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3kiKÄJ)er teilung WOCHENENDE 295-077 Samstag/Sonntag, 17./ 18. Dezember 1994 Nr. 295 77 Die Krim - Juwel und Zankapfel Von Regula Heusser-Markun (Text) und Christoph Puschner (Bilder) «Ein ungebetener Gast ist schlimmer als der Tatar», lautet eine russische Redensart. Die sporadischen Einfälle und Raubzüge der ungetauften Stäm- me, die bereits 1240 das erste russische Reich, die Kiewer Rus, zu Fall gebracht hatten und die bis in die Mitte des 1 8. Jahrhunderts ihre westlichen Nach- barn heimzusuchen pflegten, sind den christlichen Slawen noch heute der In- begriff des Schreckens. Das Bild der Mongolen und jenes der Tataren ver- mischten sich bald zu dem einen Feind- bild: räuberische Nomadenvölker aus den asiatischen Steppen. Jetzt kommen, auch sie ungebeten, die Krimtataren gleich zu Zehntausenden. Sie kehren zurück in ihre Heimat, aus der Stalin die Nachkommen der Räubernomaden 1944 bis auf den letzten vertrieben hatte. Die Krimtataren sind Angehörige eines Volkes, das sich im Laufe der Zeit mit andern Schwarzmeervölkern ver- mischt hat und das die nicht erst heute multiethnisch geprägte Halbinsel seit langem besiedelt. Anders als ihre Mit- bewohner auf der Krim - Georgier, Armenier, Bulgaren, Griechen und die später angesiedelten Russen und Ukrai- ner - haben die Krimtataren kein ande- res Mutterland, sie haben nur diese eine Heimat, nach der sie sich benennen. Und aus diesem Umstand leiten sie ein besonderes Recht als «Wurzelvolk» der 22 500 Quadratkilometer grossen Halb- insel ab. Als erstes historisch dokumentiertes Volk lebten die Kimmerier hier, bis sie, wohl im 7. Jahrhundert v. Chr., von der subtropisch milden Küste durc h die Skythen vertrieben wurden und unter dem Namen «Tauren» im Hinterland überlebten. Tauros nannten denn auch die Griechen, die im 6. Jahrhundert v. Chr. hier ankamen, die Halbinsel. Zu erwähnen wäre eine lange Reihe von Völkern, die alle auf der attraktiven Halbinsel ihr Glück suchten, von den jeweils nächsten vom Küstengebiet ver- drängt wurden und ihr Substrat hinter- liessen: aus der «Tiefe Asiens» stam- mende Karaimen; Alanen, Goten und ural-altaische Hunnen, Bulgaren, Chasaren, nordkaukasische Tscherkes- sen, dann nomadisierende Turkstämme von den Petschenegen bis zu den Komanen (Polowzer). Auch Genueser und Venezianer kontrollierten zeitweilig von ihren Niederlassungen aus den Handel im Schwarzmeerraum. Die Stadt Eski Kerem (heute Stary Krim) war Sitz der Statthalter der Gol- denen Horde, bis die Halbinsel 1475 definitiv dem Osmanischen Reich ange- gliedert wurde. Untertanen Konstanti- nopels, seit 1453 also Istanbuls, blieben die Krimvölker bis zu ihrer Einverlei- bung in das Russische Reich zehn Jahre nach dem Frieden von Kü- tschük- Kainardsche, der 1774 den sechsjährigen Türkenkrieg beschloss. Die eine Abhängigkeit - die von der Hohen Pforte - wurde abgelöst durch die andere, jene von Petersburg. Katha- rina die Grosse zwang der Halbinsel die Trennung von Staat und Religion auf: die Bewohner durften zwar Muslime - Sunniten - bleiben und den türkischen Sultan als ihr religiöses Oberhaupt an- erkennen, jedoch der Khan, der in Bachtschisarai residierte, hatte keine weltlichen Befugnisse mehr. Die Krim war ins europäische Gesichtsfeld ge- nickt. 1784 verfasste ein Deutscher na- mens Thunmann für «Büschings grosse Erdbeschreibung» den Beitrag über die Halbinsel. Er schätzte die Bewohner- zahl auf 400 000 gemäss einer Quelle, die etwa 70 000 «Herdfeuer», also Haushalte, zählte. Die Krimtataren identifizierte er als einen «Zweig des vielgliedrigen Türkenstamms, jedoch stork durchmischt mit Mongolen». Heutzutage, schrieb der Europäer vor gut 200 Jahren, seien sie nicht mehr «das grobe, schmutzige, räuberische Volk, das man einst in diesen abstos- senden Farben beschrieb». Bis 1699 nämlich hätten Russen und Polen dem Krim- Khan jährlich Geschenke im Wert von je 100 000 Reichstalern machen müssen, um vor Raubzügen verschont zu bleiben. Neben dem Staatsvolk, den Krimtotaren, hätten hier zum Zeitpunkt der russischen Eroberung zahlreiche Aus dem usbekischen Exil zurück, bauten sich Iskander und Gulnara ein Haus, bevor sie ihre Eltern und Kinder nachkommen Hessen. Die hochdekorierten Helden des Grossen Vaterländischen Krieges leiden unter Prestigeverlust in einem auseinandergebrochenen Staat. Die meisten Heimkehrer lebten in städtischen Verhältnissen von «modernen» Berufen. Jetzt legen sie Gärten an und überleben vom Ertrag. Minderheiten gelebt: Handel treibende Armenier, die jedoch ärmer waren als jene im Nahen Osten; Griechen, die noch in den Küstendörfern und in den Handelsstädten anzutreffen waren; ver- einzelte Nachkommen der beim türki- schen Eroberungsfeldzug von 1475 ins Landesinnere versprengten Genueser. Zahlreich seien damals auch die Juden gewesen, soll doch die Oberschicht der Chasaren, als sie die Halbinsel be- herrschte, zum Judentum übergetreten sein. Wie in den andern Ländereien des Khan lebten auch hier viele Zigeuner. Russland, so sah es der Lexikograph, habe der Krim endlich die vor langer Zeit verlorene Unabhängigkeit zurück- gegeben. Die Krim war damals in 48 Ge- richtsbezirke oder Kadiliklar unterteilt: Sie trugen totarisch-türkische Namen wie Salgyr, Argun, Bocali, Engi-Kale, Baluklava, Ceterlyk, Namen, die in- zwischen von der Landkarte getilgt wurden. Jetzt, wo die zurückgekehrten Tataren mit eigenen Händen zahlreiche Siedlungen bauen, werden beim alten Namensgut Anleihen gemacht. Dass das heutige Jewpatorija an der Südküste bald wieder Göslöve heissen wird, wie damals, als es eine blühende Handels- stadt war, ist allerdings kaum zu erwar- ten. Denn die Russen lassen die Rück- kehrer nur im Hinterland siedeln. Bereits 1771 hatte die russische Armee in ihrem Drang nach eisfreien Häfen die Krim besetzt. Die Zarin, Katharina die Grosse, sass derweil in Petersburg, erliess Befehle, empfing die vom Fürsten Dolgoruki entsandten Kriegsberichterstotter und schrieb. Am 16. Juli 1771 meldete sie Voltaire, mit dem sie über Jahre in aufgeklärter Manier Briefe wechselte: «Dem Feinde bleiben auf der Krim nur noch zwei oder drei elende kleine Forts ... jeden Augenblick erwarte ich die Kapitulation der Tataren. Wenn nach alledem der Sultan noch immer nicht genug hat, werden wir ihm noch etwas anderes verpassen.» Und Voltaire schrieb am 30. Juli nach Petersburg: «Das ist immerhin ein Trost, das Königreich des Thoas zu besitzen, wo die schöne Iphi- genie so lange Nonne war ... Aber wenn Sie nach der Eroberung der Krim Mustapha Frieden gewähren, was wird aus meinem armen Griechenland? Was wird aus dem schönen Lande von Demosthenes und Sophokles? Jerusa- lem überlasse ich gern den Musul- manen .. . Aber ich werde auf immer höchst betrübt sein, das Theater von Athen in Gemüsegärten und das Gym- nasium in Ställe verwandelt zu sehen.» Am 18. Oktober entschuldigte Voltaire sich bei der Deutschen auf dem Zaren- thron, dass es «unter den närrischen Konföderierten Landsleute von mir gibt». «Es ist höchst schandbar und töricht, dass ein Schock Gelbschnäbel meines Landes die Unverschämtheit hat, gegen Sie Krieg zu führen, während 200 000 Tataren Mustapha verlassen, um Ihnen zu dienen. Die Tataren sind jetzt zivilisiert, und die Franzosen sind zu Skythen geworden. Wollen Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass ich kein Welscher bin; ich bin Schweizer, und wäre ich jünger, würde ich Russe», schrieb der aus Paris Verbannte aus dem Schloss von Ferney, unmittelbar an der Grenze zur Schweiz. Katharina die Grosse lud 1787, aus Anlass ihres 25-Jahr-Thronjubiläums, zahlreiche ausländische Gäste von Rang zu einer Reise ein, um ihnen die neu er- oberten Gebiete am Südrand des Rei- ches, darunter als Juwel die Krim, vor- zufuhren. Sie logierte im Khan- Palast von Bachtschisarai und genoss den historischen Triumph, dort zu residie- ren, von wo aus immer wieder Raub- züge nach Russland gesteuert worden waren. An ihren deutschen Leibarzt schrieb sie: «In Bachtschisarai war vor meinem Fenster eine Moschee ... Ich weiss nicht, ob der Himmel taub ist gegenüber ihren Gebeten, aber ich weiss, dass man weit weglaufen möchte, um dem Lärm, den sie in den Moscheen machen, zu entgehen.» Heu- te ist Bachtschisarai eine Touristen- attraktion, am Beispiel des Khan-Pala- stes reden unbedarfte russische Reise- leiterinnen über das Wesen des Islam, Neue Zürcher Zeitung vom 17.12.1994

3kiKÄJ)er 295-077 WOCHENENDE Die Krim Juwel undKrim_1.18389864.pdf · 2017. 3. 8. · 3kiKÄJ)erteilung WOCHENENDE 295-077 Samstag/Sonntag, 17./ 18. Dezember 1994 Nr. 295 77 Die

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3kiKÄJ)er teilung WOCHENENDE295-077

Samstag/Sonntag, 17./ 18. Dezember 1994 Nr. 295 77

Die Krim - Juwel und ZankapfelVon Regula Heusser-Markun (Text) und Christoph Puschner (Bilder)

«Ein ungebetener Gast ist schlimmerals der Tatar», lautet eine russischeRedensart. Die sporadischen Einfälleund Raubzüge der ungetauften Stäm-me, die bereits 1240 das erste russischeReich, die Kiewer Rus, zu Fall gebracht

hatten und die bis in die Mitte des1 8. Jahrhunderts ihre westlichen Nach-barn heimzusuchen pflegten, sind denchristlichen Slawen noch heute der In-begriff des Schreckens. Das Bild derMongolen und jenes der Tataren ver-mischten sich bald zu dem einen Feind-bild: räuberische Nomadenvölker ausden asiatischen Steppen. Jetzt kommen,auch sie ungebeten, die Krimtatarengleich zu Zehntausenden. Sie kehrenzurück in ihre Heimat, aus der Stalindie Nachkommen der Räubernomaden1944 bis auf den letzten vertriebenhatte. Die Krimtataren sind Angehörige

eines Volkes, das sich im Laufe der Zeitmit andern Schwarzmeervölkern ver-mischt hat und das die nicht erst heutemultiethnisch geprägte Halbinsel seitlangem besiedelt. Anders als ihre Mit-bewohner auf der Krim - Georgier,Armenier, Bulgaren, Griechen und diespäter angesiedelten Russen und Ukrai-ner - haben die Krimtataren kein ande-res Mutterland, sie haben nur diese eineHeimat, nach der sie sich benennen.Und aus diesem Umstand leiten sie einbesonderes Recht als «Wurzelvolk» der22 500 Quadratkilometer grossen Halb-insel ab.

Als erstes historisch dokumentiertesVolk lebten die Kimmerier hier, bis sie,

wohl im 7. Jahrhundert v. Chr., von dersubtropisch milden Küste d u r ch dieSkythen vertrieben wurden und unterdem Namen «Tauren» im Hinterlandüberlebten. Tauros nannten denn auchdie Griechen, die im 6. Jahrhundertv. Chr. hier ankamen, die Halbinsel. Zuerwähnen wäre eine lange Reihe vonVölkern, die alle auf der attraktivenHalbinsel ihr Glück suchten, von denjeweils nächsten vom Küstengebiet ver-drängt wurden und ihr Substrat hinter-liessen: aus der «Tiefe Asiens» stam-mende Karaimen; Alanen, Goten undural-altaische Hunnen, Bulgaren,Chasaren, nordkaukasische Tscherkes-sen, dann nomadisierende Turkstämmevon den Petschenegen bis zu denKomanen (Polowzer). Auch Genueserund Venezianer kontrollierten zeitweilig

von ihren Niederlassungen aus denHandel im Schwarzmeerraum.

Die Stadt Eski Kerem (heute StaryKrim) war Sitz der Statthalter der Gol-denen Horde, bis die Halbinsel 1475definitiv dem Osmanischen Reich ange-gliedert wurde. Untertanen Konstanti-nopels, seit 1453 also Istanbuls, bliebendie Krimvölker bis zu ihrer Einverlei-bung in das Russische Reich zehn Jahrenach dem Frieden von Kü-tschük- Kainardsche, der 1774 densechsjährigen Türkenkrieg beschloss.Die eine Abhängigkeit - die von derHohen Pforte - wurde abgelöst durchdie andere, jene von Petersburg. Katha-rina die Grosse zwang der Halbinsel dieTrennung von Staat und Religion auf:die Bewohner durften zwar Muslime -Sunniten - bleiben und den türkischenSultan als ihr religiöses Oberhaupt an-erkennen, jedoch der Khan, der inBachtschisarai residierte, hatte keineweltlichen Befugnisse mehr. Die Krimwar ins europäische Gesichtsfeld ge-

nickt.1784 verfasste ein Deutscher na-

mens Thunmann für «Büschings grosseErdbeschreibung» den Beitrag über dieHalbinsel. Er schätzte die Bewohner-zahl auf 400 000 gemäss einer Quelle,die etwa 70 000 «Herdfeuer», alsoHaushalte, zählte. Die Krimtatarenidentifizierte er als einen «Zweig desvielgliedrigen Türkenstamms, jedoch

stork durchmischt mit Mongolen».Heutzutage, schrieb der Europäer vorgut 200 Jahren, seien sie nicht mehr«das grobe, schmutzige, räuberischeVolk, das man einst in diesen abstos-senden Farben beschrieb». Bis 1699nämlich hätten Russen und Polen demKrim- Khan jährlich Geschenke im Wertvon je 100 000 Reichstalern machenmüssen, um vor Raubzügen verschontzu bleiben. Neben dem Staatsvolk, denKrimtotaren, hätten hier zum Zeitpunkt

der russischen Eroberung zahlreiche

Aus dem usbekischen Exil zurück, bauten sich Iskander und Gulnara ein Haus, bevor sie ihre Eltern und Kinder nachkommen Hessen.

Die hochdekorierten Helden des Grossen Vaterländischen Krieges leiden unter Prestigeverlust in einem auseinandergebrochenen Staat.

Die meisten Heimkehrer lebten in städtischen Verhältnissen von «modernen» Berufen. Jetzt legen sie Gärten an und überleben vom Ertrag.

Minderheiten gelebt: Handel treibendeArmenier, die jedoch ärmer waren alsjene im Nahen Osten; Griechen, dienoch in den Küstendörfern und in denHandelsstädten anzutreffen waren; ver-einzelte Nachkommen der beim türki-schen Eroberungsfeldzug von 1475 insLandesinnere versprengten Genueser.Zahlreich seien damals auch die Judengewesen, soll doch die Oberschicht derChasaren, als sie die Halbinsel be-herrschte, zum Judentum übergetreten

sein. Wie in den andern Ländereien desKhan lebten auch hier viele Zigeuner.Russland, so sah es der Lexikograph,

habe der Krim endlich die vor langer

Zeit verlorene Unabhängigkeit zurück-gegeben.

Die Krim war damals in 48 Ge-richtsbezirke oder Kadiliklar unterteilt:Sie trugen totarisch-türkische Namenwie Salgyr, Argun, Bocali, Engi-Kale,Baluklava, Ceterlyk, Namen, die in-zwischen von der Landkarte getilgt

wurden. Jetzt, wo die zurückgekehrten

Tataren mit eigenen Händen zahlreicheSiedlungen bauen, werden beim altenNamensgut Anleihen gemacht. Dassdas heutige Jewpatorija an der Südküstebald wieder Göslöve heissen wird, wiedamals, als es eine blühende Handels-stadt war, ist allerdings kaum zu erwar-ten. Denn die Russen lassen die Rück-kehrer nur im Hinterland siedeln.

Bereits 1771 hatte die russischeArmee in ihrem Drang nach eisfreienHäfen die Krim besetzt. Die Zarin,Katharina die Grosse, sass derweil inPetersburg, erliess Befehle, empfing dievom Fürsten Dolgoruki entsandtenKriegsberichterstotter und schrieb. Am16. Juli 1771 meldete sie Voltaire, mitdem sie über Jahre in aufgeklärter

Manier Briefe wechselte: «Dem Feindebleiben auf der Krim nur noch zweioder drei elende kleine Forts . . .

jedenAugenblick erwarte ich die Kapitulation

der Tataren. Wenn nach alledem derSultan noch immer nicht genug hat,

werden wir ihm noch etwas anderesverpassen.» Und Voltaire schrieb am30. Juli nach Petersburg: «Das istimmerhin ein Trost, das Königreich desThoas zu besitzen, wo die schöne Iphi-genie so lange Nonne war . . . Aberwenn Sie nach der Eroberung der KrimMustapha Frieden gewähren, was wirdaus meinem armen Griechenland? Waswird aus dem schönen Lande vonDemosthenes und Sophokles? Jerusa-lem überlasse ich gern den Musul-manen . . . Aber ich werde auf immerhöchst betrübt sein, das Theater vonAthen in Gemüsegärten und das Gym-

nasium in Ställe verwandelt zu sehen.»Am 18. Oktober entschuldigte Voltairesich bei der Deutschen auf dem Zaren-thron, dass es «unter den närrischenKonföderierten Landsleute von mirgibt». «Es ist höchst schandbar undtöricht, dass ein Schock Gelbschnäbelmeines Landes die Unverschämtheithat, gegen Sie Krieg zu führen, während200 000 Tataren Mustapha verlassen,

um Ihnen zu dienen. Die Tataren sindjetzt zivilisiert, und die Franzosen sindzu Skythen geworden. Wollen Sie bittezur Kenntnis nehmen, dass ich keinWelscher bin; ich bin Schweizer, undwäre ich jünger, würde ich Russe»,

schrieb der aus Paris Verbannte ausdem Schloss von Ferney, unmittelbaran der Grenze zur Schweiz.

Katharina die Grosse lud 1787, ausAnlass ihres 25-Jahr-Thronjubiläums,

zahlreiche ausländische Gäste von Rang

zu einer Reise ein, um ihnen die neu er-oberten Gebiete am Südrand des Rei-ches, darunter als Juwel die Krim, vor-zufuhren. Sie logierte im Khan- Palastvon Bachtschisarai und genoss denhistorischen Triumph, dort zu residie-ren, von wo aus immer wieder Raub-züge nach Russland gesteuert wordenwaren. An ihren deutschen Leibarztschrieb sie: «In Bachtschisarai war vormeinem Fenster eine Moschee ... Ichweiss nicht, ob der Himmel taub istgegenüber ihren Gebeten, aber ichweiss, dass man weit weglaufen möchte,um dem Lärm, den sie in denMoscheen machen, zu entgehen.» Heu-te ist Bachtschisarai eine Touristen-attraktion, am Beispiel des Khan-Pala-stes reden unbedarfte russische Reise-leiterinnen über das Wesen des Islam,

Neue Zürcher Zeitung vom 17.12.1994

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78 Samstag/Sonntag, 17./ 18. Dezember 1994 Nr. 295 WOCHENENDE 295-07 leite Äjcr leitung

Die Moschee von Jewpatorija bietet d en Krimtataren Heimatgefühl. Doch in die Häuser ihrer Kindheit lässt man sie in der Küstenstadt nicht zurück.

Mit dem Abschied von Lenin nimmt man es hier nicht so genau: Noch beherrscht er manchen Kopfgenau so wie die Strandpromenade von Jalta.

Auch Tabak gedeiht hier noch, solange die staatlichen Sowchosbetriebe weiterbestehen. Doch der Markt ist mit ausländischen Zigaretten überschwemmt.

über Haremsregeln, über Genusssucht und Grausamkeit der tatari-schen Fürsten. Alte Ängste werden ungestraft in Vorurteile umge-münzt, die auch die heutigen Krimtataren treffen.

Die landschaftlich und klimatisch attraktive, dünn besiedelteHalbinsel zog bald nach ihrer Eroberung Russlands Oberschicht anund in ihrem Gefolge Arbeitskräfte verschiedener Nationalitätenaus dem Russischen Reich. Fürst Potjomkin - später der TaurischeFürst genannt - und Michail Woronzow, der Generalgubernator

von Odessa, Noworossisk und der Krim, bauten Schlösser und be-gannen sich für den Weinbau, der von den Krimtataren seit langemgepflegt wurde, zu interessieren. Neue Sorten wurden angebaut,

ein önologisches Institut gegründet. Adel und Schriftsteller mach-ten hier Ferien, kurierten Herz- und Lungenkrankheiten aus.Puschkin fühlte sich vom orientalischen Zauber angezogen, Tsche-chow wurde ein Wohnortswechsel nach Jalta vom Arzt verschrie-ben. Schaljapin und Rachmaninow und viele weitere PetersburgerInterpreten traten in den Lustschlössern der High Society auf. AlsMaxim Gorki kurz nach 1900 die Halbinsel in Begleitung eines fal-schen georgischen Adeligen zu Fuss durchquerte, mach te dasStaatsvolk, die Krimtataren, noch einen Drittel ihrer Bewohneraus. Minarette gab es damals noch in jeder Siedlung.

Nach der Russischen Revolution - die Weissgardisten hattendas Kleinod bis zum Sommer 1921 gegen die Bolschewiki vertei-digt - erklärte Lenin den nun auf den Namen Autonome Soziali-stische Sowjetrepublik Krim getauften Teil der Russischen Födera-tion zum Erholungsgebiet für «Proletarier». Und er hinterliessSpuren: Nicht weniger als 137 Lenindenkmäler wurden errichtet,auch 1994 stehen noch viele davon. Die neuen Eliten, Parteikaderund gewerkschaftlich organisierte Künstler, aber auch Arbeiter ausden Sektoren Energie, Schwerindustrie und Maschinenbau, be-kamen ihre Erholungsheime und Sanatorien. Die Umnutzung derenteigneten Adels- und Kaufmannspaläste erfolgte nahtlos, neu ge-

baut wurde zunächst kaum. Erst unter Stalin entstanden solideSanatorien im neoklassizistischen Geschmack, die heute in derFernsehwerbung als «Zeugen der grandiosen Stalin-Architektur»gepriesen werden. Dass der Architekt des 1951 für das Zentral-komitee erstellten Erholungsheims «Ukraine» im Gulag ver-schwand, weil er an dem Bau «unnötige Schnörkel» angebrachthabe, verschweigt die Reklame für das Luxushotel.

Am 22. Juli 1941 bombardierte Hitlers Luftwaffe Sewastopol,

den wichtigsten Hafen der Schwarzmeerflotte. Wie bei früherenAngriffen verteidigte sich die Stadt heldenhaft. Im Panorama-Museum steht man mitten im dramatischen Geschehen von1854/55, erlebt Szenen aus der 349 Tage dauernden Belagerung

durch die feindliche Koalition: England, Frankreich, Türkei, Sardi-nien. Im Zweiten Weltkrieg schienen sich Martyrium und Triumphder Stadt zu wiederholen. 1944 wurden über 450 Soldaten mit demhöchsten Orden, «Held der Sowjetunion», dekoriert. Sewastopol

als Stadt wurde mit Leninorden und Goldenem Stern geehrt.

Stalin nahm die Tatsache, dass einige Sprecher der von Russenüberschichteten Krimtataren, die damals etwa 20 Prozent der 1,3

Millionen Bewohner ausmachten, die Deutschen als Befreier be-grüssten, zum Anlass, diese im Mai 1944 allesamt als «Kollabora-teure mit dem Feind» nach Mittelasien und Sibirien deportieren zulassen. Innerhalb zweier Tage war die Krim «tatarenfrei». Fast dieHälfte der 250 000 Menschen kam bei der Zwangsumsiedlung umsLeben. Chruschtschew schlug 1954, ein Jahr nach dem Tod desDiktators, die Halbinsel als Krimskaja Oblast der Ukraine zu; amüber die Tataren verhängten Bann hielt er fest. Die Krimtatarenselbst sollten diesen brechen: Zehntausende spontaner Rücksied-ler, die nach dem 20. Parteitag aufgebrochen waren, wurden erneutvertrieben. Erst die Perestroika gab einen neuen Impuls: 1987 be-gannen die Krimtataren, «wild» heimzukehren. 1987 trafen 2300,1988 bereits 19 300 altberechtigte Neusiedler ein. 1989 lag ihreZahl bei 85 100.

1989, bei der letzten Volkszählung im Sowjetreich, waren vonden 2,4 Millionen Einwohnern der Krim zwei Drittel Russen,

600 000 (russophone) Ukrainer, die restlichen 200 000 Angehörige

weiterer Sowjetvölker. Unionsweit zählten staatliche Steilen270 000 Krimtataren - diese siedelten vor allem in Sowjetisch-

Mittelasien -; unabhängige Experten schätzten zur gleichen Zeitetwa eine Million. Ihre Heimat hatten die Vertriebenen seit Kriegs-

ende nicht vergessen. Kaum war Stalin tot, meldeten sie sich alspolitisch aktivste Minderheit zu Wort. Ihre Massendemonstratio-nen und Forderungen brachten die Wortführer in Lager und psych-

iatrische Kliniken. Doch die Krimtataren gaben keine Ruhe. Undsie fanden Unterstützung d u r ch prominente Dissidenten. Sacharowwehrte sich für sie in offenen Briefen an Breschnew und an Wald-heim. Die stets mutige Lidija Tschukowskaja protestierte 1976gegen den rechtswidrigen Prozess, der dem in Taschkent wohnhaf-ten Krimtataren-Führer Mustafa Dschemiljow in Omsk gemacht

wurde. In einem Hilferuf an König Khaled von Saudiarabien, den«Hüter der muslimischen Heiligtümen>;, wird die Selbstverbren-nung eines Familienvaters, den das Heimweh 1978 auf die Krimzurückgebracht hatte, geschildert. Die lebendige Fackel des MusaMahmut sei ein Symbol für das Schicksal aller Krimtataren.

Mustafa Abduldschemil - die russifizierte Form Dschamiljow

darf jetzt endlich abgelegt werden -, der Wortführer der Krimtata-ren im usbekischen Exil, der immer wieder eingekerkert und gefol-

tert wurde, ist heute Präsident der 1991 gegründeten Medschlis,der Interessenvertretung der Minderheit in Simferopol. Sein be-scheidener Amtssitz ist Anlaufstelle für ungezählte Repatrianten,

die weder Mittel noch eine Bleibe haben. Der hagere Kämpfer istgezeichnet von den Lagerjahren und geniesst höchstes Ansehen alsmoralische Autorität. Mittlerweile sind 280 000 Krimtataren heim-gekehrt; mindestens 100 000 weitere werden erwartet. Sie machenbald 14 Prozent der Bevölkerung aus. In manchen Dörfern imHinterland sind es gar zwischen 17 und 25 Prozent, im Schickeria-Badeort Jalta, wo in der Touristensaison erstklassige Opern- undTheatertruppen aus Moskau und Petersburg gastieren, dafür nichteinmal deren 2. So kommt es auch heute noch vor, dass sie dortHäuser besetzen. Das für ihre Wiederansiedlung ausgezonte Landist schlecht erschlossen und wenig fruchtbar. Bis zur Unabhängig-

keit der Ukraine Ende 1991 befand «Moskau» darüber, dann«Kiew», das immerhin Wohnbauprojekte für bedürftige Heim-kehrer in die Wege leitete.

Die Krimtataren äussern sich denn auch für die «territorialeIntegrität der Ukraine», das heisst, sie lehnen sowohl eine Unab-hängigkeit der Halbinsel als auch ihren Wiederanschluss an Russ-land ab. Gerade die Altberechtigten sind an einer autonomen Krimnicht interessiert. Ein zweites Tatarstan ist hier nicht zu erwarten.Der Abenteurer Juri Meschkow, der sich nach der Unabhängig-

Neue Zürcher Zeitung vom 17.12.1994

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Situe JirrljcrÄifitmi WOCHENENDE 295-079Samstag/Sonntag, yy 18. Dezember 1994 Nr. 295 79

keitserklärung der Halbinsel von der mehrheitlich russischen Be-völkerung im Januar dieses Jahres zum Präsidenten wählen liess,

indem er baldige Prosperität versprach, hat die Gunst der Krim-tataren nie genossen. Die Politfarce dieses «nackten Königs», wieihn Kritiker nennen, scheint mit der Sommersaison zu Ende gegan-gen zu sein, nachdem er sich mit dem Krim- Parlament überworfenhat. In Kiew hat man ohnehin die Krim nie als eigenes Staatswesenbetrachtet: Verteidigungs-, Aussen- und Währungspolitik werdendort auch für die Halbinsel gemacht, denn sie ist Teil der Ukraine.Und selbst die Erklärung des Krim- Parlamentes vom August, dieMilitärhafen-Stadt Sewastopol sei russisches Hoheitsgebiet, wird inKiew gelassen aufgenommen. Gerade den russischen Händlernund Touristen kann es nur recht sein, dass die Krim im Geltungs-

bereich der ukrainischen «Karbowanzy» oder «Kupony» liegt. Derzwanzigmal stärkere Rubel erscheint hier geradezu als harte Wäh-rung.

Das Gerangel um die Schwarzmeerflotte, in das Russland unddie Ukraine verstrickt sind, interessiert die Krimtataren wenig. IhreMeinung ist weder gefragt, noch fiele sie ins Gewicht. Sie wollenwie die meisten totalitarismusgeschädigten Völker des Sowjetreichs

endlich «ein normales Leben führen». Sie stossen sich an der Sied-lungspolitik der Mächtigen. Denn noch zu Beginn der Perestroikahatte «Moskau» zahlreiche, vor allem russische und ukrainischeSowjetbürger auf die Krim ziehen lassen, um dann im OberstenSowjet Bedenken zu artikulieren, die Halbinsel könnte zu dicht be-siedelt sein. Heimkehrende Tataren könnten sich nur in gewissenGebieten, nämlich in der Steppenlandschaft des Nordens, nieder-lassen und so zur Begrünung beitragen. Solschenizyn sandte 1990aus dem Exil einen Aufruf an die Weinen Völker, in dem es heisst:«Den Krimtataren muss man die uneingeschränkte Rückkehr in dieHeimat erlauben.» Aber bei der Bevölkerungsdichte des 21. Jahr-hunderts, schrieb der Prophet, müsse die Krim 8 bis 10 MillionenMenschen fassen und die Krimtataren, dieses einige Hundert-tausend zählende Volk, dürften keinen Herrschaftsanspruch haben.Der grossrussische oder panslawische Chauvinismus Weidet sichbeim einfachen Volk nicht in demographisches Kalkül. Die Slawender Krim halten sich an alte Stereotypen. Als diesen Sommer Fällevon Tuberkulose gemeldet wurden, war der Sündenbock schnellzur Hand: Die Repatrianten sollen die Krankheit eingeschleppt

haben. Und obwohl die Sowjetregierung 1967 die Krimtataren vomVorwurf der Kollaboration freigesprochen hat, taucht auch dieserwieder auf, selbst in den Medien.

Vor allem an der touristisch nutzbaren Südküste sind die Krim-tataren unerwünscht. Der schmale, bewaldete Gürtel, der mit sei-nen teilweise schroffen Höhen die subtropische von der Steppen-

zone trennt, ist mit seinen Kiefern für die heilsame Luft verant-wortlich und - der Topographie sei Dank - unantastbar. Dieetappenweise Verschandelung der Küstenregion hatte in den sieb-ziger Jahren erst richtig eingesetzt, als bis zu 17 Stockwerke hoheHotelkästen sowie Billighochhäuser für das Kurort- und Tou-rismuspersonal erstellt wurden. Mit dem Auseinanderbrechen derUnion 1991 fand die Bauwut jedoch ein abruptes Ende. Die Krimwar plötzlich Ausland geworden für die Russen und die übrigen

GUS-Untertanen. Mit der Auflösung von Partei, Gewerkschaftenund Berufsverbänden verschwanden die Auftraggeber der megalo-

manen Projekte, die jetzt unvollendet in den Himmel ragen, denBlick vom Land aufs Meer und vom Meer aufs Land gleicher-

massen beleidigend. Wer heute auf der Krim baut, tut es ohne Auf-trag und ohne Lohn: Die Krimtataren errichten für den Eigen-

bedarf bescheidene Ein- und Zweifamilienhäuser. Ganze Siedlun-gen entstehen aus einheimischem Muschelkalk. Sie fügen sichorganisch in die Landschaft ein. Und oft tragen die rasch angeleg-

ten Obst- und Gemüsegärten Früchte, bevor die Häuser fertig-gestellt sind.

«Die Eigentumsfrage ist auf der Halbinsel noch nicht gelöst»,

heisst es beim Stadtrat von Jalta. Der Satz bedeutet, dass Besitz-ansprüche von den Moskauer Bauherren geltend gemacht werdenauf fertige wie auf unfertige Bauten. Die fertigen lassen sich touri-stisch nutzen, bringen Geld ein, ohne Kapital zu fordern. Und daman die Preise massiv erhöht hat, mit mehr ausländischen Touri-sten rechnet und mit den Neureichen aus den GUS-Staaten, ist tat-sächlich mit der Hotellerie Geld zu machen. Allerdings locken jetztgünstigere Angebote; manch einer träumt davon, nächstes Jahr ander türkischen Schwarzmeerküste Urlaub zu machen. Die Türkenbieten günstige Arrangements an und können bei ihrem darnieder-liegenden Tourismus nur profitieren vom wirtschaftlichen undpolitischen Chaos in den GUS-Staaten.

Die Krimtataren werden von der Regierung in Kiew mit sozia-lem Wohnungsbau unterstützt, wollen sich doch die Ukrainer aufder vorwiegend russisch besiedelten und von der russischen Mafiakontrollierten Insel treue Untertanen schaffen. Die RussischeRepublik hat bisher nichts für die Verbesserung der Lebensbedin-gungen der 280 000 Heimkehrer getan. Hingegen hat der türkischePräsident Demirel kürzlich bei einem Besuch bei der krimtatari-schen Medschlis ebenfalls ein Kontingent Wohnungen verspro-chen. Bisher blieb es beim Versprechen. Auch sollen jährlich einige

hundert türkische Studienplätze für Krimtataren bereitgestellt wer-den. Die Türkei ist sehr nahe an die Krim genickt.

Und das nicht nur dank der in mehreren Migrationsschüben zubeachtlicher Stärke angewachsenen krimtatarischen Diaspora amBosporus, sondern auch aus kommerziellen Motiven. WährendKursschiffe nach Odessa nicht mehr gefragt sind und vor zwei Jah-ren - genauso wie die Linien nach Abchasien und Georgien - vomFahrplan verschwunden sind, werden jetzt wöchentlich viertägige

Schiffsreisen nach Istanbul angeboten. Die Wartelisten sind lang.

Und die Reisenden sind nicht Touristen, die sich den Topkapi-Pa-

last ansehen wollen. Es sind Händler und Geschäftsleute, die sichmit Billigwaren für den Wiederverkauf eindecken. Die Tataren sindhier im Vorteil, ist doch ihre Sprache dem Türkischen eng ver-wandt. Neuerdings werden am Hafen Stadtpläne von Istanbul, aufdenen alle günstigen Einkaufsmöglichkeiten eingezeichnet sind,

und einfache türkische Sprachführer angeboten. Russen und Ukrai-ner sind um des Geschäftes willen erstmals bereit, sich mit demIdiom des Erzfeindes zu beschäftigen. Und die Märkte Jaltas, Sim-feropols, Aluschtas sind tatsächlich überschwemmt mit türkischenTextilien, Lebensmitteln, Haushaltgeräten und Medikamenten. DieBarbaren von einst sind jetzt die Vermittler westlichen Konsum-guts. Eine verkehrte Welt. Dieser Rollentausch unterminiert gar

das identitätsbildende Lamento der Russen, die ihre Rückständig-

keit damit zu entschuldigen pflegen, dass sie gewissermassen alsAntemurale Christianitatis die Räubervölker von Europa abgehal-

ten und ein Jahrhunderte dauerndes Tataren-Joch erduldet haben.

Sewastopol, Heimathafen der Schwarzmeerflotte, ist Zankapfel zwischen Russland und der Ukraine. Der Zutritt zur Stadt bleibt streng kontrolliert.

Die Kaufkraft der Löhne im Weinbau schrumpft, wenn sie überhaupt bezahlt werden. Chic und Luxus kennen nur die Damen der Neureichen an der Küste.

Der Khan-Palast von Bachtschisarai hat symbolische Bedeutung. Ein «Festival der türkischen Jugend» versammelte hier unlängst Gäste aus manchem Land.

Neue Zürcher Zeitung vom 17.12.1994