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DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de Die Pole, zwischen denen sich die Ausstel- lung zur Geschichte des Hauses der Kunst bewegt, sind nirgends prägnanter zu fas- sen als in den extrem unterschiedlichen Ex- ponaten auf der Pariser Weltausstellung 1937 : Im „Deutschen Haus“ thronte in der Mitte auf monströsem „Ehrenpodium“ ein neun Meter langes Modell des „Hauses der Deutschen Kunst“, darüber ein Gemälde- Triptychon von Hitlers Lieblingsmaler, dem Präsidenten der Reichskammer der bildenden Künste, Adolf Ziegler, der für die „Säuberung“ deutscher Museen von „ent- arteter Kunst“ zuständig war. Unter dem anmaßenden Titel „Die vier Elemente“ hat Ziegler in Paris, im Zentrum der Moderne, vier brav gebürstete germanische Nacke- deis so affektiert und verklemmt auf Holz- sitzen posieren lassen, dass jeder Gedanke an „Elementares“ im Keim erstickt. Im spanischen Pavillon fiel Picassos apo- kalyptische Kriegs-Vision „Guernica“ mit nun tatsächlich elementarer Wucht über die Besucher her. Dieses kubistisch-expres- sive Gemälde beschwor jene Nacht im April 1937, in der die baskische Stadt Guernica durch deutsche und italienische Bomber zerstört wurde. Dann die wunderbare Wen- dung nach dem Krieg: Picassos Monument kreatürlichen Leidens – heute im Museum Reina Sofia in Madrid in eigenem Raum hinter Panzerglas – wurde nach 1945 ein einziges Mal in Deutschland gezeigt – im „Haus der Kunst“ , ausgerechnet in Hitlers architektonischem Lieblingsobjekt, in dem doch der „kranken“ Moderne seine an- geblich „gesunde“ Version von Kunst ge- genübergestellt werden sollte. Doch der Bau wurde in den ersten Nachkriegsjah- ren, nach temporärer Umwidmung als „Of- ficer’s Club“ der Amerikaner und nach ei- ner Folge von Ausstellungen, die als Entna- zifizierungs-Akte gefeiert wurden, zu ei- nem der wichtigsten Ausstellungsforen der Bundesrepublik umgeformt. Zum 75-jährigen Bestehen Einwei- hung war am 18. Juli 1937 – gibt es eine Aus- stellung, die als geschickt verdichtetes Re- sümee kritischer Überlegungen zur Ge- schichte, aber auch als intelligente Visuali- sierung der in den historischen Ereignis- sen enthaltenen bildnerischen Extremge- gensätze gefeiert werden könnte. Im dra- maturgischen Entwurf des Schweizer Kon- zeptkünstlers Christian Philipp Müller wird das Haus selber zum Objekt von Refle- xion und Befragung. So hat Müller über den Säulenportikus an der Prinzregenten- straße Tarnnetze herunterlappen lassen, die daran erinnern, dass das Haus in den letzten Kriegsjahren so getarnt war, dass es von Bombenschäden verschont blieb. Als 1946 ein Ort gesucht wurde, an dem man Ausländern einen Überblick über neue deutsche Produkte geben konnte, empfahl es sich als „das einzige Gebäude, das über Heizung und Kantine verfügt“. Auf diese „Exportschau“ und ihren Gegensatz zu Hit- lers rassistischen Kunstvorstellungen spielt Müller in der Mittelhalle ironisch an, wenn er dort, wo Hitler von der „freudigs- ten und innigsten Zustimmung der gesun- den breiten Masse des Volkes“ sprach, das Riesenfoto eines Mannequins von der ers- ten Nachkriegsmodeschau zwischen zwei Lorbeerbäumen postiert. In den drei Sälen der Südgalerie vermit- teln Einzelobjekte, Film- und Fotodoku- mente und Zitate ein intensives Gefühl der Geschichtsbrüche. Im ersten Saal, dem Er- öffnungsjahr 1937 gewidmet, läuft ein im Film überliefertes Festzugspektakel: 18 Männer tragen das acht Meter lange Mo- dell des Hauses wie einen Sarg auf den Schultern durch München. Entdeckt man das auch acht Meter lange, aber in weißer Schokolade gefertigte Modell des Kultbaus auf einem schwarzen Katafalk, kann man sich des Lächelns nicht erwehren. Im zweiten Saal treffen die Objekte, die 1937 brutal voneinander geschieden wur- den, erstmals wieder aufeinander. Nun hängen die Bilder von Hitlers und Zieglers Gnaden nicht wie damals an den Wänden, sondern mit dem Rücken zum Eintreten- den an quer gestellten stählernen Gittern. Die Werke aber, die nebenan als „Entartete Kunst“ zusammengepfercht waren –Marc, Beckmann, Schlemmer, Lehmbruck, Bel- ling – hängen dafür jetzt an den Wänden. Sie treffen dort auf Bilder – in Ausstellun- gen zur Moderne entdeckt– von Picasso, Klee, Hofer, Nay, Winter, Geiger und Ende. Im dritten Saal werden die Errungen- schaften des neu formierten Hauses mit Ka- talogen und Plakaten dokumentiert. Hier leben auch die Faschingsfeste wieder auf, mit denen Münchner Künstler das Haus auf ihre Weise entnazifizierten. Fazit: Der Wandel nach 1945 hätte kaum glücklicher ausfallen können. GOTTFRIED KNAPP „Geschichten im Konflikt: Das Haus der Kunst und der ideologische Gebrauch von Kunst 1937 – 1955“ im Haus der Künsten in München bis 13. Januar 2013. Der Katalog erscheint erst im Februar. Man kann sich so einem Koloss auch aus der Vogelperspektive nähern: Historisch und aus der Außensicht. Als der neue Haus- der-Kunst-Leiter Okwui Enwezor bei ei- nem seiner ersten Pressegespräche auf das besondere Erbe zu sprechen kam, das jeder antritt, der in diesem Gebäude arbeitet, das vor 75 Jahren als Haus der Deutschen Kunst von Adolf Hitler eröffnet wurde, be- gann er mit einer Aufnahme von der Welt- ausstellung in Paris 1937. Da ist der Prunk- bau noch ein Modell, das stolz im Deut- schen Haus an der Seine aufgebaut wird. Ei- nen Steinwurf davon entfernt – im Pavillon Spaniens – habe Pablo Picassos „Guerni- ca“ gehangen. Bald teilte sich die Welt – und das spanische Bild und die deutsche Ar- chitektur werden zu konträren Polen der Kunstwelt. Wobei der neoklassische Bau, von Paul Ludwig Troost in München als Bollwerk gegen die internationalen Avant- garden errichtet, dann mit dem NS-Re- gime fällt und deswegen dort „Guernica“ schlussendlich auch gezeigt werden kann. Solche Pointen liegen dem neuen Leiter, der vor kurzem 57 Millionen Euro vom Land Bayern für die Sanierung des Hauses zugesagt bekam. Wenn alles so kommt wie geplant, wenn auch der Westflügel und eine weitere Gale- rie mit ausstellungstauglicher Klima- und Sicherheitstechnik ausgestattet sind, wird sich die Ausstellungsfläche danach fast ver- doppelt haben. Womit, ein Dreivierteljahr- hundert nach Eröffnung, fest steht, dass im ehemaligen Haus der Deutschen Kunst auch weiterhin Kunst genutzt wird. Und Ok- wui Enwezor, in Nigeria geboren, ehemali- ger Documenta-Leiter, stellt eines klar: Die ersten acht Jahre dieses Haus sind nur das erste Kapitel in einer langen Geschichte. Die grauen Vorhänge, mit der sein Vor- gänger Chris Dercon einst die renovierte Eingangshalle so abteilte, dass pathetische Sichtachsen unterbrochen wurden, ließ En- wezor abnehmen. Jetzt sind die Achsen der symmetrischen Architektur wieder sicht- bar, wie auch die wuchtige Ausgestaltung, die im Eingang über zwei Stockwerke reicht. Wer hier eintritt, fühlt sich klein. Die Stirnseite, vor der Hitler seine Reden zur Bedeutung der Kunst hielt, ist wieder sicht- bar – und sie sieht fast aus wie ein Altar. Der Künstler Christian Philipp Müller hat sie mit formgeschnittenen Buchsbäumen und einem Poster akzentuiert – einer Auf- nahme von einer Nachkriegsmodenschau. Müller verklammert zwei historische Mo- mente zu einem Bild der Hilflosigkeit: Ist es richtig, heute hier immer noch die Kunst zu feiern? Oder Schönheit? Sogar Partys? Die Goldene Bar auf der Rückseite ist ein belieb- ter Treffpunkt. „Das ist eine Frage, die sich jede Genera- tion – und jeder neu berufene Ausstellungs- macher – hier stellen muss“, sagt Detlef Hoffmann, ein Kunsthistoriker, der in Ol- denburg lehrte und in München lebt. Er ist als Berater im Denkmalschutz gefragt, vor allem bei den Hinterlassenschaften des Dritten Reichs – einer Zeit, in der Architek- tur, vor allem öffentliches Bauen, Königs- disziplin der Kunst war, ein Rahmen, eine Fassung für Propaganda, für Aufmärsche, Reden, Ausstellungen. Auch als ein Bild des Rassenwahns: „Der Nationalsozialismus verkündet die Ewigkeit der Rasse . . . Die im- mer wieder betonte Unveränderlichkeit der Rasse soll sich in der Ewigkeit der Bau- werke abzeichnen“, erkennt Hoffmann. Die Erkenntnis, dass man diese schon bei der Eröffnung in diffuser Weise ewig wirkenden Bauten, indem man sie erhält und aufwendig pflegt, in ihrer zentralen Aussage bestätigt, ist ein Paradox. Der Kunsthistoriker hält es im Übrigen für be- merkenswert, wie wenig Bauten ausgerech- net des Dritten Reichs von den Siegern zer- stört wurden, die zwar den Ehrentempel am Münchner Königsplatz sprengten, Zen- trum des Totenrituals der NSDAP – aber schon an den Parteibauten dort nur die Ho- heitszeichen abmontierten, damit sie als Musikhochschule oder Universitätsinstitu- te weiter verwendet werden konnten. Den Zwiespalt, mit dem die Gegenwart jetzt pathetische Portikus-Architekturen, travertinverkleidete Fassaden und weite Aufmarschfelder konserviert, bringt der Denkmalschutz auf die Formel „Unbeque- me Baudenkmale“ – wobei die von der Bun- desrepublik zu pflegenden Hinterlassen- schaften kontaminierter sind, als etwa die gar nicht unähnlichen faschistischen in Ita- lien. „Das Fundament der Bauten des deut- schen Nationalsozialismus ist eben immer der Massenmord“, sagt Detlef Hoffmann. Wer mit dem Rücken zur Fassade vor dem Haus der Kunst steht und auf die Staatskanzlei blickt, erkennt, dass Traufhö- he, Steinverkleidung und Gesimse wie auf- einander abgestimmt wirken. „Die reprä- sentative Architektur des Nationalsozialis- mus müsste als Fremdkörper im Stadtbild stehen“, sagt Detlef Hoffmann. Die zeitge- mäße Nutzung sei dagegen kein Problem – solange sich jeder Nutzer immer wieder be- wusst macht, an welchem Ort er sich ein- richtet. „Ich erinnere mich beispielsweise an diesen Teppich, den Ai Weiwei hier aus- gerollt hat. Das Muster war eine exakte Ko- pie der Maserung der Steinplatten. Eine zu- tiefst irritierende Verdoppelung – unter der dieser Ewigkeitsanspruch für eine Zeit einfach verschwand.“ CATRIN LORCH VON WILLIBALD SAUERLÄNDER A m 19. Juli 1937 herrschte in Süd- deutschland strahlendes Hochsom- merwetter. In der Kunststadt Mün- chen wurde mit viel uniformierten Statis- ten zum ersten Mal der „Tag der deutschen Kunst“ begangen. Hitler eröffnete das „Haus der deutschen Kunst“, dessen monu- mentale Säulenfront vom Münchner Volks- mund als die „Weißwurstgalerie“ bezeich- net wurde. Eines der ersten Gemälde, das man im Inneren bewundern konnte, zeigte Hitler als Ritter hoch zu Ross, den „Mann, welcher doch von jedem Pferd gefallen wä- re“, wie mir Paul Frankl, ein damals entlas- sener Kunstgeschichtsprofessor, der spä- ter nach Amerika flüchtete, aber als neugie- riger Jude den Mut gehabt hatte, die Aus- stellung im neuen Haus zu besuchen, amü- siert 1961 in Princeton erzählte. Ich war 1937 13 Jahre alt, erinnere mich aber leb- haft an den Tag. Hitler hatte in seiner Eröff- nungsrede den Entwurf des Architekten Adolf Abel für einen neuen Glaspalast am Botanischen Garten als „ein Gebäude, das ebenso gut eine sächsische Zwirnfabrik wie die Markthalle einer mittleren Stadt, unter Umständen auch ein Bahnhof, eben- so gut allerdings auch ein Schwimmbad hätte sein können,“ verspottet. Er wollte ei- nen Monumentalbau als Bedeutungsträ- ger und bekam ihn ja auch von Paul Ludwig Troost. Nun war Adolf Abel ein Freund mei- nes Vaters und der offenbar zutiefst er- schrockene Mann floh aus München und traf gegen Abend bei uns in Oberschwaben ein. Diese Anekdote ist nicht weiter von Be- lang. Aber damit sind wir eigentlich schon fast beim Thema der „Entarteten Kunst“, vor allem aber bei Hitlers Rede, in der sich ein bräsiges Weihepathos mit paranoiden Drohungen mischte. „Kunst“, so hatte er sich schon auf dem Reichsparteitag 1933 vernehmen lassen, „ist eine erhabene, zum Fanatismus verpflichtende Mission.“ Hitlers Festansprache war lang und aus- schweifend. Noch auf den alten Fotogra- fien meint man zu sehen, wie die Größen des Regimes mit Göring und Goebbels an der Spitze ihm zwar devot ihr Ohr leihen, aber auch ersichtlich gequält in ihren Stüh- len hängen. Mit selbstgefälliger Eitelkeit spielte Hitler sich als der Verkünder einer neuen Ära auf, in welcher die deutsche Kunst sich wieder zu völkischer Ewigkeit erheben werde. „Das nationalsozialisti- sche Deutschland aber will wieder eine ,deutsche Kunst‘ und diese soll und wird wie alle schöpferischen Werte eines Volkes eine ewige sein.“ Es ist hier nicht der Ort, darüber nachzusinnen, an welchen Abfäl- len einer völkischen idealistischen Ästhe- tik sich der Diktator mit solchen Sätzen ver- schluckt hatte. An einigen Stellen seiner öligen Rede schlägt der Ton in den blanken Hass auf die Kunst der „Systemzeit“ um. „Systemzeit“ war für die Nazis bekanntlich das Schimpf- wort für die Weimarer Republik. Die messi- anische Verkündigung einer neuen natio- nalen Kunstblüte verbindet sich mit der Drohung von Ausmerzung und Vernich- tung. Es ist jener gehetzte Wortausstoß, wie man ihn aus Hitlers ideologischen, poli- tischen und rassistischen Reden kennt, der nun den weltanschaulichen Streit um die deutsche Kunst aufheizt. Immer wurde es dann besonders schlimm, wenn Hitler von seiner Entschlossenheit zu bellen begann. So schrie er am Tag der deutschen Kunst: „Ich will daher in dieser Stunde bekennen, dass es mein unabänderlicher Entschluss ist, genau so wie auf dem Gebiet der politi- schen Verwirrung nunmehr auch hier mit den Phrasen im deutschen Kunstleben auf- zuräumen.“ „Aufräumen“, das war eine der Schreckensvokabeln des Vernichtungs- wahns der Nazis, der nun auch auf die Säu- berung der Kunst übertragen wurde. Aber gegen Ende seiner Ansprache geht Hitler noch einen Schritt weiter und droht: „Wir werden von jetzt ab einen unerbittlichen Säuberungskrieg führen gegen die letzten Elemente unserer Kulturzersetzung.“ Er er- öffnete einen Kunsttempel, aber diese schauerliche Wort-Copula von Säuberung und Krieg lässt nicht an das Gedeihen der Musen denken, sondern an jene Ausrot- tungs-Aktionen, die er wenig mehr als zwei Jahre später mit dem Überfall auf Polen ein- leitete und ebenfalls mit den Worten „Ich habe mich daher nunmehr entschlossen“ ankündigte. Damit sind eigentlich die traumatischen Antriebe schon benannt, die in München im Juli 1937 dazu führten, dass neben dem neuen Elysium, „Haus der deutschen Kunst“, eine höllische Gegenschau mit dem der Tier- und Rassenkunde entlehn- ten, infamen Titel „Entartete Kunst“ den Volksgenossen als bildliche Choque-Thera- pie offeriert wurde. Wir werden sehen: da- mit sind wir gar nicht weit von der medizini- schen Hygiene entfernt. Mit dem Blick auf expressionistische Bilder schwadronierte Hitler hämisch: „Ich will mich nun gar nicht in einen Streit darüber einlassen, ob diese Betreffenden (also die verfemten Künstler) das nun wirklich so sehen, son- dern ich möchte im Namen des deutschen Volkes es nur verbieten, dass (sie) die Ergeb- nisse ihrer Fehlbetrachtungen der Mitwelt als Kunst vorsetzen wollen.“ Mit diesem Satz hatte Hitler die Drohung der Zensur ausgesprochen, die später durch Malverbo- te für „entartete“ Künstler exekutiert wur- de. Aber dann ging er noch einen Schritt weiter. Er sprach über die „Augenfehler“ der entarteten Künstler und fuhr fort: „Es wäre zu untersuchen, ob diese etwa durch Vererbung zustande gekommen sind.“ „Das“, so folgerte er, „wäre dann wichtig für das Reichsinnenministerium, das sich dann mit der Frage zu beschäftigen hätte, wenigstens eine weitere Vererbung derarti- ger grauenvoller Störungen zu unterbin- den.“ Aus diesen drohenden Worten hört man Hitlers ganzen traumatischen Hass auf die Entarteten heraus. Er möchte das von den Nazis nicht allzu lange nach ihrer Machtübernahme erlassene Gesetz zur „Verhütung erkrankten Nachwuchses“ auf die entarteten Künstler anwenden. Hier ging es nicht mehr um einen platonischen Streit über ästhetische Fragen, sondern um die Übertragung der Rassenhygiene auf das Gebiet der bildenden Künste. Im gleichen Jahr erhielten die deutschen psychiatrischen Anstalten erste statisti- sche Anfragen, deren Beantwortung dann 1940 zur selektiven Grundlage für die Er- mordung der „unheilbar“ Kranken wurde. Die Ausstellung „Entartete Kunst“, wel- che am 19. Juli, einen Tag später, eröffnet wurde, würdigte Hitler nur einer beiläufi- gen Erwähnung als „die Ausstellung der Verfallszeit, die wir ebenfalls dem Besuch der deutschen Volksgenossen öffnen und empfehlen“. „Sie wird“, so fügte er finster hinzu, „für viele eine heilsame Lehre sein.“ Seine Erfindung war sie nicht, und er hat sie am 16. Juli, während des Aufbaus, für nicht mehr als zehn Minuten besucht. Die- se Denunziations-Schau war der Phantasie des abtrünnigen Intellektuellen Joseph Goebbels entsprungen, des in seiner gifti- gen Hetze gegen Kulturbolschewisten und Juden besonders lautmäuligen Propagan- daministers. Für ihn waren alle öffentli- chen Einrichtungen des geistigen Lebens, Presse, Rundfunk, Film und Wochen- schau, immer nur Instrumente der Propa- ganda. Warum dann nicht auch die Kunst- ausstellung, welche die Entartung an den Pranger stellte? In seinem Rückblick vom 14. 11. 1937 schrieb Carl Linfert in der Frank- furter Zeitung: „Dieses Unternehmen (hat- te) einen polemischen, verurteilenden Zweck, der in der ganzen langen Zeit, in der man Kunst als ein höheres Sondergebiet des Lebens ansah, völlig ohne Beispiel und unvergleichbar ist.“ Spitzer kann man es auch im freien Nachhinein nicht sagen. Doch kommen wir zum Ablauf der Ereig- nisse im Juni/Juli 1937. Am 30. Juni, keine drei Wochen vor der Eröffnung, notierte Goebbels: „Ich bespreche die von mir ge- plante Verfallskunst-Ausstellung. Habe Er- mächtigung, die diesbezüglichen Stücke in allen Museen zu beschlagnahmen.“ Darauf bereiste eine Kommission von parteinahen „Fachleuten“ in nur 14 Tagen die deut- schen Museen und wählte nach ihrem Gut- dünken „Entartete“ aus. Eine Spedition sorgte für den Versand nach München. Dort hatte der Gauleiter in den Räumen des Museums für klassische Abgüsse an den Hofgartenarkaden Platz machen lassen. Das war ganz nahe bei dem neuen Kunst- tempel. Die schäbige Bühne für den bösen Spuk war aufgebaut, Goebbels triumphier- te: „Das wird ein Schlag ins Kontor.“ Für den Aufbau der Schandschau stan- den zwischen dem Ende der Museumsbe- reisung um den 15. Juli und der Eröffnung am 19. Juli nur wenige Tage zur Verfügung. Noch am 18., als das Haus der deutschen Kunst eröffnet wurde, notierte Goebbels: „Verfallsausstellung. Dort wird fleißig gear- beitet.“ Die „sachkundigen Männer", wel- che den Aufbau in ihre Hand nehmen, wa- ren wenig bekannte Maler, welche die Mo- derne hassten, wie der Präsident der Reichskammer der bildenden Künste Adolf Ziegler, der wegen seiner Aktfiguren alsbald als der „Maler des deutschen Schamhaares“ bekannt wurde, oder Wolf- gang Willrich, der Verfasser eines hasser- füllten Pamphlets über die „Säuberung des Kunsttempels“ und noch andere, zum Bei- spiel ein österreichischer Jurastudent na- mens Pistauer, den offenbar der „studenti- sche Führungsdienst“ entsandt hatte. Sie pferchten in die neun engen Räume am Hof- garten nicht weniger als 600 entartete Ob- jekte, ließen die Wände mit antibolschewis- tischen und antisemitischen Hasstiraden beschmieren. Außer dem diffusen Schlag- wort „Entartung“ lag kein Konzept für die Ausstellung vor, kein Kriterium für die Aus- wahl der Objekte. Zwischen den „sachkun- digen Männern“ kam es zu gegenseitigen Beschimpfungen. Bilder wurden aufge- hängt und dann wieder als offenbar nicht genügend „entartet“ entfernt. Am Ende glich das Ergebnis mehr einer Geisterbahn- fahrt als einer Kunstausstellung. So hat es auch nie einen Katalog gege- ben, sondern nur einen irrwischhaften „Führer durch die Ausstellung“, dessen wüste Beschimpfungen an den Ton von Streichers Stürmer erinnerten, wenn es et- wa hieß: „Das moralische Programm des Bolschewismus schreit in dieser Abteilung von allen Wänden“, oder auf der gegenüber- liegenden Seite: „Die Dirne wird zum sittli- chen Ideal erhoben“. Die Inschriften an den Wänden schrien „Unter der Herrschaft des Zentrums freche Verhöhnung des Gott- erlebens“ und wiesen auf Bilder von Beck- mann und Nolde mit christlichen Themen hin, oder „Offenbarung der jüdischen Ras- senseele“, für die als erschreckendes Bei- spiel Chagalls „Rabbiner“ gezeigt wurde. An Werken des besonders verhassten Otto Dix wurde die „Verhöhnung des deutschen Frauenideals: Kretin und Hure“ und die „bewusste Wehrsabotage“ durch die „Be- schimpfung der deutschen Helden des Weltkriegs“ denunziert. Wo die Physiogno- mie der entarteten Bilder sich nicht mehr abbildhaft auf die Zersetzung der Volksge- sundheit und der staatstragenden Moral beziehen ließ, wie bei den abstrakten Kom- positionen Kandinskys, half man sich mit dem lärmenden Aufschrei „Verrückt um je- den Preis“ und suggerierte die Verbindung zur Geisteskrankheit. Auf Seite 2 des genannten Führers wird gefragt: „Was will die Ausstellung ,Entarte- te Kunst‘?“ und geantwortet: „Sie will die gemeinsame Wurzel der politischen und der kulturellen Anarchie aufzeigen, die Kunstentartung als Kunstbolschewismus im ganzen Sinne des Wortes entlarven.“ Die totalitäre Diktatur, welche die ganze Na- tion in eine straff organisierte Marschko- lonne zwingen wollte – das war die „Klar- heit“, von der Hitler schwärmte –, verfem- te eine Kunst, welche die Brüche und Unsi- cherheiten in der modernen, offenen Ge- sellschaft zu ihrem sensiblen Thema ge- macht hatte. So wie die französische Rech- te schon während des Ersten Weltkrieges gegen den ebenfalls als jüdisch diffamier- ten Kubismus den „Retour à l’Ordre“ einge- fordert hatte, nur viel radikaler verlangten die Nazis die Einreihung der Kunst in die na- tionale Marschkolonne. Aber abseits von den Aufmärschen und Kunstfesten unter- hielten sie die Lager, die Mord- und Folter- stätten, in denen das Leiden und Grauen nicht mehr wie in der modernen Kunst zu einem Spiegel der sensiblen Empfindung gemacht wurde, sondern krude exekutiert. In dieser Perspektive erscheint die Ausstel- lung „Entartete Kunst“ wie die Ausgeburt der Angst des Regimes vor der Aufdeckung seiner eigenen verbrecherischen Fratze. 75 Jahre Haus der Kunst München: Wie die Hochburg der NS-Kultur zur Heimat für die Avantgarde wurde „Das wird ein Schlag ins Kontor“ Münchner Kunst-Sommer 1937. Adolf Hitler eröffnet das neue Haus der deutschen Kunst und propagiert diese als erhabene, fanatische Mission. Sein Propagandaminister Joseph Goebbels lässt in aller Hast die berüchtigte Ausstellung „Entartete Kunst“ zusammenstümpern Die Künstlerfaschingsfeste trieben den Nazigeist auf ihre Weise aus Kunst am unbequemen Ort Das Haus der Kunst zwischen Kontinuität und Kontamination Die Ewigkeit der Rasse sollte im Dritten Reich sich abzeichnen in der Ewigkeit der Bauwerke Am Ende glich die Ausstellung „Entartete Kunst“ eher einer Geisterbahnfahrt „Augenfehler“ attestierte Hitler den entarteten Künstlern FEUILLETON 12 HBG Mittwoch, 18. Juli 2012, Nr. 164 DEFGH Verwandlungsglück Das Haus der Kunst reflektiert seine Geschichte intelligent Umzug zum Tag der deutschen Kunst vor dem Haus der Deutschen Kunst, 1939. FOTO: SZ PHOTO/VLADIMIR EFIMOV DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de svra039 SZ20120718S1599335

75 Jahre Haus der Kunst München

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SZ Artikel: 75 Jahre Haus der Kunst München: Wie die Hochburg der NS-Kultur zur Heimat für die Avantgarde wurde

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DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, MünchenJegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de

Die Pole, zwischen denen sich die Ausstel-lung zur Geschichte des Hauses der Kunstbewegt, sind nirgends prägnanter zu fas-sen als in den extrem unterschiedlichen Ex-ponaten auf der Pariser Weltausstellung1937 : Im „Deutschen Haus“ thronte in derMitte auf monströsem „Ehrenpodium“ einneun Meter langes Modell des „Hauses derDeutschen Kunst“, darüber ein Gemälde-Triptychon von Hitlers Lieblingsmaler,dem Präsidenten der Reichskammer derbildenden Künste, Adolf Ziegler, der für die„Säuberung“ deutscher Museen von „ent-arteter Kunst“ zuständig war. Unter demanmaßenden Titel „Die vier Elemente“ hatZiegler in Paris, im Zentrum der Moderne,vier brav gebürstete germanische Nacke-deis so affektiert und verklemmt auf Holz-sitzen posieren lassen, dass jeder Gedankean „Elementares“ im Keim erstickt.

Im spanischen Pavillon fiel Picassos apo-kalyptische Kriegs-Vision „Guernica“ mitnun tatsächlich elementarer Wucht überdie Besucher her. Dieses kubistisch-expres-sive Gemälde beschwor jene Nacht im April1937, in der die baskische Stadt Guernicadurch deutsche und italienische Bomberzerstört wurde. Dann die wunderbare Wen-dung nach dem Krieg: Picassos Monumentkreatürlichen Leidens – heute im MuseumReina Sofia in Madrid in eigenem Raumhinter Panzerglas – wurde nach 1945 eineinziges Mal in Deutschland gezeigt – im„Haus der Kunst“ , ausgerechnet in Hitlersarchitektonischem Lieblingsobjekt, indem doch der „kranken“ Moderne seine an-geblich „gesunde“ Version von Kunst ge-genübergestellt werden sollte. Doch derBau wurde in den ersten Nachkriegsjah-ren, nach temporärer Umwidmung als „Of-ficer’s Club“ der Amerikaner und nach ei-ner Folge von Ausstellungen, die als Entna-zifizierungs-Akte gefeiert wurden, zu ei-nem der wichtigsten Ausstellungsforender Bundesrepublik umgeformt.

Zum 75-jährigen Bestehen – Einwei-hung war am 18. Juli 1937 – gibt es eine Aus-stellung, die als geschickt verdichtetes Re-sümee kritischer Überlegungen zur Ge-schichte, aber auch als intelligente Visuali-sierung der in den historischen Ereignis-sen enthaltenen bildnerischen Extremge-gensätze gefeiert werden könnte. Im dra-maturgischen Entwurf des Schweizer Kon-zeptkünstlers Christian Philipp Müllerwird das Haus selber zum Objekt von Refle-xion und Befragung. So hat Müller überden Säulenportikus an der Prinzregenten-straße Tarnnetze herunterlappen lassen,die daran erinnern, dass das Haus in den

letzten Kriegsjahren so getarnt war, dass esvon Bombenschäden verschont blieb. Als1946 ein Ort gesucht wurde, an dem manAusländern einen Überblick über neuedeutsche Produkte geben konnte, empfahles sich als „das einzige Gebäude, das überHeizung und Kantine verfügt“. Auf diese„Exportschau“ und ihren Gegensatz zu Hit-lers rassistischen Kunstvorstellungenspielt Müller in der Mittelhalle ironisch an,wenn er dort, wo Hitler von der „freudigs-ten und innigsten Zustimmung der gesun-den breiten Masse des Volkes“ sprach, dasRiesenfoto eines Mannequins von der ers-ten Nachkriegsmodeschau zwischen zweiLorbeerbäumen postiert.

In den drei Sälen der Südgalerie vermit-teln Einzelobjekte, Film- und Fotodoku-mente und Zitate ein intensives Gefühl derGeschichtsbrüche. Im ersten Saal, dem Er-öffnungsjahr 1937 gewidmet, läuft ein imFilm überliefertes Festzugspektakel: 18Männer tragen das acht Meter lange Mo-dell des Hauses wie einen Sarg auf denSchultern durch München. Entdeckt mandas auch acht Meter lange, aber in weißerSchokolade gefertigte Modell des Kultbausauf einem schwarzen Katafalk, kann mansich des Lächelns nicht erwehren.

Im zweiten Saal treffen die Objekte, die1937 brutal voneinander geschieden wur-den, erstmals wieder aufeinander. Nunhängen die Bilder von Hitlers und ZieglersGnaden nicht wie damals an den Wänden,sondern mit dem Rücken zum Eintreten-den an quer gestellten stählernen Gittern.Die Werke aber, die nebenan als „EntarteteKunst“ zusammengepfercht waren –Marc,Beckmann, Schlemmer, Lehmbruck, Bel-ling – hängen dafür jetzt an den Wänden.Sie treffen dort auf Bilder – in Ausstellun-gen zur Moderne entdeckt– von Picasso,Klee, Hofer, Nay, Winter, Geiger und Ende.

Im dritten Saal werden die Errungen-schaften des neu formierten Hauses mit Ka-talogen und Plakaten dokumentiert. Hierleben auch die Faschingsfeste wieder auf,mit denen Münchner Künstler das Hausauf ihre Weise entnazifizierten. Fazit: DerWandel nach 1945 hätte kaum glücklicherausfallen können. GOTTFRIED KNAPP

„Geschichten im Konflikt: Das Haus der Kunst undder ideologische Gebrauch von Kunst 1937 – 1955“im Haus der Künsten in München bis 13. Januar 2013.Der Katalog erscheint erst im Februar.

Man kann sich so einem Koloss auch ausder Vogelperspektive nähern: Historischund aus der Außensicht. Als der neue Haus-der-Kunst-Leiter Okwui Enwezor bei ei-nem seiner ersten Pressegespräche auf dasbesondere Erbe zu sprechen kam, das jederantritt, der in diesem Gebäude arbeitet,das vor 75 Jahren als Haus der DeutschenKunst von Adolf Hitler eröffnet wurde, be-gann er mit einer Aufnahme von der Welt-ausstellung in Paris 1937. Da ist der Prunk-bau noch ein Modell, das stolz im Deut-schen Haus an der Seine aufgebaut wird. Ei-nen Steinwurf davon entfernt – im PavillonSpaniens – habe Pablo Picassos „Guerni-ca“ gehangen. Bald teilte sich die Welt –und das spanische Bild und die deutsche Ar-chitektur werden zu konträren Polen derKunstwelt. Wobei der neoklassische Bau,von Paul Ludwig Troost in München alsBollwerk gegen die internationalen Avant-garden errichtet, dann mit dem NS-Re-gime fällt und deswegen dort „Guernica“schlussendlich auch gezeigt werden kann.Solche Pointen liegen dem neuen Leiter,der vor kurzem 57 Millionen Euro vomLand Bayern für die Sanierung des Hauseszugesagt bekam.

Wenn alles so kommt wie geplant, wennauch der Westflügel und eine weitere Gale-rie mit ausstellungstauglicher Klima- undSicherheitstechnik ausgestattet sind, wirdsich die Ausstellungsfläche danach fast ver-doppelt haben. Womit, ein Dreivierteljahr-hundert nach Eröffnung, fest steht, dassim ehemaligen Haus der Deutschen Kunstauch weiterhin Kunst genutzt wird. Und Ok-wui Enwezor, in Nigeria geboren, ehemali-ger Documenta-Leiter, stellt eines klar: Dieersten acht Jahre dieses Haus sind nur daserste Kapitel in einer langen Geschichte.

Die grauen Vorhänge, mit der sein Vor-gänger Chris Dercon einst die renovierteEingangshalle so abteilte, dass pathetischeSichtachsen unterbrochen wurden, ließ En-wezor abnehmen. Jetzt sind die Achsen dersymmetrischen Architektur wieder sicht-bar, wie auch die wuchtige Ausgestaltung,die im Eingang über zwei Stockwerkereicht. Wer hier eintritt, fühlt sich klein. DieStirnseite, vor der Hitler seine Reden zurBedeutung der Kunst hielt, ist wieder sicht-bar – und sie sieht fast aus wie ein Altar.Der Künstler Christian Philipp Müller hatsie mit formgeschnittenen Buchsbäumenund einem Poster akzentuiert – einer Auf-nahme von einer Nachkriegsmodenschau.Müller verklammert zwei historische Mo-mente zu einem Bild der Hilflosigkeit: Ist esrichtig, heute hier immer noch die Kunst zufeiern? Oder Schönheit? Sogar Partys? DieGoldene Bar auf der Rückseite ist ein belieb-ter Treffpunkt.

„Das ist eine Frage, die sich jede Genera-tion – und jeder neu berufene Ausstellungs-macher – hier stellen muss“, sagt DetlefHoffmann, ein Kunsthistoriker, der in Ol-denburg lehrte und in München lebt. Er istals Berater im Denkmalschutz gefragt, vorallem bei den Hinterlassenschaften desDritten Reichs – einer Zeit, in der Architek-tur, vor allem öffentliches Bauen, Königs-disziplin der Kunst war, ein Rahmen, eineFassung für Propaganda, für Aufmärsche,Reden, Ausstellungen. Auch als ein Bild desRassenwahns: „Der Nationalsozialismusverkündet die Ewigkeit der Rasse . . . Die im-mer wieder betonte Unveränderlichkeitder Rasse soll sich in der Ewigkeit der Bau-werke abzeichnen“, erkennt Hoffmann.

Die Erkenntnis, dass man diese schonbei der Eröffnung in diffuser Weise ewigwirkenden Bauten, indem man sie erhältund aufwendig pflegt, in ihrer zentralenAussage bestätigt, ist ein Paradox. DerKunsthistoriker hält es im Übrigen für be-merkenswert, wie wenig Bauten ausgerech-net des Dritten Reichs von den Siegern zer-stört wurden, die zwar den Ehrentempelam Münchner Königsplatz sprengten, Zen-trum des Totenrituals der NSDAP – aberschon an den Parteibauten dort nur die Ho-heitszeichen abmontierten, damit sie alsMusikhochschule oder Universitätsinstitu-te weiter verwendet werden konnten.

Den Zwiespalt, mit dem die Gegenwartjetzt pathetische Portikus-Architekturen,travertinverkleidete Fassaden und weiteAufmarschfelder konserviert, bringt derDenkmalschutz auf die Formel „Unbeque-me Baudenkmale“ – wobei die von der Bun-desrepublik zu pflegenden Hinterlassen-schaften kontaminierter sind, als etwa diegar nicht unähnlichen faschistischen in Ita-lien. „Das Fundament der Bauten des deut-schen Nationalsozialismus ist eben immerder Massenmord“, sagt Detlef Hoffmann.

Wer mit dem Rücken zur Fassade vordem Haus der Kunst steht und auf dieStaatskanzlei blickt, erkennt, dass Traufhö-he, Steinverkleidung und Gesimse wie auf-einander abgestimmt wirken. „Die reprä-sentative Architektur des Nationalsozialis-mus müsste als Fremdkörper im Stadtbildstehen“, sagt Detlef Hoffmann. Die zeitge-mäße Nutzung sei dagegen kein Problem –solange sich jeder Nutzer immer wieder be-wusst macht, an welchem Ort er sich ein-richtet. „Ich erinnere mich beispielsweisean diesen Teppich, den Ai Weiwei hier aus-gerollt hat. Das Muster war eine exakte Ko-pie der Maserung der Steinplatten. Eine zu-tiefst irritierende Verdoppelung – unterder dieser Ewigkeitsanspruch für eine Zeiteinfach verschwand.“ CATRIN LORCH

VON WILLIBALD SAUERLÄNDER

Am 19. Juli 1937 herrschte in Süd-deutschland strahlendes Hochsom-merwetter. In der Kunststadt Mün-

chen wurde mit viel uniformierten Statis-ten zum ersten Mal der „Tag der deutschenKunst“ begangen. Hitler eröffnete das„Haus der deutschen Kunst“, dessen monu-mentale Säulenfront vom Münchner Volks-mund als die „Weißwurstgalerie“ bezeich-net wurde. Eines der ersten Gemälde, dasman im Inneren bewundern konnte, zeigteHitler als Ritter hoch zu Ross, den „Mann,welcher doch von jedem Pferd gefallen wä-re“, wie mir Paul Frankl, ein damals entlas-sener Kunstgeschichtsprofessor, der spä-ter nach Amerika flüchtete, aber als neugie-riger Jude den Mut gehabt hatte, die Aus-stellung im neuen Haus zu besuchen, amü-siert 1961 in Princeton erzählte. Ich war1937 13 Jahre alt, erinnere mich aber leb-haft an den Tag. Hitler hatte in seiner Eröff-nungsrede den Entwurf des ArchitektenAdolf Abel für einen neuen Glaspalast amBotanischen Garten als „ein Gebäude, dasebenso gut eine sächsische Zwirnfabrikwie die Markthalle einer mittleren Stadt,unter Umständen auch ein Bahnhof, eben-so gut allerdings auch ein Schwimmbadhätte sein können,“ verspottet. Er wollte ei-nen Monumentalbau als Bedeutungsträ-ger und bekam ihn ja auch von Paul LudwigTroost. Nun war Adolf Abel ein Freund mei-nes Vaters und der offenbar zutiefst er-schrockene Mann floh aus München undtraf gegen Abend bei uns in Oberschwabenein. Diese Anekdote ist nicht weiter von Be-lang. Aber damit sind wir eigentlich schonfast beim Thema der „Entarteten Kunst“,vor allem aber bei Hitlers Rede, in der sichein bräsiges Weihepathos mit paranoidenDrohungen mischte. „Kunst“, so hatte ersich schon auf dem Reichsparteitag 1933vernehmen lassen, „ist eine erhabene, zumFanatismus verpflichtende Mission.“

Hitlers Festansprache war lang und aus-schweifend. Noch auf den alten Fotogra-fien meint man zu sehen, wie die Größendes Regimes mit Göring und Goebbels ander Spitze ihm zwar devot ihr Ohr leihen,aber auch ersichtlich gequält in ihren Stüh-len hängen. Mit selbstgefälliger Eitelkeitspielte Hitler sich als der Verkünder einerneuen Ära auf, in welcher die deutscheKunst sich wieder zu völkischer Ewigkeiterheben werde. „Das nationalsozialisti-sche Deutschland aber will wieder eine,deutsche Kunst‘ und diese soll und wirdwie alle schöpferischen Werte eines Volkeseine ewige sein.“ Es ist hier nicht der Ort,darüber nachzusinnen, an welchen Abfäl-

len einer völkischen idealistischen Ästhe-tik sich der Diktator mit solchen Sätzen ver-schluckt hatte.

An einigen Stellen seiner öligen Redeschlägt der Ton in den blanken Hass auf dieKunst der „Systemzeit“ um. „Systemzeit“war für die Nazis bekanntlich das Schimpf-wort für die Weimarer Republik. Die messi-anische Verkündigung einer neuen natio-nalen Kunstblüte verbindet sich mit derDrohung von Ausmerzung und Vernich-tung. Es ist jener gehetzte Wortausstoß,wie man ihn aus Hitlers ideologischen, poli-tischen und rassistischen Reden kennt, dernun den weltanschaulichen Streit um diedeutsche Kunst aufheizt. Immer wurde esdann besonders schlimm, wenn Hitler vonseiner Entschlossenheit zu bellen begann.So schrie er am Tag der deutschen Kunst:„Ich will daher in dieser Stunde bekennen,dass es mein unabänderlicher Entschlussist, genau so wie auf dem Gebiet der politi-schen Verwirrung nunmehr auch hier mitden Phrasen im deutschen Kunstleben auf-zuräumen.“ „Aufräumen“, das war eineder Schreckensvokabeln des Vernichtungs-wahns der Nazis, der nun auch auf die Säu-berung der Kunst übertragen wurde. Abergegen Ende seiner Ansprache geht Hitlernoch einen Schritt weiter und droht: „Wirwerden von jetzt ab einen unerbittlichenSäuberungskrieg führen gegen die letztenElemente unserer Kulturzersetzung.“ Er er-öffnete einen Kunsttempel, aber dieseschauerliche Wort-Copula von Säuberungund Krieg lässt nicht an das Gedeihen derMusen denken, sondern an jene Ausrot-tungs-Aktionen, die er wenig mehr als zweiJahre später mit dem Überfall auf Polen ein-leitete und ebenfalls mit den Worten „Ichhabe mich daher nunmehr entschlossen“ankündigte.

Damit sind eigentlich die traumatischenAntriebe schon benannt, die in Münchenim Juli 1937 dazu führten, dass neben demneuen Elysium, „Haus der deutschenKunst“, eine höllische Gegenschau mitdem der Tier- und Rassenkunde entlehn-ten, infamen Titel „Entartete Kunst“ denVolksgenossen als bildliche Choque-Thera-pie offeriert wurde. Wir werden sehen: da-mit sind wir gar nicht weit von der medizini-schen Hygiene entfernt. Mit dem Blick aufexpressionistische Bilder schwadronierteHitler hämisch: „Ich will mich nun garnicht in einen Streit darüber einlassen, obdiese Betreffenden (also die verfemtenKünstler) das nun wirklich so sehen, son-

dern ich möchte im Namen des deutschenVolkes es nur verbieten, dass (sie) die Ergeb-nisse ihrer Fehlbetrachtungen der Mitweltals Kunst vorsetzen wollen.“ Mit diesemSatz hatte Hitler die Drohung der Zensurausgesprochen, die später durch Malverbo-te für „entartete“ Künstler exekutiert wur-de. Aber dann ging er noch einen Schrittweiter. Er sprach über die „Augenfehler“der entarteten Künstler und fuhr fort: „Eswäre zu untersuchen, ob diese etwa durchVererbung zustande gekommen sind.“„Das“, so folgerte er, „wäre dann wichtigfür das Reichsinnenministerium, das sichdann mit der Frage zu beschäftigen hätte,wenigstens eine weitere Vererbung derarti-ger grauenvoller Störungen zu unterbin-den.“ Aus diesen drohenden Worten hörtman Hitlers ganzen traumatischen Hassauf die Entarteten heraus. Er möchte dasvon den Nazis nicht allzu lange nach ihrerMachtübernahme erlassene Gesetz zur„Verhütung erkrankten Nachwuchses“ aufdie entarteten Künstler anwenden. Hierging es nicht mehr um einen platonischenStreit über ästhetische Fragen, sondernum die Übertragung der Rassenhygieneauf das Gebiet der bildenden Künste. Imgleichen Jahr erhielten die deutschenpsychiatrischen Anstalten erste statisti-sche Anfragen, deren Beantwortung dann1940 zur selektiven Grundlage für die Er-mordung der „unheilbar“ Kranken wurde.

Die Ausstellung „Entartete Kunst“, wel-che am 19. Juli, einen Tag später, eröffnetwurde, würdigte Hitler nur einer beiläufi-gen Erwähnung als „die Ausstellung derVerfallszeit, die wir ebenfalls dem Besuchder deutschen Volksgenossen öffnen undempfehlen“. „Sie wird“, so fügte er finsterhinzu, „für viele eine heilsame Lehre sein.“Seine Erfindung war sie nicht, und er hatsie am 16. Juli, während des Aufbaus, fürnicht mehr als zehn Minuten besucht. Die-se Denunziations-Schau war der Phantasiedes abtrünnigen Intellektuellen JosephGoebbels entsprungen, des in seiner gifti-gen Hetze gegen Kulturbolschewisten undJuden besonders lautmäuligen Propagan-daministers. Für ihn waren alle öffentli-chen Einrichtungen des geistigen Lebens,Presse, Rundfunk, Film und Wochen-schau, immer nur Instrumente der Propa-ganda. Warum dann nicht auch die Kunst-ausstellung, welche die Entartung an denPranger stellte? In seinem Rückblick vom14. 11. 1937 schrieb Carl Linfert in der Frank-furter Zeitung: „Dieses Unternehmen (hat-te) einen polemischen, verurteilendenZweck, der in der ganzen langen Zeit, in derman Kunst als ein höheres Sondergebietdes Lebens ansah, völlig ohne Beispiel und

unvergleichbar ist.“ Spitzer kann man esauch im freien Nachhinein nicht sagen.

Doch kommen wir zum Ablauf der Ereig-nisse im Juni/Juli 1937. Am 30. Juni, keinedrei Wochen vor der Eröffnung, notierteGoebbels: „Ich bespreche die von mir ge-plante Verfallskunst-Ausstellung. Habe Er-mächtigung, die diesbezüglichen Stücke inallen Museen zu beschlagnahmen.“ Daraufbereiste eine Kommission von parteinahen„Fachleuten“ in nur 14 Tagen die deut-schen Museen und wählte nach ihrem Gut-dünken „Entartete“ aus. Eine Speditionsorgte für den Versand nach München.Dort hatte der Gauleiter in den Räumen desMuseums für klassische Abgüsse an denHofgartenarkaden Platz machen lassen.Das war ganz nahe bei dem neuen Kunst-tempel. Die schäbige Bühne für den bösenSpuk war aufgebaut, Goebbels triumphier-te: „Das wird ein Schlag ins Kontor.“

Für den Aufbau der Schandschau stan-den zwischen dem Ende der Museumsbe-reisung um den 15. Juli und der Eröffnungam 19. Juli nur wenige Tage zur Verfügung.Noch am 18., als das Haus der deutschenKunst eröffnet wurde, notierte Goebbels:„Verfallsausstellung. Dort wird fleißig gear-beitet.“ Die „sachkundigen Männer", wel-che den Aufbau in ihre Hand nehmen, wa-ren wenig bekannte Maler, welche die Mo-derne hassten, wie der Präsident derReichskammer der bildenden KünsteAdolf Ziegler, der wegen seiner Aktfigurenalsbald als der „Maler des deutschenSchamhaares“ bekannt wurde, oder Wolf-gang Willrich, der Verfasser eines hasser-füllten Pamphlets über die „Säuberung desKunsttempels“ und noch andere, zum Bei-spiel ein österreichischer Jurastudent na-mens Pistauer, den offenbar der „studenti-sche Führungsdienst“ entsandt hatte. Siepferchten in die neun engen Räume am Hof-garten nicht weniger als 600 entartete Ob-jekte, ließen die Wände mit antibolschewis-tischen und antisemitischen Hasstiradenbeschmieren. Außer dem diffusen Schlag-wort „Entartung“ lag kein Konzept für dieAusstellung vor, kein Kriterium für die Aus-wahl der Objekte. Zwischen den „sachkun-digen Männern“ kam es zu gegenseitigenBeschimpfungen. Bilder wurden aufge-hängt und dann wieder als offenbar nichtgenügend „entartet“ entfernt. Am Endeglich das Ergebnis mehr einer Geisterbahn-fahrt als einer Kunstausstellung.

So hat es auch nie einen Katalog gege-ben, sondern nur einen irrwischhaften„Führer durch die Ausstellung“, dessenwüste Beschimpfungen an den Ton vonStreichers Stürmer erinnerten, wenn es et-wa hieß: „Das moralische Programm desBolschewismus schreit in dieser Abteilungvon allen Wänden“, oder auf der gegenüber-liegenden Seite: „Die Dirne wird zum sittli-chen Ideal erhoben“. Die Inschriften anden Wänden schrien „Unter der Herrschaftdes Zentrums freche Verhöhnung des Gott-erlebens“ und wiesen auf Bilder von Beck-mann und Nolde mit christlichen Themenhin, oder „Offenbarung der jüdischen Ras-senseele“, für die als erschreckendes Bei-spiel Chagalls „Rabbiner“ gezeigt wurde.An Werken des besonders verhassten OttoDix wurde die „Verhöhnung des deutschenFrauenideals: Kretin und Hure“ und die„bewusste Wehrsabotage“ durch die „Be-schimpfung der deutschen Helden desWeltkriegs“ denunziert. Wo die Physiogno-mie der entarteten Bilder sich nicht mehrabbildhaft auf die Zersetzung der Volksge-sundheit und der staatstragenden Moralbeziehen ließ, wie bei den abstrakten Kom-positionen Kandinskys, half man sich mitdem lärmenden Aufschrei „Verrückt um je-den Preis“ und suggerierte die Verbindungzur Geisteskrankheit.

Auf Seite 2 des genannten Führers wirdgefragt: „Was will die Ausstellung ,Entarte-te Kunst‘?“ und geantwortet: „Sie will diegemeinsame Wurzel der politischen undder kulturellen Anarchie aufzeigen, dieKunstentartung als Kunstbolschewismusim ganzen Sinne des Wortes entlarven.“Die totalitäre Diktatur, welche die ganze Na-tion in eine straff organisierte Marschko-lonne zwingen wollte – das war die „Klar-heit“, von der Hitler schwärmte –, verfem-te eine Kunst, welche die Brüche und Unsi-cherheiten in der modernen, offenen Ge-sellschaft zu ihrem sensiblen Thema ge-macht hatte. So wie die französische Rech-te schon während des Ersten Weltkriegesgegen den ebenfalls als jüdisch diffamier-ten Kubismus den „Retour à l’Ordre“ einge-fordert hatte, nur viel radikaler verlangtendie Nazis die Einreihung der Kunst in die na-tionale Marschkolonne. Aber abseits vonden Aufmärschen und Kunstfesten unter-hielten sie die Lager, die Mord- und Folter-stätten, in denen das Leiden und Grauennicht mehr wie in der modernen Kunst zueinem Spiegel der sensiblen Empfindunggemacht wurde, sondern krude exekutiert.In dieser Perspektive erscheint die Ausstel-lung „Entartete Kunst“ wie die Ausgeburtder Angst des Regimes vor der Aufdeckungseiner eigenen verbrecherischen Fratze.

75 Jahre Haus der Kunst München: Wie die Hochburg der NS-Kultur zur Heimat für die Avantgarde wurde

„Das wird ein Schlag ins Kontor“Münchner Kunst-Sommer 1937. Adolf Hitler eröffnet das neue Haus der deutschen Kunst und propagiert diese als erhabene, fanatische Mission.

Sein Propagandaminister Joseph Goebbels lässt in aller Hast die berüchtigte Ausstellung „Entartete Kunst“ zusammenstümpern

Die Künstlerfaschingsfeste triebenden Nazigeist auf ihre Weise aus

Kunst amunbequemen Ort

Das Haus der Kunst zwischenKontinuität und Kontamination

Die Ewigkeit der Rasse sollteim Dritten Reich sich abzeichnenin der Ewigkeit der Bauwerke

Am Ende glich die Ausstellung„Entartete Kunst“ ehereiner Geisterbahnfahrt

„Augenfehler“ attestierte Hitlerden entarteten Künstlern

FEUILLETON12 HBG Mittwoch, 18. Juli 2012, Nr. 164 DEFGH

VerwandlungsglückDas Haus der Kunst reflektiert seine Geschichte intelligent

Umzug zum Tag der deutschen Kunst vor dem Haus der Deutschen Kunst, 1939. FOTO: SZ PHOTO/VLADIMIR EFIMOV

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