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313. Gestaltung von Text und ßild

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Langenbecks Arch Chir 361 (KongreBbericht 1983) Langenbecks Archiv for Chirurgie © Springer-Verlag 1983

313. Gestaltung von Text und Bild

J. R. Siewert

Chirurgische Klinik und Poliklinik der Technischen Universit~it Mtinchen im Klinikum rechts der Isar, Ismaninger StraBe 22, D-8000 Miinchen 80

Form of Text and Figures

Summary. Text and illustration must serve in surgery as means of information delivery. Graphic descriptions are to be used there, where they represent a suitable complement of the spoken and written word. With regard to their presentation of text and illustrations one has to dinstinguish between different types of publications: - publications for fact delivery only, - for fact interpretation, - for fact classification. The aim of all efforts for the presentation of text and illustrations must be to secure the German language the chance of survival in scientific publications.

Key words: Surgical publications.

Zusammenfassung. Text und Bild miissen in der Chirurgie Mittel zum Zweck der Informations- /ibermittlung sein. Graphische Darstellungen sind da einzusetzen, wo sie eine sinnvolle Erg~inzung des gesprochenen oder geschriebenen Wortes darstellen. Im Hinblick auf ihre Gestaltung in Text und Bild mtissen verschiedene Publikationsformen unterschieden werden: - Publikationen, die der reinen Faktenvermittlung dienen, - solche, die der Fakteninterpreta- tion dienen und schlieBlich - Publikationen zum Zwecke der Fakteneinordnung. Ziel aller Bemtihungen um die Gestaltung von Text und Bild mug es sein, der deutschen Sprache in wissenschaftlichen Publikationen eine Uberlebenschance zu sichern.

SchlUsselwiirter: Chirurgische Publikationen.

Wit leben in einer Zeit des Visualismus. Die heutigen Menschen sind daran gew6hnt, sehend aufzunehmen; sie erleben ihre Zeit vor dem Fernsehschirm, sie lesen Comics und Illustrierte. Nur unter besonderen Umst/inden sind sie bereit, durch konzentriertes Lesen Wissen zu erwerben, vielleicht gerade noch in Stunden der Mul3e, sicher nicht unter den Bedingungen des Alltagsstresses.

Diese grunds~itzliche Aussage gilt auch f/Jr den Arzt. F/Jr den Chirurgen sogar in besonderem MaBe, weil er dem Visualismus von Ausbildung und Tfitigkeit her verhaftet ist. Sind es doch in erster Linie optische Signale, die ihn in Diagnose und Therapie leiten:

Die erste Inspektion eines Patienten, der klinische Blick im weiteren Verlauf, das graphische Bild einer Fieberkurve, die modernen bildgebenden Verfahren, das'anatomische Substrat, bzw. der operative Situs.

So erscheint es mir nur konsequent, dab sich auch der chirurgische Vortrag, die chirurgische Publikation ganz allgemein dieses Mittels bedient, um seinen H6rer oder Leser zu erreichen, sich also zum Visualismus bekennt. Dabei darf Visualismus nicht als Bild umjeden Preis miBverstanden werden, sondern sollte als Bekenntnis zum Bild als wichtige Ergiinzung des Textes gesehen werden.

Man mag dies bedauern, wie zum Beispiel Gerhard Pfohl, Medizinhistoriker in Mfinchen, der den Visualismus in der Medizin beklagt, ihn sogar f/Jr geF~ihrlich hfilt. Er spricht vonder Krankheit der Didaktik, yon Anschaulichkeit um jeden Preis, von modernem Analphabetentum, yon audivisuellen Schwachmatikern, yon Opfern einer diaschwangeren Zaunlattenphilologie; eine sehr

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einseitige und, wie ich meine, allzu sehr philologisch gepr~igte Kritik. Man muB wissen, dab Pfohl Philologe, nicht Mediziner ist. Sprache ist in der Medizin Mittel zum Zweck, in der Philologie dagegen Selbstzweck. Sie hat in der Chirurgie Informationen weiterzugeben, sie muB so klar sein, dab sie diese Information verdeutlicht, nicht verschleiert. Kurze knappe S~itze, klare Diktion sind notwendig, wenig Nebens~itze, h~iufiger Gebrauch des Genetivs.

Erst wenn die Sprache versagt oder zu umst~indlich erscheint, sollte die graphische Darstellung herangezogen werden, z. B. um Zusammenh~inge zu verdeutlichen, im wahrsten Sinne des Wortes aufzuzeigen. Die graphische Darstellung, etwa in Form des ,,Flul3diagramms", zwingt den Autor zudem zu gedanklicher Klarheit und ist fi, ir den Leser von hohem didaktischem Wert. Besonders gfinstig erscheint diese Form der Darstellung, wenn es darum geht, Entscheidungsprozesse aufzuzeigen, z. B. in Diagnostik oder Therapie. Die graphische Darstellung soll also nicht das Wort ersetzen, sondern sie soll seinen Inhalt verdeutlichen, gegebenenfalls Denkabl~iufe darstellen oder Befunde bzw. Ergebnisse wie z. B. Operationsabl~iufe objektiv wiedergeben. Selten einmal kann ein iiberlegt gesetzter Gag Aussagen verdeutlichen bzw. karikieren oder einen Vortrag auflockern. Eine schlecht plazierte Pointe wirkt dagegen peinlich.

Die chirurgische Publikation ist also auf diese audiovisuelle Didaktik angewiesen. Sie kann sich den Luxus, miBverstanden zu werden oder ihre ,,Zielgruppe" zu verpassen, nicht leisten. Es geht um zuviel, eine Fehlinformation kann vitale Folgen haben. Ein schlecht ausgebildeter oder unzurei- chend informierter Arzt ist eine Gefahr fiir den Patienten.

Somit sind folgende Feststellungen zu treffen: Text und Bild sind in der Chirurgie nur Mittel zum Zweck der Informationsfibermittlung; sie

haben sich dem Inhalt der Publikation bzw. des Vortrags unterzuordnen. Das Bild verdeutlicht den Text, ersetzt ihn aber nicht.

Die wissenschaftliche Aussage einer Publikation darf nicht durch Text oder Bild verschleiert oder gar unterdrfickt werden. Keinesfalls dfirfen Bild oder Text zum Selbstzweck werden und ein Nichts an Aussage bem~inteln. Belletristische Stilistik, philosophische Ausschweifungen oder industrielle gefertigte Werbefotos tun der wissenschaftlichen Publikation nicht gut.

Text und Bild miissen nach inhaltlichen Gesichtspunkten geordnet werden. Ihre r~iumliche Aufteilung, z. B. in einem Buch, darfnicht unter ,,kosmetischen, herstellerischen Gesichtspunkten" erfolgen. Im Zweifelsfall muB eine Entmischung von Text und Bild vorgenommen werden. Ein in sich inhaltlich geschlossener Text muB auch zusammenh~ingend wiedergegeben werden, er sollte nicht durch ,,eingestreute Bilder" unterbrochen oder vermeintlich aufgelockert werden, um optisch gef'~illiger zu wirken. Dieses Ziel kann durch Zwischeniiberschriften und eine ldare Gliederung besser erreicht werden. Andererseits mfissen auch in sich zusammenh~ingende Abbildungen ,,en bloc" wiedergegeben werden, z. B. der Ablauf einer Operation, ohne dab die Bilderfolge durch eingestreuten Text unterbrochen wird. Mit anderen Worten, der Aufbau eines Buches oder eines Buchbeitrages muB sich am Inhalt, an der Aussage orientieren. Buchherstellerische Gesichtspunkte, wie Ausgewogenheit oder ~isthetische Verteilung von Text und Bild haben in den Hintergrund zu treten.

Der konsequenteste Weg hin zur Ubersichtlichkeit, aber auch zum simplen Visualismus ist der Atlas oder gar die Schautafel. Ich muB gestehen, dab mir dieser Weg in den reinen Visualismus miBhagt, ich bekenne mich zu Wort und Bild in sauber sortierter, gegebenenfalls separierter Form. Man sollte den Chirurgen nicht ffir allzu dumm verkaufen und ihm nur das ,,Wie" zeigen und ihm das ,,Warum" vorenthalten. Deshalb geh6rt meines Erachtens der Kombination von Textbuch und Atlas in sauber geordneter Form die Zukunft. Der Leser hat die Wahl : Er kann das Buch allein als Atlas benutzen, aber er kann sich auch - wenn er m6chte - die Informationen des Textteils erlesen.

Abgesehen v o n d e r eben angesprochenen Publikation in Buchform sind noch weitere Publikationsformen in Hinblick auf ihre Gestaltung in Text und Bild zu besprechen:

Publikationen, die der Darstellung von experimentellen oder klinischen Daten dienen, also der reinen Faktenvermittlung.

Publikationen, die in Form von Ubersichten Zusammenh~inge aufzeigen wollen, also der Fakteninterpretation oder der Fortbildung dienen.

Und schlieBlich sogenannte Editorials, die der Fakteneinordnung in ein pers6nliches Weltbild dienen.

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Darstellung von experimentellen oder klinischen Daten = Faktenvermittlung

Je fiberzeugender die Daten, desto knapper k6nnen Text und Bild sein. Die beste Ware braucht die geringste Verpackung. Ein standardisierter Aufbau derartiger Publikationen ist anzustreben, damit eine rasche und fibersichtliche Information gelingt und ein Vergleich mit anderen Publikationen erleichtert wird. Es mfissen alle Fakten enthalten sein, um die Schliissigkeit der Daten iiberprfifbar zu machen. Diese Forderungen sind einleuchtend: Man publiziert, um Fakten mitzuteilen bzw. zur Diskussion zu stellen, nicht um sie zu verschleiern.

Ein empfehlenswerter Aufbau k6nnte etwa der folgende sein: Einfiihrung in die Problematik ,,Was war die Motivation zur Bearbeitung der gew~ihlten

Fragestellung?" In aller Regel wird dies eine auf einer Literaturrecherche basierende Frage sein, die nach

Ansicht der Autoren der Beantwortung bedarf. Dubi6s sind Untersuchungen, die schon vorher ihr Ergebnis kennen oder die z. B. eine bestimmte Hypothese durchsetzen, aber nicht objektiv kritisch bearbeiten wollen.

Klare Definition der Fragestellung Nut eine klare, m6glichst simple Frage, kann eine klare Antwort erhalten.

Methodik Wie ist die Fragestellung bearbeitet worden und an welchem Material?

Ergebnisse, d.h. Wiedergabe der ermittelten Fakten Hier besitzt die graphische Darstellung entscheidende Vorteile, weil sie zur Objektivit~it und

fJberpriifbarkeit beitragen kann. Offenlegung der Statistik zur Untermauerung der Glaubwfirdig- keit der eigenen Aussage.

Diskussion, d.h. Interpretation der eigenen Befunde und Einordnung dieser in die Literatur- ergebnisse, gegebenenfalls auch in widersprfichliche. Immer muB eine Methodenkritik erfolgen, weil gemessene ,,Hausnummern" nur schwer zur Wahrheitsfindung beitragen k6nnen. Zum AbschluB sollte eine Beantwortung der eingangs aufgeworfenen Frage erfolgen.

Es w~ire eine wichtige Aufgabe wissenschaftlicher Zeitschriften, diese wfinschenswerte Klarheit und Ubersichtlichkeit chirurgischer Publikationen zu f6rdern. Leider vernachl/issigen die meisten Zeitschriften bzw. deren Herausgeber ihre erzieherische Aufgabe. Wie schwer die Erffillung dieser Vorgaben ist, zeigt eine j~ngst erfolgte Auswertung der British Surgicals Research Society, die gezeigt hat, dab nicht einmal die H/ilfte aller Autoren in der Lage war, diesen Ansprfichen der Obersichtlichkeit zu entsprechen.

~)bersichten = Fakteninterpretation

Immer wieder lebt die Diskussion auf, ob derartige Ubersichten fiberhaupt sinnvoll und lohnend sind. Viele Autoren sind der Meinung, dab jeder Chirurg, der an einer bestimmten Thematik interessiert ist, die Fakten selbst lesen und bewerten soil. Andererseits ist das Wissensgut in letzter Zeit so rasch angewachsen, dab selbst der Fachmann sein eigenes Fachgebiet nur noch mit Miihe zu iiberblicken vermag. Das wirkt sich hemmend, geradezu l~hmend auf den Wissensdrang praktisch t/itiger Chirurgen aus. Deshalb besteht meines Erachtens ft~r die Kenner von Spezialgebieten die Verpflichtung, Obersichten zu schreiben, d.h. sich der auch ftir den AuBenstehenden verst~ind- lichen Fakteninterpretation hinzugeben. Dies ist zweifellos eine miihselige Pflicht, denn gute ~bersichten sind schwer zu erstellen. Es geht ja nicht nut um die Sammlung von Daten, sondern um Gewichtung und Einordnung dieser Daten. Dabei muB eine sorgf~iltige Trennung zwischen Gesichertem, Hypothesen und eigener Meinung erfolgen - eine verantwortungsvolle T~tigkeit. Am Ende muB ein Mosaik entstehen, das dem praktisch tS.tigen Chirurgen ein ihm verstS.ndliches Bild wiedergibt. Dies verlangt hohes fachliches K6nnen, Seri6sit/it, Unvoreingenommenheit und didaktische Begabung. Es wird auch in Zukunft eine der vornehmsten Aufgaben wissenschaftlicher Verlage sein, Publikationsorgane zur Verfiigung zu stellen, die eine gesunde Mischung von Originalmitteilungen und Obersichten erm6glichen.

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Editorial = Fakteneinordnung in ein pers6nliches Weltbild

Zum AbschluB muB noch etwas Salz an das entworfene Menue chirurgischer Publikationen. Dies sind die Editorials. Sie allein geben die M6glichkeit einer ganz subjektiv gef'~irbten Darstellung eines bestimmten Themenkreises oder die subjektive Einordnung eines neuen Befundes in ein wissen- schaftliches Weltbild. In einem Editorial hat der Autor das Recht zu iibertreiben, zu karikieren und zu bilanzieren. Hier diirfen Denkanst6Be gegeben oder auch wackelnden Hypothesen der Garaus gemacht werden. Es ist ein trauriges Faktum der deutschsprachigen medizinischen Literatur, dab die M6glichkeiten eines Editorials kaum einmal genutzt werden. Selbst wenn es die Rubrik ,,Editorial" in einer Zeitschrift gibt, werden hier nur subjektiv gef~irbte, meist langweilige Obersichten ver6ffentlicht. Wie anders ist dies in der angels~ichsischen Literatur!

Will die deutsche Sprache nicht Gefahr laufen, in absehbarer Zukunft als Publikationssprache medizinischer und speziell chirurgischer Literatur ein Schattendasein zu fiihren, miissen wir bereit sein, den hier skizzierten Stilwandel zu akzeptieren. Wir miissen zumindest, was chirurgische Publikation angeht, den Obergang vonder Sprache als Selbstzweck zur Sprache als Mittel zum Zweck der Information vollziehen. Graphische Darstellungen haben sich der Information der Sprache unterzuordnen und sind da einzusetzen, so sie eine sinnvolle Erg/inzung des gesprochenen oder geschriebenen Wortes darstellen. Hochschullehrer wie auch Verleger, abet ganz besonders Herausgeber wissenschaftlicher Zeitschriften, miissen sich dieser Aufgabe stellen.