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Organic Magnetic Resonance, 1Y75, Vol. 7, pp. 478 to 484. 'H-NMR-Spektroskopische Untersuchungen zur Konformation von C yclohexandicarbonsaure-( 1,2)-anhydriden H. Werner und A. Zschunke Sektion Chemie der Martin-Luther-Universitat, Halle- Wittenberg, DDR G. Mann" und E. Kleinpeter Sektion Chemie der Karl-Marx-Universitut, 701 Leipzig, Liebigstr. 18, DDR (Received 25 February 1975; accepted 18 April 1975) Abstract--'H NMR chemical shifts of 18 methyl substituted cyclohexane-l,2-dicarboxylic anhydrides were determined. In compounds with asymmetric substitution vicinal coupling constants were measured. In the series of truns-anhydrides it can be deduced from the NMR data, that the 6-membered ring has a chair-like conformation. Additionally, in the series of the cis-anhydrides a twisted chair conformation is favoured for the most part. Zusanimenfassung-Die chernischen Verschiebungen der IH-NM R- Spektren von 18 methylsubstituierten Cyclohexandicarbonsaure- (1,,2)-anhydriden wurden bestimmt. Von den unsymmetrisch sub- stituierten Verbindungen wurden die vicinalen Kopplungskon- stanten ermittelt. Bei den truns-Anhydridenlasstsich aus den NMR- Daten ableiten, dass der Sechsring in einer sesselahnlichen Form vorliegt. Auch bei den cis-Anhydriden sind in den meisten Fallen Konformationen mit verdrillter Sesselanordnung des Cyclo- hexans bevorzugt . EINFUHRUNG IN EINER vorangegangenen Mitteilungl wurden die chemischen Verschiebungen und Kopplungskonstanten einer grosseren Zahl methylsubstituierter Cyclohexen- (4)-dicarbonsaure-( 1,2)-anhydride beschrieben und mit Hilfe bekannter empirischer Regeln aus Konstitution und Konfiguration der verschiedenen Verbindungen und ihrem Einfluss auf die NMR-Daten Aussagen fiber die Konformation abgeleitet. Dabei konnte das Vorherrschen der Bootkonformation bei cis-Anhydriden bewiesen werden. Es erhebt sich nun die Frage, welche Vorzugskonformationen die analogen methylsubsti- tuierten cis- und trans-Anhydride nach Sattigung des Cyclohexenringes zum Cyclohexan einnehmen. Auf Grund einer Vielzahl von Untersuchungen und Berechnungen des Cyclohexans und seiner Derivate ist die abgeflachte Sesselkonformation gut bekannt.'-l Ledtglich bei Besetzung axialer Positionen durch stark raumfullende Substituenten ist mit einetn Gleichgewicht zwischen Sessel-und Twistbootkonformationen zu rech- nen. Auch wenn I ,2-Positionen im Cyclohexan unter Ringschluss verknupft werden, ist keine prinzipielle Anderung der Topographie nachzuweisen, solange die ankondensierten Ringe wte im Falle des Hydrindans oder Dekalins carbocyclische 5- oder 6-Ringe sind.s Dagegen treten bei der Angliederung kleiner Ringe in cis-l,2-Stellung ekliptische oder annahernd ekliptische Bindungen auf, so dass der Cyclohexanring topo- graphisch in eine Halbsessel- (C,) oder Bootform (CZv) gezwungen ~ ird."~ 0 ber den Einfluss der I ,2-Dicarbon- saureanhydrid-Gruppierung auf die Konformation des * Author to whom correspondence should be addressed. CZ C2V Cyclohexans liegen bisher keine Untersuchungen vor. Wie die analogen ungesattigten Verbindungen sind auch die Cyclohexandicarbons~ureanhydride stereo- spezifisch als cis- oder trans-Isomere darstellbar.*Sg Eine grossere Anzahl methylsubstituierter Isomere wurde in der vorliegenden Arbeit NM R-spektroskopisch unter- sucht. Chemische Verschiebungen und Shifteffekte Fur Konformationsuntersuchungen an Cyclohexan- dicarbonsaureanhydriden sind die chemischen Verschie- bungen und vicinalen Kopplungskonstanten der ter- tiaren -CH-CO- Protonen (Hl, H2) am besten auswertbar. Ferner bietet sich ein Vergleich der Signale der Methylprotonen an, die in axialer bzw. aquato- rialer Position jeweils charakteristische Verschiebungen zeigen.l" trans-Anhydride. In Tabelle 1 sind die 8-Werte der Protonen H1 und H2 und der Methylprotonen von sechs verschiedenen metliylsubstituierten Cyclohexandi- carbonsgureanhydriden zusammengestellt. Die Protonen HI und H2 in Anhydriden ohne Methyl- gruppen in Nachbarschaft besitzen eine chemische Verschiebung von d = 2,56 pprn (analoge Cyclohexene 2,78 ppm). Somit werden in der gesattigten Reihe die Protonen H1 und H2 bei 0,2 ppm hoherem Feld gefunden als in der ungesattigten Reihe. Ausgehend von diesem Bezugspunkt lassen sich die Shifteffekte der benachbarten Methylgruppen auf die tertiaren Protonen ableiten (Tabelle 2). Es zeigen sich signifikante Unterschiede im Einfluss Zquatorialer Methylgruppen einerseits und axialer ande- rerseits auf die chemischen Verschiebungen der tertiaren Protonen. Bei den Signalen der Methylprotonen sind diejenigen der 3,6-Stellung im Vergleich zu den analogen Cyclo- hexenverbindungen geringfugig nach hoherem Feld verschoben. Die typischen Unterschiede zwischen axialen und aquatorialen Methylgruppen sind jedoch erhalten. Axiale Methylgruppen erscheinen bei 0,20 ppm hoherem Feld. Ausserdem betragt die Kopplungs- konstante J(H-CH,) bei axialen Methylgruppen 7 Hz gegenuber 6 Hz bei 5quatorialen.ll (cj Heyden & Son Limited. Printed In Northern Ireland. 47 8

1H-NMR-Spektroskopische Untersuchungen zur Konformation von Cyclohexandicarbonsäure-(1,2)-anhydriden

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Organic Magnetic Resonance, 1Y75, Vol. 7 , pp. 478 to 484.

'H-NMR-Spektroskopische Untersuchungen zur Konformation von C yclohexandicarbonsaure-( 1,2)-anhydriden

H. Werner und A. Zschunke Sektion Chemie der Martin-Luther- Universitat, Halle- Wittenberg, DDR

G. Mann" und E. Kleinpeter Sektion Chemie der Karl-Marx-Universitut, 701 Leipzig, Liebigstr. 18, D D R

(Received 25 February 1975; accepted 18 April 1975)

Abstract--'H NMR chemical shifts of 18 methyl substituted cyclohexane-l,2-dicarboxylic anhydrides were determined. I n compounds with asymmetric substitution vicinal coupling constants were measured. In the series of truns-anhydrides i t can be deduced from the NMR data, that the 6-membered ring has a chair-like conformation. Additionally, in the series of the cis-anhydrides a twisted chair conformation is favoured for the most part.

Zusanimenfassung-Die chernischen Verschiebungen der IH-NM R- Spektren von 18 methylsubstituierten Cyclohexandicarbonsaure- (1,,2)-anhydriden wurden bestimmt. Von den unsymmetrisch sub- stituierten Verbindungen wurden die vicinalen Kopplungskon- stanten ermittelt. Bei den truns-Anhydriden lasstsich aus den NMR- Daten ableiten, dass der Sechsring in einer sesselahnlichen Form vorliegt. Auch bei den cis-Anhydriden sind in den meisten Fallen Konformationen mit verdrillter Sesselanordnung des Cyclo- hexans bevorzugt .

EINFUHRUNG

IN EINER vorangegangenen Mitteilungl wurden die chemischen Verschiebungen und Kopplungskonstanten einer grosseren Zahl methylsubstituierter Cyclohexen- (4)-dicarbonsaure-( 1,2)-anhydride beschrieben und mit Hilfe bekannter empirischer Regeln aus Konstitution und Konfiguration der verschiedenen Verbindungen und ihrem Einfluss auf die NMR-Daten Aussagen fiber die Konformation abgeleitet. Dabei konnte das Vorherrschen der Bootkonformation bei cis-Anhydriden bewiesen werden. Es erhebt sich nun die Frage, welche Vorzugskonformationen die analogen methylsubsti- tuierten cis- und trans-Anhydride nach Sattigung des Cyclohexenringes zum Cyclohexan einnehmen.

Auf Grund einer Vielzahl von Untersuchungen und Berechnungen des Cyclohexans und seiner Derivate ist die abgeflachte Sesselkonformation gut bekannt.'-l Ledtglich bei Besetzung axialer Positionen durch stark raumfullende Substituenten ist mit einetn Gleichgewicht zwischen Sessel-und Twistbootkonformationen zu rech- nen. Auch wenn I ,2-Positionen im Cyclohexan unter Ringschluss verknupft werden, ist keine prinzipielle Anderung der Topographie nachzuweisen, solange die ankondensierten Ringe wte im Falle des Hydrindans oder Dekalins carbocyclische 5- oder 6-Ringe sind.s Dagegen treten bei der Angliederung kleiner Ringe in cis-l,2-Stellung ekliptische oder annahernd ekliptische Bindungen auf, so dass der Cyclohexanring topo- graphisch in eine Halbsessel- (C,) oder Bootform (CZv) gezwungen ~ i r d . " ~ 0 ber den Einfluss der I ,2-Dicarbon- saureanhydrid-Gruppierung auf die Konformation des

* Author to whom correspondence should be addressed.

CZ C2V

Cyclohexans liegen bisher keine Untersuchungen vor. Wie die analogen ungesattigten Verbindungen sind auch die Cyclohexandicarbons~ureanhydride stereo- spezifisch als cis- oder trans-Isomere darstellbar.*Sg Eine grossere Anzahl methylsubstituierter Isomere wurde in der vorliegenden Arbeit NM R-spektroskopisch unter- sucht.

Chemische Verschiebungen und Shifteffekte Fur Konformationsuntersuchungen an Cyclohexan-

dicarbonsaureanhydriden sind die chemischen Verschie- bungen und vicinalen Kopplungskonstanten der ter- tiaren -CH-CO- Protonen (Hl, H2) am besten auswertbar. Ferner bietet sich ein Vergleich der Signale der Methylprotonen an, die in axialer bzw. aquato- rialer Position jeweils charakteristische Verschiebungen zeigen.l" trans-Anhydride. In Tabelle 1 sind die 8-Werte der Protonen H1 und H2 und der Methylprotonen von sechs verschiedenen metliylsubstituierten Cyclohexandi- carbonsgureanhydriden zusammengestellt.

Die Protonen HI und H2 in Anhydriden ohne Methyl- gruppen in Nachbarschaft besitzen eine chemische Verschiebung von d = 2,56 pprn (analoge Cyclohexene 2,78 ppm). Somit werden in der gesattigten Reihe die Protonen H1 und H2 bei 0,2 ppm hoherem Feld gefunden als in der ungesattigten Reihe. Ausgehend von diesem Bezugspunkt lassen sich die Shifteffekte der benachbarten Methylgruppen auf die tertiaren Protonen ableiten (Tabelle 2).

Es zeigen sich signifikante Unterschiede im Einfluss Zquatorialer Methylgruppen einerseits und axialer ande- rerseits auf die chemischen Verschiebungen der tertiaren Protonen.

Bei den Signalen der Methylprotonen sind diejenigen der 3,6-Stellung im Vergleich zu den analogen Cyclo- hexenverbindungen geringfugig nach hoherem Feld verschoben. Die typischen Unterschiede zwischen axialen und aquatorialen Methylgruppen sind jedoch erhalten. Axiale Methylgruppen erscheinen bei 0,20 ppm hoherem Feld. Ausserdem betragt die Kopplungs- konstante J(H-CH,) bei axialen Methylgruppen 7 Hz gegenuber 6 Hz bei 5quatorialen.ll

(cj Heyden & Son Limited. Printed In Northern Ireland.

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1H-NMR-Spektroskopische Unt .rsuchungen zuc Konformation von Cyclohexandicarbonsaure-( I ,2)-anhydriden 479

TABELLE 1 . 8-WERTl! DER CU-CO- UND -CH3 PROTONEN IN CYCLOHEXAN-(I ,2)-f/'QnS-DICARBON- SAURE-ANHYDRIDEN (IN ppm VON TMS)

1 2,56

2 ,o 2,54

4 c f C > o 'CO

2,62

2,80

2,91

2,31

- 2,56 - -

2,80 - 1,02

2,30 1,26 -

2,83 1,06 I

2,50 1,25 I 1,03

2,31 1,24 - 1,24

-

TABELLE 2. SHIFTEFFEKTE VON METHYLGRUPPEN IN 2-, 3-, 4-, 5- U N D 6-STELLUNG AUF DIE

T E R T ~ A R E N PROTONEN (VERSCHIEBUNGEN NACH TIEFEREM FELD : POSITIVES VORZEICHEN)

-0,28 ppm

t- 0,27 ppm

3e &'SO CO + 0,06ppm

cis-Anhydridp. In Tabelle 3 sind die chemischen Ver- schiebungen fur tertiare Protonen und Methylprotonen von zwolf untersuchten cis-Anhydriden zusammengestellt. Auch hier zeigen die Anhydride hinsichtlich der chemi- schen Verschiebung der Protonen bemerkenswerte Unterschiede in Abhangigkeit von Konstitution und Konfiguration der betreffenden Verbindung. Die 8- Werte der Signale fur H1 und H2 variieren zwischen 3,23 und 2,54ppm. Ihre Zuordnung wird in unsym- metrisch substituierten Anhydriden durch die unter-

schiedliche Aufspaltung der Signale sowie die festge- stellten Shifteffekte der Methylgruppen auf die tertiaren Protonen ermoglicht. Die Lage der Methylprotonen differiert zwischen 0,87 und 1,36ppm. Durch den deshielding-Effekt des Anhydridringes werden die Signale der benachbarten Methylgruppen in 3- bzw. 6-Stellung bei tieferem Feld (zwischen 0,96 und 1,36 ppm) als die der 4- bzw. 5-standigen Methylgruppen (zwischen 0,87 und 0,98 ppm) gefunden. Die cis- und trans-Konfiguration der Methylgruppen hat in der

480 H. WERNER, E. KLEINPETER, A. ZSCHUNKE und G . MANN

TABELLE 3. d-WERTE DER cg-co- UND -C& PROTONEN IN CYCLOHEXAN-DICARBONSAURE-(1r,2C)-AHYDNRIDEN (IN ppm VON TMS)

Nr n ( 1 ) H(2) CH3(1) CHa(3) CH3(4) CHa(5) CH3(6) ~-

10

11

CHR

CH3

/ 12 Pceo co

CH3

13

14

15

16

CH3

CH3

CH,

co CH3

18 fpo co

CH,

3,lO

3,OS

3,lO

3,Ol

3,21

234

3,23

3,13

2 3 6

3,05

3,08

-

- - - 3,lO - -

3,22

3,lO

3,23 -

3,21

1,24 - -

0,96 0,93 - -

I

3,19 -

1,36 - 0,98

- 1,16 1,35 -

2,59 -

2,82 - 1,08 0,90 -

- 1,16 1,16 -

- 0,87 0,87 -

‘H-NMR-Spektroskopische Untersuchungen zuc Konformation von Cyclohexandicarbonsaure-(1,2)-anhydriden 48 1

0

0

O q 3 0 - ‘s 0

0

U

0

0

h

a, -4 0

0 4

h

3

cs z

482 H. WERNER, E . KLEINPETER, A. ZSCHUNKE und G. MANN

Serie der cis-Anhydride jedoch keinen eindeutigen Einfluss auf die Signallage. Das weist auf konformative Unterschiede gegenuber den trans-Anhydriden hin.

Konformation der Anhydride

Die in den gesattigten unsymmetrisch substituierten trans-Anhydriden gefundene Kopplungskonstante J(H1-H2) N 13 Hz beweist das Vorliegen einer di- axialen Orientierung der koppelnden Protonen. In Ubereinstimmung rnit den chemischen Verschiebungen der Methylgruppen nimmt der Sechsring also eine Sesselkonformation ein und der Anhydridring ist gefaltet. Eine solche Anordung ist relativ starr und die Spannungsenergie, hauptsachlich bedingt durch die Verzerrung des Anhydridringes, ist so gross, dass diese Anhydride thermodynamisch instabiler sind, als die isomeren cis-Anhydride. Katalytische Isomerisierungen der trans-Anhydride fiihren deshalb zu cis-Anhydriden.

In cis-Anhydriden ist eine planare Struktur des Anhydridringes nur moglich, wenn der Sechsring eine Boot- oder Halbsessel-konformation einnimmt. Ein normaler Sechsringsessel wiirde einen stark gefalteten Anhydridring fordern. Diese Moglichkeit scheidet auf Grund der gefundenen Kopplungskonstante J(H 1-H2) 7 bis 8 Hz (vgl. Dicarbonsaureester J(H1-H2) N 3,5 bis 4,O Hz) aus. Es kommen aber ausser Halbsessel- und Bootformen noch verdrillte Sessel-und Twistbootkonfor- mationen mit weniger stark gefaltetem Anhydridring in Frage.

Das folgende Bild zeigt 16 durch Pseudorotation und Ringinversion mogliche Konformere des cis-Cyclo- hexandicarbonsaureanhydrids. Es sind nur die Kon- formationen ins Diagranim eingezeichnet, bei denen der Sechsring eine charakteristische Symmetrie aufweist

Im Pseudorotationscyclus des Anhydrids treten sechs CyclohexanBootformen (Czv) und dazwischenliegend die sechs Twistformen (D,) auf. In zwei der Bootformen (a,@ ist durch ekliptische Carbonylsubstituenten eine ebene Struktur des Anhydridringes gegeben. Beide Bootformen unterscheiden sich durch die bootaxiale (g) bzw. bootaquatoriale (a) Orientierung des Anhydrids. Die iibrigen vier Bootformen sind zwei Enantiomeren- paare (c,c’ und e,e’), in denen der Anhydridring verdrillt ist. Dabei ist im Falle von e und e’ der Anhydridring an der I ,4-flapole-bowsprit Wechselwirkung beteiligt. Bei cis-substituierten Anhydriden (Substitutionsort C3, C6) nimmt beim Fortschreiten der Pseudorotation von a nach g der axiale Charakter der Substituenten ab, bei trans-substituierten sind die Verhaltnisse umgekehrt. Bei unsymmetrischer Substitution des Anhydrids sind die Paare b,b‘; c,c’ etc. nicht mehr enantiomer sondern diastereomer und unterscheiden sich topographisch und energetisch. Der Pseudorotationscyclus ist das Bindeglied zwischen den Inversionsformen des Halbsessels (h,h’) bzw. verdrillten Sessels (i,i‘).

Eine Abschatzung der Spannungsenergie der Spezies fiihrt zu folgenden Uberlegungen : (1) Der Wechsel im Sechsring vom Boot (a,c,e,g) zum Twistboot (b,d,f) kann etwa rnit -0,9 kcal/mol, der Wechsel zum Halb- sessel (h) etwa rnit +3,6 kcal/mol in Rechnung gesetzt werden.12 Beim Ubergang zum verdrillten Sessel (i) ist rnit einem Energiegewinn zu rechnen. (2) Der Ubergang von einer gefalteten Funfringkonformation des Anhydrids (b,c,d,e,f,i) zu ebenen Anordnungen (a,g,h) fuhrt zu

(DZ? c2v7 C,).

einer Verringerung der Spannungsenergie, wie aus der lsomerisierungsrichtung der trans-Anhydride zu cis- Anhydriden hervorgeht. (3) Die unterschiedliche Lage des Sechsringes zum Anhydridring (a = bootaquatorial, g = bootaxial) fuhrt von energiearmeren zu energie- reiclieren Anordnungen. (4) Der Einfluss von Methyl- gruppen hangt von deren jeweiliger Orientierung ab. Die Spannungsenergie kann z. B. im Falle einer 1,3- diaxialen Anordnung bis zu 5,6 kcal/mol betragen.

Aus diesen Uberlegungen geht hervor, dass die energiegunstigsten Konformationen zwischen a und b und bei i zu suchen sind und dass durch Methyl- substitution jeweils unterschiedliche Konformations- Populationen zu erwarten sind.

H1H2 in der Konformation b betragt etwa 20”. Wahrend in der ungesattigten Reihe eine trans-standige Nachbarmethylgruppe das H2- Protonensignal um 0,16 ppm nach hoherem Feld verschiebt, finden wir in der gesattigten Reihe das analoge Signal bei tieferem Feld.

Der Diederwinkel

@Oo H2

CHB 0

HI 3,42ppm H2 3.26ppm

~: H2

CHa 0

H1 3,05 ppm H2 3,22pprn

Dieser deshielding-Effekt konnte durch das Vorliegen einer annahernd anti-standigen Anordnung zwischen Methylgruppe und H2-Proton erklart werden, wie sie in der Konformation a und annahernd auch in b vorliegt. Da in a und b die Methylgruppe aber eine besonders ungiinstige axiale Position besetzen wiirde, muss die Verschiebung wahrscheinlich anders interpretiert werden. Untersuchungen an substituierten Cyclohexaned3 haben gezeigt, dass aquatoriale Protonen ihr Signal bei niederem Feld geben als axiale. Der geringere Wert fur die chemische Verschiebung der HZProtonen in 8 und 10 kann also auch so gedeutet werden, dass H2 eine quasi-aquatoriale, H 1 eine quasi-axiale Position einnimmt. Eine solche Anordnung ist besonders aus- gepragt in der verdrillten Sesselstruktur i vorhanden.

Um die aus Modellbetrachtungen und Shiftwerten gezogenen Schlussfolgerungen an Hand weiterer NMR- Daten zu iiberprufen, wurden die vicinalen Kopplungs- konstanten herangezogen. In Tabelle 4 sind die gemes- senen Kopplungskonstanten einiger cis- Anhydride zusam- mengestellt. Die ausgewahlten Verbindungen sollen im Detail betrachtet werden. 3c- Methyl-cyclohexan-dicarbonsaure- (Ir ,2c)-anhydrid (8). Die Aufspaltung der Signale der Protonen HI und H2 ermoglicht die Zuordnung des bei hoherem Feld liegenden Signals zum Proton H1. Aus der Kopplungs- konstanten J(HlH2) = 7,8 Hz und ihrem Vergleich rnit dem entsprechenden Wert der ungesattigten Verbin- dung (J(HIH2) = 9,5 Hz) geht hervor, dass Kon- formationen mit ebenem Anhydridring (a, g, h) nicht bestimmend sind. Diese Aussage folgt aus einem Vergleich rnit den entsprechenden Kopplungskonstanten J(H1 H2) am Bicyclo- [2.2.2]-octen- bzw. -octan-System.14 Fii hrt man die unterschiedliche chemische Verschiebung von H1 und H2 in Verbindung 8 auf die verschiedene

lH-NMR-Spektroskopische Untersuchungen zur Konformation von Cyclohexandicarbonsaure-(l,2)-anhydriden

TABELLE 4. KOPPLUNGSKONSTANTEN VON CYCLOHEXANDICARBONSAURE-(lr,2C)-ANHYDRIDEN

483

Nr. Verbindung Proton

H I H2

H1 H2

H1 H2

H1 H2

HI H2

3,OS 3,22

3,Ol 3,23

2,54 3,19

3,23 2,59

3,13 2,82

J J(HlH2) J(H2H3) J(HIH6) .

- 17,3 733 13,O 733 577

10,o -

Orientierung der Protonen zuruck, muss fur HI eine quasi-axiale und fur H2 eine quasi-aquatoriale Lage angenommen werden. Unter diesen Voraussetzungen sind fur 8 im wesentlichen die Konformationen f' und i in Betracht zu ziehen.

HI

Argumente fur die Bevorzugung einer der beiden Konformationen sollten durch Vergleich mit Verbin- dungen moglich sein, bei denen durch weitere Methyl- gruppen entweder die eine oder die andere Konforma- tion stabilisiert wird. Solche Verbindungen sind 10, 12 und 15. 3c ,5c- Dimethl?l-cyclo fzexan-dicarbonsaure- ( I r ,2c)- an/zi,drid (10). In dieser Verbindung wird die Konforma- tion f' durch eine axiale Methylgruppe destabilisiert, so dass die Form 1Oi mit diaquatorialen Methylgrup- pen begunstigt sein durfte. Die Kopplungskonstante

J(HlH2) = 7,O Hz ist etwas kleiner als in der Verbin- dung 8 , was einen vergrosserten mittleren Dieder- winkel 9 H1H2 zwischen den koppelnden Protonen aber keine grundlegenden konformativen Unterschiede zu 8 andeutet. Man kann folglich annehmen, dass Verbindung 10 vorwiegend in der Konformation i vorliegt aber auch in 8 das Gleichgewicht noch auf der Seite von 8i liegt.

Diese Zuordnung wird auch durch die NMR-Daten der Verbindung 12 unterstutzt, in der der verdrillte Sessel i ebenfalls durch eine weitere Methylgruppe stabilisiert wird. 3c,6t- Dimethyl-cy clohexan-dicarbonsuure-( I r ,2c)-anhydritl (12). Die Kopplungskonstante J (HI H2) = 7,3 Hz die- ser Verbindung ist annahernd gleicli gross wie in 10 (7,O Hz). Die Lage der Methylsignale entspricht aquatorialen Anordnungen. Die zum Anhydridring cis-standige Methylgruppe zeigt mit b = 1,35 ppm den- selben Wert wie die entsprechende Gruppe in 10 (1,36 ppm). Die zum Anhydridring trans-standige Methyl- gruppe besitzt mit S = 1,16 ppni dieselbe chemische Verschiebung wie die analoge Gruppe in 13 ( 1 , I6 ppm). Auch die cis-Kopplungskonstante J(H2H3) = 5,7 Hz und die trans-Kopplungskonstante J(HIH6) = 10,O Hz entsprechen den Erwartungen bei einer a'/e' bzw. a'/a'-Orientierung der koppelnden Protonen. Die signi- fikant starke Verschiebung des H 1-Protons nach hohem Feld wird durch den Shifteffekt der CH3(6)-Gruppe ausgelost. Diese Verschiebung unterstutzt ebenfalls Konformation i , in der der Diederwinkel 4 H(I)CH3(6) relativ klein (30") ist. Dagegen bewirkt die trans- standige Methylgruppe am C(3) keinen merkbaren Shifteffekt auf H(2).

484 H. WERNER, E. KLEINPETER, A. ZSCHUNKE und G. MANN

H2 H l (13)

3t-Methyl-cyclohexun-dicurbonsaure- ( Ir ,2c)-anhydrid (13). Typisch fur diese Verbindung ist die Verschiebung des H2-Signals nach hohem und des HI-Signals nach tiefem Feld. Diese Verschiebung deutet auf eine aqua- toriale Lage von HI , auf eine axiale Lage von H2 und auf einen kleinen Diederwinkel zwischen H2 und der shiftauslosenden Methylgruppe hin. Das trifft fur die Konformationen b und i' zu.

H2 - 1 \ . H2 H1

Der Vergleich mit 12 zeigt jedoch, dass offensichtlich keine wesentliche Anderung der Vorzugskonformation zu verzeichnen ist, da sowohl die Protonensignale (12: 2,54 und 1,16; 13: 2,59 und 1,16) wie auch die Kopplungskonstanten J(HI H2) (7,7 bzw. 7,3) keine signifikanten Unterschiede aufweisen. Die Konforma- tion b ist also auch in 13 wahrscheinlich nur in kleinerem Anteil vorhanden. 3t ,4t- Dimethy I-cy clohexan-dicarbonsaure- ( I r ,2c)-anhydrid (14). Abweichungen gegenuber den beschriebenen Konformationsverhaltnissen treten in Verbindung 14 auf. Die zweite trans-standige Methylgruppe ist quasi- axial angeordnet und es ist folglich mit einem Gleichge- wicht 14i z 14i' zu rechnen.

CH3++ CH3

(14i)

cH3-w I

CH, (14i')

Die Veranderungen der Kopplungskonstanten J(H2H3) (9,8 -j 8,O Hz) und xJ(HlH6) (9,8 + 12,O Hz), die Hochfeldverschiebung von HI und die Verschie- bung von H2 nach niedrigerem Feld verglichen mit 13 sind deutliche Hinweise fur das Vorliegen dieses Gleichge- wichtes. 3t ,6t- Dimethyl-cyclohexan-dicarbonsaure- (Ir ,2c)-anhydrid (15). In Verbindung 15 hat die Anwesenheit von Twist- bootformen im Konformationsgleichgewicht gegenuber allen anderen Verbindungen eine grossere Wahrschein- lichkeit, da in den Konformationen 15b und 15b' ein Energiegewinn sowohl durch die quasi-diaquatoriale Anordnung der Methylgruppen wie durch die aqua- toriale Lage und die geringere Faltung des Anhydrid-

ringes erzielt wird. Durch die ermittelten chemischen Verschiebungen lasst sich jedoch nicht aussagen, ob

die Konformationen b und b' vorliegen oder ob auch hier die verdrillten Sessel 15i und 15i' vorherrschen.

CH, ( 1 5 )

I CH.j

(I 5i'j

Ahnliche Verhaltnisse liegen in der symmetrisch substituierten Verbindung 17 vor, wahrend in den Verbindungen 11 und 18 im Konformationsgleichgewicht die Twistbootformen f und f' als relativ energiegunstig zu berucksichtigen sind.

Die N M R-Daten der Cyclohexandicarbonsaurean- hydride lassen insgesamt die Feststellung zu, dass die Vorzugskonformationen sich bei den trans-Anhydriden ausschliesslich, bei den cis-Verbi ndungen vorwiegend vom verdrillten carbocyclischen Sechsring-Sessel ableiten.

EXPERIMENTELLER TEIL

Die beschriebenen Anhydride wurden nach fruher beschriebenen Vorschriftens,Q aus den entsprechenden Dienen und Malein- saureanhydrid bzw. Furnarsaurediathylester iiber die Diels- Alder-Synthese dargestellt .

Die 'H-NMR-Spektren wurden in einem Spektrometer Varian HA-100-15 bei 30 "C in CDCI, aufgenommen. Die Konzentration betrug 150 bis 200 rng/ml. Durch Mehrfachmessung wurde eine Genauigkeit von 10,Ol ppm fur die angegebenen Signalpositionen ermittelt.

LITERATURVERZEICHNIS

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