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Königs Erläuterungen und Materialien Band 416 Erläuterungen zu Günter Grass Im Krebsgang von Rüdiger Bernhardt

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Erläuterungen zu

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von Rüdiger Bernhardt

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5., aktualisierte Auflage 2008ISBN: 978-3-8044-1854-7© 2002, 2008 by C. Bange Verlag, 96142 HollfeldAlle Rechte vorbehalten!Titelabbildung: Günter GrassDruck und Weiterverarbeitung: Tiskárna Akcent, Vimperk

Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt.Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelasse-nen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligungdes Verlages. Hinweis zu § 52 a UrhG: Weder das Werknoch seine Teile dürfen ohne eine solche Einwilligung ein-gescannt oder gespeichert und in ein Netzwerk eingestelltwerden. Dies gilt auch für Intranets von Schulen und sons-tigen Bildungseinrichtungen.

Hinweis:Die Rechtschreibung wurde der amtlichen Neuregelung ange-passt. Zitate von Günter Grass müssen auf Grund eines Ein-spruches in der alten Rechtschreibung beibehalten werden.

Über den Autor dieser Erläuterung:

Prof. Dr. sc. phil. Rüdiger Bernhardt lehrte neuere und neuestedeutsche sowie skandinavische Literatur an Universitäten desIn- und Auslandes. Er veröffentlichte u.a. Monografien zu HenrikIbsen, Gerhart Hauptmann, August Strindberg und Peter Hille,gab die Werke Ibsens, Peter Hilles, Hermann Conradis und an-derer sowie zahlreiche Schulbücher heraus. Von 1994 bis 2008war er Vorsitzender der Gerhart-Hauptmann-Stiftung Kloster aufHiddensee. 1999 wurde er in die Leibniz-Sozietät gewählt.

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Vorwort ............................................................... 5

1. Günter Grass: Leben und Werk ......................... 101.1 Biografie ................................................................ 101.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund ............................. 221.3 Angaben und Erläuterungen

zu wesentlichen Werken ........................................ 31

2. Textanalyse und -interpretation ........................ 332.1 Entstehung und Quellen ........................................ 332.2 Inhaltsangabe ........................................................ 362.3 Aufbau .................................................................. 542.4 Personenkonstellationen und Charakteristiken ...... 592.5 Sachliche und sprachliche Erläuterungen ............... 662.6 Sprache und Stil ..................................................... 992.7 Interpretationsansätze ........................................... 104

3. Themen und Aufgaben ....................................... 111

4. Rezeptionsgeschichte .......................................... 114

5. Materialien .......................................................... 126

Literatur .............................................................. 130

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Die Bücher des Nobelpreisträgers Günter Grass stießen beiihrem Erscheinen immer auf großes Interesse, dem sich anhal-tende Aufmerksamkeit anschloss. Allerdings waren die Urtei-le nicht einheitlich, sondern meist polarisiert gegensätzlichund unversöhnlich. Kritiker und Publikum standen oft in un-terschiedlichen Lagern. Die Novelle Im Krebsgang hat umfang-reich gewirkt und eine kaum überschaubare öffentliche Dis-kussion ausgelöst, die sich von der literarischen Beurteilungweit entfernte. Das betraf die Rolle der Deutschen im undnach dem Zweiten Weltkrieg. Die Diskussion wurde von einerÜbersetzungsflut der Novelle in 30 Ländern begleitet, lösteaber auch wissenschaftliche Aufmerksamkeit für das „Nazi-nest“ der dreißiger Jahre Davos1 und den Leiter der dortigenOrtsgruppe der NSDAP Wilhelm Gustloff aus.Im Februar 2002 erschien die Novelle Im Krebsgang des Nobel-preisträgers Günter Grass, die ins Umfeld der Danziger Trilo-gie gehört. Zuspruch und sofort einsetzende Auseinanderset-zung bestätigen die Bedeutung des Themas von Flucht,Vernichtung, Umsiedlung und Vertreibung der Deutschenaus dem Osten am Ende des Zweiten Weltkrieges. Doch dieHandlung der Novelle ist umfänglicher: Es geht um die Kennt-nis der folgenden Generationen von den Verbrechen, die vonDeutschen von 1933 bis 1945 verübt wurden und Flucht undVertreibung der Deutschen ausgelöst hatten. Es geht auch umden Umgang mit diesem Wissen, das oft einseitig als Schuld-oder Opfergefühl bei der Elterngeneration der um 1945 Gebo-renen vorhanden war und die deshalb die nachfolgendeKindergeneration die jeweils ausgesparten Erinnerungen su-chen ließ. – Der Stoff der Novelle ist der Untergang der

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Wilhelm Gustloff in der Ostsee am 30. Januar 1945; dabei star-ben möglicherweise bis zu 10 600 Menschen (darunter ca.4 500 Kinder und Jugendliche), sechs Mal so viele wie beimUntergang der Titanic. Es war die schwerste Schiffskatas-trophe der Menschheitsgeschichte. –Die Novelle wurde schnell zum Bestseller – nach einer Wocheverließ am 13. Februar 2002 bereits das 400 000. Exemplar dieDruckerei – und hielt sich monatelang an der Spitze derBestsellerlisten. Wie bereits andere Werke Grass’ löste dieNovelle eine publizistische Welle aus, die – auch das warnicht neu – das Publikum polarisierte. Dabei wurden kaumliterarische und ästhetische, sondern politische Probleme er-örtert. Zeitungen forderten, das Buch solle Pflichtlektüre derSchule werden.Die Aktualität der Novelle liegt in seismografisch gespürtenEntwicklungen der Gesellschaft, die im Umkreis der Veröf-fentlichung allgemein sichtbar wurden, in ihrer künstlerischenQualität und in der Analyse eines kleinbürgerlich geprägten,nationalistischen Denkens, dem Toleranz nach dialektischerGeschichtsbetrachtung trotz der historischen Erfahrungennicht gelingt. Aus dem Text spricht die Enttäuschung GünterGrass’, dass von einem Teil des deutschen Volkes keine histo-rischen Lehren angenommen werden und junge Menschenheute schon wieder irregeleitet sind.2 Die Novelle ist einWarntext, der auf eine noch bzw. wieder lebendige Vergan-genheit hinweist. Die Diskussion um die Novelle erhielt inden Jahren nach ihrem Erscheinen zwei zusätzliche Akzente.Zum einen verkürzten Kritiker und Leser in ihren publizisti-schen Reaktionen Grass‘ Anliegen auf die Darstellung derDeutschen als Opfer und stellten die ausufernden deutschenLeidensgeschichten bei der Niederlage des Nationalsozialis-

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mus in Literatur und Fernsehen in die Tradition dieser Novel-le. Belletristik, Sachbücher und mediale Zeugnisse wurden „inder Nachfolge von Günter Grass‘ Gustloff-Novelle“3 gesehen.Je mehr die Erinnerung an die Zeit des Faschismus privatisiertwurde, desto mehr wurde die primäre und singuläre Schuldder Deutschen verdrängt. Als „Entkonkretisierung der Zeitge-schichte im Familienalbum“ wurde das bezeichnet und Grass‘Text als Beschreibung betrachtet, wie diese eingeschränkteSicht zu neuem faschistischen Antisemitismus führt.4 Mit derBetonung deutscher Opfer wurde die historische und die äs-thetische Anlage des Textes verkürzt, fast verfälscht, denn derText ordnete die Opfer den verdrängten historischen, politi-schen und weltanschaulichen Verbrechen der Täter unter.Grass hatte in Interviews darauf hingewiesen, dass die Fluchtaus Ostpreußen eine „Katastrophe“ gewesen sei, „aber es istdas nachgeordnete Unrecht – die deutschen Verbrechen blei-ben auslösendes Moment“5. Außerdem begann die Fluchtzuerst bei anderen Völkern, nachdem Deutschlands Machtha-ber 1939 eine Neuordnung Europas angekündigt und sie durchKrieg begonnen hatten. So wurden die Polen durch die deut-sche Besatzungsmacht im Rahmen der von Himmler verant-worteten „Germanisierung“ des Ostens, auch „Umvolkung“genannt, „umgesiedelt“.6

Der andere Akzent wurde nach Grass‘ Mitteilung in seiner ro-manhaften Autobiografie Beim Häuten der Zwiebel (2006) ge-setzt, er sei als Siebzehnjähriger kurz vor Kriegsende in die neuaufgestellte Waffen-SS-Division „Jörg von Frundsberg“ eingezo-gen worden. Was in der journalistischen Debatte folgte, wargespenstisch, teils unerquicklich, aber auch aufschlussreich.

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Die Grass gemachten Vorwürfe standen in keiner Relation zuzahlreichen Biografien, in denen hohe und höchste Funktionenim Dritten Reich kein Hinderungsgrund für vergleichbare Lauf-bahnen nach 1945 waren. Es wurde deutlich, dass es vielenMeinungsmachern bei ihren Urteilen über Grass nie um ästhe-tische und moralische, noch weniger um literarische Fragenging, sondern nur um Hass und Wut auf einen erfolgreichen,widerspruchsvollen und unbequemen Schriftsteller, der aus sei-nem sozialen Engagement, dem politischen Willen zum Einmi-schen, dem links orientierten Denken und seiner Sympathie fürAusgegrenzte nie ein Hehl gemacht hatte. In einer ersten Zu-sammenfassung hieß es über die Diskussion:

„Alte Rechnungen wurden beglichen, die moralischen Verdiktefielen verheerend aus, als ginge es bei diesem Verschweigen einerjugendlichen Torheit um Landesverrat. Sogar eine schlichte Ge-wissheit sollte eingestampft werden: dass die Instanz der Kritiknicht deshalb schon annulliert ist, wenn der Kritiker selbst ihrnicht genügt. Eine Heuchel-Suada (d. i. Redeschwall, R. B.)ohnegleichen ist über den ‚Heuchler‘ Grass niedergegangen.“7

Grass‘ Gesamtwerk und damit die Novelle Im Krebsgang ha-ben durch das bekannt gewordene biografische Detail an Be-deutung gewonnen. Sie lesen sich noch eindringlicher als dieAufarbeitung von Scham und Schuld, keiner nachweislich per-sönlichen Schuld, aber der nationalen Schuld, in die der Fa-schismus Deutschland und die Deutschen gestürzt hat und dieauch als Schuld des Einzelnen geprüft werden muss. DieGrass’schen Texte ließen sich nun auch als allmählicheAufarbeitung und Erhellung der eigenen Biografie lesen. Nochdeutlicher wurde dadurch ihr Warncharakter. Begriffe wie„Schande“, „Scham“ und „Schuld“ bekommen in der Autobio-

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grafie zentrale Bedeutung, hatten sie aber auch in früherenWerken, wobei Im Krebsgang eine besondere Stellung zu-kommt. Grass verstand und versteht in diesem nationalen undindividuellen Sinn sein Schreiben stets als Sühne für Schuld.Schreiben wurde in der Danziger Trilogie8 zum entscheidendenVersuch, Schuld abzuarbeiten. Oskar in der Blechtrommelschrieb, Pilenz in Katz und Maus ebenso, in den Hundejahrensind es gleich drei Erzählende und Schreibende. Schließlicherhielt auch der Erzähler in der Novelle Im Krebsgang einenSchreibauftrag von einem „Jemand, der keine Ausreden mag“(7); eine Novelle allerdings wollte er nicht schreiben, nur ei-nen „Bericht“ (123). Der „Jemand“, der „Alte“ (99) – der nichtidentisch mit Günter Grass, sondern eine fiktionale Figur mitZügen des Schriftstellers ist – sieht in dem Text „das Zeug zurNovelle“, aber das interessiert den Erzähler nicht.Der vorliegende Kommentar wurde nicht überarbeitet, weilGrass ein Geheimnis preisgab – das hat mit einem Kommen-tar zu einem literarischen Text wenig zu tun –, sondern wegender neuen Informationen, die Grass in seiner Autobiografie zuden Entstehungsgeschichten seiner Werke und deren Verzah-nung im gesellschaftlichen Leben ihrer Zeit gegeben hat.Nirgends ergab sich dabei ein Widerspruch zu dem bereitsvorliegenden Kommentar, aber oft unterstrichen Grass‘ inten-sive Schilderungen die Erkenntnisse mit bildhaft auffälligenErlebnissen. Der Kommentar wurde außerdem bio-bibliogra-fisch auf den neuesten Stand gebracht. Er will das Werk aufseinem historischen Hintergrund beschreiben. Aufmerksam-keit gehört der literarischen Methode Grass’ sowie der Stel-lung und Beziehung der Novelle zur Danziger Trilogie.

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Jahr Ort Ereignis

1927 Danzig Günter Grass wird am Sonntag,dem 16. Oktober, in Danzig-Lang-fuhr als Kind eines deutschenprotestantischen Vaters und einerkaschubischen katholischen Mut-ter geboren. Die Eltern haben einKolonialwarengeschäft.

1933–44 Danzig Er besucht die Volksschule, 1937das Real-Gymnasium Conra-dinum. Seit 1937 im DeutschenJungvolk (DJ).

1943/44 Danzig Luftwaffenhelfer, Reichsarbeits-dienst.

1944 Dresden September: Den Marschbefehlzur Waffen-SS-Division „Jörgvon Frundsberg“ verstand derfür das Dritte Reich begeisterteGrass als Kommando in eine„Eliteeinheit“9. Ausbildung zumPanzerschützen auf einem Trup-penübungsplatz in Böhmen.

Alter

6–17

16–17

16

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