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55 Arbeitsunfall Arbeitsunfall A. Arbeitsrecht Poeche 1 1. Allgemeines. Die zivilrechtliehen Re chtsfolgen eines Arbeitsunfalls (gleichgestellt ist die Berufikrankheit) sind in §§ 104 ff SGB VII gesondert geregelt. D as private Haftungsrecht (§§ 280, 823 BGB) ist ftir einen erlittenen Personenschaden weitgehend ausgeschlossen. Der Geschädigte erh äl t stattdessen Leistungen der BG als gesetzlicher UV, die grds ohne Rücksicht auf die Leistungsfähigkeit des ArbGeb und ungeachtet eines möglichen Allein- oder Mitverschuldem des Geschädigten am Unfall ftir den Schaden einsteht. Sie erftillt insoweit die Funktion einer Haftpflichtversicherung (BAG 30.10.03 - 8 AZR 548/02, NZS 05, 35: Haftungsersetzungsfunktion). Für den Geschädigten ssen Schadensursache ein Arbeitsunfall iSv § 8 SGB VII oder eine Berufskrankheit iSv § 9 SGB VII sein. Das bestimmt sich allein nach dem Sozialrecht. Über das Vorliegen eines Versicherungsfalles entscheidet der zuständige SozVTräger (zur Bindungswirkung --+Rn 15). Zum Eintritt eines EU- aus- ländischen Versicherungsträgers BGH 7.11.06- VI ZR 211/05, NJW 07, 1754; zum ver- traglichen Versicherungsschutz--+ Unfallversicherung Rn 2-5. Zum Wegeunfall eines "Wan- derarbeitnehmers" BGH 15.7.08- VI ZR 105/07, NJW 09,916. 2 Die zivilrechtliche Haftungsbeschränkung rechtfertigt sich ftir den dadurch privilegier- ten ArbGeb aus seiner alleinigen Finanzierung der UV (Finanzierungsargument). Außerdem so ll der Betrieb vo n Auseinanderse tzungen über Grund und Höhe eines Ersatzanspruchs fr eigehalt en werden (Friedensfunktion). Wird der Arbeitsunfall durch einen ArbN ver- ursacht, kommt dessen Bedürfnis nach einer weitgehenden Haftungsfreistellung zum Tragen. Personenschäden erreichen oft eine Größenordnung, die vom ArbN nicht ohne eigene Existenzgefa hrdung ersetzt werden können. Das BVerfG hat den Haftungsausschluss wegen dieser Ziele als beurteilt (7.11.72- 1 BvL 4/71, 1 BvL 17/71, 1 BvL 10/72, 1 BvR 355/71 - NJW 73, 502; 8.2. 95- 1 BvR 753/94, NJW 95, 1607). Daranhat der BGH ftir den H aftungsausschluss 104 Abs 1 SGB VII) im Verhältnis eines Kinder- ga rtenkindes zum Sachkostenträger der Kindertageseinrichtung festgehalten (BGH 4.6.09 - III ZR 229 /07, NJW 09, 2956). Zur Kritik an der gesetzlichen R egelung-> Arbeitgeberluif- ttmgRn 9. Die gesetzliche H af tungsbeschränkung wirkt sich auf Auskunftsansprüche des ArbN gegen den ArbGeb auf Bekanntgabe der am Unfall beteiligten Personen aus. Hat der ArbN einen Arbeitsunfall erlitten, der nach Lage der Dinge auf das Verschulden anderer ArbN zurückzuführen ist (Beispiel: Sturz durch eine nicht gesicherte offene Bodentür), besteht Anspruch auf namentliche Benennung der hierftir Verantwortlichen nur, wenn das Unfall- opfer greifbare Anhal tsp unkte vortragen kann, dass ausna hmswei se eine Haftung wegen Vorsatzes in Betracht kommt (LAG Köln 9.3.06- 10 Sa 129/05). 3 2. Beteiligter a) Arbeitgeber. Die Einordnung der Haftungsbeschrän- kungen in die UV ftihrt zu einer im Arbeitsrecht eher ungebräuchlichen Terminologie, indem in den§§ 104 ffSGV VII von "Unternehmen" und " Unt ernehmer" und von "Ver- sicherten" die Rede ist. Auf das Arbeitsrecht umgesetzt, sind das idR ArbGeb und ArbN. Die Haftungsbeschränkung des ArbGeb findet sich in § 104 SGB VII. Danach sind Unt ernehmer gegenüber "den Versicherten, die ftir ihn tätig sind oder zum Unt ernehmen in einer sonstigen die Versicherung begründenden Beziehung" stehen, deren Angehörigen und Hinterbliebenen vorbehaltlich der beiden Ausnahmen (Wegeunfall!Vorsatz) nicht zum Ersatz des durch einen Versi cherungsfall entstehenden Schaden verpflichtet. Die Vorschrift etfasst nicht nur den VertragsArbGeb, sondern auch Dri.ttunternehtner wie den Entleiher (LAG BlnBbg 30.7.13 - 7 Sa 688/13, BeckRS 2013, 73197, s hierzu Köster PuR 14, 48; OLG Schl-Hol14.3.13- 11 U 4/11, BeckRS 2013, 14000) oder die zu einer Arbeitsgemeinschqft (ARGE) gehörenden ArbGeb, ftir die der Versicherte tätig ist. Der Status des Geschädig- t en als Versicherter entscheidet über die Haftungsbeschränkung. 4 b) Arbeitn ehmer. Für den Arbei tnehmer gilt unt er der Uberschrift "Beschränkung der Haftung anderer im Betrieb tätiger Personen" § 105 SGB VII. Er wird in gl eicher Weise wie der ArbGeb freigestellt, wenn er den Arbeitsunfall durch eine betriebliche Tätigkeit ver- 412 Poeche

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55 Arbeitsunfall

Arbeitsunfall

A. Arbeitsrecht Poeche

1 1. Allgemeines. Die zivilrechtliehen Rechtsfolgen eines Arbeitsunfalls (gleichgestellt ist die Berufikrankheit) sind in §§ 104 ff SGB VII gesondert geregelt. Das private Haftungsrecht (§§ 280, 823 BGB) ist ftir einen erlittenen Personenschaden weitgehend ausgeschlossen. Der Geschädigte erhält stattdessen Leistungen der BG als gesetzlicher UV, die grds ohne Rücksicht auf die Leistungsfähigkeit des ArbGeb und ungeachtet eines möglichen Allein­oder Mitverschuldem des Geschädigten am Unfall ftir den Schaden einsteht. Sie erftillt insoweit die Funktion einer Haftpflichtversicherung (BAG 30.10.03 - 8 AZR 548/02, NZS 05, 35: Haftungsersetzungsfunktion). Für den Geschädigten müssen Schadensursache ein Arbeitsunfall iSv § 8 SGB VII oder eine Berufskrankheit iSv § 9 SGB VII sein. Das bestimmt sich allein nach dem Sozialrecht. Über das Vorliegen eines Versicherungsfalles entscheidet der zuständige SozVTräger (zur Bindungswirkung --+Rn 15). Zum Eintritt eines EU-aus­ländischen Versicherungsträgers BGH 7.11.06- VI ZR 211/05, NJW 07, 1754; zum ver­traglichen Versicherungsschutz--+ Unfallversicherung Rn 2-5. Zum Wegeunfall eines "Wan­derarbeitnehmers" BGH 15.7.08- VI ZR 105/07, NJW 09,916.

2 Die zivilrechtliche Haftungsbeschränkung rechtfertigt sich ftir den dadurch privilegier-ten ArbGeb aus seiner alleinigen Finanzierung der UV (Finanzierungsargument). Außerdem soll der Betrieb von Auseinandersetzungen über Grund und Höhe eines Ersatzanspruchs freigehalten werden (Friedensfunktion). Wird der Arbeitsunfall durch einen ArbN ver­ursacht, kommt dessen Bedürfnis nach einer weitgehenden Haftungsfreistellung zum Tragen. Personenschäden erreichen oft eine Größenordnung, die vom ArbN nicht ohne eigene Existenzgefahrdung ersetzt werden können. Das BVerfG hat den Haftungsausschluss wegen dieser Ziele als vert~ssungsgemäß beurteilt (7.11.72- 1 BvL 4/71, 1 BvL 17/71, 1 BvL 10/72, 1 BvR 355/71 - NJW 73, 502; 8.2.95- 1 BvR 753/94, NJW 95, 1607). Daranhat der BGH ftir den Haftungsausschluss (§ 104 Abs 1 SGB VII) im Verhältnis eines Kinder­gartenkindes zum Sachkostenträger der Kindertageseinrichtung festgehalten (BGH 4.6.09 -III ZR 229/07, NJW 09, 2956). Zur Kritik an der gesetzlichen R egelung-> Arbeitgeberluif­ttmgRn 9.

Die gesetzliche Haftungsbeschränkung wirkt sich auf Auskunftsansprüche des ArbN gegen den ArbGeb auf Bekanntgabe der am Unfall beteiligten Personen aus. Hat der ArbN einen Arbeitsunfall erlitten, der nach Lage der Dinge auf das Verschulden anderer ArbN zurückzuführen ist (Beispiel: Sturz durch eine nicht gesicherte offene Bodentür), besteht Anspruch auf namentliche Benennung der hierftir Verantwortlichen nur, wenn das Unfall­opfer greifbare Anhaltspunkte vortragen kann, dass ausnahmsweise eine Haftung wegen Vorsatzes in Betracht kommt (LAG Köln 9.3.06- 10 Sa 129/05).

3 2. Beteiligter Person~r.kreis. a) Arbeitgeber. Die Einordnung der Haftungsbeschrän-kungen in die UV ftihrt zu einer im Arbeitsrecht eher ungebräuchlichen Terminologie, indem in den§§ 104 ffSGV VII von "Unternehmen" und "Unternehmer" und von "Ver­sicherten" die Rede ist. Auf das Arbeitsrecht umgesetzt, sind das idR ArbGeb und ArbN. Die Haftungsbeschränkung des ArbGeb findet sich in § 104 SGB VII. Danach sind Unternehmer gegenüber "den Versicherten, die ftir ihn tätig sind oder zum Unternehmen in einer sonstigen die Versicherung begründenden Beziehung" stehen, deren Angehörigen und Hinterbliebenen vorbehaltlich der beiden Ausnahmen (Wegeunfall!Vorsatz) nicht zum Ersatz des durch einen Versicherungsfall entstehenden Schaden verpflichtet. Die Vorschrift etfasst nicht nur den VertragsArbGeb, sondern auch Dri.ttunternehtner wie den Entleiher (LAG BlnBbg 30.7.13 - 7 Sa 688/13, BeckRS 2013, 73197, s hierzu Köster PuR 14, 48; OLG Schl-Hol14.3.13- 11 U 4/11, BeckRS 2013, 14000) oder die zu einer Arbeitsgemeinschqft (ARGE) gehörenden ArbGeb, ftir die der Versicherte tätig ist. Der Status des Geschädig­ten als Versicherter entscheidet über die Haftungsbeschränkung.

4 b) Arbeitnehmer. Für den Arbeitnehmer gilt unter der Uberschrift "Beschränkung der Haftung anderer im Betrieb tätiger Personen" § 105 SGB VII. Er wird in gleicher Weise wie der ArbGeb freigestellt, wenn er den Arbeitsunfall durch eine betriebliche Tätigkeit ver-

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ursacht und der Geschädigte Versicherter desselben Betriebs ist. Der Begriff betriebliche Tätigkeit ist weit auszulegen. Es genügt eine mit den Betriebszwecken zusammen hängende oder durch den Betrieb bedingte Betätigung mit der Folge, dass sie dem Unfallbetrieb _ wenn auch nur mittelbar- zugerechnet werden kann. Die Betriebsbezogenheit wird durch Mängel in der Arbeitsausführung (unsachgemäß, weisungswidrig, fehlerhaft, leichtsinnig usw) nicht aufgehoben. Bei Tätlichkeiten unter ArbN kommt es darauf an, ob der schädigende ArbN bei objektiver Betrachtung aus seiner Sicht im Betriebsinteresse handelte. Ein Stoß vor die Brust, mit dem der ArbN die Leistung eines Arbeitskollegen beanstandet, ist vom BAG noch als betriebliche Tätigkeit beurteilt worden (BAG 22.4.04- 8 AZR 159/03, NJW 04, 3360). Wirft ein Auszubildender mit einem ~utoreifen-Wuchtgewicht von lOg in Richtung eines Kollegen, ist dieser Wurf nach Ansicht des Hess LAG (20.8.13 - 13 Sa 269/ 13, BeckRS 2013, 72722 nrkr) dem persönlich-privaten Bereich zuzuordnen. IdR sind auch "Raufhändel" nicht haftungsprivilegiert.

c) Ve!'sicherte desselben Betri2bs. Das sind zunächst alle "Arbeitskollegen" und alle 5 weiteren Personen, die in die UV des Unternehmers einbezogen sind (---+ Unfallversicherung Rn 16 f). Gleichgestellt sind die nach § 4 SGB VII nicht versicherten Personen. Die Haf­tungsbeschränkung greift außerdem gegenüber dem ArbGeb, gleich, ob dieser versichert oder nicht versichert ist. Im Interesse des ArbN, der auf den Versicherungsabschluss des ArbGeb keinen Einfluss hat, wird der nicht versicherte ArbGeb wie ein Versicherter be­handelt und erhält von der UV Leistungen bis zur Höhe seines an sich gegen den ArbN begründeten zivilrechtliehen Schadensersatzanspruchs (§ 105 Abs 2 SGB VII).

d) Gemeinsame Betriebsstätte. Fast versteckt ordnet § 106 Abs 3 Alternative 3 6 SGB VII die entsprechende Anwendung der §§ 104, 105 SGB VII ftir den arbeitsrechtlich wichtigen und häufigen Sachverhalt an, dass Versicherte mehrerer Unternehmer vorüber­gehend betriebliche Tätigkeiten auf einer gemeinsamen Betriebsstätte verrichten. Eine "gemeinsame Betriebsstätte" liegt vor, "wenn die betrieblichen Aktivitäten von Versicherten mehrerer Unternehmer, die bewusst und gewollt bei einzelnen Maßnahmen ineinander greifen, miteinander verknüpft sind, sich ergänzen oder unterstützen, wobei es ausreicht, dass die gegenseitige Verständigung stillschweigend durch bloßes Tun erfolgt" (BGH 17.10.2000 -VI ZR 67/00, NJW 01, 443) . Gemeint ist ein bewusstes Mitein~U'lder im Arbeits­ablauf, das sich zumindest tatsächlich als ein aufeinander bezogenes betriebliches Zusam­menwirken mehrerer Unternehmer darstellt. Ein bloß zufilliges Zusammentreffen der ArbN mehrerer Unternehmer genügt nicht (BAG 12.12.02-8 AZR 94/02, N ZA 03, 968; BAG 28.10.04-8 AZR 443/03, DB 05, 784 (Ls): Verletzter ArbN kontrolliert, ob die mit dem Umzug des ArbGeb beauftragten ArbN der Spedition alle Kartons mitgenommen haben). Das Merkmal "gemeinsame" Betriebsstätte setzt mehr voraus als der Begriff "dieselbe" Betriebsstätte (zusammenfassend und erläuternd BGH 14.9.04 -VI ZR 32/04, NZA 05, 643). Dem ist zuzustimmen. Missverständlich ist allerdings, wenn formuliert wird, erfasst würden die betrieblichen Aktivitäten "über die Fälle der Arbeitsgemeinschaft hinaus". Die ARGE fallt unmittelbar unter §§ 104, 1 OS SGB VII. Die Bedeutung des Freistellungsgrun­des "gemeinsame Betriebsstätte" liegt dagegen gerade darin, dass Versicherte einbezogen werden, die nicht der ARGE angehören (zB ArbN des Subunternehmers eines an einer ARGE beteiligten Unternehmens). Insbesondere die erheblichen Unfallrisiken auf einer (Groß-)Baustelle werden abgedeckt. Dem dort eingesetzten ArbN kommt die praktizierte "Gefahrengemeinschaft" ohne Rücksicht auf vertragliche Bindungen der mehreren ArbGeb zugute (ausführlich zur Rspr des BGH Kampen NJW 12, 2234).

Ausnahmsweise kann die Haftungseinschränkung "gemeinsame Betriebsstätte" auch dem 7 Unternehme:r zugutekommen. Vorausgesetzt ist, dass er sich selbst aktiv betätigt und dabei den Versicherten eines anderen Unternehmers verletzt. Bei einer juristischen Person, auch emer KG kommt das nicht in Betracht (BGH 25.6.02- VI ZR 279/01, NJW-RR 02, 1386; 29.10.02 - VI ZR 283/01, NJW-RR 03, 239). Zur Geltung des Haftungsprivilegs bei Amtshaftungsansprüchen BGH 27.6.02- III ZR 234/01, NJW 02,3096.

3. Ausnahmen. a) Wegeunfall. Zu den Arbeitsunfallen gehören auch Wegeunfalle (§ 8 8 (\bs 2 Nr 1-4 SGB VII). Das sind Unfalle, die der versicherte ArbN auf dem Weg "nach und vom Ort der Tätigkeit" erleidet. Sie werden vom Haftungsausschluss nicht erfasst, weil 'lch hier kein betrieblich veranlasstes Risiko auswirkt. Geschädigter und Schädiger werden

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nicht anders als andere Teilnehmer am allgemeinen Straßenverkehr behandelt. Der Haftungs­ausschluss setzt ein, sobald der (schädigende) ArbN arbeitsvertragliehen Bindungen unterliegt. Das wird mit dem Erreichen oder Verlassen des Betriebs- oder Werksgeländes als Ort der Tätigkeit angenommen. Kein Wegeunfall hegt daher vor, wenn ein ArbN, der sich mit seinem PKW auf die Heimfahrt begibt, vor Erreichen des öffentlichen Straßengeländes einen Kollegen verletzt (BAG 14.12.2000-8 AZR 92/00, NZA 01, 153; LAG RhPf28.7.11-2 Sa 306/11, BeckRS 2011, 76195: Unfall im umzäunten Gelände einer Kaserne). Gleiches gilt ftir Unfalle auf einem sog Betriebsweg. Hierzu rechnen alle betrieblich veranlassten Fahrten zwischen Betrieb und auswärtigem Tagesarbeitsplatz. Ein haftungsausschließender Betriebsweg liegt auch dann vor, wenn der ArbGeb den Hin- oder Rücktransport des ArbN von und zur Wohnung zum auswärtigen Arbeitsort mit betriebseigenem Fahrzeug und betriebsangehörigem Fahrer organisiert (BAG 30.10.03 - 8 AZR 548/02, DB 04, 656; 24.6.04 - 8 AZR 292/03, NZA 04, 1182 (Ls); 19.8.04 - 8 AZR 349/03, AP SGB VII § 104, Nr 4).

9 b) Vorsatz. Vorsatz des schädigenden ArbGeb oder ArbN ftihrt zur vollen Haftung nach allgemeinem Zivilrecht. Das Verschulden muss sich auf die Verletzungshandlung und den Eintritt des Schadens beziehen. Dieser muss zumindest billigend in Kauf genommen worden sein . Die vorsätzliche Verletzung von Schutzvorschriften (UVV) oder die Kenntnis von Mängeln an einem Fahrzeug oder an Maschinen genügen nicht (st Rspr BAG 22.4.04 -8 AZR 159/03, NJW 04, 3360; 10.10.02- 8 AZR 103/02, NZA 03, 436; vgl auch BGH 11.12.03- VI ZR 34/02, NJW 03, 1605; zu§ 618 BGB in diesem Kontext BAG 14.12.06 - 8 AZR 628/05, NZA 07, 262). Auch indiziert der Verstoß gegen zugunsten der ArbN bestehende Schutzpflichten noch nicht den Vorsatz bezüglich der Herbeiftihrung eines Arbeitsunfalls (BAG 20.6.13-8 AZR 471 /1 2, NZA-RR 14, 63). Der ArbGeb muss sich die vorsätzliche Unfallverursachung durch einen von ihm bestellten Vorgesetzten zurechnen lassen. Vorausgesetzt wird, dass dessen schuldhaftes Verhalten in einem sachlichen Zusam­menhang mit den Aufgaben steht, die der ArbGeb dem Vorgesetzten als seinem Erftillungs­gehilfen zugewiesen hat (BAG 28.4.11- 8 AZR 769/09, NZA-RR 12, 290).

10 c) Rechtsfolge. In beiden Ausnahmef:illen vermindern sich nach §§ 104 Abs 3, 105 Abs 1 Satz 3 SGB VII die verbleibenden Ersatzansprüche um die Versicherungsleistungen. Doppelleistungen werden damit ausgeschlossen. Da die UV kein Schmerzensgeld erbringt, hat der Schädiget insoweit stets allein einzustehen.

11 4. Umfang des Haftungsausschlusses. Erfasst werden sämtliche materiellen und imma-teriellen Schäden iSv §§ 249 ff BGB, die als Personenschaden rechnen, einschließlich der Beerdigungskosten nach§ 844 BGB (BAG 10.10.02-8 AZR 103/02, NZA 03, 436) sowie Ansprüche auf Schmerzensgeld (§ 253 Abs 2 BGB). Dass die UV immaterielle Schäden nicht ausgleicht und der Geschädigte oder seine Hinterbliebenen mithin kein Schmerzens­geld erhalten, ist verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfG 8.2.95 - 1 BvR 753/94, NJW 95, 1607). Die Regelung ist auch mit EU-Recht vereinbar (LAG Köln 29.9.94- 6 Sa 793/ 94, NZA 95, 470) . Näheres -+ Arbeitgeberhqftung Rn 2-8. Für sog Schockschäden Dritter kann der Unternehmer uU ersatzpflichtig gemacht werden, vgl dazu BGH 6.2.07 - VI ZR 55/06, N]W-RR 07, 1395.

12 5. Gemeinschaftliche Haft!lng mit Dritten. An sich haften mehrere Schädiget als Gesamtschuldner im Außenverhältnis zum Geschädigten auf den vollen Schadensbetrag und können lediglich im Innenverhältnis von den Mitschädigern Ausgleich verlangen. Soweit nichts anderes bestimmt ist, haften sie im Innenverhältnis zu gleichen Anteilen (§ 426 BGB). Der Haftungsausschluss der §§ 104, 105 SGB VII verhindert von vornherein das Entstehen einer Gesamtschuld. Er wirkt sich deshalb auch im Verhältnis des geschädigten Versicherten zu einem außenstehendenDritten aus, der neben dem Unternehmer oder Betriebsangehöri­gen den Unfall verschuldet hat. Dessen Haftung beschränkt sich von vornherein auf den Betrag, der im Verhältnis zu den Haftungsprivilegierten auf ihn entfiele, wenn ein Gesamt­schuldnerausgleich möglich wäre (BGH 23.1.90 -VI ZR 209/89, DB 90, 1185). Eine vertragliche R egelung über die Haftung im Itmenverhältnis zwischen dem Unternehmer und dem Dritten ist zu berücksichtigen. Sie ermöglicht ggf die volle Inanspruchnahme des Dritten. Sie ist jedoch unbeachtlich, wenn sie über den vom Unternehmer zu verantworten­den Anteil an der Unfallursache hinaus den ArbGeb verpflichtet, den Dritten freizustellen.

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Eine derartige sachwidrige Kürzung des Schadensersatzanspruches des ArbN auf "Null" ist unwirksam (BGH 23.1.90- VI ZR 209/89, DB 90, 1185; anders wohl noch BGH 17.2.87 -VI ZR 81/86, DB 87, 1838; vgl auch BGH 11.11.03- VI ZR 13/03, NJW 04, 951).

6. Haftung gegenüber den Trägern der Sozialversicherung. Die Haftungsbeschrän- 13 kung nach §§ 104, 105 SGB VII belastet alle Beitragszahler, da wegen des fehlenden Schadensersatzanspruchs des Geschädigten kein gesetzlicher Forderungsübergang nach § 116 SGB X stattfindet. Bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verursachung des Arbeitsunfalls können die SozVTräger den Schädiger aber in Regress nehmen(§ 110 SGB VII). Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit entsprechen dem allgemeinen Begriff Das Verschulden braucht sich allerdings nur auf das den Versicherungsfall verursachende Handeln oder Unterlassen zu beziehen (§ 110 Abs 1 Satz 3 SGB VII). Regelmäßig wird Regress wegen Verstoßes gegen UVV genommen (vgl BGH 8.5.84- VI ZR 296/82, NZA 84, 205). Regress kann nicht gegen in häuslicher Gemeinschaft mit dem Schädiger lebende Angehörige genommen werden (BGH 29.1.85- VI ZR 88/83, NJW 85, 1958).

In der Höhe entspricht der Regressanspruch dem Umfang des (ausgeschlossenen) zivil- 14· rechtlichen Anspruchs des Geschädigten. Es handelt sich um einen originären Anspruch, so dass der Einwand des Mitverschuldeus des Geschädigten grds ausgeschlossen ist. Er kommt ausnahmsweise in Betracht, wenn das mitwirkende Verschulden derart groß ist, dass dadurch der ursächliche Zusammenhang zwischen dem Unfall und dem Verschulden des Unter­nehmens unterbrochen wird (LG Hanau 25.5.04-1 0 1183/03, VersR 06, 219) . Für die erforderliche Abgrenzung kann (vorsichtig) auf die Rspr der Strafgerichte zurückgegriffen werden, nach der ein ArbGeb fur den Arbeitsunfall dann nicht strafrechtlich belangt werden kann, wenn der ArbN sich bewusst und eigenverantwortlich selbst gefährdet (vgl OLG SachsAnh 25.3.96-2 Ss 27/96, NZA-RR 97, 19; einschränkend OLG Rostock 10.9.04-1 Ss 80/04, AuR 06, 128). Anspruchsberechtigt sind nicht nur die BG, sondern alle SozV­Träger wegen der von ihnen erbrachten Leistungen. Regresspflichtig ist auch die Kfz-Haft­pflichtversicherung. Schadenersatzpflichtige und auf Regress in Anspruch genommene Ar­beitskollegen haben jedenfalls dann keinen arbeitsrechtlichen Freistellungsanspruch gegen ihren ArbGeb, wenn dieser selbst nach § 104 SGB VII haftungsbefreit ist. Ein interner Ausgleich findet auch nicht im Verhältnis zum außen stehenden Dritten statt, der nach § 116 SGB X in Anspruch genommen wird.

§ 110 Abs 2 SGB VII räumt dem UVTräger die- gerichtlich überprüfbare- Ermessens­entscheidung ein, ob unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers auf den Ersatzanspruch verzichtet wird. Das billige Ermessen hat sich daran zu orientieren, dass die Existenz des Schädigers weder gefährdet noch unzumutbar belastet werden soll.

Bei Eintritt einer Haftpflichtversicherung bedarf es deshalb keines Verzichtes. Zu berücksichtigen sind ferner Grad des Verschuldens, Mitverschulden des Geschädigten oder des UVTrägers.

7. Prozessuales. Die für Schadensersatzansprüche zuständigen Zivil- und Arbeitsgerichte 15 sind an die endgültige Feststellung des UVTrägers gebunden, ob ein Arbeitsunfall vorliegt und in welchem Umfang und von welchem Träger der UV die Leistungen zu gewähren sind (§ 108 SGB VII). Die Entscheidung muss im Verhältnis des UVTrägers zum Verletzten oder Hinterbliebenen ergangen sein. Die Bindungswirkung erfasst die Festlegung des Unfall­betriebes, dessen Unternehmer und ob der Verletzte zu den versicherten Personen gehört. Keine Bindung besteht vorbehaltlich einer anderweitigen Feststellung des UVTrägers, ob neben dem festgestellten Unternehmer ein Drittunternehmer vorhanden ist. Fehlt es an einer verbindlichen Entscheidung des UVTrägers, ist das Verfahren nach § 148 ZPO auszusetzen. Den Parteien ist zur Verfahrenseinleitung eine Frist zu setzen; nach ihrem Ablauf kann das ausgesetzte Verfahren aufgenommen werden. Es ist dann Sache des zuständigen Gerichts, festzustellen, ob dem in Anspruch genommenen Schädiger das Haftungsprivileg zugute­kommt. Ein nach Schluss des Berufungsverfahrens ergehender Bescheid des UVTrägers ist von dem Revisionsgericht als neue Tatsache zu berücksichtigen (BGHG 4.6.09 - lii ZR 229/07, NJW 09, 2956). Lässt sich der vom ArbN behauptete Schaden nicht abschließend beziffern, kann Feststellungsklage zum Haftungsgrund (§ 253 Abs 1 ZPO) erhoben wer­den. Das erforderliche Feststellungsinteresse soll bereits dann bestehen, wenn nach der Lebenserfahrung und dem gewöhnlichen Lauf der Dinge der Schadenseintritt hinreichend

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wahrscheinlich ist (BAG 28.4.11 - 8 AZR 769/ü'J, NZA-RR 12, 290; hier Gefahr einer Berufskrankheit infolge Abbruchs asbestbelasteter Bauteile). Nicht behandelt hat das BAG allerdings den Konflikt, der sich ggf aus der notwendigen Anerkennung der voraussichtlichen Schädigung durch dieBGergibt (---->Rn 1).

B. Lohnsteuerrecht Windsheimer

21 1. Versicherungsbeiträge. S---> Unfallversicherung Rn 6ff.

22 2. SchadensaufWendungen des Arbeitnehmers. Für die Frage, ob Aufwendungen, die anlässlich eines Unfalls entstehen (Eigen- und/oder Fremdschaden), beruflich veranlasst sind, der ArbN also die von ihm selbst zu tragenden Aufwendungen als Werbungskosten absetzen kann, gelten unabhängig vom Arbeitsrecht und vom SozVRecht die allgemeinen Grundsätze über Werbungskosten (---> Werbungskosten Rn 2ft). Es kommt also auf die Veranlassung des Unfalls an(§ 9 Abs 1 Satz 1 EStG; BFH 28.11.80, BStBl TI 81, 368; zu Unfällen unterwegs ---> Wegeunfall Rn 2 ff). Unfallschäden während einer Auswärtstätigkeit können neben den km-Sätzen geltend gemacht werden (H 9.5 LStR). Bei privater Überlagerung kann die berufliche Veranlassung des Unfalls zurücktreten mit der Folge, dass der Werbungskosten­abzug entfällt (zB Unfall anlässlich Betriebsfeier, Betriebssport, persönlicher Auseinander­setzung zwischen Arbeitskollegen, Trunkenheit uÄ; vgl zB FG Hess 13.1.81, EFG 81, 285; FG Hbg 25.5.83, EFG 84, 25; FG Bin 19.3.87, EFG 87, 400; FG RhPf24.10.89, EFG 90, 226; BFH 6.4.84, BStBl II 84, 434). Kürzt der ArbGeb den Lohn, weil er mit einem Schadensersatzanspruch gegenüber dem ArbN aufrechnet, so hat die Lohnkürzung keine steuerliche Auswirkung(---> Aufrechnung Rn 15, 16).

23 Liegt ein Arbeitsunfall vor, so sind Ersatzleistungen Ddtter (Schädiger und deren Versicherung, auch ArbGeb) auf die persönlich getragenen Aufwendungen des ArbN an­zurechnen, so dass sich die Werbungskosten entsprechend mindern. Die Ersatzleistungen sind im Jahr des Zuflusses als Einnahmen zu erfassen (BFH 22.11.68, BStBl li 69, 160). Der Werbungskostenersatz durch den ArbGeb ist nur dann steuerfrei, wenn dies gesetzlich vorgesehen ist (----> Werbungskosten Rn 22 ; ----> Wegeunfall Rn 2 ff; s auch O.fferhaus BB 91, 257). Ist der ArbN dem ArbGeb anlässlich des Arbeitsunfalls schadensersatzpflichtig, so handelt es sich beim geleisteten Schadensersatz um Werbungskosten des ArbN. Verzichtet der ArbGeb auf den Schadensersatz, liegt beim ArbN insoweit stpfl Arbeitslohn vor, wenn die Begleichung der Schadensersatzforderung nicht zum Werbungskostenabzug berechtigt, zB bei Trunkenheit am Steuer (BFH 24.5.07 - VI R 73/05, BStBlll 07, 766; ---> Verzicht Rn 14, 15). Schadensersatzleistungen des ArbN gegenüber Dritten sind bei beruflicher Ver­anlassung ebenfalls Werbungskosten. Ersatzleistungen Dritter sind entsprechend anzurechnen. Zu Versicherungsleistungen einer UV des ArbGeb oder des ArbN ----> Unfallrente Rn 7 ff.

24 Ist der Unfall kein Arbeitsunfall, so können eigene Aufwendungen zur Wiederherstel-lung der Gesundheit als außergewöhnliche Belastung (§ 33 EStG) steuerlich abzugsfähig sein. Aufwendungen zur Beseitigung eigenen Sachschadens können nur bei einem Schadens­ereignis infolge höherer Gewalt nach § 33 EStG beriicksichtigt werden, ansonsten (zB Pkw­Unfall auf einer Privatfahrt) nicht. Gleiches gilt bei Schadensersatz (Personen- und Sach­schaden) gegenüber Dritten (vgl Schmidt/Loschelder § 33 Rz 35 Stichwörter Schadensersatz, Unfall).

25 3. Leistungen des Arbeitgebers anlässlich eines Arbeitsunfalls sind bei diesem Betriebs-ausgaben. Auch die Finanzierungsleistungen des ArbGeb, allgemein des Unternehmers, gegenüber der BG stellen Betriebsausgaben dar. Zu Schadensersatzleistungen des ArbGeb an den ArbN anlässlich eines Unfalls ---> Unfallrente Rn 9; ---> Beihilfeleistungen Rn 7; ---> Entgelt­fortzahlung Rn 42. Begibt sich der verunfallte ArbN zur Genesung ins Ausland oder kehrt er in sein Heimatland zurück, so ist die Entgeltfortzahlung dem10ch im Inland zu versteuern (FG Köln 16.4.07- 14 K 1233/04, EFG 07, 1446).

Zahlt der ArbGeb an ArbN Prämien zur Verhütung von (Arbeits-)Unfällen, so handelt es sich hierbei um stpfl Arbeitslohn (BFH 11.3.88, BStBl I! 88, 726).

26 4. Versicherungsleistungen s ----> Unfallversicherung Rn 6 ff und ----> Unfallrente Rn 7 ff. Im Übrigen: Die Steuerfreiheit einer Abfindung anlässlich der Auflösung des Arbeitsverhältnisses aufgrundeines Unfalls (§ 3 Nr 9 EStG bis 2005; ---> Alfindtmg Rn 41) sowie der niedrigere

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