfe, und er gab ihm auch die Namen rtlicher Kontaktpersonen mit. Mit dieser Zusageund ein paar neuen Adressen in der Tasche nahm Meijs seinen Weg ber die Autobahn und such-te den Mann oder die Frau, der oder die vor Ort den Karren fr ihn ziehen sollte. Um dann jeweilsdie Zusammenarbeit zu besiegeln, holte er ein Namensschildchen mit dem Drittwelt-Zeichen ausder Tasche hervor und schraubte es auf die Fassade der neuen Niederlassung. So entstand dieSchwesterorganisation EZA in sterreich, und auf vergleichbare Weise die OS3 (heute Claro) inder Schweiz.

    Obwohl sich die S.O.S. zu einer internationalen Organisation entwickelte, machte Paul Meijsimmer noch am liebsten alles selbst: Wareneinkauf, Pflege von Absatzkontakten, Vorbereitungvon Verwaltungsentscheidungen, Pressekonferenzen, Finanzmanagement, Personalpolitik undProjektmanagement. Er verfgte inzwischen ber hochqualifiziertes Personal, aber es kosteteihn groe berwindung, die Verantwortung fr solche Dinge zu bertragen und die Arbeit zu de-legieren. Was seine Strke als Pionier war so viele Teller wie irgend mglich gleichzeitig in derLuft zu halten, ohne dass einer herunterfiel wurde mit dem Wachstum der Organisation zu sei-ner Achillesferse.

    Sauberer Kaffee

    Kaffee hat mitunter einen bitteren Beigeschmack. Das kann an der Qualitt des Kaffees liegen,aber auch daran, dass man wei, dass dieser Kaffee den kleinen Kaffeebauern nur einen Hunger-lohn einbringt. Wir liefern Kaffee ohne Beigeschmack. Von bester Qualitt, eingekauft zu einenangemessenen Preis. Und nicht teurer fr Sie - trotz der Tatsache, dass rund 4.000 kleine Kaf-feebauern jetzt fast das Doppelte fr ihre Ernte bekommen. Im Sommer 1973 wurden im Hafen

    50 vollstndiger Name: Gesellschaft fr Handel mit der Dritten Welt mbH51 Stadt in der belgischen Provinz Limburg52 Enny Bijnens-Wolak verstarb am 1.4.2010

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    von Amsterdam 50.000 Kilo Kaffee ausgeladen. Keine fertigen Verpackungenin glnzender Folie,sondern groe Scke Rohkaffees, die vom Genossenschaftsverband Fedecocagua in Guatemalakamen. Noch am gleichen Abend spannte Paul Meijs ein Blatt Papier in seine Schreibmaschineein und schrieb den obenstehenden Text an die Untersttzer der S.O.S. Er machte deutlich, dassdie Stiftung ab jetzt auch Verbrauchsgter importieren werde, und dass Kaffee aus Guatemalader erste Beleg dafr sei. Innerhalb der S.O.S. wurde schon lnger darber diskutiert, denSchwerpunkt auf den Import von Lebensmitteln zu verlegen. Der Verkauf des Kunsthandwerksstagnierte, und so schien es im Hinblick auf die Zukunft sinnvoll zu sein, das Angebot auf Pro-dukte auszuweiten, die weniger den jeweiligen Modetrends unterworfen waren. Kaffee, Tee,Marmeladeund Nsse passten gut in dieses Bild.

    Dass Meijs mit dem Import von Kaffee begann, war grtenteils einem Gesprch mit Herrn Koch53

    von MISEREOR zu verdanken. Koch erzhlte Meijs von einem jungen guatemaltekischen Land-bau-Ingenieur Alfredo Hernandez der mit finanzieller Untersttzung von MISEREORden Ge-nossenschaftsverband Fedecocagua54 gegrndet hatte. Fedecocagua war die bergreifende Be-

    zeichnung fr 42 Genossenschaften, zu denen sich 4.000 kleine Kaffeebauern zusammenge-schlossen hatten. Damit hatte sich der Ingenieur eine groe Verantwortung aufgeladen, so be-richtete Koch. Er hatte sich nmlich zumZiel gesetzt, in der Kaffeebranche in Guatemala eineMentalittsvernderung in Gang zu bringen. Seit Generationen wurden die kleinen Bauern imHochland ausgebeutet und unterdrckt. Auf kleinen Landparzellen in den Bergen bauten sie Kaf-fee an. Beim Verkauf waren sie abhngig vom rtlichen Aufkufer, der ber Kapital und Trans-portmittel verfgte. Ihn mussten sie wegen eines Kredites anfragen, weil der Verdienst aus demVerkauf der Ernte nicht dazu ausreichte, ein ganzes Jahr ber die Runden zu kommen. Den Kreditbekamen sie, aber dann mussten sie auch die niedrigen Preise fr die Kaffeebohnen akzeptieren,die durch die Plantagenbesitzer bestimmt wurden. So befanden sich die Bauern in der Situationeiner sich stndig erneuernden Abhngigkeit. Zusammen mit den landlosen Bauern gehrtendiese Kaffeebauern zu den rmsten berhaupt. Sie sprachen meistens nur einen der siebzehnIndigenen-Dialekten, und sie hatten keinen oder fast keinen Unterricht gehabt. Um ihnen mehrEigenstndigkeit zu geben, hatte Hernandez sie mit der Grndung von Fedecocagua untersttzt.Ziel dieses Verbandes war in erster Linie, das fr die Kleinbauern verfgbare Existenzminimumzu verbessern. Und in zweiter Linie, ihnen durch Alphabetisierungs- und BildungskampagnenEinsichten in ihre eigene Situation zu ermglichen, damit sie spter ihre Belange selbst durch-setzen konnten. Und so waren sie schon auf dem richtigen Weg: Sie arbeiteten unter anderemam gemeinsamen Einkauf von Kunstdnger, dem Bau von Lagerrumen und an der Bereitstellung

    von Krediten. Gleichzeitig hatten sie eine eigene Waschanlage fr die Kaffeekirschen gekauftund sie hatten gelernt, wie sie den Transport am besten organisieren konnten. Diese Art der Ar-beit passte nahtlos zur Strategie der S.O.S. Mit Hilfe einer vergleichsweise kleinen Investitionkonnte eine groe Gruppe unterdrckter Bauern an einer menschenwrdigeren Existenz arbei-ten. Wenn es ihnen gelingen knnte, den Kaffee selbst zu exportieren, wrden sie 85% mehr alsvorher fr ihren Kaffee erhalten.

    53 Dr. Ulrich Koch, seit 1959 MISEREOR-Mitarbeiter, von 1974 1995 Mitglied der MISEREOR-Geschfts-

    fhrung. Vgl. das Buchvon Ulrich Koch mit seinen Erinnerungen an diese Zeit: Ulrich Koch, Meine Jahrebei MISEREOR 1959 1995, Edition weltweite Solidaritt, Bd 5; MVG-Medien, Aachen 200354 FEDECOCAGUA: Federacin de Cooperativas Agrcolas de Productores de Caf de Guatemala Dachver-

    band der Kaffeebauerngenossenschaften Guatemalas

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    Herr Koch von MISEREORhatte die Situation richtig eingeschtzt: S.O.S. und Fedecocagua pass-ten gut zusammen. Darum hoffte er nun - die ersten Kaffeebohnen waren schon geerntet- dassdie S.O.S. einer der Abnehmer werden wrde. Und er behielt recht. Auf Vorschlag von Paul Meijsbeschloss die S.O.S. den Genossenschaftsverband zu untersttzen und bestellte 50.000 KiloKaffee. Dieser Kaffee wurde versuchsweise ber die eigenen Vertriebskanle verkauft. Das Zieldieser Aktion wurde von Paul Meijs so beschrieben: Unser Handel bezweckt vor allem, die Prob-lematik der Dritten Welt mittels eines Produktes anschaulich zu machen. Andererseits ist es auchein Ziel dieser Kaffeeaktion, einen bestimmten Markt fr diesen Kaffee zu schaffen, so dass inabsehbarer Zeit grere Mengen eingekauft werden knnen, und zwar, falls mglich, ber nor-male Handelskanle.

    Sauberer Kaffee! 100% ehr liche Qualitt! Der Ind io-Kaffee von Fedecocagua i st ni cht eine der

    besseren Kaffeesorten, er ist der beste Kaffee, der erhltl ich ist! Nach dem Einkauf folgte dieWerbung. Meijs und die Seinen hatten etwa 500.000 Gulden investiert, um den Kaffee zu impor-tieren und zu verarbeiten. Sie hatten die Kaffeebohnen eingekauft, den Transport organisiert und

    einen Vertrag mit der Firma Bako in Roermond55 ber Rstung und Verpackung geschlossen. Nunmusste dieser Betrag durch den Verkauf wieder in die Kasse der S.O.S. zurckflieen. Meijs tatsich diesmal schwer, die Entscheidung fr diese Investition zu fllen. Der Markt fr Kaffee warzwar riesig, aber sicherlich nicht ohne Risiken. Der Preis fr den Rohstoff war niedrig, so dassnur der Einkauf im groen Stil eine Wirkung in der Dritten Welt zeigen wrde. Auerdem war Kaf-fee ein Naturprodukt, und Wettereinflsse machten die Erntedeshalb unkalkulierbar. Die Preiseauf dem internationalen Kaffeemarkt schwankten stndig, und auch hier kamen die Kosten vorden Ertrgen. Kurzum, Meijs und sein Vorstand hatten sich in ein Abenteuer gestrzt, dessenAusgang sie nicht absehen konnten. Misslang der Verkauf, dann wrde im Grunde die S.O.S.aufs Spiel gesetzt, weil ein groer Teil des verfgbaren Kapitals in den Kaffee gesteckt wordenwar, einschlielich des privaten Sparguthabens von Meijs. Er schlief nachts nur noch wenigeStunden, und arbeitete sich ab, um dieses Projekt zu einem guten Ende zu bringen.

    Um zu verhindern, dass die S.O.S. ein Darlehen beantragen musste, bat Meijs die stndigenSpender um einen zustzliche finanziellen Beitrag. Der Beitrag war nicht nur notwendig, um denAnkauf des Kaffees zu finanzieren, sondern auch zur notwendigen Erweiterung der Lagerrume inKerkrade. Die treue Basis folgte dem Aufruf, und der Verkauf des Kaffees wurde ein Erfolg. berWeltlden, Kirchen und Aktionen gingen die Packungen Indio-Kaffee ber den Ladentisch, so wiees vorher auch mit den Schnitzereien aus Haiti und dem Schmuck von den Philippinen funktio-niert hatte. Und whrend der Kaffeeberg kleiner wurde, kam der Bau des neuen Lagers voran, in

    dem in naher Zukunft die Verbrauchsgter gelagert werden konnten. Meijs arbeitete in dieserZeit Tag und Nacht. Mancher Hndler htte an seiner Stelle die Erffnung des neuen Lagers ohneviel Aufhebens vorbergehen lassen, aber das war nichts fr ihn. Schon seit den Anfngern derS.O.S. verstand er es, Nachrichten zu produzieren und damit die Aufmerksamkeit fr die Stiftungzu vergrern. Im Dezember 1973 fand diese Begabung ihren Hhepunkt in der Einweihung die-ses schlichten Lagers durch niemand geringeren als Prinz Claus56. Seine knigliche Hoheit PrinzClaus kommt am 20. Dezember nach Kerkrade schrieb die Tageszeitung De Zuid-Limburger

    55 Stadt in der niederlndischen Provinz Limburg, naheder Grenze zu Deutschland56 Claus von Amsberg,Prinzgemahl der niederlndischen Knigin Beatrix

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    aus diesem Anlass in roten Buchstaben57. Der folgende Text war eine Auflistung der Hhepunkteder relativ kurzen Geschichte der S.O.S., die mit dem Besuch von Prinz Claus gekrnt wurde.

    Die S.O.S. und das Ei des Kolumbus

    Aus der Ansprache Seiner Knigl ichen Hoheit , Prinz Claus: Ich habe dieses Lager auf eine un-

    gewhnl iche Weise erffnet, aber die S.O.S. ist ja auch keine gewhnl iche Stiftung. Aber doch

    nicht so ungewhnli ch, wenn man sieht, was sie tun, weil es ja eigentlich auf der Hand l iegt. Man

    knnte sich fragen, warum es nicht andere auch so gemacht haben, und es schon viel frher ge-

    tan haben. Aber es gib t wohl immer jemanden, der als erster das Ei des Kolumbus findet, und in

    diesem Fall war es die S.O.S. Als ehemaliger Vorsitzender der Nationalen Kommission fr Ent-

    wicklungsplanung wnschte ich mir, dass viel mehr von dieser Art Basisgruppen auf ein so er-

    folgreiche Art und Weise wie die S.O.S. arbeiten knnten, einer Stif tung , die und das hebt sie

    heutzutage besonders heraus, denke ich ohne Zuschsse der Regierung arbeitet. Meistenswerden Stiftungen gegrndet, und der erste Tagesordnungspunkt bei der all erersten Stiftungs-

    versammlung lautet: Zuschussantrge an d ie Regierung und andere Instanzen. Das hat d ie S.O.S.

    nicht getan. Wir konnten die Statisti ken sehen, die das Wachstum der S.O.S. deutl ich aufzeigen.

    Und wenn man sich vergegenwrti gt, dass diese Mittel zu einem guten Teil durch die Stiftung

    selbst beigebracht wurden, dann ist auch das ein Grund, der S.O.S. Glck zu wnschen und die

    S.O.S. anderen Gruppen der Bevlkerung , die auf diesem Gebiet ttig sind oder sich engagieren

    wollen, als Vorbil d zu zeigen.

    Schwester Pia

    Gibt es in den Niederlanden 1.000 Menschen, die bereit sind, uns 1.000 Gulden zu leihen zinsfrei? schrieb Paul Meijs im Frhjahr 1974 in der Welthandelszeitung58, die die S.O.S. einpaarmal im Jahr an ihre Kontaktadressen verschickte. Der Ankauf der 50.000 Kilo Kaffee warnmlich nur der Anfang gewesen. 1974 kam der Import erst richtig in Gang mit der Bestellungvon nicht weniger als 440.000 Kilo Kaffee. Das ist kein Aprilscherz: Wir suchen tatschlich1.000 Menschen, die uns zeitweilig einen Betrag von 1.000 Gulden zur Verfgung stellen, zu-sammen eine Million. Wir brauchen dieses Geld, um unsere Kaffeegenossenschaft in Guatemalavorab zu finanzieren. Unsere Kaffeepflanzer brauchen diesen Betrag, denn sie knnen sich kei-

    nen einzigen Kredit leisten. Wir wollen ja von ihnen kaufen und hier bei uns verkaufen, aber wirverfgen nicht ber gengend Kapital. Vorausbezahlung ist eine der wichtigen Sulen des Fai-ren Handels. Mit diesem Geld knnen die Genossenschaften die Rohstoffe einkaufen, ohne dasGeld mssten sie sich verschulden. Aber diese Vorausbezahlung beanspruchte zu viel Arbeits-kapital der S.O.S., und darum begann die Stiftung 1974 mit der 1000 x 1000 Aktion. Erneuterwiesen die bestndigen Untersttzer ihre Bereitschaft, tief in ihre Tasche zu greifen. Ende1974 wurde bekannt, dass die Geber fast 600.000 Gulden zinslos zur Verfgung gestellt hatten.

    57 Quellenangabeim Buch Since 59 -50 Jaar Fair Trade Original (Seite134): Zuid-Limburger 6 december1973.

    58niederl.: Wereldhandelskrant

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    Zustzlichergab die Kaffee-Aktion weitere137.000 Gulden an Spenden. Meijs brauchte nur nocheinen kleinen Kredit von der Bank, um die Bezahlung des Kaffees zu regeln. Danach bestellte erdie 440.000 Kilo Kaffee und die S.O.S. machte sich auf zur nchsten Runde.

    Die bei der S.O.S. eingehenden Spenden wurden von Schwester Pia sehr sorgsam verwaltet.

    Computer gab es noch nicht, aber das Karteikarten-System, das Schwester Pia fr diesen Zweckentwickelt hatte, wrde manchen PC-Benutzer wehmtig stimmen. Jeden Morgen setzte sie sichhinter einen gigantischen Holzschreibtisch, ffnete den Deckel, der mit Kettchen an einem Stn-der gesichert war, und widmete sich intensiv hunderten von Karteikarten. Paul Meijs wollte ge-nau wissen, wer seine Spender waren, wie viel Geld sie gaben und wann, denn daran passte erseine erneuten Gesuche an. Schwester Pia hatte damit jeden Morgen alle Hnde voll zu tun. Au-er Pia gab es noch mehr Schwestern, die fr die S.O.S. arbeiteten. Die einen erledigtenBroarbeiten - wie etwa Umschlge beschriften oder das Einpacken der Bestellungen -, anderewaren als Vorzeigepersonen im Werbeeinsatz fr die Organisation. 1975 arbeiteten elf Jugendli-che fr Paul Meijs, um den Kaffee und andere Produkte der S.O.S. aktiv an den Mann zu bringen.

    Sie kamen zum Einsatz in Kirchen, aber auch auf Mrkten und bei Festen. Dort errichteten sie miteinem Tisch und einer Decke einen schlichten Laden, und so versuchten sie, die Produkte zu ver-kaufen und gleichzeitig vom Fairen Handel zu erzhlen. Aber nicht alle Leute glaubten diesen

    Jugendlichen. Wird das Geld wirklich fr den guten Zweck eingesetzt? fragten sich mancheMenschen, oder verschwindet es in den Taschen dieser jungen Menschen?. Um das Misstrau-en zu berwinden, ging eine von den Schwestern mit, als eine Art informelles Gtesiegel. Alleinschon ihre Anwesenheit dort bewirkte Wunder.

    Binnen weniger Jahre machte der Verkauf von Kaffee den halben Umsatz aus. Was als ein riskan-tes und mhevolles Unternehmen begonnen hatte, erblhte allmhlich zu einem Erfolg. DieKehrseite dieses Erfolges war, dass sich die dauernde Anspannung auf die Tatkraft von PaulMeijs auswirkte. Das Organisieren der Stiftung drohte ihm ber den Kopf zu wachsen, undgleichzeitig geriet er zunehmend unter Druck. Seine Mitarbeiter im In- und Ausland wollten inder groen Organisation, zu der die S.O.S. herangewachsen war, endlich auch mitdenken undmit entscheiden. Denn, so fanden sie, die Formulierung Paul Meijs ist die S.O.S. passte nichtmehr auf eine Organisation dieser Gre.

    Sehr geehrter Herr von der S.O.S.59

    Sehr geehrter Herr von der S.O.S., schrieb ein treuer Spender im Jahr 1975. Gott sei Dank, dassich das tun kann. Endli ch ist es soweit! Anderthalb Jahre habe ich fr die 1.000,- Gulden gespart!

    Das Leben ist so teuer, und das Geld war stndig all e. Als ich jetzt mein Urlaubsgeld bekam,

    dachte ich, jetzt muss es geschehen (). Ich bin schrecklich froh, dass ich etwas tun kann. Wir

    bekommen doch auch alles in den Schogeworfen. Ich woll te eigent li ch gerne einen Farbfernse-

    her kaufen. Aber ich habe schon so lange gewartet, ich kann auch noch etwas mehr warten ().

    59 im Original Beste mijnheer van de S.O.S.

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    Fairer Handel60: Mittel oder Ziel?

    Anfang der siebziger Jahre war Paul Meijs der unangefochtene Leiter der S.O.S. Im Vorstand sa-en Menschen, die ihn seit Jahren kannten und bedingungslos in seinen Entscheidungen unter-

    sttzten: Sie waren stolz auf ihren unternehmungslustigen Geschftsfhrer. Aber mit der Ankunftder ersten auslndischen Partner waren die ersten kritischen Tne zu hren. Nicht aus Belgien,denn da war Enny Wolak, die ihm durch dick und dnn folgte, wohl aber aus Deutschland, derSchweiz und sterreich. 1972 whlte die S.O.S. einen erweiterten und einen engeren internatio-nalen Vorstand61. Der erweiterte Vorstand62 entschied ber die grundstzlichen Richtlinien undkontrollierte ihre Umsetzung. Der engere Vorstand kmmerte sich um dringende Angelegenhei-ten. Obwohl die Aufgaben auf dem Papier gut verteilt waren, so war es in der Praxis doch PaulMeijs, der alle Entscheidungen traf63. Er trat nachdrcklich als Vorstand auf und hielt auch, wennseine auslndischen Kollegen nicht mit ihm einverstanden waren, an dem Kurs fest, den er frrichtig befand. Ihm schwebte ein multinationales Unternehmen vor, das von Kerkrade aus ge-

    steuert wrde. Folglich wollte er, wenn er eine Lieferung von 10.000 Kokosmatten brige htte,je 3.000 davon an Deutschland, sterreich und die Schweiz mit der Anweisung geben, dafr Ku-fer zu finden. Die Tchter waren jedoch nicht sehr angetan von dieser Vorgehensweise. Brot frdie Welt und die Welthungerhilfe wollten lieber Waren aus Projekten vertreiben, die sie selbstfrher aufgebaut hatten, als sich stndig den Entscheidungen von Paul Meijs anzuschlieen. Siewollten nicht als Schachfigur64 von Kerkrade aus eingesetzt werden, sondern sie wollten ihreneigenen Weg entwickeln. In mehreren Vorstandssitzungen stand dann auch der Mangel an Mit-sprache oben auf der Tagesordnung, ebenso die ungengende Kommunikation und das Bedrf-nis nach mehr Selbstndigkeit. Als im Sommer 1974 bekannt wurde, dass der Geschftsfhrer inDeutschland auf eigene Faust mit dem Warenimport begonnen hatte, wurde er von Meijs auf derStelle entlassen. Nach dieser Kndigung wurde das Klima im Vorstand noch schlechter als esvorher schon war.

    Diese Situation entspannte sich etwas, als Paul Meijs erkrankte und sein Sohn zeitweise die Lei-tung wahrnahm. Paul Meijs Junior erkannte, so wie auch ein zunehmender Teil der Mitarbeiter,dass die multinationale Organisation, die seinem Vater vorschwebte, in dem nun entstandenenschlechten Klima kein Erfolg werden konnte. Daher besuchte er die auslndischen Niederlassun-gen in der Schweiz, in sterreich und in Deutschland und vernderte die bestehenden Vertrgeso, dass sie mehr Selbstndigkeit erhielten. Im Gegenzug blieb die Einkaufsverpflichtung derdrei Tchter bei der S.O.S. vorlufig bestehen.Paul Meijs Senior war darber nicht sehr glck-

    60 im Original eerlijke handel = Ehrlicher Handel61 im Original een algemeen internationaal bestuur en een dagelijks internationaal bestuur62 Ende 1972 bestand der erweiterte (algemeen) Vorstand der S.O.S. aus elf Niederlndern, fnf Belgi-

    ern und vier Deutschen; ca. vier sterreicher und Schweizer nahmen als Gste an den Sitzungen teil.Aus Deutschland waren Mitglied: Erwin Mock (MISEREOR, Aachen), Harry Neyer (Meckenheim), E.E.Pioch (aej, Stuttgart) und H.de Vries (Wuppertal-Barmen); die Namen der Teilnehmer aus sterreichund der Schweiz sind nicht bekannt. Quelle: Paul Arnold, Went vr jet dunt dan dunt vr t jot! Degeschiedenis van de Kerkraadse Stichting Steun onderontwikkelde Streken, later S.O.S. Wereldhandel,

    1959-1986, in: Studies over de sociaal-economische geschiedenis van Limburg/ Jaarboek van hetSociaal Historisch Centrum voor Limburg, jaargang XLVI (2001), S. 3263 im Original die alle knopen doorhakte64 im Original pion = Bauer (im Schach)

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    lich, akzeptierte die gegebene Situation aber letztendlich. Da die Einkaufsverpflichtung derTchter mittelfristig abnehmen sollte, setzten Paul Meijs Junior und die Mitarbeiter alles daran,mehr Lden und Lager im eigenen Land zu erffnen. Die Einkommensverluste aus dem Auslands-geschft konnten so durch einen guten Absatz in den Niederlanden und Belgien65 aufgefangenwerden. Der erste Laden entstand aus dem Lager in Haarlem, der zweite in Nijmegen66 , und da-nach folgten Den Bosch, Leiden und Kerkrade.

    Um den Verkauf noch mehr zu frdern, wurde auch der Kontakt mit dem nationalen Weltladen-Dachverband67 intensiviert. Dies gelang gut, denn in den folgenden Jahren wurden die Weltldender grte niederlndische Kunde der S.O.S. Dank des so entstandenen zustzlichen Geldflus-ses hielt sich die Organisation in dieser schwierigen Zeit ber Wasser. Aber neben wirtschaftli-chem Erfolg brachte diese Zusammenarbeit auch viele Schwierigkeiten mit sich. Der nationaleWeltladen-Dachverband hatte nmlich andere Ansichten ber die Entwicklungshilfe als dieS.O.S. Seiner Meinung nach war der Verkauf von Produkten nicht mehr als einMittel, um ein vielgreres Ziel zu erreichen: DurchInformationsarbeit die Ursachen der Unterentwicklung der Drit-

    ten Welt bekannt zu machen. Der Kapitalismus sei die Ursache allen bels, sowohl in Entwick-lungslndern wie auch in der restlichen Welt. Das bedeutete, dass nicht nur bestimmte Sympto-me des Kapitalismus bekmpft werden mussten, sondern der Kapitalismus selbst musste zu Fallkommen! Einer der Weltladen-Mitarbeiter der ersten Stunde beschrieb dies so: Produkte ausEntwicklungslndern zu verkaufen ist fr uns vor allem eine politische Angelegenheit. Wir wollenkeine Krmerseelen werden, die einen mglichst groen Umsatz machen wollen. Was wir wollen,ist das Gesprch ber den Ladentisch. Ein Gesprch, in dem das Problem der armen Lnder ver-deutlicht wird.68 Der ausgesprochen antikapitalistische Standpunkt des Dachverbandes wurdenicht von allen Weltladen-Mitarbeitern geteilt, so dass die Bevorzugung der Informationsarbeitvor dem Handel nicht in jedem Weltladen deutlich wurde. Ginge es nach dem Dachverband, sowrdendie Ehrenamtlichen aber viel Zeit in das Gesprch ber den Ladentisch investieren. DieKunden sollten ber die Herkunft der Produkte informiert werden wie auch ganz allgemein ber das Unrecht in der Welt. Dem Dachverband zufolge blieb das Unrecht nicht auf die Entwick-lungslnder beschrnkt, sondern war auch im eigenen Land deutlich sichtbar: Arbeiter wrenunterdrckt und ausgebeutet, und es sei an der Zeit, dass sie sich dessen bewusst wrden undsich dagegen wehrten. Nur dadurch, dass den Menschen weltweit die herrschende Ungleichheitbewusst werde, knne man gemeinsam an einer besseren und gerechteren Welt arbeiten.69

    Paul Meijs, immerhin ein Mann groer Ideale, hatte erhebliche Einwnde gegen diese Art derArbeit. Er begriff die Notwendigkeit, die Kunden zu informieren, aber die Aufklrungsarbeit durfte

    nicht zu Lasten des Handels gehen. In den Anfangsjahren der S.O.S. hatte er eine politische Stel-lungnahme immer soweit wie mglich vermieden und eher die christliche Nchstenliebe hervor-gehoben. Als er dann in den sechziger Jahren eine Entwicklungsstrategie fr die nchsten zehn

    65 Im Original de lage landen = die niederen Lande66 Nimwegen67 Landelijke Vereniging van Wereldwinkels68 Quellenangabe(zum Zitat des Weltladen-Mitarbeiters) im Buch Since 59 -50 Jaar Fair Trade Original

    (Seite134): tijdschrift Bijeen, april 197469 Quellenangabe(zur Weltladen-Bewegung) im Buch Since 59 -50 Jaar Fair Trade Original (Seite134):uit De derdewereldbeweging, geschiedenis en toekomst, pagina 128. Auteur: Hans Beerends.Uitgeverij Jan van Arkel/ Novib, 1993.

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    Jahre schrieb, sah er ein, dass er auer der Nchstenliebe auch der Politik und der Be-wusstseinsbildungsarbeit Beachtung schenkenmusste. Aus diesem Grund weiteteer die Zielset-zungen der Stiftung folgendermaen aus: 1) konkrete Hilfeleistung, 2) Voranbringen von Be-wusstseinsbildungsprozessen in den Entwicklungslndern und 3) Frdern von Einstellungsver-nderungen in den westlichen Lndern. Aber im gleichen Dokument schrieb er auch sehr deut-lich, dass fr die S.O.S. der Handel prioritr bliebe, zumal die Praxis gezeigt habe, dass die Er-gebnisse daraus ber alle Erwartung hinaus gut waren. Die S.O.S. sollte sich weiterhin auf denImport von Waren aus Entwicklungslndern spezialisieren. Meijs wollte den Begriff Bewusst-seinsbildung gerne in seine Zielsetzung mit einbeziehen, das Geschft musste unterdessenaber auch geffnet bleiben.

    Ein flmisches Tochterunternehmen

    Kurz nachdem Enny Wolak nach Belgi en gezogen war, erffnete sie dort eine Verkaufsstelle in Genk70. 1974

    bekam die Initi ative durch die Grndung eines gemeinntzigen Vereins71auch eine eigene Rechtsform. In

    der Praxis funktioni erte dieser Verein als Tochterunternehmen der Zentrale in Kerkrade. Zum Leidwesen

    von Enny wurde der Verein 1979 in das zentraler gelegene Leuven72verlegt. Im Zentrum dieser Universi-

    ttsstadt bezog di e S.O.S. ein Herrenhaus mit einem kleinen Laden zur Straenseite hin und eine dahinter

    gelegene, berdachte Parkgarage,