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50 Jahre Aktiengesetz 1965 - Bundesanzeiger-Verlag · PDF fileBOARD • 6/2015 227 Aufsätze I. Aus der Gesetz-gebungsgeschichte Das Aktiengesetz 1965 war seit den 50er Jahren diskutiert

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Aufsätze

I. Aus der Gesetz-gebungsgeschichte

Das Aktiengesetz 1965 war seit den 50er Jahren diskutiert worden und entstand nach dem widerwilligen Rücktritt Adenauers Ende 1963 sodann während der Kanzlerschaft Ludwig Erhards (CDU, 1963–1966) und unter den Justizministern Fritz Schäffer (CDU/CSU, bis 1961) Wolf-gang Stammberger (FDP, 1961–1962, Spiegel-Affäre), Ewald Bucher (FDP, 1962 bis März 1965) und Karl Weber (CDU, ab 1. April 1965). Man fragt sich heute, wie die auf-strebende Republik die Kraft für eine solche Großreform gefunden hat, zu der ein dringender äußerer Anlass nicht bestanden hatte. In die damaligen Reformüberlegungen floss unter den liberalen Justizministern Stammberger und Bucher und dem Kanzler Ludwig Erhard der Gedanke der Stärkung der Eigentümerposi-tion in der Aktiengesellschaft ein, die in der Deutschland AG zuvor nicht besonders ausgeprägt gewesen war, sich aber auch nach der Reform nicht erheblich aufgewertet fand – da gab es doch Widerstände. Als Ausnahme oder sichtbarer Kompromiss zu diesen Bestrebungen mögen die Zuweisung (nur) der Hälfte des Bilanzgewinns in die Beschlusskompetenz der Haupt-versammlung und die Vertiefung der Rechnungslegung erscheinen.

Ein nachvollziehbarer Grund für die-ses Reformvorhaben war, dass man einen sichtbaren Schlussstrich unter die Gesetzgebung des Dritten Reichs setzen wollte, so wie man es jetzt, im Jahr 2015, mit dem Mordparagrafen tun möchte. Dabei ist man sich heute einig, dass der Vorgänger des Aktien-gesetzes 1965, das Gesetz von 1937, im Wesentlichen auf Vorarbeiten der Weimarer Republik beruhte. Freilich wird als Beleg für Nazigedankengut stets das Führerprinzip in der Rolle des Vorstandsvorsitzenden angeführt. Zu dessen Erklärung kann aber auch rechtsvergleichend auf die schon damals starke Stellung des CEO in den USA verwiesen werden.

II. Aktienrecht undAufsichtsrat bis zu den80er Jahren

Es bestand kein zwingender äußerer Anlass, weil die deutsche Wirtschaft sich mit der damals geltenden Geset-zeslage gut eingerichtet hatte. Die Unternehmen hatten ihr Hausbanken-system, man finanzierte sich eher über Fremdkapital oder Thesaurierung, als über die Frankfurter Börse oder gar den internationalen Kapitalmarkt. Der Aufsichtsrat galt vielfach als Ehrenamt für Honoratioren und als ein durchaus kompetentes und leitungserfahrenes „old boys network“. Besonders viel

INHALT

I. Aus der Gesetzgebungsgeschichte

II. Aktienrecht und Aufsichtsrat biszu den 80er Jahren

III. Corporate Governance, Deutsch-land-AG, Bankenmacht undShareholder Value-Doktrin

IV. Die Shareholder-Value-Doktrin

V. Die Aktienrechtsreform in Perma-nenz seit den 1990er Jahren

VI. Die nächsten 50 Jahre?

KeywordsAktiengesetz 1965; Aktienrechtsreform; Corporate Governance; Deutschland AG; Shareholder Value-Doktrin

Zeit musste man nicht investieren, weshalb man sich auch mühelos mit zahlreichen Mandaten schmücken konnte, was in einem engen Bezie-hungsgeflecht durchaus seine Vorteile hatte. Die Haftung des Aufsichtsrats war von keiner größeren Bedeutung, es reichte wohl auch meist, auf der Fahrt zur Aufsichtsratssitzung im Fonds der Limousine die Akten durch-zusehen, vornehmlich an den Stellen, an denen der Assistent Lesezeichen angebracht hatte. Man traf sich im Plenum normalerweise zweimal im Jahr und achtete da rauf, bis zum Lunch die Tagesordnung abgearbeitet zu haben. Die Auswahl der Vorstände und Aufsichtsräte fand nicht selten in einem Kooptationsverfahren statt,

50 Jahre Aktiengesetz 1965MR Prof. Dr. Ulrich Seibert, BMJV Berlin

Der Beitrag berichtet über die mit dem Aktiengesetz 1965 verfolgten rechtspolitischen Ziele, über den Aufsichtsrat in den Wirtschaftswunder-jahren und zur Zeit der Deutschland-AG, über das Aufkommen der Corpo-rate Governance-Diskussion in den 1990er Jahren, die Globalisierung der

Kapitalmärkte und die Gründe für die Reform in Permanenz der folgenden Jahre. Er beleuchtet den heutigen Schwenk von der Shareholder Value-Doktrin zur stärkeren Stakeholder-Value-Betrachtung und kommt zu dem Ergebnis: Unser Aktiengesetz hat einen sehr guten Stand erreicht, große Reformen drängen sich vermutlich nicht auf, Anpassungen an die sich rasch ändernde Wirtschaftspraxis werden uns aber auch künftig beschäftigen.

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Aufsätze

bei dem der Vorstandsvorsitzende die Regie führte. Insbesondere die Mitbestimmung wurde gerne unter vorgehaltener Hand als Grund dafür genannt, dem Aufsichtsrat möglichst wenige Informationen zu geben und ihn nahezu „kaltzustellen“. Der Auf-sichtsrat war in einem System aus organübergreifenden personellen Verflechtungen, Großaktionären bei wenig Streubesitz sowie umfang-reichen Industriebeteiligungen der Banken und Versicherungen auch nicht ganz so wichtig, weshalb er trotz gewisser Verschärfung der Informationspflichten des Vorstands sicher nicht im Zentrum der Reform von 1965 stand, die sich (angesichts der Deutschland-AG!) konsequenter-weise mehr mit dem Konzernrecht befasst hat. In einem solchen Sys-tem war auch die Corporate Gover-nance nach anglo-amerikanischem Verständnis nicht von vordringlicher Bedeutung. Deren Ursprung liegt bekanntlich in der Überwindung des Principal Agent-Konflikts. Dieser spielt aber vor allem bei breit gestreu-tem Aktienbesitz eine Rolle, wenn der „Prinzipal“, also der Aktionär, weit weg ist und Probleme hat, den „Agenten“, also die Gesellschaftsor-gane, zu kontrollieren.

Die Vorstände verdienten damals nicht anstößig viel, hatten aber Dienstvillen, Fahrer und Gärtner auf Firmenkosten. Tut man diesen Herren (und es waren ausschließ-lich Herren) zu sehr Unrecht, wenn man das Klischee anführt, dass sie meist korpulent waren, Dreiteiler tru-gen, dicke Zigarren rauchten und mit Geschäftsfreunden zur Schleppjagd oder grünen Jagd gingen? Der heu-tige Spitzenmanager-Typus ist drahtig und sportlich; auf offiziellen Fotos lässt er sich teure Armbanduhren wegretuschieren und wie zuletzt der Fall Middelhoff gezeigt hat, werden sogenannte „fringe benefits“ gar nicht mehr locker gesehen. Es war damals eben eine andere Zeit, aber schlecht gewirtschaftet wurde im Ergebnis nicht. Wenn man diese Jahre

erinnert, muss man aber zugeben: Es hat sich seither sehr viel geändert.

Das Aktiengesetz 1965 war unter diesen Umständen lange ein stabi-ler Rahmen für die wenigen großen Börsengesellschaften, der Mittelstand ging in die GmbH & Co. KG und die Welt war in Ordnung. Freilich erstarrte das deutsche System langsam, die Zahl der Aktiengesellschaften ging bis 1990 auf ca. 2.600 zurück. Das Akti-enrecht war rein gesellschaftsrechtlich gedacht und kapitalmarktfern.

Wolfgang Röller, bis 1993 Vorstands-vorsitzender und danach (was damals natürliche Regel war) Aufsichtsrats-Vorsitzender der Dresdner Bank, machte sich in den 1990er Jahren über die „Corpulente Gouvernante“ lustig, als die Corporate Governance-Diskussion auch über Deutschland kam, und meinte, man brauche keine neuen Gesetze, man brauche nur fähige und anständige Aufsichtsräte. Da hatte er natürlich Recht: Wenn alle Leute zugleich fähig und anstän-dig wären, bräuchte man so manche Gesetze nicht. Aber so ist die Welt nicht.

III. Corporate Governance, Deutschland-AG, Ban-kenmacht und Share-holder Value-Doktrin

Die gesetzgeberische Zurückhaltung änderte sich in den 1990er Jahren. Die Kapitalmärkte wurden global, die Unternehmen emanzipierten sich vom Hausbankensystem, Börsengang und Eigenkapitalfinanzierung kamen in Mode und die Deutschland-AG sowie die Bankenmacht gerieten poli-tisch unter Druck (Bankenmacht stand synonym für die Einflusskumulation aus Kreditvergabe, Emissionsführung, Aufsichtsrats-Mandaten, Depot-stimmrecht und Beteiligungsbesitz). Insbesondere Liberale, SPD und Grüne griffen die alten Netzwerke und Verflechtungen an, die ihnen möglicherweise gegenüber der Politik zu mächtig geworden waren. Diese Bewegung wurde wissenschaftlich

unterlegt von der Corporate Gover-nance-Diskussion, die insbesondere aus den USA und Großbritannien zu uns transportiert wurde und dem bestehenden System vorhielt, es diene den Vorständen nur dazu, sich einer ernsthaften Kontrolle zu entziehen (Überkreuzbeteiligungen, Höchst-stimmrechte, nicht funktionieren-der Übernahmemarkt etc.), weshalb schlechte Managementleistungen nicht geahndet werden könnten und die deutsche Wirtschaft unter ihren Möglichkeiten arbeite. Man darf nicht vergessen: Deutschland entwickelte sich nach dem Einigungsboom ab 1993 zum kranken Mann Europas, wir trugen die rote Laterne in der Union, wir schienen abgehängt und sahen vor uns die dunkle Kellertreppe des ökonomischen Abstiegs. Investiti-onskapital floss wegen der Zins- und Inflationskonvergenz aus Deutschland ab in die europäische Peripherie (mit den bekannten Folgen von Periphe-rieboom und Schuldenkrise).

IV. Die Shareholder Value-Doktrin

Diese politischen Strömungen passten offensichtlich, insoweit von SPD und Grünen aber möglicherweise doch übersehen, gut mit dem Sharehol-der Value-Denken zusammen, das in den 1990ern in Mode kam und das später begriffsverfälschend als „neo-liberal“ gebrandmarkt wurde. Das Aufbrechen der Deutschland AG und das Zurückdrängen der Banken-macht, die Implementierung des One-share-one-vote-Konzeptes sowie die Erleichterung von Unternehmens-übernahmen brachten zweifellos eine Stärkung des Einflusses der außen-stehenden Aktionäre mit sich – die jetzt aber zunehmend ausländische institutionelle Anleger, Pensions-fonds oder auch Hedgefonds waren. Deutschland ist jedoch – wie schon die sehr vorsichtige Ausgestaltung der Aktienoptionen für die Vorstände zeigt – nie ganz dem Shareholder Value-Denken verfallen. Otto Graf

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Lambsdorff bemerkte damals zutref-fend, dass die Ausrichtung auf den „langfristigen“ Shareholder Value die Interessen aller übrigen Stakeholder notwendig einschließe, ohne deren Berücksichtigung ein Unternehmen auf Dauer keinen Erfolg haben könne. Erst Jahre später drehte sich mit der Heuschreckendebatte – ausgelöst von Franz Müntefering im April 2004 – politisch wirkungsvoll der Wind,wobei Hedgefonds und Private Equity freilich oft durcheinandergeworfen wurden. Und für das Wort „lang-fristig“ verwendet man heute mit Vorliebe den Ausdruck „nachhaltig“.

V. Die Aktienrechtsreform in Permanenz seit den 1990er Jahren

Seit den 1990er Jahren begann jeden-falls aus diesen komplex verwobenen Gründen die Phase der „Aktienrechts-reform in Permanenz“ mit zahlreichen Reformgesetzen, die in kurzer Folge an vielen Stellschrauben des Aktien-gesetzes drehten. Gesetzgebung ist oft skandalgetrieben und so war es das KonTraG (1998) als erste ernst-hafte Corporate Governance-Reform in Deutschland auch. Die Unterneh-menskrisen um Metallgesellschaft (1993), Jürgen Schneider (1994) und Philipp Holzmann (1999) waren aber nur äußerliche Anstöße, nicht die tiefere Ursache für die Reformbe-reitschaft. Mit den nun in kurzem

Abstand folgenden Änderungsge-setzen (wie z.B. NaStraG, UMAG, TransPuG, VorstOG, VorstAG, EHUG, MoMiG, ARUG etc.) wurde vor allem der Aufsichtsrat aufgewertet und professionalisiert (in Kauf nehmend, dass dies zugleich die Mitbestimmung stärkte). Man verbesserte die Infor-mation der Aktionäre sowie die Trans-parenz, erleichterte die grenzüber-schreitende Stimmrechtsausübung und führte elektronische Medien ins Gesellschaftsrecht ein. Das Aktienge-setz wurde mithin an die Erwartungs-muster der internationalen Investoren angepasst, ohne jedoch gleichzeitig die Grundentscheidungen unseres Rechts aufzugeben (z.B. zweistu-figer Board, Mitbestimmung). Das AktG 1965 ist mittlerweile durch 75 Gesetze an zahlreichen Stellen geän-dert worden, zuletzt am 24.4.2015 (durch das sog. Frauen-Quotenge-setz). Die politische Diskussion und Reformaktivität sind von der Share-holder Value-Doktrin zum Stakehol-der Value-Denken umgeschwenkt.

VI. Die nächsten 50 Jahre?

All diese Änderungen haben den grundsätzlichen Bauplan des Geset-zes nicht verändert, sondern nur Gewichtsverschiebungen, Verfah-rensänderungen und Adjustierungen vorgenommen. So ist das Gesetz nicht stehen geblieben und petrifiziert, sondern hat sich mit der Fortent-

wicklung der Wissenschaft, mit den Veränderungen der Kapitalmärkte und der ökonomischen Rahmenbe-dingungen parallel mitbewegt und ist à jour. Wir können heute stolz sein, auf ein funktionierendes Aktienge-setz, das seine Pflicht erfüllt, unseren großen Publikumsunternehmen einen verlässlichen gesellschaftsrechtlichen Rahmen zu geben, damit der Schorn-stein rauchen kann (eine in der digita-len Welt freilich veraltete Metapher). Verbesserungen sind immer möglich und nötig, nicht jeder Jahresring und nicht jeder Auswuchs verdienen einen Schönheitspreis (z.B. das Freigabe-verfahren, das gerne als hässliche, wenn auch wirkungsvolle „Krücke“ bezeichnet wird). Aber, um Noack zu zitieren:

„Das AktG 65 wird auch die nächs-ten Reformschübe (etwa durch die erweiterte EU-Aktionärsrechte-Richtlinie) überstehen. Die dem-nächst erwartete Aktienrechtsnovelle ändert nichts Grundlegendes. Ob das Gesetz noch ein weiteres halbes Jahrhundert überlebt?“ Das wissen wir nicht und Prognosen sind zwar reizvoll, aber bekanntlich meist falsch. Wenn immerhin einer ein paar wei-terführende Ahnungen dazu haben sollte, dann ist es Jeroen Hooijer von der Europäischen Kommission, mit dem ich ein Interview geführt habe, das in diesem Heft abgedruckt ist (S. 245 ff.)!