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Beichten Wer fürchtet noch das Höllenfeuer? Früher war klar: Wer nicht regelmässig seine Sünden bekannte, dem drohte die Hölle. Doch wer beichtet heute noch? Und wie steht die Jugend zum Beichtstuhl? In einer städtischen Pfarrei in Zürich und einer ländlichen im Kanton Schwyz zeigt sich, wie unterschiedlich die Bedürfnisse sind. Text: Kristina Reiss Bilder: Samuel Trümpy 22 | MM10, 7.3.2016 | MENSCHEN

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Beichten

Wer fürchtet noch das Höllenfeuer?Früher war klar: Wer nicht regelmässig seine Sünden bekannte, dem drohte die Hölle. Doch wer beichtet heute noch? Und wie steht die Jugend zum Beichtstuhl? In einer städtischen Pfarrei in Zürich und einer ländlichen im Kanton Schwyz zeigt sich, wie unterschiedlich die Bedürfnisse sind.Text: Kristina Reiss Bilder: Samuel Trümpy

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Der 14-jährige Daniel Schuler ist nicht der einzige Jugendliche in Steinen SZ, der Pfarrer Rudolf Nussbaumer im Beichtstuhl seine Sorgen und Nöte anvertraut.

P farrer Rudolf Nussbaumer (58) sitzt am Holztisch seiner Pfarrstube in Steinen SZ. Niedrige Decken, knar­rende Holzdielen und Butzenschei­

ben, durch die die Wintersonne fällt. Hier, fast in Nachbarschaft zum Kloster Einsiedeln, scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Der Pfarrer ist ein quir liger Mann, spricht viel und schnell. Gestern Abend hat er bis spät in der Nacht gearbeitet, nun ruft schon wieder die geistliche Pflicht: eine Einsegnung auf dem Dorfplatz steht an. Von draussen hört man bereits die Klänge der Musikkapelle.

3000 Einwohner hat der Ort am Lauerzer­see, 84 Prozent von ihnen sind Katholiken. Die Dorfkirche St. Jakob stammt aus dem 12. Jahrhundert, ein spätgotischer Bau mit barocker Ausstattung. Auch drei Beichtstühle gehören dazu. Denn gebeichtet wird in Stei­

nen noch ganz traditionell: im schummrigen Licht des Beichtstuhls. Dabei kniet der Sün­der in seiner Kabine vor dem vergitterten Fensterchen, hinter dem die Umrisse des Priesters nur schemenhaft aus zumachen sind. «Das Fenster bleibt heute allerdings meist offen», sagt Nussbaumer. Zumindest bei den Erwachsenen. Jugendliche dagegen wünschten sich das Gitter. «Vor allem in der Pubertät, da schämen sie sich manchmal.»

Dass Jugendliche freiwillig alle vier bis acht Wochen in die Kirche kommen, um auf diese Art die Beichte abzulegen, ist in Steinen durchaus üblich. Christa (17) zum Beispiel findet: «Es heisst ja immer, man soll über alles reden. Da passt Beichten doch gut.» Und Daniel (14) meint: «Es ist wie ein Neu­start.» Auch Manuela (16) sieht es pragma­tisch: «Man geht auch regelmässig duschen.

Beichten ist nicht viel anders.» Und ihre Schul kollegen tun dies ebenfalls? «Nein, viele nicht», erklärt die 16­jährige Vreni. «Wahrscheinlich weil sie meinen, dass man sich die Dinge erst mal selbst eingestehen muss.» Die Jugendlichen aus Steinen jedoch kennen es nicht anders: Ihre Eltern bekennen regelmässig ihre Sünden, die Grosseltern ebenfalls – sie beichten, weil alle es tun. Ausserdem haben sie einen persönlichen Bezug zu Pfarrer Nussbaumer: Er ist ihr Religionslehrer.

«Gibt ein Pfarrer keinen Unterricht mehr, schläft vieles ein», sagt Rudolf Nussbaumer. «Manchmal melden sich ehemalige Schüler nach Jahren bei mir. Junge Männer, die mich ansprechen. Etwa so: ‹Kennen Sie mich noch? Ich hab Scheiss gebaut, ich muss mit Ihnen reden›.» Häufig gehe es um Alkohol,

«Viele Schulkollegen gehen nicht beichten. Wahr­

scheinlich meinen sie, dass man sich die Dinge erst mal selbst eingestehen muss.»

Vreni von Rickenbach (16)

«Es heisst ja immer, man soll über alles reden. Da passt

Beichten doch gut.»Christa Schuler (17)

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Drogen, Beziehungsprobleme. Aber auch um neue Süchte wie Handy und Internet. Der Priester hört dann nicht nur zu, sondern stellt auch Fragen wie «Was macht die Lügerei mit dir?». Pfarrer Nussbaumer sagt gerade heraus, was er denkt – und punk­tet damit: «Sie wissen, dass ich kein Drama daraus mache.» Seine Präsenz im Beichtstuhl versteht der Pfarrer als Lebens­hilfe: «Junge Priester gehen wieder mehr auf Jugendliche ein, früher wurde dies alles Laien­theologen überlassen. Dabei ist der Kontakt zur Jugend so wich­tig.» Beichten ist für ihn deshalb kein Auslaufmodell: «Im Gegen­teil, ich bin davon überzeugt, es würde vielen guttun.»

Ein einziger Satz ... und schon sind alle Sünden vergeben Bis Mitte des 20. Jahrhunderts trieb die Vorstellung, dass man ohne Absolution in die Hölle kommt, viele Katholiken in den Beichtstuhl. Dort gestanden sie ihre kleinen und gros sen Verge­hen, die der Priester sodann mit einem einzigen Satz auflösen konnte: «Ich spreche dich los von deinen Sünden, im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heili­gen Geistes.» Eigentlich wunder­bar. Doch seit den 60er­ Jahren sind solche Ohrenbeichten stark rückläufig. Statistiken gibt es dazu keine. Fakt aber ist: Von Ausnahmen wie Steinen oder Kloster Einsiedeln abgesehen, wartet in den meisten katholi­

schen Gemeinden der Pfarrer oft vergebens auf Beichtwillige.Wie in Zürich Schwamendingen. Dort steht die moderne katholi­sche Kirche St. Gallus, ein Bau aus den 60er­Jahren mit viel Sicht beton und einem der gröss­ten Kirchenfenster des Landes. Auf dem Vorplatz vergnügen sich Jugendliche mit Skateboards und Musik. Auf die Frage, ob sie manchmal beichten gingen, verschlägt es ihnen für einen kurzen Moment die Sprache: «Beichten? Äh, nein. Warum?»

Pfarrer Alfred Böni (68) nimmt seit 42 Jahren Beichten ab. In jüngster Zeit allerdings immer seltener. Vor zwei Jahren liess man deshalb in St. Gallus die wöchentliche Beichtgelegen­heit auslaufen. 7000 Mitglieder umfasst die Zürcher Pfarrei, 80 Prozent der Familien haben einen Migrationshintergrund. Klassische Beichtstühle gibt es schon lange nicht mehr. «Das passt nicht in unsere Zeit», findet Böni. Stattdessen wurde ein Zimmer eingerichtet, in dem sich Pfarrer und Beichtende an einem Tisch gegenübersitzen.

Eine Kerze, ein Kruzifix und Rembrandts Bildmotiv «Die Rückkehr des verlorenen Soh­nes» sind die Accessoires. Eine womöglich einschüchternde Beichtstuhlatmosphäre sucht man vergebens. Pfarrer Böni spricht sowieso lieber von Versöhnung statt von Busse und Beichte. Letzteres klinge so nach Strafe. «Ohrenbeichten

sind nicht mehr zeitgemäss, des­halb laden wir zu Versöhnungs­feiern ein.» Gottesdienste, bei denen die Besucher sich in einer geführten Besinnung still ihrer Verfehlungen erinnern und vom Priester durch Handauflegen die Absolution erteilt bekommen.

Die Themen sind Untreue und die Erwartungen der ElternWie Rudolf Nussbaumer ist auch Alfred Böni ein Pfarrer, der Ver­trauen ausstrahlt und genau zuhört. Wohl auch deshalb gibt es sie manchmal noch, die An­fragen für ein Gespräch mit dem Geistlichen, vor allem vor Weih­nachten und Ostern. Vergange­nes Jahr im Advent waren es allerdings nur zehn. Böni hakt dann nicht nach, was für ein Gespräch es sein soll. Meist wird aber rasch klar: Beichtgespräch hätte man es früher genannt. «Die meisten, die zu mir kom­men, sind ein bisschen verun­sichert. ‹Helfen Sie mir bitte›, sagen sie oft, ‹ich kann mich nicht mehr erinnern, wie das geht.›» Früher in den Siebzigern, als er noch Vikar in Winterthur Wülflingen war und je fünf bis acht Beichten in der Stunde hörte, hätten die Dinge anders gelegen: «Damals kamen die Leute regelmässig mit ihren Sünden. Es ging um Lügen, das Nichteinhalten des Gebots, freitags auf Fleisch zu verzich­ten, und um Sexualität. Eine sehr verklemmte Sexualität übrigens.»

Beichtstühle sucht man in der katholischen Kirche St. Gallus in Schwamendingen vergebens. «Das ist nicht mehr zeitgemäss», findet Pfarrer Alfred Böni.

Fastenzeit

Die österliche Busszeit

Am Aschermittwoch beginnt die 40­tägige österliche Busszeit, die Zeit der Umkehr und Einkehr, der Reue und Busse. Sie soll auf Ostern vorbereiten.

Christen, die für Kapi-talsünden zu büssen hatten, mussten dies früher öffentlich tun. Zu Beginn der Fastenzeit legten sie ein Buss­gewand an, bekamen Asche aufs Haupt ge­streut und taten Busse bis zur Osternacht, in der sie wieder in die Gemeinschaft der Kirche eingegliedert wurden. Die Asche als Symbol der Vergäng lichkeit und Zei­chen der Trauer und der Busse ist seit alt testa­mentarischer Zeit belegt.

Als die öffentliche Busse im 10. Jahrhun-dert Geschichte war, übertrug sich die Asche­ Symbolik auf alle Gläu­bigen, die das Ritual teil­weise schon früher aus Solidarität zu den Büs­sern an sich vollziehen liessen. Auch heute noch wird in der Messe am Aschermittwoch den Gläubigen als Zeichen der Busse und Reinigung ein Aschekreuz auf die Stirn gezeichnet oder auf den Kopf gestreut. Heute kennt die kirch-liche Ordnung nur noch zwei Fasten­ und Abstinenztage im Jahr. Neben dem Karfreitag, dem Tag des Leidens und des Sterbens Jesu Christi, sind die Christen am Aschermittwoch an­gehalten, sich in Askese zu üben und auf diese Weise den Beginn der österlichen Busszeit be­wusst wahrzunehmen.Liturgie.ch

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Heute komme deswegen nie­mand mehr zu ihm, sagt Böni. Meist gehe es um Beziehungs­themen, oft um Untreue. Oder darum, dass man den Erwartun­gen der Eltern nicht gerecht wird, die eigenen Kinder nicht mehr versteht. Und wie stehts mit Mord? Kindsmissbrauch? Der Pfarrer schüttelt den Kopf. Damit sei er während seiner ganzen Seelsorgezeit nie kon­frontiert worden, dafür hin und wieder mit Frauen, die nach einer Abtreibung mit Schuldge­fühlen kämpften. Geändert habe sich jedoch die Substanz der Beichte: Früher hätten die Leute vergleichsweise einfache Sünden zu ihm getragen, das Gespräch habe höchstens ein paar Minu­ten gedauert und sei sehr formal gewesen. Wer ihn hingegen heute aufsuche, bringe sein komplettes

Leben mit, unter 30 Minuten laufe nichts. «Die Menschen sind in viel komplexeren Situationen», sagt Böni. «Und sie wollen nicht nur ihr Gewissen erleichtern, sondern konkrete Ratschläge.»

Die meisten Katholiken gehen zum ersten Mal als Kind beich­ten, in der 3. Klasse, weil es die Voraussetzung für die Erstkom­munion ist. Frieda Mathis (53) findet das nicht sinnvoll. Sie ist Religionspädagogin und erteilt in St. Gallus Religionsunterricht. Hier werden Kinder erst in der 4. Klasse auf das Sakrament der Versöhnung vorbereitet, «weil sie dann reifer sind und ihr Han­deln besser reflektieren können», so Mathis. Kinder und Eltern sollten dabei gemeinsam darüber nachdenken, was im Alltag gut läuft – «ein Gedanke, der dem defizitären Ansatz der Beichte

fern liegt». St. Gallus setzt auf Freiwilligkeit statt äusseren Druck. Dennoch erreichten die Angebote von Versöhnung die Jugendlichen nicht. «Wenn dies den Eltern fremd ist, wie soll es dann der Nachwuchs lernen?»

Schuldbewusstsein ist weniger stark ausgeprägt als früherDass das Interesse an der Beichte in den städtischen Pfarreien ab­nimmt, ist laut Frieda Mathis auch eine Folge des gesunkenen Stellenwerts der Kirche im Pri­vatbereich. Ausserdem sei das Schuldbewusstsein weniger aus­geprägt als früher. Dies fällt der Religionslehrerin bei ihren Schü­lern auf, «besonders dann, wenn es darum geht, jemandem phy­sisch oder psychisch wehzutun». Aber auch bei Erwachsenen sei diese Tendenz festzustellen.

Wird heute zu wenig auf das Seelenheil geachtet? Zur Dental­hygiene gehen wir auch regel­mässig, lassen Zahnstein entfer­nen, um die Wurzel zu schützen. Warum also nicht mal eben kurz beichten, die Reset­Taste drücken, einfach neu starten? Wellnessberater und Thera­peuten profitieren von diesem Bedürfnis. Eine Konkurrenz, der sich Pfarrer Böni bewusst ist. «Manchmal habe ich schon das Gefühl, dass Therapeuten uns die Beichtkandidaten wegneh-men», sagt er. «Dabei wäre es bei uns gratis.» Aber was bieten Sie, was Therapeuten nicht zu leis­ten vermögen, Herr Böni? «Die Erfahrung, dass man mit einem verzeihenden Gott rechnen kann. Wer diese Dimension annehmen kann, der erfährt wirklich Hilfe, nicht nur Lebensberatung.» MM

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Video, warum sie beichten

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