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2 Rahmenbedingungen 2.1 Der historische Hintergrund Fragen der wirtschaftlichen Entwicklung der Länder Südasiens und Ansätze zu ihrer Lösung können nur in Kenntnis des historischen Hintergrundes diskutiert werden. Dieser ist durch eine Folge von Invasionen und endlose Machtkämpfe der Partikularfürsten gekennzeichnet. Nur selten war Südasien politisch und wirtschaftlich geeint, in der jüngeren Vergangenheit nur S aber auch nicht völlig S durch die Kolonialherrschaft. Keiner der südasiatischen Staaten hat über längere Zeit den heutigen territorialen Bestand gehabt; Pakistan und Bangladesch sind ohne historische Vorbilder. Viele Entwicklungsprobleme lassen sich auf die Kolonialherrschaft zurückführen S aber nicht alle; manche auch auf die vor-kolonialen Vorläufer. Vieles was heute als typisch britisches Relikt in Indien erscheint, namentlich in der Verwaltung und im Finanzwesen, hatten die Briten von den Moguln übernommen, und auch diese griffen auf frühere Regelungen zurück. Der folgende kurze Abriss kann eine Einführung in die Geschichte des Subkontinents nicht ersetzen; dazu sei auf die angegebene Literatur verwiesen. 1 2.1.1 Die Zeit bis zur Unabhängigkeit 2.1.1.1 Die vor-koloniale Periode Auf dem indischen Subkontinent finden sich Zeugnisse einiger der ältesten bekannten Kulturen der Menschheit. Die Ergebnisse neuerer archäologischer Grabungen zwingen zu einer ständigen Revision der Geschichtsschreibung und Datierungen. Vieles ist älter, als bislang angenommen wurde. Auf dem Potwar-Plateau im heute pakistanischen Teil des Punjab wurden Zeugnisse einer früh-steinzeitlichen Kultur (Soan) gefunden, die zu den ältesten der Welt gehört. Eine größere 2 Siedlung wurde bei Mergah am Bolan Pass in Baluchistan bereits seit 7.000 v. Chr. nach- gewiesen, die neolithische Revolution und der Übergang zu sesshaftem Ackerbau wird bei 3 ca. 3.500 v. Chr. angesetzt. 4 Ein kurzer Abriss der nachkolonialen Geschichte findet sich bei: Moazzem HOSSAIN , Inayanatul ISLAM, Reza 1 KIBRIA: South Asian economic development.: transformation, opportunities and challenges. London: Routlege. 1999. pp. 19-26. T. T. P ATERSON , H. J. H. DRUMMOND: Soan. The paleolithic of Pakistan. Memoirs of the Department of 2 Archeology in Pakistan Number 2. [Karachi:] Department of Archeology, Government of Pakistan. 1962. "Siebentausend Jahre vor Christi Geburt wurde die Siedlung gegründet. Für manche gilt sie als Wiege der 3 Menschheit, weil hier noch vor den Kulturen am Indus und Mesopotamien Felder bestellt und Tiere domestiziert wurden. 5000 vor Christi entwickelte man hier die Töpferscheibe, tausend Jahre später blühte der Handel mit Tonwaren, die über den Bolan-Pass weit in den Westen exportiert wurden.” Freddy L ANGER: Hinter den Lehmhütten beginnt das Nichts. Nur Berge und Wüsten in Baluchistan S Die größte Provinz Pakistans ist auch die ärmste. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 18.1.1990, pp. R 1 - R 2. Hier: p. R2. Datierung auch im Folgenden S soweit nicht anders vermerkt S nach : Dietmar ROTHERMUND : Grundzüge der 4 indischen Geschichte. Grundzüge Band 30. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgemeinschaft. 1976. S Vgl. auch: Hermann KULKE, Dietmar ROTHERMUND : Geschichte Indiens. Stuttgart: Kohlhammer. 1982.

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2 Rahmenbedingungen

2.1 Der historische Hintergrund

Fragen der wirtschaftlichen Entwicklung der Länder Südasiens und Ansätze zu ihrer Lösungkönnen nur in Kenntnis des historischen Hintergrundes diskutiert werden. Dieser ist durch eineFolge von Invasionen und endlose Machtkämpfe der Partikularfürsten gekennzeichnet. Nur seltenwar Südasien politisch und wirtschaftlich geeint, in der jüngeren Vergangenheit nur S aber auchnicht völlig S durch die Kolonialherrschaft. Keiner der südasiatischen Staaten hat über längereZeit den heutigen territorialen Bestand gehabt; Pakistan und Bangladesch sind ohne historischeVorbilder.

Viele Entwicklungsprobleme lassen sich auf die Kolonialherrschaft zurückführen S aber nichtalle; manche auch auf die vor-kolonialen Vorläufer. Vieles was heute als typisch britisches Reliktin Indien erscheint, namentlich in der Verwaltung und im Finanzwesen, hatten die Briten von denMoguln übernommen, und auch diese griffen auf frühere Regelungen zurück.

Der folgende kurze Abriss kann eine Einführung in die Geschichte des Subkontinents nichtersetzen; dazu sei auf die angegebene Literatur verwiesen.1

2.1.1 Die Zeit bis zur Unabhängigkeit

2.1.1.1 Die vor-koloniale Periode

Auf dem indischen Subkontinent finden sich Zeugnisse einiger der ältesten bekannten Kulturender Menschheit. Die Ergebnisse neuerer archäologischer Grabungen zwingen zu einer ständigenRevision der Geschichtsschreibung und Datierungen. Vieles ist älter, als bislang angenommenwurde. Auf dem Potwar-Plateau im heute pakistanischen Teil des Punjab wurden Zeugnisse einerfrüh-steinzeitlichen Kultur (Soan) gefunden, die zu den ältesten der Welt gehört. Eine größere2

Siedlung wurde bei Mergah am Bolan Pass in Baluchistan bereits seit 7.000 v. Chr. nach-gewiesen, die neolithische Revolution und der Übergang zu sesshaftem Ackerbau wird bei3

ca. 3.500 v. Chr. angesetzt.4

Ein kurzer Abriss der nachkolonialen Geschichte findet sich bei: Moazzem HOSSAIN , Inayanatul ISLAM , Reza1

KIBRIA: South Asian economic development.: transformation, opportunities and challenges. London: Routlege.

1999. pp. 19-26.

T. T. PATERSON , H. J. H. DRUM M OND: Soan. The paleolithic of Pakistan. Memoirs of the Department of2

Archeology in Pakistan Number 2. [Karachi:] Department of Archeology, Government of Pakistan. 1962.

"Siebentausend Jahre vor Christi Geburt wurde die Siedlung gegründet. Für manche gilt sie als Wiege der3

Menschheit, weil hier noch vor den Kulturen am Indus und Mesopotamien Felder bestellt und Tiere domestiziert

wurden. 5000 vor Christi entwickelte man hier die Töpferscheibe, tausend Jahre später blühte der Handel mit

Tonwaren, die über den Bolan-Pass weit in den Westen exportiert wurden.” Freddy LANGER: Hinter den

Lehmhütten beginnt das Nichts. Nur Berge und Wüsten in Baluchistan S Die größte Provinz Pakistans ist auch

die ärmste. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 18.1.1990, pp. R 1 - R 2. Hier: p. R2.

Datierung auch im Folgenden S soweit nicht anders vermerkt S nach : Dietmar ROTHERM UND: Grundzüge der4

indischen Geschichte. Grundzüge Band 30. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgemeinschaft. 1976. S Vgl. auch:

Hermann KULKE, Dietmar ROTHERM UND: Geschichte Indiens. Stuttgart: Kohlhammer. 1982.

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2.1 Seite 2 Rahmenbedingungen (17. April 2011)

Die bekannteste Siedlung wurde bereits im neunzehnten Jahrhundert bei Harappa im Punjabfreigelegt, als man sie als Steinbruch benutzte und die Ziegel als Schotter für die neueEisenbahnlinie von Karachi nach Lahore nahm. Heute ist davon nur noch wenig zu sehen, aberdie Fundstelle gab der Indus-Kultur, die ihre Hochzeit etwa von 2.250 bis 1.750 v. Chr. hatte,ihren Namen. Siedlungsreste dieser Zeit finden sich zu Hunderten in Pakistan und Nordwest-Indien. Die eindrucksvollsten Funde ergaben Grabungen bei Moenjo Daro, unweit des Indus, imnördlichen Sind. Dort kann man die rechtwinkligen Straßenanlagen und Reste mehrgeschossigerHäuser, gemauerter Brunnen, und ein System der Wasserversorgung der Abwässerentsorgungbewundern, das man in den heutigen Städten Pakistans so oft vermisst. Über die staatlicheOrganisation und vor allem über die Gründe des Untergangs dieser Kultur etwa zwischen 1.500v. Chr. und 1.400 v. Chr. ist wenig bekannt. Es wurden zwar viele Ziegel mit eingebranntenSymbolen, aber keine längeren Texte und schon gar keine zweisprachigen Texte, gefunden. Sogibt es bis heute wenig mehr als begründete Mutmaßungen der Bedeutung dieser Zeichen, voneiner “Entzifferung” der Schrift der Industal-Kultur, über die immer wieder in der Presseberichtet wird, kann aber noch nicht die Rede sein.

In den Geschichtsschreibungen der benachbarten alten Hochkulturen finden sich nur wenige undwenig eindeutige Hinweise auf die Industal-Kultur, so dass wir auf indirekte Hinweiseangewiesen sind, etwa auf Münzfunde, und stilkritische Vergleiche, etwa der Siegel, die aufHandelsbeziehungen zur Region des Persischen Golfes, zu Mesopotamien und sogar zu Ägyptenund den Malediven, hinweisen. Thor HEYERDAHL hat auf der Grundlage von Abbildungen ausvorgeschichtlicher Zeit ein Schilfboot, bauen lassen, mit dem er von der Mündung von Euphratund Tigris zur Mündung des Indus und weiter zum Roten Meer segelte und mit diesemarchäologischen Experiment zeigte, dass solche Reisen mit den damals zur Verfügung stehendenMitteln möglich waren. Es gibt auch etliche Indizien dafür, dass in dieser vorgeschichtlichen5

Zeit auch schon Fahrten zu den Malediven stattfanden. Dies ist zwar kein Beweise, dass diese6

Fahrten tatsächlich stattgefunden haben, untermauern aber eine ernstzunehmende Hypothese.

Umso mehr verwundert das Verschwinden dieser Kultur, deren Untergang – wie man heute weiß– nicht plötzlich, sondern im Zeitraum vieler Jahrzehnte stattfand. Diskutiert werden vor allemdrei Hypothesen, nämlich (1) der Einfall der Arier aus Zentralasien und ein gewaltsamerUntergang, (2) eine selbstverschuldete ökologische Katastrophe und (3) ein Naturereignis.

Der Mitte des zweiten Jahrtausends anzusetzende Einfall der Arier wurde lange als zeitgleich mitdem Untergang der Industal-Kultur angesetzt. Bei den Ausgrabungen fanden sich aber wederZeugen großer Wehranlagen, noch Brandspuren oder ungeordnete Knochenreste, die auf einenKampf hingewiesen hätten. Neuere Forschungen deuten zudem darauf hin, dass der Untergangbereits früher einsetzte und beide Ereignisse nicht in einem direkten Zusammenhang standen – was nicht ausschließt, dass beide dieselbe Ursache hatten.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Nachhaltigkeitsdiskussion wurde deshalb als Erklärungvorgeschlagen, dass die Kultur ihr Ende in Folge einer Energiekrise fand. Das Industal ist einriesiges fruchtbares Schwemmlandgebiet, das bei hinreichender Bewässerung gute Erntenerlaubt. Die Versorgung großer Städte mit Nahrungsmitteln konnte in dem ebenen Gelände auf

Thor HEYERDAHL: Tigris: auf der Suche nach unserem Ursprung. München: Bertelsmann. 19795

Thor HEYERDAHL: The Maldive mystery. London: George Allen and Unwin. 1986.6

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Der historische Hintergrund 2.1 Seite 3

dem Wasserwege erfolgen. Da es keinen gewachsenen Stein gibt, waren alle Bauten aus Holz zuerrichten, bzw. aus Ziegeln, für deren Brennen man Holz verfeuerte. Zudem diente Holz alsBrennmaterial zum Kochen. Daraus resultierte ein erheblicher Bedarf, den zu decken im damalswohl bewaldeten Industal anfangs kein Problem dargestellt haben dürfte; die abgeholzten Flächenkonnten für den Anbau von Nahrungsfrüchten verwendet werden. Die Annahme liegt nahe, dassdieses System an seine Grenzen stieß, als die Nachschub-Wege immer länger wurden und sichschließlich das Klima im Industal auf Grund großflächiger Rodung änderte. Damit wäre derUntergang der Industal-Kultur ein ökologisches Lehrstück ersten Ranges. Man fragt sich aber,wieso nicht rechtzeitig gegengesteuert wurde: der ganz offensichtlich hohe Organisationsgraddieser Gesellschaft hätte es doch erlaubt, die sicher schon damals vorhandenen Erkenntnisseforstwirtschaftlicher Notwendigkeiten in die Praxis umzusetzen.

Deshalb hat zur Zeit ein dritter Erklärungsversuch Konjunktur, dass nämlich ein großes Erdbebenzu einer Blockierung des Indus und/oder des Saraswati, des legendären, seitdem nicht mehrexistierenden, großen Flusses zwischen Indus und Ganges, führte und eine Umlenkung desSchmelzwassers aus dem westlichen Himalaja in die Gangesebene und in den Golf von Bengalenbewirkte. Das Industal fiel trocken; die Städte mußten aufgegeben werden. Diese These ist vorallem unter indischen Nationalisten populär, weil sie die Möglichkeit bietet, die folgendeEntwicklung der Kultur im Gangestal als “indische” Fortentwicklung zu interpretieren,unabhängig von einem “arischen” Einfluss.

Um das Jahr 500 v. Chr. dürfte die Durchdringung der mittleren Gangesebene durch die Arierabgeschlossen gewesen sein. Alexander der Große traf auf gut organisierte Staatswesen, dieseiner Expansion am Indus ein Ende setzten (327 - 325 v. Chr.). Spätestens seit dieser Zeit sinddie Geschicke Südasiens S mit Unterbrechungen S mit denen Europas verbunden. Ein erstesGroßreich entstand unter Chandragupta Maurya, der 322 v. Chr. den Thron von Magadha mitder Hauptstadt Pataliputra (Patna, Bihar) übernahm, ganz Indien außer dem Südzipfel desDekhan und Assam eroberte und nach seinem Sieg über Seleukos den östlichen Teil dessenReiches erwarb, d.h. das Gebiet der heutigen Staaten Afghanistan und Pakistan. Unter seinenNachfolgern ragt sein Enkel Ashoka (268 S 233 v. Chr.) heraus, der das Maurya-Reich beiweitgehend unverändertem territorialen Besitzstand zu seiner größten Blüte brachte. Die ausdieser Zeit stammenden, nach ihm benannten, Säulen aus rostfreiem Eisen zeugen vom hohenStand der Technik. Unter dem Eindruck des verheerenden (wenn auch siegreichen) Kriegesgegen Kalinga (Orissa) nahm Ashoka den Buddhismus als Religion an, der sich über den ganzenSubkontinent und von hier aus nach Zentral-, Ost- und Südostasien verbreitete. Unter denNachfolgern zerbrach dieses erste indische Großreich. Vom Peshawar-Tal und dem PotwarPlateau aus, wo sich unter buddhistischem und griechischem (Alexander) Einfluss diegräko-baktrische Gandhara-Kultur (274 - 232 v. Chr.) entwickelte, mit dem Zentrum in Taxila(35 km westlich von Islamabad), verbreitete sich der Buddhismus über den Himalaja nachSinkiang, Tibet, China und schließlich Japan.

Im vierten Jahrhundert nach Christi gelang es den Gupta, ebenfalls Fürsten aus Magadha, dengrößten Teil Indiens unter eine Herrschaft zu bringen. Dieses zweite Großreich der indischenGeschichte mit der Hauptstadt Pataliputra (Patna, im heutigen Bihar) erlangte unter Chan-dragupta II eine Ausdehnung bis weit nach Zentralasien. Das Reich zerfiel im fünftenJahrhundert unter dem Ansturm der Hunnen. Ein letztes Mal gelang die Einigung Indiens untereinem einheimischen Herrscher: Harsha Vardhana aus Saurashtra (im heutigen indischen

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Bundesstaat Gujarat) eroberte Nordindien, seine Expansion auf dem Dekhan scheiterte an denChalukyas in West- und Zentralindien. Harsha soll ursprünglich Shivait gewesen sein, nahm aberspäter den Buddhismus an, den er förderte.

Mit dem Ende des ersten Jahrtausends ging der Einfluss des Buddhismus zurück, ein Vakuum,das S wie es scheint S das Vordringen des Islam auf dem Subkontinent begünstigte; während erauf dem Subkontinent im Laufe des ersten Jahrtausends vom Hinduismus abgelöst wurde, hielter sich im Sind bis zur ersten islamischen Eroberung im Jahre 711 S zeitgleich mit dem Beginn7

der islamischen Expansion auf der iberischen Halbinsel in Europa. Vor allem auf dem Dekhangab es aber mächtige Regionalreiche, die eine islamische Eroberung noch über Jahrhunderteabwehren konnten; mit der Eroberung von Vijayanagara (1565) durch die vereinigten(muslimischen) Sultanate fiel das letzte große Hindu-Reich auf dem Dekhan.8

Die Invasion arabischer Truppen unter Mohammad Bin (auch: Ibn) Qasim im Sind und imsüdlichen Punjab waren der Beginn einer tausendjährigen muslimischen Herrschaft überzeitweise fast den gesamten Subkontinent. Ab etwa der Jahrtausendwende fielen muslimischeHeere, erst die Ghaznaviden, später die Ghoriden, im nördlichen Punjab und in der Gangesebeneein und errichteten 1206 das Sultanat von Delhi. Ein weiterer Invasor aus Zentralasien, Babur,begründete 1525 das Mogul-Reich, das Akbar (1556-1605) zu seiner größten Blüte brachte, unddessen größte territoriale Ausdehnung über fast den gesamten Subkontinent Aurangzeb(1658-1707) erreichte. Dieses Riesenreich zusammenzuhalten überstieg aber die Kräfte derMoguln: 1739 eroberte Nadir Shah (Nadir Quli), der Herrscher Persiens (1732-1747), Delhi, undkehrte mit dem Reichtum der Mogulkaiser heim. Nach seinem Tode gründete Ahmad ShahAbdali (Durrani) 1747 ein neues Reich im Westen des Mogul-Reiches; die einstigen Provinzen(Punjab, Sind, Kandhahar, Kabul) erlangten weitgehende Selbständigkeit und befehdeten sichzum Teil gegenseitig; in Baluchistan bildete sich eine selbständige Stammesföderation unter demKhan von Kalat heraus. Aus dieser Zeit resultieren die Ansprüche Afghanistans auf die Gebietewestlich des Indus (“Pashtunistan”). Im Punjab erstarkten die Sikh-Fürstentümer undentwickelten sich unter Ranjit Singh zu einer regionalen Macht, die mit den Briten wie Afghanenin Konflikt geriet; Sind wurde praktisch unabhängig.

Die wechselvolle Geschichte Bengalens ist vielfach mit der Nordwestindiens verbunden;9

gleichzeitig hat diese Region S und hier vor allem das schwer zugängliche DeltagebietOstbengalens S immer eine Sonderstellung innegehabt. In keinem Gebiet Indiens hatte sich imMittelalter der Buddhismus so lange gehalten wie hier. Erst im 12. Jahrhundert, kurz vor Ankunftder Muslimens, begann er dem Hinduismus zu weichen. Der Herrschaft der Sultane von Delhi,die 1201 bis Bengalen vorgedrungen waren, unterstand Bengalen meist nur nominell. Von dieser

Henry COUSENS: The antiquities of Sind with historic outline. Archaeological Survey of India, vol. xlvi, Imperial7

Series. Karachi: Oxford UP. 1975 reprinted. (Calcutta: Oxford UP. 1929). pp. 19 sqq. S Hermann KULKE,

Dietmar ROTHERM UND: Geschichte Indiens. Loc. cit., p. 182. S Eine Standardquelle Pakistans nennt als

Jahreszahl 712: M. KABIR: Muslim rule under the sultans. In: I. H. QURESHI (ed.): A short history of Pakistan.

Karachi: University of Karachi. vol. 2. 1967. p. 11.

Anna Libera DALLAPICCOLA, Stephanie ZINGEL-AVÉ LALLEM ANT (eds.): Vijayanagara S city and empire: new8

currents of research. Beiträge zur Südasienforschung 100. Stuttgart: Franz Steiner. 1985.

Vgl. meinen Beitrag: Bangladesh. In: Dieter NOHLEN und Franz NUSCHELER (Hrsg.): Handbuch der Dritten9

Welt. 2. Auflage. Loc. cit., pp. 68 sqq. S vgl. auch: Asit DATTA: Bangladesh. In: Dieter NOHLEN und Franz

NUSCHELER (Hrsg.): Handbuch der Dritten Welt. 3. Auflage. Loc. cit., Band 7, pp. 162-191.

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Der historische Hintergrund 2.1 Seite 5

Zeit bereitete sich jedoch der Islam in Bengalen aus. Die Mehrheit der muslimischenBevölkerung bestand aus bekehrten Hindus und Buddhisten. Der Prozess des Religionswechselsund seine Ursachen sind bis heute wenig bekannt. Eine häufig genannte und plausible Erklärungist, dass in erster Linie die unteren sozialen Schichten zum Islam übertraten, um die bedrückendeBeschränkung des Hinduismus gegen die Freiheit des islamischen Glaubensprinzips einzutau-schen. “Die Anpassung an die hinduistische Sozialstruktur legt die Annahme nahe, dass derÜbertritt zum Islam nicht so sehr eine individuelle Entscheidung war, sondern vielmehr vonganzen Gruppen und Kasten vollzogen wurde. Dass der neue Glaube die Religion der Sieger war,verlieh ihm eine besondere Anziehungskraft. Es ist fast sicher, dass zu den wenigen Gruppen,die den Islam aus ökonomischen und politischen Nützlichkeitserwägungen annahmen,Grundbesitzerfamilien in Nordindien gehörten.”10

Bis 1576 blieb Bengalen meist unabhängig und wahrte seine Eigenständigkeit. Erst Akbareroberte Bengalen und verleibte es als eine seiner zwölf Provinzen (subha) dem Reich ein. AllesLand wurde Lehensland. An die Spitze der Verwaltung trat ein kaiserlicher Steuereinnehmer(diwan). Grundlage der Besteuerung wurde der Boden; die Kopfsteuer wurde abgeschafft.Bengalen wurde aufgrund seines landwirtschaftlichen Reichtums zu einem lebenswichtigenBestandteil des Reiches; das Erstarken de Zentralmacht führte zu einer Verringerung desEinflusses der örtlichen Machthaber.

Während der Zeit der Herrschaft von Akbars Urenkel Aurangzeb errichtete die englische EastIndia Company, die wie die anderen europäischen Ostindischen Gesellschaften in Portugal,Frankreich, den Niederlanden und Dänemark, von ihrer Regierung mit hoheitlichen Befugnissenausgestattet war und zunächst nur eine beschränkte Territorialherrschaft unter der Oberherrschaftindischer Fürsten ausübte, im Norden Kalkuttas eine befestigte Faktorei (Handelsniederlassu-ung); sie wurde Sitz der englischen Präsidentschaft Bengalen. Nach dem Tode Aurangzebszerfiel die Zentralmacht des Mogul-Reiches: Die Kaiser verloren die Kontrolle über die höherenBeamten und die höheren Beamten diejenige über die Provinzen. Die Umwandlung derReichsprovinzen in regionale Königreiche durch die Mogul-Gouverneure war nicht das Ergebniseiner Rebellion; in keinem Fall hat ein Gouverneur den Kaiser offen brüskiert und seineUnabhängigkeit erklärt. Statt dessen zeigte sich die Vernachlässigung der Treuepflicht darin, dassman der Hauptstadt die verlangte militärische und finanzielle Hilfe vorenthielt.

Ähnlich wie in Oudh und Hyderabad verschaffte sich auch in Bengalen ein machtbewussterGouverneur seine Selbständigkeit gegenüber der Zentralregierung, die inneren Vorgänge lassenBengalen aber als einen Sonderfall erscheinen. Das Eindringen einer westlichen Macht in Gestaltder East India Company veränderte den politischen Prozess und machte aus Bengalen einenneuen dynamischen Staat, der gegen Ende des 18. Jahrhunderts im Begriff war, das Erbe derMogul-Herrschaft anzutreten.

Bengalen, zu dem auch Bihar und Orissa gehörten, prosperierte. Die Fruchtbarkeit des Bodensund die Salzvorkommen begünstigten den Wohlstand. Die Handelsstruktur Indiens hatte sichdurch den Machtverlust der Moguln im Norden und Westen verändert. Bengalen übernahm die

Ainslee T. EM BREE, Friedrich W ILHELM : Indien. Geschichte des Subkontinents von der Induskultur bis zum10

Beginn der englischen Herrschaft. Loc. cit. p. 197.

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2.1 Seite 6 Rahmenbedingungen (17. April 2011)

traditionelle Funktion der Häfen an der Westküste (z.B. Surat am Golf von Cambay), über die11

so lange der Seehandel des Mogul-Reiches abgewickelt worden war: Chinesen, Araber undArmenier handelten an der gesamten Küste Indiens mit bengalischen Erzeugnissen. Hinzu kamendie europäischen Händler, deren Bedarf an muslin, dem feinem bengalischen Baumwollstoff,12

in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wegen des Modewandels in Europa anstieg. Nachmodernen Maßstäben war der Handel mit Europa allerdings nie bedeutend gewesen. Es handeltesich im wesentlichen um Luxusgüter wie Textilien oder Waren ohne großes (physikalisches)Gewicht, wie z.B. Opium oder Gewürze. Zucker, der zu dieser Zeit noch nicht aus Rübensaftgewonnen werden konnte und ein einträgliches Handelsgut war, wurde nur im Umfang von etwa2.000 t im Jahr gehandelt; so viel konnte auch damals auf wenigen Schiffen transportiertwerden.13

Die Geschichte der Insel Lanka, Serendip, Taprobane oder Ceylon, wie sie von den Portugiesengenannt wurde, ist mit der Indiens seit Urzeiten verbunden. Nach der gängigen Lehrmeinunghandelt es sich bei den Singhalesen um eine indogermanische Gruppe, die vor oder um dieZeitwende aus Zentralasien und Nordindien den Dekhan durchwanderte und sich schließlich aufLanka niederließ. Aus dieser und früherer Zeit stammen große Bewässerungsbauwerke, die vomhohen Stand der Ingenieurkunst und des Wassermanagements zeugen. Ob die (drawidischen)Tamilen bereits vor ihnen im Norden der Insel Lanka siedelten, ist umstritten; spätestens gegenEnde des ersten Jahrtausends nach Christi hatten sie ihre eigenen Königreiche im Norden derInsel mit dem Zentrum um Jaffna; damit begründen heute die sog. Jaffna-Tamilen ihrenAnspruch auf einen eigenen Staat (eelam).

Die geographische Lage der Insel am Seeweg von Südwest nach Südost- und Ostasien machtesie für alle an diesem Fernhandel Beteiligten interessant; die meist muslimischen moors sind dieNachfahren arabischer Kaufleute, die sich hier im Mittelalter niederließen. Nach der Entdeckungdes Seeweges nach Indien wurden schon bald erste Küstenstädte von den Portugiesen erobert,es dauerte aber drei weitere Jahrhunderte, bis die Insel vollständig in europäischem Besitz war.

2.1.1.2 Die koloniale Periode

Seit der Ausbreitung des Islam in ganz Südwest- und Zentralasien kontrollierten die Araber S undspäter die Türken S den einträglichen Handel mit dem fernen Osten. Die europäischen Mächtesuchten nach einer Möglichkeit diese Zwischenhändler auszuschalten und den Handel mit Ost-(Seide) und Südostasien (Gewürze) direkt zu betreiben; später entdeckten sie dann auch dieMöglichkeit sich am mindestens ebenso einträglichen innerasiatischen Handel (Ostafrika bisJapan) zu beteiligen.

Ashin DASGUPTA: Indian merchants and the decline of Surat, c. 1700-1750. Beiträge zur Südasienforschung.11

Band 40. Wiesbaden: Franz Steiner. 1979.

"The term Sonar Bangla [im Original unterstrichen, Anm. d.V.], or “Golden Bengal,” originated with the12

region's rich harvests and its muslin cloth that was renowned in 18th century Europe.” J. F. STEPANEK:

Bangladesh S equitable growth? New York: Pergamon. 1979. p. 4n.

Der gesamte Überseehandel hatte Ende des 18. Jahrhunderts nur ein Volumen von 37.000 t Ausfuhr respektive13

25.000 t Einfuhr Englands aus Indien. Vgl. Dietmar ROTHERMUND: Grundzüge der indischen Geschichte.

Grundzüge Band 30. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgemeinschaft. 1976. p. 72.

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Der historische Hintergrund 2.1 Seite 7

Auf der Suche nach einer geeigneten Handelsroute wurde fast der ganze Globus erforscht:europäische Kaufleute erkundeten den Landweg durch Zentralasien (Marco Polo, Seidenstraße)und durch Sibirien nach China; Kolumbus entdeckte 1492 auf der Suche einer westlichen Routenach Indien Amerika, Vasco da Gama befuhr als erster die östliche Route um das Kap der GutenHoffnung und erreichte 1498 Indien auf dem Seewege. Zur Absicherung des neuen Seewegeslegten die Europäer befestigte Häfen an: 1510 eroberten die Portugiesen Goa und sicherten sichvon hier aus die Vorherrschaft im Indischen Ozean und damit das Monopol über denGewürzhandel. Der rasche Erfolg des kleinen Portugal wird mit der überlegenen Waffentechnikder Europäer erklärt. Zwei andere Gründe sind die freihändlerische Einstellung der fast durchwegmuslimischen Seefahrer und der frühe Rückzug Chinas aus dem Seehandel.

Der Islam erreichte Südasien zuerst auf dem See- und erst später auf dem Landweg; er fandVerbreitung in Südasien und in dem heutigen Indonesien vor dem Einfall muslimischer Erobererauf dem Subkontinent. Der Prophet war Händler gewesen; seine Religion stand (und steht) demHandel positiv gegenüber und verbot nur die Ausnutzung von Notsituationen (wenn man dasZinsverbot als Verbot von Wucherzinsen interpretiert). Als die Portugiesen den Indischen Ozeanerreichten, wurde der Handel von muslimische Seefahrern von Moçambique bis zu denMolukken beherrscht, muslimische Herrscher kontrollierten die meisten seiner Küsten. Das galtganz besonders für Indien, dessen Sultane und Moguln Muslime waren. Der Seeweg nachArabien war von größter Wichtigkeit, vor allem für die Pilgerfahrten nach Mekka (haj) und denImport von Pferden. Von Delhi aus gesehen lagen die Häfen in Gujarat und vor am allem amGolf von Cambay (Surat) besonders günstg; vom Dekhan aus bot Goa eine direkte Verbindung.

Die Chinesen hatten bis Zum Beginn des 15. Jahrhunderts gewaltige Flotten bis nach Südafrikageschickt (und vielleicht auch darüber hinaus) und waren die führende Seemacht im IndischenOzean, bis der chinesische Kaiser eine Abkehr vom Seeverkehr befahl und alle Schiffe verbranntwurden. Sie hinterließen ein Machtvakuum, das die Portugiesen ein dreiviertel Jahrhundert späterfüllen konnten.

Die Blüte der portugiesischen Besitzungen währte nur wenige Jahrzehnte. Nach der BesetzungPortugals durch Spanien (1580) wurde Portugal in die Auseinandersetzungen Spaniens mit seinenniederländischen Besitzungen und mit England gezogen; die Vernichtung der spanischen Armada(1588) begründet die britische Seeherrschaft. Als Portugal mit britischer Hilfe seine Unabhängig-keit zurückerlangte (1640), hatte es seine Besetzungen in Asien (u.a. Kerala und Ceylon) bereitsan die aufstrebenden Niederländer verloren. Erst im 18. Jahrhundert wurden die Briten zurvorherrschenden Macht in Südasien. Frankreich, das zeitweise zum schärfsten Konkurrenten inIndien wurde, verlor im Zuge der weltweiten direkten und indirekten Auseinandersetzung mitden Briten (Schlesische Kriege, britisch-französische Kriege in Nordamerika und Indien,Napoleonische Kriege) schließlich fast seinen gesamten Besitz in Indien.

Die britische East India Company warim Jahr 1600 von londoner Kaufleuten gegründet worden;1602 erreichte eine erste Flotte Aceh auf Sumatra, 1611 wurde eine erste Handelsniederlassungin Masulipatam gegründet, 1612 folgten Surat, 1629 Fort Saint George, 1650 Hugli; Madras giltals erste britische Siedlung (1640; heute: Chennai); 1681 pachtete sie Bombay (heute : Mumbai)von der britischen Krone, die die Insel 1661 als Mitgift von Portugal erhalten hatte; seit 1700

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2.1 Seite 8 Rahmenbedingungen (17. April 2011)

unterhielt die East India Company eine Faktorei, d.h. eine Handelsniederlassung, am Hoogly,14 15

einem Mündungsarm des Ganges, das spätere Kalkutta. Die wachsende Autonomie der East16

India Company hatte sich besonders auf Handelsprivilegien gestützt, die ihr von Zeit zu Zeit vonden Moguln gegen jährliche Zahlungen verliehen worden waren, und die der Mogul 1717 ineinem kaiserlichen Dekret (firman) bestätigt hatte. Dazu gehörtem die Erlaubnis, in der Münzeder Provinz Geld zu prägen (mit dem Bild des Kaisers), das Recht, 38 Dörfer in der Nähe vonKalkutta zu verwalten, und das Recht, die Binnenzölle für Waren durch Zahlung eines festenBetrag abzulösen und eigene Steuern zu erheben.

Ein Nachfolgestreit unter den Söhnen des Fürsten (nawab) von Bengalen bot den Engländern dieMöglichkeit einer militärischen Konfrontation, die mit dem Sieg der Engländer bei Plassey 1757endete. Die Engländer ließen sich 1765 die diwani, die Einnahmen aus den Staatseinkünften,übertragen und setzten 1772 einen Gouverneur (Warren Hastings) mit Sitz in Kalkutta ein. 177417

regelte das britische Parlament ihre Herrschaft (Regulation Act). An Stelle des brüchiggewordenen Steuersystems der Moguln setzten die Briten S nach anfänglichen Fehlversuchen,die im Gefolge von Missernten Ende der sechziger Jahre des 18. Jahrhunderts zur schlimmstenHungerkatastrophe der bengalischen Geschichte führten S die permanent settlement, einedauernde Grundsteuerveranlagung, die die zamindars, die alten Steuereinnehmer, zu18

Grundbesitzern und Steuerschuldnern gegenüber dem Staat und die Masse der Bauern zu ihrenPächtern machte. Hierdurch wurde die Grundlage für die Existenz der meist in Kalkutta lebendenGroßgrundbesitzer (absentee landlords) gelegt. Die Verwaltung wurde zweistufig organisiert:Höhere Posten wurden durchweg mit Briten besetzt, niedere mit Indern.

Widerstand erwuchs den Briten vor allem durch die Marathen (Shivaji 1627-1680), die sichebenfalls daran machten, das Erbe der Moguln zu übernehmen, Mitte des 18. Jahrhunderts hattensie die Vorherrschaft in Indien erreicht und stießen mit den rasch expandierenden Britenzusammen, die sie nach drei Kriegen 1818 endgültig besiegten.

Ende des 18. Jahrhunderts entdeckte die britische Kolonialverwaltung ihr Interesse amErziehungswesen, allerdings nur soweit es die höhere Bildung betraf. In geringerem Umfangewurden Hindu- und Muslim-Schulen unterstützt, und zwar durchaus auch der Unterricht in denklassischen Sprachen Sanskrit, Persisch und Arabisch. Die Befürworter dieses Systems, die“Orientalisten”, mußten sich schon bald mit den Vertretern einer rein europäisch ausgerichtetenErziehung, den “Anglizisten” auseinander setzen, die die englische Sprache und die westlicheKultur in den Mittelpunkt des Unterrichts stellen wollten. Diese Auseinandersetzung endete imJahre 1835 mit dem eindeutigen Sieg der “Anglizisten”, deren vehementer und bekanntesterVertreter, Lord Thomas Babington Macaulay, die Grundlage seiner Erziehungspolitik in seinerMinute on Indian Education wie folgt formulierte:

Der Begriff der factory leitet sich von factor, dem Handelsbeauftragten ab.14

Wilfried W ESTPHAL: Herrscher zwischen Indus und Ganges. Das britische Kolonialreich in Indien. München:15

C. Bertelsmann. 1980.

Die Gründungsdaten weichen in den Quellen voneinander ab, je nachdem es um die erste Ankunft, die Anlage16

eines Handelsplatzes, einer Siedlung oder einer eigenen Befestigung handelte.

Dietmar ROTHERM UND: Grundzüge ..., loc. cit., p. 177.17

Das englische settlement kommt von to settle und hat hier die Bedeutung von “festsetzen” (und nicht von18

“besiedeln”); die Festsetzung war permanent, weil sie in absoluten Geldbeträgen ein und für allemal festgesetzt

wurde. Zuvor wurde die Steuer in Naturalien und als Anteil an der Ernte erhoben.

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Der historische Hintergrund 2.1 Seite 9

"We must at present do our best to form a class who may be interpreters between us and the millions whom we

govern, a class of persons, Indian in blood and colour, but English in taste, in opinion, and in intellect ... To that class

we may leave it to refine the vernacular dialects of the country, to enrich those dialects with terms of science

borrowed from Western nomenclature, and to render them by degrees fit vehicles for conveying knowledge to the

great mass of the population.”19

Zur Mitte des neunzehnten Jahrhunderts war ganz Indien im britischen Einflussbereich(Annexion des Punjab 1849). Nicht alle Gebiete wurden erobert und der britischen Verwaltungdirekt unterstellt. In vielen Fällen blieb die formale Unabhängigkeit der Fürstenstaaten undStammesgebiete erhalten. 1857 kam es zum ersten großen Aufstand, oder S wie es die Britensahen S zur Meuterei (mutiny) ihrer Söldner (sepoy), den die East India Company zwar noch mitHilfe ihrer indischen Truppen blutig unterdrücken konnte, den sie aber wirtschaftlich nichtüberlebte. Deshalb zog die britische Krone die Regierung an sich (1858), die britische Königin(Victoria) wurde 1876 zur Kaiserin von Indien (in der Nachfolge der Mogul-Kaiser) erklärt.Neben der territorialen Macht der Briten nahmen auch ihre wirtschaftlichen Aktivitäten zu. Hatteam Anfang die Kontrolle des Indien-Handels im Vordergrund gestanden, so waren es späterSteuern und Abgaben (z.B. auf den Handel mit Salz) und im 19. Jahrhundert die Manufakturen,der Bergbau, die Eisenbahnen, Plantagen (Indigo, Kaffee, Tee, Kautschuk) und schließlich dieaufkommende (Jute- und Baumwoll-)Industrie. Indien stellte billige Rohstoffe und Arbeitskräfteund zugleich einen Absatzmarkt. Dies reflektiert auch den Einfluss unterschiedlicher britischerGruppen in Indien: Nach den Kaufleuten und Abenteurern waren es im 19. Jahrhundert vermehrtjunge Adlige (Armee und Verwaltung). Im Gegensatz zu den britischen Kolonien in Afrika,Amerika und Australien wurde Indien keine Siedlerkolonie. Außer einigen Plantagen hatten dieBriten nie große Anteile am Landbesitz; gemessen an der indischen Bevölkerung war die Zahlder in Indien lebenden Briten immer gering. Die Telegraphen-Verbindung von London mitKalkutta, der damaligen Hauptstadt Britisch-Indiens, durch die deutsche Firma Siemens im Jahre1867 erbaut, und die Eröffnung des Suez-Kanals 1869 ermöglichten eine direktere Kontrolle20

Indiens durch die Kolonialmacht.

Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts nahm die Unabhängigkeits-Bewegung wieder zu. 1885wurde von Indern und Briten gemeinsam der Indian National Congress (INC) gegründet.Mahatma (die große Seele) Mohandas Karamchand Gandhi begann nach der Jahrhundertwendedie swaraj, die Bewegung der Gewaltlosigkeit und des zivilen Ungehorsams. Der Versuch, denbeginnenden Nationalismus, vor allem in Bengalen, durch eine Politik des “Teile und Herrsche”durch die (erste) Teilung Bengalens 1905 in einen westlichen, hinduistischen Landesteil mitKalkutta als Hauptstadt und einen östlichen, muslimischen Landesteil (einschließlich Assam) mitDhaka als Hauptstadt zu begegnen, schlug fehl. Durch die Konzentration des Handels, derVerwaltung und später auch der Industrie in und um Kalkutta war die Entwicklung Ostbengalensin doppelter Hinsicht von außen bestimmt worden, nämlich durch die East India Company inLondon und durch ihre Vertretung in Kalkutta. Die tatsächliche und vermeintliche Bevorzugungder Hindus, die den größten Teil der Großgrundbesitzer Ostbengalens bildeten, führte zuwachsenden Spannungen zum einen zwischen den Bengalen und Engländern und zum anderen

Zitiert nach: Gunnar MYRDAL: Asian drama. An inquiry into the poverty of nations. 3 vols. New York:19

Pantheon. 1968. Vol. III, p. 1640, n. 1. S Ausführlicher dazu in meinem Beitrag: Das Erziehungswesen in

Pakistan. In: Internationales Asienforum. 4(Apr 1973)2. pp. 306-331. = Sonderdrucke des Südasien-Instituts.

141.

J. K. TANDON: Indo-German economic relations. New Delhi: National Publishing House. 1978. p. 20.20

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zwischen Hindus und Muslimen in Bengalen. Die Bengalen waren maßgeblich am missglücktenAufstand gegen die Briten (1857) beteiligt; hier nahm auch die UnabhängigkeitsbewegungIndiens ihren Anfang. 1911 wurde die Teilung rückgängig gemacht (Assam, Bihar und Orissawurden als selbständige Provinzen ausgegliedert). Die gleichzeitige Verlegung der HauptstadtBritisch-Indiens von Kalkutta nach Delhi kennzeichnete das zunehmende Gewicht, das den neugewonnenen westlichen Provinzen zugewiesen wurde. Hier hatte der Baumwollanbau infolge derLieferschwierigkeiten der USA während des Amerikanischen Bürgerkrieges (1861-1865) raschan Bedeutung gewonnen, auch lagen Häfen wie Bombay oder Karachi nach der Eröffnung desSuezkanals verkehrsgünstiger zu Europa.

Während des Zweiten Weltkrieges drangen die Japaner bis an die Grenzen Assams undBengalens vor, nachdem sie Birma (heute: Myanmar) erobert hatten. Zum befürchteten Vorstoßauf Kalkutta kam es nicht, die wirtschaftlichen Folgen für Bengalen waren aber dennochfurchtbar, weil die Versorgung der städtischen Zentren von Reislieferungen aus Birma abhängigwar; als diese ausblieben und die Ernte witterungsbedingt zurückging, kam es Versorgungs-engpässen, Teuerungen und der größten Hungersnot (Great Bengal Famine of 1943) seit demachtzehnten Jahrhundert. Der indische Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften (1998),Amartya Kumar SEN, der die Hungersnot als Kind in Dhaka erlebt hatte, hat unter dem Eindruckdieses Erlebnisses die Zusammenhänge zwischen Armut und Hunger untersucht undnachgewiesen, dass Ernteeinbußen nur dann zu Hungernöten führen, wenn es an der notwendi-gen, demokratischen Ordnung fehlt.21

Die beiden Weltkriege stärkten gleichermaßen das politische und wirtschaftliche Gewicht derKolonie, wie sie die des Mutterlandes schwächten; nach dem 1. Weltkrieg konnte GroßbritannienIndien die innere Selbstverwaltung (Dyarchie) nicht länger verweigern (Government of India Act1919) und sah sich auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise zu weiteren Zugeständnissengezwungen (Government of India Act 1935). Nach dem 2. Weltkrieg war die Unabhängigkeitnicht mehr aufzuhalten (Government of India Act 1947), begünstigt nicht zuletzt dadurch, dassin Großbritannien die Labour Party an die Regierung kam, und die USA als wichtigsterGläubiger Großbritanniens sich für Indiens Unabhängigkeit engagierten. Schwierigstes Problemwar die Organisation des Zusammenlebens von Hindus und Muslimen, vor allem in Nordindien,wo es wechselseitige starke Minderheiten gab. Aus Furcht vor der Majorisierung durch dieHindus setzten die Muslimen schließlich die Teilung Indiens durch, am 15. August 1947, 0.00Uhr, wurde Indien unabhängig. An Pakistan, das zugleich (am 14. August 1947, 24.00 Uhr)unabhängig wurde, fielen die Gebiete im Nordwesten sowie Ost-Bengalen.

Die Küstengebiete Ceylons, wie Sri Lanka damals hieß, wurden zuerst von den Portugiesen,später von den Niederländern erobert, erst im Zuge der napoleonischen Kriege fiel die Insel anEngland, das sie als Kronkolonie 1802 in Besitz nahm und 1815 auch das bis dahin unabhängigeKönigreich Kandy, und damit die Berggebiete, eroberte. Die Insel prosperierte unter den Britenwirtschaftlich: An der Hauptseehandelsroute von Europa nach Ost- und Südostasien sowie nachAustralien und dem Pazifik gelegen, wurde Colombo ein wichtiger Seehafen und Handelsplatzund die Insel zu einem wichtigen Anbaugebiet so typischer Kolonialgewächse wie Kaffee (bis

Amartya SEN: Poverty and famines: an essay on entitlement and deprivation. New Delhi: Oxford UP. 199421

(Oxford: Clarendon,1982).

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die Ernte 1869 durch Schädlingsbefall völlig zerstört und der Anbau eingestellt wurde), Tee und22

Kokos. Da der Teeanbau nur einträglich ist, wenn die jungen Blätter innerhalb weniger Stundennach dem Pflücken einen ersten einfachen industriellen Verarbeitungsgang durchlaufen, erfolgtder Anbau meist auf Plantagen, die bis zur Unabhängigkeit (und teilweise auch danach) fastdurchweg britisch waren, und meist mit tamilischen Arbeitern, die unter den Angehörigen derniederen Kasten auf dem Festland (im heutigen Tamil Nadu) angeworben wurden. DasFermentieren, Trocknen und Verpacken der Teeblätter geschieht in kleinen Fabriken, die dasKernstück der Plantage bilden. Ceylon bot geradezu einen Lehrbuchfall einer Kolonie: in einemLand mit weitgehender Subsistenzwirtschaft bildete der Teeanbau eine Enklavenwirtschaft, diemit ausländischem Kapital und Management sowie ebenfalls ausländischen Arbeitern operierte.Die Exportfrucht Tee, deren Anbau einzig am Weltmarkt ausgerichtet war, ersetzte dieNahrungsfrucht Reis, am wirtschaftlichen Erfolg war die einheimische Bevölkerung allenfallsindirekt (Ausbau des Erziehungswesens, später ein umfassendes System der Nahrungsversorgungzu subventionierten Preisen) beteiligt. Die Infrastruktur diente einzig der Förderung desTeeanbaus (wie man am Eisenbahnnetz leicht erkennen kann) und der Kontrolle von außen.23

Eine eigene Industrie (außer der Teeverarbeitung) konnte sich unter diesen Bedingungen nichtentwickeln, die soziale Lage des größten Teils der Bevölkerung blieb schlecht, die Britenmachten nur zögernd Zugeständnisse an die Ceylonesen in Bezug auf die Beteiligung anpolitischen Entscheidungsprozessen. Wie auch auf dem Subkontinent wuchs die Forderung nachUnabhängigkeit, die am 4. Februar 1948 schließlich erreicht wurde.

Die Völker des heutigen Myanmar hatten schon früh einen engen Kontakt zu Indien undübernahmen von dort den Buddhismus. Diese Kontakte hörten aber nach dem Zurückdrängen desBuddhismus in Indien fast völlig auf. Erst im Zuge des Wiedererstarkens der birmanischenZentralmacht seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert stieß Birma mit dem britischen Empirezusammen. Das Land wurde in drei Kriegen (1824-26, 1852 und 1885-86) erobert und Indien alsProvinz einverleibt. Zu dieser Zeit hatte das britisch-indische Wirtschafts- und Verwaltungs-system bereits seine Strukturen entwickelt. Dieses System versuchten die Briten Birmaüberzustülpen und konnten dabei auf eine intermediäre Klasse von indischen Verwaltungs-beamten, Polizisten, Eisenbahnern, Unternehmern und Händlern, ja sogar Bauern, zurück-24

greifen, die seitdem dafür verantwortlich gemacht werden, dass Birma sich nach der Unabhängig-keit so schwer tat. Erst 1937 bekam Birma eine eigene Verwaltung. Im Zweiten Weltkrieg von25

den Japanern überrannt, koalierten die birmanischen Freiheitskämpfer erst mit den Japanern,wandten sich aber gegen diese, nachdem sie festellen mußten, dass sie von diesen keineswegsbesser behandelt wurden als von den Briten. Am 4.1.1948 wurde die Union of Burmaselbständig.26

Richard F. NYROP et al.: Area handbook for Ceylon Washington, D.C.: The American University. 1971. p. 48.22

"The completion in 1867 of the railroad between Colombo and Kandy meant a two-thirds reduction in transport23

costs.” Richard F. NYROP et al.: Area handbook for Ceylon. Loc. cit., p. 48.

Zur Entwicklung des birmanischen Unternehmertums vgl. AUNG TUN THET: Burmese entrepreneurship: Creative24

response in the colonial economy. Beiträge zur Südasienforschung. Band 126. Stuttgart: Franz Steiner. 1989.

Donald M. SEEKINS: Historical setting. In: Frederica M. BUNGE (ed.): Burma: a country study. 3. ed. Foreign25

area studies. Washington, D.C.: The American University. 1983 (1971). pp. 1-71. Hier: pp. 15-25.

Swapna BHATTACHARYA (Chakraborti): India-Myanmar relations 1886-1948. Calcutta: K. P. Bagchi & Co.26

2007.

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2.1.1.3 Die Bedeutung der Kolonialherrschaft für die Wirtschaft

Für die Wirtschaft Südasiens war die Kolonialherrschaft folgenreich, und zwar vor allem durch:1. Zerstörung der politischen, administrativen, wirtschaftlichen und sozialen Strukturen und

Institutionen.2. Deformation der Wirtschaft: Ausrichten an den Bedürfnissen der Kolonialmacht, einseitige

Orientierung an den Interessen des “Mutterlandes”.3. Als Folge: De-Urbanisierung und De-Industrialisierung.4. Anglisierung der Kultur und des Rechtssystems, Abwertung der eigenen Sprache und

Schriften und des traditionellen Bildungssystems.5. Dadurch Verzicht auf eigene Forschung und Entwicklung.6. Verlust an Rechtssicherheit und -billigkeit.7. Politik des “Teile und Herrsche!”, Polarisierung der gesellschaftlichen Gruppen als Folge der

Pax Britannica.8. “Entlassung” in die Unabhängigkeit mit einem politischen, administrativen, rechtlichen und

wirtschaftlichen System, das sich an den Bedürfnissen einer fremden Herrschaft orientierte:revenue, abgesichert durch law and order, intern, und Absicherung globaler wirtschaftlicher,politischer und strategischer Ziele, extern.

2.1.2 Indische Union

Die Teilung Indiens 1947 kam in dieser Form unerwartet und führte in der Folge zur Verfolgungund Vertreibung religiöser Minderheiten in den beiden neuen Dominions und zu vier Kriegenmit Pakistan (1947-49, 1965, 1971, 1999). Mit der Ermordung Mahatma Gandhis durch einen(Hindu-)Attentäter am 30. Juni 1948 fanden die religiösen Auseinandersetzungen ihrprominentestes Opfer.

Innenpolitisch stellte sich zuerst das Problem der Konsolidierung, der Integration derFürstenstaaten, die Verfassungsdiskussion (Verfassung 1950), die Abhaltung von Wahlen (ersteWahlen 1952) und der Sprachenstreit, der durch eine Neuordnung Indiens in inzwischen 29linguistisch und ethnisch determinierte Bundesstaaten und 6 Unionsterritorien führte.27

Wirtschaftlich befand sich Indien bei Erlangung der Unabhängigkeit in keiner schlechtenVerfassung. Der Zweite Weltkrieg hatte Großbritannien gezwungen, Indien Zwangskrediteaufzuerlegen; aus dem Schuldnerland Indien wurde ein bedeutender Gläubiger der KolonialmachtS ein Umstand, der es den Briten leichter machte, sich von ihrem “Kronjuwel” zu trennen.

Die sich verschärfenden weltweiten Spannungen zwischen Ost und West führten zum Krieg inKorea (1950-53) und zu einer Rohstoffhausse, von der Indien als bedeutender Exporteur vonBaumwolle und Jute profitierte.

Der Rest der 50er Jahre war von wirtschaftlicher Stagnation gekennzeichnet: nach Erfolgenwähren der ersten Planperiode (1951-56) begann die indische Regierung mit ihrem zweiten Plan

Einschließlich New Delhi.27

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Der historische Hintergrund 2.1 Seite 13

den forcierten Aufbau einer eigenen Grundstoffindustrie, die Landwirtschaft stagnierte,28

zwischen Indien und Pakistan wuchsen die Spannungen wegen der Nutzung des Wassers dergroßen Ströme des Punjab. Auf internationalen Druck kam es 1960 zum Abschluss desIndus-Wasser-Vertrages. Darin einigten sich die beiden Nachbarländer darauf, dass Pakistandie alleinige Nutzung des Wassers der drei westlichen Ströme des Punjab, nämlich Indus, Jhelumund Chenab, und Indien die alleinige Nutzung des Wassers der drei östlichen Ströme, nämlichRavi, Sutlej und Beas, erhielt. Mit finanzieller Unterstützung der befreundeten westlichenIndustriestaaten (darunter auch die Bundesrepublik Deutschland) bauten Indien und PakistanVerbindungskanäle, um ihre Bewässerungssysteme aus “ihren” Flüssen einzuspeisen.

Indien war schon vor der 2. Weltkrieg ein Netto-Importeur von Nahrungsgetreide gewesen; 1951begannen die USA Indien Weizen als Darlehen (wheat loan) zu liefern; dies war der Beginn einerjahrzehntelangen Nahrungshilfe. Um Reserveläger anzulegen vereinbarten Indien und die USAam 29. April 1956 amerikanische Weizenlieferungen zu Vorzugskonditionen nach Gesetz(Public Law) 480 (PL 480) an Indien. Mitte der sechziger Jahre sollte sich zeigen, dass die29

wachsende Abhängigkeit von ausländischer Hilfe eine vom Ausland unabhängige Politik immermehr erschwerte; Indiens Streben nach einem “Dritten Weg” erhielt dadurch neuen Auftrieb.

In den ersten drei Jahrzehnten stellte der Indian National Cogress (INC) (Kongress-Partei) alsführende politische Kraft die Regierung (Jawaharlal Nehru 1947-64, Bahadur Shastri 1964-66,Indira Gandhi 1966-1977). Erst als es durch die wachsende Unzufriedenheit mit der Politik vonIndira Gandhi (der Tochter des ersten Ministerpräsidenten Jawaharlal Nehru) wegen der vonihr forcierten Wachstumspolitik, der Verletzung der Menschenrechte (Ausnahmezustand 1975-1977, Pressezensur, Verhaftung Oppositioneller) und der Zwangssterilisierung zu einemWahlbündnis der Opposition (einschließlich Splittergruppen der Kongress-Partei) kam, wurdesie gestürzt. Mit seiner religiös-konservativen Politik konnte sich ihr Nachfolger Moraji Desaiaber nicht durchsetzen, seine Regierung zerschliss sich in der Diskussion um das Verbot vonAlkohol und des Verzehrs von Rindfleisch.

Die Neuwahlen vom Januar 1980 konnte Indira Gandhi überlegen gewinnen. Innen- wieaußenpolitisch knüpfte sie an ihren alten Kurs an: Stärkung der Zentralmacht im Inneren, betonteUnabhängigkeit gegenüber den USA (trotz deren umfangreichen Nahrungsmittelhilfe währendder 50er und 60er Jahre) und Anlehnung an die Sowjetunion als Gegengewicht im Dauerdisputmit Pakistan und China (Grenzkrieg 1962). Die sowjetische Invasion in Afghanistan imDezember 1979 führte zu einer zaghaften Revision der indischen Außenpolitik: an einer weiterensowjetischen Expansion und dem Verschwinden Pakistans als Pufferstaat konnte Indien nichtgelegen sein. Auf Initiative des Präsidenten von Bangladesch, Zia ur-Rahman, kam es zu einerAnnäherung der südasiatischen Staaten, die schließlich 1985 zurr South Asian Association forRegional Cooperation (SAARC) führte. Gleichzeitig verschärften sich die innenpolitischenSpannungen und 1983 kam es zum Ausbruch regionaler Konflikte in Assam und im Punjab.Während sich die Ausschreitungen in Assam vor allem gegen Bengalen und Muslimen richteten,beanspruchten militante Sikhs weitestgehende Autonomie für den Panjab und verschanzten sich

Zur Wirtschaftsplanung ausführlicher Abschnitt 7.3.28

R. N. CHOPRA: Food policy in India S a survey. New Delhi: Intellectual. 1988. pp. 122-123. S Joachim von29

PLOCKI: Auswirkungen der Nahrungsmittelhilfe unter P. L. 480 auf den Agarsektor der Entwicklungsländer,

dargestellt am Beispiel Indiens. Beiträge zur Südasienforschung 53. Wiesbaden: Franz Steiner. 1979.

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2.1 Seite 14 Rahmenbedingungen (17. April 2011)

schließlich in ihrem “Goldenen Tempel” in Amritsar, der vom Militär nach heftigen Kämpfen(Operation Blue Star) gestürmt wurde. Diese als Entehrung ihres Heiligtums empfundeneIntervention führte schließlich am 31. Oktober 1984 zur Ermordung von MinisterpräsidentinIndira Gandhi durch ihre (Sikh-)Leibwächter. Zum Nachfolger als Ministerpräsident wurde ihrSohn Rajiv Gandhi gewählt und in den Wahlen im Dezember 1984 mit überwältigenderMehrheit der Kongress-Partei bestätigt. Seine Politik der Liberalisierung und Modernisierung derindischen Wirtschaft führte zu einem stärkeren Wirtschaftswachstum; dank der seit Mitte dersechziger Jahre verfolgten Politik der self-reliance hatte Indien genügend Vorräte angelegt, umzwei extrem schlechte Erntejahre ohne massive Wachstumseinbußen und Nahrungsimporte zuüberstehen.

Außenpolitisch verfolgte Rajiv Gandhi wie seine Mutter die Politik einer regionalenOrdnungsmacht, 1987 marschierten indische “Friedenstruppen” zur Beilegung des Bürger-krieges zwischen Tamilen und Singhalesen auf Sri Lanka sein, 1988 beendeten sie einenPutschversuch auf den Malediven, 1989 kam es zu ernsthaften politischen Meinungsver-schiedenheiten mit Nepal, das auf volle Souveränität zu pochen begann, und zu erheblichenRestriktionen im bilateralen und Transithandel. Seit dem ersten Atomtest (1974), dererfolgreichen Zündung der Mittelstreckenrakete agni (1989), forcieren Plänen zum Bau einerInterkontinentalrakete und bereits von der Serie von Explosionen nuklearer Sprengsätze (1998)30

galt Indien als kommende Supermacht.31

Während die Regierung Rajiv Gandhi in der Wirtschaftspolitik einige Erfolge vorweisen konnte(wirtschaftliches Wachstum, Exporte), gelang es ihr nicht, die sozialen Spannungen abzubauen.Statt dessen kamen immer stärkere Vorwürfe der Korruption bei Waffenkäufen aus Schweden(Bofors) und der Bundesrepublik (Howaltswerke/Deutsche Werft S HDW), die zum Austritt32 33

führender Politiker des INC aus der Regierung und zur de facto Spaltung der Traditionsparteiführten. Ein Wahlbündnis der fast vollständig vereinigten Opposition (mit Ausnahme derKommunistischen, der Rechts- (BJP) und einiger Regionalparteien) gegen Rajiv Gandhi bei denWahlen im November 1989 führte zum Sieg der Opposition. Vishwanath Pratap (V. P.) Singh,

"Give us money and we will develop an inter-continental ballistic missile.” A. P. J. Abdul KALAM , Direktor des30

Defence Research and Development Laboratory in Hyderabad laut: India today, New Delhi, February 15, 1990,

p. 6.

"Dr. Henry Kissinger has said that India is destined to be one of the top five global powers in the years to come.”31

Nalini MUKHERJEE: Kissinger sees powerful India. In: The Hindustan Times. Late Dak. April 6, 1989, p. 20.

S Ross H. MUNRO: Superpower rising. In: Time. April 3, 1989. pp. 10-17.

Vor allem vor den indischen Parlamentswahlen 1989 berichteten die indischen Zeitungen fast täglich über diesen32

Korruptionsskandal. Vgl. z.B. die Titelgeschichte: Inderjit BADHWAR and Ramindar SINGH : Bofors. Getting

away. In: India today. September 15, 1989, pp. 10-11.

"Nach zwei Urnengängen dürften die großen Waffenlieferanten in Schweden (Bofors) und der Bundesrepublik33

(HDW) einsehen, dass mit einer Rückkehr Rajiv Gandhis an die Macht nicht zu rechnen ist, dass den begierig

wartenden Nachfolgern bisher zurückgehaltene Daten über Geschäfte, Provisionen, Korruption und Schweizer

Nummernkonten übergeben werden können, ja müssen, wenn die Beziehungen nicht erkalten sollen.” Erhard

HAUBOLD: Terror und Tod an den Wahlurnen in Indien. Siegeszug der hinduistischen BJP-Partei. In: Frankfurter

Allgemeine Zeitung. 5. März 1990. - “Dass Schmiergeldzahlungen im U-Boot-Handel offensichtlich üblich sind,

belegen auch Meldungen aus Indien. Dort ermittelt die Bundespolizei gegen fünf ehemalige Marine-Offiziere

und hohe Beamte des Verteidigungsministeriums. Sie sollen 24 Millionen Dollar Bestechungsgelder eingesackt

haben - Absender: Kiel. 1981 hatten die HDW 2 Tauchboote und Baupläne für 2 weitere Schiffe nach Neu-Delhi

verkauft.” Provision an Z. In: Der Spiegel 13/1990, pp. 127-129, hier p. 129.

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zuvor einer der engsten Mitarbeiter Rajiv Gandhis, wurde neuer Premierminister. Er scheitertemit seinem Versuch, eine Besserstellung der niederen Kasten zu erreichen. Aufbauend auf denEmpfehlungen der Mandal Commission sollte eine erhebliche Quote der Stellen im öffentlichenDienst für Angehörige der other backward classes (OBC), zusätzlich zu denen für die scheduledcastes und scheduled tribes (SC/ST), reserviert werden; insgesamt wären mehr als die Hälftealler Stellen reserviert gewesen. Nur die übrigen Stellen würden für die Angehörigen des sichtraditionell aus den oberen Kasten rekrutierenden Bildungsbürgertums frei gewesen. Dies riefeinen Sturm der Entrüstung hervor; eine Anzahl von Studenten wählten die Selbstverbrennungals Instrument des Protestes; nach wenigen Monaten wurde die Regierung gestürzt und34

Chandra Shekar neuer Premierminister. Diese erneute Minderheitsregierung war nur durchDuldung durch Rajiv Gandhi’s Kongress-Partei möglich. Chandrashekar leitete ersteWirtschaftsreformen ein, trat aber wenige Monate später frustriert zurück und löste Neuwahlenaus. Während der Wahl, die in Indien an verschiedenen Tagen stattfindet, wurde Rajiv Gandhibei einem Attentat am 21. Mai 1991 ermordet; die Wahl wurde nach einigen Tagen Verzögerungfortgesetzt. Die Kongress-Partei wurde wieder stärkste Partei und bildete unter P. V. NarasimhaRao als neuem Premierminister eine neue Minderheitenregierung, die mit Duldung der BJP dieeingeleiteten Reformen verstärkt fortsetzte: die Rupie wurde drastisch abgewertet, die Auflagender Weltbank und des Internationalen Währungsfonds bezüglich der überfälligen Struktur-anpassungen in Angriff genommen, und die Zahlungsfähigkeit Indiens durch Aufnahme vonRegierungskrediten bei diesen Institutionen wiederhergestellt. Ein Teil der Reglementierungender Wirtschaft, insbesondere für ausländische Investoren, aufgehoben und der Beginngroßangelegter Privatisierungen angekündigt. Die ersten Jahre nach der Reform zeigen einengemischter Erfolg, die Reformbeschlüsse der Regierung wurden immer zögernder von derVerwaltung in die Praxis umgesetzt.35

Im Kampf um die politische Macht haben die BJP und die ihr nahestehenden politischenOrganisationen (VHP: Vishwa Hindu Parishad, RSS: Rashtriya Swayamsevak Sangh, Shiv36

Sena) eine “hinduistische” Position (Hindutva) bezogen und schüren Überfremdungsängste unterder hinduistischen Bevölkerung: Die Tatsache, dass Muslimen in der Regel mehr Kinder habenals Hindus, und die Einwanderung aus den Nachbarstaaten lassen Befürchtungen wachsen, die37

Hindus könnten zur Minderheit in ihrem eigenen Lande werden. Die “Hindu-Fundamentalisten”zweifeln die Loyalität der muslimischen Bevölkerung an und fordern u.a. den Wiederaufbau derhinduistischen Tempel, die im Laufe der Jahrhunderte von muslimischen Herrschern zerstört unddurch Moscheen ersetzt wurden. In einer landesweiten Kampagne wurden die Massen für denBau eines neuen Tempels für den überaus populären Gott Ram (dt.: Rama) in Ayodhya (imUnionsstaat Uttar Pradesh), der dort geboren sein soll, mobilisiert, an Stelle der dort vermutlichvon Babur (s.o.) 1526 errichteten Babri Masjid (Babur-Moschee). Der Streit um diese Stättedauert schon über ein Jahrhundert; die rechtlichen Verhältnisse sind nicht eindeutig und eine

Weder die Zahl der Versuche, noch der Opfer lässt sich genau bestimmen. Vgl.dazu: Chandan M ITRA: Why34

India forgot a hero. In Sify News. Chennai. 1 March 2004. http://www.hvk.org/articles/0304/34.html (4.4.2011).

Ausführlicher dazu in Abschnitt 5.35

Walter K. ANDERSON , Shridhar D. DAM LE: The brotherhood in saffron: the Rashtriya Swayamsevak Sangh and36

Hindu revivalism. New Delhi: Vistaar. 1987 (Boulder, Colo.: Westview. 1987)..

Dies betrifft vor allem die Einwanderer aus Bangladesch, die jedoch zu einem erheblichen Teil aus der Hindu-37

Minderheit des Nachbarlandes angehören. Sie flüchten vor Nachstellungen der Muslim-Mehrheit in

Bangladesch, die an ihnen Rache für die Verfolgung von Muslimen in Indien nimmt. Damit verstärken die BJP

und die ihnen politisch nahestehenden Organisationen den Trend, den zu bekämpfen sie vorgeben.

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einvernehmliche Lösung wäre unter anderen Umständen vielleicht auch möglich gewesen. Aberes kam der BJP S oder zumindest Teilen von ihr S gerade auf die Konfrontation an. DerRegierung unter Narasimha Rao waren die Hände gebunden, zumal in Uttar Pradesh eine BJP-Regierung die Macht übernommen hatte. Bei mehreren Gelegenheiten hatten die Fun-damentalisten gezeigt, dass es ihnen keine Schwierigkeit bereitet aus dem ganzen LandeHunderttausende von Freiwilligen für einen religiösen Dienst (kar seva) nach Ayodhya zubringen, und dass die Regierung sich scheuen würde, das Militär auf sie schießen zu lassen (beiGefahr massenhafter Befehlsverweigerung) oder auch nur die Regierung von Uttar Pradeshamtszuentheben (die Verfassung bietet dem Präsident diese Möglichkeit). Am 12. Dezember1992 kam es zum befürchteten Eklat, als die kar sevaks die Moschee stürmten und völligzerstörten. Im unmittelbaren Anschluss kam es in Indien (Bombay) zu blutigen Auseinanderset-zungen, vor allem gegen Muslimen. In Pakistan und mehr noch in Bangladesch wurden38

Hunderte von Hindu-Tempeln zerstört.39

Wirtschaftspolitisch vertritt die BJP die Interessen der Millionen Kleinhändler und verfolgt eineLiberalisierung der Wirtschaft. Dadurch dass die Regierung Narasinha Rao mit ihremWirtschaftsminister Dr. Manmohan Singh einen deutlich liberaleren Wirtschaftskurs steuerteals frühere Kongress-Regierungen, hatte sie sich praktisch das wirtschaftspolitische Programmder Opposition zu eigen gemacht und diese in ein Dilemma gestürzt: die BJP verlor nicht nur ihrwirtschaftspolitisches Profil, sondern gefährdete mit ihrer auf Konfrontation angelegten,fundamentalistischen Religions-Politik auch den wirtschaflichen Frieden und das widergewonne-ne Ansehen im Ausland, ohne die der wirtschaftliche Aufschwung des Landes und einAufbrechen der verkrusteten Strukturen einer oppressiven Verwaltung nicht möglich sind.Nachdem im Zuge der Öffnung der Märkte für das Ausland eine Reihe von bekannten indischenUnternehmen, z.T. sogar völlig, in ausländischen Besitz übergingen, ist die UnternehmerschaftS je nach Interessenlage S in Bezug auf die Liberalisierung gespalten; die BJP konnte sich nichtentscheiden, wie sie weiterhin die wirtschaftlichen Interessen ihrer Anhänger vertreten konnte.So blieb die Erklärung aus, wie sie die vielen hoffnungslos überschuldeten Unternehmen (sickindustries) zu retten, das Problem des personellen Überbesatzes zu lösen (labour redundancy,exit policy) und die Staatsfinanzen sozialverträglich zu sanieren wären. Jeder ernsthafteLösungsversuch mußte erhebliche wirtschaftliche Interessen großer Bevölkerungsgruppenverletzen, an die sich die der Opposition zuwenden würden. Bei den Wahlen im November 1994in denjenigen Unionsstaaten, in denen der Präsident nach den Unruhen 1992 die BJP-Regierungen entlassen hatte, verlor die BJP an Boden: Bei den Wahlen in Uttar Pradesh erfülltensich die Vorhersagen (vor allem von Indern) herber Verluste für die BJP, weil die Wählerschaftderen Konfrontationskurs in der Ayodhya-Frage nicht zustimmen wollte.

Im Mai 1996 erlitt die Kongresspartei bei den Wahlen zum Unterhaus eine herbe Schlappe: sieerrang nur noch den dritten Platz; an Stelle der Regierung von Narasimha Rao trat ein Kabinett

Es wurde in den Medien von mehr als eintausend Toten berichtet, andere Schätzungen sind niedriger. Vgl. z.B.38

Ashgar Ali ENGINEER: Bombay riots. In: PUCL Bulletin, May 1993. – Der Sri Krishna Report on Mumbai Riots

wird mit ebenfalls geringeren Zahlen zitiert. Equity before law. In: PUCL bulletin, August 2000. www.pucl.org.

Diese Verfolgung der Hindus in Bangladesch ist Gegenstand des Buches von Taslima NASRIN , die daraufhin39

in Bangladesch wegen angeblicher Blasphemie verfolgt und vorübergehend inhaftiert wurde. Der Fall erregte

internationales Aufsehen, aus “Gesundheitsgründen” durfte sie das Land verlassen. Taslima NASRIN : Lajja S

shame. New Delhi: Oxford UP. 1994.

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der siegreichen BJP unter Atal Behari Vajpyee, das jedoch keine parlamentarische Mehrheiterlangte und nach bereits 13 Tagen wieder abtrat. Das folgende Kabinett unter H. D. DeweGowda der vereinten Linken konnte sich nur bis zum April 1997 halten; unter Inder Gujralfolgte eine Minderheitsregierung mit Duldung der Kongresspartei, die ihr jedoch im Novemberdie Unterstützung entzog. Bei den Wahlen im Frühjahr 1998 konnte die BJP zwar keine Mehrheitgewinnen, an der Spitze einer Koalitionsregierung und mit Unterstützung einer breiten Front vonRegionalparteien konnte Vajpayee jedoch ein zweites Mal Premierminister werden; dieses Malerlangte er die parlamentarische Mehrheit. Hatte sich unter seinem Vorgänger (Gujral) dasVerhältnis zu Pakistan und China entspannt, wie schon lange nicht mehr, so schockierte die neueBJP-Regierung im Mai 1998 die Welt mit einer Serie von fünf Atomtests in der Wüste vonRajasthan. Während die Versuche im Lande große Begeisterung hervorriefen, stießen sieinternational auf Ablehnung und Entsetzen; die vermeintliche Demonstration nationaler Stärkeund Unabhängigkeit löste, noch im selben Monat, Nukleartests im Nachbarland Pakistan aus; dieHoffnung auf nukleare Abschreckung erfüllt sich nicht, der unerklärte Grenzkrieg in Kaschmir(Kargil) eskalierte im Sommer 1999, bis Pakistan auf internationalen Druck seine Truppenwieder hinter die Waffenstillstandslinie (line of conrol) zurückzog. Die wirtschaftlichenSanktionen, vor allem der USA, trafen Indien, das international durch Handel und Hilfe wenigerverflochten ist als Pakistan, deutlich weniger als das Nachbarland. Im Herbst 1999 fanden erneutWahlen zur Nationalversammlung statt, die der BJP zwar auch dieses Mal nicht mehr Sitzeeinbrachte; die neue Koalition erwies sich aber stabiler als ihre Vorgängerinnen.

Die wirtschaftlichen Sanktionen der westlichen Industriestaaten trafen Indien weniger alsPakistan. Dafür sorgte eine insgesamt solidere Wirtschaftsverfassung, namentlich einevergleichsweise konservative Außenhandels- und Währungspolitik, die von den Erfolgen imSoftware-Export profitierte. Angesichts des wichtigen Beitrags indischer Software-Entwicklerzur Lösung des so genannte Jahr-Zweitausend-Problems (Y2K), zumal in den USA, wurde eine40

Blockade indischer Dienstleistungs-Exporte noch nicht einmal diskutiert: sie hätte die USAwomöglich stärker getroffen als die USA.

Nach den Attentaten am 11. September 2001 in New York und Washington (9/11) trat Indien –ebenso wie Pakistan – sofort der “Allianz gegen den Terrorismus” bei. Zur nicht geringenEnttäuschung in Indien setzten die USA aber vor allem auf Pakistan, das als NachbarAfghanistans unverzichtbare strategische Vorteile für die USA bot. Indiens Verweis aufpakistanischen “Regierungsterror” in Kaschmir fruchtete nichts. Im Jahre 2004 erklärte deramerikanische Außenminister Pakistan, den einstigen most allied ally, zum bevorzugten Nicht-NATO-Partner.41

Innenpolitisch spitzte sich die Konfrontation weiter zu: Trotz einer gegensätzlichen richterlichenVerfügung betreibt die VHP weiter den Bau eines großen Tempels zu Ehren des Gottes Rama

In der Anfangszeit der Computer wurden die Jahreszahlen meist nur zweiziffrig abgespeichert um Speicherplatz40

einzusparen; eine eindeutige Zuordnung der Jahreszahl zu einem Jahrhundert war so nicht möglich. Das hatte

schon früh zu Problemen geführt (etwa der Einberufung zur Armee von Personen, die im neunzehnten

Jahrhundert geboren waren), drohte aber mit der Jahrtausendwende zur Katastrophe zu werden. Deshalb mußten

endlose alte Programme umgeschrieben und Daten umformatiert werden, Arbeiten mit denen zu Ende der

neunziger Jahre Inder zu Hause und im Ausland in großer Zahl beschäftigt waren.

Afzal MAHM OOD: The non-NATO ally status. In: Dawn. Karachi. 27 Mar 2004. www.dawn.com41

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in Ayodhya, der dort geboren sein soll. Auf der Rückfahrt von Hindu-Aktivisten von Ayodhyanach Gujarat kam es 2002 in der Stadt Godhra zu Ausschreitungen, bei denen die (hinduisti-schen) Insassen eines Eisenbahnwagens verbrannten; in den nächsten Tagen kam es zuVergeltungsaktionen, bei denen über 2.000 Personen, fast ausschließlich Muslimen, getötetwurden.42

Im Wahlkampf 2004 sah die Koalition unter Führung der BJP, die mit dem Slogan einesglänzenden Indiens (shining India) angetreten war, wie die sichere Siegerin aus. Tatsächlichverloren aber sowohl die BJP als auch die Kongresspartei Stimmanteile. Auf Grund desindischen Mehrheitswahlrechts gewann aber das Wahlbündnis der Kongresspartei, die mitDuldung der Linksparteien die Regierung unter dem einstigen Architekten der Wirtschafts-liberalisierung, Manmohan Singh. Sonia Gandhi, die Parteivorsitzende der Kongresspartei bliebim Hintergrund. Die Wahlen waren, wie auch die gleichzeitig stattfindenden Landtagswahlen,Wahlen gegen die Amtsinhaber: In Andhra Pradesh verlor die regierende Telugu Desam, inKarnataka die Kongresspartei. Diese Entwicklung kann als Ausdruck der Unzufriedenheit derWähler gewertet werden: Das indische “Wirtschaftswunder” hat viele Erwartungen geweckt, esprofitieren aber erst w enige davon.43

Mit dem Erstarken der indischen Wirtschaft nahm auch das politische Gewicht Indiens zu; imJahr 2006 bot der US-Präsident George W. Bush Indien ein Abkommen an, bei dem die USAIndien bei seiner zivilen nuklearen Forschung unterstützen und nuklearen Brennstoff liefernwürden, wenn Indien seine zivile und militärische Atomforschung trennen und die zivileAtomforschung internationaler Inspektion unterstellen würde. Nachdem Intervention (Irak),Drohung (Iran, Nord-Korea), Sanktionen (Indien und Pakistan) oder Ignorieren (Israel) gegenübertatsächlichen oder vermeintlichen Atommächten außerhalb des etablierten Clubs der fünfetablierten Atommächte (USA, Russland, Großbritannien, Frankreich, China) nichts gefruchtethatte, versuchten die USA sich mit Indien zu arrangieren. Das Angebot stieß nicht nur in denUSA, sondern vor allem in Indien auf Widerstand; die allgemeine Pattsituation im amerika-nischen und bald auch indischen Wahlkampf ließen es erst einmal nicht als wahrscheinlicherscheinen, dass des Abkommen ratifiziert und in Kraft treten könnte. Tatsächlich ahebnschließlich sowohl der US-Congress als auch das indische Parlament zugestimmt. DasAbkommen wird als Versuch des amerikanischen Präsidenten gesehen, Indien als Gegengewichtzu China aufzubauen und sich als Architekt einer neuen Allianz, vergleichbar mit der US-chinesischen Annäherung unter Präsident Nixon zu etablieren. Dass Indien als Gegenleistung aufdie geplante Gas-Pipeline aus dem Iran verzichten würde, wird von indischer Seite entschiedendementiert.

2.1.3 Pakistan

Die Gebiete des heutigen Pakistan blieben lange außerhalb des Interesses der europäischenMächte, da es abseits der Route zu den Gewürzinseln lag. Eine frühe Faktoreien der Briten in

Rajeev KHANNA: Godhra’s bitter harvest. BBC News. 23 Feb 2003. news.bbc.co.uk42

Jim VandeHei, Dafna Linzer: U.S., India reach deal on nuclear cooperation. In: The Washington Post. 3 Mar43

2006. www.washingtonpost.com (5.5.2008).

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Der historische Hintergrund 2.1 Seite 19

Thatta im Sind, 1635-1662 wurde zugunsten Bombays aufgegeben, das 1661 als Mitgift der44

portugiesischen Prinzessin Catharina von Braganca anlässlich Ihrer Vermählung mit Charles II.an die britische Krone gefallen war. Die Faktorei wurde in Thatta 1758-1775 noch einmaleröffent. Erst im Zuge des great game, dem Ringen Englands und Russlands um die4546

Vorherrschaft in Zentralasien, kam es in der letzten Phase der britischen Kolonisierung Indienszur Eroberung des Sind (Napier, 1843), des Punjab (1849), der späteren North West FrontierProvince (NWFP), Baluchistans und der nördlichen Gebiete. Mit den Fürstenstaaten undStämmen schlossen die Briten (d.h. die brit. Regierung; die East India Company war 1858liquidiert worden) Schutzverträge; diese betrafen im Gebiet des heutigen Pakistan Bahawalpur,Khairpur und Kalat sowie die Fürstenstaaten im Norden (Kaschmir, Chitral, Dir, Swat, Amb);zu einer effektiven Kontrolle der Stammesgebiete im Westen und Norden kam es nicht; diesebewahrten sich Teile ihrer Autonomie (eigene Rechtsprechung, Steuerhoheit) bis heute.

An der indischen Unabhängigkeitsbewegung hatten die Muslimen erheblichen Anteil. Über dieFrage ihrer Stellung nach der Unabhängigkeit, insbesondere aus der Angst vor einer Dominanzder Hindus, über die sie z.T. ein Jahrtausend geherrscht hatten, entstand die Forderung nach47

einem eigenen Staat Pakistan (Lahore oder Pakistan Resolution, 23. März 1940) , mit der sie48

sich schließlich durchsetzen konnten, nicht jedoch mit ihrem Anspruch auf das gesamteTerritorium der Muslim-Mehrheitsprovinzen; Punjab und Bengalen wurden anlässlich derUnabhängigkeit geteilt, über Kaschmir konnte keine Einigung erzielt werden; dieser Streitbestimmt seitdem das Verhältnis zwischen Pakistan und Indien. Im Folgenden findet sich derText der Resolution.49

Resolution der Muslim-Liga vom 23. März 1940 (Lahore Resolution )

While approving and endorsing the action taken by the Council and the Working Committee of the All India Muslim

League, as indicated in their resolutions dated the 27th of August, 17th & 18th of September and 22nd of October,

1939, and the 3rd of February, 1940 on the constitutional issue, this session of the All India Muslim League

emphatically reiterates that the scheme of federation embodied in the Government of India Act 1935 is totally

unsuited to, and unworkable in the peculiar conditions of this country and is altogether unacceptable to Muslim India.

It further records its emphatic view that while the declaration dated the 18th of October, 1939 made by the

Viceroy on behalf of His Majesty's Government is reassuring in so far as it declares that the policy and plan on which

the Government of India Act, 1935, is based will be reconsidered in consultation with various parties, interests and

communities in India, Muslims in India will not be satisfied unless the whole constitutional plan is reconsidered de

novo and that no revised plan would be acceptable to Muslims unless it is framed with their approval and consent.

Resolved that it is the considered view of this Session of the All India Muslim League that no constitutional plan

would be workable in this country or acceptable to the Muslims unless it is designed on the following basic

H. T. SORLEY (comp.): The former province of Sind (including Khairpur State). Gazetteer of West Pakistan,44

published under the authority of Government of West Pakistan. Karachi: Printed at the West Pakistan

Governmet Press. 1968. p. 161. – Mubarak ALI (ed.): The English factory in Sind. Extracts regarding Sind from

William Foster's “The English factories in India". Jamshoro: Institute of Sindhology, University of Sind. 1983.

– Neudruck als: Mubarak ALI: The English factory in Sindh. Lahore: Fiction House. 2005.

T. POSTANS: Personal observations on Sindh, the manners and customs of ist inhabitants, and ist productive45

capabilities. Karachi: Indus Publications. 1973 reprinted (London: Longman. 1843). pp. 283-286.46

Die erste Volkszählung von 1872 hatte einen weit geringeren Bevölkerungsanteil der Muslimen ergeben, als auf47

Grund ihrer traditionellen Machtstellung erwartet worden war.

Das Wort “Pakistan” kommt in der Resolution nicht vor.48

Pravin PANIA: The Lahore Resolution. Paper no. 1497. Noida: South Asia Analysis Group. 2005.49

www.southasiaanalysis.com

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2.1 Seite 20 Rahmenbedingungen (17. April 2011)

principles, viz., that geographically contiguous units are demarcated into regions which should be constituted, with

such territorial readjustments as may be necessary that the areas in which the Muslims are numerically in a majority

as in the North Western and Eastern Zones of (British) India should be grouped to constitute ‘independent states’

in which the constituent units should be autonomous and sovereign.

That adequate, effective and mandatory safeguards should be specifically provided in the constitution for

minorities in these units and in the regions for the protection of their religious, cultural, economic, political,

administrative and other rights and interests in consultation with them and in other parts of India where the Muslims

are in a minority adequate, effective and mandatory safeguards shall be specifically provided in the constitution for

them and other minorities for the protection of their religious, cultural, economic, political, administrative and other

rights and interests in consultation with them.

The Session further authorizes the Working Committee to frame a scheme of constitution in accordance with

these basic principles, providing for the assumption finally by the respective regions of all powers such as defense,

external affairs, communications, customs, and such other matters as may be necessary."

Die Teilung Indiens wurde überstürzt durchgeführt und war von schweren Ausschreitungen, derwechselseitigen Verfolgung von Minderheiten und der Vertreibung von Millionen von Muslimenaus Indien nach Pakistan und von etwa ebenso vielen Hindus und Sikhs in der umgekehrtenRichtung begleitet.

Da Pakistan auf keinen verwaltungsmäßigen Vorläufer zurückgreifen konnte, mußte eine eigenestaatliche Infrastruktur erst geschaffen werden. Karachi wurde zur Hauptstadt, 1959 Rawalpindiund 1963 das neugegründete Islamabad.

Die Forderung nach einem eigenen Staat hatte vor der Unabhängigkeit keinen Spielraum für eineDiskussion seiner zukünftigen Ordnung gelassen, so dass es bis zu einer ersten Verfassung(1956) neun Jahre brauchte. Zentrale Frage dabei war, damals wie (wieder) heute, die Rolle desIslam. Der Staatsgründer und erste General-Gouverneur (Pakistan war anfangs noch Dominiumdes British Commenwealth) Muhammed Ali Jinnah hatte einen säkularen islamischen Staatangestrebt; durch die Verfassung von 1956 wurde Pakistan zur “Islamischen Republik".

1958 übernahm General Ayub Khan unter Kriegsrecht das Amt des Chief Martial LawAdministrator, 1960 ließ er sich ohne Gegenkandidat in indirekter Wahl zum Präsidenten wählen.Das anfangs mit großem Elan und internationaler Hilfe gestartete Industrialisierungsprogrammkam Mitte der 60er Jahre zum Stocken, nicht nur weil die Auslandshilfe nach Beginn des Kriegesmit Indien (1965) zeitweise ausgesetzt wurde, sondern auch weil das Potential der Importsub-50

stituierung weitgehend ausgeschöpft war, die Bedeutung der Juteexporte aus Ostpakistan immermehr zurückging und die Zahlungsverpflichtungen des Schuldendienstes für die im Auslandaufgenommenen Kredite begannen.

Unter dem Druck der Großmächte war der Krieg nur kurz; nach sowjetischer Vermittlungeinigten sich der pakistanische Präsident Ayub Khan und der indische Ministerpräsident BahadurShastri in Tashkent (Sowjetunion) 1966 darauf, sich in der Frage des Grenzverlaufs imölhöffigen Gebiet des Rann von Kutch (Gujarat/Sind) dem Spruch eines internationalenSchiedsgerichts zu unterwerfen. Der Streit wurde am 19. Februar 1968 durch ein internationalesSchiedsgericht geregelt; Indien wurden etwa 90 v.H. des umstrittenen Gebietes von etwa 9.300

Hans FREY: Der indisch-pakistanische Konflikt in den Jahren 1958-1968. Beiträge zur Südasienforschung 38.50

Wiesbaden: Franz Steiner. 1978.

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Der historische Hintergrund 2.1 Seite 21

km zugesprochen. In Kaschmir blieb es beim status quo.2 51

Die zunehmenden sozialen und vor allem regionalen Spannungen (Ostpakistan) führtenschließlich zum Sturz Ayub Khan (1969); sein Nachfolger, General Yahya Khan, schrieberstmals in der pakistanischen Geschichte allgemeine und direkte Wahlen zur Nationalversamm-lung aus. Ein verheerender Wirbelsturm und eine Flutkatastrophe in Ost pakistan unmittelbar vordem Wahltermin und der Vorwurf unzulänglicher Hilfe durch die Zentralregierung in derKatastrophe führten zu einer weiteren Polarisierung im Wahlkampf, aus dem die Awami LeagueSheikh Mujibur Rahmans auf Grund des Mehrheitswahlrechts als totaler Sieger hervorging: sieerrang nicht nur 160 der 162 Sitze Ostpakistans, sondern in Folge der Tatsache, dass erstmals dieSitze auf die beiden Landesteile nach ihren Anteilen an der Gesamtbevölkerung verteilt wurden(und Ostpakistan 54 v.H. der Einwohner aufwies), auch die Mehrheit der 300 Sitze derNationalversammlung. Der Führer der Pakistan People's Party (PPP) Zulfikar Ali Bhutto gewanndie Mehrheit der 138 Sitze in Westpakistan.

Die offensichtliche mangelnde Bereitschaft der Militärregierung, die Macht an die gewähltenVolksvertreter abzugeben und damit eine effektive Föderalisierung des Landes hinzunehmen(konstituierende Sitzung der Nationalversammlung verschoben) führte in Ost pakistan zu einemzunehmenden Ruf nach staatlicher Souveränität (Bangla Desh S Land der Bengalen), dem dieMilitärregierung durch einen Präventivschlag zuvorzukommen versuchte. Die systematischeVernichtung von Tausenden von bengalischen Politikern und Intellektuellen in der Nacht vom25. zum 26. März 1971 (Operation Searchlight) setzte einen erbitterten Bürgerkrieg inOstpakistan in Gang, der eine große Zahl von Opfern forderte (Schätzungen gehen bis zu 3 Mio.)und bis zu zehn Millionen Flüchtlinge, vor allem Hindus, nach Indien trieb. Erst mit dem52

Kriegseintritt Indiens S nach dem Abschluss eines Zwanzig-Jahres-Abkommens mit derSowjetunion über Frieden und Zusammenarbeit und mit weltweiter Billigung S fand derBürgerkrieg mit der Kapitulation der (west-)pakistanischen Truppen in Ostpakistan am 16.Dezember 1971 sein Ende. Die Sezession Bangladeschs wurde von Pakistan anlässlich desIslamic Summit in Lahore 1974 anerkannt.

Die Regierung Bhuttos, nach dem verlorenen Krieg noch 1971 eingesetzt, verfolgte anfangseinen Kurs des Islamischen Sozialismus mit Entmachtung der die Wirtschaft dominierenden “22Familien", Verstaatlichung der wichtigsten Industrien, der Banken, Versicherungen undSchifffahrtslinie, dem Verkünden einer Landreform und einer neuen Erziehungspolitik. Bereitsdie Militärregierung hatte im Mai 1971 in einem einseitigen Moratorium die Einstellung ihrerZahlungen für die Auslandskredite erklärt, nachdem die Geber ihre Hilfe nach Ausbruch desBürgerkrieges eingestellt hatten.

Die kombinierte Wirkung des Verlustes der Einnahmen aus dem Juteexport und des sicherenAbsatzmarktes in Ostpakistan für die eigenen Industrieerzeugnisse, die sozialistischenExperimente und das Ausbleiben neuer Hilfe führten zu einer nachhaltigen Rezession; dazu

Fischer Weltalmanach 1969, p. 342. S Vgl. auch: Rafiq AKHTAR (ed.): Pakistan yearbook 1974. Karachi: East51

and West. 1974. p. 4.

Über die Kämpfe im damaligen Ost pakistan vgl. den auch in Bangladesch anerkannten Bericht eines52

pakistanischen Presseoffiziers (der 1989 beim Flugzeugabsturz mit Präsident Zia ul Haq ums Leben kam):

Siddiq SALIK: Witness to surrender. Karachi: Oxford University Press. 1978.

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kamen die Überschwemmungen von 1973 und 1976 und die Dürre von 1974. Die VersucheBhuttos, wirtschaftlich und politisch gegenzusteuern (Anlehnung an den Iran und Saudi-Arabien,“Islamisierung” der Wirtschaft und Gesellschaft), kam zu spät. Tatsächliche und vermeintlicheWahlfälschungen 1977 führten zu Aufruhr und schließlich am 5. Juli 1977 zur Machtübernahmedurch das Militär mit General Mohammad Zia ul Haq als Chief Martial Law Administrator.

Diese Regierung, die mit dem Versprechen antrat, binnen dreier Monate allgemeine und freieWahlen abzuhalten, verfolgte von Anfang an einen betont “islamischen” Kurs, führte dieislamischen Steuern zakat (auf das Vermögen) und ushr (auf die landwirtschaftliche Produktion)ein und bemühte sich um die Abschaffung von riba, d.h. des (Wucher-)Zinses. Mit derEinführung des sharia, d.h. des islamischen Rechtes, hatte bereits Bhutto begonnen. Besondersdie drakonischen Strafen fanden in den Industrieländern keine Billigung; sie wurden aber inPakistan wegen der im sharia strengen Beweispflicht nur zum Teil exekutiert. Das islamische53

Rechtssystem fand (und findet) weitgehend den Beifall der Bevölkerung. Rechtsübergriffe desMilitärs und der auf Machterhaltung bedachten Regierung sowie die Aussetzung der verfassungs-mäßigen Grundrechte diskreditierten jedoch das Rechtssystem.

Wegen der undemokratischen Herrschaft, der islamistischen Politik und der WeigerungPakistans, den Atomwaffensperrvertrag zu unterzeichnen und seine Atomanlagen einerinternationalen Kontrolle zu unterwerfen, wurde Pakistan mit Wirkung vom 1. Oktober 197954

von der amerikanischen Wirtschaftshilfe ausgeschlossen. Die Beziehungen erreichten wenigeTage später ihren Tiefpunkt, als Studenten die amerikanische Botschaft in Islamabad in Brandsteckten und die Regierung unerklärlich lange brauchte, bevor sie einschritt. Die Haltung der55

USA änderte sich aber grundlegend nach der sowjetischen Invasion in Afghanistan im Dezemberdesselben Jahres: Pakistan wurde zum “Frontstaat” und zur Etappe für die afghanischenmujahiddin, die den Bürgerkrieg in Afghanistan von Pakistan aus organisierten. Im Genuss einerwieder reichlich fließenden Militär- und Entwicklungshilfe des Westens, der islamischen Staatenund Chinas, hoher Heimüberweisungen pakistanischer Arbeiter im Ausland (bis zu 3 Mrd. US-$im Jahr) und in der Landwirtschaft begünstigt von der Witterung, konnte Pakistan über einJahrzehnt jährliche Wachstumsraten des Sozialprodukts von über 6 v.H. verbuchen. Trotz allerLiberalisierungsbeteuerungen der Regierung blieb die Wirtschaft stark reglementiert, dieReprivatisierung der verstaatlichten Betriebe ging nur zögernd vonstatten; auf die “Islamisie-rung” der Wirtschaft reagierte vor allem das Ausland abwartend.

Nach Experimenten mit einer beratenden Versammlung (majlis-e-shoora) wurden Wahlen,jedoch ohne Parteien und unter Ausschluss der maßgebenden Oppositionspolitiker, abgehalten.Sie beschränkten sich in den ersten Jahren auf die local bodies, erst im Dezember 1984 stelltesich Präsident Zia einem referendum, allerdings in einem Junktim mit der “Islamisierung” undohne Gegenkandidat; im Februar 1985 fanden erstmals seit 1977 wieder Wahlen zur Nationalver-sammlung (und wie 1983 zu den Provinzversammlungen) statt. Nach grundlegenden

So entschuldigte sich General Zia anlässlich der neuen Shariat-Fakultät dafür, dass es zu keinen Amputationen53

gekommen sei, weil sich die Chirurgen des Landes geweigert hätten, diese Strafe auszuführen.

Dem Beginn des Haushaltsjahres der USA.54

Vier Menschen kamen dabei ums Leben; die Botschaftsangehörigen drohten im Sicherheitsraum der Botschaft55

zu ersticken. Anlass war ein (falscher) Rundfunkbericht gewesen, die USA würden hinter dem (tatsächlich

stattgefundenen) Angriff auf die heilige Kaaba in Mekka stehen.

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Der historische Hintergrund 2.1 Seite 23

Verfassungsänderungen 1985 überführte Zia Pakistan in eine gelenke Demokratie. Erst dieUnterzeichnung des Genfer Abkommens über den Abzug der sowjetischen Truppen ausAfghanistan im April 1988 S wohl gegen seinen Willen S leitete das Ende seiner Herrschaft ein:nach einer Explosion eines Munitionslagers der Armee in Ojhri für die mujahiddin, mitten in derHauptstadt Islamabad (mehrere hundert Tote), im Juli kam Zia zusammen mit der militärischenFührung und dem US-Botschafter am 17. August 1988 unter mysteriösen Umständen bei einemFlugzeugabsturz ums Leben. Bereits zuvor hatte er das Parlament aufgelöst, die Regierung56

entlassen und Neuwahlen angesetzt; sein Nachfolger, der zivile amtierende Präsident MohammedIshaq Khan, ließ jetzt auch Parteien zu.

Aus den Wahlen im November 1988 ging die Pakistan Peoples Party (PPP) unter BenazirBhutto, der Tochter Zulfikar Ali Bhuttos, als Siegerin hervor; mit ihr wurde zum erstenmal inder neueren Geschichte eine Frau Regierungschefin eines islamischen Landes, Ishaq wurde alsPräsident bestätigt. Innenpolitisch kam das Land aber nicht zur Ruhe: vor allem in Karachi, im57

ländlichen Sind und in der NWFP nahmen bewaffnete Auseinandersetzungen zwischenverfeindeten Gruppierungen zu. Die Armee war gewillt, eine Premierministerin Benazir Bhuttohinzunehmen, nicht aber, sich ihr unterzuordnen. So war es ein geschickter Schachzug von ihr,die Anerkennung einer afghanischen Gegenregierung von der Eroberung einer größeren Stadt inAfghanistan durch die mujahiddin, die Widerstandskämpfer, abhängig zu machen. DerenSchwierigkeiten, Khost einzunehmen, wurde als eine Schlappe der Inter Services Intelligence(ISI) gewertet. Amerikanische Kritik an der pakistanischen Nuklearbewaffnung wies sie zurück,gestand aber später ein, nicht voll informiert gewesen zu sein. Wirtschaftspolitisch änderte sichunter ihrer Regierung wenig; die privaten Transferzahlungen aus dem Ausland, d.h. vor allemdie Heimüberweisungen der Gastarbeiter im Ausland, gingen zurück, die Direktinvestitionen ausdem Ausland nahmen zu. Die Entwicklungshilfe war rückläufig, der Schuldendienst nahm zu58 59

und die Nettohilfe entsprechend ab S eine Entwicklung, die weniger ihrer Regierung als dem60

Ende des Engagements der USA im Afghanistan-Krieg zuzuschreiben war. Die Abnahme derDevisenreserven setzte sich während ihrer Regierungszeit fort.61

Benazir Bhuttos Versuch, sich aus der Bevormundung des Präsidenten zu lösen und sich mit demMilitär zu arrangieren, veranlasste Ishaq schließlich, das Parlament aufzulösen und sie mit derBegründung des Machtmissbrauchs, der Vetternwirtschaft und der Korruption und weil dieRegierung nicht mehr das Vertrauen der Bevölkerung genieße, am 6. August 1990 unterBerufung auf die Vollmachten des Achten Verfassungszusatzes, wie es zuvor Präsident Zia 1988getan hatte, zu entlassen. Er setzte eine Übergangsregierung mit Ghulam Mustafa Jatoi als62

Einige Autoren sprechen von einem Bombenanschlag, z.B. Edward LUCE, Farhan BOKHARI: An undemocratic56

friend. In: Financial Times. Apr29, 2002, p. 12.

Die pakistanische Presse sprach von einer bürgerkriegsähnlichen Situation: “Benazir Bhutto ... faces a civil57

war-like situation in Karachi ...” Ahmed RASHID : View from the bunker. In: The Herald. Karachi. March 1990.

p. 19.

Economic survey 1992-93. Statistical appendix. p. 136.58

Economic survey 1992-93. p. 103.59

Economic survey 1992-93. p. 103.60

Und erreichte Ende 1990 mit 910 Mio. US$ den tiefsten Stand seit dem Ende der 70er Jahre. Economic survey61

1992-93. Statistical appendix. p.167.

Damals entließ Präsident Zia-ul-Haq den damaligen Premierminister Mohammad Khan Junejo.62

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Ministerpräsidenten ein und rief den Notstand aus. Ishaq Khan nutzte den Überfall Iraks auf63

Kuwait am 2. August, um sie aus dem Amt zu jagen, ohne große internationale Aufmerksamkeitbefürchten zu müssen; in den Wochen und Monaten danach waren die USA nur an einermöglichst geschlossenen internationalen Allianz gegen den Irak interessiert. Eine entschiedeneKritik an ihrer Entlassung kam im Lande nicht auf; zu sehr hatte sie mit ihrem Regierungsstilviele ihren einstigen Anhänger und Bewunderer enttäuscht und verprellt.

Aus den umstrittenen (vierten) Wahlen am 24. Oktober 1990 ging die Islamische DemokratischeAllianz als Siegerin mit einer komfortablen Mehrheit hervor; ihr Führer Nawaz Sharif leisteteam 6. November den Amtseid als Premierminister. Damit gelangte zum ersten Male ein64

Vertreter der größten Bevölkerungsgruppe, der Punjabi, an die Macht. Hatten bisher dieFeudalfamilien, Bürokraten und Militärs das politische Geschehen dominiert, so trat jetzt einerfolgreicher Unternehmer an die Spitze der Regierung, der gleichermaßen eine mehrmarktorientierte Wirtschaftspolitik betreiben wollte, als Führer einer Koalition, die diefundamentalistischen Parteien einschloss und das politische Erbe Zias verwaltete: Noch kurz vorseinem Tode hatte Zia per Erlass die shariah, d.h. das muslimische Recht, zum obersten Rechtdes Landes bestimmt. 65

Die De-Regulierung der Wirtschaft kam auch unter Nawaz Sharif nur langsam voran, der Staatintervenierte z.B. auch weiterhin auf den Agrarmärkten. Die Re-Privatisierung staatlicher66

Unternehmen verlief zögerlich. Immerhin: zwei der fünf großen Banken wurden(teil-)privatisiert, private Fluglinien nahmen den Verkehr auf; ein koreanischer Konzern bauteeine Autobahn von Islamabad nach Lahore. Private Investitionen gab es vor allem imEnergiebereich: mit britischer und saudi-arabischer Beteiligung entstand eines der ersten privatenKraftwerke in Asien (bei Karachi); inwieweit in diesem Zusammenhang Bestechungsgelder andie Regierung Bhutto gezahlt wurden und diese dafür der Hubco überhöhte Preise zugestand,wurde gerichtlich und parlamentarisch untersucht. Die akute und die industrielle Entwicklungstark behindernde Energieknappheit mit extremen Spannungsschwankungen und häufigenStromabschaltungen wurde durch die neuen Kraftwerke vorerst nicht behoben; Hoffnungen aufeinen Stromexport nach Indien erwiesen sich als unbegründet.

Die Schatten-(oder Parallel-)wirtschaft, der Handel mit verbotenen Waren (Rauschgift, Waffen),die Nichtbeachtung der Preisfestsetzungen, die Umgehung der Außenhandels- und Währungs-bestimmungen und die verbreitete Steuerverkürzung nahmen unter Nawaz Sharif noch zu underschwerten eine effektive Wirtschaftspolitik.

Ähnlich wie Benazir Bhutto versuchte auch Nawaz Sharif, sich aus der Bevormundung durch denPräsidenten zu lösen und erlitt dabei das gleiche Schicksal: Am 18. April 1993 setzte PräsidentIshaq Khan den bis dahin wenig prominenten Balkh Sher Mazari als neuen Premierminister ein,der sich aber trotz aller Kompromisse S so erweiterte er sein Kabinett auf 50 Mitglieder S nur67

wenige Wochen halten konnte, bis der Oberste Gerichtshof seine Berufung aufhob und Nawaz

Rafique AKHTAR: Pakistan year book 1990-91. Preface. S Der Fischer Weltalmanach 1991. col. 470.63

Rafique AHM AD: Pakistan year book 1990-91. Preface.64

Rafique AKHTAR: Pakistan year book. 18.1990-91. p. 239.65

Economic survey 1992-93, p. 13 und p. 16.66

New PM expands cabinet, In: Financial Times. April 30. 1993. p. 4.67

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Sharif am 27. Mai nach einem Vertrauensvotum in der Nationalversammlung wieder sein Amtübernehmen konnte. Nach landesweiten Protesten kam es schließlich am 18. Juli zum68

vorzeitigen Rücktritt des Präsidenten und des Premierministers. Amtierender Premierministerwurde Mooen Qureshi und Interimspräsident Wasim Sajjad.69

Unter dem Interims-Premierminister Moeen Qureshi (Juli bis Oktober 1993) , zuvor70 71

Vizepräsident der Weltbank, von dem man als Platzhalter keine spektakulären Taten erwartete,kam es zu einigen revolutionären Neuerungen, die ihm S laut Meinungsumfragen S eine größerePopularität sicherten als den Kandidaten der politischen Parteien. Sein Mandat fiel in eine Zeit,in der Pakistan erneut internationale Ächtung drohte, zusätzlich zu der bereits bestehendenBlockierung amerikanischer Hilfegelder wegen der pakistanischen Nuklearpolitik. DieKlassifizierung als “terroristischer Staat” konnte abgewendet werden. Die Konsequenzen wärenverheerend gewesen; Pakistan hätte nicht nur ein fast völliges Aussetzen der Auslandshilfe zu72

befürchten gehabt, sondern wäre auch rigiden Handelsrestriktionen ausgesetzt gewesen, derenWirkungen sich allerdings nicht sofort hätten einstellen müssen, weil die pipeline zugesagter,aber noch nicht ausbezahlter, Hilfe gut gefüllt war (und ist).

Die wichtigsten ökonomischen Reformen der Übergangsregierung richteten sich auf eineSanierung der Staatsfinanzen, des Kreditwesens und der Zahlungsbilanz. Die Maßnahmen trafenvor allem die noch immer politisch mächtigste Gruppe der Feudalherren: bis dahin hatten sie eineBesteuerung der landwirtschaftlichen Einkommen immer wieder verhindern können; sie hattendamit auch die Möglichkeit, Einkommen, die außerhalb der Landwirtschaft entstanden waren,als landwirtschaftliche Einkommen zu deklarieren. Was Wunder, dass die Einkommensteuer inPakistan eine eher bescheidene Rolle unter den Staatseinnahmen spielt. Damit nicht genug, hatdiese Gruppe traditionell auch den besten Zugang zu Kredit zu attraktiven Konditionen von denstaatlichen Banken. Gerade die größeren Kreditnehmer nutzen ihren politischen Einfluss aus, umdiese Kredite weder zu tilgen, noch die Zinsen zu zahlen. Im für den Schuldner günstigsten Fallwerden diese Kredite S man spach 1994 von einem Umfang von 80 Mrd. Rupien S als73

uneinbringbare Forderungen der Banken abgeschrieben. Zu den ersten Maßnahmen der74

Regierung Moeen Qureshi gehörte es, in der Presse Listen der säumigen Schuldner zuveröffentlichen und sie so zu zwingen, ihre Schulden zurückzuzahlen. Diese Maßnahmeentpuppte sich als außerordentlich erfolg- und segensreich. Die Tatsache, dass bis zum Frühjahr1994 mehr als 6 Mrd. Rupien zurückgezahlt wurden, beweist, dass viele der säumigen75

Schuldner nur zahlungsunwillig, aber nicht zahlungsunfähig sind. Er scheiterte jedoch die vonihm angekündigte Einführung der Besteuerung der landwirtschaftlichen Vermögen und

Der Fischer Weltalmanach 1994. col. 146.68

Der Fischer Weltalmanach 1994. col. 146.69

Ab 18.7. Cf. Jefferson PENBERTHY: Man for this season. In: Time. Sep 20, 1993. p. 5070

"Ms Benazir Bhutto was sworn in as Pakistans 16th prime minister yesterday ...”. Cf. Farhan BOKHARi: Bhutto71

promises to continue reforms. In: Financial times, Oct 20, 1993. p. 4.

Stefan WAGSTYL and Farhan BOKHARI: Sharif worried over relations with India. In: Financial times. London.72

Jan 12, 1993, p.4. S Country report Pakistan, Afghanistan. London: The Economist Intelligence Unit. 1/93. 9.

S.Hasan ASAD: Shadow economy and Pakistan´s predicament. In: Economic review. Karachi. 25(Apr 1994)4.73

p. 10.

Die staatlichen Banken haben uneinbringbare Forderungen ("bad debt") in Höhe von 80 Mrd. Rs angesammelt.74

Cf. State Bank of Pakistan goes independent. In: Financial Times. Sep 16, 1994. p. 7.

Pakistan, Afghanistan, Country Report. 2nd quarter 1994. London: The Economist Intelligence Unit. p. 32.75

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Einkommen durchzuführen.

Um dem Staat den bequemen, jedoch ökonomisch verheerenden Zugriff auf die Notenpresse zuverwehren, bekam die bis dahin weisungsgebundene State Bank of Pakistan, die zentraleNotenbank des Landes, eine neue Verfassung, die ihr eine gewisse Unabhängigkeit S wenn auchnicht so weitgehend wie die der Deutschen Bundesbank S garantieren sollte. Damit wurde der76

Regierung die Möglichkeit verwehrt, ohne Rücksicht auf die Staatsbank die Defizite imStaatshaushalt durch (zinslose) Kredite der zentralen Notenbank zu finanzieren mit derKonsequenz einer steigenden Inflation und schwindenden Vertrauens in die eigene Währung.

Moeen Qureshi stoppte auch das von der vorigen Regierung Nawaz Sharif begonnene Projektder “yellow cabs". Danach konnte eine große Zahl von Personenkraftwagen importiert werden,die dann als Taxis eine Entlastung der öffentlichen Verkehrsmittel und eine Einkommensquellefür ihre Besitzer bilden sollten. Angesichts der überlasteten wenigen Straßen, der verbreitetenArmut und der angespannten Zahlungsbilanz stieß dieses Projekt, dessen Kosten mit 1,5 Mrd.US$ beziffert wurden, bei den Gebern auf Widerstand.

Moeen Qureshi konnte seine Maßnahmen mit den Vollmachten eines Interims-Premierseinführen. Mehr als eine Signalwirkung konnte er sich aber nicht erhoffen. Nach der Verfassunggelten die Verordnungen der Interimsregierung nur sechs Monate und müssen dann von derNationalversammlung bestätigt werden. Bei den gegebenen Machtverhältnissen war aber nichtmit einer parlamentarischen Mehrheit für diese für Pakistan revolutionären Reformen zu rechnen.Allein das Projekt der “yellow cabs” wurde auch von Frau Bhutto heftig abgelehnt. Das ObersteGericht entschied aber, dass bestehende Verträge zu honorieren seien.

Als Kernproblem sah Moeen Qureshi den Verfall von Recht und Ordnung an. Die Anti77

Defection Ordinance, die einen Fraktionswechsel (floor crossing) der Abgeordneten erschwerte,stellte einen Versuch dar, die Parteien als politische Institutionen zu stärken und zu entpersonali-sieren. Obwohl das System der vote banks, bei dem die Wählerschaft eine “Bank” ihrer lokalenFührer darstellt und entsprechend deren Empfehlungen die Stimmen abgibt, nicht mehr so gutfunktioniert wie früher, wechseln die lokalen Führer, die meist aus den Familien der ehemaligenFeudalfürsten und heutigen Großgrundbesitzer stammen, recht ungeniert die Parteien und lassensich diesen Wechsel entsprechend honorieren. Einige dieser Familien sind seit Jahrzehnten inpraktisch jeder Regierung vertreten. Säumigen Schuldnern, die sich um Mandate bewarben,78

wurde deshalb angedroht, ihre Namen zu veröffentlichen und sie von den Wahlen auszu-

"Mr. Qureshi is seeking to tighten control oder the banking system and to distance banks from political influence 76

by granting autonomy to the State Bank of Pakistan". Cf. Farhan BOKHARi and Alexander N ICOLL: Qureshi seeks

to end deepening malaise. In: Financial Times. Aug 27, 1993. p. 4. S “Pakistan´s central bank is expected to be

given more independence on monetary and adminstrattive policies in a presidential ordinance due to next week".

Cf. Pakistan central bank in independence move. In: Financial Times. Sep 10, 1994. p. 5. S “The central bank

is to become independent following a decision by the cabinet of Mr Moeen Qureshi, caretaker prime minister.A

presidential ordinance due within days is expected to give powers to the bank to set ist own monetary and

administative agenda in an effort to end manipulation by government officials, politicians and businesses. Cf.

Farhan BOKHARI: State Bank of Pakistan goes independent. In: Financial Times. Sep 16, 1993. p. 7.

So in seiner Rede am 20.4.1994 im Karachi Sheraton Hotel anlässlich der “Convention ´94: International77

Competitiveness". Cf. Hamdan Amjad ALI: Jointly build a democratic architecture S Moeen QURESHI. In:

Pakistan & Gulf Economist. Karachi. 13(Apr 23-29, 1994)17. pp. 42-43.

Zahid HUSSAIN : Dynasties of power. In: Newsline. Karachi. 5(Sep 1993)3. pp. 62-80.78

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schließen. Die Sonderrechte für die Volksvertreter, etwa der Erwerb von Land zu Vorzugs-preisen, wurde auch abgeschafft.79

In Fragen der international besonders umstrittenen pakistanischen Außenpolitik hielt sich dieRegierung Moeen Qureshi zurück. Dies galt vor allem für das Verhältnis zu Indien. Die beidenNachbarn stehen sich in der Kaschmir-Frage seit der Unabhängigkeit unversöhnlich gegenüber.Indien besteht darauf, dass die z.T. bürgerkriegsähnlichen Unruhen in Kaschmir seit 1989 vonPakistan angezettelt und aktiv unterstützt würden, während Pakistan eine aktive Beteiligungbestreitet, im Übrigen aber die politischen Forderungen der Kaschmiri unterstützt. Allerdingsfordern längst nicht alle muslimischen Rebellen in Kaschmir den Anschluss des überwiegend vonMuslimen bewohnten Kaschmirs an Pakistan; in letzter Zeit wird die Forderung nach einemunabhängigen eigenen Staat immer häufiger erhoben. Das massive Vorgehen der indischenSicherheitskräfte in Kaschmir sicherte den Separatisten eine Zeit lang eine positive Bericht-erstattung in der internationalen Presse. Pakistan wertete es als diplomatischen Erfolg, dass die80

neuen Beamten und Politiker, die sich seit dem Amtsantritt Präsident Clintons mit der Kaschmir-Frage zu beschäftigen hatten, die Selbstverständlichkeit, mit der Indien ganz Kaschmir alsindischen Unionsstaat reklamiert, in Zweifel zogen. Indien konterte mit dem Vorwurf, dassPakistan Gewalt nach Indien exportiere und als “terroristischer Staat” einzustufen sei.

Die Wahlen vom 6. Oktober 1993 bescherten Benazir keine absolute Mehrheit. Sie konnte abereine Koalitionsregierung bilden und einen politischen Gefolgsmann ihres Vaters, Farooq AhmadLeghari, auf den Präsidentenstuhl heben. Mehr noch als 1988 sah sie sich auch dieses Mal zu81

politischen und personellen Kompromissen gezwungen, die sie schon bald in Pakistan und imAusland diskreditierten. Sofort nach ihrer Wahl verkündete sie, die unter Moeen Qureshibegonnenen Reformen fortzuführen. Dies fiel ihr aber besonders im Falle der Staatsbank82

schwer. Nur wenige Wochen im Amt, versuchte sie die neuen Freiheiten zurückzunehmen; derGouverneur der Staatsbank sollte gehalten sein, sich mit der Zentral- und den vier Provinz-regierungen wegen ihres Kreditrahmens abzusprechen, seine Amtszeit sollte von fünf auf dreiJahre verkürzt werden. Dieser Angriff auf die neu gewonnene Souveränität der Staatsbank83

wurde erst einmal im Senat abgeschmettert, weniger aus ökonomischer Einsicht, als im Zuge84

der allgemeinen politischen Auseinandersetzung. Ebensowenig wie ihren Vorgängern gelang esihr, die Besteuerung der landwirtschaftlichen Vermögen und Einkommen durchzusetzen.85

Erneut vom Präsidenten, diesmal dem vor ihr selbst ausgesuchten Leghari, aus dem Amt gejagtund von ihren enttäuschten Anhängern verlassen, verlor sie die Wahlen 1997, die Nawaz Sharifmit seiner Muslim Liga deutlich gewann. Er ergriff die Gunst der Stunde, um gemeinsam mit derPPP die verfassungsmäßigen Sonderrechte des Präsidenten (8th amendment) abzubauen, und

"He ... eliminated special government quotas which allowed elected politicias to allot valuable government land79

at throwaway prices. Cf. Farhan BOKHARI: Query oder Pakistan´s quiet revolution. In: Financial Times. Oct 21,

1993, p. 7.

Erhard HAUBOLD: “Fangen und umbringen” S Indiens Repression in Kaschmir. Scharfe Kritik von Asia Watch.80

In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 30.6.1993.

Bhutto candidate voted to be Pakistan´s president. In: Financial Times. Nov 15, 1993. p. 5.81

Farhan BOKHARI: Bhutto promises to continue reforms. In: Financial Times, Oct 20, 1993. p. 4.82

Farhan BOKHARI: Pakistan central bank directors in curbs protest. In: Financial Times. Jan 5, 1994. p. 3.83

Farhan BOKHARI: Pakistani senate rejects curbs on central bank. In: Financial Times. Feb 2, 1994. p. 4.84

Farhan BOKHARI: Farm tax resisted in Pakistan. In: Financial Times. May 5, 1994. p. 28.85

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ging hintereinander als Sieger aus den Auseinandersetzungen mit dem Präsidenten, dem OberstenRichter und dem Armeeoberbefehlshaber (Oktober 1998) hervor. Den Forderungen des Auslands,auf eigene Atomtests nach denen Indiens zu verzichten, mochte er aber nicht folgen; um sovehementer trafen Pakistan die internationalen Wirtschaftssanktionen. Aber auch ohne diese wäredie wirtschaftliche Lage prekär: seit Beginn der “Asienkrise” wird die Wirtschaftsentwicklungauch der nicht unmittelbar betroffenen südasiatischen Staaten kritisch beobachtet: Neben denjetzt Not leidenden Auslandverskrediten ist die inländische Staatsverschuldung besorgnis-erregend, die Wirtschaft am Rande des Kollapses, da Zahlungsverpflichtungen inzwischen in sogroßem Maße nicht mehr eingehalten werden, dass im Herbst 1998 die Versorgung der großenStädte mit Wasser und Elektrizität ernsthaft gefährdet war.

Im Herbst 1999 fand die Machtausweitung des Premierministers ein abruptes Ende, als er mitseiner Entlassung des Armeeoberbefehlshabers General Musharaffs am 12. Oktober scheiterte,der noch am selben Tage die Macht als Chief Executive übernahm, die Regierung entließ, denPremierminister und andere Politiker unter Hausarrest stellte und das Parlament auflöste. SeineAmtsübernahme wurde vom Obersten Gericht gebilligt, allerdings unter der Bedingung bisOktober 2002 Wahlen abzuhalten. Wie seine militärischen Vorgänger Ayub und Zia konnte erauch der Versuchung nicht widerstehen, möglichst lange im Amt zu bleiben. So ernannte er sicham 20. Juni 2001 zum Präsidenten und verlängerte am 6. Oktober 2001 seine Amtszeit alsStabschef der Armee (Chief of Army Staff – COAS) auf unbestimmte Zeit. Ein Referendum im86

April 2002 sicherte das Mindestmaß an Legitimität, das ihm seine amerikanischen Freunde87

abverlangten. Bei den Parlamentswahlen im Oktober 2002 gelang dem Wahlbündnis von sechsislamistischen Parteien (MMA) der Einzug in die Nationalversammlung; in der NWFP stellt sieseitdem die Regierung, in Baluchistan ist sie an der Regierung beteiligt. Im November 2004erhielt er die Zustimmung des Parlament, dass der Präsident auch über den 31. Dezember 2004hinaus Armee-Oberbefehlshaber bleiben darf.

Wirtschaftlich profitiert Pakistan wieder von der Krise in Afghanistan. Vor dem 11. September2001 noch in wirtschaftlichen Schwierigkeiten und vom Staatsbankrott bedroht, erfreut sich dasLand wieder einem regen Zustrom von Mitteln aus dem Ausland, so dass die Zahlungsbilanzentspannt ist wie seit langem nicht mehr. Der Preis dafür sind zunehmende politische88

Spannungen, vor allem in der NWFP und in Baluchistan. In den Stammesgebieten an der Grenzezu Afghanistan sollen sich Kämpfer der Al Qaeda aufhalten, die von einigen der lokalen Stämmeunterstützt werden. Die ständigen Kampfhandlungen der pakistanischen Armee und amerika-nischer Verbände (angeblich nur auf afghanischem Gebiet) bringen die Zentralregierung inKonflikt mit ihren eigenen Bürgern, es häufen sich auch terroristische Anschläge sowohl gegenausländische und nicht-muslimische Einrichtungen, mehr noch gegen Staatsvertreter und gegenreligiöse Einrichtungen der verschiedenen muslimischen Glaubensrichtungen.

Rana QAISAR: Musharraf's tenure as COAS extended. In: The Nation Online Edition. Oct 7. 2001.86

Edward LUCE: People to watch: Pervez Musharraf. A westernized moderniser. In: Financial Times. Feb 1, 2002.87

2002 and beyond p. iv. -- Ulrich LADURNER: Ehrenvoll im Abseits. Staatschef Musharraf hat auf Amerika

gesetzt. In: Die Zeit. 22. November 2001.

Pakistan verbucht hohe Finanzhilfen und Schuldenerlasse. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 31. Oktober88

2001. p. 15. -- Farhan BOKHARI: Pakistan praised by IMF on economy. In: Financial Times. Jan 28, 2002, p.

4. -- Edward ALDEN: US rewards Pakistan with an apparel market deal. In: Financial Times. Feb 15, 2002, p.

6.

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Erst auf massiven amerikanischen Druck erklärte sich General Musharraf berreit, auf sein Amtals Oberbefehlshaber der Armee zu verzichten (nach der Verfassung kann der Päsident keinweiteres Staatsamt ausüben), ließ sich aber zuvor noch einmal von der selben Versammlung zumPräsidenten wählen, die ihn schon einmal gewählte hatte. Auf amerikanische Vermittlung hinhatte er sich im Juli 2007 mit Benazir Bhutto in Abu Dhabi getroffen und ihr zugesichert, auf ihrestrafrechtliche Verfolgung wegen des Korruptionsverdachts zu verzichten, wenn sie ihn alsPräsidenten unterstützen würde. Ihre Rückkehr geriet zum Desaster: Bei ihrem triumphalenEinzug in Karachi kam es zu einem blutigen Bombenanschlag. Nach einer Wahlveranstaltungin Rawalpindi wurde sie am 27. Dezember 2007 bei einem weiteren Attentat ermordet. Die aufden 8. Januar 2008 angesetzten Wahlen wurden daraufhin auf den 18. Februar verschoben. diebeiden Oppositionsparteien erreichten eine zwei-Drittel-Mehrheit. Musharraf entging einemdrohenden Amtsenthebungsverfahren durch seinen Rücktritt. Neuer Präsident wurde AsifZardari, der Witwer Benazir Bhuttos. Der erfolgreiche Widerstand der Richter und Rechts-anwälte, das größte zivilgesellschaftliche Engagement in der Geschichte Pakistans führte imFrühjahr 2010 schließlich zur Rücknahme der von Musharraf (wieder) eingeführten umfassendenRechte des Staatspräsidenten.

2.1.4 Bangladesch

Nach der Unabhängigkeit Pakistans 1947 fand auch im östlichen Landesteil, der damaligenProvinz East Bengal, später Ostpakistan, ein intensiver Bevölkerungsaustausch statt; anders alsim Westen kam es aber nicht zur völligen Vertreibung der Hindus; insgesamt war die Zahl derFlüchtlinge auch erheblich niedriger: Von den 7,2 Mio. Flüchtlingen in Pakistan aus Indienwurden 1951 nur 0,7 Mio. im Gebiet des heutigen Bangladesch gezählt. Zu den flüchtendenHindus zählten insbesondere Grundbesitzer, deren Land um 1950 im Zuge einer Landreformaufgeteilt wurde. Dies ist die Ursache, dass wir in Bangladesch eine relativ gleichmäßigeBodenbesitzverteilung ohne Großgrundbesitz finden.89

Während der 24 Jahre der Zugehörigkeit zu Pakistan nahm Bangladesch in erster Linie die Rolledes Rohstofflieferanten und des Abnehmers einfacher Industrieerzeugnisse aus dem westlichenLandesteil ein. Durch die quasi-Monopolstellung als führender Juteanbieter auf dem Weltmarkttrug das damalige Ostpakistan durch seine Deviseneinkünfte wesentlich zur Industrialisierungdes westlichen Landesteils, des heutigen Pakistan, bei. In Ostpakistan selbst wurden nur einigeIndustrien zur Verarbeitung einheimischer land- und forstwirtschaftlicher Rohstoffe aufgebaut,die zum Export in unverarbeiteter Form wenig geeignet waren, nämlich die Juteindustrie, dieHolzverarbeitung und die Teefabriken. Zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit 1947 besassOstpakistan praktisch keine Industrie, während der westliche Landesteil wenigstens mitrudimentären Ansätzen aufwarten konnte. Es wird deshalb von (west-)pakistanischer Seite nochheute die Ansicht vertreten, dass die eingeschlagene Entwicklungsstrategie einer forciertenIndustrialisierung im westlichen Landesteil im Interesse des Gesamtstaates lag.90

Vgl. meinen Beitrag: Bangladesh. In: Dieter NOHLEN und Franz NUSCHELER (Hrsg.): Handbuch der Dritten89

Welt. 2. Auflage. Loc. cit.

Heinz-Dietmar AHRENS: Bestimmungsgründe und Alternativen ..., op. cit. S Heinz AHRENS, Wolfgang-Peter90

ZINGEL: Interdependenzen zwischen gesamtwirtschaftlichem Wachstum und regionaler Verteilung in Pakistan.

Beiträge zur Südasienforschung. Band 45. Wiesbaden: Franz Steiner. 1978.

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Konflikte mit der Zentralregierung entzündeten sich bereits kurz nach Gründung Pakistans imSprachenstreit, nämlich an dem Versuch der Zentralregierung in Karachi, Urdu als National-sprache einzuführen. Im Gegensatz zu Ostbengalen, wo die Regionalsprache Bengali, eine alteSchrift- und Literatursprache, von praktisch der gesamten Bevölkerung als Muttersprachegesprochen wird, gab es in Westpakistan keine einheitliche Sprache; die einzelnen Regional-sprachen waren auch nur teilweise als Schriftsprachen ausgebildet. Urdu wurde nur von denmuhajirin, den Flüchtlingen aus Indien, in Westpakistan gesprochen. Es wird zudem wie alleSchriftsprachen Westpakistans in arabischen Charakteren geschrieben, während die Benga-li-Schrift dem devanagari des Hindi verwandt ist. Nach blutigen Unruhen gab die Zentral-regierung schließlich nach, und sowohl Urdu als auch Bengali wurden in der ersten Verfassungvon 1956 zu Nationalsprachen bestimmt, die einmal Englisch ablösen sollten. Der zweiteStreitpunkt war die eklatante Unterrepräsentation Ostpakistans in der Verwaltung, in derArmee und bei den öffentlichen Investitionen, obgleich Ostpakistan 54 v.H. der Gesamtbevölke-rung stellte.

Nachdem Unruhen in Ostpakistan 1969 zum Sturz des Diktators Ayub Khan geführt hatten,wurden 1970 erstmals allgemeine und direkte Wahlen in Pakistan durchgeführt, die inOstpakistan zu einem überwältigenden Sieg der Volkspartei (Awami League) Sheikh MujiburRahmans führten, die 160 der 162 ostpakistanischen Sitze und damit die Mehrheit der Sitze desGesamtstaates erreichte. Die Auseinandersetzungen um die Forderungen der Volkspartei(weitgehende Autonomie der Ostprovinz einschließlich Finanz- und Währungshoheit)kumulierten in schweren Unruhen in Ostpakistan, dem Einschreiten von Truppen derZentralregierung und der Unabhängigkeitserklärung Bangladeschs am 26. März 1971. In demsich daran anschließenden Bürgerkrieg wurde Bangladesch von Indien, das mehrere MillionenFlüchtlinge aus Bangladesch vorübergehend aufnehmen mußte, massiv unterstützt. Am 3.Dezember 1971 brach offener Krieg zwischen Indien und Pakistan aus, der mit der Kapitulationpakistanischer Truppen in Bangladesch am 16. Dezember 1971 und der UnabhängigkeitBangladeschs endete.91

Sheikh Mujibur Rahman, der Führer der Autonomiebewegung und im März 1971 inhaftiert,wurde von Pakistans neuem Präsidenten Bhutto im Januar 1972 freigelassen und bei seinerAnkunft in Dhaka Premierminister. Bangladesch trat dem Commonwealth im April bei, imDezember trat die neue Verfassung in Kraft. Erste Parlamentswahlen wurden im März 1973abgehalten und bestätigten Mujib im Amt (73 v.H. aller Stimmen für die Awami League). Derneue Staat wurde schnell international anerkannt, zuletzt von Pakistan (Islamische Gipfel-konferenz in Lahore, 1974), China und Saudi-Arabien (beide 1975).92

Der in der ungleichen Einkommens- und Vermögensverteilung Bengalens lagernde Zündstoff

Aus der großen Zahl von Studien, die sich mit dem Unabhängigkeitskampf Bangladeschs beschäftigen, seien91

die folgenden als Einführung genannt: Kabir Uddin AHAM AD: Breakup of Pakistan. Background and prospects

of Bangladesh. London: The Social Science Publishers. 1972. S Rounaq JAHAN: Pakistan. Failure in national

integration. New York: Columbia UP. 1972. S L. F. RUSHBROOK W ILLIAM S: The East Pakistan tragedy. London:

Tom Stacey. 1972. S Peter HESS: Bangladesh. Tragödie einer Staatsgründung. Frauenfeld und Stuttgart: Huber.

1972. S G. W. CHOUDHURY: The last days of united Pakistan. London: C. Hurst. 1974. S Herbert FELDM AN: The

end and the beginning: Pakistan 1969-1971. Karachi: Oxford UP. 1976( London: Oxford UP. 1975). 210 p.

Nurul MOM EN : Bangladesh: the first four years (from 16 December 1971 to 15 December 1975). Dacca:92

Bangladesh Institute of Law and International Affairs. 1980.

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kam nur deshalb nicht zur Entzündung, weil er von anderen Problemen verdeckt wurde: Bis 1947stand die Frage der Unabhängigkeit von der (damaligen) Kolonialmacht Großbritannien bzw. voneinem überwiegend hinduistischen Staat Indien, danach die Kontroverse zwischen Ost- undWestpakistan über die tatsächliche oder vermeintliche Benachteiligung des heutigen Bangladeschim Mittelpunkt; im Anschluss an die erfolgreiche Sezession (1971) stand der Wiederaufbau derfast völlig zerstörten Industrieanlagen und Infrastruktur sowie der Ersatz der nach Pakistan oderins Ausland geflüchteten Führungskräfte im Vordergrund, auch mußten die zehn Millionenvorübergehend nach Indien geflüchteten Bangladeshi wieder eingegliedert werden.

Die Einziehung des Vermögens der (West-)Pakistani, die die Industrie, Handel, Verkehr undBanken fast völlig kontrolliert hatten, leitete eine großangelegte Verstaatlichung ein. Der Versuchdes populären Führers der Unabhängigkeit, Sheikh Mujibur Rahman, Bangladesch mit Hilfe derSowjetunion und indischer Unterstützung in ein sozialistisches Land zu verwandeln, führte zueiner völligen Lähmung der Wirtschaft, die sich noch nicht von den Schäden des Unabhängig-keitskrieges erholt hatte. Im beginnenden Wiederaufbau traf Bangladesch nach einer erneutenMißernte eine Hungersnot (1974), die die Wirtschaft, den Staat und die Regierung weiterschwächte. Das Ausmaß des Versorgungsdefizits wurde erst spät in seinem ganzen Umfangerkannt, zudem stellten die USA ihre Nahrungsmittelhilfe zeitweise ein, da Bangladesch inHandelsbeziehung mit dem sozialistischen Kuba trat (Export von Jutesäcken), was die USA alsunvereinbar mit den Bestimmungen ihrer Nahrungsmittelhilfe nach PL 480 ansahen (die S inähnlichen Fällen S gewährte mögliche Ausnahmegenehmigung vom Kuba-Embargo wurdenicht erteilt). Seitdem wird der amerikanischen Regierung der Vorwurf gemacht, den Todmehrerer Zehntausend (Schätzungen gehen in die Hunderttausende) bewusst in Kauf genommenzu haben, um den Sturz der unliebsamen Regierung Mujibs herbeizuführen.93

Die ersten Jahre nach Erlangung der Unabhängigkeit waren von der Notwendigkeit derBeseitigung der Kriegsschäden und der Errichtung eines eigenen Staatsapparates bestimmt.Durch die umfangreichen internationalen Hilfsmaßnahmen unter Leitung der Vereinten Nationenkonnten die schwersten Schäden behoben werden. Neben den vielfältigen Zerstörungen litt derWiederaufbau jedoch stark unter dem Fehlen der Spezialisten aus und mangelnden Absatz-möglichkeiten einheimischer Exportprodukte, insbesondere von Tee, in Westpakistan. DieZerstörung der Binnenschiffe und der Hafenanlagen erschwerte den Abtransport und Export derRohjute; für die Verarbeitung der Jute fehlten intakte Fabrikanlagen. Dazu kamen die sichständig verschärfenden innenpolitischen und sozialen Spannungen, eine unzureichende innereSicherheit, und die mangelnde Investitionsbereitschaft einheimischer und ausländischerInvestoren, nachdem fast die gesamte Wirtschaft verstaatlicht worden war.

Zunehmender Personenkult, Korruption, Fraktionskämpfe innerhalb der regierenden Awami

Jack PARKINSON: Food aid. In: Just FAALAND (ed.): Aid and influence. The case of Bangladesh. London and93

Basingstoke: Macmillan. 1981. pp. 98 sqq. S “Dependence also makes the Bangladesh Government vulnerable

when donors seek to use food aid for political leverage. During the 1974 famine, for example, the United States

held up food aid to Bangladesh on the grounds that Bangladesh had just sold jute to Cuba.” Betsy HARTM ANN ,

James BOYCE: A quiet violence. A view from a Bangladesh village. London: Zed Press. 1983. p. 279. S In der

ausführlichen Beschreibung der Hungersnot von 1974 in der Monographie eines amerikanischen Entwicklungs-

helfers findet dieser Aspekt dagegen keine Berücksichtigung: J. F. STEPANEK: Bangladesh S equitable growth?

Loc. cit., pp. 17-18 und pp. 63-66. S Amartya SEN: Poverty and famines: an essay on entitlement and

deprivation. New Delhi: Oxford UP. 1994 (1982).

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League sowie umherziehende rivalisierende Armee- und Freischärlerverbände brachten das Landerneut an den Rand eines Bürgerkrieges. Die politische Stabilität wurde von oppositionellen, z.T.terroristischen Gruppen der politischen Extreme bedroht; Mujib reagierte mit Ausnahmegesetzenund Massenverhaftungen; Ende Dezember 1974 wurde der Notstand verkündet; Streiks undAussperrungen wurden verboten und die Grundrechte suspendiert. Im Januar 1975 wurde dieVerfassung geändert (4th amendment) und das Präsidialsystem eingeführt, im Februar folgte dieGründung der Einheitspartei Bangladesh Krishak Awami League (BAKSAL = Bauern- undArbeiter-Volks-Liga). Am 14. August wurde Mujib, der inzwischen fast alle Macht in seinerPerson vereinigte, ohne etwas gegen die sich ständig verschlechternden Zustände unternehmenzu können, zusammen mit einem Teil seiner Familie in einem Staatsstreich unter Leitung vonArmee-Majoren erschossen. Erst Jahrzehnte später wurden seine Mörder rechtskräftig verurteilt94

und fünf von ihnen gehenkt. Khandkad Mushtaq Ahmad, einstiger Mitstreiter Mujibs und95

ehemaliger Handelsminister, übernahm die Präsidentschaft, erklärte das Kriegsrecht und verbotdie politischen Parteien. Ein neuer Staatsstreich am 4. November 1975 brachte BrigadegeneralKhalid Musharaf als Stabschef der Armee an die Macht, doch schon drei Tage später, am 7.November, wurde er in einem dritten Coup gestürzt: Die Macht übernahmen die Stabschefs derdrei Waffengattungen als stellvertretende Kriegsrechtsadministratoren unter einem unpolitischenPräsidenten (und neuem Kriegsrechtsadministrator), Abu Sadet Mohammad Sayem, demVorsitzenden (chief justice) des obersten Gerichtshofs. Eine neue, nicht parteigebundeneRegierung wurde gebildet, in der der (wiedereingesetzte) Stabschef der Armee, Generalmajor Ziaur-Rahman, den Vorsitz über seine Kollegen einnahm.96

Er versprach eine frühzeitige Rückkehr zu einer repräsentativen Regierung, verschob aber imNovember 1976 die Wahlen auf unbestimmte Zeit. Zur selben Zeit wurden etwa 2.000 Personen,einschließlich des ehemaligen Präsidenten Mushtaq Ahmad inhaftiert; im April 1977 übernahmGeneral Zia die Befugnisse des obersten Kriegsrechtsadministrators von Präsident Sayem unddie Präsidentschaft. In einem Verfassungszusatz wurde der Islam anstelle des Säkularismus zumersten Grundprinzip des Staates erhoben. In einem nationalen Referendum im Mai 1977bestätigten 99 v.H. der Wähler ihr Vertrauen in Präsident Zias Politik.

Nach einem erfolglosen Coup im Oktober 1977 (Abu Taher) wurden die drei mächtigstenpolitischen Parteien verboten. Im Juni 1978 fanden die seit langem angekündigten ersten97

allgemeinen und direkten Präsidentschaftswahlen statt. Nach einem überwältigenden Siegersetzte Zia sein Beratungsgremium (Council of Advisers) durch ein Kabinett. Parlamentswahlenfolgten im Februar 1979. In einem Versuch, die Oppositionsparteien zu einer Teilnahme an denWahlen zu überzeugen, erfüllte Zia einige der Forderungen, indem er “alle undemokratischenVorkehrungen” der Verfassungsänderung von 1974 verwarf, politische Gefangene freiließ unddie Pressezensur aufhob. 29 Parteien beteiligten sich daraufhin an den Wahlen, in denen ZiasBangladesh Nationalist Party (BNP) eine Zwei-Drittel-Mehrheit erhielt. Die Aufhebung desKriegsrechts im April 1979 und des Notstands im November bedeutete eine Rückkehr zur

Lawrence LIFSCHULTZ: Bangladesh: the unfinished revolution. London: Zed Press. 1979. S Abdul Latif KHATIB:94

Who killed Mujib? New Delhi: Vikas. 1981.

Bangladesh hangs killers of independence leader Mujib. BBC News, 27 January 2011.95

http://news.bbc.co.uk/2/hi/south_asia/8483988.stm

Nurul MOM EN: Bangladesh: the first four years. op. cit., pp. 160 sq.96

Abu Taher wurde hingerichtet. Das Urteil wurde 2011 aufgehoben.97

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Demokratie nach über fünf Jahren Abwesenheit. Trotzdem kam es immer mehr zu politischenSpannungen, in die Sheikh Hasina, die Tochter Mujibs, als neue Führerin der wiedererstandenenAwami League eingriff. Am 30. Mai 1981 wurde Präsident Zia bei einem Militärputscherschossen. Der Putsch war im übrigen erfolglos; Vizepräsident Justice Abdus Sattar übernahm98

die Regierung und schrieb Neuwahlen aus, die im November 1981 stattfanden und aus denen erals Führer der BNP als Sieger hervorging. Das Wahlergebnis wurde vor allem von der AwamiLeague angefochten. Nachdem sich Präsident Sattar weigerte, das Militär in stärkerem Maße ander Regierung zu beteiligen, kam es im März zur erneuten Machtübernahme durch das Militärunter General Mohammad Ershad. Das 1982 verhängte Kriegsrecht wurde 1986 wiederaufgehoben. Die Wahlen vom 3. März 1988 hatten nur eine geringe Beteiligung und wurden vonder Opposition boykottiert; noch im selben Jahr wurde der Ausnahmezustand aufgehoben; dasParlament erhob den Islam zur Staatsreligion. Im August wurde das Land von den schwerstenÜberschwemmung des Jahrhunderts und im November von einem Zyklon (10.000 Tote)heimgesucht.; im April 1989 gab es erneut einen Wirbelsturm und Regenfälle (1.300 Tote) nachder schlimmsten Trockenheit seit zehn Jahren. Nach der irakischen Invasion im August 1990mußten 65.000 Bangladeshi Kuweit verlassen. Am 4. Dezember wurde Präsident Ershad gestürztund Shahabuddin Ahmed amtierender Präsident.

Die Bangladesh National Party gewann unter Führung von Begum Khaleda Zia, der WitwePräsident Zia-ur Rahmans, die Parlamentswahlen am 27. Februar 1991 gegen die Awami Leagueunter Sheikh Hasina, die Tochter Mujibs. Am 29. April 1991 wurde Bangladesch von einemJahrhundert-Wirbelsturm heimgesucht; über 100.000 Küstenbewohner kamen in der Sturmflutum. Wirtschaftspolitisch beschritt auch Bangladesch einen Kurs der Liberalisierung;innenpolitisch kam es aber nicht zur Ruhe. Vor allem die fundamentalistischen islamischenKräfte, auf deren Unterstützung Khaleda Zia angewiesen ist, verfolgen eine Politik derpolitischen Islamisierung. Die Kontroverse wurde mit großer Heftigkeit ausgetragen, da dieislamistischen Kräfte (Jamaat-i-Islami) im Befreiungskampf eindeutig auf Seiten Pakistansgestanden hatten und für den Genozid von 1971 mitverantwortlich gemacht werden. In diesemZusammenhang ist auch die Verfolgung der Schriftstellerin Taslima NASRIN zu sehen. Sie hattedieVerfolgung der Hindu-Minderheit (und vor allem deren Frauen) in ihrem Roman Lajja alseine Schande für die bengalische Nation angeprangert. Ihre Schriften wurden von Islamisten99

in einer fatwa (Entscheidung in Glaubenssachen) zur Blasphemie erklärt, auf die nach dem inBangladesch geltenden (islamischen) Recht als einzige zulässige Strafe die Todesstrafe steht.Daran änderte sich wenig, als Sheikh Hasin Wajid, die Tochter Mujibs, nach erbittertemparlamentarischen und außerparlamentarischen Widerstand, 1996 die Macht mit der von ihrgeführten Awami Liga übernehmen konnte.

Die Unerbittlichkeit, mit der Sheikh Hasina ihre Rivalin bekämpft hatte, setzte sich währendderen Amtszeit mit umgekehrten Vorzeichen fort. Es gelang Khaleda Zia trotz allerAnstrengungen aber nicht, ihre Nachfolgerin vorzeitig aus dem Amt zu drängen, so dass erstmalsein Regierungschef Bangladeschs die volle Amtszeit ableisten konnte. Sie gewann dieParlamentswahlen 2001, so dass als weiteres Novum ein Machtwechsel nach demokratischenSpielregeln gelang. Damit hatte die Politik der wechselseitigen Blockierungen aber noch keinEnde gefunden. Demokratie wurde von beiden Kontrahenten als unbeschränktes Machtprivileg

Anthony MASCARENHAS: Bangladesh: a legacy of blood. London: Hodder and Stoughton. 1986. pp. 154 sqq.98

Taslima NASRIN : Lajja: shame. New Delhi: Penguin. 1994.99

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der jeweils obsiegenden Partei verstanden. Die beiden großen Parteien unterscheiden sich inihrem (wirtschafts-)politischen Programm wenig. Sie werfen sich aber gegenseitig eine zu großeAnlehnung an ausländische Mächte, d.h. im Falle der Awami Liga an Indien und im Fall derBangladesh National Party an Pakistan und die islamischen Staaten, vor. Unter diesen Umständenverwundert es nicht, dass es zu offiziellen intensiveren Handelsbeziehungen zum größten, undneben Myanmar einzigen, Nachbarland, nicht kommen kann. Der inoffizielle Handel(Schmuggel) scheint aber beträchtlich zu sein und ist zugleich ein ergiebiger Nährboden für eineumfangreichen Schattenwirtschaft, Korruption und Gewalt.

Um die Wahlen vor Eingriffen der jeweiligen Regierungspartei zu schützen, wurde inBangladesch eine Übergangsregierung (caretaker government) eingeführt, die auch in derVerfassung verankert ist. Um dennoch für die amtierende Regierung vorteilhafte Bedingungenbei der Wahl zu gewährleisten, kommt es darauf an, die maßgeblichen Ämter rechzeitig mitGefolgsleuten und Sympathisanten zu besetzten, also vor allem das Amt des Staatspräsidenten,weil dieser die obersten Richter einsetzt, aus deren Kreis das Amt des Chefs der Übergangs-regierung besetzt wird, und weil er den Wahlleiter (chief election commissioner) bestimmt.Genau dies war Begum Zia in Vorbereitung der Wahlen 2007 gelungen, nur dass sich dieOpposition massiv zur Wehr setzte, die Richter sich nicht zur Verfügung stellten und sich derWahlleiter beurlaubte; schließlich beförderte sich der Präsident selbst zum Chef der Übergangs-regierung. Hauptkritikpunkt waren aber die Wählerlisten, die nach Angaben der Opposition 15Mio. Namen mehr enthielten, als Bürger im wahlberechtigten Alter existierten. Zudem hatte esin den Jahren zuvor immer wieder terroristische Anschläge im ganzen Lande gegeben, die vieleOpfer forderten, bei einer großen Kundgebung von Sheikh Hasina hatte es einen Anschlag mitetliche Toten und Hunderten Verletzten gegeben, dem die Oppositionsführerin beinahe erlegenwar. Was die Opposition und zunehmend auch die Geber irritierte, war dass die Regierung dieterroristischen Anschläge herunterspielte, die Strafverfolgung mehr behinderte als förderte unddie Existenz islamistischer terroristischer Gruppen im Lande lange verleugnete. Nach dem dieUSA und die Europäische Union wenige Tage vor den Wahlen die angekündigten Wahlbeob-achter zurückzogen und es damit klar wurde, dass eine wie auch immer gewählte Regierunginternational keine Anerkennung finden würde, verschob der Präsident die Wahlen im Januar2007 auf unbestimmte Zeit und verkündete den nationalen Notstand (emergency).

De facto übernahm das Militär die Macht; in den folgenden Wochen wurden 100.000 Personenwegen des Verdachts auf Korruption und Misswirtschaft verhaftet, darunter ehemalige Ministerund der Sohn Begum Zias. Die Machtübernahme durch da Militär wurde im Lande allgemeinbegrüßt, vor allem weil die politischen Verhältnisse während des Wahlkampfes unerträglichgeworden waren. Unruhen in Dhaka, der verheerende Zyklon Sidr und der dramatische Anstiegder Nahrungsmittelpreise boten immer neue Gründe für eine Verschiebung der Wahlen. Siefanden schließlich am 29. Dezember 2008 statt. Sheikh Hasina erzielte mit einer breitenKoalition einschließlich Ersahds Jatya Party einen überwältigenden Sieg mit 263 von 300Parlamentssitzen.

Wirtschaftspolitisch wird seit 1975 eine Abkehr von der Verstaatlichungspolitik betrieben, ohnedass jedoch alle Betriebe reprivatisiert worden wären. Die ausländischen Investoren verhaltensich abwartend, so dass Auslandskapital, auf das Bangladesch angewiesen ist, nur in Form vonEntwicklungshilfe ins Land kommt, mittlerweilen weniger als Übertragungen (Geschenk) wienach 1971, sondern als Kredit, wenn auch zu günstigen Konditionen. Trotz aller politischer

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Turbulenzen hat sich die Wirtschaft Bangladeschs bei zuletzt guten Wachstumsraten entwickelnkönnen; selbst das Auslaufen der Sonderbestimmungen für Textilien im Rahmen derWelthandelsorganisation (World Trade Organization – WTO) per 31.12.2005 hat das Landbesser als erwartet verkraftet.

Bei dieser extremen wirtschaftlichen Abhängigkeit vom Ausland ist es nur folgerichtig, dassBangladesch kaum außenpolitischen Spielraum hat; die Beziehungen zu Indien haben sich erstnach der Machtübernahme durch die Awami Liga wieder verbessert. 1997 gelang eine Einigungmit den Guerilla-Kämpfern (shanti bahini) der rebellierenden Stammesbevölkerung derChittagong Hill Tracts, im Februar 1998 legten diese vereinbarungsgemäß ihre Waffen nieder.Es irritieren aber immer noch die Rufe nach “(muslimische) Bengalen raus” im indischenBundesstaat Assam (und nicht nur dort), die Ableitung des Ganges-Wassers durch Indien durch100

einen Staudamm bei Farakka und die angebliche Unterstützung hinduistischer Separatisten in101

den Sunderbans, den Mangroven-Wäldern des Ganges-Brahmaputra-Deltas, durch Indien. DurchInititative von Präsident Zia ur-Rahman war es zu regelmäßigen Kontakten der südasiatischenStaaten in der South Asian Association for Regional Cooperation (SAARC) gekommen, dieerhoffte Annäherung kam jedoch im Laufe der achtziger Jahre in Folge der indischen Positioneiner regionalen Hegemonialmacht (Sri Lanka, Malediven, Nepal) und der Weigerung derkleineren Staaten der Region, diese Position anzuerkennen, nicht zu Stande. Die neue “Mini-SAARC”, der neben Bangladesch und Indien Nepal und Bhutan angehören, ist noch mehr vonIndien dominiert, erlaubt aber S unbelastet vom Streit Indiens mit Pakistan S eine engeZusammenarbeit bei der Nutzung der Himalaja-Wasser.

2.1.5 Sri Lanka und die Malediven

Das Dominion Ceylon hatte vergleichsweise günstige Bedingungen bei seiner Unabhängigkeit:die Insel war ein bedeutender Exporteur landwirtschaftlicher Rohstoffe und Halbfertigwaren(Tee) und konnte aus den Exporterlösen die Importe von Getreide, an dem ein Defizit herrschte,und Industriewaren relativ bequem finanzieren. Zudem verfügte es über eine vergleichweise sehrgut ausgebildete Bevölkerung und eine leistungsfähiges Infrastruktur (Häfen, Eisenbahn,Flughafen). Colombo war ein Drehkreuz im internationalen See- und Luftverkehr, der Hafen einewichtige Bunkerstation. Die völlige Abhängigkeit vom Welthandel war jedoch nichtunproblematisch, als sich die terms of trade, die Austauschrelationen von Einfuhr- undAusfuhrgütern, zuungunsten Ceylons verschoben, und sich die internationalen Handelswegeverlagerten. Darum war auch das für ein Land dieses wirtschaftlichen Entwicklungsstandeseinzigartige System sozialer Sicherung nicht länger zu finanzieren und aufrechtzuerhalten, einAbbau sozialer Leistungen mußte unweigerlich zu ernsten Spannungen führen. Wie auchanderswo in Südasien werden in solchen Situationen Koalitionen auf der Basis von Ethnie,Sprache und Religion gebildet, und Sri Lanka bildete keine Ausnahme. Lässt man einmal dieNachfahren der arabischen Einwanderer außer acht, so waren es vor allem vier Gruppen, dieaneinander gerieten: zum einen die Briten, die zahlenmäßig gering vertreten waren, denen aber

Apratim MUKARJI: Atrocities against Bangla minorities. In: The Hindustan Times. Late Dak. August 1, 1989,100

p. 9. S Infiltration in N-E alarming. In: The Hindustan Times. Late Dak. May 22, 1989, p. 1.

Khurshida BEGUM : Tension over the Farakka barrage. A techno-political tangle in South Asia. Beiträge zur101

Südasienforschung. Band 111. Stuttgart: Franz Steiner. 1988.

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2.1 Seite 36 Rahmenbedingungen (17. April 2011)

beträchtlicher Grundbesitz (Plantagen) gehörte, und die den Außenhandel kontrollierten. IhreEnteignung kam nur zögernd in Gang und befreite Sri Lanka nicht von seinen internationalenAbhängigkeiten, da die Teeblätter erst in den Hauptabsatzgebieten, vor allem in Großbritannien,gemischt (blended) und verkaufsfertig gemacht werden. Zudem sind einige wenige internationaleTeehandelsfirmen (welt-)marktbeherrschend. Die anderen drei Gruppen waren und sind lokal:die fast durchweg buddhistischen, Sinhala (Singhalesisch) sprechenden, Singhalesen, die dieMehrheit der Bevölkerung stellen, die hinduistischen sog. Jaffna-Tamilen, die seit Jahrhundertenim Norden der Insel wohnen, Tamil sprechen und häufig den oberen Kasten angehören, und dieebenfalls hinduistischen sog. Berg-Tamilen, die im letzten Jahrhundert als Plantagenarbeiter ausSüdindien einwanderten und ebenfalls Tamil sprechen, aber meist den unteren Kasten angehören.Die Küstenbewohner, und das waren im Norden die Tamilen, waren als erste mit denausländischen Seemächten in Berührung gekommen, wurden früh unterworfen und stellten beider Eroberung der restlichen Insel die Bediensteten in Verwaltung und Handel. Sich auf sie zustützen entsprach der britischen Devise des divide et impera, da sie die kleinere Gruppe bildeten.

Nach der Unabhängigkeit verstärkte sich die Singhalisierungsbewegung (“Singhala only”), diesich vor allem gegen die Jaffna-Tamilen richtete, und die bei zunehmender Militanz zu einertamilischen Gegenbewegung führte. Der politische Umschwung 1977 und der drastische Abbausozialer Vergünstigungen verschärfte die Auseinandersetzung, die 1983 in einen offenenBürgerkrieg umschlug, in den schließlich die indische Armee (Indian Peace Keeping Force =IPKF) auf Ersuchen des Präsidenten von Sri Lanka im Juni 1987 versuchte schlichtendeinzugreifen, was aber misslang: Die mehrere zehntausend Mann starke indische Invasions-102

armee konnte ihren militärisch weit unterlegenen Gegner nicht kontrollieren; nach offiziellenAngaben fielen 1.155 Inder, 2.984 wurden verwundet. 1989 begann Indien mit dem Abzug derTruppen, der im März 1990 abgeschlossen war.103

Trotz des andauernden Bürgerkrieges konnte sich die Wirtschaft erholen; sogar die Touristenließen sich nicht von den Bombenanschlägen, denen u.a. Staatspräsident Ranasinghe Premadasa(am 1.5.1992) zum Opfer fiel, völlig abschrecken. Die großen Hoffnungen, die auf Ministerprä-sidentin Kumaratunge gesetzt wurden, konnte sie aber nicht erfüllen; ein Ausgleich mit denTamilen gelang ihr nicht; Regierungstruppen konnten zwar im Dezember 1995 Jaffna, dieHauptstadt des tamilischen Nordens, einnehmen, aber deren erbitterten Widerstand nicht völligbrechen. Die Kämpfe wurden mit großer Härte und hohen Verlusten auf beiden Seitenausgefochten; vor allem die Bombenanschläge in der Hauptstadt Colombo haben die Wirtschaftdes Landes getroffen.

Nach den Parlamentswahlen 2001 kam es wieder zu einer Kontaktaufnahme mit der LTTE. 2002konnte mit norwegischer Vermittlung ein Waffenstillstand ausgehandelt werden. Die Wirtschaftkonnte sich zeitweilig erholen. Die Touristenzahlen erreichten Rekordhöhen, blieben aber hinterden einstigen Erwartungen zurück; die Malediven haben Sri Lanka der Touristenzahl nachüberholt und haben sich in einem höheren Preissegment etabliert, während Sri Lanka mitpreislichen Zugeständnissen werben muss. Vom Tsunami 2004 wurde vor allem die Ostküste

Dieter BRAUN: Aufzeichnung betr.: Indien und die Krise in Sri Lanka. Handlungsfähigkeit der regionalen102

Vormacht. SWP-AZ 2604 Fo.Pl. IV.2c/89. Ebenhausen: Stiftung Wissenschaft und Politik. 1989.

"Das Paradies ist verloren. Geschlagen haben Indiens Truppen Sri Lanka verlassen. In: Der Spiegel. 14/1990.103

pp. 234-242.

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betroffen. Der Vorwurf der Tamilen, dass Sinhala-Gebiete im Süden und Westen von der Hilfebevorzugt würden, verstärkten die Ressentiments.

Der Anspruch der LTTE auf die Ostprovinz geriet in Gefahr, als sich dort einstige Kampfgefähr-ten Prabakarans gegen stellten. Vor allem im Südosten, im Ampara und Batticaloa bekämpftensich die Fraktionen der LTTE erbittert. Immer häufiger gerieten die Muslimen zwischen dieFronten. Im Laufe des Jahres 2007 entbrannte der Kampf aufs neue. Der Bürgerkrieg nahm anHärte zu, als die Regierung, offensichtlich mit Unterstützung aus dem Ausland (China,Pakistan?), mit einer großangelegten militärischen Offensive gegen die letzten, von der LTTEgehaltenen Stellungen im Nordosten begann. Der Versuch der LTTE, die in ihren Rückzugs-gebieten gewaltsam gehaltene Zivilbevölkerung als Schutzschild zu benutzen, führte zu hohenVerlusten in der Endphase des Krieges. Die Zahl der Opfer im Endkampf wird auf mehrereZehntausend geschätzt. Am 19. Mai 2009 verkündete der Präsident Sri Lankas den TodPrabakarans und der Führungsspitze der LTTE, den Sieg und damit das Ende des 26-jährigenBürgerkrieges.104

Die Brutalität der srilankischen Armee und die pressefeindliche Politik der Regierung (in derEndphase des Bürgerkrieges waren keine ausländischen Journalisten oder andere Beobachterzugelassen) können mit dafür verantwortlich gemacht werden, dass die erhoffte schnellewirtschaftliche Erholung und insbesondere des internationalen Tourismus nicht sofort nach demEnde des Bürgerkrieges einstellte. Dazu kam die weltweite Wirtschaftskrise, die die Konkurrenzunter den Zielen des Ferntourismus verschärfte.

Die Malediven wurden schon früh muslimisch, der arabische Weltreisende des Mittelalters, IbnBattuta war hier bereits als Richter und Regierungsberater tätig. Die Inseln wurden später105

britisch und schließlich 1965 als Sultanat in die Unabhängigkeit entlassen. Seitdem bemüht106

sich die Regierung um Blockfreiheit und Neutralität. 1988 kam es zu einem Umsturzversuch,seitdem sind die Malediven eine Republik. Am 3. November 1988 versuchte ein maledivischerGeschäftsmann mit Hilfe von Söldnern der PLOT, einer der rivalisierenden tamilischenWiderstandsgruppen auf Sri Lanka, die Herrschaft an sich zu reißen. Der Putsch misslang jedochund wurde mit indischer Hilfe niedergeschlagen. Seitdem ist Indien de facto Schutzmacht der107

Malediven. Innenpolitisch wuchs der Widerstand gegen den über Jahrzehnte autokratischregierenden Präsidenten Ghayur. In den ersten demokratischen Wahlen 2008 wurde er gestürzt.

Der (gehobene) Tourismus verhalf dem Land zu (relativem) Wohlstand und einer Spitzenpositionin Südasien. Die unerwünschten Folgen des Tourismus versuchte man dadurch zu vermeiden,dass Nicht-Muslimen der ständige Aufenthalt auf den Malediven nicht gestattet ist, und dieUrlaubsquartiere auf sonst unbewohnten Inseln errichtet wurden. Im Nachhinein erscheint dieseErklärung wenig überzeugend: Die Bewohner des dem Durchschnitt nach reichsten LandesSüdasiens haben vom Tourismus wenig; auf den Urlaubsinseln arbeiten vor allem Sri Lanker und

Sri Lankas Präsident erklärt Bürgerkrieg für beendet. http://www.tagesschau.de/ausland/srilanka346.html.104

Ibn Battuta: Reisen ans Ende der Welt. Das größte Abenteuer des Mittelalters 1325-1353. Neu herausgegeben105

von Hans D. LEICHT. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgemeinschaft. 1985 (1974). pp. 165-193.

Rinn S. SHINN: Maldives. In: Frederica M. BUNGE: Indian Ocean five islands countries. Foreign Area Studies.106

2. ed. Washington, D.C.: The American University. 1983 (1971). pp. 225-248.

Chronik. In: Asien. Hamburg. 32(Juni 1989). p. 83.107

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Bangladeshi und – in den gehobenen Positionen – Europäer. Anders als Bhutan sind dieMalediven auch schon längst auf dem Wege zum Massentourismus und haben nach der Zahl derTouristen bereits Sri Lanka überholt; der Tsunami 2004 brachte nur vorübergehende Einbußen. Dank des Tourismus hat das Land das mit Abstand höchste Pro-Kopf-Einkommen Südasiens;an dem Aufschwung sind die Inseln der Einheimischen aber weniger beteiligt. Den Ansturmbewältigt das Land mit ausländischen Arbeitskräften, vor allem aus Sri Lanka.

2.1.6 Nepal und Bhutan

Nepals Unabhängigkeit wurde von den Briten nach dem ersten Weltkrieg bestätigt, de facto bliebes aber abhängig, da alle Zugänge zu diesem Land durch Britisch-Indien führten; der Landwegdurch Tibet und China war ohne weitere praktische Bedeutung, vor der Entwicklung derLangstreckenflugzeuge war Nepal auch mit dem Flugzeug nicht direkt zu erreichen. Seit Beginnder fünfziger Jahre versucht Nepal seine Abhängigkeit von Indien zu überwinden. Da das Landaber von Indien sehr leicht und von China sehr schwer zu erreichen ist, ist das Land wirt-schaftlich und kulturell fast völlig auf Indien ausgerichtet, und die indische Regierung hat nieeinen Zweifel daran gelassen, dass sie den Versuch einer Anlehnung an China als unfreundlichenAkt ansehen würde. Als Möglichkeit einer Verringerung der Abhängigkeit von Indien bot sichdie internationale Entwicklungshilfe, die Nepal später als die meisten anderen Staaten begannin Anspruch zu nehmen, und die heute einen hohen Stellenwert hat. Ohne ausländische Hilfekönnte Nepal weder sein Entwicklungsprogramm noch seine Importe finanzieren.

Trotzdem haben sich die Beziehungen zu Indien verschlechtert. Mit dem Auslaufen desindo-nepalischen Abkommens am 23. März 1988 resp. 1989 (verlängert zweimal um weiteresechs Monate) erschwerte Indien die Durchfuhr nepalischer Importe, die Versorgungslage in108

Nepal, vor allem mit Mineralölprodukten, verschlechterte sich drastisch, Treibstoff mußterationiert werden. Erst der Regierungswechsel in New Delhi im Herbst 1989 bot die Chance109

für eine Normalisierung der Beziehungen zwischen den beiden Staaten.

Der Streit mit Indien hatte aber durch die Verknappung und Verteuerung der Importe und denRückgang der Einnahmen aus dem internationalen Tourismus schwerwiegende wirtschaftlichenund sozialen Folgen und kann als einer der entscheidenden Faktoren für den Ausbruch derpolitischen Unruhen im Frühjahrs 1990 betrachtet werden, die den König zu weitreichendenZugeständnissen zwang: nach 30 Jahren wurden die bis dahin verbotenen Parteien wieder110

zugelassen und dem Führer der Opposition der Posten des Ministerpräsidenten angeboten.

Der sich im Laufe der Jahre angesammelte politische und soziale Zündstoff wurde weithinübersehen. Am 1. Juni 2001 wurden der König und die Königin von einem Angehörigen derKönigsfamilie in einem Massaker erschossen. Bereits vorher war es zu blutigen Aus-111

einandersetzungen mit Maoisten, vor allem in Westnepal gekommen; von 1996 bis 2000 wurden

Bhubanesh PANT: Trade and development: Nepal's experiences. New Delhi: Oxford & IBH. 1994. p. 108.108

R. NARAYAN: Nepal economy left high and dry. In: Economic Times, April 6, 1989, p. 1 and p. 4.109

König Dumdum. In: Der Spiegel. 44(9. April 1990)15. pp. 180-184.110

Alfred D IEBOLD: Konstitutionelle Monarchie in Nepal in Gefahr? Kurzberichte aus der internationalen111

Entwicklungszusammenarbeit. Bonn: Friedrich Ebert Stiftung. 18. Juni 2001.

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1.500 Todesopfer gezählt, bis 2001 mehr als 2000 und bis April 2002 mehr als 3.500.112 113 114

2004 sprach man von mehr als 6.000 Toten. Der Versuch des neuen Königs, Parlament undRegierung zu entmachten schlug fehl; es kam zum offenen Aufstand. Die mehrfach verschobenenWahlen fanden schließlich am 10. April 2008 statt, aus denen die Maoisten als Siegerhervorgingen.

Auf Grund seiner abgelegenen und schwer erreichbaren geographischen Lage war Bhutan vonden Entwicklungen des Subkontinents nur wenig betroffen. Aber schon bald nach der britischenEroberung Bengalens stieß Bhutan nach einer Phase innenpolitischer Konsolidierung in seinemExpansionsdrang, und um einen britischen Handelsweg durch Bhutan nach Tibet zu verhindern,auf britischen Widerstand; 1793 wurde S auf Drängen Tibets S Frieden geschlossen. Auch im 19.Jahrhundert kam es zu Auseinandersetzungen, 1865 marschierten die Briten ein und zwangenBhutan zum Frieden von Sinchu La. 1910 mußte Bhutan die britische Führung in derAußenpolitik anerkennen, seit der Unabhängigkeit 1947 ist Indien de facto die SchutzmachtBhutans, das es auch wirtschaftlich stark unterstützt. 1949 schlossen Bhutan und Indien einen“Vertrag über beständigen Frieden und Freundschaft” (Treaty of Perpetual Peace andFriendship), 1959 übernahm Indien die Verantwortung für Bhutans Außenpolitik. 1962 kam esim Zuge der indisch-chinesischen Auseinandersetzungen zu Grenzkonflikten entlang derindischen Grenze. Indien betrachtet in Bezug auf seine Verteidigung Bhutans nördliche Grenzeals seine eigene. Stärker noch als Nepal hat sich Bhutan lange nach außen abgeschirmt und115

selbst ausländische Wirtschaftshilfe kaum angenommen. Dies umso mehr, als Bhutan als derwesentlich kleinere Staat befürchten muss, vollständig von Indien abhängig, wenn nicht sogarannektiert, zu werden. Dass diese Furcht nicht ganz unbegründet ist, zeigt das Schicksal deshalbautonomen Himalaja-Fürstenstaates Sikkim, der der indischen Union 1975 als Bundesstaateinverleibt wurde. Auch Bhutan ist nicht frei von ernsthaften politischen Auseinandersetzung.Die “Bhutanisierungspolitik” wendet sich vor allem gegen die im Lande lebenden Nepali;Tausende leben heute als Flüchtlinge in Lagern in Nepal. Trotz seiner fast völligen Abhängigkeitvon Indien hält Bhutan seien Kontakte zu China aufrecht; es gibt eine gemeinsame Grenz-kommission

Bhutan hat der Welt das Konzept eines “Bruttosozialglücks” (gross national happiness) beschert,das Eingang in die erste Verfassung gefunden hat. Der vierte König verfolgte über Jahre einePolitik der schrittweisen Demokratisierung. Im Dezember 2006 trat ist er zugunsten seinesSohnes zurück. Zuvor hatte er den Verfassungsentwurf im In- und Ausland diskutieren lassen.Mitte 2007 wurden politische Parteien zugelassen; am 24. März 2008 fanden die erstenallgemeinen Wahlen zur Nationalversammlung statt.

2.1.7 Afghanistan und Myanmar

Nepal: Mao in the mountains. In: The Economist. Nov 4, 2000, pp. 83-84.112

Binod BHATTARAI: Violence spins out of control as peace hopes fade in Nepal. In: Financial Times, Nov 30,113

2001, p. 9.

Alfred D IEBOLD: Generalstreik zeigt Wirkung. Kathmandu: Friedrich Ebert-Stiftung. April 2002.114

George L. HARRIS et al.: Area hand book vor Nepal, Bhutan, and Sikkim. 2nd ed. Washington, D.C.:115

Superintendent of Documents, U.S. Government Printing Office. 1973 (1964). pp. 351 sq.

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Das Schicksal Afghanistans ist mit dem des indischen Subkontinents seit Jahrtausendenverbunden; alle Einwanderer und Eroberer Indiens S bis auf die Briten S kamen von Nordwesten,da nur hier ein etwas weniger beschwerlicher Landzugang zum Subkontinent besteht.

Die moderne Geschichte Afghanistans beginnt im achtzehnten Jahrhundert: 1739 besiegte deraus dem Iran stammende Turkmene Nadir Shah das Mogul-Reich vernichtend und eroberte alleGebiete westlich des Indus; nach seiner Ermordung löste Ahmad Shah Abdali (Durrani) 1747Afghanistan aus dem persischen Reich; seit dieser Zeit ist Afghanistan ein selbständiger Staat,wenngleich mit wechselndem territorialen Bestand. Das ganze neunzehnte Jahrhundert standAfghanistan unter dem Einfluss des Ringens Russlands und Großbritanniens um die Vormacht-stellung in Asien (great game). Während die russischen Zaren einen Zugang zu den “warmenGewässern” suchten, lag den Briten an der Erhaltung ihrer unangefochtenen Vormachtstellungim Indischen Ozean. In drei Kriegen konnte Afghanistan nicht von den Briten erobert werden undist deshalb eines der wenigen Entwicklungsländer, die niemals europäische Kolonie waren: Imersten Krieg, 1838 bis 1842, wurden die Briten nach anfänglichen Erfolgen vernichtendgeschlagen, nach dem zweiten Krieg, 1877-79, mußte Afghanistan allerdings im Vertrag vonGandamak, 1879 die britische Oberhoheit anerkennen. Nur so war es den Briten möglich, 1893die Durand Line als Grenze zwischen Afghanistan und Indien festzulegen, die das Gebiet derPashtunen durchschneidet. In der allgemeinen Euphorie über den Sieg über die Sowjetunion116

werden die vierzig Jahre, die Afghanistan zum britischen Empire gehörte, gerne vergessen. Erstnach dem ersten Weltkrieg (Vertrag von Rawalpindi 1919 und 1921) konnte Afghanistan dievöllige Unabhängigkeit zurückerobern. Großbritannien war durch den Krieg geschwächt; dasRussische Reich war in der Sowjetunion aufgegangen, die sich in ihren ersten Jahren imBürgerkrieg befand; eine russische/sowjetische Kontrolle und ein Zugang Russlands bzw. DerSowjetunion zum Indischen Ozean schien nicht mehr zu drohen. Großbritannien hatte das “GroßeSpiel” vorerst gewonnen und konnte auf das für sie wirtschaftlich ohnehin wertlose Afghanistanverzichten.

Die Reformversuche des westlich erzogenen Königs Amanullah (1919 bis 1929), nämlich dasVerbot der Vielehe und des Schleiers, die allgemeine Schulpflicht für Kinder beiderleiGeschlechts, die Trennung von Religion und Staat, die Einsetzung eines Parlaments und dieVorschrift über das Tragen europäischer Kleidung, stießen auf erbitterten Widerstand;schließlich wurde er zur Abdankung gezwungen. Seine Nachfolger Sardar Mohammad NadirShah (1929 bis 1933) und dessen Sohn Zahir Shah (1933 bis 1973) verfolgten eine restaurativePolitik, insbesondere durch Stärkung der Stämme, später durch eine Politik der zurückhaltendenModernisierung; tiefgreifende wirtschaftliche und soziale Reformen wurden nicht in Angriffgenommen. In der Außenpolitik versuchte Zahir Shah mit Erfolg, wirtschaftliches Kapital ausder strategischen Lage Afghanistans zu schlagen; sowohl die USA und andere westlichenIndustrieländer als auch die Sowjetunion unterstützten den wirtschaftlichen Aufbau des Landesmassiv, ohne dafür politische Zugeständnisse zu bekommen.

1973 wurde Zahir Shah von seinem Vetter, dem Ministerpräsidenten Mohammed Daud, gestürzt,der das Land in eine Republik umwandelte und eine Reihe von Verstaatlichungen durchführte.Seine diktatorische Regierung wurde 1978 in einem Staatsstreich kommunistischer Führer (Saur-

Jürgen CLEM ENS: Von Karten und Grenzen: Die koloniale “Durand Line” als permanenter geopolitischer116

Konfliktstoff zwischen Afghanistan und Pakistan. In: Asien (Jan 2004)90, pp. 53-58.

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Revolution) gestürzt, Daud und seine Familie wurden erschossen. Fraktionskämpfe innerhalb derRegierung (der erste Führer Mohammad Taraki wurde von seinem Nachfolger Nurul Aminerschossen, der wiederum gewaltsam Präsident Babrak Kamal weichen mußte) und Widerstandinnerhalb der Bevölkerung führten zum Bürgerkrieg und im Dezember 1979 zur sowjetischenInvasion, der die Stämme, vor allem im Pashtunen-Gebiet entlang der pakistanischen Grenze,erbitterten Widerstand leisteten. Unter sowjetischer Führung wurde der seit der Unabhängigkeiteingeschlagene Weg der politischen Neutralität verlassen und faktisch die Souveränitätaufgegeben. Massive Militärhilfe durch die USA, Pakistan, Iran, die arabischen Staaten undChina, zunehmend auch mit modernsten Waffen, erlaubten den mujahiddin einen wirkungsvollenWiderstand, während Pakistan und z.T. auch der Iran Sanktuarien boten.

Der Exodus von einem Drittel der Bevölkerung S fast vier Millionen nach Pakistan und zwei bisdrei Millionen in den Iran S deutet gleichermaßen daraufhin, dass die Innen- wie Außenpolitikim eklatanten Gegensatz zu den Wünschen des Großteils der Bevölkerung stand, aber auch aufdie untragbaren Lebensbedingungen während des Bürgerkrieges. Die Aktionen der kommu-nistischen Regierung zielten weniger auf die Errichtung einer sozialistischen Wirtschafts- undSozialordnung als auf die Etablierung der Macht einer kleinen Funktionärsschicht hin. Bei denmeisten Führern der Guerillabewegung handelte es sich aber ebenfalls um keine sozialreformeri-schen Gruppen, sondern um ein Zweckbündnis so unterschiedlicher Gruppen wie des islamischenKlerus (Sunni und Shia), der Stammesführer, Großgrundbesitzer, Intellektuellen und ehemaligenBürokraten.

Das missglückte Afghanistan-Abenteuer wurde einer der ausschlaggebenden Faktoren für denWandel in der Sowjetunion. Dieser wiederum hat ein Ende der sowjetischen Intervention mit sichgebracht. Noch 1987 schien es so, als ob die mujahiddin langfristig den Sowjets unterlegenwären, da diese immer flexibler in der Guerillabekämpfung wurden, vor allem durch ihre völligeLuftüberlegenheit. Mit der Lieferung von modernen Boden-Luft-Raketen an die mujahiddinwurde aber eine “neue Qualität” in der Kriegsführung erreicht; eine Internationalisierung desKonflikts drohte und begann sich im Falle Pakistans konkret abzuzeichnen. Bereits 1983begannen in Genf Friedensverhandlungen. Mit den Genfer Abkommen vom 14. April 1988zwischen Afghanistan, Pakistan, der Sowjetunion und den USA wurde der Abzug dersowjetischen Truppen aus Afghanistan vereinbart; am 15. Februar 1989 waren die letztensowjetischen Truppen abgezogen. Auch innenpolitisch lenkten die Sowjets ein: bereits 1987117

wurde Mohammad Najibullah neuer Präsident des Revolutionsrates und damit Staatsoberhaupt,im November billigte die loya jirga ("Große Versammlung” der Stammesführer) die neueVerfassung; Afghanistan wurde wieder “Republik Afghanistan” und ab sofort bündnisfrei;ausländische Truppen sollte es in Afghanistan nicht mehr geben. Die afghanischen Widerstands-kämpfer aus Pakistan und dem Iran trafen sich im Februar 1989 in Islamabad zu einer eigenenjirga, in der aber kein Konsens hergestellt werden konnte, die shiitischen Führer fühlten sichunterrepräsentiert und weigerten sich an der Versammlung teilzunehmen.

Der nach dem Abzug der sowjetischen Truppen allgemein erwartete Zusammenbruch derkommunistischen Regierung blieb erst einmal aus; ein Versuch der mujahiddin, Jalalabad zuerobern und hier eine Gegenregierung zu etablieren, schlug entgegen allen Erwartungen fehl. Die

Diego CORDOVEZ, Selig S. HARRISON: Out of Afghanistan: the inside story of the Soviet withdrawal. New York,117

NY: Oxford UP. 1995.

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Eroberung einer größeren Stadt war S Presseberichten zu Folge S von Frau Benazir Bhutto zurVoraussetzung für eine Anerkennung der Exilregierung durch die pakistanische Regierunggenannt worden. Die Offensive der mujahiddin war S ebenfalls nach Presseberichten S vom InterIntelligence Service (ISI), dem pakistanischen Geheimdienst, koordiniert worden; der118

Fehlschlag hatte erhebliche innenpolitische Bedeutung in Pakistan und dürfte wegen desVerlustes an Ansehen für den vormals allmächtigen ISI für den Sturz der (ersten) RegierungBenazir Bhutto von Bedeutung gewesen sein. Erst 1992 kam es zum Zusammenbruch deskommunistischen Regimes, als Kommandeure der Regierungstruppen zu den Aufständischenüberliefen. Der Bürgerkrieg nahm an Intensität zu, da die islamischen Fundamentalisten, vorallem die Hezb-e Islami unter Gulbuddin Hekmatyar nicht bereit waren, Zugeständnisse an dieanderen Gruppen des Widerstands zu machen. Kabul, dass den (russischen) Krieg weitgehendunversehrt überstanden hatte, wurde erst im Bürgerkrieg zerstört. Erst den Taliban (auch:Taleban), afghanischen Religionsschülern, die in Pakistan ausgebildet worden waren, gelang esden größten Teil des Landes S anfangs fast kampflos S einzunehmen und die innere Ordnungwieder herzustellen; sie setzten allerdings auch ihre rigiden Moralvorstellungen (völligeGeschlechtertrennung, auch in Schule und Krankenhäusern, mit der Konsequenz des Verbots vonArbeit und Bildung von und für Frauen) durch mit Hilfe einer allgegenwärtigen Tugend-Polizeiund der Gefahr unkontrollierter Denunziation und drakonischer Strafen.

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Erstarken der Islamisten in den ehemalssowjetischen Republiken in Asien hat sich der Bürgerkrieg Afghanistans dorthin ausgebreitet.Für Pakistan wurde befürchtet, dass die Taliban der Führung durch die einstigen Sponsoren, d.h.des ISI, entgleiten und auch in Pakistan immer mehr Anhänger gewinnen würden. Statt dessenwurde Afghanistan erneut Schauplatz internationaler Auseinandersetzungen, als sichherausstellte, dass der Führer der Taleban, Mullah Omar, dem saudi-arabischen Exilanten Osamabin Laden und seiner internationalen islamistischen Terrorgrupp Al Qaeda Unterschlupf gewährte(und angeblich auch eine Tochter Osamas heiratete). Nach den Anschlägen auf die US-Botschaften in Dar-es-Salam und Nairobi , die der Al Qaeda zugeschrieben wurden, kam es zuamerikanischen Vergeltungsangriffen auf militärische Ausbildungslager der Al Qaeda. Als dieTaleban nach den Anschlägen vom 11. September 2001 die Auslieferung Osamas und seiner AlQaeda verweigerten, kam es schließlich zum aktiven Eingreifen der Truppen der Allianz gegenden Terrorismus auf Seiten der so genannten Nord-Allianz und einer weitgehenden Vertreibungder Taleban und Al Qaeda aus Afghanistan. Nach einer internationalen Konferenz in Berlin undBonn wurde Hamid Kardai als Chef einer Übergangsregierung eingesetzt; im April 2002 kehrteder ehemalige König Zahir Shah nach Kabul zurück. Im Oktober 2004 fanden die ersten freienWahlen seit Jahrzehnten statt; sie bestätigen die Regierung Karzai in ihrem Amt. Auf dem 14.SAARC-Gipfel in New Delhi wurde Afghanistan am 3. April 2007 als achtes Mitgliedaufgenommen. Damit ist zum ersten Mal ein Land Mitglied, das keine Landgrenze mit oderSeeverbindung zu Indien hat. Im Gegensatz zu den Taliban, die als Schöpfung des pakistanischenISI gelten und aus pakistanischer Sicht dazu dienten, mit ihrem Land Pakistan “strategischeTiefe” zu garantieren, war die Nord-Allianz eher Indien verbunden; die Verbindungen derRegierung Karzai zu Pakistan sind weniger freundlich; in der öffentlichen Diskussion ist Pakistanzum Hauptfeind aufgerückt, auch wenn Millionen von Afghanen in Pakistan Zuflucht fandenund/oder dort noch wohnen.

“Under the last regime the ISI had become both the creator and the implementor of Afghan policy.” Ahmed118

RASHID : View from the bunker. In: The Herald. Karachi. March 1990. p. 19.

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Der Krieg in Afghanistan hat auch eine wirtschaftliche Seite: Die Vorkommen fossilerPrimärenergieträge (Mineralöl und Erdgas) Zentralasiens gelten als die größten neben denenSüdwestasiens. Eine Pipeline zum Arabischen Meer wäre die kostengünstigste Methode sie fürden Export zu nutzen. Der direkteste Weg würde durch den Iran führen, der aber wegen desamerikanischen Iran-Embargos vorerst nicht genutzt werden kann. Eine Alternative wäre einePipeline durch Afghanistan und Pakistan. Deshalb setzten die internationalen Konsortien, die diePipeline bauen wollten (und wollen) zuerst auf die Taliban. Erst als sich abzeichnete, dass dieTaliban das ganze Land nicht würden kontrollieren können (eine im ganzen Land anerkannteRegierung gilt als Vorbedingung für den Pipeline-Bau), verloren die Taliban die internationaleUnterstützung. Nach der Invasion Afghanistan und dem Sieg der Nord-Allianz sah es eine Weileso aus, dass die neue Regierung in Kabul das ganze Land kontrollieren würde und der Bau derPipeline begonnen werden könnte. Mit der Entscheidung für den Krieg im Irak zogen dieAlliierten Elite-Truppen aus Afghanistan ab und erleichterten der Taliban sich im Süden desLandes neu zu konstituieren. Damit ist der Bau der Pipeline erst einmal wieder gefährdet.

Zwei Faktoren erschwerten Myanmars (damals: Birmas) Neubeginn nach der Unabhängigkeit(1948): Der Verlust des Revolutionsführers Aung San, der wenige Monate vor der Unabhängig-keit bei einem Attentat ermordet wurde, und die großen Zerstörungen des Krieges, in dem diebirmanischen Widerstandsgruppen erst auf Seiten der Japaner und später gegen sie gekämpfthatten. Nach der Unabhängigkeit versuchten die politischen Führer das Land aus der doppeltenwirtschaftlichen Abhängigkeit zu befreien: zum einen von der britischen Kolonialmacht und zumzweiten von der Schicht nicht birmanischer, meist indischer und chinesischer, Händler,Bürokraten etc. Die Stämme an den Grenzen des Landes hatten schon immer eine weitgehendeSelbständigkeit genossen, im Krieg hatte sie eine de facto Selbständigkeit erreicht. An derGrenze zu China setzten sich Reste der Kuomintang-Armee fest und kontrollierten denRauschgift-Handel. Nach einer ersten Phase des Aufschwungs und der Liberalisierung zog sichBirma nach dem Militärputsch unter General Ne Win 1962 völlig zurück, wirtschaftlich verfolgtdie Regierung einen “Birmanischen Weg zum Sozialismus”. Das potentiell reiche Land ist völligverarmt; Demonstrationen für ein Ende der Militärdiktatur wurden in den letzten Jahrenwiederholt brutal niedergeschlagen; nach einer kurzen Liberalisierung hat die Armee wieder dieMacht an sich gezogen. Im Dezember 1986 beantragte die Regierung beim Wirtschafts- undSozialrat (ECOSOC) der Vereinten Nationen den Status eines “wenig entwickelten Landes”(LDC).119

Nachdem das Militär 1990 Wahlen im Lande veranstaltete, die eindeutige Gewinnerin, Tochterdes National-Helden Aung San und Nobel-Preisträgerin, Aung San Suu Kyi, aber daran hinderte,die Regierung zu übernehmen, ist Myanmar internationalen Wirtschafts-Sanktionen ausgesetzt,die aber wenig Wirkung zeigen: Ausländisches Kapital fließt vor allem über Singapur; Chinaverfolgt strategische Interessen und baut die Verkehrswege zwischen beiden Ländern aus und sollauch über einen Marinestützpunkt am Golf von Bengalen verfügen. Thailand, und auch120

Frankreich, haben sich dem Boykott nicht angeschlossen und bauen eine Pipeline um diegewaltigen Gas-Vorkommen auszubeuten. 1997 wurde Myanmar ungeachtet aller US-

Burma. Transition to agro-based industrial economy. Prepared by the Regional and Country Studies Branch.119

Industrial development series. PPD.65. [Vienna:] United Nations Industrial Development Organization. 1987.

Die indische Presse berichtet von chinesischen Lieferungen von Rüstungsgütern im Umfang von 2 Mrd. US$.120

Josy JOSEPH: India, Burma look at new areas of co-operation. Rediff OnTheNet. Nov 17, 2000.

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Interventionen in die ASEAN aufgenommen. Im Herbst 2000 fand der Besuch einer121

hochrangigen Delegation aus Myanmar in Indien und des pakistanischen Chief Executive(Militärdiktators) in Myanmar statt. 2004 kommt es zum Sturz des Regierungschefs, der neue122

Regierungschef kommt wenige Tage später – allen internationalen Boykotts zum Trotz – aufStaatsbesuch nach New Delhi. Im November 2005 begann die Regierung den Umzug in die neueHauptstadt Pyanmana, etwa 320 km nördlich von Yangon und auf halbem Wege nach Mandalaygelegen. Die Wahlen 2010 waren alles andere als demokratisch.123

2.1.8 Gemeinsame Entwicklung

Nach den Wahlen in Afghanistan 2004 trägt nur noch Myanmar – trotz der Wahlen 2010 – dasStigma einer Militärdiktatur. Aber auch die anderen Staaten erfahren immer wieder Ein-schränkungen ihrer demokratischen Ordnung durch das Militär, autoritäre Regierungen, eineselbstbewusste Bürokratie, eine oft wenig selbständige Justiz und “zivile” Organisationen, diesich hoheitliche Rechte anmaßen. Der spätere Präsident Pakistans General Musharraf kam 1999durch einen Militärputsch an die Macht; Bangladesch wurde von Januar 2007 bis Ende 2008 defacto vom Militär beherrscht.

Vor allem in Indien ist regional zu differenzieren: In den meisten Teilen des Landes haben sichdemokratische Institutionen besser entwickeln können als in den kleineren Nachbarländern.Bangladesch wird immer wieder an den anderen Staaten mit muslimischer Bevölkerunggemessen und schneidet in diesem Vergleich gut ab. Allerdings mehren sich die Zeichen einerRadikalisierung durch islamistische Gruppen.

Südasien ist auch noch immer “blockfrei”. Indiens Angebot als Partner im “Kampf gegen denTerrorismus” hat in den USA nicht die Anerkennung und Würdigung erfahren, die man sich inNew Delhi erhoffte. Pakistan ist nach wie vor der bevorzugte Verbündete der USA in der Region.Pakistan wird von Saudi-Arabien finanziell unterstützt und unterhält gute Beziehungen zum Iran.Es ist von solcher Wichtigkeit für die USA, dass Pakistans Rolle bei der Weitergabe nuklearenWissens und nuklearer Technik an so genannte “Schurkenstaaten” möglichst wenig hinterfragtwird. Ähnlich steht es mit der Zusammenarbeit Indiens mit Israel. Pakistans verlässlichster124

Partner heißt nach wie vor China und angesichts Chinas Unterstützung der Regierung vonMyanmar (und neuerdings Sri Lankas) sieht sich Indien in einer völligen Umklammerung durchChina und seine Verbündeten. China strebt offensichtlich auch eine größere Präsenz im IndischenOzean an. Deshalb hat China auch den Ausbau des Hafens Gwadar in Pakistan und eines Hafensin Myanmar gefördert. Es wäre aber verfrüht, von einer wachsenden Konfrontation Indiens undChinas zu sprechen. Indien hat zwar seine Atombewaffnung explizit mit der Bedrohung durch

Ted BARDACKE: Asean admits Burma and Laos but not Cambodia. In: Financial Times. July 24, 1997. p. 12.121

Josy JOSEPH: India, Burma look at new areas of co-operation. Rediff OnTheNet. Nov 17, 2000.122

C. S. KUPPUSWAM Y: Manmar; Making capital moves! South Asia Analysis Group. Paper no. 1611. 2005.123

www.saag.org.

Gordon CORERA: Shopping for bombs : Nuclear proliferation, global insecurity, and the rise and fall of the A.Q.124

Khan Network. New York: Oxford UP. 2006.

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China gerechtfertigt (“this other country”) , zugleich explodiert der Handel zwischen den125

beiden Ländern geradezu und weckt die Hoffnung (oder Befürchtung), dass er sich zu einer derweltweit wichtigsten Handelsbeziehungen weltweit entwickeln wird.

In der Erklärung gegenüber der Regierung der USA nach den Atomtests von 1998 verwies die indische125

Regierung mit dem Hinweis auf “this other country” auf China, um anzudeuten, dass sich Indien nicht nur von

Pakistan bedroht sieht.