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Harmonisch ZUSAMMENFASSUNG In vielen Fällen kann man sich die gesamte Masse eines Gegenstandes auf einen einzigen Punkt konzentriert denken. Diesen Punkt nennt man Körperschwerpunkt. Warum der Flop kein Flop wurde Drei Beispiele aus dem Sport In diesem Abschnitt werden wir Fragen zum Sport mit der Lage des KSP eines Menschen erklären. s Sobald der Weitspringer in der Luft ist, befindet er sich im freien Fall. Egal wie sehr er auch zappelt, sein KSP beschreibt eine astreine Flugparabel. Das Laufen in der Luft bringt also keinen direkten Weitengewinn ( F 6). Es dient nur zur Vorbereitung auf die Landung und ist im Prinzip nicht notwendig. Es gibt auch andere Techniken, bei denen man nicht weiterläuft (Abb. 4.12). Beim Hochspringer auf dem Mond würde man vorschnell auf 12 m tippen ( F 7). Es sind aber etwa 7 m. Was war der Denkfehler? Es hat wieder mit dem KSP zu tun. Dieser befindet sich beim Menschen etwa auf Nabelhöhe, sagen wir mal grob bei 1 m. Wenn man also 2 m hoch springt, dann beträgt die Hebung des KSP „nur“ 1 m. Nur diese Hebung ist auf dem Mond 6-mal so groß – du wächst ja dort nicht. Und das macht in Summe eben 7 m. INFO Du siehst, dass die Überhänge, die pro zusätz- lichem Buch erzielt werden, die Kehrwerte der geraden Zahlen sind und daher rasch abneh- men. Um einen Überhang von 2 Büchern zu er- zielen, musst du bereits 31 Bücher stapeln, für 3 Buchlängen 227 Bücher und für 4 Buchlängen 1 674 Bücher! Prüfe das mit einem Tabellen- kalkulationsprogramm nach. Wenn du ½ aus- klammerst, dann bekommt die Reihe folgende Form: ½ ⋅ (1 + 1/2 + 1/3 + 1/4 + …). Das in der Klammer nennt man übrigens harmonische Reihe und diese besitzt keinen Grenzwert (siehe F 31)! Du kannst daher beim obersten Buch jeden be- liebigen Überhang erzielen – wenn du genug Bücher hast! Für einen Überhang von 10 Büchern brauchst du etwa 1,5 ⋅ 10 43  Bücher … und viel Zeit zum Stapeln! 4.2 F 5 . Warum kippt das Besteck in der Abbil- dung nicht vom Tisch? Es befindet sich doch völlig außerhalb der Tischplatte! Probiere es selbst mal aus! L F 6 . Manche Weitspringer laufen in der Luft weiter. Warum tun sie das? Wird dadurch die Weite größer? Können sie sozusagen durch die Luft laufen? F 7 $ Nimm an, ein Hochspringer springt auf der Erde 2 m hoch. Auf dem Mond beträgt die Anziehungskraft nur 1/6. Wie hoch könnte der Sportler dort springen? F 8 . Kann es eigentlich sein, dass der KSP eines Gegenstandes außerhalb von diesem liegt? F 9 . Alle Hochspringer verwenden heutzu- tage den sogenannten Flop. Dabei überquert man die Latte rücklings (Abb. 4.8 links). Nie- mand springt mehr mit dem Wälzer (rechts). Warum? Abb. 4.6 Wie kann das sein? Abb. 4.7 Die Laufsprungtechnik beim Weitsprung Abb. 4.8 Links ein Hochsprung in der Flop-Technik, rechts die veraltete Wälzer-Technik 35 Mechanik 4 Gedachte Singularität

4.2 Warum der Flop kein Flop wurde - asset.klett.de · Menschen-KSP Jump-and-Reach-Test Das Beispiel mit dem Sprung auf dem Mond war grob gerechnet. Um zu verstehen, warum der Flop

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Page 1: 4.2 Warum der Flop kein Flop wurde - asset.klett.de · Menschen-KSP Jump-and-Reach-Test Das Beispiel mit dem Sprung auf dem Mond war grob gerechnet. Um zu verstehen, warum der Flop

Harmonisch

ZUSAMMENFASSUNGIn vielen Fällen kann man sich die gesamte Masse eines Gegenstandes auf einen einzigen Punkt konzentriert denken. Diesen Punkt nennt man Körperschwerpunkt.

Warum der Flop kein Flop wurdeDrei Beispiele aus dem Sport

In diesem Abschnitt werden wir Fragen zum Sport mit der Lage des KSP eines Menschen erklären.

s

Sobald der Weitspringer in der Luft ist, befindet er sich im freien Fall. Egal wie sehr er auch zappelt, sein KSP beschreibt eine astreine Flugparabel. Das Laufen in der Luft bringt also keinen direkten Weitengewinn ( F 6). Es dient nur zur Vorbereitung auf die Landung und ist im Prinzip nicht notwendig. Es gibt auch andere Techniken, bei denen man nicht weiterläuft (Abb. 4.12).

Beim Hochspringer auf dem Mond würde man vorschnell auf 12 m tippen ( F 7). Es sind aber etwa 7 m. Was war der Denkfehler? Es hat wieder mit dem KSP zu tun. Dieser befindet sich beim Menschen etwa auf Nabelhöhe, sagen wir mal grob bei 1 m. Wenn man also 2 m hoch springt, dann beträgt die Hebung des KSP „nur“ 1 m. Nur diese Hebung ist auf dem Mond 6-mal so groß – du wächst ja dort nicht. Und das macht in Summe eben 7 m.

INFO

Du siehst, dass die Überhänge, die pro zusätz-lichem Buch erzielt werden, die Kehrwerte der geraden Zahlen sind und daher rasch abneh-men. Um einen Überhang von 2 Büchern zu er-zielen, musst du bereits 31 Bücher stapeln, für 3 Buchlängen 227 Bücher und für 4 Buchlängen 1 674 Bücher! Prüfe das mit einem Tabellen-kalkulationsprogramm nach. Wenn du ½ aus-klammerst, dann bekommt die Reihe folgende

Form:  ½ ⋅ (1 + 1/2 + 1/3 + 1/4 + …).  Das in der Klammer nennt man übrigens harmonische Reihe und diese besitzt keinen Grenzwert ( siehe F 31)! Du kannst daher beim obersten Buch jeden be-liebigen Überhang erzielen – wenn du genug Bücher hast! Für einen Überhang von 10 Büchern brauchst du etwa  1,5 ⋅ 10 43   Bücher … und viel Zeit zum Stapeln!

4.2

F 5 . Warum kippt das Besteck in der Abbil-dung nicht vom Tisch? Es befindet sich doch völlig außerhalb der Tischplatte! Probiere es selbst mal aus! L

F 6 . Manche Weitspringer laufen in der Luft weiter. Warum tun sie das? Wird dadurch die Weite größer? Können sie sozusagen durch die Luft laufen?

F 7 $ Nimm an, ein Hochspringer springt auf der Erde 2 m hoch. Auf dem Mond beträgt die Anziehungskraft nur 1/6. Wie hoch könnte der Sportler dort springen?

F 8 . Kann es eigentlich sein, dass der KSP eines Gegenstandes außerhalb von diesem liegt?

F 9 . Alle Hochspringer verwenden heutzu-tage den sogenannten Flop. Dabei überquert man die Latte rücklings (Abb. 4.8 links). Nie-mand springt mehr mit dem Wälzer (rechts). Warum?

Abb. 4.6 Wie kann das sein?

Abb. 4.7 Die Laufsprungtechnik beim Weitsprung

Abb. 4.8 Links ein Hochsprung in der Flop-Technik, rechts die veraltete Wälzer-Technik

35Mechanik

4 Gedachte Singularität

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Menschen-KSP

Jump-and-Reach-Test

Das Beispiel mit dem Sprung auf dem Mond war grob gerechnet. Um zu verstehen, warum der Flop dem Wälzer überlegen ist ( F 9), müssen wir exakter werden. Abb. 4.13 zeigt die historische Entwicklung der Hochsprungtechnik. Du siehst den Abstand, mit dem der KSP des Springers die Latte überquert, also den Höhenverlust. Die Techniken wurden immer besser. Und dann erfand Dick Fosbury den Flop und wurde damit 1968 gleich Olympiasieger. Du siehst, dass beim Flop der KSP sogar unter der Latte durchgehen kann! Der Springer hat im Idealfall sogar einen Höhen-gewinn! Wie ist das möglich?

INFO

Beim Menschen ist die Bestimmung des KSP ziemlich aufwendig. Dazu muss nämlich der ganze Mensch sehr exakt vermessen werden. Im Prinzip ist die Berechnung des Gesamt-KSP ähnlich wie beim Bücherstapel. Du musst die KSP der einzelnen Körperteile kennen und der Computer berechnet dann den Gesamt-KSP. In Abb. 4.9 wurden 14 Einzelsegmente verwendet.

Der Mensch ist kein starrer Körper und der KSP verschiebt sich, wenn man seine Haltung ver-ändert. Im aufrechten Stand ist er etwa auf Nabelhöhe (Abb. 4.10 a). Aber wenn du zum Beispiel einen Arm wegstreckst, wandert der KSP etwas hinauf und auf die Seite (b).

Und es gibt auch Positionen, in denen sich der KSP sogar außerhalb des Körpers befinden kann, etwa bei der Lattenüberquerung beim Flop (c; F 8).

Abb. 4.9 Ermittlung des Gesamt- KSP bei einem Weit springer in der Hangsprung technik.

Abb. 4.10 Die Lage des KSP beim Menschen hängt von der Körperposition ab. Verblüffend: Der KSP kann außer-halb des Körpers liegen!

INFO

Teste, wie hoch du deinen KSP heben kannst! Du stellst dich dazu seitlich an eine Wand und greifst so hoch wie möglich hinauf (Abb. 4.11). Ein Helfer markiert diese Stelle. Dann springst du aus der Hocke so hoch wie möglich. Das wird wieder markiert. Die Differenz zwischen

den Mar kierungen ist deine KSP- Hebung. Sie ist von der Körpergröße unabhängig. Welt-klassehochspringer kommen bei diesem Test über 1 m! Für jugendliche Mädchen sind 35 cm Durchschnitt, für Jungen etwa 43 cm.

Abb. 4.11 Durch führung des Jump-and-Reach-Tests.

Abb. 4.12 Hangsprungtechnik beim Weitsprung, bei der nicht weitergelaufen wird

Abb. 4.13 Entwicklung der Hochsprungtechnik. Die Zahl gibt an, um wie viel der KSP über der Latte liegen muss, um sie nicht zu reißen. Verblüffend: Beim Flop kann der KSP sogar unter der Latte durchgehen.

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Nun, der KSP eines Gegenstandes ist ja nicht materiell, und er kann unter gewissen Umständen außerhalb des Gegenstandes liegen. Beim Besteck in Abb. 4.6 ist das so und auch bei der Latten-überquerung beim Flop (Abb. 4.10 c). Beim Wälzer liegt der KSP bei der Lattenüberquerung inner-halb des Körpers. Der Unterschied im Höhenverlust zwischen Flop und Wälzer ist im Extremfall 14 cm! Das ist doch was!

Machen wir mal eine realistische Abschätzung für den Weltrekord des Kubaners Sotomayor (Stand 2019). Seine KSP-Höhe liegt bei 1,2 m, seine KSP-Hebung beträgt ebenfalls 1,2 m. Das macht in Summe 2,4 m. Weil aber der KSP 5 cm unter der Latte durchgeht, kann diese auf 2,45 m liegen! Wäre er einen Wälzer gesprungen, dann hätte er zum Beispiel 10 cm verloren und wäre nur auf 2,35 m gekommen (Abb. 4.14). Also ist eigentlich der Wälzer ein Flop (Flop in der Alltagssprache bedeutet seltsamer weise nämlich auch Misserfolg)!

ZUSAMMENFASSUNGDer menschliche Körper ist nicht starr und die exakte Bestimmung des KSP daher sehr aufwen-dig. Es lassen sich aber grundlegende Fragestellungen recht einfach erklären, etwa der Erfolg des Flop-Sprungs.

Eine ziemlich tiefe SacheDie drei Arten des Gleichgewichts

In diesem Abschnitt geht es um die drei Arten des Gleichgewichts. Wir können den Unter-schied zwischen diesen mit der Lage des KSP verstehen. Und wir können das Prinzip der mini-malen potenziellen Energie mit Hilfe der Vektorzerlegung aus Kapitel 3 sogar erklären.

s

Wenn du bei F 10 auf den größeren Block getippt hast, dann hast du dich von Größe und Lage täuschen lassen. Wenn beide Blöcke in Ruhe sind, dann müssen sie auch gleich schwer sein. Sonst würde ja der schwerere Block sofort den leichteren über die Rolle ziehen. Gleichgewicht bedeutet, dass sich alle Kräfte in Summe aufheben.

Die Energie, die ein Gegenstand bekommt, wenn er gehoben wird, nennt man potenzielle Energie ( E pot ; siehe Kap. 8.2). Mit Hilfe der potenziellen Energie kann man drei Arten des Gleichgewichts unterscheiden: stabil, labil und indifferent (Abb. 4.16).

Abb. 4.14 Auch beim Hochsprung ist nach dem Verlassen des Bodens die Flugbahn des KSP nicht zu beeinflussen. Durch günstige Körperhaltung kann aber der Schwerpunkt unter der Latte durchgehen und diese höher liegen als beim Wälzer – und nur das zählt im Wettkampf!

4.3

F 10 $ Die beiden Blöcke in der Abbildung befinden sich in Ruhe. Welcher der beiden ist schwerer?

F 11 0 Was versteht man unter potenzieller Energie? Schau in Kapitel 8.2 nach!

F 12 $ Warum fließt Wasser nach unten? Warum ist die Wasseroberfläche eben, wenn sie nicht gestört wird? Warum bleibt ein Pendel irgendwann an der tiefsten Stelle stehen, und warum rollt eine Kugel in die Mulde? Wie hängt das alles zusammen? L

Abb. 4.15

37Mechanik

4 Gedachte Singularität

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