35
1. Einleitung Im Durchschnitt verstehen Sprecher des Deutschen zirka 50.000 Wörter. 1 Dabei ist jedes einzelne von ihnen einer der „grundlegenden Bausteine der Sprache“ 2 , da Wörter eine wiedererkennbare Form aufweisen und eine bestimmte Bedeutung tragen. Um die riesige Anzahl der Wörter des Deutschen überschaubar zu machen, das Grimmsche Wörterbuch umfasst mehr als 400.000 Einträge, 3 ordnen Sprachwissenschaftler Wörter in Wortarten. Eine übersichtliche Gliederung des Wortbestandes in Wortarten des Deutschen ist unter anderem nötig, um über Wörter zu reden. Wortarten gehören „zum Repertoire des begrifflichen Handwerkszeugs“ 4 des Grammatikunterrichts in der Schule. Das Gliederungskonzept Wortarten kann für Schüler eine Hilfe darstellen, um Regelungen der Orthographie zu erlernen oder stilistische Besonderheiten in Texten zu analysieren. 5 Dies sind Gründe dafür, weshalb Wortarten zum „Kern des grammatischen Curriculums“ 6 gehören. Allerdings ist eine eindeutige Kategorisierung der Wortarten oftmals problematisch. Für die deutsche Sprache existieren unterschiedliche Wortartensysteme, die sich in Bestimmung und Benennung der Wortarten stark voneinander unterscheiden. Im Folgenden wird dargestellt, nach welchen Kriterien die 1 Vgl. Peter Eisenberg, Grundriß der deutschen Grammatik. Band 1: Das Wort, Stuttgart 2004, S. 34. 2 Peter Eisenberg, Angelika Linke, Wörter, in: Praxis Deutsch 139 (1996), S. 20-30, hier: S. 20. 3 Vgl. Eisenberg (2004), S. 34. 4 Wolfgang Menzel, Wortarten. Ein Basisartikel, in: Praxis Deutsch 77 (1986), S. 12-18, hier: S. 16. 5 Vgl. ebd. 6 Angelika Steets, Lernbereich Sprache in der Sekundarstufe I, in: Michael Kämper-van den Boogaart (Hrsg.), Deutsch-Didaktik. Leitfaden für die Sekundarstufe I und II, Berlin 2008, S. 216-237, hier: S. 225. 1

20Wortarten2.docx · Web viewEin Handbuch für den Ausländerunterricht, Leipzig 1993, S. 19. Helbig und Buscha plädieren dafür, syntaktische Kriterien bei einer Wortartenklassifizierung

  • Upload
    others

  • View
    5

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: 20Wortarten2.docx · Web viewEin Handbuch für den Ausländerunterricht, Leipzig 1993, S. 19. Helbig und Buscha plädieren dafür, syntaktische Kriterien bei einer Wortartenklassifizierung

1. Einleitung Im Durchschnitt verstehen Sprecher des Deutschen zirka 50.000 Wörter.1 Dabei

ist jedes einzelne von ihnen einer der „grundlegenden Bausteine der Sprache“2,

da Wörter eine wiedererkennbare Form aufweisen und eine bestimmte Bedeu-

tung tragen. Um die riesige Anzahl der Wörter des Deutschen überschaubar zu

machen, das Grimmsche Wörterbuch umfasst mehr als 400.000 Einträge,3 ord-

nen Sprachwissenschaftler Wörter in Wortarten. Eine übersichtliche Gliederung

des Wortbestandes in Wortarten des Deutschen ist unter anderem nötig, um über

Wörter zu reden. Wortarten gehören „zum Repertoire des begrifflichen Hand-

werkszeugs“4 des Grammatikunterrichts in der Schule. Das Gliederungskonzept

Wortarten kann für Schüler eine Hilfe darstellen, um Regelungen der Orthogra-

phie zu erlernen oder stilistische Besonderheiten in Texten zu analysieren.5 Dies

sind Gründe dafür, weshalb Wortarten zum „Kern des grammatischen Curricu-

lums“6 gehören.

Allerdings ist eine eindeutige Kategorisierung der Wortarten oftmals problema-

tisch. Für die deutsche Sprache existieren unterschiedliche Wortartensysteme,

die sich in Bestimmung und Benennung der Wortarten stark voneinander unter-

scheiden. Im Folgenden wird dargestellt, nach welchen Kriterien die Worte des

Deutschen klassifizierbar sind (Kapitel 2). Daraufhin werden verschiedene Wort-

artensysteme analysiert (Kapitel 3) und Unterschiede sowie Gemeinsamkeiten

zwischen den Wortartensystemen herausgearbeitet. Die Vorgehensweisen der

Sprachwissenschaftler werden kritisch durchleuchtet, um Stärken und

Schwächen der Klassifizierungsstrategien offenzulegen. Dabei stehen folgende

Leitfragen zur Diskussion: Was sind Gründe dafür, dass es unterschiedliche

Wortartensysteme gibt? Welche Paradigma der Wortartenklassifizierung lassen

sich unterscheiden? Welche Argumentationslinien nutzen Sprachwissenschaftler,

um ihre Klassifizierungskonzepte, die erheblich von anderen Wortartensystemen

abweichen können, zu rechtfertigen?

In dieser Arbeit wird folgende These diskutiert: Die in den Bildungsstandards

Deutsch formulierten Lernziele für eine schulische Thematisierung der Wortarten 1 Vgl. Peter Eisenberg, Grundriß der deutschen Grammatik. Band 1: Das Wort, Stuttgart 2004, S. 34.2 Peter Eisenberg, Angelika Linke, Wörter, in: Praxis Deutsch 139 (1996), S. 20-30, hier: S. 20.3 Vgl. Eisenberg (2004), S. 34.4 Wolfgang Menzel, Wortarten. Ein Basisartikel, in: Praxis Deutsch 77 (1986), S. 12-18, hier: S. 16.5 Vgl. ebd.6 Angelika Steets, Lernbereich Sprache in der Sekundarstufe I, in: Michael Kämper-van den Boogaart (Hrsg.), Deutsch-Didaktik. Leitfaden für die Sekundarstufe I und II, Berlin 2008, S. 216-237, hier: S. 225.

1

Page 2: 20Wortarten2.docx · Web viewEin Handbuch für den Ausländerunterricht, Leipzig 1993, S. 19. Helbig und Buscha plädieren dafür, syntaktische Kriterien bei einer Wortartenklassifizierung

verleugnen die Pluralität und Theorienvielfalt der Sprachwissenschaft. Die Folge

davon ist eine normative Wortartenlehre, die eine „terminologisch richtig(e)“7

Wortartenbestimmung vortäuscht.

Abschließend wird ein Unterrichtsmodell für einen systematischen und

handlungsorientierten Umgang mit Wortarten vorgestellt, der die Theorienvielfalt

der Fachwissenschaft akzeptiert und den Fokus auf die sprachwissenschaftlichen

Kategorisierungsprozesse legt (Kapitel 4).

2. Möglichkeiten, Wörter zu klassifizieren Für die deutsche Sprache existieren quantitativ und qualitativ unterschiedlich

ausdifferenzierte Wortartensysteme, die sich auf den ersten Blick vor allem hin-

sichtlich der Anzahl der klassifizierten Wortarten unterscheiden. Johann Chris-

toph Adelung definiert in seiner traditionellen Grammatik „Deutsche Sprachlehre“8

aus dem Jahr 1781 zehn Wortarten, während andere Sprachwissenschaftler zu

davon abweichenden Ergebnissen der Klassifizierung gelangen: Hans Glinz

erkennt in seiner Grammatik lediglich fünf Wortarten an,9 während Wladimir

Admoni deren dreizehn unterscheidet.10 Die stark voneinander abweichenden

Anzahlen der Wortarten in den Grammatiken stellen eine Folge der

unterschiedlich angewandten Kriterien der Wortartklassifizierung und der

unterschiedlichen Klassifizierungstheorien dar.

Für das Deutsche als flektierend-alternierende Sprache sind drei Kriterien maß-

geblich zur Klassifizierung der Wortarten: Wörter können nach morphologischen,

semantischen sowie syntaktischen Merkmalen klassifiziert werden. Entscheidend

für die Anzahl der Wortarten in einem System sind einerseits das der

Klassifizierung zugrunde liegende Paradigma sowie andererseits die Hierarchi-

sierung der Klassifikationskriterien. Eine primär nach morphologischen Merkma-

len durchgeführte Wortartenklassifizierung kommt zu anderen Ergebnissen als

eine Einteilung nach primär semantischen Kriterien oder eine stark heterogene

Klassifizierung, bei der mehrere Kriterien überkreuzt angewendet werden.

7 Ministerium für Schule, Jugend und Kinder des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.), Kernlehrplan für die Realschule in Nordrhein-Westfalen Deutsch, Frechen 2004, S. 39.8 Johann Christoph Adelung, Deutsche Sprachlehre. Zum Gebrauche der Schulen in den Königl. Preuß. Landen. Berlin 1781.9 Vgl. Hans Glinz, Der deutsche Satz. Wortarten und Satzglieder wissenschaftlich gefasst und dichterisch gedeutet, Düsseldorf 1970, S. 35.10 Wladimir Admoni, Der deutsche Sprachbau, München 1982.

2

Page 3: 20Wortarten2.docx · Web viewEin Handbuch für den Ausländerunterricht, Leipzig 1993, S. 19. Helbig und Buscha plädieren dafür, syntaktische Kriterien bei einer Wortartenklassifizierung

Eine Klassifizierung der Wortarten des Deutschen gemäß morphologischer Krite-

rien erscheint zunächst „relativ problemlos“11 durchführbar. Die Flexionsmerk-

male Konjugierbarkeit, Deklinierbarkeit und Komparierbarkeit unterscheiden die

flektierbaren Wortarten eindeutig und zweifelsfrei von den nicht flektierbaren

Wortarten (Partikeln). Der Germanist Hans Glinz nutzt eine solche morphologi-

sche Klassifizierungsstrategie. Er unterscheidet die Wortarten Verben, Substan-

tive und Adjektive von einem Restbestand Partikeln, da die zuletzt genannten

„keine regelmäßig durchführbare Formveränderung“12 aufweisen. Allerdings er-

laubt die Anwendung morphologischer Kriterien keine weitere Ausdifferenzierung

dieser quantitativ großen Restklasse, sodass ein morphologisches Wortarten-

system kein Kategoriennetz darstellt, mit dem alle Wörter der deutschen Sprache

lückenlos klassifiziert werden können.13 Eine alleinige Verwendung des

morphologischen Ansatzes reicht demzufolge nicht aus, um eine vollständige und

differenzierte Wortartencharakteristik aufzustellen.

Wörter können weiterhin semantisch klassifiziert werden. Dies ist auf zwei unter-

schiedlichen Ebenen möglich. Der Sprachwissenschaftler Gerhard Helbig schlägt

vor, die semantischen Kriterien A und B voneinander zu unterscheiden.14

Unter dem semantischen Kriterium A versteht Helbig die vor allem in traditionel-

len deutschen Grammatiken durchgeführte Klassifizierung der Wortarten nach

objektiv bedingten Elementen ihrer lexikalischen Semantik. Demzufolge ergeben

sich die Wortarten gemäß dem semantischen Kriterium A unmittelbar aus der

Sachbedeutung der Wörter: So werden Tätigkeiten als „Tätigkeitswörter“, Dinge

als „Dingwörter“ und Wörter, die Eigenschaften oder Merkmale beschreiben als

„Eigenschaftswörter“ klassifiziert.15

An einer mechanisch-eindeutigen Zuordnung von außersprachlichen Realitäten

und sprachlichen Formen wird kritisiert, dass eine Identität von außers-

prachlichen und sprachlichen Formen nicht existiere.16 In den zwanziger Jahren

des 20. Jahrhunderts wurde darüberhinaus ein weiteres Problem der Wortarten-

klassifizierung gemäß dem semantischen Kriterium A diskutiert. Die Sprachwis-

senschaftler Ernst Otto und Friedrich Slotty machen darauf aufmerksam, dass 11 Gerhard Helbig, Zu einigen Problemen der Wortartklassifizierung im Deutschen, in: Ders. (Hrsg.), Linguistische Studien. Beiträge zur Klassifizierung der Wortarten, Leipzig 1977, S. 90-118, hier: S. 93.12 Glinz, S. 32.13 Gerhard Helbig, Zum Problem der Wortarten, Satzglieder und Formklassen in der deutschen Grammatik. In: Clemens Knobloch, Burkhard Schaeder (Hrsg.), Wortarten. Beiträge zur Geschichte eines grammatischen Problems, Tübingen 1992, S. 333-364, hier: S. 341.14 Vgl. Helbig (1977), S. 94.15 Vgl. Walter Jung, Grammatik der deutschen Sprache, Leipzig 1966, S. 170f.16 Vgl. Helbig (1977), S. 94.

3

Page 4: 20Wortarten2.docx · Web viewEin Handbuch für den Ausländerunterricht, Leipzig 1993, S. 19. Helbig und Buscha plädieren dafür, syntaktische Kriterien bei einer Wortartenklassifizierung

eine mechanisch-eindeutige Zuweisung von außersprachlichen Realitäten und

sprachlichen Formen dann an ihre Grenzen stößt, wenn Wörter inhaltlich gleich-

bedeutend, aber formell unterschiedlich sind. Dieses Phänomen tritt auf, wenn

Wörter durch Flexion in eine andere Wortart wechseln. Otto nennt als Beispiele

die Wortpaare „Gegner“ und „gegnerisch“ sowie „Härte“ und „hart“, welche sich in

ihren lexikalischen Bedeutungen jeweils nicht unterscheiden lassen, obwohl es

sich um eindeutig unterschiedliche Wortarten handelt. Aus diesem Grund hält es

Otto für notwendig, Wortarten als Kategorien zu verstehen, in denen die Umwelt

widergespiegelt erscheint.17

Slotty greift diesen Gedanken Ottos auf, indem er den Wortarten ein „kategoria-

les Meinen“ zuschreibt.18 Auch Slotty kritisiert die mechanische Zuordnung von

Wort und Realität gemäß dem semantischen Kriterium A, da für ihn Wortarten

sprachliche Ausdrücke für Kategorien des Bewusstseins darstellen, in denen der

denkende Mensch Erscheinungen der Umwelt einordnet.19 Wortarten ergeben

sich nicht mehr aus der lexikalischen Sachbedeutung der Wörter, sondern aus

einer abstrahierten kategorialen Bedeutung, welche die lexikalische Bedeutung

überlagere.20 Diese verallgemeinerte Bedeutung bezeichnet Helbig als

semantisches Kriterium B.21 Die abstrahierte kategoriale Bedeutung wird damit

zum wortartprägenden Element. Substantive bezeichnen demnach keine Dinge,

sondern Wörter, die vom menschlichen Denken als Dinge oder Größen

wahrgenommen werden. Damit spiegeln Wörter die Realität kategorial wider.

Unklar an der Theorie des semantischen Kriteriums B bleibt jedoch, ob alle Wor-

tarten des Deutschen diese kategoriale Grundbedeutung aufweisen. Otto defi-

niert in seiner „Widerspiegelungstheorie“22 vier Kategorien der Wirklichkeit

(Gegenstand, Merkmal, Tätigkeit, Relation), denen die vier „fundamentalen Wor-

tarten“ Substantiv, Adjektiv, Verb und „Verhältnis- und die Bindewörter“23

entsprechen. Damit bleibt bei der semantischen Klassifizierung eine große

17 Vgl. Ernst Otto, Die Wortarten., in: Clemens Knobloch, Burkhard Schaeder (Hrsg.), Wortarten. Beiträge zur Geschichte eines grammatischen Problems, Tübingen 1992, S. 197-206, hier: S. 201.18 Friedrich Slotty, Wortart und Wortsinn., in: Clemens Knobloch, Burkhard Schaeder (Hrsg.), Wortarten. Beiträge zur Geschichte eines grammatischen Problems, Tübingen 1992, S. 207-220, hier: S. 207.19 Vgl. ebd., S. 209f.20 Vgl. Karl-Ernst Sommerfeldt, Günter Starke, Einführung in die Grammatik der deutschen Gegenwartssprache, Tübingen 1998, S. 42.21 Helbig (1977), S. 95.22 Vgl. Otto, S. 204f.23 Otto, S. 205.

4

Page 5: 20Wortarten2.docx · Web viewEin Handbuch für den Ausländerunterricht, Leipzig 1993, S. 19. Helbig und Buscha plädieren dafür, syntaktische Kriterien bei einer Wortartenklassifizierung

Restklasse kleinerer Wortarten über, die nicht eindeutig „auf Grund einer

kategorialen Auffassung der Wirklichkeit“24 definiert werden können.

Wörter können zudem nach syntaktischen Merkmalen klassifiziert werden. Diese

lässt sich, ähnlich zur semantischen Klassifizierung, auf zwei Ebenen durchfüh-

ren. Der Sprachwissenschaftler Helbig unterscheidet zwei Verfahren der syntak-

tischen Klassifizierung.

Die Klassifizierung gemäß dem syntaktischen Kriterium A ist bereits in den tradi-

tionellen Wortartenlehren eine Strategie der Wortartenklassifizierung, obwohl sie

dort nicht explizit als Klassifikationstheorie ausgewiesen wird. Johann Christoph

Adelung definiert in seiner Sprachlehre Ende des 18. Jahrhunderts die Konjunk-

tionen nach syntaktischen Kriterien, da diese „das Verhältnis so wohl zwischen

den Gliedern eines Satzes, als auch zwischen ganzen Sätzen“25 bezeichnen.

Entscheidend für diese Wortart sei demnach sowohl die Position („zwischen den

Gliedern“) als auch die Funktion („Verhältnis“ ausdrücken).

In vielen Grammatiken wird mit Substitutionsrahmen gearbeitet, mit denen über-

prüft werden kann, ob Wörter zur gleichen Wortart gehören:26

(1) Der … arbeitet fleißig.

(2) Der Student … fleißig.

Syntaktisch korrekt können in die offene Position (1) lediglich Substantive, in die

Position (2) nur Verben eingesetzt werden. Neben der Position der Wörter kann

darüberhinaus die „Art der Kombination“27 bei der syntaktischen Klassifizierung

berücksichtigt werden. Dabei wird untersucht, ob sich Wörter nach dem Auftreten

in spezifischen Satzfeldern, Umgebungen oder Gruppen klassifizieren lassen.

Eine weitere Methode des syntaktischen Kriteriums A besteht darin, festzustellen,

inwiefern Wörter satzgliedfähig sind und dadurch zu bestimmten Wortarten zu-

sammengefasst werden können. So bilden finite Verben Prädikate, Substantive

sind entweder Subjekt oder Objekt eines Satzes und Adjektive treten als Attribute

auf.

Allerdings weist eine syntaktische Klassifizierung mithilfe von Substitutionsrah-

men einen Nachteil auf, da diese Methode nicht universell angewandt werden

kann. Die Satzgliedstellung im Deutschen folgt im Vergleich zu anderen Spra-

chen keiner strikten Regelung, da deutsche Sätze eine relativ freie Wortstellung

aufweisen. Demzufolge müssen syntaktische Klassifizierungskriterien der

jeweiligen Sprache angepasst werden. Eine Übernahme konkreter Substitutions-

24 Ebd.25 Adelung, S. 108.26 Vgl. Charles Carpenter Fries, The Structure of English, London 1963, S. 74.27 Johannes Erben, Deutsche Grammatik. Ein Leitfaden, Frankfurt am Main 1968, S. 39.

5

Page 6: 20Wortarten2.docx · Web viewEin Handbuch für den Ausländerunterricht, Leipzig 1993, S. 19. Helbig und Buscha plädieren dafür, syntaktische Kriterien bei einer Wortartenklassifizierung

rahmen in eine andere Sprache, um Wortarten sprachenübergreifend klassifizie-

ren zu können, ist selten möglich. Somit können Kenntnisse über die Grammatik

des Deutschen im Bereich syntaktischer Wortartenklassifizierung nicht dazu

beitragen, das Erlernen von Fremdsprachen zu erleichtern – obwohl dies ein in

der Fachdidaktik viel diskutiertes Argument für eine systematische

Sprachbetrachtung ist.28

Weiterhin problematisch ist, dass mithilfe der Substitutionsrahmen nicht in allen

Fällen Unterschiede zwischen Wortarten erfasst werden können. Besonders die

Unterscheidung zwischen Adjektiv und Adverb ist problematisch:

(3) Der Student ist fleißig.

(4) Der Student isst fleißig.29

Sowohl Position als auch Umgebung des hervorgehobenen Lexems sind iden-

tisch. Eine Unterscheidung zwischen dem Adjektiv in Satz (3) und dem Adverb in

Satz (4) ist demzufolge mit dem Verfahren des syntaktischen Kriteriums A nicht

durchführbar.

Allerdings ist es möglich, durch Berücksichtigung der syntaktischen Tiefenstruk-

tur mithilfe Chomskys Theorie der generativen Grammatik einen Unterschied

zwischen den hervorgehobenen Lexemen zu analysieren. Dazu werden die

oberflächensyntaktisch identisch aufgebauten Sätze (3) und (4) zu einfachen

Kernsätzen transformiert. Dadurch wird verständlich, dass in Satz (3) der Student

fleißig ist (arbeitet), während in Satz (4) das Essen des Studenten (verstanden

als Vorgang) fleißig geschieht.30 Eine solche tiefenstrukturelle Transformation

verdeutlicht die hinter einer linearen Redekette verborgenen unterschiedlichen

Beziehungen und ermöglicht es, zwischen Adjektiven und Adverbien syntaktisch

zu differenzieren.31 Dieses Verfahren bezeichnet Helbig als „syntaktisches Krite-

rium B“.32

3. Wortartensysteme a. Die traditionelle Wortartenklassifizierung am Beispiel von Jo-

hann Christoph Adelungs „Deutscher Sprachlehre“

28 Vgl. Steets, S. 220.29 Vgl. Helbig (1977), S. 98.30 Vgl. ebd.31 Vgl. Sommerfeldt, Starke, S. 43.32 Helbig (1977), S. 97.

6

Page 7: 20Wortarten2.docx · Web viewEin Handbuch für den Ausländerunterricht, Leipzig 1993, S. 19. Helbig und Buscha plädieren dafür, syntaktische Kriterien bei einer Wortartenklassifizierung

Von grundsätzlicher Bedeutung für die Theorie moderner Wortartensysteme ist

noch immer das traditionelle Wortartensystem. Dieses wird von Sprachwissen-

schaftlern oftmals als Ausgangspunkt für eine kritische Diskussion der Wortar-

tenlehre genutzt, um eine nötige Revision oder eine mögliche Reform des tradi-

tionellen Systems anzuregen. Das traditionelle System der deutschen Wortarten

basiert auf der bereits im Hellenismus entwickelten Lehre der acht Wortarten, die

lange Zeit in Europa paradigmatisch war.33 Die antiken griechischen Gelehrten

unterschieden unter Berücksichtigung logisch-kategorialer Funktionen sowie

morphologischer Kriterien acht Teile der Rede: Nomen, Verben, Partizipien, Arti-

kel, Pronomen, Präpositionen, Adverbien, Konjunktionen.

Diese antike Theorie wurde von deutschen Grammatikern auf die deutsche Spra-

che übertragen. Dies geschah unter der Prämisse, den Beweis für eine kompli-

ziert-anspruchsvolle Grammatik der relativ jungen Volkssprache Deutsch liefern

zu wollen. Allerdings musste die hellenistische Theorie an vielen Stellen an die

Eigenarten des Deutschen angepasst werden. So verweist Johann Christoph

Adelung auf die antike Wortart Partizip, welche für eine deutsche Wortartenklas-

sifizierung überflüssig sei, da die deutschen Adjektive und Adverbien dessen

Funktion übernähmen.34 Damit emanzipiert sich Adelung von der

paradigmatischen Wortartenlehre der Hellenisten und legitimiert seine

Klassifizierung.

Adelung beachtet für seine Klassifizierung nach eigenen Angaben primär mor-

phologische und semantische Kriterien, da er die Wörter nach „ihrer Form, oder

der Art des Begriffes“35 gliedert. Doch auch syntaktische Klassifikationskriterien

werden vom Autor herangezogen, da Wörter Vorstellungen in einem Satz aus-

drücken und daher „Redetheile“36 darstellen, wie der Autor feststellt. Das Resultat

ist eine stark heterogene Wortartenklassifizierung, in der die Prinzipien der Klas-

sifizierung überkreuzt angewandt sind.

Nach semantischen Kriterien grenzt Adelung das Substantiv von allen anderen

Wortarten ab, da es als „Substanz“37 der Rede die einzige selbständige Wortart

sei.38 Substantive bezeichnen nach Adelung „ein einzelnes Ding (…) oder Arten,

33 Vgl. Wilhelm Schmidt, Die deutschen Wortarten aus der Sicht der funktionalen Grammatik betrachtet, in: Clemens Knobloch, Burkhard Schaeder (Hrsg.), Wortarten. Beiträge zur Geschichte eines grammatischen Problems, Tübingen 1992, S. 295-314, hier: S. 304.34 Vgl. Adelung, S. 89.35 Adelung, S. 83.36 Ebd., S. 84.37 Ebd.38 Vgl. Adelung, S. 84f.

7

Page 8: 20Wortarten2.docx · Web viewEin Handbuch für den Ausländerunterricht, Leipzig 1993, S. 19. Helbig und Buscha plädieren dafür, syntaktische Kriterien bei einer Wortartenklassifizierung

Gattungen und Klassen von Dingen“39, wodurch eine eindeutige Zuordnung von

außersprachlicher Realität und sprachlicher Form definiert wird (semantisches

Kriterium A). Da die Substantive als einzige Wortart selbständig gedachte Dinge

bezeichnen, seien sie semantisch von allen anderen Wortarten grundverschie-

den.40 So fasst Adelung die Adverbien, Präpositionen, Konjunktionen, Verben,

Adjektive, Artikel, Pronomen und Numerale antithetisch zum „Hauptwort“41 Subs-

tantiv als Klasse der unselbständigen Wortarten zusammen.42 Dies begründet

Adelung auch syntaktisch, da er davon ausgeht, die unselbständigen Wortarten

seien dazu bestimmt, die Handlungen des Substantivs zu benennen, zu konkreti-

sieren und in Beziehung zu anderen Dingen oder Vorgängen zu setzen.

Lediglich nach semantischen Kriterien fassbar ist die von Adelung klassifizierte

Wortart der Numerale, welche einen zahlenmäßigen Umfang zeigen.43 Diese

Zahlwörter definiert Adelung als „allgemeine Wörter der Menge und Vielheit“44,

welche weder über eine verbindende syntaktische Funktion, noch über

gemeinsame morphologische Merkmale verfügen.

Darüberhinaus definiert Adelung auch Adjektive und Verben nach dem semanti-

schen Kriterium A, indem er postuliert, Adjektive bezeichneten Eigenschaften,

Verben hingegen seien Zeitwörter, welche Tätigkeiten ausdrückten. Weiterhin

werden die Adverbien nach dem semantischen Kriterium A klassifiziert, da sie als

„Beschaffenheitswörter“45 Temporales, Lokales, Modales und Kausales näher

bestimmen.46

Doch Adelung beachtet darüberhinaus auch syntaktische Kriterien, um Wörter in

Wortarten zusammenzufassen: Die Konjunktionen werden von Adelung als rein

syntaktisch klassifizierbare Wortart aufgefasst, da sie Verhältnisse zwischen

Satzgliedern und Sätzen ausdrückten.47 Auch die als eigenständige Wortart

klassifizierten Artikel haben nach Adelung eine syntaktische Funktion, indem sie

Substantive nicht nur begleiten, sondern den syntaktischen Bezug des Prädikats

verdeutlichen.48 So stelle der Artikel bestimmte Anforderungen an den Kasus des

folgenden Substantivs. Darüberhinaus misst Adelung auch den bereits seman-

39 Ebd., S. 86.40 Vgl. ebd., S. 84.41 Ebd.42 Vgl. ebd., S. 85.43 Vgl. ebd., S. 194.44 Ebd..45 Ebd., S. 85.46 Vgl. ebd., S. 322ff.47 Vgl. ebd., S. 88.48 Vgl. ebd., S. 86.

8

Page 9: 20Wortarten2.docx · Web viewEin Handbuch für den Ausländerunterricht, Leipzig 1993, S. 19. Helbig und Buscha plädieren dafür, syntaktische Kriterien bei einer Wortartenklassifizierung

tisch klassifizierten Verben syntaktische Funktionen bei, da diese in finiter Form

das Prädikat eines Satzes bilden.

Abschließend teilt Adelung die bereits nach semantischen und syntaktischen

Kriterien klassifizierten Wortarten auch nach ihrer Flektierbarkeit in zwei Gruppen

ein: die beugbaren Wörter und die nicht veränderlichen Partikeln.49 Allerdings

versäumt es der Autor, seine Wortartenklassifizierung systematisch zu ordnen

und zu hierarchisieren. Dadurch wirkt seine Klassifizierung unpräzise, die einzel-

nen Klassifikationskriterien sind überkreuzt und unsystematisch angewandt. Der

Sprachwissenschaftler Ludwig Sütterlin kritisiert diese Inkonsequenz der Klassifi-

zierung Adelungs, der eine objektive Klassifizierungstheorie fehle.50 Sütterlin for-

dert stark normativ, es dürfe lediglich ein Klassifizierungskriterium angewandt

werden, sei das Ziel eine wissenschaftlich-objektive Wortartencharakteristik.51

Dieser umfassende Angriff Sütterlins auf eine heterogene Wortartenklassifikation

im Allgemeinen und die traditionelle Wortartenlehre im Speziellen initiierte einen

sprachwissenschaftlichen Diskurs um Wissenschaftlichkeit und Objektivität der

Wortartenlehre. Die weiteren vorgestellten Beiträge zur Klassifizierung der Wor-

tarten des Deutschen stellen Reaktionen auf Sütterlins fundamentalen Angriff auf

heterogene Klassifizierungen dar.

b. Ein homogener Klassifizierungsversuch: Walter Flämigs Algorithmus der Wörter

Analog zu Sütterlin kritisiert auch Walter Flämig heterogene Wortartenklassifizie-

rungen mit stark überkreuzenden Einteilungskriterien, und bemängelt an der tra-

ditionellen Wortartentheorie fehlende Einheitlichkeit in der Theorie.52 Deswegen

schlägt Flämig vor, Wörter systematisch nach grammatischen Klassifizie-

rungskriterien zu ordnen.53

Flämig sortiert Wörter primär nach Merkmalen der inneren Struktur. Eine solche

morphologische Klassifizierung erscheint ihm angemessen, da es im Deutschen

bestimmte Klassen von Flexionsmorphemen gebe, welche die Semantik und

49 Vgl. Adelung, S. 89.50 Vgl. Ludwig Sütterlin, Die Deutsche Sprache der Gegenwart (Ihre Laute, Wörter, Wortformen und Sätze). Ein Handbuch für Lehrer und Studierende, Leipzig 1918, S. 97.51 Vgl. ebd.52 Vgl. Walter Flämig, Grammatik des Deutschen. Eine Einführung in Struktur- und Wirkungszusammenhängen, Berlin 1991, S. 356.53 Vgl. ebd.

9

Page 10: 20Wortarten2.docx · Web viewEin Handbuch für den Ausländerunterricht, Leipzig 1993, S. 19. Helbig und Buscha plädieren dafür, syntaktische Kriterien bei einer Wortartenklassifizierung

Satzfunktion der Wörter beeinflussen.54 Flämig versucht zwar, eine streng homo-

gene Klassifizierung zu entwerfen, stößt allerdings auf das kategorische Problem

einer homogen morphologisch durchgeführten Einteilung der Wörter, welches

bereits diskutiert wurde (siehe Kapitel 2): Neben den nach Konjugation, Deklina-

tion und Komparation deutlich trennbaren Wortarten Verb, Substantiv, Adjektiv

bleibt eine große undifferenzierbare Restklasse übrig. Als Ausweg nutzt Flämig

an dieser Stelle syntaktische Klassifikationskriterien, indem er die nicht flektierba-

ren Wortarten nach Satzwert, Satzgliedwert und Kasusforderung differenziert

(syntaktisches Kriterium A).

Das Resultat ist eine prinzipiell einheitliche Klassifizierung nach grammatischen

Kriterien, die eine interne Ordnung und Hierarchie aufweist. Die syntaktischen

Klassifikationskriterien werden von Flämig erst dann beachtet, wenn morphologi-

sche Kriterien keine weitere Unterscheidung zulassen. Bei dieser Klassifizierung

spielen semantische Kriterien keine Rolle und werden von Flämig ausgeschlos-

sen, obwohl der Autor eingesteht, dass den einzelnen, grammatisch klassifizier-

ten Wortarten durchaus semantische Bedeutung beizumessen sei.55 Flämigs

Modell stellt eine „form- statt sachbezogene Klassifizierung“56 dar, die sich im

Gegensatz zu Adelungs Wortartensystem durch eine stark strukturierte und

systematisierte Theorie auszeichnet. Flämigs Modell kann in folgendem Al-

gorithmus dargestellt werden:57

Dieser Skizze können die von Flämig klassifizierten Wortarten des Deutschen

schnell entnommen werden: Verb, Substantiv, Adjektiv, Pronomen, Modalwort,

Adverb, Partikel, Präposition, Konjunktion. Im Gegensatz zu Adelung ordnet Flä-

54 Vgl. Flämig, S. 356.55 Vgl. ebd., S. 357, S. 359.56 Helbig (1977), S. 105.57 Flämig, S. 358.

10

Page 11: 20Wortarten2.docx · Web viewEin Handbuch für den Ausländerunterricht, Leipzig 1993, S. 19. Helbig und Buscha plädieren dafür, syntaktische Kriterien bei einer Wortartenklassifizierung

mig die Artikel wegen syntaktischer Ähnlichkeit der Gruppe der Pronomen zu. Die

Numerale können nach Flämigs Modell ebenfalls nicht mehr als eigenständige

Wortart aufgefasst werden, da sie keine morphologische Einheit bilden und als

Substantive, Adjektive oder Adverbien auftreten können.

Neu ist in Flämigs Modell die Klasse der Modalwörter, welche angeben, wie ein

Sprecher einen Sachverhalt einschätzt. Diese Gruppe ist nach Flämig syntaktisch

zu fassen, da Worte wie „vielleicht“ oder „wahrscheinlich“ als Antworten auf Ent-

scheidungsfragen satzfähig seien. Wörter, die weder satzfähig, noch satzgliedfä-

hig und auch nicht Fügewort sein können, fasst Flämig als Partikeln auf. Diese

Wörter können weder einen Ein-Wort-Satz bilden, noch verfügen sie über die

Funktion, syntaktische Verknüpfungen herzustellen. Die einzige syntaktische

Funktion dieser Wörter bestehe darin, einzelne Teile einer Äußerung zu

modifizieren, indem sie bestätigend, hervorhebend, gegenüberstellend oder

beschwichtigend gebraucht werden können.58 Allerdings kann Flämig nicht

überzeugend darlegen, inwiefern solche semantischen Modifikationen

syntaktische Funktionen erfüllen.

Die Stärke Flämigs Modell besteht in der Systematik und Eindeutigkeit der Theo-

rie. Die klare Hierarchisierung der Klassifizierungskriterien (morphologisch vor

syntaktisch) wirkt überzeugend, da der Autor die Wörter des Deutschen struktu-

riert und nachvollziehbar ordnet. Allerdings hat das System auch deutliche

Schwächen. Adjektive, die nicht komparierbar oder deklinierbar sind „(rosa“,

„futsch“, „quitt“) lassen sich mit Flämigs Modell nicht als solche einordnen. Zu-

dem gibt es in der deutschen Sprache Wörter, die von anderen Wortartensyste-

men überzeugend als Pronomen klassifiziert wurden, obwohl sie artikelfähig sind

(„der eine – der andere“; „die übrigen“).59 Flämig hingegen klassifiziert diese

Wörter als Substantive, obwohl des nur dann überzeugend möglich ist, wenn sich

diese Wörter auf bereits geäußerte Substantive beziehen und diese als

Stellvertreter ersetzen.

58 Vgl. Flämig, S. 550.59 Vgl. Sommerfeldt, Starke, S. 48.

11

Page 12: 20Wortarten2.docx · Web viewEin Handbuch für den Ausländerunterricht, Leipzig 1993, S. 19. Helbig und Buscha plädieren dafür, syntaktische Kriterien bei einer Wortartenklassifizierung

c. Reformversuche der heterogenen Wortartenklassifizierung durch Wladimir Admoni

Auch Wladimir Admoni reagiert auf Sütterlins Kritik am traditionellen Wortarten-

system – allerdings mit anderen Argumenten und einer anderen Intention als

Flämig. Für Admoni stellt die Wortartenklassifizierung die „schwierigste Aufgabe

der Sprachwissenschaft“60 dar, da der „charakteristische Aspektreichtum“61 der

Sprache beim Wort besonders deutlich sei. Da Wörter „eine zu komplizierte und

vielseitige grammatische Einheit“62 darstellten, verteidigt Admoni das traditionelle

System vor Sütterlins platonischem Angriff: Eine homogene Wortarteneinteilung

verleugne die Komplexität der Wörter und führe zu „allgemeiner Unsicherheit.“63

So plädiert Admoni dafür, die Komplexität und Widersprüchlichkeit der Wörter zu

akzeptieren. Da eine heterogene Wortarteneinteilung somit „dem Wesen des

Untersuchungsobjekts folgt“64, sei diese einer homogenen Klassifizierung metho-

disch überlegen und damit wissenschaftlich und objektiv. Dies sei der Grund da-

für, dass Adelungs unsystematische und nach überkreuzten Klassifizierungsprin-

zipien erfolgte Wortartenlehre eben „kein Notbehelf“65 darstelle. Dennoch erach-

tet es Admoni für notwendig, Adelungs System zu reformieren und auszubauen,

da er davon ausgeht, dass die Komplexitätsprobleme der Wörter eine neue

Gruppierung und Hierarchie der Klassifizierungskriterien erfordern.66 Admoni

erhebt den Anspruch, ein systematisches Theoriennetz aufzustellen, nach der

die Wörter eindeutig klassifiziert werden können. So seien drei Kriterien, von

denen keines eine dominierende Stellung einnehmen dürfe,67 entscheidend für

jede Wortart: die verallgemeinerte, abstrahierte Bedeutung, die morphologische

Struktur, sowie die syntaktische Funktion.68 Aus dieser Theorie entsteht eine

Lehre der dreizehn Wortarten Admonis: Zu den zehn bekannten (und ähnlich

klassifizierten) Wortarten des traditionellen System Adelungs ergänzt Admoni die

Negation, Modalwörter und Partikeln.

Unter dem Etikett Negation klassifiziert Admoni Wörter, die analog zu Adelungs

Wortart Numeralia weder über eine einheitliche morphologische Struktur verfü-

gen, noch in ihrer syntaktischer Funktion eine Einheit darstellen. Allerdings wei-

sen die von Admoni als Negation klassifizierten Wörter ein verbindendes Ele-

60 Admoni, S. 63.61 Ebd.62 Ebd.63 Ebd.64 Ebd.65 Ebd.66 Ebd., S. 64.67 Ebd., S. 65.68 Ebd..

12

Page 13: 20Wortarten2.docx · Web viewEin Handbuch für den Ausländerunterricht, Leipzig 1993, S. 19. Helbig und Buscha plädieren dafür, syntaktische Kriterien bei einer Wortartenklassifizierung

ment in ihrer abstrahierten Semantik auf: es handelt sich um Wörter der Vernei-

nung. Zwar versucht Admoni diese lediglich nach dem semantischen Kriterium B

definierbare Gruppe zudem mit grammatischen Kriterien zu erfassen. Eine

Rückführung auf das angeblich alle Negationen beinhaltende Grundmorphem –n

wirkt jedoch wenig überzeugend,69 da ein solches keinerlei Bedeutung trägt.

Darüberhinaus widersprechen die Negationen „kein“ und „keineswegs“ dieser

Argumentation.

In der Gruppe der Modalwörter fasst Admoni solche Wörter zusammen, die we-

gen ihrer morphologischen Gestalt im traditionellen System als Adverbien gelten.

Admoni stellt jedoch fest, dass Modalwörter semantisch als eigenständige

Gruppe klassifiziert werden können und unterscheidet sie von den Adverbien.

Admoni argumentiert, die Modalwörter seien, im Gegensatz zur logischen Wortart

Adverbien, eine Gruppe von Wörtern, die eine „kommunikativ-grammatische Ka-

tegorie“70 auszeichne und eine „Einschätzung des Inhalts (…) von seiten des

Sprechenden“71 erkennen ließe.

Auch die von Admoni als Partikeln klassifizierten Wörter sind in traditionellen

Systemen der Gruppe der Adverbien zugeordnet. Admoni hält es dennoch für

sinnvoll, sie als eigenständige Gruppe aufzufassen, da sie „oft stark emotional“72

wirkten und dazu beitrügen, „die Wirklichkeit der Äußerung (…) zu betonen oder

irgendwie zu modifizieren.“73

Admonis Wortartensystem unterscheidet sich lediglich in Detailfragen vom tradi-

tionellen System Adelungs. Dies ist kaum verwunderlich, da es Admonis Prä-

misse darstellt, das seiner Meinung nach gelungene traditionelle System weiter-

zuentwickeln. Allerdings überbetont Admoni das Kriterium der verallgemeinerten

abstrahierten Bedeutung (semantisches Kriterium B), sodass grammatische Kri-

terien von Admoni lediglich ergänzend herangezogen werden, um seine seman-

tischen Hypothesen zu untermauern. Dadurch entsteht im Gegensatz zu Flämig

eine sehr stark sachbezogene Wortartenklassifizierung. Entgegen seiner eigenen

theoretischen Vorüberlegungen räumt Admoni damit dem semantischen Krite-

rium B eine dominierende Stellung bei der Wortartenklassifizierung ein. Aus

diesem Grund kann auch Admoni eine Inkonsequenz der Klassifizierungstheorie

vorgeworfen werden.

d. Betonung der Syntax: Gerhard Helbig und Joachim Buscha

69 Vgl. Admoni, S. 66.70 Ebd., S. 207.71 Ebd.72 Ebd., S. 209.73 Ebd.

13

Page 14: 20Wortarten2.docx · Web viewEin Handbuch für den Ausländerunterricht, Leipzig 1993, S. 19. Helbig und Buscha plädieren dafür, syntaktische Kriterien bei einer Wortartenklassifizierung

Die Sprachwissenschaftler Gerhard Helbig und Joachim Buscha distanzieren

sich in ihrer Deutschen Grammatik von der Diskussion um die Wissenschaftlich-

keit und Objektivität einer heterogenen Wortartenklassifizierung. Vielmehr stellen

die Autoren praktische Probleme der Wortartensysteme in den Vordergrund, in-

dem sie betonen, dass die Wörter der deutschen Sprache weder umfassend

nach dem Kriterium der Formveränderlichkeit klassifiziert werden können, noch

dass alle Wörter des Deutschen einen direkten Wirklichkeitsbezug aufweisen.74

Helbig und Buscha plädieren dafür, syntaktische Kriterien bei einer Wortarten-

klassifizierung stärker zu fokussieren, da jene in den oben diskutierten Theorien

lediglich als Hilfsmittel herangezogen werden, um eine bereits nach semanti-

schen oder morphologischen Kriterien durchgeführte Klassifizierung syntaktisch

zu untermauern.

Die Autoren argumentieren, der Vorteil einer primär syntaktischen Wortartenklas-

sifikation bestünde darin, alle Wörter der deutschen Sprache umfassend und

homogen ordnen zu können. Helbig und Buscha gehen von der Prämisse aus,

„die Sprache als Funktionsmittel“75 könne nur deshalb funktionieren, da alle

Wortarten über eine syntaktische Funktion verfügen. Allerdings wirkt diese

theoretische Vorüberlegung zugunsten einer primär syntaktischen

Wortartenklassifizierung wenig überzeugend, da die Übermittlung von

Informationen in seltenen Fällen auch ohne Beachtung syntaktischer Korrektheit

funktioniert. Primitive Ausdrücke wie „Hunger“, „Feuer“ oder „heiß“ können, ohne

dass die einzelnen Wörter direkte syntaktische Funktionen erfüllen, von Hörern

angemessen gedeutet werden.

Helbig und Buscha stützen ihre Wortartentheorie auf den britischen Linguisten

Charles Fries, der für die englische Sprache so genannte „form classes“ definiert.

Mithilfe von Substitutionsrahmen ermittelt Fries vier Formklassen und weitere 15

„Funktionsklassen“ des Englischen.76 Letztere seien zwar morphologisch nicht

ausdifferenzierbar, weisen laut Fries allerdings jeweils eigenständige Funktionen

im Satzgefüge auf.77

Helbig und Buscha verwenden Fries‘ Theorie als Grundlage für ihr syntaktisches

Wortartensystem. Auch sie nutzen zur Klassifizierung der Wortarten Substituti-

onsrahmen (syntaktisches Kriterium A):

(5) Der … liest ein dickes Buch.

74 Vgl. Joachim Buscha, Gerhard Helbig, Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht, Leipzig 1993, S. 19.75 Ebd.76 Vgl. Fries, S. 67ff. 77 Vgl. ebd.

14

Page 15: 20Wortarten2.docx · Web viewEin Handbuch für den Ausländerunterricht, Leipzig 1993, S. 19. Helbig und Buscha plädieren dafür, syntaktische Kriterien bei einer Wortartenklassifizierung

(6) Der Junge … ein dickes Buch.

(7) Er liest ein … Buch.

(8) Das Buch ist ….

Als Maßstab für die Substitution gilt, ob jeweils ein grammatisch korrekter Satz

entsteht, welcher semantisch sinnlos erscheinen kann.78 Demnach können alle

Wörter, die in Satz (5) eingesetzt werden können, der gleichen Wortklasse

(Substantive) zugewiesen werden. Für die Sätze (6), (7) sowie (8) gilt dies de-

mentsprechend für Verben, Adjektive und Adverbien.

Aufgrund der Betonung des syntaktischen Kriteriums unterscheidet sich das

Wortartensystem von Helbig und Buscha stark von traditionellen Grammatiken.

Im Gegensatz zum traditionellen System fehlen bei Helbig und Buscha die Nu-

meralien als Wortart. Weiterhin sind Pronomen und Interjektionen keine eigens-

tändigen Wortarten, sondern den Funktionsklassen untergeordnet. Neben den

„vier hauptsächlichen Wortklassen (Verb, Substantiv, Adjektiv, Adverb)“79 umfasst

das System von Helbig und Buscha weiterhin vier Formklassen: Artikelwörter,

Partikeln, Modalwörter und Satzäquivalente. Die zuletzt genannten Satz-

äquivalente bezeichnen Wörter, die nicht Teile eines Satzes sind, „sondern selbst

Sätze darstellen.“80 Dazu gehören die Interjektionen als Gefühlsausdrücke

(„Hurra!“ „Aua!“ „Pfui!“), Antworten auf Entscheidungsfragen („Ja.“ „Nein.“) sowie

die Höflichkeitsformeln („Danke.“ „Bitte.“).81

Die Artikelwörter umfassen bei Helbig und Buscha sowohl die bestimmten und

unbestimmten Artikel, als auch die adjektivistischen Demonstrativ-, Interogativ-,

Possessiv- und Indefinitpronomen. Dies begründen die Autoren syntaktisch und

morphologisch: Die Merkmale Position im Satz (Artikelwörter stehen immer vor

Substantiven), fehlende Kombinierbarkeit untereinander sowie die Möglichkeit

zur Konjugation erweitern die traditionellen Artikel um viele Wörter, die von

Adelung als Pronomen aufgefasst werden. Allerdings fassen Helbig und Buscha

die Relativpronomen nicht als Artikelwörter auf, da jene als Stellvertreter zur

Klasse der Substantive gehören. Auch dies rechtfertigen die Autoren

nachvollziehbar und anschaulich mit Substitutionsrahmen:

(9) Er mag Petra.

(10) Er mag sie.

(11) * Er mag der.

(12) * Er mag dessen.

78 Vgl. Buscha, Helbig, S. 20.79 Ebd., S. 21.80 Ebd., S. 529.81 Vgl. ebd., S. 531f.

15

Page 16: 20Wortarten2.docx · Web viewEin Handbuch für den Ausländerunterricht, Leipzig 1993, S. 19. Helbig und Buscha plädieren dafür, syntaktische Kriterien bei einer Wortartenklassifizierung

Als Partikeln definieren Helbig und Buscha eine geschlossene Gruppe von zirka

40 Wörtern, welche weder deklinierbar, noch konjugierbar oder komparierbar

seien.82 Die Autoren klassifizieren sie nach drei hierarchisch gegliederten

Kriterien. Erstens: im Unterschied zu Adverbien, Modalwörtern, Interjektionen

oder Satzäquivalenten sind Partikeln keine selbständigen Satzglieder, sondern

nur Teile von diesen. Zweitens: Partikeln sind, bezogen auf das topologische

Feldermodell des Satzes, nicht erststellenfähig und müssen gemeinsam mit

einem Bezugswort verschoben werden. Drittens: da die Partikeln nicht

satzgliedfähig sind, können sie keine Antworten auf Fragesätze sein.83

Diese syntaktische Klassifizierung erscheint zunächst deutlich komplexer und

komplizierter als Admonis Klassifizierung der Partikeln (siehe Kapitel 3c).

Allerdings überzeugt die Argumentation bei Helbig und Buscha im Gegensatz zur

semantisch begründeten Klassifizierung Admonis bezüglich ihrer Eindeutigkeit.

Partikeln wie „halt“, „mal“ oder „ja“ weisen keine semantische Bedeutung auf,

auch eine abstrahierte kategoriale Bedeutung lässt sich nur sehr ungenau und

unbefriedigend formulieren (Anteilnahme eines Sprechers). Demzufolge können

Partikeln mangelhaft semantisch, aber überzeugend syntaktisch klassifiziert

werden.

Für eine Abgrenzung der Modalwörter von den Adverbien nutzen Helbig und

Buscha die Transformationstechnik, da einfache Substitutionsrahmen eine

eindeutige Trennung der beiden Wortarten nicht zulassen:

(13a) Er kommt vermutlich.

(14a) Er kommt pünktlich.

Um die beiden Wortarten trennscharf voneinander zu unterscheiden, ist es nötig,

die Funktionen der Wörter „pünktlich“ und „vermutlich“ auf der Tiefenstruktur zu

analysieren (syntaktisches Kriterium B). Dazu werden die oberflächensyntaktisch

identisch aufgebauten Sätze umgestellt:

(13b) Es ist vermutlich so, dass er kommt.

(14b) *Es ist pünktlich so, dass er kommt.

Mithilfe der Transformationstechnik können Modalwörter eindeutig von Adverbien

unterschieden werden. Dieses syntaktische Verfahren hilft allerdings nicht bei der

Erfassung des „Wesen(s) der Modalwörter.“84 Trotz der syntaktischen

Abgrenzung der Modalwörter können Helbig und Buscha diese lediglich

82 Buscha, Helbig, S. 475.83 Vgl. ebd.84 Buscha, Helbig, S. 503.

16

Page 17: 20Wortarten2.docx · Web viewEin Handbuch für den Ausländerunterricht, Leipzig 1993, S. 19. Helbig und Buscha plädieren dafür, syntaktische Kriterien bei einer Wortartenklassifizierung

semantisch definieren als Wörter, die eine Stellungnahme wiedergeben und eine

„subjektiv-modale Einschätzung des Geschehens durch den Sprechenden“

ausdrücken.85 Damit scheitert eine homogen syntaktische Klassifizierung, in

Einzelfällen müssen Helbig und Buscha weitere Klassifikationskriterien

heranziehen.

Weiterhin ist die Transformation als Verfahren der syntaktischen

Wortartenklassifizierung in Einzelfragen ungenau. Der Satz „Er spricht bestimmt

mit ihm.“ lässt sich je nach Lesart unterschiedlich transformieren:

(15) Er ist bestimmt der Fall, dass er mit ihm spricht.

(16) Der Tonfall, in dem er mit ihm spricht, ist bestimmt.

Dies erschwert eine eindeutige Zuordnung von Wörtern zu Wortarten mithilfe der

Transformationstechnik und sorgt für Unsicherheiten in der

Wortartenklassifizierung. Die Folge solcher Unsicherheiten könnte sein, bei der

Wortartenklassifizierung in Streitfragen wieder verstärkt semantische oder

kategoriale Bedeutungen zu fokussieren.

4. Lehre der Wortarten – Ein Kampf der Systeme? Die Analyse der in ihren Theorien unterschiedlich konzipierten Wortartensysteme

verdeutlicht, dass zwei Richtungen der Wortartentheorie voneinander

unterschieden werden können:86

Einerseits kritisieren einige Sprachwissenschaftler die überkreuzt angewandten

Prinzipien heterogener Wortartenklassifizierungen (siehe Flämig, Helbig und

Buscha). Besonders Sütterlins Angriff auf das traditionelle Wortartensystem

entfachte eine fruchtbare Diskussion der Sprachwissenschaftler über die

Wissenschaftlichkeit, Systematik und Objektivität der Wortartenlehre. Ziel von

Sütterlins Polemik war die Inkonsequenz heterogener Systeme, da eine nach

morphologischen, als auch semantischen und syntaktischen Gesichtspunkten

durchgeführte Wortartenklassifizierung ein „Potpourri verschiedenartiger

Bezeichungen“87 der Wortarten zur Folge hätte.

Auf der anderen Seite verteidigten Sprachwissenschaftler heterogene

Wortartensysteme vor Sütterlins Fundamentalkritik. Admoni spricht der

Heranziehung mehrerer Klassifizierungskriterien eine methodische Überlegenheit

85 Ebd., S. 504.86 Vgl. Sommerfeldt, Starke S. 42.87 Menzel (1986), S. 12.

17

Page 18: 20Wortarten2.docx · Web viewEin Handbuch für den Ausländerunterricht, Leipzig 1993, S. 19. Helbig und Buscha plädieren dafür, syntaktische Kriterien bei einer Wortartenklassifizierung

zu, da die Komplexität der Sprache eine heterogene Klassifizierung erfordere.88

Der Linguist Wilhelm Schmidt vertritt gar die These, Wörter könnten nur dann

wissenschaftlich und objektiv zu Wortarten zusammengefasst werden, wenn eine

Klassifizierung nach möglichst vielen Kriterien bewiesen werden könne.89

Daraus ergibt sich, dass die Einteilung der Wörter des Deutschen nach den oben

bereits definierten Klassifizierungskriterien (morphologisch, semantisch,

syntaktisch) auf zwei Ebenen erfolgen kann: entweder homogen oder heterogen.

In den Bildungsstandards des Schulfaches Deutsch ist als verbindliches Lernziel

der schulischen Thematisierung der Wortartenlehre festgeschrieben, dass

Schüler Wortarten unterscheiden, erkennen und untersuchen sollten.90 Allerdings

kann nach der Analyse der verschiedenen Wortartensysteme das Zwischenfazit

gezogen werden, dass dieses Lernziel nur erreicht werden kann, wenn eine

Didaktik der Wortarten die Pluralität der Wortartensysteme akzeptiert. Mit

Ausnahme der vier Fundamentalwortklassen, die in allen Systemen ähnlich

klassifiziert sind, existieren erhebliche Unterschiede in der Bestimmung und

Definition weiterer Wortarten. Daraus folgt, dass die Wahl des theoretischen

Wortartensystems unmittelbare Auswirkungen auf die praktischen Fragen und

Probleme der Wortartenbestimmung hat. Die Unterscheidung, Erkennung und

Untersuchung der Wortarten muss demnach vor dem Hintergrund eines explizit

ausgewählten Klassifizierungssystems erfolgen. Dies müssen Lehrerinnen und

Lehrer bei der Wahl der Methoden und Arbeitsmaterialien eines

Wortartenunterrichts unbedingt beachten, um Schüler nicht durch ein Potpourri

der Systeme zu verunsichern. Der Sprachdidaktiker Hartmut Melenk untersuchte

in einer empirischen Studie die Leistungen von Schülern bei einer

Bestimmungsaufgabe der Wortarten.91 Dabei entdeckte Melenk, dass besonders

die Bestimmung der Wortarten Konjunktion und Relativpronomen problematisch

sei, in fast zwei Drittel aller Fälle seien diese Wortarten falsch oder gar nicht

bestimmt worden. Derartige „Kaskaden falscher Zuordnungen“92 können mit

„Inkonsistenzen“93 der Wortartensysteme erklärt werden. Wie aus der Analyse

der Wortartensysteme hervorgeht, handelt es sich bei Konjunktion und

88 Vgl. Admoni, S. 63.89 Vgl. Wilhelm Schmidt, Grundfragen der deutschen Grammatik. Eine Einführung in die funktionale Sprachlehre, Berlin 1977, S. 74.90 Vgl. Ministerium für Schule, Jugend und Kinder des Landes Nordrhein-Westfalen, S. 39.91 Vgl. Hartmut Melenk, Kommasetzung und Grammatikkenntnisse, in: Hartmut Melenk, Werner Knapp (Hrsg.), Inhaltsangabe – Kommasetzung. Schriftsprachliche Leistungen in Klasse 8, Baltmannsweiler 2001, S. 169-188, hier: S. 186ff.92 Melenk., S. 186.93Steets, S. 226.

18

Page 19: 20Wortarten2.docx · Web viewEin Handbuch für den Ausländerunterricht, Leipzig 1993, S. 19. Helbig und Buscha plädieren dafür, syntaktische Kriterien bei einer Wortartenklassifizierung

Relativpronomen um Wortarten, deren Klassifizierungsmöglichkeiten sich in den

unterschiedlichen Wortartensystemen stark voneinander unterscheiden (siehe

Kapitel 3a-c). Helbig und Buscha stellen gar die Existenz der Relativpronomen

als eigenständige Wortart infrage und definieren sie als Stellvertreterwörter der

Wortart Substantiv (siehe Kapitel 3d.). Demzufolge können schlechte Leistungen

und Unsicherheiten von Schülern im Bereich Wortartenbestimmung als Folge

eines simplifizierenden und undifferenzierten Umgangs mit der Pluralität der

wissenschaftlichen Wortartensysteme gedeutet werden.

Gerade die Pluralität der Wortartensysteme verbietet es, im Grammatikunterricht

eine normative Wortartenlehre zu betreiben, da es auf „Experimentierregeln“94

ankommt, ob ein Wort zu einer bestimmten Wortart klassifiziert werden kann oder

nicht. Das von der Kultusministerkonferenz formulierte Lernziel „Sie

unterscheiden Wortarten (…) und bezeichnen sie terminologisch richtig“95

impliziert eine nicht vorhandene Eindeutigkeit in Problemfragen der

Wortartenbestimmung. Dabei wird von den Verfassern der Bildungsstandards

außer Acht gelassen, dass das verwendete Wortartensystem sowie die für die

Wortartenbestimmung beachteten Klassifizierungskriterien die Unterscheidung

und Bezeichnung der Wortarten erheblich beeinflussen. Es ist mangelhaft, dass

ein solcher Hinweis in den Bildungsstandards nicht formuliert ist.

Die in den Bildungsstandards formulierten Lernziele fokussieren die Bestimmung

und Bezeichnung der Wortarten. Eine solche Simplifizierung des

Themenkomplexes Wortarten hat zur Folge, dass ein Grundanliegen des

Grammatikunterrichts zu wenig Aufmerksamkeit erhält: Schülerinnen und Schüler

sollten Einsichten in den Aufbau und in das Funktionieren des Systems Sprache

erhalten.96 Um dies zu erreichen, bietet es sich an, Schülerinnen und Schüler zu

einer eigenaktiven Auseinandersetzung mit Klassifizierungskriterien anzuregen,

wie es Wolfgang Menzel und Peter Eisenberg in ihrer Grammatik-Werkstatt

fordern.97 In den Fokus geraten dabei die fachwissenschaftlichen

Kategorienbildungsprozesse, in denen Schülerinnen und Schüler in

Experimenten erfahren, nach welchen Kriterien Wörter voneinander abgegrenzt

und unterschieden werden können.98 Damit dringen die Schülerinnen und

Schüler in das komplexe System Sprache ein und erfahren handlungsorientiert,

94 Wolfgang Menzel, Grammatik-Werkstatt: Theorie und Praxis eines prozessorientierten Grammatikunterrichts für die Primar- und Sekundarstufe, Seelze-Velber 1999, S. 13.95 Ministerium für Schule, Jugend und Kinder des Landes Nordrhein-Westfalen, S. 39.96 Vgl. Peter Eisenberg, Wolfgang Menzel, Grammatik-Werkstatt, in: Praxis Deutsch 129 (1995), S. 14-23, hier: S. 16.97 Vgl. Eisenberg, Menzel, S. 17; Menzel (1999), S. 56.98 Menzel (1999), S. 58f.

19

Page 20: 20Wortarten2.docx · Web viewEin Handbuch für den Ausländerunterricht, Leipzig 1993, S. 19. Helbig und Buscha plädieren dafür, syntaktische Kriterien bei einer Wortartenklassifizierung

dass Wortarten von Menschen erfundene Konstrukte darstellen, die das

komplizierte Geflecht der Sprache vereinfachen und überschaubar machen

sollen.99 So können Schülerinnen und Schüler induktiv erkennen, dass aufgrund

von Problemen der Klassifizierungstheorien zweifelhafte und untypische Fälle der

Wortartenbestimmung existieren.100 Dies ist ein entscheidender Vorteil

gegenüber einer deduktiven Bestimmung und Unterscheidung der Wortarten

nach vorab erlernten Bestimmungsregeln, da ein deduktiver Grammatikunterricht

lediglich „totes Wissen“101 erzeugt.

5. Fazit Durch die Analyse der unterschiedlich konzipierten Wortartensysteme konnte

verdeutlicht werden, dass eine normative Wortartenlehre, wie sie auch die

Bildungsstandards Deutsch durch unklare Formulierungen implizieren, eine nicht

zufriedenstellende Simplifizierung darstellt. Ebenso wenig wie es „die Grammatik

des Deutschen“ gibt, kann von einer prototypischen Lehre der Wortarten

ausgegangen werden, die es erlaubt, Wortarten „terminologisch richtig“102 zu

bestimmen. Im Gegenteil: die Theorienvielfalt der Sprachwissenschaft ermöglicht

es, verschiedene Wortartensysteme im Unterricht gegenüberzustellen, um

Probleme der Wortartenklassifizierung im Sprachbetrachtungsunterricht zu

untersuchen.103

So kann im Wortartenunterricht der Fokus auf Kategorisierungsprozesse gesetzt

werden. Dadurch wird es möglich, Einsichten in die Struktur und Funktion der

Sprache zu entwickeln sowie das formal-logische Denken der Schüler zu fördern,

also wesentliche Lernziele des Grammatikunterrichts zu erreichen.104 Ein weiterer

Vorteil eines experimentellen Grammatikunterrichtes, besteht darin, dass

Schülerinnen und Schüler induktiv erkennen können, dass das Kategorisieren

der Wortarten ein Prozess auf mehreren Ebenen ist.105 Ein handlungsorientierter

99 Vgl. ebd., S. 54f.100 Vgl. ebd., S. 61.101 Jakob Ossner, Sprachthematisierung – Sprachaufmerksamkeit – Sprachwissen. In: Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie 40 (1989), S. 25-38, hier: S. 35.102 Ministerium für Schule, Jugend und Kinder des Landes Nordrhein-Westfalen, S. 39.103 Vgl. Werner Ingendahl, Sprachreflexion statt Grammatik, Tübingen 1999, S. 3.104 Vgl. Winfried Ulrich, Didaktik der deutschen Sprache: Ein Arbeits- und Studienbuch in drei Bänden. Texte – Materialien – Reflexionen. Band 3: Grammatikunterricht – Wortschatzarbeit – Unterrichtsmittel – Multimedia, Stuttgart 2001, S. 9.105 Vgl. Günter Rudolph, Kreativer und systematischer Umgang mit den Wortarten. Einige Vorschläge zur Behandlung von Wortarten, in: Deutschunterricht 1/2001, S. 17-21, hier: S. 17.

20

Page 21: 20Wortarten2.docx · Web viewEin Handbuch für den Ausländerunterricht, Leipzig 1993, S. 19. Helbig und Buscha plädieren dafür, syntaktische Kriterien bei einer Wortartenklassifizierung

Umgang mit Wörtern, wie ihn Eisenberg und Menzel in ihrer Grammatikwerkstatt

vorschlagen, entspricht der kindlichen Entdeckungslust und kann auf

Schülerinnen und Schüler motivierend wirken. In diesem Grammatikunterricht

besteht weiterhin die große Chance, spontan geäußerte subjektive

Einschätzungen zu Sprachphänomenen als Anlass für weiterführende Reflexion

über Sprache zu nutzen.

6. Literaturverzeichnis Adelung, Johann Christoph, Deutsche Sprachlehre. Zum Gebrauche der Schulen in den Königl. Preuß. Landen. Berlin 1781.

21

Page 22: 20Wortarten2.docx · Web viewEin Handbuch für den Ausländerunterricht, Leipzig 1993, S. 19. Helbig und Buscha plädieren dafür, syntaktische Kriterien bei einer Wortartenklassifizierung

Admoni, Wladimir, Der deutsche Sprachbau, München 1982.

Buscha, Joachim, Helbig, Gerhard, Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht, Leipzig 1993.

Eisenberg, Peter, Grundriß der deutschen Grammatik. Band 1: Das Wort, Stuttgart 2004.

Eisenberg, Peter, Linke, Angelika, Wörter, in: Praxis Deutsch 139 (1996), S. 20-30.

Eisenberg, Peter, Menzel, Wolfgang, Grammatik-Werkstatt, in: Praxis Deutsch 129 (1995), S. 14-23.

Erben, Johannes, Deutsche Grammatik. Ein Leitfaden, Frankfurt am Main 1968.

Flämig, Walter, Grammatik des Deutschen. Eine Einführung in Struktur- und Wirkungszusammenhängen, Berlin 1991.

Fries, Charles Carpenter, The Structure of English, London 1963.

Glinz, Hans, Der deutsche Satz. Wortarten und Satzglieder wissenschaftlich gefasst und dichterisch gedeutet, Düsseldorf 1970.

Helbig, Gerhard, Zu einigen Problemen der Wortartklassifizierung im Deutschen, in: Ders. (Hrsg.), Linguistische Studien. Beiträge zur Klassifizierung der Wortarten, Leipzig 1977, S. 90-118.

Helbig, Gerhard, Zum Problem der Wortarten, Satzglieder und Formklassen in der deutschen Grammatik. In: Clemens Knobloch, Burkhard Schaeder (Hrsg.), Wortarten. Beiträge zur Geschichte eines grammatischen Problems, Tübingen 1992, S. 333-364.

Ingendahl, Werner, Sprachreflexion statt Grammatik, Tübingen 1999.Jung, Walter, Grammatik der deutschen Sprache, Leipzig 1966.

Melenk, Hartmut, Kommasetzung und Grammatikkenntnisse, in: Hartmut Melenk, Werner Knapp (Hrsg.), Inhaltsangabe – Kommasetzung. Schriftsprachliche Leistungen in Klasse 8, Baltmannsweiler 2001, S. 169-188.

Menzel, Wolfgang, Grammatik-Werkstatt: Theorie und Praxis eines prozessorientierten Grammatikunterrichts für die Primar- und Sekundarstufe, Seelze-Velber 1999.

Menzel, Wolfgang, Wortarten. Ein Basisartikel, in: Praxis Deutsch 77 (1986), S. 12-18.

22

Page 23: 20Wortarten2.docx · Web viewEin Handbuch für den Ausländerunterricht, Leipzig 1993, S. 19. Helbig und Buscha plädieren dafür, syntaktische Kriterien bei einer Wortartenklassifizierung

Ministerium für Schule, Jugend und Kinder des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.), Kernlehrplan für die Realschule in Nordrhein-Westfalen Deutsch, Frechen 2004.

Ossner, Jakob, Sprachthematisierung – Sprachaufmerksamkeit – Sprachwissen. In: Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie 40 (1989), S. 25-38.

Otto, Ernst, Die Wortarten., in: Clemens Knobloch, Burkhard Schaeder (Hrsg.), Wortarten. Beiträge zur Geschichte eines grammatischen Problems, Tübingen 1992, S. 197-206.

Rudolph, Günter, Kreativer und systematischer Umgang mit den Wortarten. Einige Vorschläge zur Behandlung von Wortarten, in: Deutschunterricht 1/2001, S. 17-21.

Schmidt, Wilhelm, Die deutschen Wortarten aus der Sicht der funktionalen Grammatik betrachtet, in: Clemens Knobloch, Burkhard Schaeder (Hrsg.), Wortarten. Beiträge zur Geschichte eines grammatischen Problems, Tübingen 1992, S. 295-314.

Schmidt, Wilhelm, Grundfragen der deutschen Grammatik. Eine Einführung in die funktionale Sprachlehre, Berlin 1977.

Slotty, Friedrich, Wortart und Wortsinn., in: Clemens Knobloch, Burkhard Schaeder (Hrsg.), Wortarten. Beiträge zur Geschichte eines grammatischen Problems, Tübingen 1992, S. 207-220

Sommerfeldt, Karl-Ernst, Starke, Günter, Einführung in die Grammatik der deutschen Gegenwartssprache, Tübingen 1998.

Steets, Angelika, Lernbereich Sprache in der Sekundarstufe I, in: Michael Kämper-van den Boogaart (Hrsg.), Deutsch-Didaktik. Leitfaden für die Sekundarstufe I und II, Berlin 2008, S. 216-237.

Sütterlin, Ludwig, Die Deutsche Sprache der Gegenwart (Ihre Laute, Wörter, Wortformen und Sätze). Ein Handbuch für Lehrer und Studierende, Leipzig 1918.

Ulrich, Winfried, Didaktik der deutschen Sprache: Ein Arbeits- und Studienbuch in drei Bänden. Texte – Materialien – Reflexionen. Band 3: Grammatikunterricht – Wortschatzarbeit – Unterrichtsmittel – Multimedia, Stuttgart 2001.

23