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40. Sitzung Kulturelles Profil Berlins 06. / 07. Mai 1994

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40. Sitzung

Kulturelles ProfilBerlins

06. / 07. Mai 1994

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Dokumentation 40. Sitzung STADTFORUM

Dokumentation 40. Sitzung STADTFORUM

06. / 07. Mai 1994

Inhaltsverzeichnis

Seite l - 20 Protokoll der Sitzung(Horst Moritz)

Die Beiträge

Seite 23 Bernhard SchneiderLeitgedanken der Lenkungsgruppe(Auszug)

Seite 24 Ulrich Roloff-MominKulturpolitik als Stadtentwicklungspolitik(Auszug)

Seite 25 Rolf Xago-SchröderKultur als Motor der Stadtentwicklung(Auszug)

Seite 26 Friedrich DieckmannKultur als Motor der Stadtentwicklung(Auszug)

Seite 27 Helmut EngelDie Strukturen der historischen kulturellen Institutionen in der Innenstadt(Auszug)

Seite 28 Tilmann HachfeldZur Rolle der Kirche im kulturellen Selbstverständnis der Stadtgesellschaft(Auszug)

Seite 29 Michael GöpfertZur Rolle der Kirche im kulturellen Selbstverständnis der Stadtgesellschaft(Auszug)

Seite 31 Erich ThiesWissenschaftslandschaft in der Berliner Stadtmitte(Auszug)

Seite 35 Wolf-Dieter HeilmeyerErwartungen an den Standort klassischer Kultur in Berlin(Auszug)

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Dokumentation 40. Sitzung STADTFORUM

Seite 36 Rainer BlankenburgKultur als Integrationsfaktor im Stadtteil(Auszug)

Seite 37 Christa JuretzkaKulturelle Infrastruktur und kulturelles Selbstverständnis im Stadtteil(Auszug)

Seite 38 Rudolf SchäferZusammenfassung des 1. und des 2. Sitzungstages

Seite 39 Programm

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Dokumentation 40. Sitzung STADTFORUM. Protokoll

Thema:

Ort:

Zeit:

Anwesend:

Kulturelles Profil Berlins

Wallstraße 27 (1. OG), 10179 Berlin

06. 05. 1994

07. 05. 1994

06. 05.07. 05.

Beginn: 14.10. Ende: 18.00

Beginn: 10.10Ende: 14.30

ca. 120 Personenca. 90 Personen

BERLINSeite l

Protokoll der 40. Sitzung des Stadtforums

06. 05. 1994

Bernhard Schneider (Lenkungsgruppe)Leitgedanken der Lenkungsgruppe

Ulrich Roloff-Momin (Senator fürkulturelle Angelegenheiten)Kulturpolitik als Stadtentwicklungspolitik

Kultur als Motor der Stadtentwicklung:

Rolf Xago-Schröder (Bildender Künstler, Berlin)

Friedrich Dieckmann (Publizist, Berlin)

Seite 3

Seite 3

Seite 3

Seite 4

-J

Diskussion

Helmut Engel(SenStadtUm, Aufsicht über den Denkmalschutz)Die Strukturen der historischen kulturellenInstitutionen in der Innenstadt

Seite 4

Seite 8

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BERLINDokumentation 40. Sitzung STADTFORUM, Protokoll Seite 2

Tilman Hachfeld(Consistorium der Französischen Kirche Berlin)Zur Rolle der Kirche im kulturellenSelbstverständnis der Stadtgesellschaft

Michael Göpfert (Pfarrer, München)Zur Rolle der Kirche im kulturellenSelbstverständnis der Stadtgesellschaft

Diskussion .

07. 05. 1994

Zusammenfassung der Moderators

Erich Thies (Staatssekretär fürWissenschaft und Forschung)Wissenschaftslandschaft in der Berliner Stadtmitte

Wolf-Dieter Heilmeyer (Staatliche Museen zu Berlin)Erwartungen an den Standort klassischer Kultur in Berlin

Diskussion

Rainer Blankenburg (Verein Hackesche Höfe)Kultur als Integrationsfaktor im Stadtteil

Christa Juretzka (Kulturamt Weißensee)Kulturelle Infrastruktur undkulturelles Selbstverständnis im Stadtteil

Diskussion

Zusammenfassung des Moderators

Seite 8

Seite 8

Seite 9

Seite 11

Seite 12

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Seite 13

Seite 16

Seite 16

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BERLIN

06. 05. 1994

Bernhard SchneiderLeitgedanken der Lenkungsgruppe

Die Vielfalt und Komplexität verschiedener Orte und Kulturen in der Stadt istdurchzogen von einem dualen System der Lebensformen und Mentalitäten,einer Dualität auch des Stadtbildes. Uber 40 Jahre lang haben zwei Teilederselben Stadt entgegengesetzten Welten angehört. Nicht diese Dualitätder Lebensbedingungen und Lebensformen stellt aber das Entwicklungspro-blem Berlins dar, sondern die Leugnung der Unterschiede und die Umgehungdes Realitätsprinzips auf dem Weg in die Zukunft der Stadt sind die wahrenProbleme. Wenn man Berlin auch künftig und auf Dauer seine Wiedervereini-gung ansehen soll, dann muß die Nicht-Identität seiner Teile geachtet undgewürdigt, muß das vergangene Unglück der Teilung im nachhinein planerischproduktiv gemacht werden. Die notwendige Detailarbeit zur Sicherung dervielen Einzelheiten sollte jetzt mit unterschiedlichen Strategien für die wieder-vereinigte Doppelstadt beginnen, denn tagtäglich verschwindet vieles für im-mer.

Ulrich Roloff-MominKulturpolitik als Stadtentwicklungspolttik

Aus Sicht der Kulturpolitik müssen gerade in der Planung für kulturelle Infra-struktur komplexe Zusammenhänge dezentral entwickelt werden, sozusagenaus der Sicht der Bewohner. Kulturpolitik muß in der Stadtplanung daraufachten, daß die Mischung und somit auch die Urbanität stimmt. Das riesigekünstlerische und kulturelle Potential bringt Berlin einen Zuwachs an Produk-tion, Einkommen und Steuern durch den Kulturtourismus. Ein ernsthaftesProblem ist allerdings, daß die staatlich geförderten Kulturleistungen misera-bel vermarktet und mögliche Synergieeffekte nicht genutzt werden. Kulturin-stitutionen müssen heute nicht mehr nur künstlerisch, sondern auch ökono-misch eigenverantwortlich handeln lernen. Kultur ist eine Möglichkeit, eineOption, die Raum und Entwicklungschancen braucht, um sich zu entfalten.Dies zu ermöglichen, ist Aufgabe der Kultur- und Stadtentwicklungspolitik.

c_

Rolf Xago-Sch roderKultur als Motor der Stadtentwicklung

Der Stadt fehlt es nicht nur an Geld, es fehlt ihr auch an einer anderenDenkrichtung. Wir müssen mehr die Sinnfrage, die Zwecke, die humanenNöte, den musischen Hunger zur Kenntnis nehmen und dann die Mittel su-chen, und Mittel sind nicht nur Geldmittel. Es geht um eine sozial-kulturelle

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BERLINDokumentation 40. Sitzung STADTFORUM, Protokoll Seite 4

Rächennutzung, um einen musischen Flächennutzungsplan der Produzenten,der Rezipienten und der leerstehenden Handwerks- und Industrieräume. EinPlan der Umnutzung und Umwidmung von Rachen u. a. für Intervallnutzungenist notwendig. Diese drei Pläne übereinandergelegt könnten den städtischenLeeraum mit dem kulturellen Bedarf in eine neuartige Verbindung bringen.

Friedrich DieckmannKultur als Motor der Stadtentwicklung

Die heutige Situation ist durch eine Krise des Aufklärungsgedankens, eineKrise des Bildungsgedankens und durch einen Niedergang von Bildung cha-rakterisiert, (was) sich auf die Kultur auswirkt. Die kulturellen Institutionensind am fruchtbarsten, die diesen Zerfall schöpferisch in Energien umnutzen,wie die Volksbühne. In der Sophienstraße u. a. wird auf engem Raum eineFülle von urbanen Funktionen realisiert. So etwas unter neuartigen städte-baulichen Bedingungen zu reproduzieren, wäre die eigentliche Aufgabe vonKulturpolitik und Stadtplanung. Ein mit dem Palast der Republik versöhntesSchloß der Republik wäre eine Lösung, die mit Kultur zu füllen ist.

Diskussion

Für Hans Christian Müller zeigt ein .Vergleich mit Paris, daß eine Großstadteine innere Überdimension brauche, um Orientierungswerte bilden zu kön-nen. So schaffe der Eiffelturm einen ganz besonderen Quartiergeist, den derFunkturm nicht herstellen könne. Ebenso zeige die Achse Triumphbogen - LaDefense die Dimension und die Richtung, in der gedacht und gefragt werdenmüsse. Die Kultur, richtige Fragen zu stellen, müsse gelernt werden, auchweil Berlin in einer europäischen geistigen Konkurrenz stehe. Edvard Jahnfügte hinzu, daß sich Kulturpolitik starker der Stadt unmittelbar zuwendenmüsse, etwa bei der Gestaltung des Pariser Platzes. Christa Aue warnte voreinem Vergleich Berlins mit Paris, da in der französischen Hauptstadt dieKulturpolitik bis in kleine Bereiche hinein vom Staat gemacht werde. DieStadt sei zerrissen zwischen dem hohen kulturellen Anspruch und den Män-geln im Dezentralen. Ein föderales System wie in der Bundesrepublick bieteeine größere kulturelle Vielfalt.

Nach V. Strauch gibt es eine Versteppung der öffentlichen Räume, weil aufihnen öffentliches Leben nicht mehr stattfindet. Andererseits versteppe dieKultur, weil sie keine öffentlichen Räume habe, in denen sie sich darstellenkönne. Damit stehe die Frage, wie und was Kultur gegen die Versteppungöffentlicher Räume machen könne.

Hardt-Waltherr Hämer verwies darauf, daß die Rnanzverwaltung etwa bei Kon-

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BERLIN

versionflächen an die kulturelle Dimension denkten müßte, ebenso die Treu-hand beim Umgang mit ihnen anvertrauten Gebäuden und Privatunternehmenbei der Nichtnutzung von großen Rächen. Es stelle sich die Frage, wievielamtlich abgesegnete und rechtlich abgesicherte Kreativität aufgebracht wer-de, um Kreativität zu verhindern. Scheinrationalität werde entwickelt, um der-artige Fragen nicht zur Kenntnis zu nehmen und diskutieren zu müssen. Wel-che Instrumente seien 'notwendig für das Aufbrechen dieser Geisteshaltung,für die Nutzung von räumlichen Potentialen für die Kultur, für das Ingangset-zen von Kulturentwicklung? Hierzu sind auch andere gefordert, wie die Stadt-planung oder die Akademie der Künste. W.-D. Heilmeyer fragte nach, welcheInstrumente notwendig wären, die Entwicklungen wie die des Kulturforumsverhinderten. Solche Instrumente müßten sich wenigstens auf das Verhältnisder Institutionen zueinander erstrecken.

Für Albert Eckert (Bündnis 90/Grüne) ist eine allgemeine KuKurptlicht der,Bezirke notwendig, damit Kultur beim Globalsummenhaushalt - die Kommu-nen entscheiden selbst über die Verwendung der Mittel - nicht zu kurz kom-me. F. Dieckmann fügte hinzu, daß die Kulturpflicht in die Berliner Landesver-fassung gehöre. Lothar Juckel verwies darauf, daß sich Stadt durch ihre Bür-ger, die Kultur machten, auszeichne. Verordnete Kultur führe zu einer ArtWüste, die sich dann auch stadträumlich darstelle. Das Interesse der Bürgerschwinde, wenn Kultur über Staatsanstalten betrieben werde. Vielmehr müß-ten das Land Berlin oder die Bezirke Menschen zum kulturellen Engagementund zur kreativen Unruhe anregen.

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Rainer Blankenburg fragte nach den Instrumentarien, wie Kulturräume offengehalten werden könnten. Ein kulturelles Bindungsgesetz für Räume wäreein solches. Damit könnten Zwischennutzungen für kulturelle Projekte ermög-licht und bestehende Kreativität ausgetragen werden. V. Strauch verwies dar-auf, daß die Zwischennutzung Besitzstandsdenken hervorbringe. Die Räumeseien nach dem vereinbarten Zeitraum oft schwer freizubekommen.

Helga Fassbinder bemerkte, daß Angebotsmöglichkeiten nicht in Geld zu mes-sen seien, dennoch sollte über Richtwerte nachgedacht werden, die Kultur-ausübung für alle Gruppen der Stadt ermöglichen und abverlangen und sieso in die Stadtpolitik verankern.

Für Volker Hassemer kann man ein inhaltliches Problem nicht durch gesetzli-che Vorschriften lösen. Wichtig sei die Diskussion zwischen allen Beteiligten,eine Abklärung des Wünschenswerten und Möglichen, eine Bestimmung vonInhalten und deren Umsetzung. Dazu gehöre ebenso das Hineinwirken derGruppen, die kulturelle Arbeit leisten, in die Stadtpolitik. Bisher sei jedochdie Stadtpolitik noch nicht von den Künstlern, ihren gesellschaftlichen Pro-blemsichten und Vorstellungen bedrängt worden.

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BERLIN

Für Volker Hauff hat sich Berlin auf einen kräftigen Wettstreit mit Bonn einge-lassen und dabei die Positionierung im internationalen Konzert vernachläs-sigt. Der Ruf nach neuen gesetzlichen Vorschriften oder Finanzmitteln sei derfalsche Weg, da damit die kulturellen Probleme nicht gelöst werden könnten.Der klare Zusammenhang von Geld und Problemlösung wie etwa bei denKindertagesstätten bestehe bei der Kultur nicht. Kulturpolitik kann nur Mög-lichkeiten für Kreativität schaffen. In den Zeiten knapper Kassen müßten dieKulturschaffenden erst recht den Diskurs anstreben, Interessen und Inhalteäußern und durchzusetzen versuchen. Allerdings geschehe dies nicht oderzuwenig. So entstehe die Situation, daß der Kulturbereich als finanzpoliti-scher Steinbruch angesehen werde.

Für Dietmar Kuntzsch verkörpert das Kulturforum die umstrittenste, aber gleich-zeitig großartigste Tat in der Berliner Baugeschichte. Jürgen Wenzel bemän-gelte, daß U. Roloff-Momin, obwohl er das Kulturforum als Wüste ansehe,nicht dargestellt habe, was er dagegen unternehme. Dies betreffe auch an-dere neuralgische Punkte der Stadt. Manfred F. Manleitner fügte hinzu, daßdie Entwicklung um das Kulturforum mangelnde Sensibilität in der Stadtpla-nung und Stadtentwicklung zeige. Hieraus ergebe sich die Frage, wie mankünftig zu stadtvertraglichen Lösungen kommen könne.

V. Strauch bemerkte, daß die von U. Roloff-Momin erwähnten zahlreichenInitiativen in der Stadt kaum Resonanz fänden. Es fehlten in der Bürgerschaftvon Berlin kulturelles Engagement und kulturelle Verantwortung, die Aufge-schlossenheit gegenüber dem Neuen. Damit werde es schwer, einen kreati-ven kulturellen Prozeß in der Stadt in Gang zu setzen. Eine gegenseitigeBlockade sei die Folge. Um diese Situation zu beheben, sei es wichtig zuformulieren, welche Funktion Kultur für andere als die eigenen Interessenhaben könne.

Christa Tebbe bemängelte, daß das Stadforum nicht zwischen Planen undBauen und zwischen Kunst- und Kulturpolitik unterscheide. Das Stadtforumselbst werde durch einen Moderator geleitet, der nicht aus dem FachbereichKultur komme. Kunst werde hier einseitig betrachtet als ein Genre, das nurGeld brauche. Jedoch müsse man fragen, was die Kulturpolitik für die Stadt-entwicklung zu leisten habe, wie sie die polyzentrische Stadtstruktur unter-stützen und Defizite in der Infrastruktur sichtbar machen könne. Stadtplanerdürften ohne diejenigen, die mit Kulturpolitik, mit Kultur und mit Kunst zu tunhaben, nicht Stadtplanung umsetzen.

Für B. Schneider läßt sich Kultur im Unterschied zur Stadtentwicklung nicht imSinne von Bedarfsplanung planen. Kultur könne nur Angebotsplanung sein,die ihre Begründung erst in der Nachfrage finde. Bei der Kultur handele essich um die einzige Ressource der Stadtentwicklung, die in dem Maße wächst,wie sie in Anspruch genommen werde. Die Frage der Stadtentwicklung an die

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BERLIN

Kulturpolitik müßte sein, was die Kultur der Stadt für ihre Entwicklungsproble-me anzubieten habe.

Für H. C. Müller war die Kreuzbergszene eine Kultur von internationalem Rang,die neues Denken provoziert habe. So etwas müsse in die Betrachtung Kulturfür die Stadtentwicklung einfließen. Stadtentwicklung müsse die Fragen nachden kulturanregenden Möglichkeiten, nach Kreativität, nach Kommunikations-möglichkeiten stellen. V. Strauch merkte an, daß Kultur ein Innovationsfaktorsein könne. Allerdings sollte Kultur ihre Fähigkeit, Denken anzuregen, nach-weisen.

Für Wolf-Dieter Heilmeyer war Markwirtschaft für Museen mehr als nur Geldzu erwirtschaften. Bei der Kultur könne man Masse über Massenveranstal-tungen marktwirtschaftlich verwerten, jedoch nicht das, was nur wenige an-zieht. Die Museen brauchten daher Marktwirtschaftler, die Marktwirtschaft fürKultureinrichtungen umsetzen können.

V. Strauch verwies darauf, daß die massiven Subventionen für bestimmtekulturelle Einrichtungen andere erdrücken. Nicht, weil diese keine Subventio-nen erhielten, sondern weil über die subventionierten Preise die marktwirt-schaftlich kalkulierten Preise anderer kultureller Anbieter - etwa die der Basis-initiativen - unterlaufen würden.

In seinen Schlußbemerkungen verwies U. Roloff-Momin darauf, daß die Kul-turpolitik in Berlin wünschenswerte Entwicklungen in Gang gesetzt habe. Ander Volksbühne konnte Neues institutionalisiert und neue Besuchergruppengewonnen werden. Eine neue Linie in der Kulturpolitik werde hier deutlich. Erstimmte zu, daß das öffentliche Verwaltungssystem mehr Kreativität vernich-te als befördere. Aber auch hier werde umgedacht. Er bemerkte ferner, daßdie deutsche Vergangenheit, der Umgang mit geistigen Inhalten sowie derVerlust von Identität durch den Nationalsozialismus, Berlin an einer ähnlichenKulturentwicklung hindere, wie sie in Paris über Jahrhunderte hinweg betrie-ben wurde und weiterhin werde. Ein Prozeß über Generationen sei notwendig,um eine Kultur der Landmarken entwickeln zu können.Bei Marktwirtschaft für die großen kulturellen Einrichtungen stehe man erstam Anfang. Hierbei gehe es um die Vermarktung des künstlerischen Ange-bots, ohne letzteres zu nivellieren. Als Voraussetzung müsse jedoch auch dasgesamte öffentliche Rnanzsystem so geändert werden, daß Anreize für markt-wirtschaftliche Eigeninitiativen entstünden. Die Haushaltsordnung müsse anbestimmten Stellen außer Kraft gesetzt werden.Für ihn finde Stadtplanung zunächst im Kopf statt, in den Köpfen der Bürger,die ein Bild oder eine Idee von ihrer Stadt und von ihrem Gemeinwesenentwickeln. Die Kulturpolitik halte sich nicht aus konkreten Projekten wieetwa die Gestaltung des Pariser Platzes heraus, allerdings müsse es immerum Inhalte gehen. So unterstütze die Kulturpolitik den Wiederaufbau des

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Liebermann-Hauses.Was die Akademie der Künste betreffe, so mußte sie sich in der letzten Zeitzwangsläufig mit dem auseinandersetzen, was ihr von der Politik vorgegebenwurde. Sie konnte ihre eigentliche Aufgabe daher nicht wahrnehmen.

Helmut EngelDie Struktur der historischen kulturellen Institutionen in der Innenstadt

Schwerpunkte der kulturellen Entwicklung von Berlin waren die fürstlichenStadtgründungen im Westen des Stadtsehlosses, das Forum Fridericianumund die Linden wie auch angrenzende Gebiete wie der Gendarmenmarkt oderdie Museumsinsel. Die Friedrichstraße erlebte mit dem unglaublichen Auf-schwung der Theater im 19. Jahrhundert eine Blütezeit, hatte aber bereits vordem Ersten Weltkrieg ihre kulturelle Rolle an den Kurfürstendamm abgege-ben. Zweifellos orientierten sich die Standorte und die Art des kulturellenAngebotes auch nach der Sozialstruktur der Bewohnerschaft in den umge-benden Quartieren und nach der Attraktivität für den Fremdenverkehr, der dasöffentliche Leben in der Stadt bereits im 19. Jahrhundert mit prägte. Zusam-mengefaßt werden kann, daß die kulturellen Standorte die Mitte der Stadtwesentlich charakterisieren, woraus sich die Hauptverantwortung der öffentli-chen Hand für die kulturellen Stätten ergibt.

Tilman NachfeldZur Rolle der Kirche im kulturellen Selbstverständnis der Stadtgesellschaft

Die Existenz von Kirche ist an sich ein wesentlicher kultureller Faktor. DieStadtgesellschaft ist eine säkulare Gesellschaft, nicht kirchenfeindlich, aberan Kirche nur noch am Rande interessiert. Kirche ist ein Erinnerungspostennicht nur an die Vergangenheit, sondern mindestens ebenso an die Zukunft,sie bietet Raum für verändernde Ideen und Bewegungen, schafft und erhältin der Stadt Freiräume für das, was sonst keinen Raum findet. Sie setztAkzente, die oft unbequem sind. Sie stört die Sattheit und den falschenGlanz der Alt-Neu-City und macht sie so lebendiger. Die Gemeinden, die inder Stadtmitte beheimatet sind, setzen in ihren Kirchen unterschiedliche Ak-zente kirchlichen und kulturellen Lebens, Akzente, die nicht nur die eigeneGemeinde betreffen, sondern die ganze Stadt.

Michael GöpfertZur Rolle der Kirche im kulturellen Selbstverständnis der Stadtgesellschaft

Kirchtürme, Stadtkirchen sind Wahrzeichen für Städte, Logos für städtischesMarketing. Die Stadtkirche ist der Idee nach Schutzpatron der städtischen

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BERLIN

Einheit. Die Kuppeln der Synagogen und die Minarette der Moscheen gehö-ren heute in der City zu den Kirchtürmen dazu. Die Religion der Stadt kommtnicht erst bei der Denkmalspflege ins Spiel, sondern in der Urzelle der Stadt-planung. Die Religion als Symbolisierung des öffentlichen Interesses, alsArbeit am Gemeinwohl hat ein leidenschaftliches Interesse an der Herstel-lung von Öffentlichkeit und daran, daß der öffentliche Raum nicht verküm-mert. Die Kirchen -müßten wahrhafte Volksräume sein, Volkskirchen, die demVolk der Stadt gehören, nicht den Bürokratien und Hausmeistern. Der Stadt-planer muß deregulierte Räume schaffen, die unvorhergesehenen NutzungenSpielraum lassen. Es müssen nicht immer millionenschwere Projekte sein,warum nicht auch Baracken, Zelte, Fabrikhallen? Ich will eine gemischte Stadt,eine Stadt der Unterschiede, des corpus permixtum, nicht der Gleichschal-tung.

Diskussion

H.-W. Hämer plädierte für eine Aneignung und breite Anwendung des Kultur-begriffs bis hin zur Baukultur und Architekturkultur in der Stadt. Zu fragenbleibe, ob Satzungen allein ausreichten und Stadtkultur ermöglichten. H. C.Müller fügte hinzu, daß der Kulturbegriff auch mit Inhalten von Gebäuden zutun habe. Neue geistige Horizonte müßten sich in den Gebäuden manifestie-ren. Dies betreffe auch den Umgang mit Kirchengebäuden.

Rolf X-Schröder plädierte für eine neuartige Berliner Mitte im Sinne einerDenkfabrik, eines europäischen Kulturlabors. Die Geschichte des Unfertigensollte bewußt gemacht und auch bewußt an diese Stelle gesetzt werden. H.C. Müller unterstützte den Gedanken einer Denkfabrik, um neue geistige Ho-rizonte, neue Lösungen für die Stadtentwicklung finden und die Kommunikati-on mit dem Bürger anregen zu können. M, F. Manleitner plädierte für einstadträumlich behutsames Herangehen an die Planungen der Mitte.

B. Schneider bemerkte, daß Kultur in der Stadt mit Macht zu tun habe unddaß die Stadt durch Symbolwerte geprägt werde. Das Verordnungswesen kop-pele allerdings die Stadt vom Kulturellen ab, worin sich auch die Rolle vonPolitik zeige. Es existiere allerdings ein aktueller Konsens von Kultur, derdarin bestehe, daß es keine normative Ästhetik mehr gebe. Kulturbautenkönnten nicht nur dem kulturellen Fortschritt, sondern auch der Reaktiondienen.

W.-D. Heilmeyer verwies darauf, daß Kulturtopographie zeitweise klare, nüch-terne Standortplanung gewesen sei. Bei den jetzigen und künftigen Planun-gen sollte man das Stadtforum zu einem wirklichen Kulturforum machen.Gleichzeitig sei zu überlegen, wie das Nötige gemacht und das Bestehendevemetzt werden könne. Dies ließe sich planen und Schritt für Schritt realisieren.

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Für L. Juckel zeigt der Vergleich mit Paris, daß dort l r rati o und Ratio zusam-menwirken. Das rationale Moment bringe die Franzosen dazu, ein Werk zubeenden und zur Wirkung zu bringen. Berlin besitze viele kulturelle Orte, diezu wenig genutzt würden, da sie nicht vollendet wurden und nicht aufeinan-der bezogen seien. Das Kulturforum müsse nach der ursprünglichen Konzep-tion zu Ende gebaut werden als ein Ort der offenen Häuser. Für W.-D. Heil-meyer zeigt das Kulturforum, daß damals nicht weiter gedacht worden war.

D. Frick sieht die Aufgabe der Stadtplanung auch darin, Freiräume für Kulturzu schaffen, sowohl innerhalb wie außerhalb von Gebäuden. Diese Räumemüßten für alle benutzbar und preiswert sein. Das hieße auch, daß im Falleeiner Kulturpflicht die Gemeinden eben solche Räume erhalten und schaffenmüßten.

V. Strauch sprach sich dafür aus, auch das Unvollständige und Provisorischean bestimmten Orten der Stadt zu akzeptieren. Auch Planung müsse proviso-risch nutzbare Räume vorsehen. Ebenso sei vorläufige Architektur an bestimm-ten Plätzen möglich.

Für U. Kohlbrenner war es wichtig, Raum und Zeit gleichermaßen zu berück-sichtigen. Den Humus einer Stadtkultur zu entwickeln, erfordere neben Räu-men auch Zeit. Die Räume, die dem ökonomischen Zugriff nicht unterliegen,sollten ebensowenig vergessen werden wie die Orte, die von Dauer sind.

Klaus Duntze unterstrich, daß zwei Prinzipien in der Kirchenentwicklung wir-ken. Einmal die Personalgemeinden, zum zweiten die Parochialgemeinden.Letztere seien auf einen konkreten Ort - Parochie - in der Stadt verpflichtet,seien so Garant für die konkrete sinnliche, kulturelle und soziale Erfahrbar-keit der Stadt. Ihre Gebäude seien als Landmarken und die Gemeinden alsTräger des Gedächtnisses und des Gewissens der Stadt wichtig. Die Gemein-de St. Thomas wolle ihre jetzt zu großen Räumlichkeiten mit der Hochschuleder Künste teilen. Die Kirche werde so auch Projektraum. Gespräche zwi-schen der Gemeinde und den Lehrenden und Lernenden der Hochschulewerden angestrebt.

M. F. Manleitner verwies darauf, wie wenig die kirchlichen Bauten in derWoche genutzt würden. Man müsse also über Möglichkeiten nachdenken,wie man sie zu einem Gewinn für den jeweiligen Ort machen könne.

V. Strauch bemerkte, daß es der Stadt Berlin immer dann gut ging, wenn siesich an Aufklärung und Toleranz erinnerte. So gehörten auch Moscheen indie Innenstadt als ein Zeichen, Entwicklungen in der Stadt zu akzeptieren.Daneben gewänne das Stadtbild.

Hans-Jörg Duvigneau fragte nach dem Konsens für den Aufbau von Synago-

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genkuppeln und Minaretten. Letztere seien notwendig angesichts der großenZahl von Muslimen in Berlin. Es wäre sinnvoll, an Stellen der Großkirchenkleinere Gemeindezentren zu bauen und diese Gebäude anderen Religionenzur Verfugung zu stellen.

Karlheinz Wuthe fragte nach der Feierkultur der Stadt Berlin und verwies aufderen Traditionen, Anlässe und aktuelle Umstände. Das Angebot der Kirchen,Räumlichkeiten für Feiern zur Verfügung zu stellen, sollte dankbar angenom-men werden. Hier liegen Chancen einer Stadtkultur.

In den Schlußbemerkungen führte H. Engel aus, daß Kultur einen .alltägli-chen Charakter bekommen müsse. Das erfordere ein starkes Nachdenkenüber die Bewohnerschaft, über das Wohnen, das Arbeiten und über den Kiez,was Konsequenzen für die kulturellen Standorte etwa der Innenstadt habe. Inder Stadtlandschaft gebe es Orte, an denen sich progessive und reaktionäreKultur darstelle. Insgesamt lasse sich Kultur nicht planen, sondern sie müssevon der Bevölkerung getragen oder entsprechend von Förderungen rückgetra-gen werden. Hier beginne die Kunst der Stadtplanung und ihre Verpflichtung.

T. Hachfeld bemerkte, daß das Umsetzen von kulturellen Vorstellungen überExperimente gehe. Der Anfang sei genauso wichtig wie das Offenhalten vonEntwicklungen. Die Kirchgemeinden mußten lernen, mit dem, was sie haben,noch offener und besser umzugehen, müßten den Umgang mit der heutigenGesellschaft und das Einbringen ihrer Erfahrungen und Werte in diese ler-nen. Kirchen eigneten sich nicht als Freiraum für alles und jeden.

Für M. Göpfert ist es wichtig, nach dem Gott der Stadt, der Religion der Stadtzu fragen und danach, wer sich letztlich durchsetzt. Das sei eine Machtfrage.Wichtig sei auch, sich bewußt zu machen, über wieviele Gebäude die Kirchenin der Stadt verfügen. Diese müßten jedoch für die Öffentlichkeit genutztwerden. Neue Möglichkeiten von Kooperationen müßten gefunden werden,da die Kirchen der Stadt und nicht nur den kirchlichen Bürokratien gehörten.In die City von Berlin gehöre eine Moschee.

BERLIN

07. 05. 1994

Rudolf Schäfer faßte den ersten Tag wie folgt zusammen (s.a. S. 38):

1. Das Thema über das kulturelle Profil Berlins hat sich als relativ schwierigerwiesen, insbesondere bei den von den Thesen und den Leitgedanken vor-gegebenen Schwerpunkten.

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2. Die enorme Spannweite des Themas wurde deutlich. Eine Ebene zielte aufdie Bilanz der Kulturpolitik, auf ihre Einordnung in die gesamtstädtische Poli-tik bis hin zur Hochkultur und Kiezkultur. Eine zweite Ebene umfaßte dieProbleme von baulich-räumlichen Landmarken auch im Vergleich zu europäi-schen Metropolen wie Paris. Ein dritter Problemkreis bezog sich auf stadtent-wicklungspolitische und stadtplanerische Rahmenbedingungen für die künst-lerische Produktion, in der Stadt.

3. In einer weiteren Diskussionsrunde wurde das Verhältnis von Kultur undStandort an verschiedenen Beispielen erörtert (Kulturforum, Luisenstadt).Hierbei wurde die enorme Rolle der Zeitdimension sichtbar.

4. Die Referate der beiden Pfarrer verwiesen auf eine gewisse Weltfremdheitder Kirche (T. Hachfeld) und auf die gemeinschaftsbildende Kraft der Kirchenin der Stadt (M. Göpfert). Eine Reihe von Grundsätzen wie Stadt, Raum undRitual wurde aufgeworfen, es wurde nach der Macht und den jeweiligen Macht-symbolen in der Stadt gefragt (M. Göpfert), es wurde auf die Notwendigkeitvon zweckfreien und deregulierten Räumen hingewiesen. Problematisiert wurdeferner das Verhältnis von Kirchenbauten, Alltagskultur und Stadtkultur. Dieprägende Kraft von Kirchenbauten in der Stadt wurde sichtbar. Über die künf-tige Nutzung von Kirchenbauten muß weiter nachgedacht werden, wie auchdarüber, wie andere Religionen im Stadtbild präsent werden sollten.

Erich ThiesWissenschaftslandschaft in der Berliner Stadtmitte

In Berlin-Mitte konzentrieren sich die traditionsreiche Berliner Humboldt-Uni-versität, die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften und au-ßeruniversitäre Forschungseinrichtungen. An der Humboldt-Universität wurdedie Vereinigung von Ost und West exemplarisch vorgenommen. Von den etwa500 Professuren wurden 350 neu besetzt. Von den Professoren sind rundzwei Drittel aus den alten Bundesländern. Die Naturwissenschaften werdenin den nächsten.zehn Jahren nach Adlershof umgesiedelt, da für sie in Mittenicht genügend Rächen vorhanden sind. Ein Sanierungsaufwand von etwa500 Mio. DM ist notwendig (für die Charité 1,6 Mrd. DM). Eine hochqualifi-zierte und überschaubare Universität in Mitte kann entstehen.

Wolf-Dieter HeilmeyerErwartungen an den Standort klassischer Kultur in Berlin

Beim Anbieter für klassische Kultur Museen ist eine deutliche, Krise zu be-schreiben. Die Wiedervereinigung bescherte uns die ruinierten Altbauten vor

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allem der Museumsinsel und damit finanziell einen Ruckschlag um mehr alszehn Jahre. Die Hauptprobleme bei der Umorientierung liegen bei den sinken-den öffentlichen Ressourcen und bei der sich verhärtenden Bürokratisierung.Als Betreiber der Kulturinstitutionen Museen haben wir klare Erwartungen.Sie zielen u. a. auf eine schnelle Renovierung der Gebäude der Museumsin-sel, auf eine Verbindung der Parkanlagen Berlins mit den Kulturinstitutionen,auf eine Verkehrsplanung, die stärker die Kulturtouristen berücksichtigt sowieauf verdichtete Verbindungen zwischen den Bezirks- und Landesinstitutionenund den staatlichen Museen.

Diskussion

Für H. C. Müller ging es bei der Betrachtung von Kultur urn das Lebensbildeiner sich ständig verändernden Gesellschaft. Es stehe für Berlin die Frage,wie im neuen Kultu r Verständnis an die Aufgaben herangegangen werden müsse,wie sich die Sichtweisen ändern. Es gehe um einen neuen Denkprozeß, dergeistige Energien schafft und geistige Potentiale vernetzt. Diese geistige Er-neuerung müsse in einen Realprozeß etwa bei der Gestaltung der Mitte über-führt werden. Symbolhaft müsse dies auch nach außen getragen werden.

Für B. Schneider prägt die Überlagerung von Hochkultur und alltäglicher Kul-tur die Stadtlandschaft Berlins. Die Güter der Hochkultur unterlägen in be-stimmten Phasen einer moralischen Abnutzung, werden zu Gebrauchsgüternder Massenkultur.

V. Hassemer verwies darauf, daß in der Stadt ein großer Mangel an kulturpo-litischer Diskussion bestehe. So müsse man auch eine bedenkliche Nicht-teilnahme von Kulturpartnern an der Diskussion konstatieren, wie es sichbeim Metropol-Theater zeigte. Der Zwang zur Zusammenarbeit führe zu denschönsten Ergebnissen, wie es bei der Marx-Engels-Kaserne deutlich werde.

L. Juckel bemerkte, daß es in der Kulturentwicklung um Konzentration undnicht um Zentralisation, um Spezialisierung und nicht um Dezentralisierunggehen müsse. So könnten die kulturellen Schätze der Stadt und die Vielfaltder Orte besser und zum Vorteil des Berlin-Bildes genutzt werden. Für Mittebedeute dies, hier ganz bewußt Kultur zu konzentrieren und dies auch derÖffentlichkeit zu verdeutlichen.

E. Feddersen bemerkte, daß Kultur von jeder Generation unterschiedlich be-wertet werde. Verbindungen zwischen Wissenschaft und Museumskultur müßtenhergestellt werden. Die Konkurrenz zwischen beiden werde herausgestrichen,jedoch ihre Interdependenzen nicht gesehen. Ein Problem der Hochkulturbestehe darin, daß Berlin von allem genug habe. Die eigentliche Streitfragesollte die nach den Leerräumen der Stadt und deren inhaltlicher Füllung sein.

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A. Busch verwies darauf, daß die kulturellen Traditionen Berlins sehr vielfältigseien, bis hin zur Industriekultur. Diese verschiedenen Kulturen hätten Berlinund seine Orte geprägt. Die Frage sei nun, wie in die Orte der Großsiedlun-gen prägende Kultur anzusiedeln sei.

J. Wenzel machten die beiden gehörten Vorträge Angst, da zum einen voneiner schrumpfenden Universität in der Stadtmitte ausgegangen werde, aufder anderen Seite ein Museumskomplex expandiere und Bundesverwaltun-gen zuzögen. Die Verödung der Stadtmitte oder ihre Degradierung zu einerTouristenmeile seien folglich zu befürchten.

Karl-Hermann Hubler stellte die Frage nach der Entwicklung der Wissenschaf-ten im Berliner Kontext. Femer fragte er nach den Gründen für die Annahme,daß es in Mitte zu einer Vermischung zwischen Regierung, Universität, Ver-waltung kommen werde. E. Jahn fügte hinzu, es sei zu klären, was die ver-schiedenen Einrichtungen in Mitte für die Herstellung der Mitte beitragenkönnten.

L. Krause bemerkte, daß Berlin aus polyzentralen Orten bestehe, die ihreEigenwerte bewahren müßten. Diese Eigenwerte könnten durch ein vernetz-tes Verkehrssystem aktiviert werden. Bedenklich seien ebenfalls die langenZeiträume für die Renovierung der Gebäude auf der Museumsinsel. Bedrückthabe ihn die Äußerung von W.-D. Heilmeyer, daß mit der Wiedervereinigungdie Entwicklung der Westberliner Museumslandschaft um zehn Jahre zurück-geworfen worden sei.

D. Kuntzsch verwies auf die Chancen des Gebietes Friedrichstraße, S-Bahn-trasse und Spree bis hin zum Bodemuseum. Über dieses Gebiet sollte weiternachgedacht, seine Zukunftspotentiale sollten stärker beleuchtet werden.

V. Hassemer verwies darauf, daß die Planungen der Humboldt-Universitätbeispielhaft seien. Die Entwicklungsschwerpunkte Mitte und Adlershof wur-den zu einer richtigen Profilierung der Universität führen. Daneben profitieredie Stadtentwicklung an den beiden Standorten.

V. Strauch fragte nach, was geschehen müsse, um die Entwicklung von Ad-lershof als naturwissenschaftlichen Standort zu aktivieren. Ferner wollte erwissen, ob die Verhärtung von Bürokratie auch die Planungsbürokratie be-treffe und welche funktionalen und verkehrlichen Ansprüchen die Museen andie Planung stellen.

Wolf Dieter Dube bemerkte, daß die Museen ihre Standorte in der Stadt nichtausweiten wollen. Die Frage sei bei notwendigen Umsiedlungen von Einrich-tungen, wie und wo sie aus stadtentwicklungspolitischen Gründen vorgenom-men werden.

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F r V. Hassemer muß geklärt werden, welcher Anteil der Kritik am Wettbe-werbsergebnis Neues Museum von seilen der Museen aus den kulturellenAnsprüchen heraus komme und welcher aus einem funktionalem Interesse.Ähnlich verhalte es sich beim Lustgarten.

In den Schlußbemerkungen führte E. Thies aus, daß es sich bei der Universi-tät in erster Linie um Menschen, um Studenten und Wissenschaftler handle,die den geistigen Horizont bilden. Dies könne nicht Aufgabe von Politik undVerwaltung sein. Letztere könnten lediglich die Rahmenbedingungen definie-ren und realisieren. Bei der Erneuerung der Humboldt-Universität hätten dieVerwaltungen ohne zusätzliche Kapazitäten sehr viel aufgefangen und reali-siert. Er sprach sich gegen die These der Verödung der Mitte aus, vielmehrkönne eine kleinere Universität lebendiger sein als eine große. Die Ansied-lung der Naturwissenschaften in Adlershof böte die einzige Möglichkeit fürdie Profilierung der Humboldt-Universität. Für Adlershof stehe das Problem,daß die Kaserne fremdbesetzt sei. Man wolle das Gelände nun freikaufen,um in den nächsten drei bis vier Jahren mit den Baumaßnahmen beginnen zukönnen. Ein gemeinsames Konzept für den Standort Adlershof - Johannisthal,das den Anforderungen der Humboldt-Universität gerecht werde, befinde sichim Planungsverfahren. Betreffend die Marx-Engels-Kaserne hätten sich diePositionen angenähert, so daß es zu einer vernünftigen gemeinsamen Kon-zeption kommen könne.

W.-D. Heilmeyer betonte, daß die Gesellschaft vor dem Phänomen des Kultur-tourismus stehe und die Museen mit ihm umgehen müßten. Die Lebendigkeitin Mitte könne durchaus wachsen, wenn über die Umfeldbedingungen stärkernachgedacht werde. Im übrigen stellten die Museen die Hochkultur für alleaus, die hier lebten. In Charlottenburg beklage man das Weggehen der Nofre-tete und der Schatzkammer, jedoch habe man dort noch keine Konzepte überdie Nutzung der frei werdenden Räumlichkeiten entwickelt. Ein dramatischerRückgang der Besucher in Charlottenburg sei zu konstatieren, so daß selbstdas Aufsichtspersonal nicht mehr bezahlt werden könne. Auch aus finanziel-len Gründen müsse man also Kultur konzentrieren. Die Staatlichen Museenhätten nie das gesamte Gelände der Marx-Engels-Kaserne reklamiert, viel-mehr wollten sie auf einem Teil des Geländes ein Funktionsgebäude errich-ten. Gespräche mit den anderen Interessenten hätten sie von Anfang an gerngeführt. Überhaupt sollte viel mehr miteinander geredet werden. Ideen zueinem Museumsbus oder -schiff sollten weiter verfolgt werden. Die Informati-onssysteme der Museen seien unterentwickelt; man beginne hier gerade. Erbekräftigte, daß die Museen die Idee, sich von Bildungseinrichtungen zu an-genehmen Aufenthaltsorten zu entwickeln, nach der Vereinigung zurückstel-len mußten, da derzeit die Sanierung und Sicherung der Gebäude im Vorder-grund stunden. Bei der Planungsbürokratie sei ebenfalls eine Verhärtung zuspüren. Gestört habe beim Wettbewerb Neues Museum, daß die Funktionali-tät in den Schlußgesprächen keine Rolle mehr gespielt hätte. Abschliessend

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bemerkte er, daß es in Berlin zu wenig kulturpolitische Diskussionen gebe,die zu planbaren Schritten führten.

Rainer BlankenburgKultur als Integrationsfaktor im Stadtteil

Die Kultureinrichtungen der Hackeschen Höfe sind nicht nur Mittel zur Steige-rung der Attraktivität eines Gewerbestandortes, sondern auch Vermittler zwi-schen den großen Theatern und Museen Unter den Linden und den nochvorhandenen kleinen Off-Studios und Galerien im Innern. Sie sind an dieserSchnittstelle von Regierungs-, Einkaufs- und Wohnviertel auch Vermittler, wasdie soziale Mischung ihres Publikums wie den über die Stadt hinausreichen-den Anspruch betrifft und zugleich Kiezbezug ihrer künstlerischen Angebote.Die hier entstandenen Kommunikationsräume stehen zur Wohnfunktion nichtin Widerspruch, sondern wirken sozial und politisch vermittelnd und werdenmit ihrem kreativ gewerblichen Umfeld für den Standort Berlin insgesamt ori-ginalitätsstiftende und bis in die Medien-, Werbe- und Konsumgüterbranchestilbildende Wirkung haben.

Christa JuretzkaKulturelle Infrastruktur und kulturelles Selbstverständnis im Stadtteil

Die kulturelle Infrastruktur von Weißensee ist alles andere als abgesichert,und zugleich wird der Bezirk mit Interessen und Bedürfnissen konfrontiert,die im Rahmen der noch vorhandenen Struktur nicht befriedigt werden kön-nen. In den letzten Jahren fanden keine Investitionen in die kulturelle Infra-struktur (mit Ausnahme der Freilichtbühne) statt und sind auch nicht in Aus-sicht gestellt. Die Bebauung der Ortsteile Karow-Nord und Blankenburg wirdWeißensee künftig einen Bevölkerungszuwachs um ca. 80.000 Einwohner(derzeit 51.000 Einwohner) bringen. Die geplante kulturelle Infrastruktur istjedoch nicht ausreichend. Es wird daher notwendig sein, die Entwicklung derkulturellen Infrastruktur sorgfältig zu begleiten und zu beeinflussen, damitsich die öffentliche Hand nicht ihrer Verantwortung entzieht.

Diskussion

Für E. Feddersen bedarf die Auseinandersetzung mit dem breiten Thema Kul-tur eines Kulturforums. Behandelt werden müßten Themen wie Parameter fürKulturflächen, die kulturelle Infrastruktur und ihre Interdependenz zum Woh-nen und zur Arbeit. V. Strauch verwies darauf, daß Entwicklung von Kultur, wiees die Kirche gezeigt habe, Zeit brauche. Die Stadtplanung müsse die unter-schiedliche Qualität der Räume stärker berücksichtigen. Daneben stehe das

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Verhältnis von Öffentlichem und Privatem, von neuen Abgrenzungen zwischenbeiden und das Umgehen mit diesem Problem. Die Frage nach der Realisie-rung von Nutzungsmischung bleibe ebenfalls ein zentrales Thema. Daher seiein Stadtforum gunstiger als ein Kulturforum, um die notwendige Interdiszi-plinarität zu ermöglichen. Allerdings werde dies vom Senat, wie die Nichtteil-nahme der einzelnen Senatsverwaltungen zeige, nicht realisiert.

Für Ch. Tebbe kann das Thema Kultur im Stadtforum nur dann befriedigenddebattiert werden, wenn wenigsten drei Ebenenen behandelt würden: 1. Stadtmuß von ihren Einwohnern verstanden werden. Die aktuelle dilettantischeKulturpolitik etwa zum Thema 1945 -1995 könne dies nicht leisten. Hier seikreative Arbeit gefragt und kein Abhaken von Daten im Kalender. 2. Die Fragenach den lebendigen infrastrukturellen Bedingungen der Stadt müsse behan-delt werden. Der Staat und die Stadt mußten dort gegensteuern, wo es keinekommerziellen Mechanismen gebe, sollten Flächen, die kreative Potentialeanlocken, uber die Stadt verteilen. 3. Eine ganz simple Ebene seien dieexpliziten Standorte für Kultur. Allerdings zeigten die gegenwärtigen Planun-gen keine Alternativstandorte für kulturelle Projekte auf. Zudem seien sieinterdisziplinär nicht vernetzt. Sie befürchtete daneben Pariser Zustände, alsoeine volle Innenstadt und tote Außenbezirke. Sie gab ausdrücklich zu Proto-koll, daß die kommunale Kulturarbeit in den nächsten vier Wochen bankrottsein werde, da die Sparmaßnahmen in den Bezirken zuerst die Kultur treffenwürden. Auch werde es 1995 keine Kulturämter mehr geben und nach undnach würden die kulturellen Einrichtungen geschlossen. In der Debatte desStadtforums seien Naivität und das Fehlen von einfachsten Vokabeln deut-lich geworden.

V. Hassemer bemerkte, daß es auf der einen Seite objektive Bedingungenvon Entwicklungen gebe, über die man sich Gedanken machen müsse. DieMeinung der Kulturszene, daß erst die Rahmenbedingungen verwirklicht seinmüßten, um mit der kreativen Arbeit beginnen zu können, sei nicht zu akzep-tieren. Die Kultur müsse verstehen, daß sie in erster Linie für die Setzungihrer Rahmenbedingungen selbst verantwortlich sei. Sie müsse sich ihre Ent-wicklungschancen in Auseinandersetzung mit anderen Interessen erkämpfen.Wenn es stimme, daß die Kultur in Berlin eine so lebendige Kraft sei, dannbrauche sie sich vor den Auseinandersetzungen nicht zu fürchten. Die Kultur-szene müsse also zuerst ihre Forderungen stellen, sich gesprächsbereit ma-chen und sich in die Auseinandersetzungen einbringen. Diese Arbeit könneman ihr nicht abnehmen.

Winfried Sühlo verwies darauf, daß sich die Rahmenbedingungen ständigänderten und daraus auch die Probleme erwüchsen. Die Politik habe dieAufgabe, die Veränderungen zu verstehen, entsprechende Lösungen zu fin-den und die Künstler in ihrem Kampf zu unterstützen. Dies gelte auch fürRäume oder Ateliers, da die marktwirtschaftliche Regulierung auf diesem Gebiet

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nicht funktioniere. Symbiotische Beziehungen seien erforderlich. Die Interes-sen der unterschiedlichen Partner sollten bei den eigenen Interessen berück-sichtigt und fruchtbar gemacht werden, um ein gemeinsames Konzept zuermöglichen. Die finanzielle Problematik werde auch durch den Umstand cha-rakterisiert, daß auf Bundesebene keine Kulturbehörde, also keine Zustän-digkeit, kein kulturpolitisches Verständnis und keine kulturpolitische Diskus-sionskultur bestünden.

Ch. Tebbe forderte, um die Kulturszene gesprächsbereit machen zu können,die Räume in der Wallstraße für ein Kulturforum sowie Mittel für seine Vorbe-reitung. V. Hassemer stimmte der Bereitstellung des Raumes zu, lehnte je-doch eine finanzielle Bezuschussung ab. Letztere müsse sich die Kulturszeneerkämpfen.

Für Knud Herbst zeigt das Beispiel der Hackeschen Höfe, daß Investorenin-teressen korrigierbar seien. Hieran habe der Einfluß der Betraffenengruppengroßen Anteil. Es stelle sich auch die Frage, wie eigentlich der kulturelleIntegrationsaspekt von den Betroffenengruppen gesehen werde, wie die Alt-einwohner und die Hinzugezogenen über Kultur in die sich ändernde Span-dauer Vorstadt integriert werden könnten. Daneben stehe die Frage, ob diesich wandelnde Eigentums- und Bewohnerstruktur von den dort Ansässigenals Bedrohung empfunden werde.

Jenny Naumann verwies darauf, daß die für die Stadtkultur unabdingbarenkleinen Kulturinitiativen und -aktivitäten aus Raummangel immer weiter anden Rand der Stadt gedrängt würden. Die Kultur von unten und deren Vielfaltgehe also mehr und mehr verloren. Für Ch. Aue zeigten die Vorträge, daß derInvestorendruck für die Künstler zu hoch werde. Es sei verständlich, warumviele die Stadt verließen. Damit jedoch gingen Chancen für die Off-Kultur, diefür Berlin spezifisch sei, zugunsten der Elitekultur verloren.

H. C. Müller ist überzeugt, daß der kulturelle Humus des Quartiers auchkünftig sehr bedeutsam für die Kulturentwicklung bleiben und gegen die ge-stylte Einheitlichkeit stehen werde. Das Milieu, in dem sich die unterschiedli-chen kulturellen Aspekte addieren, schaffe kreativen Quartiergeist. So wich-tig Geld für die Kultur auch sei, es gehe um das Finden eines Themas der Zeitund um die einzuschlagende Richtung. Hierfür seien Sensibilität und neuesDenken erforderlich. Nichtsdestotrotz sollte der Senat einen kleinen Pool vonGrundstücken für die Künstler schaffen.

B. Schneider sprach sich gegen das Ausspielen von Kiezkultur und Staatsak-tionen aus, da letztere die Anschübe und das Geflecht bildeten, aus denenKiezkultur erwachse. Ein derartiges Ausspielen führe zu Denkblockaden underschwere eine Behandlung der auf dem Stadtforum aufgerufenen Themen.Daneben spielten die regionalen und interregionalen Bezugsfelder mit hin-

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ein. Zudem kämen die Nutzer der Hochkultur aus den Bezirken.

V. Strauch bemerkte, daß man die Einsicht der Öffentlichkeit in die Bedeu-tung der Kultur überschätze. Für die Konsumenten von Kultur und die Investo-ren rechne sich Kultur nicht. Der Konsument sei nur bereit, für bestimmteKultur zu bezahlen. Hier müsse ein Umdenken einsetzen, müsse das Verant-wortungsgefühl der Bürger für Kultur entwickelt werden. Nur über die öffent-lich finanzierte Kultur zu debattieren, reiche nicht.

J. Wenzel fragte nach, ob derartige Projekte wie die Hackeschen Höfe in einerZeit zunehmender Arbeitslosigkeit und sozialer DeStabilisierung stabilisierendwirken könnten.

Ingo Franßen verwies darauf, daß die Nichtäußerung der Kulturschaffendenund Künstler mit ihren verschlechterten Lebensbedingungen zusammenhin-gen. Sie mußten zunächst viel Zeit und Energie für das Überleben aufbringen.Er plädierte dafür, daß die Künstler ihre spezifischen Ausdrucksformen in diegesellschaftliche Auseinandersetzung einbringen. Eine Voraussetzung seienaber verbesserte Rahmenbedingungen. In diesem Zusammenhang sei nachden Möglichkeiten der Bezirke und des Senats, die Aktivitäten vor Ort zufördern, zu fragen.

Nach E. Feddersen sollte sich das Stadtforum mit den Flächen der Stadtbeschäftigen, die Leerflächen oder changierende Rächen sind, diese in eineArt Agentur aufnehmen und für die Kunst und Kultur zur Verfügung stellen. D.Frick sah das Stadtforum bei der Kulturproblematik eher herausgefordert alsüberfordert. Die Standortsuche und -Verwertung sei ein zentrales Problemder Stadtplanung. Notwendig wäre ein System der öffentlichen Freiräume,ein Netz von Standorten für alle möglichen kulturellen oder kleingewerblichenNutzungen.

Rolf X.-Schröder forderte Kulturpflicht im Sinne einer Raumpflicht. Ein Planfür die musischen Wandernischen sei überdies notwendig. Bei der neuartigenVergabe von Mitteln für die Kultur im Bezirk sei eine Kulturlobby, so bei denAbgeordneten, notwendiger denn je.

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R. Schäfer gab folgende Zusammenfassung (s.a. S. 38):

1. Das Stadtforum hat sich mit den Rahmenbedingungen, der Standortfrage,der Stadtverständlichkeit und der Stadtidee beschäftigt. Das Stadtforum warbei diesen Themen auf das äußerste herausgefordert. Es zeigte sich, daßwesentliche Diskussionsvorläufe fehlten. Wichtig sei nun, die Gesprächsfä-higkeit weiterzuentwickeln.

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2. Eine konzentriertere Darstellung dessen, was im kulturellen Raum reali-siert und gemacht werde, sei notwendig. Es fehlen auch bestimmte Darbie-tungen und Angebote, die existieren, aber nicht sichtbar gemacht wordensind wie z. B. die Bezugnahme der kulturellen Institutionen zu ihren nahenUmfeldern (z. B. Wohnen und Arbeit).

3. Kultur kann nicht geplant werden, aber die notwendigen Vorleistungenmüssen bis hin zur Bestimmung von möglichen Entwicklungsphasen fixiertwerden. Hierbei ist die Frage eingeschlossen, wie man mit dem Thema Stadt-teilkultur bei den Neubaugebieten umgehe.

4. Die Rahmenbedingungen können nicht Voraussetzung für aktives Handelnder Künstler sein, sie müssen prozeßhaft erstritten werden. Die Frage nachAnsätzen etwa symbiotischer Natur stelle sich.

5. Die theoretischen Anregungen aus den Vortragen der beiden Pfarrer, die"Querdenkercharakter" hatten, sollten bei den raumbezogenen Debatten be-rücksichtigt werden.

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Die Beiträge

Bernhard Schneider

Ulrich Roloff-Momin

Rolf Xago-Schröder

Friedrich Dieckmann

Helmut Engel

Tilmann Nachfeld

Michael Göpfert

Erich Thies

Wolf-Dieter Heilmeyer

Rainer Blankenburg

Christa Juretzka

Rudolf Schäfer

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Bernhard SchneiderLeitgedanken der Lenkungsgruppe(Auszug)

Die Stadt selbst ist in ihrem physischen Erscheinungs-bild zugleich ihre größte und wichtigste kulturelle Ein-richtung. Ihre räumliche Anordnung, ihre Bauten, Frei-räume und Gewässer, ihre Verkehrs- und sonstigenKommunikationssysteme - das alles sind Züge ihreskulturellen Profils...

Berlin als Ganzes wird auch nach der Wiedervereini-gung nicht nur in seinem räumlichen Aufbau, sondernauch nach den Populationen und Mentalitäten, die es.,bevölkern, polyzentrisch und vielgestaltig sein. Nichtnur Zehlendorf und Pankow, sondern auch die Žehlen-dorfer und Pankower unterscheiden sich von anderenBezirken und vom Resides Ganzen; dem stehen Kö-penick und Spandau wieder auf ihre andere Art gegen-über als die Subzentren und Subkulturen Kreuzbergsund des Prenzlauer Bergs. Diese Vielfalt und Komple-xität verschiedener Orte und Kulturen in der Stadt istjedoch durchzogen von einem dualen System der Le-bensformen und Mentalitäten, einer Dualität auch desStadtbildes. Über 40 Jahre lang haben zwei Teile der-selben Stadt entgegengesetzten Welten angehört...Nicht die Dualität der Lebensbedingungen und Lebens-formen stellt aber das Entwicklungsproblem Berlinsdar, sondern die Leugnung der Unterschiede und dieUmgehung des Realitätsprinzips auf dem Weg in dieZukunft der Stadt sind die wahren Probleme ...

Die gegenseitige Fremdheit der beiden wiedervereinig-ten Stadthälften sollte darum heute nicht als einzigar-tiges Unglück, als Erblast der Teilung beklagt, son-dern als eine neue Variante des historisch angelegtenWeges dieser Stadt akzeptiert werden. Die eigentli-che Erblast der Teilung liegt also nicht in der Fremd-heit, die sie zwangsläufig zur Folge haben mußte, son-dern in der Unfähigkeit, die Auseinandersetzung mitder Unterschiedlichkeit der Mentalitäten und Lebens-stile zum Nutzen der Stadt produktiv zu führen. DieTeilung- oder war es erst die Wiedervereinigung? - hateine Sucht nach Angleichung und Einheitlichkeit er-zeugt, die zum eigentlichen EntwicklungshemmnisBerlins zu werden droht...

An kaum einem anderen Ort der Welt wird so viel von„Identität" gesprochen wie in Berlin, und nirgendwosonst wird zugleich so sehr verdrängt, daß die Distink-tion, die Differenz, das Wesen von Kultur ausmachen.Schon solidas „Berlinische" im Sinne einer einfachen,homogenen Gestaltungsregel zum Zulassungs- undAusscheidungskriterium in Architektur und Städtebauerhoben werden. Auf solche Gedanken kann nur ver-

fallen, wem das Teilungstrauma den Blick auf die Ge-schichte und die Entwicklungschancen Berlins verstellt.Verschiedenheit und Unterschiedlichkeit müssen nichtüberwunden oder unter einer Einheitsgestalt zum Ver-schwinden gebracht werden, sondern es gilt sie zukultivieren. Das Brandenburger Tor selbst kam 1789von ganz weit her nach Berlin ...

Die bis auf weiteres gut lokalisierbare Zweiteilung vonLebensstilen und Mentalitäten in der Stadt... birgt dieChance, das historisch bis zu den Anfängen Berlinszurückreichende Modell der Doppelstadt in aktueller,signifikanter Form neu zu beleben. Wenn man Berlinauch künftig und auf Dauer seine Wiedervereinigungansehen soll-und welches andere Motiv träfe die Iden-tität der Stadt genauer als dieses -, dann muß dieNicht-Identität seiner Teile geachtet und gewürdigt,muß das vergangene Unglück der Teilung im nachhin-ein planerisch produktiv gemacht werden ...

Die notwendige Detailarbeit zur Sicherung der vielenEinzelheiten, aus denen sich die Differenzen im Stadt-bild zusammensetzen, sollte jetzt beginnen, denn tag-täglich verschwindet vieles für immer. Für die Entwick-lung der beiden Pole der wiedervereinigten Doppelstadtsollten unterschiedliche Strategien entworfen werden-für die Stadterneuerung und die Sanierungsgebieteebenso wie für die Stadterweiterungsprojekte, für denTiefbau wie für die Freiraum-und Landschaftsplanung,für den öffentlichen Raum wie für die Architektur.

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Ulrich Roloff-MominKulturpolitik ais Stadtentwicklungspolitik(Auszug)

Stadtentwicklungspolitik als Kulturpolitik ist die Fragenach der Stadt als kulturellem Ort... Die Wirtlichkeitoder Unwirtlichkeit einer Stadt - das wäre Stadtent-wicklungspolitik als Kulturpolitik ... Berlin ist kulturell"unterversorgt", zumindest was- im Planerdeutsch ge-sprochen -den "wohnungsbezogenen Gemeinbedarf"betrifft, also kulturelle Treffpunkte im Kiez, kommunaleGalerien, Spielstätten für darstellende Kunst, Stadtbi-bliotheken usw. (Kutturausgaben pro Kopf der Bevölke-rung: Frankfurt/M. 681 DM, Stuttgart 344 DM, Berlin283 DM)... Die Ausstattung der Ostberliner Bezirke mitkulturellen Einrichtungen jedweder Provenienz ist vielbesser als die der Westberliner Bezirke ... Leider wer-den im Zuge der Sparmaßnahmen diese kulturellen Ein-richtungen gefährdet... Eine weitere Gefährdung (bestehtim) Globalsummenhaushalt d. h. die Bezirke entschei-den selbst... zwischen Pflichtaufgaben und den freiwilli-gen Kutturausgaben (und es ist) zu befürchten, daß dieKultur oft am kürzeren Hebel sitzt. Dennoch bin ich da-für, daß die Bezirke selbst entscheiden...

Wir brauchen qualitative Gesichtspunkte in der Planung... Wichtig ist, daß es ein Gebäude ist, das eine be-sondere Ausstrahlung hat und bestimmte Grundfunk-tionen erfüllt... Aus Sicht der Kulturpolitik müssengerade in der Planung für kulturelle Infrastruktur kom-plexe Zusammenhänge dezentral entwickelt werden,sozusagen aus der Sicht der Bewohner...

Kulturpolitik muß in der Stadtplanung darauf achten,daß die Mischung stimmt. Sie will dazu beitragen, Ur-banität herzustellen. Sie ist zuständig für die Kommu-nikation im Stadtteil... Kulturinstitutionen fördern Ur-banität nicht zwangsläufig...

Keine andere Stadt Deutschlands hat absolut gese-hen mehr kulturellen Reichtum und größere kulturelleVielfalt als Berlin. Das gilt in jeder Hinsicht: für diegroßen Kulturinstitutionen wie für die freien Gruppen,für die Zahl der Künstlerinnen und Künstler aller Diszi-plinen, für die traditionellen Einrichtungen und für ex-perimentierfreudige Initiativen, und das alles passiertganz selbstverständlich und international... Was Ber-lin also auszeichnet, sind künstlerische Leistungen derWeltklasse und eine enorme Vielfalt und Kreativitätder Kunsiszene, die wir gerade in wirtschaftlich schwie-rigen Zeiten pfleglich behandeln müssen, weil das soetwas wie unsere kulturelle Daseinsvorsorge ist ...

Das riesige künstlerische und kulturelle Potential hatfür Berlin wichtige ökonomische Auswirkungen. Jede

Mark, die die Stadt in Kultur investiert, vervielfachtsich (DIW-Berechnung für 1992:1,2 Mrd. DM mehrfür Berlin an Produktion und Einkommen durch denKulturtourismus; 300 Mio. DM mehr an Steuern)...Ein ernsthaftes Problem ist allerdings, daß die staat-lich geförderten Kulturleistungen miserabel vermark-tet werden und daß mögliche Synergieeffekte nichtgenutzt werden. Das wurde von den Kultureinrichtun-gen bisher auch weder in Ost- noch in Westberlin ver-langt. Mit dem Zwang zum Sparen hat sich das geän-dert Kulturinstitutionen müssen heute nicht mehr nurkünstlerisch, sondern auch ökonomisch eigenverant-wortlich handeln lernen. Es ist Aufgabe der Kulturpoli-tik, sie dabei zu unterstützen... Das Ende der Finan-zierbarkeitfür die großen staatlichen Kulturunterneh-men, insbesondere die Theater, die äußerst personal-intensiv sind, zeichnet sich bereits ab ...

In Berlin können und müssen die Spannungen, Verlet-zungen und Verwerfungen der deutschen Geschichteausgehalten und verarbeitet werden. Kultur kann einMotor für diesen Prozeß sein ... Mit dem Ende derNachkriegszeit hat Berlin eine alte Funktion an derNahtstelle zwischen Ost und West zurückbekommen... (Sie) bringt neue Potentiale in die Stadt, die Berlinfördern und nutzen muß...

Kulturfinanzierung in Frage zu stellen ist nicht nur leicht-sinnig, sondern auch gefährlich. Dies hat der Senatvon Berlin trotz der katastrophalen Haushaltslage undtrotz der abstürzenden Bonner Zuschüsse im Umfangvon mehreren hundert Millionen DM für den Kulturbe-reich berücksichtigt und diese Defizite nicht nur aus-geglichen, sondern zur Sicherung des Bestandes die-sen Etat sogar noch beständig ausgeweitet ...

Wir müssen uns mit London, Paris oder Madrid ver-gleichen ... Berlin als Hauptstadt in der Mitte Europasmuß aus seinem kulturellen Reichtum etwas an dieseGesellschaft zurückgeben. Berlin ist der Ort, an demsich die intellektuellen Kräfte bündeln und in der direk-ten Konfrontation und Kooperation mit der Politik fürunser Land neue Perspektiven aufzeigen können. Dasmuß von der Kulturpolitik auch als Stadtentwicklungs-politik zum Ausdruck gebracht werden. Deshalb be-stehen wir u. a. darauf, daß wir im Kernbereich derStadt auf der Spreeinsel zwischen den großen Institu-tionen der Wissenschaft und Kunst, der Kirchen undder Politik einen Ort der Kommunikation, des Nach-denkens und der Selbstverständigung brauchen...

Kultur kann man nicht planen wie ein Finanzamt. Kul-tur ist eine Möglichkeit, eine Option, die Raum undEntwicklungschancen braucht, um sich zu entfalten.Dies zu ermöglichen, ist unsere Aufgabe.

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RolfXago-SchroderKultur als Motor der Stadtentwicklung(Auszug)

Eine Stadt kann nicht als Innovationsstandort um je-den wachen Industrieforscherbuhlen, doch kann sieden Kulturmutterboden, auch den der Naturwissen-schaftler, trocken legen. Ich behaupte, das Austrock-nen beginnt und eine Versteppung der Kultur führt zueiner Dürre im Geist! Die Kunst schlägt sich nie aufdie Seite des Fertigen. Sie braucht den Kopfstand, umdie Welt anders zu sehen. Die Verfremdung des Nor-malen isteines ihrer Handwerkzeuge. Und aus dem,was der Künstler vorfindet, will er anderes zusammen-..setzen. In Räumen der Stadt springt der Motor vielerKünstler an, dagegen ist die goldene Bestuhlung derRäume nur in Ausnahme seine Sache. Leere Taschenim Kulturhaushalt - das kann doch nicht auch nochleere Köpfe produzieren. Nur alten Gewohnheiten hin-terher denken, erzeugt Leere im Kopf... Wir müssenunser Denken immer wieder provozieren, und wo wires selber nicht schaffen, sollten wir unser Denkenprovozieren lassen, z. B. durch artfremde Künste ...

Für mindestens 80 Prozent der Kulturproduzenten die-ser Stadt sind die Standards von Raumausstattungenso zweitrangig wie die Knöpfe an einem Mantel, vorallem dann, wenn man keinen Mantel hat. Die Mäntelder Kultur zu bezahlbaren Preisen müssen entschie-den woanders herkommen als nur aus den Vorzeige-boutiquen mit hochgeschraubten hinterherfragewertenStandards. Das Tácheles, die Kulturbrauerei und an-dere Kulturfabriken waren dagegen nie als Orte derKünste gedacht- doch welche Kraft kommt aus ihnen,wie magnetisch wirken sie ... Ich sage, der Stadt fehltes nicht nur an Geld - es fehlt ihr auch an einer ande-ren Denkrichtung... Anstatt zu sagen, wir können dieMusikschulen nicht bezahlen, müßte der Senat denSlogan ausgeben: Wir brauchen jedes geigende Kindin der Stadt! Wo kann es spielen, wer bringt ihm wasbei? ... Wir müssen mehr die Sinnfrage, die Zwecke,die humanen Nöte, den musischen Hungerzur Kennt-nis nehmen und dann die Mittel suchen - und Mittelsind nicht nur Geldmittel... Es geht um eine sozial-kulturelle Flächennutzung. Konkret: Mich würden dreiFlächenpläne übereinandergelegt interessieren: 1. Einmusischer Flächennutzungsplan der Produzenten. EinPlan der Kulturproduzenten in Altersstufen mit ihrenRaumgefährdungsstufen und ihrem Raumbedarf, alsoein Plan vieler Akteure und weniger Zuschauer. 2. Einmusischer FNP der Rezipienten von Kultur. Auch hierRaumbedarf und Raumgefährdung;... wenig Akteureund viele Zuschauer. 3. Ein Plan leerstehender Hand-werks- und Industrieräume, ein Plan der Treuhand-Raumbrachen in dieser Stadt, ein Plan der Umnutzung

und Umwidmung in langfristige Planung, alle geeignetfür kulturelle Zeitnischen, für Intervallnutzungen mitZwnschenmietverträgen. Diese drei Pläne übereinander-gelegt könnten den städtischen Leeraum mit demkulturellen Bedarf in eine neuartige Verbindung brin-gen ...

Es wäre fatal, auf monarchistische Elitemodelle zurück-zugreifen und über die Geldauslese die Kreativität zusortieren... Neben den standardüberladenen Kultur-perlen sollten auch in unmittelbarer Umgebung Kultur-rohbauten befördert werden, die sich mit Geschichtereiben, die die Stadt als Collage annehmen und nichthistorische Stiche kolorieren... Berlin, diese europäi-sche Stadt als Kulturlabor, könnte zur Jahrtausendwen-de einiges bewirken, könnte eine Stadt werden, in derKultur mehr Stolperstein und weniger historische Wär-mestube ist.

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Dokumentation 40. Sitzung STADTFORUM Seite 26

Friedrich DieckmannKultur als Motor der Stadtentwicklung

„Kulturplanung wie auch die Ausprägung von Kultur imStadtbild" befinden sich in einer Situation, in der „derStaat nicht stark ist und auch die Bürger nicht starkgenug sind, um die Kultur zu tragen". Daneben ist dieheutige Situation durch eine „Krise des Aufklärungs-gedankens, eine Krise des Bildungsgedankens unddurch einen Niedergang von Bildung charakterisiert,(was) sich auf die Kultur auswirkt. Die kulturellen In-stitutionen sind am fruchtbarsten, die diesen Zerfallschöpferisch in Energien umnutzen, wie die Volksbüh-ne am Rosa-Luxemburg-Platz... Es gehört zu den kul- .turelten Leistungen beider Berlins nach dem Krieg, daßsie in drei Phasen je einem Theatergenie einen Raumgegeben haben. Einen vorhandenen im Osten Berlins,einen neu zu errichtenden in Westberlin. Diese Traditi-on von Bert Brecht über Peter Stein und jetzt FrankCastori sollte festgehalten werden." Das erfordertauch, daß man „Theater fristen läßt für eine oder ei-,nen, die oder der es später einmal als notwendigesGehäuse braucht. Die Volksbühne ist auch als Ort wich-tig, an dem die sozial bindende Funktion von Kultur sofunktioniert, wie wohl nirgends sonst in der Stadt, einOrt der ständig offen ist, wo ständig etwas los ist, wosich auch die Obdachlosen nicht scheuen hineinzuge-hen und der dennoch ein Ort ist, der über die Stadthinauswirkt...

Beim Komplex Deutsches Theater/Kammerspiele istmit sehr bescheidenen Mitteln eine Raumwirkung ent-standen, die etwas Bindendes hat. Man wird über denFreiraum und die schlichte Fassade in musterhafterWeise in ein Areal einbezogen.

In der Sophienstraße, Mitte der achtziger Jahre restau-riert, wird im Rahmen vorhandener Architektursubstanznahezu eine ideale Verquickung von Kulturorten, städ-tischem Leben vielfältiger Art und einer traditionsrei-chen Kirche realisiert. Hier ¡st ein Kulturort der altenBerliner Arbeiterschaft, das Handwerksvereinshaus. Aufengem Raum existiert in dieser Straße eine Fülle vonFunktionen. So etwas unter neuartigen städtebaulichenBedingungen zu reproduzieren, wäre die eigentlicheAufgabe...

Wir haben den Palast der Republik als Erbe, das erhal-ten werden sollte. Wenn dies nicht gehen sollte, dannmüßte mit Zielgerichtetheit das Schloß wieder errich-tet werden. Die Frage ist, wie man an diesem PlatzKultur prägend einbringen kann ... Ein mit dem Palastder Republik versöhntes Schloß der Republik wäre eineLösung. Diese Vision ist mit Kultur zu füllen, ist eineungeheuer reizvolle Aufgabe."

Trotz aller Diskussionen um die Kiezkultur „werden dieVorhaben in Berlin-Mitte wohl doch den Vorrang bei denstädtebaulichen Erwägungen haben. Es muß ein Ortvon kulturell geprägter Architektur werden... Die Inte-grationswirkung dieser zentralen Stelle sollte nichtunterschätzt werden."

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Dokumentation 40. Sitzung STADTFORUM Seite 27

Helmut EngelDie Struktur der historischen kulturellen Institutionenin der Innenstadt(Auszug)

Eine räumliche Schwerpunktbildung in der Verteilungder historischen Standorte ergibt sich deutlich für dasForum Fridericianum und die Linden (u. a. Akademieder Wissenschaften; Königliche Bibliothek; 1786 Neu-begründung der Akademie der Künste; 1810 Gründungder Universität; Altes Museum; Lustgarten; Kastanien-wäldchen; Singakademie am Katanienwäldchen) mit-samt der abgrenzenden Gebiete (u. a. Schauspielhausauf dem Gendarmenmarkt; Bauakademie am Friedrich-..werderschen Markt; Museumsinsel, 1824 Eröffnungdes Königstädtischen Theaters am Alexanderplatz) bisin den Tiergarten hinein (u. a. 1844 Gründung desZoologischen Gartens). Die Friedrichstraße ist dage-gen ein Beispiel, in welchem Umfang - wenn auchschließlich kriegs-und teilungsbedingt-kulturelle In-frastrukturen (u. a. Apollotheater; Wintergarten) zu-nächst an Qualität und Attraktivität verlieren können,um schließlich mehr oder weniger ganz zu verschwin-den. Die Friedrichstraße hatte bereits vor dem ErstenWeltkrieg ihre Rolle an den Kurfürstendamm abzuge-ben begonnen, auch mit ihren anderen kulturellen Stand-orten trat das reiche Charlottenburg in eine bewußteKonkurrenz zur Reichshauptstadt, bei der die anderenBerlin umgebenden Städte indessen nicht mitzuhaltenvermochten, hier konnte die eigene Bevölkerung ver-sorgt werden. In Berlin waren Schwerpunkte der Ent-wicklung die fürstlichen Stadtgründungen im Westendes Stadtschlosses, und zweifellos orientierten sichdie Standorte und die Art des kulturellen Angebotesauch an der Sozialstruktur der Bewohnerschaft in denumgebenden Quartieren und an der Attraktivität für denFremdenverkehr, der das öffentliche Leben in der Stadtbereits im 19. Jahrhundert mitprägte.

Es kann wohl behauptet werden, daß die kulturellenStandorte wesentliches Phänomen zur Charakterisie-rung der «Mitte der Stadt" sind. Und daraus folgert,daß - einmal in der alten Tradition des Herrschers mitseinem §elbstverständnis als Beförderer von Kunstund Aufklärung, zum anderen aber auch vor dem war-nenden Beispiel des Zusammenbruchs der im 19. Jahr-hundert privat betriebenen Theaterunternehmungen -die Sorge um die Mitte der Stadt gebietet, gerade hierdie öffentliche Hand in der Hauptverantwortungfür dieStätten der Kultur zu sehen.

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"Dokumentation 40. Sitzung STADTFORUM Seite 28

Tilman NachfeldZur Rolle der Kirche im kulturellen Selbstverständnisder Stadtgesellschaft(Auszug)

Kultur ist nicht eine Aufgabe oder ein Arbeitsbereichder Kirche, sondern die Existenz von Kirche ist an sichein wesentlicher kultureller Faktor. Wo aber ist ihr Ort?... Deutlich sichtbar ist die ... Kirche schon im Stadt-bild: In Top-City-Lagen unterhält sie riesige, energie-aufwendige Gebäude, die sie zum Teil nur eineinhalbStunden in der Woche nutzt- und das, ohne Eintritt zuverlangen... Kirche widerspricht schon in ihrer Existenzdem schnellebigen Materialismus unserer Konsumge-..sellschaft, nicht erst der heutigen. Wer anderer als dieKirche hat im Bauboom der Gründerzeit an zweige-schossigen Einfamilienhäusern in der Friedrichstadtfestgehalten, Schleiermachers Pfarrhaus, Glinka-, EckeTaubenstraße!...

Die Stadtgesellschaft ist eine säkulare Gesellschaft.Sie ist nicht kirchenfeindlich, aber sie ist an Kirche nurnoch am Rande interessiert. „Kirche" istfür viele nichtmehr als ein Relikt aus der Vergangenheit; die Kirchen-gebäude erzählen Stadt-und Kulturgeschichte; manch-mal geht man sogar hinein, um dort in der lauten StadtRuhe und Selbstbestimmung zu finden oder um sie zubesichtigen ... oder man nutzt das kirchliche Musikan-gebot als Ergänzung zum übrigen Angebot in der Stadt,was eine ganze Reihe von Kirchengemeinden sich heuteauch durch entsprechende Eintrittspreise honorierenläßt.

Allenfalls an kritischen Lebenseinschnitten, für Taufe,Konfirmation, Heirat oder Todesfall ist Kirche noch beietlichen gefragt als Interpret des Ereignisses oder alsAusrichter der fälligen Feier...

Kirche ist ein Erinnerungsposten nicht nur an die Ver-gangenheit, sondern mindestens ebenso an die Zu-kunft. Die. Wende von 1989 hat davon etwas sichtbargemacht: Weil die Kirche zwar in der Welt, aber nichtvon ihr, im Sozialismus, aber nicht von diesem warbeziehungsweise ist, bot sie und bietet sie weiterhinRaum für verändernde Ideen und Bewegungen ...

Das Überstülpen des westdeutschen Kirchensteuer-wesens und Kirchenbeamtentums auf die Kirchen desehemaligen „Bundes der Evangelischen Kirchen" unddie Diskussion über ihre Beziehungen zum DDR-Staatsind - gewollt oder nicht - Mittel zur Disziplinierung derKirche, nämlich zu ihrer Entfremdung von den Grup-pen, die in Staat und Gesellschaft „wider den Stachellocken"...

Diesen aber, ob christlich motiviert oder auch nicht...bietet sie Räume und den schützenden Mantel ihrerOrganisation und besondere Rechtsstellung. Jugend-treffs, Altenklubs, soziale, ökologische und künstleri-sche Initiativen, Ausländerbetreuung bis hin zum „Asylin der Kirche" haben hier ihren Ort, und noch vielesmehr; der Phantasie sind da kaum Grenzen gesetzt...Kirche schafft und erhält in der Stadt Freiräume fürdas, was hier sonst keinen Raum findet, Personen,Themen, Initiativen, Ideen. Sie setzt Akzente, die oftunbequem sind. Sie stört die Sattheit und den f aischenGlanz der Alt-Neu-City und macht sie so lebendiger...In ihrer Mischung von Progressivst und Konservatis-mus, von Bewahren von Altem und Leben im Heutigenschafft die Kirche auch Heimat und Identifikationsmög-lichkeiten für die in der immer unpersönlicher werden-den Stadtmitte noch wohnenden Menschen, wenigerwohl für die Neuzuzügler in Luxusappartements alsvielmehr für die anderen-, die auch noch da sind ...

Darüber hinaus werden die Gemeinden, die in der Stadt-mitte beheimatet sind, in ihren Kirchen unterschiedli-che Akzente kirchlichen und kulturellen Lebens set-zen, Akzente, die nicht nur die eigene Gemeinde be-treffen, sondern die ganze Stadt. Das begreifen sieals ihre Verantwortung und ihren Dienst an der Stadt-gesellschaft.

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Dokumentation 40. Sitzung STADTFORUM Seite 29

Michael GöpfertZur Rolle der Kirche im kulturellenSelbstverständnis der Stadigesellschaft(Auszug)

Ich komme aus München, wo gerade der Dom gefei-ert wird, 500 Jahre Frauendom. Eine Stadt feiert ihreStadtkirche, Symbol für die corporate identity einerStadt. Berlin ist nicht München. Aber: daß Kirchtürme,Stadtkirchen Wahrzeichen für Städte sind, Logos fürstädtisches Marketing...

Irgendwo muß ein einheitsstiftendes Bild der Stadtentworfen werden, und es ist die Frage, ob Politik undVerwaltung allein dieses städtische Wir-Gefühl entwik-keln können, ohne daß in der Religion das Bewußt-sein von städtischer Solidarität erzeugt, das Bild ima-giniert wird von einer konkreten, uns in die Verantwor-tung nehmenden Stadtgeschichte. Gegen die symboli-sche Tendenz der Spaltung und des Auseinanderbre-chens der Stadt in auseinanderdriftende Gegensätze,gegen die zunehmende Entmischung der städtischenGesellschaft, die Segregation von Gruppen, die Stig-matisierung und Exkommunikation von Minderheitenund Schwachen, vor altem Flüchtlinge, ist die Stadtkir-che der Idee nach Schutzpatron der städtischen Ein-heit...

Die Kuppeln der Synagogen und die Minarette derMoscheen gehören heute in der City zu den Kirchtür-men dazu. Eine Entsorgung der Moschee an die Stadt-peripherie ist einer weltoffenen Kulturstadt unwürdig

Primär aber ist die Frage nach Religion und Stadtent-wicklung. Auf der anderen Seite macht die plötzlicheEinbeziehung von Religion in Fragen der Stadtplanungskeptisch ... Man kann z. B. fragen, ob es nichteinelogische Folge der einseitigen Kommerz-und Konsum-orientierung der City ist, daß die großen Warenhäuserund Banken in die alten Stellen der Kirchen und Domeeinrücken, die neuen Wahrzeichen sind. Brutal ausge-drückt: Wer das Geld hat, setzt jetzt die Symbole. Wennüber das Herz der Stadt Firmensterne regieren, ist dasAusdruck dafür, daß der Markt zur Religion gewordenist.

In der nicht postmodern verharmlosten und entschärf-ten Religion ist immer die Machtfrage präsent: Werliefert die entscheidenden Stichworte, wer setzt dieSymbole, wer gibt die entscheidenden Vorgaben undImpulse? ... Welche Wertsetzungen spiegeln sich inunserer städtischen gebauten Umwelt...? Was ist dieReligion unserer Stadtplanung? Besondere Sorgfalt galtin den religiösen Akten der Stadtplanung immer den

Standorten: Wo steht der Tempel, wo der Palast, wel-ches Areal für welche Funktion? Was ist das Systemder Stadt, der Grundgedanke für die Vernetzung derStandorte untereinander? Die Religion der Stadt kommtnicht erst bei der Denkmalspflege ins Spiel, sondernhier, in der Urzelle der Stadtplanung...

Die Stadtplaner und Architektem der 20er Jahre hat-ten geradezu religiöse Visionen ihrer neuen Stadtland-schaft; mitmessianischem Eifer wurde das neue Bau-,en neuer Städte proklamiert. Zumindest waren dasöffentliche Visionen und Utopien und nicht nur die be-scheidene pragmatische Frage nach Investoren. DieReligion als Symbolisierung des öffentlichen Interes-ses, als Arbeit am Gemeinwohl muß ein leidenschaft-liches Interesse haben an der Herstellung von Öffent-lichkeit, daß der öffentliche Raum nicht verkümmert... Das Christentum... ist nicht unschuldig am Verfallöffentlicher Räume, speziell der Protestantismus mitseiner Vergleichgüttigung von „Örtlichkeif. Puritani-scher Rigorismus machte der Augenlust ein perma-nent schlechtes Gewissen, Kultivierung der Innenwelthieß die Parole. Die Kehrseite der Medaille war ebendie schleichende Indifferenz gegenüber den öffentli-chen Räumen ...

Der Standort von Kirche sind die Kirchen, bzw. Syn-agogen, Moscheen, Tempel. Sie standen da, stehenda und werden auch in Zukunft noch da stehen, siesymbolisieren die Präsenz, das Kontinuum von Religi-on, sie sind sperrige Relikte aus uralten Zeiten, her-ausgenommen aus dem gesellschaftlichen Verwer-tungszusammenhang von Produktion und Konsumpti-on, eine Unterbrechung von Alltagsroutinen, Bereitstel-lung von anderen Ritualen, oft Inbegriff des geniusloci einer Stadt und Landschaft, Orte voller Denkmä-ler und Grabstätten, Langzeitgedächtnis einer Stadt,die Graffiti der Geschichte eingekratzt in die Mauern,Orte der „Circulation des religiösen Interesses" (Sehtet-ermacher), Orte der Kultur .göttlicher Gefühle" (H.Schmitz), andere Orte, Heterotopien ...

Die Stadtkultur, die religiöse Kultur schulden den Stadt-bewohnern ... alternative Orte, nicht kommerzialisier-te Orte, Räume ohne Konsum- und Verzehrzwang,Räume ohne Gesichtskontrolle, ohne Eintrittsbedingun-gen, Räume zum Nulltarif. Ich sehne die alten, riesi-gen Bahnhofsgaststätten wieder herbei, wo man stun-denlang sitzen konnte bei einem Bier, einnicken konn-te, schauen konnte, es waren Rekreationsräume, Le-seräume, Wärmestuben in einem, wahrhafte Volksräu-me, Aufenthaltsräume, Schutzräume, Kommunikations-räume. Wo sind diese Volksräume geblieben? Die Kir-chen müßten solche Räume sein, mehr oder wenigerTag und Nacht geöffnet, das erst wären Volkskirchen,

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Dokumentation 40. Sitzung STADTFORUM Seite 30

die dem Volk der Stadt gehören, nicht den Bürokratienund Hausmeistern. Oder brauchten wir neue Heteroto-pien, weitabgewandt, mystisch, wie die romanischenKrypten, neue städtische Krypten und Kellergewölbezum Ausruhen und Schweigen, Krypten, in denen ichanonym bleiben, aber auch Sprechkontaktsuchen kann

Städtische Kultur und religiöse Kultur als Alternative,als Festkultur, als Kommunikationskultur. Wie muß ichbauen, was muß ich bauen, damit Stadt als Ort mitFreiheit erfahrbar wird, als Platz der Kreativität, als Ortmit Überraschungseffekten, mit Verwirrungen, Anregun-gen. Ich muß Räume und Orte schaffen, die gleich-sam dereguliert sind, unvorhergesehenen Nutzungen -Spielraum lassen; der Stadtplaner muß sich überle-gen, „was im Bereich der visuellen Gestaltung einemnarrativen Anfang entspricht" (Sennett)... Keine Urba-nität ohne eine Kultur der Duldung, des Zulassens auchvon Unordnung, Dreck, Anarchie, von Zwischenzonenund provisorischen Orten für f liegende Händler, Flücht-linge, Obdachlose, Pufferzonen, Schonräume, „dasneue Stadtsegment der Migration" (Hoffmann-Axt-helm).

Die biblische Religion weiß etwas von Exodus undLeben im Provisorium, im Transit und predigt die Sym-phatie mit dem Vorläufigen, das Rechnen mit demNicht-Planbaren. Also, es müssen nicht immer gleichmillionenschwere Projekte ... sein, warum nicht auchBaracken, Zelte, Fabrikhallen?...

Die biblische Religion ist ein einziges Plädoyer für dieArbeit am „Gedächtnis der Stadt" (W. Grünberg), sieist ein Wünschelrutengängerfür subversive Erinnerung,sie widerstrebt der Tabula rasa, der Planierraupe, siewiderspricht der Maxime Le Corbusiers, die historischeZeit in der Stadt zu tilgen, Geschichte zu entkräften,sie würde immer eher den Standort für ein Kaufhausopfern als einen Friedhof umzupflügen.

Die biblische Religion ... ist alt und hat deswegenGelassenheit gelernt gegenüber dem Altern, demStaub und Dreck und der Unordnung. Die Tempel undKirchen sollten in die Welt hineinragen als Alterskul-tur, als steinerne Zeugen einer Welt, in der gealtertwerden darf... Laßt die Temper und Cities wirklichaltern, renoviert sie nicht zu Tode, wischt den Staubnicht ständig ab. Die Kirche ist wie auch die Stadt keinRaum, wo die Dinge, das Leben zu Tode bewahrt wer-den . . . .

Ich will keine himmlische Stadt und keine verteufelteStadt, sondern eine „dicht gebaut und fest gefügt",eine Stadt, in der man „zusammenkommen soll" (Ps.122), eine gemischte Stadt, keine purifizierte, eine

Stadt der Unterschiede, des corpus permixtum, nichtder Gleichschaltung, eine Stadt, die den Satz des he-bräischen Sängers nicht vergißt: „Wenn der Ewige nichtdas Haus baut, so arbeiten umsonst die Häuserbau-er, wenn der Ewige die Stadt nicht behütet, so wa-chen die Wächter umsonst" (Ps. 127).

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Dokumentation 40. Sitzung STADTFORUM Seite 31

Erich ThiesWissenschaftslandschaft in der Berliner Stadtmitte(Auszug)

Berlin gehört zu den forschungsintensivsten RegionenEuropas (3 Universitäten, 3 Universitätsklinika, 7 Fach-hochschulen sowie rund 70 außeruniversitäre For-schungseinrichtungen) ... 1994werden 700 Mio. DMfür die außeruniversitäre Forschung aufgewandt. Wei-tere 475 Mio. DM kommen vom Bund hinzu. 3,9 Mrd.DM fließen in die Hochschulen. Das sind rund 9 Pro-zent des Berliner Landeshaushalts... Nach der Verei-nigung der Stadt galt es, die strukturelle, personelleund fachliche Erneuerung der Hochschulen im Ostteil.der Stadt voranzubringen... In Berlin-Mitte konzentrie-ren sich die Aufgaben auf besonderer Weise. Es gehtdarum, die traditionsreiche Berliner Humboldt-Univer-sität zu erneuem, ihr Rolle im Zentrum neu zu bestim-men, aber auch das außeruniversitäre Potential hierzu verankern ... Die Partnerschaftsbeziehungen derHumboldt-Universität insbesondere zu Osteuropa müs-sen aufrechterhalten werden... Der Senat hat beschlos-sen, die Naturwissenschaft der Humboldt-Universitätin den nächsten zehn Jahren nach Adlerhof umzusie-deln, da für sie in Mitte nicht genügend Rächen vor-handen sind ... Innerhalb der letzten zwei Jahre wur-den von den etwa 500 Professuren 350 neu besetzt.Von den Professoren sind rund zwei Drittel aus denalten Bundesländern ... An dieser Universität wurdedie Vereinigung von Ost und West exemplarisch vorge-nommen ... Derzeit sind 23.000 Studenten an derHumboldt-Universität immatrikuliert. Langfristig soll dieStudentenzahl auf 16.000 bis 20.000 abgesenktwerden... Die Universität muß ein Ort werden, der of-fen für die Bürger ist und Kultur in die Stadt einbringt... Eine hochqualifizierte und überschaubare Universi-tät in Mitte kann entstehen ... Die Studenten werdenim Kern der Stadt ein gutes Mischungselement ver-körpern ...

Es ist zu hoffen, daß die Sozial- und Geisteswissen-scharten einen besonderen Einfluß auf die Politik aus-üben können ... Die Humboldt-Universität verfügt inBerlin-Mitte über mehr als 85 Gebäude, mit 185.000Quadratmeter Hauptnutzfläche (die Charité nicht ein-gerechnet) ... Ein Sanierungsaufwand von etwa 500Mio. DM ist notwendig (für die Charité 1,6 Mrd. DM)... Geschaffen werden müssen Infrastruktureinrichtun-gen, eine Zentralbibliothek und Mensen... Für die Marx-Engels-Kaserne müßte ein gemeinsam getragenesKonzept von der Humboldt-Universität, dem DeutschenHistorischen Museum und der Stiftung PreußischerKulturbesitz entwickelt werden unter Einbeziehung ei-ner gemeinsamen strukturierten Bibliothek ... Imaußeruniversitären Bereich ist in Mitte die Berlin-Bran-

denburgische Akademie der Wissenschaften gegrün-det worden. Auch von ihr werden Impulse für die Wis-senschaft ausgehen... Das Wissenschaftsforum (Trä-ger ist die VW-Stiftung), das erst noch gebaut werdenmuß, wird sich ebenfalls in Mitte ansiedeln. Hier fin-den nationale Wissenschaftsorganisationen einen an-gemessenen Ort... Daneben befinden sich am Haus-vogteiplatz und in der Mohrenstraße außeruniversitä-re Forschungseinrichtungen (naturwissenschaftlich-mathematische Einrichtungen der Blauen Liste) ...

In einem künftigen Land Berlin-Brandenburg hat dieStadt Berlin... den Auftrag, die .Wissenschaftsland-schaft" als städtische .Wissenschaftsmetropole" zubehaupten und zu prägen.

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Dokumentation 40. Sitzung STADTFORUM, Thies, Übersichtsplan Mitte Hochschulbereich Seite 33

HUMBOLDT * UNIVERSITÄT ZU BERLINOBERSICHTSPLANMITTEHOCHSCHULBEREICH

STAND FEBRUAR 1991

X %f^W%;

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l HauptgebäudeUnter den Linden

2 Kommode, Altes PalaisKommandantenhausBebelplatz/ Unter den 'Unden 9/11Behrenstraße 40/41

3 Clara-Zetkin-Str. l

4 Am Kupfergraben 5

5 SeminargebäudeClara-ZetkirvStr. 20/24

6 Bauhofstraße 9

7 Universitätsstr. 3b

8 Clara-Zetkin-Str.26

9 ehem. BibliothekClara-Zetkin-Str. 28

10 Gesch.-Scholl-Straße

11 Mittelstr. 7/8

12 BunsenstraSe l

13 Burgstraße 26

14 Burgstraße 25

15 Spandauer Straße l

16 Burgstraße 31

17 Ziegelstraße 10/13

UniversitätsleitungRechtswissenschaftenSozialwissenschaftenPhilosophieGeschichtswissenschaftenKunstwissenschaftenFremdspr. PhilologienKriminalistikMathematikRechenzentrum

Erziehungs- und Sport-wissenschaftenAnglistik/AmerikanistikArchivKulturwissenschaften

Germanistik

Musikwissenschaft/MusikerziehungWissenschaft. Philosophie/Humanontogenese

Zentr. audiovisuelleLehrmittel

MusikwissenschaftenSportwissenschaften

SportwissenschaftenTheoret, und angewandteSprachwissenschaftAsien- und Afrikawissen-schaftenGeowi ssenschaftenTheaterwissenschaft

InformatikWirtschaft/Mensen

Fremdnutzer

ehem. Friedrich-Engels-Kaseme

WeiterbildungÖffentlichkeitsarbeit

Physikalische Chemie

Kunstpädagogik

Theologische Fakultät

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Sportwissenschaften

Wissenschaftstheorie und -OrganisationInstitut für Geschichte derMedizinGästeunterkünfteGrundstücksverwaltungBauplanungSicherheitsinspektion

18 Oranienburger Str.

19 Johannisstr. 10

20 Reinhardtstr. 30

21 Luisenstr. 53

22 Luisenstr. 56

23 Philippstr.

24 Hannoversche Str. 7

25 Hessische Str. 1/2

26 Invalidenstr. 110

27 lnvalidenstr.42

28 Invalidenstr. 43

29 Chausseestr. 96

30 Habersaathstr. 13

31 Pflugstr. 5b

Psychologie

Studentenwerk/SozialesMensen

Mensa

Technik, Biologie

Vet. Medizin, Hauptgebäude

Veterinärmedizin

Beschaffungsstelle

Chemie

Physik/Elektrotechnik

Landwirtschaft/GartenLebensmitteltechnologiePhysik. Lehrzentrum

Museum für NaturkundeBiologie

Sporthalle

Kinderkrippe

LMT

32 HermanrvMatem-Str. 54 Asien- und Afrika-wissenschaften

33 Albrechstr. 22

34 Reinhardtstr. 7

35 Augustastr. 90

36 Clara-Zetkin-Str. 27

Rehabilitationswiss.

Theoret, und angewandt.SprachwissenschaftenAsien- und Afrikawiss.

Universitätsbibliothek

UniversitätsbibliothekBibliotheks wissen.

37 Neue Schönhauser Str. 20 LMT

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Dokumentation 40. Sitzung STADTFORUM Seite 35

Wolf-Dieter HeilmeyerErwartungen an den Standort klassischer Kulturin Berlin(Auszug)

Klassik ist im 20. Jahrhundert besonders in Berlin sehrstark instrumentalisiert worden, sie könnte aber einGegengewicht demokratischen Traditionen gegen dieAuswüchse der Massengesellschaft sein. Darin liegtdie Chance der Klassik in Berlin ... Der Aufbau derSammlungen und die Aufnahme der Forschungen um1700 bedeuteten ein Bekenntnis zur mediterranen, süd-und westeuropäischen griechisch-römischen Kultur...Die Dichte der historisch-kulturellen Beziehungen aus .Berlin nach Westeuropa wareine Konsequenz... WerKlassik sucht in Skandinavien und Osteuropa, ist im-mer auf dem Weg nach und über Berlin nach Südenund Westen. Hierin liegen ein Bedarf und ein Stand-ortvorteil Berlins...

Eine kulturelle Topographie Berlins in bezug auf dieKlassik läßt sich sehr wohl beschreiben. Es sind diesdie Institute der Universitäten,... die Museumsinsel,Standorte in Charlottenburg, in Glienicke. Daneben gibtes die Denkmäler,... die Architektur des Klassizismus,das Brandenburger Tor, das Schloß in Steglitz oder auchdie Berliner Hausfassaden...

Bei dem Anbieter für klassische Kultur Museen ist einedeutliche Krise zu beschreiben. Wir waren bei derUmorientierung der Museen von Bildungsinstituten zuangenehmen Aufenthaltsorten, als die Wiedervereini-gung uns die ruinierten Altbauten vor allem der Muse-umsinsel bescherte. Schon allein finanziell ist dieseWiedervereinigung.auf dem eingeschlagenen Weg einRückschlag um mehr als zehn Jahre ... Die Hauptpro-bleme bei der Umorientierung liegen bei den sinken-den öffentlichen Ressourcen und bei der sich verhär-tenden Bürokratisierung. Damit steht die Frage, wieman an die steigenden Privatvermögen herankommt

lieh moderne Gartengestaltung vorgenommen, son-dern eine minimalistische künstlerische Platzgestaltung

Der Weg von Charlottenburg in die Mitte ist für dieStaatlichen Museen unaufhaltbar... Die Mitte Berlinswird ihr kulturelles Faszinosum als „Bild von Berlin" inBerlin und in den Köpfen der meisten seiner Besuchervor allem durch die Museen erhalten ...

Als Betreiber der Kulturinstitutionen Museen haben wirklare Erwartungen. Die vordringlichsten vier sind: 1.Die Gebäude der Museumsinsel und allgemein imOstteil der Stadt müßten schneller renouviert werden... 2. Die Parkanlagen Berlins müssen als Grünzonenklarer mit den Kulturinstitutionen verbunden werden... 3. Die Verkehrsplanung sollte die Kulturtouristenstärker berücksichtigen (u. a. Zufahrt und Parkmög-lichkeiten) ... 4. Die Verbindungen zwischen den Be-zirks- und Landesinstitutionen und den StaatlichenMuseen könnten erheblich verdichtet werden...

Bei den Staatlichen Museen ist eine neue Planung inGang. Daniem, Tiergarten und Mitte werden die gro-ßen Schwerpunkte bilden; Charlottenburg, Friedrichs-hagen, Köpenick werden Trabanten sein können... Esgeht weder um eine Zentralisierung oder Dezentrali-sierung, sondern um eine richtige Nutzung der vorhan-denen Ressourcen ... Vorgeschlagen wurde eine vor-sichtige Dezentralisierung...

Leider ist das Ergebnis des Wettbewerbs für das NeueMuseum unter einem sehr starken Votum des BerlinerSenats für uns Museumsangehörige funktional nega-tiv ausgegangen ... Beim Lustgarten wird keine wirk-

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Dokumentation 40. Sitzung STADTFORUM Seite 36

Rainer BlankenburgKultur als Integrationsfaktor im Stadtteil(Auszug)

Unser Ansatz zielt darauf, die produktiven Potenzen derverschiedenen Akteure und Funktionsbereiche - darun-ter der Kultur- in einem Entwicklungsgebiet (Spandau-er Vorstadt) informell zu vermitteln. Am Anfang standdie Idee, Kulturstätten in der Innenstadt trotz Explosi-on der Gewerbemieten dadurch zu halten, daß sie ihreureigenste Kraft in eine solche Mischnutzungeinbrin-gen, nämlich den authentischen Ausdruck und Aus-tausch unterschiedlicher Individuen zu ermöglichen unddem Standort dadurch ein Gesicht zu geben anstatt.sich als Werbeträger zu verkaufen. Im Bemühen dar-um begannen wir, Synergieeffekte vor Ort zu gestal-ten, die Kooperation von Investoren, verschiedenenMiet- und Nutzerinteressen und Ämtern quasi ressort-übergreifend zu moderieren und so die spezifischenMöglichkeiten der Befriedigung lokaler und stadtwei-ter Bedürfnisse auszuschöpfen...

Die selbst zu gestaltenden und sozial wie kulturellheterogenen Freiräume waren auch das, was RotrautWeeber beim letzten Stadtforum als den heutigen Be-dürfnissen gruppenspezifischer Kommunikation undderen dynamischer Wandlung entsprechende Formstädtischer Infrastruktur hervorhob. Nur in ihnen exi-stiert die lokale und soziale Kompetenz, die eine ef-fektive Anpassung an die jeweiligen Bedürfnisse undeine .effektive Mehrfachnutzung zuläßt ein Steuerungs-mechanismus, der nicht nach unspezifischen statisti-schen oder Verwaltungssystematiken trennt und dieBedürfnisse in letztlich um die gleichen Töpfe konkur-rierenden Institutionen zu befriedigen sucht...

Wo sind die Instrumente, die statt einer Verdrängunglokaler Kräfte durch von außen kommende und will-kommene, aber in nichts berlinischen Unternehmeneine produktive Beziehung zwischen lokaler Keativitätund überregionaler Marketingfähigkeit herstellen? ...Das richtige Maß zwischen Rand- und Binnenlage jenach Integration in ein urbanes Viertel scheint mir fürkulturelle wie kulturgewerbliche Institutionen entschei-dend zu sein, wenn sie die Urbanität befördern undnicht zerstören sollen...

Die Hackeschen Höfe liegen am Rande, sind gleich-sam Tor zur Spandauer Vorstadt. Ihre Kultureinrichtun-gen sind nicht nur Mittel zur Steigerung der Attraktivi-tät eines Gewerbestandortes. Sie sind durchaus Ver-mittler zwischen den großen Theatern und MuseenUnter den Linden und den noch vorhandenen kleinenOff-Studios und Galerien im Innern. Sie sind an dieserSchnittstelle von Regierungs-, Einkaufs- und Wohnvier-

tel auch Vermittler, was die soziale Mischung ihresPublikums betrifft wie den über die Stadt hinausrei-chenden Anspruch und zugleich Kiezbezug ihrer künst-lerischen Angebote. Solch kulturell und sozial breiterBezug muß natürlich auch für die anderen Nutzungen,z. B. die Restaurants in den Höfen gefunden werden

Eine in der Heterogenität des Lebens dieser Stadt ver-wurzelte Kulturproduktion und für diese Heterogenitätoffene, niederschwellige Kommunikationsräume wer-den zur Wohnfunktion nicht in Widerspruch stehen,sondern sozial und politisch vermittelnd statt konfron-tativ wirken, sie werden mit ihrem kreativ gewerbli-chen Umfeld für den Standort Berlin insgesamt origi-nal itätsstiftende und bis in die Medien-.Werbe- undKonsumgüterbranche stilbildende Wirkung haben - nichtzuletzt, je mehr in ihnen soziale und kulturelle Sprach-barrieren durch neue Ausdrucksformen überwundenwerden...

Zureigenen Internationalitätgehört auch, das Eigeneseiner selbst bewußt auszuprägen - und zwar in allenBereichen von zentralisierter Hochkultur, dezentralerAlltagskultur und Offkultur, deren Grenzen für mich umso fließender sind, je mehr ihre einseitige Bindung anRepräsentativfunktion, Sozialfunktion und ästhetischeExperimentierfunktion aufgebrochen wird ...

Beim letzten Stadtforum wurde aus ökologischer wieaus stadtsoziologischer Sicht die Notwendigkeit de-zentraler Infrastrukturentwicklung dargestellt, die durchdie Erfahrungen und Bedürfnisse ihrer Nutzer über lo-kale freie Träger gesteuert wird. Für die kulturelle In-frastruktur würde ich diese dezentrale Grundtendenzals Freisetzung spezifisch lokaler Kreativität durch Ent-faltung sozial heterogener Kommunikation spezifizie-ren und an uns den Appell richten, dieser Notwendig-keit durch ressortübergreifende Planung mit den Leu-ten in den konkreten Vierteln zu entsprechen.

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Dokumentation 40. Sitzung STADTFORUM Seite 37

Christa JuretzkaKulturelle Infrastniktur undkulturelles Selbstverständnis im Stadtteil(Auszug)

Die Rede über Berlin als Metropole von 23 Großstäd-ten, den Bezirken, war und ist keine leere Floskel. ImGegenteil, es existieren weit mehr Zentren und Sub-zentren, die in ihren unterschiedlichen historischen,sozialen und kulturellen Besonderheiten die Farbigkeitder Stadtlandschaft bestimmen, als es das sprachli-che Bild suggerieren könnte. In der Konsequenz be-deutet das, kulturelle Infrastruktur kann zwar allgemeindefiniert, aber immer nur konkret verhandelt werden

Weißensee kann auf eine ganz eigene historischeGeschlossenheit und Anbindung an die Gesamtstadtverweisen. Eine historisch gewachsene Durchmischungvon Wohnen, Gewerbe und Industrie, mit entsprechen-den sozialen Ansiedlungen, einschließlich einer intel-lektuellen Mittelschicht, die sich hier niederließ, prä-gen bis heute das unverwechselbare Gesamtgefügedes Bezirkes ... Entlang der Hauptverkehrsstraße indie Stadtmitte hinein ... sind die wesentlichen kultu-rellen Einrichtungen angesiedelt:... das Kulturhaus,die Freilichtbühne, das Brecht-Haus Weißensee, linksund rechts der Berliner Allee findet man die Musik-schule, die Bibliotheken, das Heimatmuseum, dasKino TONI ... Etwas abgelegener... liegt die Kunst-hochschule BeHin-Weißensee. Ein anderes Bild bietendie zu Weißensee gehörenden Siedlungsgebiete Hein-ersdorf, Blankenburg und Karow. Die historischenDorfkerne sind hier noch sehr gut erhalten... Der Orts-teil Weißensee ... bündelt alle wesentlichen öffentli-chen Funktionen wie Dienstleistungen und Kommuni-kationsmöglichkeiten ...

Kulturelle Infrastruktur umfaßt die räumlichen Bedin-gungen für kulturell und künstlerische Produktions- undKommunikationsformen. Sie erhält ihre eigentlicheBedeutung aber erst durch die unterschiedlichen Nut-zungen, für die sie Bedingungen bietet und durch diesie erst zu einer lebendigen Struktur wird. Weißenseehat diesbezüglich eine breite Palette vorzuweisen, die

. mit einer sehr eindeutigen und differenzierten Profilie-rung der Kultureinrichtungen zusammenhängt. Dabeispielt einerseits das ortsbezogene Angebot, ob in Formvon Veranstaltungen, Möglichkeiten der künstlerischenSelbstbetätigung oder von Raumangeboten für freieProjektarbeit eine entscheidende Rolle. Ganz wesent-lich übernimmt das Kulturhaus als multifunktionaleEinrichtung solche Aufgaben, die vor allem bestimmteZielgruppen, insbesondere Kinder, Jugendliche undFamilien ansprechen ... Die Nutzung der kulturellen

Infrastruktur läßt sich aber andererseits nicht auf orts-gebundene Angebote reduzieren. Für die Freilichtbüh-ne mit bis zu 3.000 Plätzen ist es unabdingbar, daßsie ihre Angebote über den Bezirk hinaus anziehendmacht, und das Kunstzentrum Brotfabrik lebt ganzwesentlich von den Besucherströmen auch aus Prenz-lauer Berg und Kreuzberg... Ein Zusammenhang zwi-schen den stadtteilbezogenen Kultureinrichtungen undden überbezirkiichen Einrichtungen (Kunsthochschule)läßt sich kaum herstellen...

Kulturelle Infrastruktur ist... alles andere als abgesi-chert, und zugleich wird auch Weißensee mit Interes-sen und Bedürfnissen konfrontiert die im Rahmen dernoch vorhandenen Struktur nicht befriedigt werdenkönnen. Um nur einige Beispiele zu nennen: - Kleinestadtteilnahe Kultureinrichtungen... wurden aufgrundanderer Interessen der neuen (privaten) Eigentümerverdrängt... - Im Vergleich zu Zentren in PrenzlauerBerg, Mitte oder Kreuzberg besitzt Weißensee keineausgeprägte freie Trägerlandschaft... - Zugleich kom-men auf der Suche nach bezahlbaren Räumen, nachgeeigneten Probemöglichkeiten und Arbeitsstättenimmer mehr Künstler oder temporär arbeitende Pro-jektgruppen aus allen Teilen der Stadt nach Weißen-see. Die geringen Kapazitäten sind längst erschöpft... - Selbst der Erhalt der vorhandenen Infrastruktur istgefährdet... In den letzten Jahren f anden keine Inve-stitionen in die kulturelle Infrastruktur (mit Ausnahmeder Freilichtbühne) statt und sind auch nicht in Aus-sichtgestellt. Von der finanziellen Absicherung der Ar-beitsfähigkeit der vorhandenen Infrastruktur, der För-derung von Kulturarbeit und von unterschiedlichen For-men künstlerischer Auseinandersetzung... will ich hiernoch gar nicht sprechen ...

Die geplante und in ersten Abschnitten bereits begon-nene Bebauung der Ortsteile Karow-Nord und Blanken-burg wird Weißensee künftig einen Bevölkerungszu-wachs um ca. 80.000 Einwohner (derzeit 51.000 Ein-wohner) bringen... Was in Anbetracht dieser Tatsachean kultureller Infrastruktur geplant ist, kann keines-wegs als ausreichend bezeichnet werden ... Es wirddaher notwendig sein, die Entwicklungsprozesse ge-rade in diesem Gebiet sorgfältig zu begleiten und zubeeinflussen, gerade weil es für die kulturelle Infra-struktur keine verbindlichen Standards gibt, analog zuden sozialen Einrichtungen, und gerade weil die öffent-liche Hand sich nicht ihrer Verantwortung für kulturelleInfrastrukturentwicklung entziehen darf...

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Dokumentation 40. Sitzung STADTFORUM Seite 38

Der Beitrag von Rudolf Schäfer konnte bis Redaktions-schluß nicht fertiggestellt werden. Er wird zur näch-sten Sitzung des STADTFORUMS vorliegen.

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Programm der 40. Sitzung des Stadtforums06./07.05.1994

Ort WallstraBe 27 (1. OG). 10179 Berlin-Mitte

06.05.1994 Kulturelles Profil Berlins

14.00 Uhr Leitgedanken der Lenkungsgruppe

ReferatKulturpolitik als StadtentwicklungspolitikUlrich Rotoff-Momin (Senator für kulturelleAngelegenheiten)

Diskussion:Kultur als Motor der StadtentwicklungXago-Schrfider (Bildender Künstler Berlin) /Friedrich Dieckmann (Publizist Berlin)

Kaffeepause

ReferatStruktur der historischen kulturellen Institutionen inder InnenstadtHelmut Engel (Aufsicht über den DenkmalschutzSenStadtUm)

ReferatZur Rotte der Kirche im kulturellen Selbstverständnisder StadtgesellschanTilman Hachfeld (Consistorium der FranzösischenKirche Berlin)

KorreferatMichael Göpfert (Pfarrer München)

Diskussion

07.05.1994 Kulturelles Profil Berlins__________

10.00 Uhr ReferatWissenschaftslandschaft in der Berliner StadtmitteErich Thies (Staatssekretär für Wissenschaft undForschung)

ReferatErwartungen an den Standort klassischer Kultur inBerlinWolf Dieter Heilmeyer (Staatliche Museen zu Berlin)

Diskussion

Kaffeepause

ReferatKultur als Integrationsfaktor im StadtteilRainer Blankenburg (Verein Hackesche Höfe)

ReferatKulturelle Infrastruktur und kulturellesSelbstverständnis im StadtteilChrista Juretzka (Kulturami Weißensee)

Diskussion

Zusammenfassung des Moderators

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