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Hamburg: 20 Stadtteil-Spaziergänge

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Inhalt

4 Vorwort

6 Altona-Altstadt Jörn Dobert

24 Altstadt Jörn Tietgen

46 Barmbek Christin Springer

66 Bergedorf Sonja Engler

86 Blankenese Målin Hartz

102 Eimsbüttel Karin Kuppig

122 Eppendorf Jörn Tietgen

142 Hammerbrook und Rothenburgsort Jörn Dobert

162 Harburg Christin Springer / Jens Germerdonk

182 Karoviertel und Schanze Karin Kuppig

200 Neustadt Målin Hartz

216 Ottensen Sonja Engler

236 Rotherbaum und Harvestehude Jörn Tietgen

254 Speicherstadt und Hafencity Jörn Tietgen

274 St. Georg Horst-Günter Lange

294 St. Pauli Jörn Tietgen

316 Veddel Helle Meister

338 Wandsbek Katja Nicklaus

354 Wilhelmsburg Stephan Feige

374 Winterhude und Uhlenhorst Stefanie Reimers

392 Literatur- und weitere Tipps

394 Die Autoren

395 Bildnachweis

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Vorwort

Für die meisten Stadtbewohner ist ihre Stadt mehr als nur das gro-ße Ganze – da bildet Hamburg keine Ausnahme. Vielmehr spielt der eigene Stadtteil, der Bezug zu den Straßen und Plätzen, den Ge-schäften und Sportstätten, den Kinos und Kneipen, zu den Dingen des täglichen Lebens meist eine ungleich größere Rolle. Und die Neugier auf das direkte Umfeld sowie die Identifikation mit dem Viertel, in dem man lebt, in dem man aufgewachsen ist oder in dem man einmal gewohnt hat, werfen oft die Frage auf, warum ein Stadtteil so ist, wie er ist. Zusammenhängende Antworten darauf sind allerdings selbst in Zeiten des allwissenden Internets erstaun-lich schwer zu finden.

In Hamburg haben viele Stadtteile eine ganz eigene Entwick-lung genommen. Das gewachsene, historische Hamburg ist räum-lich überschaubar. Es beschränkt sich vor allem auf die heutigen Stadtteile Altstadt und Neustadt sowie die beiden Vorstädte St. Pauli und St. Georg. Oft nur wenige hundert Meter vor den Toren der Stadt gelegen, entwickelten sich jedoch zahlreiche Dörfer und Gemeinden, zum Teil sogar Städte, die erst nach und nach mit Hamburg verschmolzen und eingemeindet wurden. Erst mit dem Groß-Hamburg-Gesetz von 1937, als die Städte Altona, Harburg-Wilhelmsburg und Wandsbek sowie viele weitere Gemeinden dem Stadtorganismus einverleibt wurden, wuchs die Stadt ungefähr auf ihre heutige Größe an.

Es ist deshalb wenig verwunderlich, dass die alten Ortskerne an vielen Stellen noch erkennbar sind und die Verbindung der Men-schen mit ihren Stadtteilen bis heute sehr eng ist. Zahlreiche Un-terzentren verstärken diese dezentrale Struktur, und viele Einwoh-ner der entlegeneren Stadtteile fahren für den großen Einkauf noch heute „nach Hamburg“. Die oftmals auf den ersten Blick erkenn-bare historisch begründete Unterschiedlichkeit der über einhun-

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dert Hamburger Stadtteile weckt so bei vielen Menschen – Einhei-mischen wie auch Touristen – das Interesse, Hamburgs Stadtteile näher zu erkunden. Dieses Buch bietet die Gelegenheit dazu: In zwanzig Spaziergängen versuchen die Autoren, dem Wesen der verschiedenen Gegenden Hamburgs näherzukommen. Dabei hält sich die Auswahl nicht immer strikt an die realen Stadtteilgren-zen und berücksichtigt neben den „Berühmtheiten“ auch manchen „Exoten“, um ein hohes Maß an Repräsentativität zu erreichen.

Alle Spaziergänge sind als eigenständige Touren angelegt und können in der Regel in anderthalb bis zwei Stunden gut zu Fuß be-wältigt werden. Jedem Spaziergang sind zudem eine Karte mit dem Streckenverlauf und den einzelnen Stationen der Tour sowie Infor-mationen zur Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln vo-rangestellt. Einige Rundgänge bieten darüber hinaus interessante Abstechertipps. Wer dann Feuer gefangen hat, sich mit Hamburgs Stadtteilen näher zu beschäftigen, findet im Literaturverzeichnis weiterführende Hinweise oder bucht einfach live einen der vielen Rundgänge von Stattreisen Hamburg e.V.

Stattreisen Hamburg e.V. und der Junius Verlag freuen sich jedenfalls, mit diesem Buch den dritten Band einer sehr erfolg-reichen Spaziergangsreihe vorlegen zu können. Nach den Bänden „Hamburg: 20 thematische Spaziergänge“ und „Kunst in Ham-burg: 12 Spaziergänge“ liegen so ein paar weitere Puzzlestücke vor, die das Bild der Elbmetropole ergänzen.

Wir wünschen viel Spaß beim Erkunden einer vielfältigen Stadt und freuen uns über alle konstruktiven Rückmeldungen zu diesem Buch!

Die Autoren und der Verlag

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sAltona

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Julius-Leber-Straße

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Schmarjestraße

Blücherstraße

Struenseestraße

AmundsenstraßeAlte Königstraße

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Übersichtskarte Altona-Altstadt

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Altona-AltstadtJörn Dobert

Startpunkt: Hauptkirche St. Trinitatis (S-Bahn-Station Königstraße oder Reeperbahn / S 1, S 2, S 3)Endpunkt: Friedhof Norderreihe / Bus Nr. 15Dauer: ca. 2 Stunden

Hauptkirche St. Trinitatis

Bei dem ersten Eindringen in die Altonaer Geschichte und Kul- turge schichte wurde mir alsbald klar, daß Altona eine der merk-würdigsten und interessantesten Städte der Welt war mit einem ebenso besonderen, schließlich fast tragischen Schicksal.

Mit diesen Worten blickt der ehemalige Altonaer Stadtarchivar Paul Theodor Hoffmann nach dem Zweiten Weltkrieg wehmütig und voller Pathos zurück auf die Geschichte Altonas. Nicht nur die politische Eigenständigkeit war zu dem Zeitpunkt verloren gegan-gen – Altona war seit 1938 nur noch ein Stadtteil von Hamburg –, auch seine Altstadt mit ihren engen Gassen und schiefen Fach-werkhäusern war im Krieg zum großen Teil zerstört worden. Wer heute durch Altona-Altstadt geht, wundert sich zunächst über die Bezeichnung „Altstadt“, denn Altes ist hier auf den ersten Blick nicht mehr viel zu finden. Zu sehen ist vor allem ein moderner Stadtteil, geprägt von den Bauvorstellungen der Nachkriegszeit und einem starken Wandel seit den 1990er Jahren. Es lohnt sich, ge-

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nauer hinzugucken, die alten Spuren wahrzunehmen und zugleich die rasanten Veränderungen zu sehen, die Altona an vielen Stellen ein neues Gesicht geben.

Die Hauptkirche St. Trinitatis blickt auf eine mehr als 350-jäh-rige Geschichte zurück. Errichtet wurde die evangelische Kirche in einer ersten Form 1649/50, der Turm kam in seiner heutigen Gestalt Ende des 17. Jahrhunderts hinzu. Der Kirchenbau selbst erhielt sein heutiges Aussehen Mitte des 18. Jahrhunderts (Abb. 1). An der Turm-fassade befindet sich über der Tür eine Kartusche mit dem Mono-gramm und der Krone des dänischen Königs Christian V. Dies ist eines von vielen kleinen Zeichen, die im Altonaer Stadtbild an die lang andauernde dänische Herrschaft erinnern, welche von 1640 bis 1866 währte. Die Kirche steht heute mitten im Park, umgeben von Grün und mit viel Platz drumherum. Bis zum Krieg war die Situati-on eine völlig andere: Die Kirche befand sich mitten in der Altstadt und war von jahrhundertealten Häusern dicht umbaut. Es lohnt sich auch ein Blick in die Kirche. Hier wird deutlich, dass sie im Krieg bis auf die Grundmauern zerstört war (Abb. 2). Dekor und Ausstattung stammen aus den 1960er Jahren, der Zeit des Wiederaufbaus. Eine Dauerausstellung in der Kirche zeigt Fotos der zerstörten Kirche und aus der Vorkriegszeit. Beim Wiederaufbau wurde die Turmfassade in ihrer ursprünglichen barocken Gestalt wiederhergestellt und nicht in der Ende des 19. Jahrhunderts umdekorierten Form.

Jüdischer Friedhof an der KönigstraßeIn Sichtweite der evangelischen Hauptkirche liegt an der König-straße der jüdische Friedhof von Altona, der älteste jüdische Fried-hof in Hamburg und sogar der älteste portugiesisch-jüdische in ganz Nordeuropa. Der Friedhof erinnert an eine gewisse Toleranz gegenüber Andersgläubigen, die Altona in seinen frühen Jahren aus-zeichnete – und dies schon in vordänischer Zeit. Der Schauenburger Graf Ernst ließ um 1610 das Gelände der Freiheiten am Stadtrand von Altona errichten, wo verschiedene christliche Gemeinschaften ihre Gotteshäuser bauen konnten (vgl. St.-Pauli-Spaziergang). Ungefähr zu dieser Zeit verlieh Graf Ernst der portugiesisch-jüdischen Ge-meinde von Hamburg das Recht, an dieser Stelle einen Friedhof zu errichten. Die Toleranz Andersgläubigen gegenüber war vor allem

1 St. Trinitatis um 1900

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Altona-Altstadt

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der Geldnot der Schauenburger Grafen zu verdanken. Sie verspra-chen sich neue Staatseinnahmen durch den Zuzug wohlhabender Religionsflüchtlinge aus den Niederlanden und von der iberischen Halbinsel, die zudem neue Handelsverbindungen mitbrachten.

Der Friedhof besteht aus zwei Teilen, einem portugiesischen und einem hochdeutschen. Von außen erkennbar ist der portu-giesische Friedhofsteil an den liegenden, zeltartigen Gräbern. Sie befinden sich vor allem an der Seite zur Blücherstaße hin. Die hochdeutschen Juden verwendeten stehende Grabsteine, die von der Königstraße aus im hinteren Teil des Friedhofs zu sehen sind. Trotz der Zerstörungen in der NS-Zeit und durch den Krieg sind noch viele sehr alte Gräber erhalten. Die jüdische Gemeinde strebt an, den Friedhof zum UNESCO-Weltkulturerbe erklären zu lassen. Bis vor wenigen Jahren war es sehr schwierig, ihn zu betreten. Der Friedhof war immer abgeschlossen und nur auf Vereinbarung zu besuchen. Doch seit einigen Jahren gibt es reguläre Öffnungszeiten und regelmäßige Führungen (Infos unter www.eduard-duckesz-haus.de). Wir gehen den Zaun am Friedhof entlang bis zur Ampel, wo sich auf der anderen Straßenseite eine Tankstelle befindet.

2 Kirchenruine St. Trinitatis 1960

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Tankstelle an der KönigstraßeNeben der Tankstelle an der Königstraße, ungefähr bei dem gel-ben Hochhaus an der Ecke zur Dosestraße, befand sich bis zu sei-ner Zerstörung im Krieg das Altonaer Rathaus. Die Königstraße selbst, deren Name die dänischen Könige bezeichnet, war eine der geschäftigsten Hauptstraßen im alten Altona. Das alte Altonaer Rathaus (Abb. 3) wurde von 1716 bis 1721 erbaut, in der Blütezeit des dänischen Altona. In dieser Zeit bemühten sich die dänischen Herrscher, Altona zu einer Konkurrenzstadt Hamburgs auszu-bauen, indem sie Privilegien erteilten und die Stadtentwicklung vorantrieben. Da ihnen eine Eroberung und Unterwerfung Ham-burgs, von einer kurzen Episode im Mittelalter abgesehen, nie ge-lang, versuchten die dänischen Könige dem Rivalen Hamburg mit den zivilen Mitteln des Ausbaus der Stadt zu schaden. Und in der Tat entwickelte sich Altona vor allem in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts rasant, wovon der Umbau der Kirche, der Bau des Rathauses und der Ausbau der Hafenanlagen Zeugnis ablegen. So-gar der Bau eines Residenzschlosses für die dänischen Könige am Elbhang wurde erwogen. Dabei schienen die Dänen nach 1640, als Altona in der Folge des Aussterbens der Schauenburger Grafen an Dänemark fiel, zunächst wenig Interesse an Altona zu haben. Erst ein paar Jahre später begannen sie, Altona zu fördern und auszu-

3 + 4 Altes Altonaer Rathaus 1914 / Ausschnitt des Plans für „Neu-Altona“

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bauen. Altona wurde rasch zur zweitgrößten Stadt im dänischen Herrschaftsgebiet. Das Rathaus war mit der Fassade in Richtung St. Pauli, also Hamburg, ausgerichtet, und die Grenze war nur we-nige hundert Meter vom Rathaus entfernt, kurz hinter der Großen Freiheit. Heute erinnert ein Relief am Hochhaus an das alte Rat-haus. Zwischen der Tankstelle und der St.-Trinitatis-Kirche befin-det sich ein Park, der zur Elbe hin langsam abfällt. Wir gehen den Weg entlang, bis auf der linken Seite eine Wohnsiedlung in gelbem Backstein erscheint, die Hexenbergsiedlung.

Grünzug neben der HexenbergsiedlungNach dem Zweiten Weltkrieg sollte Altona in völlig neuer Form wiederaufgebaut werden. Unter Federführung des Frankfurter Ar-chitekten und Stadtplaners Ernst May, einem Vertreter des Neuen Bauens in der Weimarer Republik, entstanden die Pläne für das „Neue Altona“ (Abb. 4). Das „Neue Altona“ sollte ein Gegenentwurf zur Vorkriegssituation sein: breite Grünzüge, Hochhäuser, Licht und Luft anstelle der verwinkelten Straßen der Altstadt und der ebenfalls verpönten gründerzeitlichen Bauten mit ihren dunklen Höfen und der Toilette im Treppenhaus. Große Verkehrsschnei-sen wie die Holstenstraße und die Louise-Schroeder-Straße soll-ten den Autoverkehr erleichtern, während die Fußgänger in den Grünanlagen und Fußgängerzonen eigene Wege gehen könnten. Ein Ergebnis dieser nie komplett vollendeten Planungen ist der Grünzug, der vom Fischmarkt im Süden bis zum Friedhof an der Norderreihe reicht. Immer wieder unterbrochen von den erwähn-ten Hauptverkehrsstraßen, zieht er sich durch Altona-Altstadt und zeichnet die Schneise der größten Zerstörungen des Zweiten Welt-kriegs nach. Entlang des Grünzugs befindet sich vor allem im Teil nördlich der Königstraße eine Reihe von Hochhäusern, die teilweise bis in das erhaltene gründerzeitliche Stadterweiterungsgebiet rund um die Esmarchstraße reichen. Heute ist der Grünzug umstritten. An manchen Stellen wurde er in den letzten zehn Jahren regelrecht angeknabbert. Wohnhäuser und ein neues Schwimmbad sind im mittleren Teil entstanden, und auch für das Gebiet rund um die Tri-nitatiskirche gab es immer wieder Pläne, den Park zu bebauen. Die einen loben den Freizeitwert des innerstädtischen Grünzugs und

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die Kinderspielplätze, die dort Platz gefunden haben, für andere ist der Park nicht mehr als eine vernachlässigte Hundewiese. Um den Bestand der einzelnen Parkteile wird es in den kommenden Jahren sicher weitere Diskussionen geben. Am unteren Ende des Parks befindet sich, ganz in gelbem Backstein, die Hexenbergsiedlung, die Anfang der 1970er Jahre gebaut wurde. Dort befand sich bis zu dieser Zeit noch ein letzter Rest der Altstadt, der für die Neubau-ten abgerissen wurde. Die neue Siedlung war von dem Architekten Werner Kallmorgen als Reminiszenz an den Altonaer Bausenator der Weimarer Republik Gustav Oelsner gedacht und galt in den 1970er Jahren als gelungenes Beispiel für neuen innerstädtischen Wohnraum. Wir gehen den Park weiter, bis wir ganz unten zu einer Unterführung kommen, von der es direkt auf den Fischmarkt geht.

FischmarktAm unteren Ende des Platzes befindet sich direkt am Wasser die ehemalige Fischauktionshalle, zu der wir gehen. In den meisten Hamburger Reiseführern steht noch immer, man solle dem St.-Pauli-Fischmarkt am Sonntagmorgen einen Besuch abstatten.

5 Altonaer Fischmarkt vor dem Zweiten Weltkrieg

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Dabei gibt es den St.-Pauli-Fischmarkt schon lange nicht mehr. Der heutige Fischmarkt findet auf Altonaer Gebiet statt – und das schon seit 1703 (Abb. 5). Dass der Fischmarkt zu Altona gehört, ist deutlich am Giebel der Fischauktionshalle zu sehen, wo zur Was-serseite hin das Altonaer Stadtwappen (Abb. 6) prangt. Auf den ersten Blick ist es dem Hamburger Wappen sehr ähnlich. Der größ-te Unterschied sind die geöffneten Tore, die Offenheit für Fremde signalisieren, während das Hamburger Stadtwappen mit seinen geschlossenen Toren Wehrhaftigkeit ausstrahlt. Im Gegensatz zu Hamburg ist Altona eine sehr junge Stadt. Urkundlich erstmals 1535 erwähnt, wurde Altona im Jahre 1664 unter dänischer Herr-schaft das Stadtrecht verliehen und bekam das eigene Stadtwap-pen. Hamburg war zu der Zeit mit einer gigantischen Festungsan-lage versehen. Altona hat solch eine Festung nie gehabt und war deshalb eine offen zugängliche Stadt. Einzig ein kleiner Grenzgang trennte Altona von Hamburg. Dieser Gang ist auch heute noch an vielen Stellen zu sehen.

Der Legende nach wurde Altona von dem Fischer Joachim von Lohe gegründet. Dieser sei nach einer Sturmflut im Jahre 1536 von der Insel Grevenbroich auf den Geesthang westlich der Hamburger Stadtgrenze geflüchtet und habe dort ein Wirtshaus eröffnet. Dies sei dem Hamburger Rat allerdings ein Dorn im Auge gewesen, da es zu nah an der Grenze gelegen habe, „all zu nahe“, woraus sich der Name Altona herleite. Eine schöne Gründungslegende, die den wahren Kern hat, dass aus Hamburger Sicht eine neue Ortschaft unmittelbar hinter der Stadtgrenze tatsächlich ungelegen kam. Der Name selbst stammt aber möglicherweise vom Flüsschen „Althena“, das entlang der heutigen Straße Pepermölenbek ver-lief. Fischer gehörten von Anfang an zu den Bewohnern Altonas. Eine Blütezeit hatte der Fischmarkt um die Jahrhundertwende, als er zu den größten Deutschlands zählte, größer noch als der Ham-burger Fischmarkt. Der Stuhlmannbrunnen auf dem Platz der Re-publik erinnert an die Konkurrenz der Fischereistädte Hamburg und Altona. Heute spielt Fisch hier keine große Rolle mehr. Die Fischauktionshalle wird beim sonntäglichen Fischmarkt für den großen Frühschoppen genutzt und ansonsten gern von Firmen für Betriebsfeiern gemietet. Fisch gehandelt wird noch etwas weiter

6 Altonaer Wappen

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westlich, entlang der Großen Elbstraße (Abb. 7). Aber per Schiff kommt der Fisch schon lange nicht mehr in diese Gegend, sondern per Lastwagen. Auf dem sonntäglichen Fischmarkt ist Fisch nur noch eine von vielen Waren.

HolzhafenSeit einigen Jahren ist es möglich, direkt am Wasser entlang vom Fischmarkt bis zum Holzhafen zu gehen. Diesen Weg gehen wir bis zum Holzhafen. Bis zum Bau des neuen Spazierweges lagen die alten Speicher direkt am Wasser, sodass sie per Schiff belie-fert werden konnten. Heute befinden sich in den alten Speichern Wohnungen, eine Garage und Büros. Damit die Bewohner auch bei einer Sturmflut trockenen Fußes die alten Gebäude verlassen können, wurde eigens eine Brücke über die Große Elbstraße er-richtet, die zur alten Mälzerei Näfeke führt, dem heutigen Möbel-designkaufhaus stilwerk. Auch das stilwerk ist ein Symbol für den Wandel einer ehemals fast vergessenen Hafengegend mit alten Kneipen und Straßenstrich, wo heute entlang der Elbe ein Neubau nach dem anderen entsteht. Kaum eine Gegend in Hamburg ist in-

7 Große Elbstraße 1910

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nerhalb der letzten 15 Jahre derart umgestaltet worden, zugebaut, wie Kritiker sagen. Der alte Holzhafen, als erstes künstliches Ha-fenbecken zwischen 1722 und 1724 am nördlichen Elbufer errich-tet, wird mittlerweile von wuchtigen backsteinernen Bürobauten und einem gläsernen Wohnturm umrahmt, in dem die üblichen „exklusiven Eigentumswohnungen“ entstehen. Die öffentliche Kritik an den großen Neubauten hat zur Einrichtung eines Spa-zierwegs an der Wasserseite der Gebäude geführt, von wo man weiterhin einen ungestörten Elbblick genießt, der von der Straße und auch vom oberhalb gelegenen Elbpark kaum noch möglich ist. Sarkastisch haben Künstler im Sommer 2010 den „Sichtach-sen-Wanderweg“ ausgerufen und damit die letzten verbliebenen Durchblicke vom Park auf die Elbe schlichtweg zu „Sichtachsen“ (Abb. 8) erklärt.

Der historische Holzhafen erinnert an die Bemühungen der Dä-nen, Altona mit einem modernen Hafen zu versehen. Anders als Hamburg mit seinen Fleeten und Kanälen bietet Altona für einen Hafen eine ziemlich ungünstige Lage. Direkt am Wasser gelegen, geht es nach wenigen Metern steil den Geesthang hinauf. Deshalb

8 „Sichtachse“ durch das Bürohaus Holzhafen

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Helle Meister, geb. 1980, ist Kulturwissen-schaftlerin / Volkskundlerin. Längere Studienauf-enthalte in Barcelona und Israel. Sie arbeitet für die Freie und Hansestadt Hamburg (zurzeit in der Senatskanzlei) und als Stadtführerin bei Statt-reisen Hamburg e.V.

Katja Nicklaus (M.A.), geb. 1969, ist Historike-rin und lebt in Hamburg. Seit 1996 führt sie Rundgänge zur Regionalgeschichte mit unter-schiedlichen Themenschwerpunkte u.a. für Statt-reisen Hamburg e.V. durch. Veröffentlichungen seit 1997. Sie ist außerdem tätig in den Bereichen Kommunikationsgeschichte und Sozial- und Wirtschaftsgeschichte.

Stefanie Reimers, geb. 1974, ist selbständige Kunsthistorikerin und arbeitet für Stattreisen Hamburg e.V., die Hamburger Kunsthalle, das Bucerius Kunst Forum und die Deichtorhallen.

Christin Springer, geb. 1969, M.A., Buchhan-delsausbildung, Studium der Geschichte mit den Nebenfächern Neuere deutsche Literatur und Kunstgeschichte an der Universität Hamburg, freie Korrektorin, Lektorin und Autorin.

Dr. Jörn Tietgen, geb. 1969, Studium der Politik wissenschaft und Geschichte in Hamburg und Edinburgh, langjähriger Mitarbeiter bei Statt reisen Hamburg e.V.

Die Autoren

Jörn Dobert, Diplom-Pädagoge, geb. 1969, führt seit 15 Jahren Stadtrundgänge für Stattreisen Hamburg e.V. zu unterschiedlichen Themen durch. Er arbeitet in der politischen Erwachsenen-bildung bei umdenken Heinrich-Böll-Stiftung Hamburg e.V.

Sonja Engler, geb. 1966, lebt seit 2000 in Ham-burg. Studium der Kulturwissenschaften und Ästhetischen Praxis, arbeitet als Kulturmanagerin in einem Hamburger Stadtteilkulturzentrum und in verschiedenen Projekten sowie als Stadt-führerin bei Stattreisen Hamburg e.V.

Stephan Feige, geb. 1966, Architekturstudium an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg, seit 2000 projektbezogene Tätigkeiten für die Hamburgische Architektenkammer, u.a. für die Ausstellung »Neue Deutsche Architektur«, Koordinator des Hamburger Architektur Som-mers, freie Tätigkeit als Architektur- und Stadt-vermittler, freier Autor.

Jens Germerdonk, geb. 1967, Studium der Geschichte, Germanistik und Erziehungswissen-schaften an der Universität Hamburg, arbeitet freiberuflich im Bildungsbereich, u.a. für Statt-reisen Hamburg e.V., die Hamburger Volkshoch-schule und das Museum der Arbeit.

Målin-Gunni Hartz, geb. 1974, studierte in Hamburg Mesoamerikanistik und Geschichte. Führt seit 2006 Stadtrundgänge für Stattreisen Hamburg e.V. und ist als freie Autorin tätig.

Karin Kuppig, geb. 1970, M.A., Berufsausbildung zur Fotografin, Studium der Kunstgeschichte, Volkskunde und klassischen Archäologie in Kiel und Hamburg, Stadtführerin bei Stattreisen Hamburg e.V.

Horst Günter Lange, geb. 1957, lebt und arbeitet seit 1986 in Hamburg-St. Georg als frei-beruflicher Garten- und Landschaftsarchitekt.

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In Zusammenarbeit mit

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