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Aus dem Inhalt Akzente Hoffnung auf Vernunft im Steuerrecht? (RAuN Dr. Bernhard Dombek) 201 Aufsätze Bericht und erste Erfahrungen mit der neuen Revision in Zivilsachen (RA Dr. Hermann Büttner) 202 Rechtsanwälte als Richter aus der Sicht der Wissenschaft (Prof. Dr. Hanns Prütting) 210 Unabhängigkeit der Richter aus der Sicht der Wissenschaft (Prof. Dr. Rolf Stürner) 214 Pflichten und Haftung des Anwalts Das aktuelle Urteil (RAin Antje Jungk) Beratungspflichten nach Abschluss der Instanz (BGH v. 10.7.2003) 222 Verkehrs- und Prozessanwalt 225 Untervollmacht 225 Amtliche Bekanntmachung Geldwäschebekämpfungsgesetz (GwG): Anordnung der Bundesrechtsanwaltskammer nach § 14 Abs. 4 Satz 2 GwG 229 Berufsrechtliche Rechtsprechung Widerstreitende Interessen – zur Verfassungswidrigkeit des § 3 Abs. 2 BORA (mit Anm. RA Dr. Christian Kirchberg und RA Hansjörg Staehle) (BVerfG v. 3.7.2003) 231 Anwaltliche Werbung – zur Verwendung einer Phantasiebezeichnung durch eine Rechtsanwalts-AG (OLG Nürnberg v. 10.6.2003) 240 Unzulässige Ordnungshaft gegen einen Strafverteidiger (OLG Hamm v. 6.6.2003) 241 BRAKMagazin Bewegung bei Anwaltsgebühren Franchise: Rechtsrat von der Stange 5/2003 15. 10. 2003 34. Jahrgang BRAK Mitteilungen Herausgeber BUNDESRECHTSANWALTSKAMMER Beirat RAuN Dr. Eberhard Haas, Bremen RA Dr. Christian Kirchberg, Karlsruhe RA Heinz Weil, Paris

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Aus dem Inhalt

AkzenteHoffnung auf Vernunft im Steuerrecht? (RAuN Dr. Bernhard Dombek) 201

AufsätzeBericht und erste Erfahrungen mit der neuen Revision in Zivilsachen(RA Dr. Hermann Büttner) 202

Rechtsanwälte als Richter aus der Sicht der Wissenschaft(Prof. Dr. Hanns Prütting) 210

Unabhängigkeit der Richter aus der Sicht der Wissenschaft(Prof. Dr. Rolf Stürner) 214

Pflichten und Haftung des AnwaltsDas aktuelle Urteil (RAin Antje Jungk)Beratungspflichten nach Abschluss der Instanz (BGH v. 10.7.2003) 222

Verkehrs- und Prozessanwalt 225

Untervollmacht 225

Amtliche BekanntmachungGeldwäschebekämpfungsgesetz (GwG): Anordnung derBundesrechtsanwaltskammer nach § 14 Abs. 4 Satz 2 GwG 229

Berufsrechtliche RechtsprechungWiderstreitende Interessen – zur Verfassungswidrigkeit des § 3 Abs. 2 BORA(mit Anm. RA Dr. Christian Kirchberg und RA Hansjörg Staehle)(BVerfG v. 3.7.2003) 231

Anwaltliche Werbung – zur Verwendung einer Phantasiebezeichnungdurch eine Rechtsanwalts-AG (OLG Nürnberg v. 10.6.2003) 240

Unzulässige Ordnungshaft gegen einen Strafverteidiger(OLG Hamm v. 6.6.2003) 241

BRAKMagazinBewegung bei AnwaltsgebührenFranchise: Rechtsrat von der Stange

5/200315. 10. 2003 34. Jahrgang BRAK

MitteilungenHerausgeberB U N D E S R E C H T S A N W A L T S K A M M E R

Beirat

RAuN Dr. Eberhard Haas, BremenRA Dr. Christian Kirchberg, KarlsruheRA Heinz Weil, Paris

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Akzente

Hoffnung auf Vernunft im Steuerrecht? (B. Dombek) . . . . 201

Aufsätze

Bericht und erste Erfahrungen mit der neuen Revisionin Zivilsachen (H. Büttner) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202

Rechtsanwälte als Richter aus der Sicht der Wissenschaft (H. Prütting) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210

Unabhängigkeit der Richter aus der Sicht der Wissen-schaft (R. Stürner) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214

Die Umsatzsteuer in den Rechnungen der Rechtsanwälteund Notare (J. Scharnhoop) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220

Pflichten und Haftung des Anwalts

Überblick (B. Chap)

Neues zur Berufungsbegründungsfrist bei PKH . . . . . . . . 221

Das aktuelle Urteil (A. Jungk)

Beratungspflichten nach Abschluss der Instanz (BGH v. 10.7.2003 — IX ZR 5/00) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222

Rechtsprechungsleitsätze (B. Chap/H. Grams/A. Jungk)

Haftung

Verjährung von Regressansprüchen gegen Anwälte(Schleswig-Holsteinisches OLG v. 2.3.2000 –11 U 119/98) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223

Verantwortung des Anwalts für unwahren Tatsachenvortrag(BVerfG v. 16.7.2003 – 1 BvR 801/03) . . . . . . . . . . . . . . . 223

Zurechnung von Anwaltsverschulden(OLG Köln v. 4.6.2003 – 26 WF 121/03) . . . . . . . . . . . . . 223

Fristen

Überprüfung des Schriftsatzinhalts (BGH v. 14.5.2003 – XII ZB 154/02) . . . . . . . . . . . . . . . . 224

Postausgangskontrolle und Überprüfungdes Fristenkalenders (BGH v. 22.5.2003 – I ZB 32/02)(BGH v. 23.7.2003 – XII ZB 75/03) . . . . . . . . . . . . . . . . . 224

Berufungsbegründungsfrist nach PKH-Antrag(BGH v. 9.7.2003 – XII ZB 147/02) . . . . . . . . . . . . . . . . . 225

Zusammenschluss von Anwälten (H. Grams)

Verkehrs- und Prozessanwalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225

Untervollmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225

Aus der Arbeit der BRAK

Statistik Jurastudenten, Prüfungen, Rechtsanwälte . . . . . . 225

Presseerklärungen/Stellungnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . 228

Amtliche Bekanntmachung

Geldwäschebekämpfungsgesetz (GwG): Anordnungder Bundesrechtsanwaltskammer nach § 14 Abs. 4Satz 2 GwG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229

Personalien

Personalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230

5/2003Inhalt

BRAKMitteilungen

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IV Inhalt BRAK-Mitt. 5/2003

Berufsrechtliche Rechtsprechung

Bundesverfassungsgericht2

BVerfG 3.7.2003 1 BvR 238/01 Widerstreitende Interessen – zur Verfassungswidrigkeit des § 3 Abs. 2BORA (mit Anm. Ch. Kirchberg; mit Anm. H. Staehle) 231

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung2

Niedersächsischer 5.6.2003 AGH 27/02 Zulassungswiderruf – zur Verfassungsgemäßheit des § 14 Abs. 2 Ziff. 2AGH BRAO (LS) 239

Niedersächsischer 3.2.2003 AGH 15/02 Anwaltliche Werbung – zur Briefkopfgestaltung („... & Coll.“) (LS) 239AGH

Weitere berufsrechtliche Rechtsprechung2

BGH 14.7.2003 NotZ 2/03 Syndikusanwalt – zur Berücksichtigung der Beschäftigung als Syndikusbei der Bewerbung um ein Notaramt (LS) 239

OLG Nürnberg 10.6.2003 3 U 588/03 (n.r.) Anwaltliche Werbung – zur Verwendung einer Phantasiebezeichnungdurch eine Rechtsanwalts-AG 240

OLG Hamm 6.6.2003 2 Ws 122/03 Unzulässige Ordnungshaft gegen einen Strafverteidiger 241

OLG Frankfurt a.M. 13.5.2003 3 Ws 292/03 Kontrolle von Verteidigerpost (LS) 244

AG Bonn 13.5.2003 14 C 3/03 Unaufgeforderte E-Mail-Werbung gegenüber Rechtsanwaltskanzleien (LS) 244

OLG Hamm 27.3.2003 4 Ws 94/03 Vergütung für die Tätigkeit eines Assessors (LS) 244

OLG Hamm 18.2.2003 4 Ws 75/03 Postkontrolle eines von einem Rechtsanwalt an einen Untersuchungs-gefangenen gerichteten Briefes (LS) 244

OLG München 19.12.2002 29 U 3722/02 Anwaltliche Werbung – Angabe einer fachlichen Spezialisierung (LS) 244

KG 5.11.2002 13 U 31/02 Erfolgshonorar – Nichtigkeit eines Prozessfinanzierungsvertrages (LS) 244

BRAK-MITTEILUNGENInformationen zu Berufsrecht und BerufspolitikHERAUSGEBER: Bundesrechtsanwaltskammer (Littenstr. 9, 10179 Berlin,Tel. 0 30/ 28 49 39-0, Telefax 0 30/28 49 39-11).E-Mail: [email protected], Internet: http://www.brak.de.Schriftleitung: Rechtsanwalt Stephan Göcken (Geschäftsführer der BRAK)Redaktion: Rechtsanwalt Frank Johnigk, Rechtsanwältin Dr. Heike Lörcher(beide Geschäftsführer der BRAK), Rechtsanwalt Christian Dahns, Berlin(Rubrik: Rechtsprechung)VERLAG: Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Unter den Ulmen 96–98, 50968Köln (Marienburg), Tel. (02 21) 9 37 38-01; Telefax 02 21/ 9 37 38-9 21.E-Mail: [email protected]: Stadtsparkasse Köln (BLZ 37050198) 30602155; Postgiroamt Köln(BLZ 37010050) 53950-508.ERSCHEINUNGSWEISE: Zweimonatlich jeweils zum 15. 2., 15. 4., 15. 6.,15. 8., 15. 10., 15. 12.BEZUGSPREISE: Den Mitgliedern der Rechtsanwaltskammern werden dieBRAK-Mitteilungen im Rahmen der Mitgliedschaft ohne Erhebung einer be-sonderen Bezugsgebühr zugestellt. Jahresabonnement 72 € (zzgl. Zustellge-bühr); Einzelheft 18 € (zzgl. Versandkosten). In diesen Preisen ist die Mehr-wertsteuer mit 6,54% (Steuersatz 7%) enthalten.

ANZEIGEN: an den Verlag.

Anzeigenleitung: Renate Becker (verantwortlich).

Gültig ist Preisliste Nr. 18 vom 1. 1. 2003

DRUCKAUFLAGE dieser Ausgabe: Exemplare (Verlagsausgabe).

DRUCK: Westholsteinische Verlagsdruckerei Boyens & Co., Heide/Holstein.Hergestellt auf chlorfrei gebleichtem Papier.

URHEBER- UND VERLAGSRECHTE: Die in dieser Zeitschrift veröffentlich-ten Beiträge sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbesondere dasder Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieser Zeit-schrift darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeinerForm durch Fotokopie, Mikrofilm oder andere Verfahren reproduziert oderin eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsanlagen ver-wendbare Sprache übertragen werden. Das gilt auch für die veröffentlich-ten Entscheidungen und deren Leitsätze, wenn und soweit sie von derSchriftleitung bearbeitet sind. Fotokopien für den persönlichen und sonsti-gen eigenen Gebrauch dürfen nur von einzelnen Beiträgen oder Teilen dar-aus als Einzelkopien hergestellt werden.

IVW-Druckauflage . Quartal 2003: Exemplare.

ISSN 0722-6934

BUNDESRECHTSANWALTSKAMMER

Berufliche Vertretung aller Rechtsanwälte in der Bundesrepublik Deutsch-land; 28 Mitgliedskammern (27 regionale Rechtsanwaltskammern undRechtsanwaltskammer beim Bundesgerichtshof). Körperschaft des öffent-lichen Rechts. Die Rechtsanwaltskammern und die Bundesrechtsanwalts-kammer als Dachorganisation sind die Selbstverwaltungsorgane der An-waltschaft.

GESETZLICHE GRUNDLAGE: Bundesrechtsanwaltsordnung vom 1. August1959, BGBl. I S. 565, in der Fassung vom 2. 9. 1994, BGBl. I S. 2278.

ORGANE: Hauptversammlung bestehend aus den 28 gewählten Präsiden-ten der Rechtsanwaltskammern; Präsidium, gewählt aus der Mitte derHauptversammlung; Präsident: Rechtsanwalt und Notar Dr. Bernhard Dom-bek, Berlin. Vorbereitung der Organentscheidungen durch Fachausschüsse.AUFGABEN: Befassung mit allen Angelegenheiten, die für die Anwaltschaftvon allgemeiner Bedeutung sind; Vertretung der Anwaltschaft gegenüberGesetzgeber, Gerichten, Behörden; Förderung der Fortbildung; Berufs-recht; Satzungsversammlung; Koordinierung der Tätigkeit der Rechtsan-waltskammern, z. B. Zulassungswesen, Berufsaufsicht, Juristenausbildung(Mitwirkung), Ausbildungswesen, Gutachtenerstattung, Mitwirkung in derBerufsgerichtsbarkeit.

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BRAK-Mitt. 5/2003 Aktuelle Hinweise V

(Fortsetzung Seite VI)

Buchbesprechungen

Heiko Morisse, Jüdische Rechtsanwältein Hamburg – Ausgrenzung und Verfol-gung im NS-Staat, Band XXVI der Ham-burger Beiträge zur Geschichte derdeutschen Juden, Christians VerlagHamburg, 2003, 192 S., 22,00 Euro,ISBN 3-7672-1418-0

Das Verfolgungsschicksal Hamburger jü-discher Rechtsanwälte wurde bisher nurim Rahmen von Einzelbiographien oderallenfalls indirekt in allgemeinen Darstel-lungen behandelt.

In einem dokumentarischen Teil schildertMorisse den historischen Ablauf und die(Un-)Rechtsgrundlagen der Verdrängungder Hamburger Rechtsanwälte jüdischerHerkunft aus ihrem Beruf durch Rück-nahme der Zulassung und Ausschluss ausden anwaltlichen Standesorganisationenund Vereinen. Er bezieht dabei auch dieRechtsanwälte ein, die in den früherenpreußischen, im Jahre 1938 nach Ham-burg eingemeindeten Städten Altona,Harburg-Wilhelmsburg und Wandsbektätig waren. So zählte zu den früherenAltonaer Rechtsanwälten auch Dr. Ru-dolf Katz, der nach der Rückkehr aus derEmigration Vizepräsident des BVerfGwurde. Schließlich geht er auch auf dieHamburger Referendare jüdischer Her-kunft ein, denen der Weg zu dem ange-strebten Anwaltsberuf durch Entlassungaus dem juristischen Vorbereitungsdienstverstellt worden war.

Nur sehr wenige jüdische Rechtsanwältedurften, wie Morisse ebenfalls eingehenddarlegt, nach einem besonderen, am an-geblichen Bedarf ausgerichteten Zulas-sungsverfahren unter der aufgezwunge-nen, bewusst herabwürdigenden Berufs-bezeichnung „Konsulent“ ausschließlichjüdische Mandanten anwaltlich beratenund vor Gerichten und Behörden vertre-ten. Zu ihnen zählte der frühere Rechts-anwalt Dr. Walter Schüler, dessenSchicksal besonders bewegt: In gewis-sem Umfang durch eine – nach damali-ger Terminologie – „privilegierte Misch-ehe“ geschützt, wurde er nach einer De-nunziation in ein KZ verschleppt undkam dort um.

Morisse verfolgt auch die Wege derer, diediesem Schicksal durch rechtzeitige Emi-gration entkommen konnten und zeich-net anschließend in einem biographi-schen Teil Werdegang und Lebensweg je-des betroffenen Rechtsanwalts nach.Trotz aller ersichtlich mühevoll und auf-wändig recherchierten biographischenEinzelheiten ist hier oft nur zu ahnen, inwelchem Ausmaß die Verfolgungsmaß-nahmen Lebenspläne zerstört oder zu-mindest stark verändert und beeinträch-tigt haben.

Eine Vielzahl abgedruckter Dokumentebelegt und veranschaulicht die Darstel-lung, deren Wert außerordentlich hocheinzuschätzen ist.

Dr. Peter Dahns, Hamburg

Jetzt beschreibt Heiko Morisse, Richteram Hanseatischen OberlandesgerichtHamburg und als Kenner der Materieausgewiesen durch seine frühere Veröf-fentlichung über „Rechtsanwälte im Na-tionalsozialismus – Zur Funktion der Eh-rengerichtsbarkeit“, erstmals umfassenddie Schicksale der jüdischen Rechtsan-wälte in Hamburg nach 1933. Das Buchwurde von Stefanie Schüler-Springorumund Ina Lorenz im Institut für die Ge-schichte der deutschen Juden herausge-geben und ist mit Unterstützung derHanseatischen RAK Hamburg erschie-nen.

Aktuelle Hinweise

Hülfskasse Kl. Johannisstraße 6/VDeutscher Rechtsanwälte 20457 Hamburg

Telefon (0 40) 36 50 79Telefax (0 40) 37 46 45

E-Mail: [email protected]

AUFRUF ZUR WEIHNACHTSSPENDE 2003

Sehr geehrte Frau Kollegin,sehr geehrter Herr Kollege,

aufgrund Ihrer Großzügigkeit verlief die Spendenaktion 2002 sehr erfolgreich undwir möchten Ihnen hierfür nochmals herzlich danken.

Sie haben es ermöglicht, dass die Hülfskasse Deutscher Rechtsanwälte an 341 inNot geratene Kolleginnen, Kollegen oder deren Familien aus 26 Kammerbezirkenbundesweit 175.338,30 Euro auszahlen konnte. Zusätzlich wurden 87 minder-jährigen bzw. in Ausbildung befindlichen Kindern Buchgutscheine im Wert voninsgesamt 1.566,00 Euro übersandt.

Besonders in der gerade jetzt für alle wirtschaftlich schwierigen Zeit hoffen undwarten viele Bedürftige auf diesen einzigartigen Solidaritätsbeweis der DeutschenAnwaltschaft.

Jede Spende ist steuerabzugsfähig. Wenn Sie einen Betrag für einen wirklich gutenZweck zur Verfügung stellen wollen, überweisen Sie ihn bitte auf eines der untenangegebenen Konten. Geben Sie Ihre Anschrift bitte deutlich und vollständig an,eine Zuwendungsbestätigung wird Ihnen unverzüglich ausgestellt werden.

Zu Ihrer Information. Die Weihnachtsspendenaktion der Hülfskasse DeutscherRechtsanwälte wird seit 1948 durchgeführt.

Abschließend noch eine Bitte: Sollte Ihnen im Kollegenkreis ein Notfall bekanntsein, informieren Sie uns. Wir helfen gern!

Mit kollegialen Grüßenund herzlichem Dank für Ihre Hilfe

Hülfskasse Deutscher Rechtsanwälte– Dr. Willenbruch –

Vorstandsvorsitzender

Konten: Deutsche Bank Hamburg 0309906 (BLZ 200 700 00) – Postbank Ham-burg 474 03-203 (BLZ 200 100 20)

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VI Aktuelle Hinweise BRAK-Mitt. 5/2003

Veranstaltungshinweise

Fränkisch-TschechischerJuristentag 2003

Am 17./18. Oktober 2003 veranstaltendie RAK Bamberg und die TschechischeRechtsanwaltskammer den Fränkisch-Tschechischen Juristentag im Ost-West-Kompetenzzentrum, Marktredwitz. Mit-veranstalter sind die Euregio EgrensisArbeitsgemeinschaft Bayern e.V., dieDeutsch-Tschechische Juristenvereini-gung e.V. und die Projektförderung durchdie Europäische Union. Themen sindu.a.: Rechtliche Rahmenbedingungen fürausländische Unternehmungen in derTschechischen Republik, Vertragsrechtunter besonderer Berücksichtigung desKaufvertrages, Werkvertrags- und Ge-währleistungsrecht, Gerichtsaufbau inDeutschland und der Tschechischen Re-publik, Gesellschaftsrecht, insbesondereGründung von Gesellschaften und Han-delsregister, Grundbuch und Handels-register, Zwangsvollstreckung von Forde-rungen.

Zu den oben aufgeführten einzelnenThemen ist jeweils ein ca. 20-minütigesReferat über das deutsche und das tsche-chische Recht vorgesehen. Anschließendsteht Diskussionszeit zur Verfügung. DieVeranstaltung wird simultan in die je-weils andere Sprache übersetzt.

Der Kostenbeitrag beträgt für deutscheTeilnehmer 50 Euro und umfasst Veran-staltungsgebühr, evtl. Unterlagen, Pau-sengetränke und Imbiss sowie Empfangund Abendessen. Von tschechischenTeilnehmern wird kein Kostenbeitragverlangt.

Weitere Informationen: RAK Bamberg,Friedrichstr. 7, 96047 Bamberg,Tel.: 09 51/98 62 00,Fax: 09 51/20 35 03,E-Mail: [email protected].

Jahrestagung der Deutsch-Portugiesischen Juristenver-einigung im Oktober 2003

Mit dem komplexenThema Neue Rechts-entwicklungen in Deutschland und Por-tugal befasst sich die Tagung, die am17. und 18. Oktober in Ludwigsburg/Stuttgart stattfinden wird. Neben einemqualifizierten Fachprogramm ist auch einattraktives Rahmenprogramm organisiert.

Auskünfte und Informationen:Frau RAin Dr. Daniela Kreidler-Pleus,

Bahnhofstr. 29, 71638 Ludwigsburg,Tel. 0 71 41/92 00 05,Fax: 0 71 41/90 29 00,E-Mail: [email protected].

Institut für Anwaltsrecht ander Humboldt-Universität

zu BerlinWintersemester 2003/2004Anwaltliches Berufsrecht

Das Anwaltsinstitut veranstaltet für Stu-denten, Referendare und (junge) Prakti-ker eine Einführung in das Anwaltsrecht.

Themen sind unter anderem:

• Mandatsvertrag. Pflichtverteidigung.Interessenkollision

• Mandatsführung. Handakte. Fristen-kontrolle. Fremdgelder

• Verschwiegenheit. Datenschutz

• Haftung. Versicherung. Anwaltsge-richtsbarkeit

• Honorar. BRAGO

• Werbung. Briefbogen

• Kanzleiorganisation. Sozietät. Anwalt-liches Gesellschaftsrecht

• Organisation der Anwaltschaft. Zulas-sung. Kammern. DAV

• Berufsrecht für Notare, Schiedsrichter,Mediatoren (Überblick)

Die Veranstaltung findet während desWintersemesters 2003/2004 ab dem27.10.2003 montags von 18 bis 20 Uhrin Raum E.44/46, Juristische Fakultät derHU, Bebelplatz 1, statt.

Die Teilnahme ist auch für Nicht-Studen-ten kostenlos. Eine Anmeldung ist nichterforderlich.

Weitere Informationen:Institut für Anwaltsrecht an derHumboldt-Universität zu Berlin,Unter den Linden 11, Raum E.09,Tel.: 0 30/20 93-35 78,E-Mail: [email protected]

Institut für Anwaltsrecht,München

Im Wintersemester 2003/2004 bietet dasInstitut für Anwaltsrecht an der Univer-sität München Vortragsveranstaltungenzu den folgenden Themen an:

Ringvorlesung „Anwaltliche Berufs-felder“

jeweils Donnerstags, 18.00 Uhr – Haupt-gebäude der LMU München – HS 219

• 6.11.2003: „Insolvenzrecht – Der An-walt als Insolvenzverwalter“,RA Dr. Jobst Wellnsiek, Heidelberg

• 13.11.2003: „Mergers & Acquisitions– Unternehmenszusammenschluss,Unternehmenskauf und -verkauf ausanwaltlicher Sicht“,RA Dr. Matthias Heisse, München

• 20.11.2003: „Der Fachanwalt fürSteuerrecht“,RA Dr. Klaus Bauer, München

• 27.11.2003: „Öffentliches Recht ab-seits der ausgetretenen Pfade“,RA Andreas Meisterernst, München

• 4.12.2003: „Der Rechtsanwalt in Zu-sammenarbeit mit der Rechtsschutz-versicherung“,RA Helmut Plote, München

• 15.1.2004: „Strafverteidigung in derPraxis“, RA Dr. Robert Jofer, München

• 22.1.2004: „Gewerblicher Rechts-schutz“,RA Prof. Dr. Reinhard Ingerl, München

• 29.1.2004: „Internetrecht in der an-waltlichen Praxis“,RA Markus Schließ, Stuttgart

• 5.2.2004: „Aus dem Alltag eines Fach-anwalts für Arbeitsrecht“,RA Dr. Fritz Kempter, München

Anmeldung nicht erforderlich, keineTeil-nehmergebühr.

Informations- und Ausspracheveranstal-tung

„Erfolg oder Misserfolg der Zivilprozess-reform“

Referenten: Vors. RiOLG Dr. Reiner Hü-stege (OLG München), Vors. RiLG StefanBischoff (LG München I), RA Dr. Jürgen F.Ernst (ehem. Präsident RAK München),RA Dr. Detlef Haas (RAe Lovells Boese-beck Droste)

Moderation: Prof. Dr. Peter F. Schlosser

Ort und Zeit: 6.11.2003, 17.00 bis 20.00Uhr, im Hörsaal 147, Hauptgebäude derUniversität, Geschwister-Scholl-Platz 1

Zielgruppe: RAe; Anmeldung erforder-lich im Institut; Teilnehmergebühr: 50Euro.

Sonderveranstaltungen

– „Modernes Kanzleimanagement –Kanzlei der Zukunft“

Referentin: QMB/TÜV Kauffr. GiselaBrück

Ort und Zeit: 18.11.2003, 17.00 bis20.00 Uhr, im Institut

Zielgruppe: Referendare, RAe; Anmel-dung erwünscht; Teilnehmergebühr: 10Euro

– „Der Jurist und die EDV“

Referenten: RAin Kirsten Schulz, ThomasRiehm (Wiss. Mitarb. am Lehrst. Prof.Canaris)

(Fortsetzung von Seite V)

(Fortsetzung Seite VIII)

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VIII Aktuelle Hinweise BRAK-Mitt. 5/2003

Ort und Zeit: 13.1.2004, 17.00 bis 19.00Uhr, CIP-Pool, Raum E 49, JuristischesSeminargebäude

Anmeldung erwünscht; Teilnehmerge-bühr: Referendare und Studenten kosten-los, RAe: 25 Euro

– „Die entscheidenden Regeln für Auf-stieg und Karriere, auch für Rechtsan-wälte?!“

in Zusammenarbeit mit COM Internatio-nal, Grünwald

Referent: Mathias H. Markert

Ort und Zeit: 21.1.2004, 19.00 bis 21.00Uhr, im Institut

Zielgruppe: Referendare, Studenten; An-meldung erwünscht; Teilnehmergebühr:5 Euro

Lehrveranstaltung

„Typische Anwaltsfehler auf dem Gebietdes Wirtschaftsrechts“

Referenten: Prof. Dr. Robert Schweizer,RA Stefan Söder

Ort und Zeit: 24.1.2004, 10.00 bis 13.00Uhr, im Institut

Zielgruppe: Studenten, Referendare,RAe; Anmeldung erwünscht; Teilneh-mergebühr: Studenten und Referendarekostenlos, RAe: 25 Euro

Spezialveranstaltung

„Rhetorik und Kommunikation für Ju-risten“

Seminarleiter: Matthias H. Markert (Con-sultant für COM International)

Ort und Zeit: 31.1. und 7.2.2004, 9.00bis 17.00 Uhr, im Institut

Zielgruppe: Referendare, Studenten; An-meldung erforderlich; Teilnehmerge-bühr: 130 Euro

Vortrags- und Diskussionsreihe

in Zusammenarbeit mit der InitiativeBayerischer Strafverteidigerinnen undStrafverteidiger e.V.

„Aktuelle Probleme des Strafrechts undStrafverfahrensrecht in der Anwaltspra-xis – XIV“

jeweils Dienstag, 18 Uhr, Bibliothek desInstituts für Rechtsphilosophie, Lud-wigstr. 29/1. Stock

Leitung und Koreferate: Prof. Dr. BerndSchünemann

• 6.11.2003: „Wie gläsern ist derMensch? Zum Stand der Entwicklungder DNA-Analyse“, N.N.

• 16.12.2003: „Der Strafprozess imGriff clandestiner Ermittlungsmetho-den: Die Verteidigersicht“, RA Dr.Kai Wagler

• 13.1.2004: „Die Europäisierung desStrafprozesses – Auswirkungen derEU-Verfassungen“, RA WolfgangBendler

• 10.2.2004: „Der junge Strafverteidi-ger II“, RA Thomas Pfister

Nähere Informationen:Institut für Anwaltsrecht,Ainmillerstr. 11,80801 München,Tel.: 0 89/34 02 94-76,Fax: 0 89/ 34 02 94-78,E-Mail: [email protected],Internet: http://www.anwaltsrecht.de.

Bielefelder Anwaltskurse

Das Institut für Anwalts- und Notarrechtder Universität Bielefeld führt seine Vor-tragsreihe der Bielefelder Anwaltskursefort. In diesem Rahmen werden folgendeVeranstaltungen zur Anwaltsfortbildungangeboten:

- Praxis des neuen Kauf-und Vertriebsrechts 150 EuroSamstag, 15.11.2003,10.00–15.00 UhrProf. Dr. Hans Schulte-Nölke

- Scheidungsmediation 140 EuroFreitag, 28.11.2003,14.00–18.30 UhrProf. Dr. Barbara Stickelbrock

- Fortbildung im Wirtschafts-strafrecht mit SchwerpunktKorruption 140 EuroFreitag, 5.12.2003,14.00–18.00 UhrProf. Dr. Britta Bannenberg

- InternationalesFamilienrecht 150 EuroSamstag, 28.2.2004,10.00–15.00 UhrProf. Dr. Ansgar Staudinger

Nähere Informationen einschließlich ei-nes Anmeldeformulars erhalten Sie beimInstitut für Anwalts- und Notarrecht derUniversität Bielefeld,Postfach 10 01 31, 33501 Bielefeld,Tel.: 05 21/1 06-39 23 oder -39 24,Fax: 05 21/1 06-80 97 oder im Internetunter www.anwaltskurse.de.

Rechtssysteme imAustausch – Juristen Israels,

Polens und Deutschlandsim Dialog

Der Stärkung des Dialogs zwischen isra-elischen, polnischen und deutschen Ju-risten soll eine Veranstaltungsserie aufInitiative der Deutsch-Polnischen Juris-

tenvereinigung, Berlin, und der Polnisch-Deutschen Juristenvereinigung, War-schau, dienen. Die Veranstaltungen fin-den jeweils statt unter dem Motto

• „Menschenrechte als Prüfungsmaß-stab für Gesetzgebung und Recht-sprechung“ – Berlin, 19. bis 22.11.2003

• „Rechtsvergleichende Betrachtungenzu ausgewählten Fragen des Wirt-schaftsrechts der Länder Israel, Polenund Deutschland“ – Warschau, 19. bis23.5.2004

• „Ausbildung und Berufsausübung derJuristen in Israel, Polen und Deutsch-land, nationale und internationale Be-trachtungen“ – Jerusalem, 16. bis20.10.2004

In der abschließenden Konferenz beab-sichtigen die Initiatoren die Gründung ei-ner eigenständigen trilateralen Juristen-vereinigung „Israelisch-Polnisch-Deut-sche Juristenvereinigung“ in Jerusalem.

Weitere Informationen sowie das Anmel-deformular unter www.dpjv.de.

Deutsch-Polnische Juristen-Vereinigung e.V.2. Veranstaltung

„Quo Vadis“ – polnischesArbeitsrecht im Kontext

der Erweiterung derEuropäischen Union am4.4.2004 in Warschau

Am 4.4.2004 findet in Warschau derzweite Teil dieser Veranstaltungsreihestatt mit demTitel „Kollektive Interessen-vertretung auf betrieblicher Ebene impolnischen und deutschen Arbeits-recht“.

Referenten werden u.a. Prof. RyszardWratny, Warschau, Prof. Dr. WolfgangHromadka, Passau, Janusz Wojciechow-ski, Vizemarschall des polnischen Parla-ments, Wojciech Blaszczyk, polnischeKonföderation privater Arbeitgeber, undRyszard Lepik, gesamtpolnischer Ge-werkschaftsverband, sein.

Ort: Bayer Sp.z o. o., Aleje Jerozolimskie158, 02-326 Warschau

Zeit: 4.4.2004, Beginn 9.00 Uhr

Teilnehmerbeitrag: 50 Euro bzw. 200PZN pro Person. Für Mitglieder der DPJVund der PDJV 25 Euro bzw. 100 PZN.

Anmeldungen bitte bis zum 2.4.2004 andie DPJV, Markgrafenstr. 33, 10117 Ber-lin, Telefax: 030/264 73 971.

(Fortsetzung von Seite VI)

(Fortsetzung Seite IX)

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BRAK-Mitt. 5/2003 Aktuelle Hinweise IX

Vermischtes

Nuremberg Trials Projectder Harvard Law School

Die US-amerikanische Universität Har-vard Law School hat damit begonnen,Originaldokumente aus den NürnbergerProzessen gegen NS-Kriegsverbrecher ins

Internet zu stellen. Unter dem Titel „Nu-rembergTrials Project: a digital documentcollection“ können unter der Internetseitehttp://nuremberg.law.harvard.edu künftigdigitalisierte Beweisstücke, Verhand-lungsmitschriften und Übersetzungen ausdem Zeitraum von 1945 bis 1949 abge-rufen werden.

Mit der Internet-Veröffentlichung will dieHarvard-Universität, die mehr als 1 Mio.Papierdokumente zu den Nürnberger

Prozessen archiviert hat, dem physischenZerfall der Akten zuvorkommen. ImLaufe der nächsten Jahre sollen alle 13NS-Kriegsverbrecher-Prozesse, die vordem International Military Tribunal undden United States Nuremberg MilitaryTribunals abgehalten wurden, abrufbarsein. Über eine Suchmaschine könnenProzessdaten, Dokumente und Namender Beteiligten ausfindig gemachtwerden.

(Fortsetzung von Seite VIII)

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5/200315. 10. 2003 34. Jahrgang

Informationenzu Berufsrecht undBerufspolitik

BRAKMitteilungenHerausgeberB U N D E S R E C H T S A N W A L T S K A M M E R

Es war zum Verzweifeln. Seit Jahren predigt Paul Kirchhof,renommierter Steuerrechtler, ehemaliger Bundesverfassungs-richter und jetziger Präsident des Deutschen Juristentages,dass unser Steuerrecht erheblich vereinfacht werden müsse.Und er hatte auch eine Lösung. Aber man hatte den Eindruck,er redete gegen eine Wand. Seine Predigt schien ungehört zubleiben. Niemand setzte sich mit ihm auseinander. Jetzt end-lich kommt Hoffnung auf. Endlich hat eine unserer Volkspar-teien die Argumente von Kirchhof verstanden und nimmt sichihrer an.

Es ist zum Verzweifeln. Seit Jahren war es anerkannte Auffas-sung der Steuer-Experten, dass die Gewerbesteuer abgeschafftwerden müsse. Die Finanzierung der Gemeinden müsse an-ders geschaffen werden als durch die Gewerbesteuer, sei esdurch Anteile an der Einkommensteuer, sei es durch Anteilean der Umsatzsteuer. Trotz dieser übereinstimmenden Auffas-sung soll die Gewerbesteuer jetzt „revitalisiert“ werden. Dadas bisherige Gewerbesteueraufkommen nicht ausreicht, sol-len auch die Freien Berufe zur Gewerbesteuer herangezogenwerden. Und zu ihrer Bemessung sollen, wenn es nach denGemeinden geht, sogar einkommensmindernde Umstände,wie Mieten, Zinsen usw. herangezogen werden.

Nun kommt Hoffnung auf. Der Bundesrat wird das Vorhabender Regierung voraussichtlich ablehnen.

Als die Diskussionen um die Erweiterung der Gewerbesteuerauf die Freien Berufe wieder aufkamen, fragte ich bei der Bun-dessteuerberaterkammer an, welche Argumente es gegen dieErweiterung auf die Freien Berufe gebe. Es gebe keine, sagteman mir, außer dem Argument, dass die Steuer völlig überholtsei. Am Begriff „Gewerbe“-Steuer könne man ein Gegen-argument nicht festmachen. Es sei leicht, die Steuer umzube-nennen. So ist es auch tatsächlich geschehen. Der Gesetzent-wurf spricht nicht mehr von einer Gewerbesteuer, sondernvon einer Gemeindewirtschaftsteuer. Dennoch hatte der Steu-erberater eines übersehen. Anders als seine Berufskollegen

und anders als Gewerbetreibende haben die Rechtsanwälteein Gegenargument. Kein Gewerbetreibender verkauft seineBrötchen billiger an Sozialhilfeempfänger, kein Handwerkererteilt eine niedrigere Rechnung, weil sein Besteller wenigGeld hat. Ein Sozialhilfeempfänger wird einen Steuerberaterkaum jemals aufsuchen, denn er zahlt keine Steuern. Er musssich aber vielleicht scheiden lassen oder hat Ärger mit seinemVermieter oder wird mit einem Strafverfahren überzogen. Erbraucht also die Rechtsanwältin, er braucht den Rechtsanwalt.Und wir müssen für ihn tätig werden, weil dies zu unseren,von uns nie bestrittenen Aufgaben als Organe der Rechts-pflege gehört und die §§ 48, 49 BRAO uns dazu verpflichten.Und wir müssen das zu einem weitaus niedrigeren Honorartun, als es uns ansonsten zustünde. Im Bereich der Beratungs-hilfe, der Prozesskostenhilfe und der Pflichtverteidigung über-nehmen wir damit Aufgaben der Daseinsvorsorge, die typi-scherweise von der öffentlichen Hand, vor allem von den Ge-meinden geleistet wird. Damit erbringen wir unseren Beitragzur Stabilisierung der Gemeindefinanzen. Beratungshilfe undProzesskostenhilfe sowie die Pflichtverteidigergebühren wer-den aus den Justizhaushalten, also von den Ländern, nicht vonden Gemeinden gezahlt. Würden wir die Leistungen für Mit-tellose nicht erbringen, müssten die Gemeinden dies im Rah-men der Sozialhilfe tun. So ersparen wir durch unsere Mit-wirkung beim Zugang zum Recht den Gemeinden erheblicheKosten. Wir sind daher empört, wenn wir über die Gewerbe-steuer (jetzt Gemeindewirtschaftsteuer) noch einmal zur Ge-sundung der Finanzen der Gemeinden herangezogen werdensollen.

Wenn jetzt imVermittlungsausschuss über die Gemeindewirt-schaftsteuer beraten wird, sollte man an dieses Argument den-ken. Vielleicht besteht sogar die Hoffnung, dass jetzt, wo mansich des Predigers Kirchhof endlich erinnert, auch bei der Ge-werbesteuer die längst notwendige Vereinfachung eintritt,nämlich ihre Abschaffung.

Bernhard Dombek

Akzente

Hoffnung auf Vernunft im Steuerrecht?

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I. Die Auswirkungen auf die Geschäftsbelastung des BGH

Die Erfahrungen mit dem neuen Revisions- und Rechtsbe-schwerderecht sind noch sehr jung, aber nicht minder ein-drucksvoll. Mit dem am 1.1.2002 in Kraft getretenen ZPO-Re-formgesetz sind bekanntlich die Zugangsbarrieren zur Revisi-onsinstanz grundlegend umgestaltet worden1. Ein Beobach-tungszeitraum von gerade 15 Monaten erlaubt sicherlich keinedefinitiven Werturteile über das Reformgesetz. Aber allein dieim ersten Jahr erhobenen Daten zeigen signifikante Verände-rungen an. Von den weitreichenden Auswirkungen des refor-mierten Verfahrensrechts war wohl der BGH selbst am meistenüberrascht. Wie der Präsident des BGH, Prof. Dr. Hirsch, beimJahrespressegespräch Ende Januar 2003 erläuterte, hat das Ge-richt mit einer Flut von Revisionen und Nichtzulassungsbe-schwerden zu kämpfen2. Die ZPO-Reform hat bereits im Jahr2002, dem ersten Jahr ihrer Geltung, insgesamt zu einer deut-lich höheren Geschäftsbelastung geführt. So ist die Zahl der zu-gelassenen Revisionen, über die der BGH grundsätzlich nachmündlicher Verhandlung durch Urteil entscheiden muss, „ex-plosionsartig gestiegen“3, nämlich auf 783 Neueingänge. Nochdramatischer verlief die Entwicklung bei den Beschwerden. DenAnstieg auf 1642 Neueingänge, wovon 1228 auf Rechtsbe-schwerden entfallen, bezeichnete Hirsch als „Springflut“; be-sonders belastet worden ist dadurch der IX. ZS, bei dem nichtweniger als 542 Rechtsbeschwerden eingingen, wovon 121 aufInsolvenz- und 400 auf Zwangsvollstreckungsbeschwerden ent-fielen4.

Die zu Beginn dieses Jahres vorgestellte Statistik für das Jahr2002 ist, was die strukturellen Auswirkungen der Reform für dieGegenwart und die Zukunft anlangt, allerdings nur bedingt ver-wertbar. Denn in den ersten Monaten des Jahres 2002 gingenbeim BGH aufgrund der Übergangsvorschrift des § 26 Nr. 7EGZPO5 überwiegend noch Revisionen nach altem Recht ein.Erst im März 2002 begannen die zugelassenen Revisionen undNichtzulassungsbeschwerden nach neuem Recht die nach al-tem Recht eingelegten Revisionen zu verdrängen. Aus diesemGrunde sollten die Auswirkungen des neuen Verfahrensrechtsauf die Geschäftsbelastung des BGH erst anhand der Er-gebnisse seit Beginn des zweiten Halbjahres 2002 untersuchtwerden.

Unter den (nach neuem Recht) zugelassenen Revisionen befin-den sich auch diejenigen, die von den LG als Berufungsgerich-ten zugelassen wurden:

Im Jahr 2002 zugelassene Revisionen (gesamt) 783 (= 100 %)

davon von LG zugelassene Revisionen 163 (= 21 %)6.

Rebus sic stantibus dürften deshalb auf die Zivilsenate des BGHschwere Zeiten zukommen. Aufgrund grober Schätzungen istmit folgenden jährlichen Größenordnungen zu rechnen:

mündliche Verhandlungen und Urteile über von LG und OLGzugelassene Revisionen 900 bis 1000

mündliche Verhandlungen und Urteile über angenommene Revisionen nach altem Recht bzw. vom BGH zugelassene Revisionen nachneuem Recht 200 bis 300.

Die Zahl der Urteile belief sich im Jahr 2002 auf 686, im Durch-schnitt der letzten fünf Jahre (1997–2001) auf 6487. Diese Zahlwird sich künftig wohl nahezu verdoppeln. In diesem und imnächsten Jahr sind außer den Revisionen nach neuem Recht ins-besondere die nach altem Recht angenommenen und noch an-zunehmenden Wertrevisionen zu erledigen. In 2002 waren 443Revisionen angenommen worden. Gleichsam an die Stelle derbisher angenommenen Revisionen treten nunmehr die vomBGH auf Beschwerde zugelassenen Revisionen (§ 544 ZPO).Ausgehend von rund 3500 Nichtzulassungsbeschwerden undeiner Rücknahmequote von etwa einem Drittel wird über 2300Nichtzulassungsbeschwerden streitig zu entscheiden sein. Legtman eine Zulassungsquote von (nur) 8 % zugrunde, dann gene-rieren die Nichtzulassungsbeschwerden ebenfalls rund 180mündliche Verhandlungen und Urteile.

Wie sich die von dem Berufungsgericht zugelassenen Revisio-nen auf bestimmte Streitwertbereiche verteilen, kann, da der-zeit noch keine statistischen Angaben vorliegen, nicht angege-ben werden. Allerdings ist eine – wenn auch sehr grobe und un-verbindliche – Schätzung insofern möglich, als die von den LGzugelassenen Revisionen (voraussichtlich 250 Eingänge p.a.)auf den amtsgerichtlichen Wertbereich von regelmäßig bis5000 Euro8 entfallen; im Übrigen kann angenommen werden,dass die OLG bei den darüber hinausgehenden Werten bis30 000 Euro ihre bisherige Zulassungspraxis beibehalten undfolglich in diesem Bereich wiederum 170 bis 180 Revisionenzulassen werden. Danach verbleiben 570 bis 580 der von

202 Aufsätze BRAK-Mitt. 5/2003

Büttner, Bericht und erste Erfahrungen mit der neuen Revision in Zivilsachen

* Überarbeitete und erweiterte Fassung eines Erfahrungsberichts, dender Verfasser im Rahmen des 2. ZPR-Symposions der BRAK am29.3.2003 in Berlin erstattet hat. Berücksichtigt sind die Geschäfts-entwicklung und die Rspr. bis zum 31.3.2003.

1 Gesetz zur Reform des Zivilprozesses (Zivilprozessreformgesetz– ZPO-RG) v. 27.7.2001 (BGBl. I 1887, geändert 3138). Vgl. hierzuBüttner, MDR 2001, 1201; Wenzel, NJW 2002, 3353; G. Müller,VersR 2003, 1, 11 ff.

2 NJW 2003, Heft 7 S. XII; vgl. ferner „Bilanz des BGH für das Jahr2002“ mit Einzelangaben zur Geschäftsentwicklung in NJW 2003,Heft 8 S. XXVII ff.

3 Hirsch a.a.O. S. XII.4 Hirsch a.a.O. S. XIV; „Bilanz des BGH für das Jahr 2002“ a.a.O.

S. XXX.5 Stichtag für das anwendbare Revisionsrecht war der Schluss der

mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz: Lag dieser vordem 1.1.2002, war noch das alte Recht der §§ 545 ff. ZPO a.F. an-zuwenden.

6 In den ersten Monaten des Jahres 2003 weist dieser Anteil eine stei-gende Tendenz auf. Nach einer inoffiziellen Erhebung per 12.3.2003waren 221 zugelassene Revisionen eingegangen; davon entfielen aufvon OLG zugelassene Revisionen 163 (= 74 %) und auf von LG zu-gelassene Revisionen 58 (= 26 %). Vgl. auch Hirsch (a.a.O. S. XII),der den Anteil der von den LG zugelassenen Revisionen bei einemViertel sieht.

7 Einschließlich der nunmehr wegfallenden 30 Urteile über unbe-schränkt statthafte Revisionen nach §§ 547, 621d Abs. 2 ZPO a.F.

8 Vgl. § 23 Nr. 1 GVG; in den in § 23 Nr. 2 GVG bezeichneten Strei-tigkeiten kommen gelegentlich auch höhere Streitwerte vor.

Bericht und erste Erfahrungen mit der neuen Revision in Zivilsachen*

Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof Dr. Hermann Büttner, Karlsruhe

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den OLG zugelassenen Revisionen für den Streitwertbe-reich über 30 000 Euro, also den Bereich der Wertrevisionennach altem Recht, in welchem der BGH im Durchschnittder letzten fünf Jahre (1997–2001) 520 Revisionen angenom-men hat. Signifikant ist die Veränderung im Streitwertbereichunterhalb 30 000 Euro (60 000 DM): Hier stehen zu erwartende420 zugelassene Revisionen nach neuem Recht 164 nach al-tem Recht zugelassene Revisionen (Durchschnitt der Jahre1997–2001) gegenüber, also mit einer Steigerungsrate vonmehr als 150 %.

Diese aus dem knappen statistischen Material abgeleitetenSchätzungen werden durch die Beobachtungen der Praxis be-stätigt. Denn die OLG verfahren bei der Zulassung von Revi-sionen im bisherigen Streitwertbereich der Wertrevisionen(über 30 000 Euro) keineswegs kleinlich oder zurückhaltend9.Auf der anderen Seite führen die von den LG zugelassenen Re-visionen zu einer drastischen Zunahme im Bagatellbereich;nicht selten muss sich der BGH inhaltlich mit Revisionen be-fassen, deren Streitwert unterhalb der Berufungssumme von600 Euro10 liegt.

Geradezu hoffnungslos ist der Zustand bei der Rechtsbe-schwerde. Hierzu hat soeben der Vorsitzende des IX. ZSDr. Kreft öffentlich den „Missstand“ ausgerufen und gefordert,der daraus resultierenden unerträglichen Belastung des BGH„ein schleuniges Ende zu bereiten“11. Als nahe liegende Lösungschlägt Kreft vor, in den beim AG beginnenden Verfahren an-stelle des BGH die OLG als Rechtsbeschwerdegerichte zu be-stimmen und diese ihrerseits zu verpflichten, den BGH anzuru-fen, wenn sie von der Entscheidung eines anderen OLG oderdes BGH abweichen wollen. Das bedeutete im Bereich des In-solvenzrechts im Ergebnis die Rückkehr zu § 7 der InsO in sei-ner ursprünglichen Fassung und dessen Erstreckung auf weitereRechtsgebiete, insbesondere das Zwangsvollstreckungsverfah-ren12. Diese Forderung trifft sich in ihrem rechtspolitischen Kernmit Vorschlägen, die die Anwaltschaft in der Diskussion um dieNeugestaltung der Rechtsmittel durch die ZPO-Reform – un-

gehört – vorgetragen hatte13. So aber musste der BGH, um der„Springflut“ der Rechtsbeschwerden in Insolvenz- und Zwangs-vollstreckungssachen Herr zu werden, den IXa-ZS als Hilfssenateinrichten. Ungeachtet der dramatischen Zunahme der Arbeits-belastung in allen Rechtsmittelbereichen schreckt der BGH vorder Forderung nach Einrichtung eines ordentlichen XIII. ZS je-doch zurück, weil andernfalls nach einem Beschluss der sog.Föderalismuskommission ein weiterer Strafsenat nach Leipzigumziehen müsste14.

Schon jetzt – nach gerade einem Jahr – muss festgestellt werden,dass die regierungsamtlichen Aussagen zu den Auswirkungen,die die ZPO-Reform auf den BGH haben würde, auf einer be-achtlichen Fehlprognose beruhen. So sollte mit der Neurege-lung des Zugangs zur Revisionsinstanz eine „Blockade derhöchstrichterlichen Rechtsprechung“ gerade vermieden wer-den15. Die Übergangsregelung in § 26 Nr. 8 EGZPO, die fürdie Dauer von fünf Jahren eine Wertgrenze von 20 000 Euroals Voraussetzung der Statthaftigkeit der Nichtzulassungsbe-schwerde vorschreibt, sollte zu einer „spürbaren Entlastung desBGH“ führen16. Schließlich wurde prophezeit, dass die Reform„keinen personellen oder sächlichen Mehrbedarf beim BGH“verursache17. Alle diese Aussagen sind widerlegt. Dementspre-chend hat die Bundesregierung auf eine parlamentarische An-frage bestätigt, dass dem BGH zusätzliche Mittel zur Bewälti-gung des unerwarteten Aufgabenzuwachses bewilligt wurden18.Vollends als Illusion erweist sich schließlich die im Gesetzestextselbst wie in der amtlichen Begründung ausgedrückte Hoffnung,nach Ablauf der fünfjährigen Übergangszeit falle die Wert-grenze von 20 000 Euro ersatzlos weg mit der Folge, dass ab1. Januar 2007 jedes Berufungsurteil, in welchem die Revisionnicht zugelassen wurde, ohne jegliche wertmäßige Beschrän-kung mit der Nichtzulassungsbeschwerde angegriffen werdenkönne. Die praktischen Entlastungserfordernisse machen esvielmehr wahrscheinlich, dass die Wertgrenze – mit einem Be-

BRAK-Mitt. 5/2003 Aufsätze 203

Büttner, Bericht und erste Erfahrungen mit der neuen Revision in Zivilsachen

13 So wurde nicht nur für die Beibehaltung des Rechtsentscheids inWohnraummietsachen (§ 541 ZPO a.F.), sondern für eine Auswei-tung eines solchen Vorlageverfahrens auf andere Rechtsgebiete plä-diert; vgl. Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins zum Refe-rentenentwurf eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses, März2000, AnwBl. 5/2000, Sonderheft S. 50; Stellungnahme der BRAKzum Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses, Novem-ber 2000, S. 43.

14 Beschl. v. 27.5.1992 Drucks. 12/2853.15 Amtliche Begründung zum ZPO-RG, BT-Drucks. 14/4722 S. 66.16 A.a.O. S. 68, 71.17 A.a.O. S. 71.18 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hartenbach v. 26.2.2003 (BT-

Drucks. 15/512).

Entwicklung des Geschäftsgangs des BGH in Zivilsachen

Zeitraum Revisionen davon Ablehnung Zulassung streitig Zulassungs- Rechts-Nichtzu- zugelassene Nichtzu- der Zulassung der Revision erledigte quote beschwerdenlassungs- Revisionen lassungs- (§ 544 ZPO) durch den Nichtzu-

beschwerden beschwerden BGH (§ 544 lassungs-ZPO) beschwerden

2002 4592 783 3809 202 15 217 6,9 % 1228

VII/02 bis III/03(9 Monate) 3321 731 2590 486 39 525 7,4 % 1109

Hoch-rechnung*)auf 12 Monate 4428 975 3453 648 52 700 7,4 % 1479

*) Anhand der letzten 9 Monate (Juli 2002 bis März 2003).

9 Der Vizepräsident des BGH, Dr. Wenzel, führt dies, wie er bei demJahrespressegespräch mutmaßte, auf eine gewisse Unsicherheit beiden OLG zurück; manche OLG ließen lieber die Revision zu, alsspäter vom BGH im Wege der stattgebenden Nichtzulassungsbe-schwerde entsprechend belehrt zu werden, dass die Zulassungsvo-raussetzungen (grundsätzliche Bedeutung oder Sicherung der Ein-heitlichkeit der Rspr.) doch vorgelegen hätten (NJW 2003, Heft 7S. XII).

10 § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO in der Fassung des ZPO-RG.11 Kreft, ZRP 2003, 77, 78.12 Kreft a.a.O. S. 77 f.

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trag, der eher über 20 000 Euro als darunter liegen dürfte – alsfester Bestandteil der in § 544 ZPO selbst zu regelnden Statt-haftigkeitsvoraussetzungen verankert wird. Die Sympathie, dieseinerzeit der Präsident und zahlreiche Richter des BGH derEinführung der Grundsatzrevision entgegengebracht haben, isteiner deutlichen Ernüchterung gewichen. Die Auswüchse beider – der Grundsatzrevision nachgebildeten – Rechtsbe-schwerde lassen den BGH schon als „Opfer der Prozessreform“erscheinen19. Handlungsbedarf bahnt sich an.

II. Die neuen Verfahrensvorschriften in der praktischenAnwendung

Seit Ende Mai 2002 hat der BGH in einer Vielzahl von Ent-scheidungen, von denen ein großer Teil auch für die amtlicheSammlung BGHZ vorgesehen ist, zu einer Reihe mehr oder min-der strittiger Auslegungsfragen Stellung genommen und Leitli-nien für die Handhabung des neuen Revisionsrechts aufge-stellt20.

1. Sprachliches

Da die neue, durch das ZPO-Reformgesetz erstmals für den Zi-vilprozess eingeführte Nichtzulassungsbeschwerde kein Rechts-mittel gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts in derHauptsache ist21, richtet sie sich nicht gegen das anzufechtendeUrteil als Ganzes, sondern nur gegen die darin gleichzeitig aus-gesprochene Entscheidung, dass die Revision nicht zugelassenwird. Dementsprechend tenoriert der BGH seine ablehnendenBeschlüsse in Anlehnung an den Wortlaut des § 543 Abs. 1 Nr. 2ZPO regelmäßig wie folgt:

„Die Beschwerde des Kl./Bekl. gegen die Nichtzulassung derRevision in dem Urteil des ... vom ... wird zurückgewiesen.“

Folglich sollte für den Bf. auch nicht „Nichtzulassungsbe-schwerde gegen das Urteil ...“, sondern „Beschwerde gegen dieNichtzulassung der Revision in dem Urteil ...“ eingelegt wer-den.

In § 544 Abs. 5 Satz 2 ZPO ist von der „Ablehnung“ der Be-schwerde durch das Revisionsgericht die Rede. Der Reformge-setzgeber entfernt sich damit ohne einleuchtenden Grund vondem üblichen, von ihm selbst für die neue Rechtsbeschwerde(§ 577 Abs. 3 ZPO) gepflogenen Sprachgebrauch, wonach eineBeschwerde wie jedes Rechtsmittel nicht als unbegründet abge-lehnt, sondern „zurückgewiesen“ wird22. Der BGH tenoriertdeshalb in ständiger Praxis die unbegründeten Nichtzulas-sungsbeschwerden mit der herkömmlichen Formulierung, in-dem die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision„zurückgewiesen“ wird.

2. Zeitlicher Anwendungsbereich des neuen Rechtsmittels

Sowohl für die Berufung als auch für die Revision ist nach denÜbergangsvorschriften des § 26 Nr. 5 und 7 EGZPO der Schlussder mündlichen Verhandlung, auf die das angefochtene Urteilergeht, als Kriterium für die Anwendung des neuen Rechts be-stimmt. Dies hat des Öfteren zu Missverständnissen und Fehlernbei Anwälten in der Berufungsinstanz geführt. In zwei Beschlüs-sen hat der BGH jedoch klargestellt, dass es für die Frage, wanndie mündliche Verhandlung geschlossen worden ist, ohne Be-

deutung ist, ob einem Beteiligten gem. § 283 Abs. 1 ZPO einSchriftsatzrecht eingeräumt worden ist23. Der Tag, an dem diemündliche Verhandlung geschlossen worden ist, ist gem. § 313Abs. 1 Nr. 3 ZPO zwingend im Urteil anzugeben. Das ist derZeitpunkt, den die Übergangsvorschriften zur einheitlichen Be-stimmung des anwendbaren Berufungs- oder Revisionsrechtsmeinen. Die Anknüpfung an das einer Partei eingeräumte Schrift-satzrecht würde in einem Fall, in dem beide Parteien durch dasUrteil beschwert sind, zu der unhaltbaren Folge führen, dassetwa die Berufung (Revision) der einen Partei dem alten und dieder anderen Partei dem neuen Recht unterworfen wäre, dasRechtsmittelgericht also ein und denselben Fall nach zwei un-terschiedlichen Verfahrensordnungen behandeln müsste.

Die nach dem Übergangsrecht nicht ausdrücklich geregelteFrage, nach welchen Vorschriften das Berufungsgericht sein Ur-teil abzufassen hat, ist inzwischen ebenfalls entschieden. Fin-den für ein Berufungsverfahren die am 31.12.2001 geltendenVorschriften Anwendung, so bedarf es im Berufungsurteil auchdann einer Darstellung des Tatbestandes nach § 543 a.F. ZPO,wenn das Revisionsverfahren nach dem ab 1. Januar 2002 gel-tenden Prozessrecht zu führen ist24. Die regelmäßig zur Aufhe-bung des Berufungsgerichts führende Rüge des fehlenden Tat-bestandes greift indessen, wie der BGH in mehreren Entschei-dungen inzwischen klargestellt hat, auch dann ein, wenn dasBerufungsurteil nach der neuen Vorschrift des § 540 ZPO ge-staltet wurde, aber keine Angaben zu den Berufungsanträgenenthält; denn eine – wenigstens sinngemäße – Aufnahme derBerufungsanträge in das Berufungsurteil ist auch nach neuemRecht, das eine weitgehende Entlastung der Berufungsgerichtebei der Urteilsabfassung bezweckt, nicht entbehrlich25.

3. Wertgrenze für Nichtzulassungsbeschwerden

Gem. § 26 Nr. 8 EGZPO hängt für eine Übergangszeit von fünfJahren die Statthaftigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde davonab, dass „der Wert der mit der Revision geltend zu machendenBeschwer 20 000 Euro übersteigt“. Im Schrifttum war und istumstritten, ob für die damit beschriebene Wertgrenze die Be-schwer des Bf. aus dem Berufungsurteil26 oder vielmehr derWert des Beschwerdegegenstandes aus dem beabsichtigtenRevisionsverfahren27 maßgebend ist. Bereits mit Beschl. v.27.6.200228 hat sich der BGH eindeutig für die letztere Auffas-sung entschieden. Es blieb allein dem Gesetzgeber überlassen,ob er die Statthaftigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde an denaus dem bisherigen Recht bekannten „Wert der Beschwer“ oderaber an den vom Bf. anzugebenden Wert seines künftigen Abän-derungsbegehrens knüpfen wollte. Die Formulierung des § 26Nr. 8 EGZPO weicht eindeutig von den in den §§ 546, 554bZPO a.F. verwendeten Begriffen ab und zwingt den Bf. dazu, in-nerhalb laufender Begründungsfrist darzulegen, dass er mit derbeabsichtigten Revision die Abänderung des Berufungsurteils in

204 Aufsätze BRAK-Mitt. 5/2003

Büttner, Bericht und erste Erfahrungen mit der neuen Revision in Zivilsachen

19 Kreft, ZRP 2003, 77.20 Alle nachfolgend zitierten Entscheidungen sind im Internet veröf-

fentlicht unter: www.bundesgerichtshof.de.21 Wenzel, MünchKomm zur ZPO-Reform 2002, § 544 Rdnr. 1; Mu-

sielak/Ball, ZPO, 3. Aufl., § 544 Rdnr. 2; Zöller/Gummer, ZPO,23. Aufl., § 544 Rdnr. 5.

22 Vgl. Wenzel, a.a.O. Rdnr. 15.

23 Beschl. v. 5.11.2002 – X ZB 22/02, NJW 2003, 434; Beschl. v.5.11.2002 – X ZB 29/02. A.A. OLG München, Urt. v. 9.7.2002 – 18U 2803/02.

24 BGH, Urt. v. 19.2.2003 – VIII ZR 205/02.25 BGH, Urt. v. 19.2.2003 – VIII ZR 205/02; Urt. v. 26.2.2003 – VIII ZR

262/02; Urt. v. 26.2.2003 – VIII ZR 261/02; ebenso Meyer-Seitz, in:Hannich/Meyer-Seitz, ZPO-Reform 2002, § 540 Rdnr. 7; Musie-lak/Ball, a.a.O., § 540 Rdnr. 3.

26 So Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 60. Aufl., § 544Rdnr. 4; Hannich, in: Hannich/Meyer-Seitz, ZPO-Reform 2002,§ 544 ZPO Rdnr. 4; Ullmann, WRP 2002, 593, 595; aus jüngster ZeitJauernig, NJW 2003, 465, 466 f., 469; von Gierke/Seiler, JZ 2003,403, 404.

27 So Musielak/Ball, a.a.O., § 544 Rdnr. 6; Büttner, MDR 2001, 1201,1206; Zöller/Gummer, a.a.O., § 26 EGZPO Rdnr. 14.

28 V ZR 148/02, NJW 2002, 2720; ferner Beschl. v. 25.7.2002 – V ZR118/02, NJW 2002, 3180; ebenso BGH, Beschl. v. 23.10.2002– IV ZR 154/02, VersR 2002, 1578.

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einem Umfang, der die Wertgrenze von 20 000 Euro übersteigt,erstrebe29. Unterlässt der Bf. – wie in der Anfangszeit wiederholtzu beobachten war – diese Angabe, dann riskiert er die Verwer-fung seines Rechtsmittels als unzulässig.

Im praktischen Ergebnis bedeutet diese gesetzliche Wertgrenze,dass der Wert der (zulässigerweise) geltend zu machenden Be-schwer durch die Beschwer des Bf. aus dem Berufungsurteil be-grenzt ist30. Übersteigt der Wert der Beschwer 20 000 Euro nicht,so findet eine Nichtzulassungsbeschwerde in keinem Fall statt.Falls der Wert der Beschwer dagegen 20 000 Euro übersteigt,kann und muss der Bf. sich innerhalb laufender Begründungs-frist dafür entscheiden und angeben, ob er mit der beabsichtig-ten Revision den vollen Wert der Beschwer ausschöpfen odernur einen Teil davon zum Gegenstand seiner Nichtzulassungs-beschwerde und der künftigen Revision machen will.

Bei Teilanfechtungen ist gleichfalls Vorsicht geboten. Sind Teiledes Prozessstoffs abtrennbar und einer beschränkten Revisions-zulassung zugänglich, so muss die Wertgrenze hinsichtlich desTeils überschritten sein, für den in der Begründung der Nicht-zulassungsbeschwerde gem. § 544 Abs. 2 Satz 3 ZPO ein Zu-lassungsgrund für die Revision hinreichend dargelegt wird31.

Noch nicht eindeutig geklärt ist dagegen die weitere Frage, obfür jeden Teil des Prozessstoffs, für den der Bf. einen Zulas-sungsgrund geltend macht, die Grenze von 20 000 Euro über-schritten sein muss oder ob es genügt, dass die Summe aller gel-tend gemachten Teile 20 000 Euro übersteigt. Diese Frage stelltsich geradezu regelmäßig bei Prozessen mit Anspruchshäufung.Weder der Wortlaut noch der Zweck des § 26 Nr. 8 EGZPO ge-ben einen hinreichenden Anhalt für die Auffassung, dass für je-den ordnungsgemäß begründeten Teil die Wertgrenze über-schritten sein muss32.

Schließlich ist noch der Fall zu erwähnen, dass das Berufungs-gericht wegen eines von mehreren abtrennbaren Ansprüchendie Revision zulässt, nicht aber wegen eines anderen An-spruchs. Ist der Bf. wegen eines solchen Anspruchs nur mit ei-nem Betrag unterhalb der Wertgrenze beschwert, dann ist die-ser Teil der Entscheidung, weil das Berufungsgericht die Revi-sion insoweit nicht zugelassen hat, gem. § 26 Nr. 8 EGZPOunanfechtbar. Übersteigt dagegen die Beschwer aus diesem Teilder Entscheidung 20 000 Euro, so kann der Bf. ein und dasselbeUrteil zugleich mit der zugelassenen Revision und der Nichtzu-lassungsbeschwerde anfechten33. Diese Fallgestaltung war zwar,soweit ersichtlich, noch nicht Gegenstand einer Entscheidungdes BGH; die Statthaftigkeit und Notwendigkeit einer parallelenAnfechtung durch Revision und Nichtzulassungsbeschwerdewird jedoch weder durch den Wortlaut noch durch die Syste-matik des neuen Revisionsrecht ausgeschlossen.

Gem. § 546 Abs. 2 ZPO a.F. musste das OLG in Rechtsstreitig-keiten über vermögensrechtliche Ansprüche den Wert der Be-schwer in seinem Urteil festsetzen; daran war das Revisionsge-richt gebunden, wenn der festgesetzte Wert 60 000 DM über-stieg. Obwohl diese Vorschrift ersatzlos weggefallen ist, setzenBerufungsgerichte häufig noch immer den Wert der Beschwerfest. Darauf sollte sich der Bf. jedoch nicht verlassen. Denn derBGH ist an eine solche Beschwerfestsetzung nicht mehr gebun-

den, d.h. auch dann nicht, wenn der Wert fehlerhaft auf mehrals 20 000 Euro festgesetzt wurde. Vielmehr muss der Bf. in ei-gener Verantwortung den Wert seiner Beschwer aus dem Beru-fungsurteil ermitteln, um festzustellen, ob eine Nichtzulas-sungsbeschwerde überhaupt in Betracht kommt. Nach der Rspr.des BGH reicht es aber zur Statthaftigkeit der Nichtzulassungs-beschwerde hin, dass der Bf. glaubhaft macht, der Wert der mitder Revision geltend zu machenden Beschwer übersteige20 000 Euro; einer Wertermittlung nach § 3 Halbs. 2 ZPO be-darf es nicht34. Bemisst sich die Beschwer nach §§ 2, 3 ZPO,dann wird allerdings häufig die tatrichterliche Wertschätzungdes Berufungsgerichts eine taugliche Grundlage für den vom Bf.geltend zu machenden Wert sein35.

Die Wertgrenze von 20 000 Euro gem. § 26 Nr. 8 EGZPO giltnicht für die Rechtsbeschwerde gegen einen Verwerfungsbe-schluss nach § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO36. Bei Verwerfung der Be-rufung durch Urteil (ohne Zulassung der Revision) gilt für dieNichtzulassungsbeschwerde – dem Wortlaut nach – die Wert-grenze des § 26 Nr. 8 EGZPO. Damit wird der Gleichlauf derAnfechtbarkeit, unabhängig von der Form der Entscheidung,verfehlt. Der BGH hat bisher offengelassen, ob bei Verwerfungdurch Urteil die Wertgrenze nicht anzuwenden ist37. Im Schrift-tum wird eine „teleologische Reduktion“ des § 26 Nr. 8 EGZPObefürwortet mit der Folge, dass auch für eine Nichtzulassungs-beschwerde gegen ein Verwerfungsurteil die Wertgrenze keineAnwendung findet38.

4. Begrenzung des Instanzenzuges gem. § 542 Abs. 2 ZPO

Im Schrifttum zur ZPO-Reform ist umstritten, ob eine Revisionoder Rechtsbeschwerde, die das Berufungsgericht gegen seineEntscheidung in einer Arrest- oder Verfügungssache zugelassenhat, statthaft ist39. Diesen Streit hat der BGH mittlerweile in ver-neinendem Sinne entschieden.

Vorangegangen war in der Diskussion um die Limitierung desInstanzenzugs die Entscheidung in einem anderen Rechtsge-biet40. Der BGH hatte dort eine Rechtsbeschwerde, die ein LGim Kostenansatzverfahren nach dem Gerichtskostengesetz zu-gelassen hatte, als unzulässig verworfen. Da nach § 5 Abs. 2Satz 3 GKG eine Beschwerde an einen obersten Gerichtshof desBundes nicht stattfindet, besteht eine Bindung des Rechtsbe-schwerdegerichts an die Zulassung nicht, weil eine Entschei-dung, die vom Gesetz der Anfechtung entzogen ist, auch bei– irriger – Rechtsmittelzulassung unanfechtbar bleibt. Die Zu-lassung des Rechtsmittels kann nicht dazu führen, dass dadurchein gesetzlich nicht vorgesehener Instanzenzug eröffnet wird.

Erfolglos blieb auch eine (nicht zugelassene) Rechtsbeschwer-de, mit welcher sich ein Arrestbeklagter gegen die Verwerfungseiner verfristeten Berufung und die Versagung der Wiederein-setzung wandte: Auf die unbeschränkte Statthaftigkeit derRechtsbeschwerde gem. § 522 Abs. 1 ZPO konnte sich der Bf.nach Auffassung des BGH41 nicht berufen, weil sich die Be-schränkung des Instanzenzugs aus den Regelungen über das Re-visionsverfahren (§ 542 Abs. 2 ZPO) zwingend ergibt. Dass dasBerufungsgericht nicht durch Urteil, sondern durch Beschlussentscheidet, ändert am provisorischen Charakter der in § 542

BRAK-Mitt. 5/2003 Aufsätze 205

Büttner, Bericht und erste Erfahrungen mit der neuen Revision in Zivilsachen

29 So zutreffend BGH, Beschl. v. 27.6.2002 a.a.O. S. 2721 und Beschl.v. 23.10.2002 a.a.O.

30 Zutreffend Zöller/Gummer, a.a.O., § 26 EGZPO Rdnr. 14.31 BGH, Beschl. v. 27.6.2002 a.a.O. S. 2721.32 A.A. Wenzel, NJW 2002, 3357.33 Sollte in einer bayerischen Sache das Berufungsgericht die Revision

für den einen Teil zum Bayerischen Obersten Landesgericht zugelas-sen haben (§ 7 Abs. 1 EGZPO), dann muss die Revision dort, dieNichtzulassungsbeschwerde gegen den anderen Teil jedoch beimBGH eingereicht werden (§ 7 Abs. 2 EGZPO).

34 BGH, Beschl. v. 25.7.2002 – V ZR 118/02, NJW 2002, 3180.35 BGH, Beschl. v. 25.7.2002 a.a.O.36 Beschl. des BGH v. 4.9.2002 – VIII ZB 23/02, NJW 2002, 3783;

Beschl. v. 19.9.2002 – V ZB 31/02, NJW-RR 2003, 132.37 Beschl. v. 4.9.2002 a.a.O.; Beschl. v. 19.09.2002 a.a.O.38 Wenzel, NJW 2002, 3357; Meyer-Seitz in Hannich/Meyer-Seitz,

ZPO-Reform 2002, § 522 Rdnr. 16.39 Bejahend Wenzel, MünchKomm zur ZPO-Reform, § 542 Rdnr. 13;

Hannich, in Hannich/Meyer-Seitz, a.a.O., § 542 Rdnr. 7.40 BGH, Beschl. v. 1.10.2002 – IX ZB 271/02, NJW 2003, 70.41 BGH, Beschl. v. 10.10.2002 – VII ZB 11/02, NJW 2003, 69.

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Abs. 2 ZPO genannten Eilverfahren nichts. Die äußere Form derEntscheidung hat keine Auswirkungen auf den Inhalt der Ent-scheidung und eröffnet deshalb nicht entgegen § 542 Abs. 2ZPO eine Überprüfung durch den BGH.

Mit Beschl. v. 27.2.200342 hat der BGH sodann ausdrücklichentschieden, dass im Arrest- oder Verfügungsverfahren wegendes durch § 542 Abs. 2 ZPO begrenzten Instanzenzuges dieRechtsbeschwerde ungeachtet ihrer Zulassung durch das Beru-fungsgericht nicht statthaft ist. Daraus folgt zwangsläufig, dassauch die in einem Urteil des Berufungsgerichts gem. § 543Abs. 1 Nr. 1 ZPO ausgesprochene Zulassung der Revision denBGH nicht binden würde, eine gleichwohl eingelegte Revisionalso als unstatthaft verworfen werden müsste.

Die Grundsätze dieser Rspr. sind allerdings nicht neu. Schonzum alten Verfahrensrecht hatte der BGH entschieden, dass dieZulassung der Revision gegen ein Urteil des OLG, das (wie dasLG) die örtliche Zuständigkeit verneint, nicht entgegen § 549Abs. 2 ZPO a.F. eine dritte Instanz eröffnet43.

5. Darlegungserfordernisse für die Begründung der Nichtzu-lassungsbeschwerde

Ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal für die Zulassung der Re-vision nach § 543 Abs. 2 ZPO ist – wie eh und je – die Ent-scheidungserheblichkeit der Rechtsfrage. Da auch ein Revisi-onsgericht nicht die Aufgabe hat, abstrakte Rechtsfragen zu be-antworten, sondern nur wegen einer Streitfrage angerufenwerden kann, die sich im konkreten Rechtsstreit stellt, muss diegeltend gemachte klärungsbedürftige Rechtsfrage entschei-dungserheblich sein44. Wird in der Beschwerdebegründungnicht ausreichend dargetan, dass die als grundsätzlich bezeich-nete Rechtsfrage entscheidungserheblich ist, dann ist die Nicht-zulassungsbeschwerde unzulässig45.

Entgegen der allgemeinen Auffassung des Schrifttums46 hat derBGH entschieden, dass im Rahmen der Nichtzulassungsbe-schwerde nach § 544 ZPO das Revisionsgericht nur die Revisi-onszulassungsgründe prüft, die in der Beschwerdebegründungschlüssig und substantiiert dargelegt sind47. Dabei bezieht sichder BGH auf eine entsprechende Rspr. der anderen oberstenBundesgerichte und auf eine in § 544 ZPO fehlendeVerweisungauf § 557 Abs. 3 Satz 1 ZPO. Mit dieser zwiespältigen und we-nig überzeugenden Ansicht wird die Maxime der Rechtseinheit,auf die die ZPO-Reform als den entscheidenden Revisions-zweck so nachdrücklich abgestellt hat, gegen die Parteimaximeausgespielt. Es ist schwer verständlich, warum der BGH sehen-den Auges eine Grundsatzfrage unentschieden lassen soll, nurweil der Bf. dies vielleicht anders beurteilt und den aus der Sichtdes BGH entscheidenden Revisionszulassungsgrund nicht vor-gebracht hat.

6. Begründungsfrist für Nichtzulassungsbeschwerde undRevision (§§ 544 Abs. 2, 551 Abs. 2 Satz 2 bis 6 ZPO)

Im Gegensatz zum bisherigen Recht setzt die Zustellung des Ur-teils nicht nur die Frist für die Einlegung des Rechtsmittels, son-dern auch die Frist für dessen Begründung in Lauf (§ 544 Abs. 2

Satz 1, § 551 Abs. 2 Satz 3 ZPO)48. Die Regelung ist theoretischklar und ansprechend, führt in der Praxis jedoch zu neuen Un-sicherheiten. Für das Rechtsmittelgericht steht der Fristlauf erstfest, wenn die Gerichtsakten mit dem Empfangsbekenntnis vor-liegen. Da in der dritten Instanz zwingend ein Anwaltswechselstattfindet, kann der Revisionsanwalt die Fristenkontrolle nuraufgrund der Angabe seines Voranwaltes durchführen. Der BGHseinerseits verlässt sich, auch bei Verlängerung der Begrün-dungsfrist, zunächst auf die Angabe in der Revisionsschrift. Dadiese aber mangels Gerichtsakten nicht sofort überprüft werdenkann, verlängern manche Vorsitzende deshalb nur „unter Vor-behalt“. Urkundliche Klarheit tritt nicht selten erst nach Mona-ten ein.

Die Limitierung der (zustimmungsfreien) Verlängerung auf zweiMonate (§§ 551 Abs. 2 Satz 6, 544 Abs. 2 Satz 2 ZPO) ist für diePraxis der BGH-Anwaltschaft unerträglich. Das bedarf zur Ver-meidung von Fehlverständnissen einer kurzen Erläuterung: EinZeitraum von bis zu vier Monaten ab Zustellung des anzufech-tenden Urteils erscheint für die Begründung einer Nichtzulas-sungsbeschwerde oder einer (zugelassenen) Revision bei ab-strakter Betrachtung reichlich und auskömmlich, in der Praxisallerdings nur dann, wenn

– der Anfall bearbeitungsreifer fristgebundener Arbeiten keinengrößeren Schwankungen unterliegt und keine unkalkulierba-ren Überlastungen auftreten,

– das Mandat alsbald nach Zustellung des Urteils und nicht erstgegen Ende der einmonatigen Einlegungsfrist erteilt wird,

– die für die Bearbeitung unentbehrlichen Gerichtsakten alsbaldnach Einlegung des Rechtsmittels zur Verfügung stehen,

– die Kostendeckung geklärt ist,

– die Erledigung nicht durch Urlaub oder Krankheit behindertwird und

– der Mandant der Empfehlung des Revisionsanwalts – Durch-führung des Rechtsmittels mit einer bestimmten Begründungoder Rücknahme des Rechtsmittels wegen Aussichtslosigkeit –unverzüglich folgt und keine zeitraubenden Diskussionenüber die weitere Behandlung des Rechtsmittels notwendigwerden.

Die Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.Als Haupthindernis erweist sich jedoch vor allem der Umstand,dass die Vorinstanzen die Aufforderung des BGH, die Prozess-akten zu übersenden (§ 565 i.V.m. § 541 ZPO), nicht ernst neh-men und die Akten mitunter erst nach Monaten vorlegen. Be-vor die Akten übersandt werden, werden dort nicht selten Kos-tenfestsetzungsanträge, Tatbestandsberichtigungsanträge oderVerfahrenshandlungen nach Erlass eines Teil- oder Grund-urteils erledigt. Dass die sachgerechte Bearbeitung einer Nicht-zulassungsbeschwerde oder einer Revision die Einsicht dervorinstanzlichen Gerichtsakten voraussetzt, ist unter den Rich-tern und Anwälten der Revisionsinstanz völlig unumstritten.Insbesondere schwerwiegende Verfahrensfehler, die zugleichals Verstöße gegen Verfahrensgrundrechte geltend zu machensind, lassen sich nur anhand der Gerichtsakten ermitteln undbelegen.

Aber auch die späte Beauftragung des Revisionsanwalts undVerzögerungen und Schwierigkeiten beim Nachweis der Kos-tendeckung reduzieren die dem Revisionsanwalt zur Verfügungstehende Zeit für die Begründung. Schließlich muss der Revisi-onsanwalt bei seiner Zeitkalkulation berücksichtigen, dass ernach Prüfung der Erfolgsaussichten zu einem negativen Ergeb-nis kommen kann und dem Mandanten raten muss, das Rechts-

206 Aufsätze BRAK-Mitt. 5/2003

Büttner, Bericht und erste Erfahrungen mit der neuen Revision in Zivilsachen

42 I ZB 22/02 (für BGHZ bestimmt). Ebenso BAG, Beschl. v. 22.1.2003– 9 AZB 7/03.

43 BGH NJW 1988, 3267.44 BGH, Beschl. v. 19.12.2002 – VII ZR 101/02, NJW 2003, 831;

Beschl. v. 5.12.2002 – IX ZR 70/02; Beschl. v. 7.1.2003 – X ZR 82/02,NJW 2003, 1125, 1126; Wenzel, NJW 2002, 3354; a.A. vonGierke/Seiler, JZ 2003, 406.

45 BGH, Beschl. v. 18.12.2002 – IX ZR 117/02.46 Musielak/Ball, a.a.O., § 544 Rdnr. 22; Zöller/Gummer, a.a.O., § 544

Rdnr. 10; Ullmann, WRP 2002, 593, 598.47 BGH, Beschl. v. 23.7.2002 – VI ZR 91/02, NJW 2002, 3334.

48 Gleich lautend für die Berufungsbegründung § 520 Abs. 2 Satz 1ZPO und für die Rechtsbeschwerde § 575 Abs. 2 Satz 2 ZPO.

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mittel zurückzunehmen; dem Mandanten muss fairerweisediese Empfehlung aber so rechtzeitig offenbart werden, dass ernoch die Möglichkeit hat, einen anderen Revisionsanwalt mitder Überprüfung dieses Votums und ggf. mit der Begründungdes Rechtsmittels zu beauftragen, für die dieser nicht mit einerweiteren Fristverlängerung rechnen kann.

Besonders unangenehm trifft die Fristenproblematik die mittel-lose Partei und, im Falle der Bewilligung von Prozesskostenhilfe,deren beigeordneten Revisionsanwalt. Reicht die Partei, wozuihr aus Kostengründen und mangels Anwaltszwangs zu ratenist, das Prozesskostenhilfegesuch selbst beim BGH ein, so ver-streicht bis zur Entscheidung über das Gesuch nicht nur die ein-monatige Frist zur Einlegung des Rechtsmittels, sondern – alsFolge des neuen Rechts – auch die zweimonatige, ebenfalls mitder Zustellung des Urteils beginnende Rechtsmittelbegrün-dungsfrist. Deshalb muss gegen die Versäumung von zweiFristen gem. § 233 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Standbeantragt werden. Dann aber ist innerhalb der zweiwöchigenAntragsfrist nicht nur die Wiedereinsetzung zu beantragen, son-dern zugleich die Rechtsmittelbegründung als die versäumteProzesshandlung nachzuholen (§ 236 Abs. 2 ZPO). Eine nurzweiwöchige Begründungsfrist ist aber für einen Revisionsan-walt, der Inhalt und Umfang des Prozessstoffs noch gar nichtkennt, unzumutbar, wenn nicht unmöglich; überwiegend arbei-ten die Revisionsanwälte noch immer in Einzelpraxen und ver-fügen dementsprechend in Verhinderungsfällen (Urlaub, Krank-heit) nicht über einen Sozius als leistungsfähigen und belastba-ren Vertreter49.

Die verfehlte Regelung der Begründungsfristverlängerungen hatzweifelhafte Abhilfevorschläge hervorgebracht, um die starreVier-Monats-Grenze zu durchbrechen. So soll etwa eine „miss-bräuchliche“ Versagung der Einwilligung des Gegners denGrund für eine weitere Fristverlängerung abgeben; welcher Vor-sitzende dazu bereit ist, eine solche Fristverlängerung contra le-gem zu bewilligen, ist unbekannt. Für den Fall, dass dem Anwaltdes Rechtsmittelführers die Gerichtsakten nicht rechtzeitig vorFristablauf ausgehändigt werden können, wurde des Weiterenerwogen, der Anwalt möge die Frist verstreichen lassen undnach Aushändigung der Gerichtsakten sodann innerhalb derZwei-Wochen-Frist des § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO Wiedereinset-zung beantragen und das Rechtsmittel begründen. Solche Vor-schläge sind gut gemeint, für einen vorsichtigen und verantwor-tungsbewussten Revisionsanwalt aber viel zu riskant. Wenn imErnstfall die Hoffnung trügt, die Frist verstreicht und Wiederein-setzung nicht bewilligt wird, riskiert der Anwalt womöglichnoch seinen Haftpflichtversicherungsschutz wegen wissent-licher Pflichtverletzung.

Die BGH-Anwaltschaft hat es deshalb sehr begrüßt, dass derPräsident des BGH mit Schreiben v. 16.9.2002 das Bundesmi-nisterium der Justiz mit eingehender und überzeugender Be-gründung darum gebeten hat, § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 ZPOschnellstens zu ändern und den Vorsitzenden der Zivilsenatedes BGH wieder die bisher gegebene flexible Verlängerungs-möglichkeit für Rechtsmittelbegründungsfristen (§ 554 Abs. 2ZPO a.F.) einzuräumen. Die Bundesministerin der Justiz hat imRahmen der Justizpressekonferenz am 6.3.2003 in Karlsruhe er-freulicherweise bestätigt, dass dieser Bitte alsbald entsprochenwerden soll.

7. Die Zulassungsgründe gem. §§ 543 Abs. 2, 574 Abs. 2 ZPO

In einer ganzen Reihe von Grundsatzentscheidungen hat sichder BGH – erwartungsgemäß – mit den in den §§ 543 Abs. 2 und574 Abs. 2 ZPO übereinstimmend formulierten Voraussetzun-gen beschäftigt, unter denen die Revision oder die Rechtsbe-schwerde zuzulassen ist. Dass eine Sache grundsätzliche Be-deutung i.S. dieser Vorschriften hat, „wenn sie eine entschei-dungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähigeRechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahlvon Fällen stellen kann“50, ist nicht neu und entspricht einemschon durch die §§ 546, 554 b ZPO a.F. und vergleichbare Vor-schriften anderer Verfahrensordnungen geprägten Normver-ständnis. Der BGH betont allerdings zunehmend als weiteresElement auch dieses Zulassungsgrundes das abstrakte Interesseder Allgemeinheit an der „einheitlichen Entwicklung und Hand-habung des Rechts“51. Auch den Zulassungsgrund der Fort-bildung des Rechts definiert der BGH – im Anschluss an die amt-liche Begründung52 – als die durch den Einzelfall veranlasste Er-forderlichkeit einer höchstrichterlichen Entscheidung zu demZweck, „Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmun-gen des materiellen oder formellen Rechts aufzustellen oder Ge-setzeslücken auszufüllen“53; in der Rechtsmittelpraxis hat diesereher seltene Zulassungsgrund aber nur eine untergeordnete Be-deutung.

Für Verwirrung und Unruhe hat dagegen die neue BGH-Rspr. zudem dritten, für die Praxis wichtigsten Zulassungsgrund derSicherung einer einheitlichen Rspr. geführt. Dass zu diesem Zu-lassungsgrund die Divergenz im herkömmlichen Sinne zählt,d.h. also der Fall, dass in der angefochtenen Entscheidung ein(abstrakter) Rechtssatz aufgestellt ist, der von einem die höchst-richterliche Vergleichsentscheidung tragenden (abstrakten)Rechtssatz abweicht54, ist gleichfalls nicht neu und beschreibtdie aus anderen Verfahrensordnungen bekannte „Divergenzre-vision“ – eine Rechtsmittelvariante, die wegen der Seltenheitechter Divergenzen (im engeren Sinne) und ihrer extrem hohenErfolglosigkeitsrate bei den Parteien und ihren Anwälten wenigFreunde hat. Die aus Sicht der Rechtsuchenden wichtigsteFrage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein kausalerRechtsanwendungsfehler im Einzelfall unter dem Gesichts-punkt der Sicherung einer einheitlichen Rspr. die Zulassung derRevision ermöglicht, ist jedoch vom BGH in einer inzwischenschon als gefestigt zu bezeichnenden Rspr. extrem restriktiv undin offenem Widerspruch zu den aus den Gesetzesberatungenbekannten Interpretationen beantwortet worden.

Fehler bei der Anwendung von Rechtsnormen des revisiblenRechts sollen nur dann die Voraussetzungen dieses Zulassungs-grundes erfüllen, wenn sie die Wiederholung durch dasselbeGericht oder die Nachahmung durch andere Gerichte erwartenließen und wenn dadurch über die Einzelfallentscheidung hin-aus die Interessen der Allgemeinheit nachhaltig berührt würden.Zu diesem Zweck müsse der Bf. darlegen, dass das Berufungs-gericht etwa eine höchstrichterliche Rspr. in ständiger Praxis

BRAK-Mitt. 5/2003 Aufsätze 207

Büttner, Bericht und erste Erfahrungen mit der neuen Revision in Zivilsachen

49 Die Auffassung Meyer-Seitz in: Hannich/Meyer-Seitz, ZPO-Reform2002, § 520 Rdnr. 10, dass als Wegfall des Hindernisses i.S. des § 234Abs. 2 ZPO nicht die PKH-Bewilligung, sondern erst die Einlegungdes Rechtsmittels anzusehen ist und dass deshalb dem Rechtsmittel-führer zwei mal zwei (= vier) Wochen Zeit für die Begründung zurVerfügung stehen, erscheint zu gewagt, als dass ein der anwaltlichenVorsicht verpflichteter Prozessbevollmächtigter sich darauf verlassensollte.

50 BGH, Beschl. v. 4.7.2002 – V ZB 16/02, NJW 2002, 3029 (für BGHZbestimmt); Beschl. v. 1.10.2002 – XI ZR 71/02, NJW 2003, 65, 67 (fürBGHZ bestimmt); Beschl. v. 19.12.2002 –VII ZR 101/02, NJW 2003,831.

51 BGH, Beschl. v. 4.7.2002 – V ZR 75/02, NJW 2002, 2957; Beschl. v.1.10.2002 – XI ZR 71/02 a.a.O.

52 BT-Drucks. 14/4722 S. 104.53 BGH, Beschl. v. 4.7.2002 – V ZB 16/02, NJW 2002, 3029, 3030 (für

BGHZ bestimmt).54 BGH, Beschl. v. 29.5.2002 –V ZB 11/02, NJW 2002, 2473, 2474 (für

BGHZ bestimmt); Beschl. v. 4.7.2002 – V ZB 16/02, NJW 2002,3020, 3030 (für BGHZ bestimmt); Beschl. v. 4.7.2002 – V ZR 75/02,NJW 2002, 2957; Beschl. v. 25.7.2002 – V ZR 118/02, NJW 2002,3180, 3181; Beschl. v. 1.10.2002 – XI ZR 71/02, NJW 2003, 65, 66(für BGHZ bestimmt) mit krit. Anm. Schlosser, JZ 2003, 266.

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oder in einer Weise nicht berücksichtige, die Wiederholungenoder Nachahmungen besorgen lasse. Erforderlich soll hiernachsein, dass ein Rechtsfehler des Berufungsgerichts „symptomati-sche Bedeutung“ hat55. Diese neuartige Kategorie von Rechts-fehlern wird gar mit dem erstaunlichen Begriff der „An-steckungsgefährlichkeit“ gekennzeichnet56. Um die Nichtzulas-sungsbeschwerde ordnungsgemäß zu begründen, muss der Bf.nach Auffassung des BGH nicht nur einen Rechtsfehler des Be-rufungsgerichts benennen, sondern darüber hinaus auch kon-krete Angaben zur symptomatischen Bedeutung des Fehlersmachen; dabei ist darzulegen und zu belegen, dass es sich be-reits um eine ständige Praxis des Berufungsgerichts handelt,oder darzulegen, dass und warum eine Wiederholung oderNachahmung konkret zu besorgen ist57.

An solchen Erfordernissen muss jede seriöse Beschwerdebe-gründung scheitern. Denn dem Revisionsanwalt stehen für sol-che Zwecke keine geeigneten Aufklärungsmittel zur Verfügung.Oder sollte man sich vorstellen, dass der Revisionsanwalt dasBerufungsgericht zum Zwecke der Vorlage beim Revisionsge-richt um eine schriftliche Auskunft bittet, ob es den gerügtenRechtsfehler zu wiederholen gedenkt? Soll er durch Einholungeines Meinungsforschungsgutachtens den Grad der „An-steckungsgefährlichkeit“ und die Frage klären, ob der Rechts-fehler „symptomatische Bedeutung“ mit der Gefahr einer Nach-ahmung durch andere Gerichte hat? Die römische Rechtsweis-heit „nemo ultra posse obligatur“ verdiente auch imVerfahrensrecht mehr Respekt58.

Nicht weniger restriktiv geht die Rspr. des BGH mit dem schwe-ren oder offensichtlichen Rechtsanwendungsfehler um. EineDifferenzierung nach dem Gewicht oder nach der Evidenz einesRechtsfehlers lehnt der BGH ausdrücklich ab; gegenteiligeÄußerungen in den Gesetzesmaterialien59 erklärt er für unbe-achtlich, weil sie im Wortlaut der Vorschrift „Sicherung einereinheitlichen Rspr.“ keinen Ausdruck gefunden hat60. Ob einZulassungsgrund gegeben ist, beurteilt sich nach Auffassung desBGH nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über die Nichtzu-lassungsbeschwerde; die Zulassung der Revision wird also ver-sagt, wenn die vom Bf. (mit Recht) für grundsätzlich gehalteneRechtsfrage kurz zuvor durch eine Entscheidung des BGH ge-klärt worden ist61. Dem kann zugestimmt werden, wenn die Re-vision aufgrund der nunmehr geklärten Rechtsfrage ohne Erfolggeblieben wäre, nicht aber, wenn sich das angefochtene Urteilim Lichte der neuen Grundsatzentscheidung des BGH alsFehlurteil erweist62. Dem gleichen Zweck, nämlich der verein-fachten Zurückweisung einer Nichtzulassungsbeschwerde dientdie vom BGH vertretene Auffassung, dass ein Zulassungsgrundinfolge einer Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse, die inder Revisionsinstanz zu berücksichtigen ist, nach der Einlegungder Nichtzulassungsbeschwerde entfallen kann63.

Soweit schließlich die Verletzung von Verfahrensgrundrechten,namentlich der Grundrechte auf Gewährung rechtlichen

Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG), auf wirkungsvollen Rechtsschutz(Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und auf ob-jektiv willkürfreies Verfahren (Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. demRechtsstaatsprinzip) gerügt wird, soll die Revision oder Rechts-beschwerde zur Sicherung einer Einheitlichkeit der Rspr. nurdann zugelassen werden können, wenn dieser Verstoß im Ein-zelfall „klar zutage tritt, also offenkundig ist“64 oder wenn – mitanderen Worten – die Grundrechtsverletzung sich geradezu auf-drängt und unter Berücksichtigung der Rspr. des BVerfG „nichtzweifelhaft sein kann, dass das angegriffene Urteil einer Nach-prüfung durch das BVerfG nicht standhalten würde“65. Auchdiese überspitzten Anforderungen sind auslegungsdogmatischanfechtbar und schwerlich zu rechtfertigen. In dem offensicht-lichen Bemühen, Parteien von der Nichtzulassungsbeschwerdemöglichst fern zu halten, werden sie eher kontraproduktiv wir-ken, weil der BGH nicht die oberste Instanz für die Prüfung vonGrundrechtsverletzungen ist und die Parteien die Nichtzulas-sungsbeschwerde schon zur Erschöpfung des Rechtswegsdurchführen werden, um ihr Rechtsschutzbegehren sodann mitder Verfassungsbeschwerde weiterzuverfolgen66.

Die Rechtsanwaltschaft sieht sich aufgrund dieser Rspr. desBGH in der durch die Gesetzesberatungen genährten Erwar-tung, dass jedenfalls der schwere oder offensichtliche Rechts-fehler die Zulassung der Revision eröffnen werde, schwer ent-täuscht. Vor allem der damalige Präsident des BGH hatte wie-derholt erklärt, dass bei einem evidenten prozessualen odermateriellen Fehler die Revision möglich sein müsse und dass of-fenkundige Ergebnisverfehlungen in einem besonders wichtigenFall von der neuen Zulassungsformel erfasst würden, weil dieAufhebung eklatant falscher Urteile zur Sicherung der Rechts-anwendungsgleichheit notwendig sei67. Die auf dem DAV-Forum für die Anwaltschaft erhobene Forderung, das von Geißpostulierte Zulassungskriterium in der Norm selbst zu veran-kern68, blieb unerfüllt.

In konsequenter Anwendung dieser Rspr. liest man in Zurück-weisungsbeschlüssen des BGH inzwischen geradezu standard-mäßig Sätze wie

„Die offensichtliche Unrichtigkeit eines Urteils ist allein keinhinreichender Grund, die Revision zuzulassen.“69

oder

„Die Entscheidung über den Hilfsanspruch ist zwar offen-sichtlich fehlsam ..., dies reicht zur Zulassung der Revisionaber nicht hin . Es kann davon ausgegangen werden, dass Feh-ler dieser Art in der Rspr. der Berufungsgerichte vereinzeltbleiben.“70

oder

„Ob das Berufungsgericht damit dem Fall gerecht gewordenist, erscheint allerdings sehr zweifelhaft. ... Die Frage, ob dasBerufungsurteil materiell richtig ist, hat der Senat indes nichtzu prüfen. Ein einfacher Rechtsanwendungsfehler stellt nur

208 Aufsätze BRAK-Mitt. 5/2003

Büttner, Bericht und erste Erfahrungen mit der neuen Revision in Zivilsachen

55 BGH, Beschl. v. 29.5.2002 –V ZB 11/02, NJW 2002, 2473, 2474 (fürBGHZ vorgesehen); Beschl. v. 4.7.2002 – V ZR 75/02, NJW 2002,2957; Beschl. v. 1.10.2002 – XI ZR 71/02, NJW 2003, 65, 66 (fürBGHZ bestimmt).

56 Wenzel, NJW 2002, 3356.57 BGH, Beschl. v. 1.10.2002 – XI ZR 71/02, NJW 2003, 65, 66 f.58 Vgl. hierzu auch die kritischen Ausführungen von Rimmelspacher,

LMK 2003, 13, 14.59 Nach der amtlichen Begrünung (BT-Drucks. 14/4722 S. 104) be-

rühren materielle oder formelle Fehler bei der Auslegung oder An-wendung revisiblen Rechts über den Einzelfall hinaus allgemeine In-teressen nachhaltig, wenn sie von erheblichem Gewicht und geeig-net sind, das Vertrauen in die Rspr. zu beschädigen.

60 BGH, Beschl. v. 1.10.2002 – XI ZR 71/02, NJW 2003, 65, 67.61 BGH, Beschl. v. 20.11.2002 – IV ZR 197/02, NJW-RR 2003, 352. 62 Ebenso von Gierke/Seiler, JZ 2003, 406 f.63 BGH, Beschl. v. 12.3.2003 – IV ZR 278/02.

64 BGH, Beschl. v. 4.7.2002 – V ZB 16/02, NJW 2002, 3029, 3030 (fürBGHZ bestimmt).

65 So der XI. ZS in seinem Beschl. v. 1.10.2002 a.a.O. S. 68, der einensolchen Fall aber unter ausdrücklicher Abweichung von der Rspr. desV. a.a.O. (Beschlüsse v. 4.7.2002, NJW 2002, 3029, 3030 undNJW 2002, 2957) dem Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeu-tung zuordnen möchte; mit dieser Auffassung steht der XI. ZS allein(ablehnend neuerdings auch der VII. ZS, Beschl. v. 19.12.2002– VII ZR 101/02, NJW 2003, 831).

66 Zutreffend Rimmelspacher a.a.O. S. 13.67 Geiß, DAV-Forum Justizreform, Sonderheft AnwBl. 2000 S. 106;

ders., Anhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags am6.12.2002 (Prot. S. 103).

68 Büttner, DAV-Justizforum a.a.O. S. 111.69 BGH, Beschl. v. 19.12.2002 – VII ZR 101/02, NJW 2003, 831.70 BGH, Beschl. v. 23.1.2003 – V ZR 98/02; ähnlich Beschl. des BGH

v. 31.10.2002 – V ZR 100/02, NJW 2003, 754, 755.

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dann einen Zulassungsgrund dar, wenn eine Wiederholungdurch dasselbe Gericht oder die Nachahmung durch andereGerichte zu erwarten ist.“71

oder

„Die von der Beschwerde aufgezeigte Abweichung des Beru-fungsurteils von der höchstrichterlichen Rspr. eröffnet die Zu-lassung nicht, weil keine Wiederholungsgefahr besteht.“72

Solche aufreizenden Sentenzen provozieren Widerstand. DemBVerfG liegen inzwischen mehrere Verfassungsbeschwerdengegen Zurückweisungsbeschlüsse des BGH vor. Sie richten sichteils gegen die Verneinung grundrechtsrelevanter Rechtsver-stöße im Einzelfall, teils gegen das neue Revisionszulassungs-recht als solches, das die Ergebnisunrichtigkeit des angefochte-nen Urteils als Zulassungsgrund nicht genügen lässt. Es ist hiernicht der Ort, die rechtspolitische Diskussion über das Für undWider der Zulassungsrevision fortzusetzen73. Vielmehr bleibtzunächst abzuwarten, ob das neue Revisionsrecht der verfas-sungsrechtlichen Nachprüfung, insbesondere am Maßstab derPlenarentscheidung des BVerfG v. 11.6.198074 standhält.

Jedenfalls bis dahin müssen die Parteien und die Revisionsan-wälte mit dieser prohibitiven Zulassungsrechtsprechung desBGH leben. Mit Bedauern ist freilich zu beobachten, dass – alsFolge davon – in den Beschwerdebegründungen zum Nachweiseiner Divergenz „abstrakte Rechtssätze“ behauptet werden, woallenfalls schlichte Subsumtionsfehler gerügt werden könnten,und durchschnittliche Sach- oder Verfahrensrügen mitunter ingrotesker Weise überzeichnet werden. Um wenigstens verbaldem Zulassungserfordernis zu genügen, dass der gerügteRechtsfehler zugleich ein offenkundiger Verstoß gegen Grund-rechte sei, werden Verletzungen des § 286 ZPO geradezu re-gelmäßig als Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG und sonstigeRechtsfehler als „offensichtlich“, „grob“, „willkürlich“ und„grundrechtswidrig“ beanstandet. Als Folge einer unklaren Re-visionszugangsregelung wird die Skala der Gewichte der gerüg-ten Rechtsfehler auf diese Weise verzerrt – ungeachtet des Hin-weises des BVerfG, dass jedenfalls im Bereich sachlich-recht-licher Fehler im Hinblick auf die Gewährleistung einer richtigenEinzelfallentscheidung eine Abstufung nach der Schwere oderVertretbarkeit von Rechtsfehlern von Verfassungs wegen nichtsachgerecht wäre75.

8. Stimmenmehrheit im Senat für NZB-Zurückweisungs-beschlüsse

Nach § 554 b Abs. 2 ZPO a.F. war für die Ablehnung der An-nahme der Revision eine Mehrheit von zwei Dritteln der Stim-men, also das Votum von vier Richtern erforderlich. Wenn nurzwei Richter des Senats für die Annahme stimmten, war dieNichtannahme der Revision ausgeschlossen.

Dieses Erschwernis für Ablehnungsentscheidungen ist durch dieZPO-Reform ersatzlos entfallen. Für die Zurückweisung derNichtzulassungsbeschwerde genügt nunmehr die absolute, d. h.die einfache Mehrheit der Stimmen nach § 196 Abs. 1 GVG. DieStimmenmehrheit von drei Stimmen genügt also sowohl für dieZulassung der Revision als auch für die Zurückweisung derNichtzulassungsbeschwerde. Gegenüber dem bisherigen Rechtist den Zivilsenaten also die ablehnende Entscheidung gerichts-verfassungsrechtlich erleichtert worden76.

9. Sprungrevision

Im Jahr 2002 gab es nur eine Sprungrevision nach neuemRecht77. In dem Beschluss, mit dem der BGH den Antrag auf Zu-lassung der Sprungrevision zurückwies, bestätigte er lediglich,was sich bereits aus § 566 Abs. 1 ZPO ergibt, dass nämlich derAntrag auf Zulassung der Sprungrevision gegen ein amtsge-richtliches Urteil statthaft ist, wenn der Wert des Beschwerde-gegenstandes die Berufungssumme von 600 Euro übersteigt undder Gegner in die Übergehung der Berufungsinstanz einwil-ligt78. Die Wertgrenze von 20 000 Euro gem. § 26 Nr. 8 EGZPOgilt für die Sprungrevision nicht.

Im Übrigen ist die Sprungrevision wegen der verfehlten Antrags-und Begründungsfrist von nur einem Monat79 für die Praxis be-deutungslos geworden.

10. Rechtsbeschwerde gem. §§ 574 ff. ZPO

Mit der durch das ZPO-Reformgesetz in den §§ 574 ff. ZPO neueingeführten Rechtsbeschwerde ist ein revisionsähnlich ausge-staltetes allgemeines Rechtsmittel für das zivilprozessrechtlicheBeschwerdeverfahren eingeführt worden. Allein die hohen Ein-gangszahlen (siehe oben I) machen deutlich, welch breitenRaum die Rechtsbeschwerde in der Rechtsmittelpraxis einge-nommen hat. In der zahlenmäßigen Reihenfolge verteilen sichdie Rechtsbeschwerden im Wesentlichen auf Zwangsvoll-streckungssachen, auf die Versagung von Wiedereinsetzungsge-suchen und dieVerwerfung von Berufungen (§§ 238 Abs. 2, 522Abs. 1 ZPO), auf Kostensachen und auf Familiensachen (§ 621eAbs. 2 ZPO). Die Zulässigkeitsvoraussetzungen sind in § 574Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO gleich lautend wie für die Revision in§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 ZPO geregelt (grundsätzlicheBedeutung der Rechtssache, Fortbildung des Rechts oder Siche-rung einer einheitlichen Rspr.). Nur wenn diese Voraussetzun-gen vorliegen, hat das Berufungs- oder Beschwerdegericht dieRechtsbeschwerde in Fällen, in denen deren Statthaftigkeit nichtausdrücklich im Gesetz bestimmt ist, zuzulassen; das Rechtsbe-schwerdegericht ist an die Zulassung gebunden (§ 574 Abs. 3ZPO). Eine solche Bindung gilt aber nicht für eine (überflüssigeund deshalb verfehlte) Zulassung von Rechtsbeschwerden, dieschon kraft Gesetzes statthaft sind (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Sohat der BGH eine vom Berufungsgericht ausdrücklich zugelas-sene Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzuläs-sig verwerfenden Beschluss zwar als von Gesetzes wegen statt-haft (§§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) angesehen, sieaber gleichwohl als unzulässig verworfen, weil die von ihm ineigener Entscheidungskompetenz zu überprüfenden Zulässig-keitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht vorlagen80.

In den Fällen, in denen die Rechtsbeschwerde kraft ausdrück-licher Vorschrift von Gesetzes wegen statthaft ist (§ 574 Abs. 1Nr. 1 ZPO: so insbesondere gem. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO, §§ 4,7 InsO), unterscheidet sich das Rechtsbeschwerdeverfahrentrotz der sachlich übereinstimmenden Zulässigkeits- bzw. Zu-lassungsvoraussetzungen insofern vom Verfahren der Nichtzu-lassungsbeschwerde gem. § 544 ZPO, als im Rechtsbeschwer-deverfahren eine gesonderte Zulassung der Rechtsbeschwerdenicht stattfindet. Vielmehr entscheidet das Rechtsbeschwerde-gericht in einem einheitlichen Verfahren über die Zulässigkeitund, falls diese zu bejahen ist, über die Begründetheit derRechtsbeschwerde. Demgemäß muss die fristgebundene Be-gründung der Rechtsbeschwerde in diesen Fällen nicht nur eine

BRAK-Mitt. 5/2003 Aufsätze 209

Büttner, Bericht und erste Erfahrungen mit der neuen Revision in Zivilsachen

71 BGH, Beschl. v. 11.3.2003 – XI ZR 190/02.72 BGH, Beschl. v. 25.3.2003 – XI ZR 241/02.73 Zur aktuellen Kritik vgl. Piekenbrock/Schulze, JZ 2002, 911;

Scheuch/Lindner, NJW 2003, 728; List, DB 2003, 572.74 BVerfGE 54, 277.75 BVerfGE 54, 277, 295.76 Diese – in den Gesetzesmaterialien nicht erläuterte – Änderung ist in

den Beratungen bei DAV und BRAK unerkannt geblieben.

77 Im gleichen Zeitraum gingen drei Sprungrevisionen nach altemRecht ein.

78 BGH, Beschl. v. 1.10.2002 – IX ZR 125/02, WM 2002, 2408, 2409.79 § 566 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. §§ 548, 549 ZPO; vgl. dazu die Kritik von

Büttner, MDR 2002, 1208.80 BGH, Beschl. v. 20.2.2003 – V ZB 59/02.

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Darlegung zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574Abs. 2 ZPO, sondern zugleich auch die Angabe der Rechtsbe-schwerdegründe enthalten (§ 575 Abs. 3 Nr. 2 und 3 ZPO). Hin-gegen müssen in der Begründung der Nichtzulassungsbe-schwerde, die nicht der Herbeiführung einer Entscheidung inder Hauptsache, sondern allein der Zulassung der Revisiondient, lediglich die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2 ZPO) dar-gelegt werden (§ 544 Abs. 2 Satz 3 ZPO); die Revisionsgründekönnen, müssen aber nicht angegeben werden (vgl. § 551Abs. 3 Satz 2 ZPO).

Nicht den §§ 574 ff. ZPO unterliegen die in anderen Gesetzenbesonders geregelten Rechtsbeschwerdeverfahren (§§ 83 ff.MarkenG; §§ 100 ff. PatG; §§ 74 ff. GWB n.F.; §§ 24 ff. LwVG).

Ersichtlich vernachlässigt wurde die Regelung der Anwaltsge-bühren für die neue Rechtsbeschwerde gem. §§ 574 ff. ZPO.Hierfür wurde in die BRAGO kein besonderer Gebührentatbe-stand aufgenommen. Im Zuge der ZPO-Reform wurde zwar fürdie Nichtzulassungsbeschwerde (§ 544 ZPO) ausdrücklich eineneue Gebührenvorschrift in § 61 a Abs. 2 Nr. 2 BRAGO aufge-nommen; danach beträgt die Prozessgebühr (§ 61 a Abs. 3 i.V.m.§ 11 Abs. 1 Satz 4 und 5 BRAGO) vor dem BGH 20/10 und istauf die Prozessgebühr in einem nachfolgenden Revisionsver-fahren anzurechnen (§ 61a Abs. 4 BRAGO). Auch hat sich derGesetzgeber der neuen Rechtsbeschwerde bei der Regelung derGerichtsgebühren nach dem GKG angenommen (KV-Nr. 1952bis 1954 n.F.). Da aber die BRAGO über die Vergütung des RAim Rechtbeschwerdeverfahren gem. § 574 ff. ZPO schweigt, be-steht Streit darüber, ob dann die für das Beschwerdeverfahrengeltende Vorschrift des § 61 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO mit einer 5/10Gebühr anzuwenden ist oder ob gem. § 2 BRAGO in sinn-gemäßer Anwendung einer anderen Gebührenvorschrift, die dieVergütung für eine vergleichbare Tätigkeit regelt, eine höhereGebühr anfällt. Die BRAGO enthält eine erstaunliche Vielfaltvon Gebührenvorschriften für diverse Rechtsbeschwerdeverfah-ren, die aber in Anbetracht der unterschiedlichen Ge-bührensätze ein einheitliches Konzept vermissen lassen:

– Rechtsbeschwerdeverfahren nach dem Patentgesetz und nachdem Markengesetz: 13/10 (§ 66 Abs. 3 i.V.m. § 11 Abs. 1Satz 4 BRAGO).

– Rechtsbeschwerdeverfahren nach dem GWB: 13/10 (§ 65 ai.V.m. § 11 Abs. 1 Satz 4 BRAGO).

– Rechtsbeschwerdeverfahren nach dem LwVG: 10/10 (§ 63Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BRAGO).

– Rechtsbeschwerdeverfahren nach § 1065 ZPO (Anfechtungvon Beschlüssen über schiedsrichterliche Entscheidungen undVollstreckbarerklärungen): 10/10 (§ 46 Abs. 2 BRAGO).

– Rechtsbeschwerdeverfahren in Familiensachen gem. § 621 eAbs. 2 ZPO: 20/10 (§ 61a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 i.V.m. § 11Abs. 1 Satz 5 BRAGO).

Besonders verwirrend ist, dass auch die beiden ausdrücklich ge-nannten Rechtsbeschwerdeverfahren aus der ZPO, nämlich dieRechtsbeschwerde nach § 621 e Abs. 2 ZPO und die nach§ 1065 ZPO, unzweifelhaft unter § 574 Abs. 1 ZPO fallen, abergleichwohl extrem unterschiedlich vergütet werden. Das alleszeigt, dass – ungeachtet einer ersichtlich wünschenswerten Har-monisierung der Gebührenvorschriften für die verschiedenenRechtsbeschwerdeverfahren – auf jeden Fall die Schaffung einesausdrücklichen Gebührentatbestandes für das neue Rechtsbe-schwerdeverfahren der ZPO dringend erforderlich ist, um derderzeit herrschenden Rechtsunsicherheit ein Ende zu bereiten.Bis dahin wird zumindest der Beschluss des BGH v. 26.1.198381

zur Rechtsbeschwerde nach den §§ 17 ff. des damaligenAGEuGVÜ (nunmehr Rechtsbeschwerde gem. §§ 15 ff. AVAGi.V.m. § 574 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ZPO) zu beachten sein: Danachist diese Rechtsbeschwerde „ein der Revision gleichgeartetesRechtsmittel“ und rechtfertigt folglich gem. § 2 BRAGO die ent-sprechende Anwendung der für das Revisionsverfahren gelten-den Gebührenvorschriften. De lege ferenda sollte daher zumin-dest in den Fällen des § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, in denen wegender notwendigen Darlegung zu den Zulässigkeitsvoraussetzun-gen des § 574 Abs. 2 ZPO hohe Begründungsanforderungen andie Rechtsbeschwerde gestellt werden (§ 575 Abs. 3 Nr. 2 ZPO),eine 20/10 Gebühr vorgesehen werden. Denn der Begrün-dungsaufwand ist in diesen Fällen keineswegs geringer, sonderneher noch höher als bei der Nichtzulassungsbeschwerde gem.§§ 544 ZPO, 61a BRAGO.

210 Aufsätze BRAK-Mitt. 5/2003

Prütting, Rechtsanwälte als Richter aus der Sicht der Wissenschaft

81 NJW 1983, 1270.

Rechtsanwälte als Richter aus der Sicht der Wissenschaft*

Prof. Dr. Hanns Prütting, Köln

I. Einführung

Das Thema „Rechtsanwälte als Richter“ enthält aus deutscherSicht eine durchaus ungewöhnliche und ein wenig über-raschende Fragestellung. Bei näherer Betrachtung ergibt sich einweiter Interpretationsspielraum. Herr Dr. Winte hat das Themaim Wesentlichen rechtspolitisch behandelt, wie es vermutlichauch gedacht war. Man könnte aber ebenso de lege lata den rich-terlichen Aspekten im Rahmen der beruflichen Tätigkeit des RAnachgehen. Hinter demThema steht vielleicht auch die Frage, obsich die Qualität deutscher Richterinnen und Richter dadurchverbessern lässt, dass diese sich nach angloamerikanischem

Muster aus dem Bereich der qualifizierten RAe rekrutieren. Be-flügelt wurde das Thema möglicherweise auch deshalb, weil vorkurzem erstmals ein RA zum Richter am BGH gewählt wurde.

Unabhängig von allen diesen Einzelaspekten ergibt sich das be-sondere Gewicht des Themas möglicherweise aber auch daraus,dass wir uns in Deutschland mitten in einer großen Juristen-Aus-bildungsreform befinden und damit zwangsläufig Fragen wiedie Bedeutung und die Erhaltung des Einheitsjuristen oder dieEinführung ganz neuer Ausbildungsschritte wie Bachelor undMaster eine besondere Rolle spielen.

II. Die Fallgestaltungen de lege lata

Bei einer Rundumsicht lässt sich ohne größere Schwierigkei-ten feststellen, dass es zwischen richterlicher und anwaltlicherTätigkeit de lege lata einige kleinere Überschneidungen gibt.

* Vortrag anlässlich der am 28./29.3.2003 durch die BRAK mit ihremZPO/GVG-Ausschuss veranstalteten Diskussion über die Stellung vonRichtern und RAen, woran Hochschullehrer, Richter und Beamte derJustizverwaltung teilnahmen.

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1. Die Anwaltsgerichte

Dies beginnt mit der Tätigkeit von RAen im Rahmen der An-waltsgerichtsbarkeit. So sind bekanntlich die Anwaltsgerichtegem. §§ 93, 94 BRAO ausschließlich mit RAen besetzt. DerAGH ist gem. §§ 101, 104 BRAO mit fünf Richtern besetzt, wo-bei der Vorsitzende und zwei Beisitzer zwingend RAe sein müs-sen. Schließlich sind beim Anwaltssenat am BGH unter den ins-gesamt sieben Mitgliedern drei RAe als Beisitzer.

2. Der Rechtsanwalt als Mediator und Schlichter

Eine weitere der richterlichen Stellung nahe stehende Funktionüben RAe aus, die als Mediator oder Schlichter tätig sind. Es be-darf an dieser Stelle keiner näherer Darlegung, dass sich der An-walt ohne Verstoß gegen Berufsregeln in eine solche schlich-tende oder mediative Tätigkeit zwischen den Parteien begebendarf. Dies ergibt sich bereits aus der Berufsordnung und aus denlandesrechtlichen Ausführungsgesetzen zu § 15a EGZPO. Esversteht sich, dass in solchen Fällen die Unabhängigkeit undUnparteilichkeit des anwaltlichen Mediators oder Schlichterszentrale Verfahrensgrundlagen darstellen. Dies bedeutet, dasssowohl im laufenden Verfahren Neutralität zu wahren ist, dassdarüber hinaus aber auch der anwaltliche Mediator nach Ab-schluss des Verfahrens nicht einen Beteiligten gegenüber demanderen vertreten darf.

3. Der Rechtsanwalt als Schiedsrichter

Ähnlich selbstverständlich ist die Feststellung, dass ein RA alsSchiedsrichter i.S.d. schiedsgerichtlichen Verfahrens nach dem10. Buch der ZPO tätig sein darf. Als ein solcher Schiedsrichterbegibt er sich in eine bereits im engeren Sinn richterliche Rolle.Konsequenterweise kann er gem. § 1036 ZPO abgelehnt wer-den, wenn Zweifel an seiner Unparteilichkeit oder Unabhän-gigkeit bestehen. Auch das Gebot der Gleichbehandlung derParteien gem. § 1042 Abs. 1 Satz 1 ZPO gehört hierher.

4. Der Rechtsanwalt am Verfassungsgericht

Abschließend darf erwähnt werden, dass RAe auch zu Richternam BVerfG und an den jeweiligen Landesverfassungsgerichtenernannt werden können. Freilich ruht während dieser Zeit diesonstige berufliche Tätigkeit (§ 3 Abs. 3 BVerfGG).

5. Zwischenergebnis

Dieser knappe Überblick zeigt, dass es Verknüpfungen von rich-terlicher und anwaltlicher Tätigkeit in Deutschland in Ausnah-mefällen gibt. Sowohl institutionelle Barrieren als auch das un-terschiedliche Selbstverständnis von richterlicher und anwaltli-cher Tätigkeit setzen solchen Überschneidungen de lege lataaber sehr enge Grenzen. Es ist nicht weiter zweifelhaft, dass dasThema meines heutigen Vortrags daher weniger an solchen Bei-spielen de lege lata anknüpft, sondern den Blick auf die Situa-tion de lege ferenda richten möchte.

III. Der Berufswechsel des Rechtsanwalts

Der Vortrag von Herrn Dr. Winte hat uns allen bereits sehr plas-tisch gezeigt, dass man demThema auch eine sehr pragmatischeSeite abgewinnen kann. Die von ihm gestellte Frage bezog sichim Wesentlichen auf den Berufswechsel des RA in das Amt desRichters. Die Vorteile und die Probleme eines solchen Berufs-wechsels sind uns deutlich vor Augen geführt worden. Sie be-dürfen hier zunächst keiner Vertiefung. Natürlich wäre es hilf-reich, wenn durch den Wechsel solcher beruflichen Tätigkeitenein Austausch von Rechts- und Lebenserfahrungen stattfände,wenn das unterschiedliche Arbeitsethos und das unterschiedli-

che Arbeitsklima jeweils die andere Seite befruchten könnte undwenn die Lebensnähe anwaltlicher Tätigkeit in besondererWeise den Gerichtsentscheidungen zugute käme.

Dass einem solchen Befund bestimmte rechtliche, laufbahn-mäßige und andere Barrieren im Wege stehen können, ist keinebesonders neue Einsicht. Deshalb soll hier die Nebentätigkeitdes RA als Richter nicht näher erwogen werden. Es fehlt an derrechtlichen Zulässigkeit. Zu fragen ist aber, wie es mit demWechsel des Hauptberufs steht. Immerhin erwirbt der Rechtsre-ferendar mit erfolgreicher Ablegung des 2. Staatsexamens in je-dem Falle die Befähigung zum Richteramt, die ihm bekanntlichin gleicher Weise den Zugang zur Anwaltschaft eröffnet. Derviel beschworene deutsche Einheitsjurist ist also in formalerHinsicht die ideale Voraussetzung für einen Wechsel der Tätig-keit zwischen Richter und RA. Wenn ein kurzer historischerRückblick von Herrn Dr. Winte allerdings in der Praxis einensolchen Wechsel nur in Zeiten mit Kriegseinwirkungen und an-deren Umbrüchen, die zu besonderer Richternot führten, alsRealität schildert, so zeigt sich bereits darin, dass offenbar dieförmlichenVoraussetzungen des Berufszugangs für unser Themanicht von entscheidender Bedeutung sind. Es liegt deshalb be-sonders nahe, das Thema durch einen rechtsvergleichendenBlick noch ein wenig weiter zu konkretisieren.

IV. Rechtsvergleichende Übersicht

1. Frankreich

Am 1.1.1992 trat in Frankreich die umfassende Reform des an-waltlichen Berufsrechts aus dem Jahre 1990 in Kraft. Seitherwird gerne von „„la nouvelle profession d’avocat“ gesprochen.Geschaffen wurde im Wesentlichen der einheitliche RA, dessenEinschreibung in die Anwaltsliste folgendeVoraussetzungen hat:in der Regel ein Universitätsdiplom, die maitrise en droit, nachderen Ablegung sich der Weg der künftigen französischen RAevon anderen Juristen trennt; anschließend eine Aufnahmeprü-fung und eine einjährige vor allem theoretische Ausbildung aneinem regionalen Ausbildungszentrum. Diese Ausbildung endetmit dem CAPA-Examen (certificat d’aptitude à la professiond’avocat). Daran schließt sich eine zweijährige Praxiszeit an(eine Art Anwaltsassessoriat), an deren Ende die Anwaltszulas-sung steht.

Der kurze Überblick zeigt, dass ein Wechsel zwischen RA undRichter in Frankreich schon ausbildungsmäßig weitgehend aus-geschlossen, aber auch in der Praxis sehr selten ist.

2. England

Die berühmte Zweiteilung der englischen RAe in Barristers undSolicitors soll uns bei einem Blick auf England ebenso wenignäher beschäftigen wie die verschiedenen Reformschritte undPläne seit 1990. Bis heute wird für den Zugang zur Rechtsan-waltschaft ein juristisches Studium nicht zwingend vorausge-setzt, wenngleich es seit langem die Regel ist. An das dreijährigeStudium schließt sich ein einjähriger „legal practice course“ aneiner law school mit Examen an, sodann folgt eine zweijährigePraxiszeit bei einem erfahrenen Solicitor als „trainee“. Danachwird der Bewerber vom „Master of the rolls“ in das Anwaltsver-zeichnis aufgenommen.

Der Zugang zum Barrister ist schon im Ansatz deutlich elitärer:Das Universitätsstudium wird von Barristers auch heute noch inder Regel in Oxford oder Cambridge absolviert. Es schließt sichein besonderer Kurs (vocational course) und eine Prüfung an.Nach mindestens 10jähriger Tätigkeit und weiterer Qualifikationkann der Barrister den Titel eines „Queens Counsel“ erwerben.

Obwohl also auch englische Anwälte ein spezielles Anwalts-examen aufzuweisen haben, ist die Situation im Hinblick auf

BRAK-Mitt. 5/2003 Aufsätze 211

Prütting, Rechtsanwälte als Richter aus der Sicht der Wissenschaft

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einen Berufswechsel bekanntlich völlig anders als in Frankreichund bei uns (das Referat von Herrn Dr. Winte erwähnte dies be-reits). Denn es bestehen enge Verbindungen insbesondere derBarristers zur Richterschaft. Aus den Reihen der exzellentenBarristers werden häufig später die Richter ausgewählt und vomLord Chancellor ernannt. Allerdings ist es seit der Reform von1990 auch möglich, dass Solicitors zu höheren Richtern ernanntwerden. Insgesamt gehen die englischen Richter, sofern es sichnicht um Laienrichter handelt, nahezu ausnahmslos aus denReihen der praktizierenden Rechtsanwaltschaft hervor. Dabeigibt es neben der Auslese nach Qualität und Erfahrung vor al-lem auch zeitliche Zugangsschranken unterschiedlicher Art(etwa eine 7-, 10- oder 15-jährige Tätigkeit als RA sind typischeVoraussetzungen für die verschiedenen Richterpositionen). Zu-dem gibt es auch innerhalb der englischen Richterschaft einestarke Hierarchie.

Im Ergebnis muss ich den Ausführungen von Herrn Dr. Winte imHinblick auf die englische Situation zustimmen. Die Strukturder deutschen Rechtsanwaltschaft ist mit der englischen nichtvergleichbar, aber auch die deutsche Richterschaft kann mit denenglischen Richtern nicht verglichen werden. Der Wechsel desenglischen RA in eine Richterposition verlangt bestimmte struk-turelle Voraussetzungen, die Herr Dr. Winte bereits mit denfrüheren besonderen Verdienstmöglichkeiten, der Alterssiche-rung und dem Ansehen der Richterschaft umschrieben hat. Vorallem der letztgenannte Gesichtspunkt des besonderen Prestigesenglischer Richter dürfte der entscheidende sein.

3. USA

In den USA ist das Bild durch die erheblichen Unterschiede zwi-schen den Bundesgerichten und den Gerichten der einzelnenStaaten bzw. der jeweils unterschiedlichen Rechtsordnung be-kanntlich sehr vielfältig. Die Bundesrichter werden auf Lebens-zeit ernannt. Darüber hinaus werden die Richter der einzelnenStaaten teilweise ernannt, teilweise werden sie gewählt. DasAmt ist meist befristet, eine Wiederwahl ist aber möglich. Nochwichtiger als dies ist für unsere heutigen Überlegungen die Tat-sache, dass der amerikanische Richter kein Laufbahnberuf ist.Bei der Richterwahl, aber ebenso bei der Ernennung spielen Fra-gen der Persönlichkeit eine wichtige Rolle, unabhängig davon,ob der künftige Richter zuvor RA, Verwaltungsbeamter oderHochschullehrer gewesen war. In der Praxis haben freilich diegroße Mehrzahl der Richter früher als Anwälte praktiziert.

Der Zugang zur Anwaltschaft ist in den USA nicht so stark reg-lementiert.Voraussetzung ist in jedem Falle ein mindestens drei-jähriges Studium an einer US-amerikanischen law school unddas Bestehen des „bar exam“.

Interessant ist die Tatsache, dass in jüngerer Zeit vermehrt dieAbschaffung der Richterwahl gefordert wird, insbesonderedurch die American bar association. Dass daneben in den USAdas Laienrichterelement von sehr großer Bedeutung ist, berührtunser heutiges Thema nicht unmittelbar.

4. Österreich

Wesentlich bekannter und vertrauter erscheint uns das Systemunseres Nachbarlandes Österreich. Der Zivilrichter ist Berufs-richter auf Lebenszeit, er wird vom Bundespräsidenten (bzw.Justizminister) ernannt. Voraussetzung ist die Befähigung zumRichteramt, die sich aus § 2 Richterdienstgesetz ergibt. Dazu be-darf es eines rechtswissenschaftlichen Diplomstudiums, einervierjährigen Rechtspraxis im richterlichen Vorbereitungsdienstund des Bestehens der speziellen Richteramtsprüfung. Aller-dings können diejenigen Juristen, die die Rechtsanwaltsprüfungerfolgreich abgelegt haben, durch Bestehen einer Ergänzungs-prüfung ebenfalls die Befähigung zum Richteramt erlangen.

Die Anwaltszulassung verlangt in Österreich ein Studium derRechtswissenschaft mit Abschluss als Magister oder früher dasDoktorat, eine früher siebenjährige und jetzt fünfjährige Praxisund anschließend die erfolgreiche Ablegung der Rechtsanwalts-prüfung (in Teilschritten). Es liegt nahe, dass angesichts solcherVoraussetzungen der Berufswechsel eine seltene Ausnahme inÖsterreich ist. Dies ist in der Praxis auch so festzustellen.

5. Schweiz

Wiederum anders ist die Rechtslage in unserem NachbarlandSchweiz. Dort war bis vor kurzem die richterliche und anwalt-liche Situation wie das gesamte Verfahrensrecht selbst stets kan-tonal geregelt und geprägt. Es galt also ein vielfältiges und un-terschiedliches System im Bundesrecht und in den 26 kantona-len Rechten. Überwiegend konnte man RA nach einemrechtswissenschaftlichen Studium von meist vier Jahren mit Li-zensiatenexamen und einer praktischen Ausbildung beim RAwerden, die zwischen sechs Monaten und zwei Jahren dauerte.Am Ende der praktischen Ausbildung stand und steht das An-waltsexamen, das den Berufszugang freigibt. Interessant ist da-bei, dass dieses Anwaltsexamen in einigen Kantonen auch alsVoraussetzung für die Wählbarkeit zu gewissen öffentlichenÄmtern und insbesondere für die Wahl zum Richter am Kan-tonsgericht gilt.

Mit dem In-Kraft-Treten des neuen Bundesgesetzes über dieFreizügigkeit der RAe in der Schweiz (BGFA) v. 1.6.2002 hatsich hier eine weitgehende Vereinheitlichung des Berufsrechtsergeben. Zwar können die Kantone noch immer die Vorausset-zungen der Zulassung zum Anwaltsberuf frei regeln. Es zeichnetsich aber sehr deutlich ab, dass alle Kantone sich an den nun-mehr bundesrechtlich vorgesehenen Mindeststandard haltenwerden. Dieser bundesrechtliche Mindeststandard im neuenBGFA hat die früher vorhandenen persönlichen Voraussetzun-gen für den RA weitgehend beseitigt, die hier bereits genanntensachlichen Voraussetzungen stimmen aber im Wesentlichen mitden bisherigen kantonalen Regelungen überein. Insgesamt lässtdas eigenständige Anwaltsexamen in der Schweiz vermuten,dass eine Durchlässigkeit der Berufe kaum gegeben ist.

Dem steht freilich gegenüber, dass die Richter in der Schweizgewählt werden. Die Bundesrichter rekrutieren sich vornehm-lich aus ehemaligen Mitgliedern kantonaler Gerichte, aber auchProfessoren, höhere Verwaltungsbeamte und RAe werdenmanchmal zu Bundesrichtern gewählt. In den einzelnen Kanto-nen sind in der Regel alle Stimmberechtigten wählbar. Vollamt-liche Richterstellen der Kantonsgerichte setzen aber auch hier inder Praxis eine juristische Ausbildung voraus, ohne dass ein aka-demischer Grad zwingend wäre.

6. Zwischenergebnis

Die Möglichkeit des Wechsels zwischen anwaltlicher und rich-terlicher Berufstätigkeit ist nach dem bisherigen Überblick we-niger von dem Gegensatz der Richterwahl zur Richterernen-nung abhängig. Nicht einmal die unterschiedliche Ausbildungbzw. das Erfordernis eines eigenen Anwaltsexamens ist von aus-schlaggebener Bedeutung. Umgekehrt kann offenbar das Sys-tem eines Einheitsjuristen nach deutschem Muster Flexibilitätnicht garantieren. Von zentraler Bedeutung für einen Berufs-wechsel scheint dagegen das richterliche Berufsprestige zu sein.

V. Folgerungen für die Situation der deutschen Juristenaus-bildung

Wie die bisherigen Erwägungen zeigen, ist die Diskussion umdie Juristenausbildung und vor allem um den deutschen Ein-heitsjuristen für unser heutiges Thema wohl nicht so ausschlag-

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gebend, wie man auf den ersten Blick meinen könnte. Daherkann man umgekehrt wohl auch feststellen, dass die vom deut-schen Gesetzgeber geplante „anwaltsorientierte Juristenausbil-dung“ die Flexibilisierung des Berufswechsels nicht ernstlichvoranbringen wird. Damit scheint im Kampf um ideologischePositionen in der deutschen Juristenausbildung durchaus Ballastabgeworfen. Eine verbesserte Juristenausbildung ist zwar ohneZweifel für den Einstieg in die jeweiligen Professionen nützlich.Auf einen späteren Berufswechsel dürfte diese verbesserte Juris-tenausbildung eher geringe Auswirkungen haben.

Für mich als Dekan der wohl zurzeit zahlenmäßig größtenRechtswissenschaftlichen Fakultät in Deutschland drängen sichangesichts solcher Überlegungen ergänzende Gedanken auf,die die unendliche Geschichte um die Reform der juristischenAusbildung betreffen. Gerade ein Rechtsvergleich zeigt immerwieder, dass entgegen vielfach zu hörenden Behauptungen diedeutsche Juristenausbildung keineswegs so schlecht und so ex-trem reformbedürftig ist, wie dies in jüngerer Zeit oftmals be-hauptet wurde. Im Zusammenhang mit unserem Thema scheintmir aber Folgendes besonders wichtig: Ein Motor der derzeit un-ter großen Mühen umzusetzenden Reform (also des Gesetzeszur Reform der Juristenausbildung v. 11.7.2002) war und ist dieBehauptung, die bisherige Juristenausbildung in Deutschlandsei einseitig auf richterliche Tätigkeit ausgerichtet und bereitenicht auf den Anwaltsberuf vor. Wir alle wissen, dass an dieserBehauptung ein Körnchen Wahrheit ist – aber eben nur einKörnchen. Natürlich gab es in der Vergangenheit Defizite spe-ziell bei der Vermittlung der anwaltlichen Arbeitsweise, des an-waltlichen Berufsrechts (das übrigens auch erstaunlich vielenRAen selbst weithin unbekannt ist) und der anwaltlichen Sicht-weise auf Konfliktsituationen. Deshalb hat beispielsweise dieKölner Fakultät vor genau 15 Jahren ein Institut für Anwaltsrechtgegründet, das bekanntlich seither vielfältige Nachahmung ge-funden hat und das aus wissenschaftlicher Sicht doch wohl Zei-chen gesetzt hat, um die Kluft zwischen Rechtswissenschaft undAnwaltschaft zu schließen, die Konrad Redeker in seinem le-gendären Vortrag zur Eröffnung des Kölner Instituts beklagthatte.

Worum es mir bei dieser Zwischenbemerkung geht, ist Folgen-des: Der rechtsvergleichende Blick macht deutlich, wie wenigder mögliche Berufswechsel zwischen Anwaltschaft und Rich-terschaft von der Frage der juristischen Einheitsausbildung oderder speziellen Ausbildung im Hinblick auf eine besondere Pro-fession abhängt. Schon immer war es blanker Unfug, wenn Ah-nungslose aus der Formel des deutschen Rechts, wonach demAssessor die Befähigung zum Richteramt zukommt, eine aus-schließliche Justizorientierung unserer Juristenausbildung ablei-teten. Umgekehrt scheint mir unser heutiges Thema zugleich einBeitrag zu der alten Erkenntnis zu sein, wie wichtig in Vergan-genheit, Gegenwart und Zukunft für die Juristenausbildung dieVermittlung der zentralen Grundlagen und der juristischen Me-thoden ist und bleibt. Dass wir diese Grundlagenausbildungkünftig statt der wenig glücklichen Wahlfächer der Vergangen-heit durch examensrelevante und stark ausgebaute sog. Schwer-punkte im Hauptstudium ergänzen, halte ich für begrüßenswert,solange der Akzent auf dem „ergänzen“ liegt.

VI. Probleme der Flexibilität

Angesichts der bisherigen Überlegungen drängt sich die Frageauf, ob trotz mancherlei positiver Aspekte die in unserem heu-tigen Thema angelegte Fragestellung nach dem Berufswechselzwischen Richterschaft und Anwaltschaft letztlich eine beja-hende Antwort und damit eine besondere Förderung verdient.Allerdings sollen entgegenstehende kritische Erwägungen nichtdie bereits genannten positiven Aspekte eines solchen Wechsels

im Einzelfall verdecken oder bestreiten. Zu bedenken gilt aberFolgendes und ich will dabei aus dem breiten Spektrum derProbleme nur vier Aspekte aufgreifen:

1. Spezialisierung

Der moderne und gut ausgebildete Jurist kann sich heute undwird sich künftig immer weniger einer massiven Spezialisierungentziehen können. Dies gilt für fast alle juristischen Berufe, aberbei jeder Tätigkeit in unterschiedlicher Weise. Es steht also zubefürchten, dass die berufliche Spezialisierung künftig dem Be-rufswechsel in vielen Fällen eher entgegensteht. Das lässt sichnicht mit dem Hinweis bestreiten, dass die Spezialisierung beianwaltlicher Tätigkeit später auch der Richtertätigkeit zugutekäme. Denn niemand kann sicherstellen, dass der anwaltlicheSpezialist im Bankrecht, imVersicherungsrecht, im Arztrecht, imMietrecht usw. später als Richter ausschließlich und gerade sol-che Fälle zu bearbeiten hätte.

2. Richterwahl

Erleichtert wird der Berufswechsel zweifellos in Ländern mitRichterwahl. Es sollte uns aber zu denken geben, dass wir nichtnur in Deutschland in jüngster Zeit mit Richterwahlen erhebli-chen Ärger hatten. Vor allem der historische Trend in den USAgegen eine Richterwahl und hin zur Ernennung unter bestimm-ten sachlichen Voraussetzungen erscheint als wichtiges Indiz.Auch die Richterwahl der Schweiz wird teilweise sehr kritischgewürdigt. Offenbar enthält der Gedanke der Richterwahl i.S.einer echten Volkswahl Gefahren und Missbrauchsrisiken, diesich moderne Staaten immer weniger leisten können. Das früherso oft gebrauchte Legitimationselement der Richterwahl als ei-nes demokratischen Aspekts hat sich abgenutzt und vermagnicht mehr zu überzeugen. Richterliche Tätigkeit bedarf zu ih-rer Legitimation m.E. keiner Wahl. Sie muss sich auf Unabhän-gigkeit und Neutralität, auf Kompetenz und Sachnähe sowie aufAutorität und Persönlichkeit stützen. Ich will damit nicht für dasromanische System plädieren. Ich spreche mich aber gegen eineallgemeine Volkswahl von Richtern aus.

3. Das Laienrichterelement

Ein erleichterter Wechsel von der Anwaltschaft zur Richterschaftsetzt vor allem aber auch voraus, dass richterliche Tätigkeit nichtlaufbahnmäßig verfestigt ist. Ein nochmaliger Blick in die USAzeigt uns, dass die besondere Betonung der richterlichen Per-sönlichkeit unabhängig von der jeweiligen Ausbildung, die Her-vorhebung des demokratischen Elements und die politischenAspekte ein Richterbild prägen, das uns mehr und mehr zwei-felhaft wird. Die für den amerikanischen Richter typische freiereund individuellere Prozessgestaltung muss zwangsläufig mitdem Verlust an Rechtssicherheit bezahlt werden. Den Höhe-punkt dieser Entwicklung stellt bis heute das in den USA auch inder Zivilgerichtsbarkeit stark verankerte Laienelement dar. Zwarlässt sich die Ziviljury als bewusstes Gegengewicht zum engli-schen Berufsrichter der Kolonialzeit erklären. Es ist bekannt, dasssie sich auch heute in den USA großer Beliebtheit erfreut. DieMitwirkung von Laienrichtern in der Rspr. versteht man be-kanntlich als eine besondere demokratische Errungenschaft.

Demgegenüber möchte ich geltend machen, dass eine nähereÜberprüfung des Laienrichters in einer modernen Gesellschaftmit stark ausdifferenzierter Rechtsordnung ergeben würde, denEinsatz von Laienrichtern (jedenfalls in der Zivilgerichtsbarkeit)vollständig abzuschaffen. Es ist heute nicht meine Aufgabe, dasLaienrichterelement näher zu würdigen. Ich möchte jedoch kei-nen Hehl daraus machen, dass m.E. die Bedeutung von Laien-richtern in einer modernen Rechtsordnung bei weitem über-schätzt wird.

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4. Qualitätssicherung

Mit Blick insbesondere auf die englische Situation muss klarsein, dass ein wünschenswerter Berufswechsel sich gerade aufdie besten Juristen in der Anwaltschaft ausrichten sollte. Diesewerden aber wohl aus Gründen, die Herr Dr. Winte bereits er-wähnt hat, schwerlich wechseln wollen. Interesse am Berufs-wechsel könnten dagegen weniger erfolgreiche Anwälte haben,die wir allerdings möglicherweise auch nicht in richterliche Po-sitionen einrücken lassen wollen. So zeigt auch dieses Di-lemma, dass dem Berufswechsel zwischen Anwaltschaft undRichterschaft wohl auch in Zukunft enge Grenzen gesetzt sind.

VII. Fazit

Richterliche und anwaltliche Tätigkeit sind trotz ihrer gemein-samen Befassung mit dem Recht strukturell unterschiedlich. Esist wohl kein Zufall, dass sich junge Juristen in der Ausbildung

ebenso wie langjährig tätige und höchst erfahrene Juristen nachInteressen, Neigung und Temperament nicht selten ganz be-wusst und auf Lebenszeit entweder für die anwaltliche oder fürdie richterliche Tätigkeit entscheiden und sich in ihr auf Dauerwohl fühlen. Diese Feststellung wird durch die berufsrechtlicheZulässigkeit des Wechsels vom RA zur Richterschaft und durchden tatsächlich erfolgenden Berufswechsel im Einzelfall nichttangiert. Ob wir allerdings darüber hinaus für eine massive Ver-stärkung eines solchen Berufswechsels werben oder ihn institu-tionell unterstützen sollten, erscheint mir durchaus zweifelhaft.Die Möglichkeit des RA, als Mediator, Schlichter oder Schieds-richter tätig zu sein, eröffnet für die einzelne Person weitere Fel-der der Tätigkeitsausweitung nach den persönlichen Neigun-gen. Ein Schritt hin zu verstärkter Richterwahl und zur Abkop-pelung des Richters von besonderer richterlicher Spezialisierungund Professionalisierung als Voraussetzung eines breiterenWechsels erscheint mir dagegen als ein Schritt in die falscheRichtung.

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Stürner, Unabhängigkeit der Richter aus der Sicht der Wissenschaft

* Vortrag anlässlich der am 28./29.3.2003 durch die BRAK mit ihremZPO/GVG-Ausschuss veranstalteten Diskussion über die Stellung vonRichtern und RAen, woran Hochschullehrer, Richter und Beamte derJustizverwaltung teilnahmen.

1 So auf sehr breiter rechtsvergleichender wissenschaftlicher Basis MauroCappelletti, Le Pouvoir des Juges, 1990, p. 115–117 (Stand 1982).

Unabhängigkeit der Richter aus der Sicht der Wissenschaft*

Professor Dr. Rolf Stürner, Freiburg

I. Vorbemerkung

Es ist Aufgabe dieses Koreferats, die richterliche Unabhängigkeitunter den Gesichtspunkten der Staatshaftung, der Richterwahl,des Disziplinarrechts und neuer Formen der Selbstverwaltungzu diskutieren. Diese Fragestellung sieht auf den ersten Blick et-was diffus aus, bei näherem Zusehen zeigt sich aber sehr raschder gemeinsame Nenner. Es geht immer darum, Missbräuchender Unabhängigkeit zu begegnen oder vorzubeugen, durchpräventive Kontrolle bei der Richterauswahl, durch begleitendeKontrolle bei der Staatshaftung und dem Disziplinarrecht, wo-bei die disziplinarrechtliche Kontrolle entweder extern durchdie Exekutive oder eher intern durch justizielle Selbstverwaltungerfolgen kann. Letztlich stellt sich also die alte Frage „Quis cu-stodes custodiet?“1, dies aber nicht immer im alten Gewande,sondern teilweise eingekleidet in die neuen Kleider sehr zeit-genössischer Strömungen und Entwicklungen. Wirklich Neueslässt sich zur richterlichen Unabhängigkeit kaum sagen, aberdies gilt für viele juristische Themen. Oft geht es in Sozialwis-senschaften mehr darum, alte Weisheit lebendig zu halten undfür die äußeren Veränderungen der Gegenwart fruchtbar zu ma-chen als wirklich Neues zu ersinnen, das sich dann gemessenan den langen Traditionen menschlichen Ringens um Gerech-tigkeit rasch als Narrentum auf eigene Hand erweisen könnte.Anders als im Hauptreferat soll allerdings die Reihenfolge derThemen etwas anders geordnet werden. Die Gestaltung derKontrolle richterlicher Tätigkeit hängt wesentlich davon ab, wel-cher Art von demokratischer Legitimation ein Richter sein Amtverdankt. Die Probleme der Richterwahl und Richterauswahlsollen deshalb am Anfang erörtert werden. Mit der Frage demo-kratischer Legitimation eng zusammen hängt dann die Proble-

matik externer Justizverwaltung und Dienstaufsicht und justitzi-eller Selbstverwaltung. Ausführungen zum Umfang möglicherjustizieller Kontrolle und zur zivilrechtlichen Haftung schließensich an. Einige Bemerkungen zur gesamteuropäischen Entwick-lung sollen am Ende der Überlegungen stehen.

II. Richterwahl, Richterauswahl und demokratischeLegitimation

1. Das deutsche Modell

Das deutsche Recht sieht für Bundesrichter eine relativ starke de-mokratische Legitimation vor. Sie werden von Richterwahlaus-schüssen gewählt, deren Mitglieder gewählte Minister und Ab-geordnete sind. Der gewählte zuständige Bundesminister musszustimmen, damit der Bundespräsident ernennen kann2. Sospeist sich die demokratische Legitimation gleichermaßen ausder Mitwirkung gewählter Vertreter der Exekutive und der Legis-lative. Die fachliche Beurteilung der Kandidaten ist einmal Auf-gabe des Präsidialrates als des von der Richterschaft gewähltenGremiums, das aber nur beratende Funktion hat3, zum anderenergibt sie sich aus dienstlichen Beurteilungen der Personalak-ten4. Die Anwaltschaft ist formalisiert nicht beteiligt. In den Län-dern gibt es vielerlei Mischsysteme, die von der Ernennungdurch den Minister nach Stellungnahme durch den Präsidialratüber nahezu paritätische Mitbestimmung des Präsidialrates biszum parlamentarischen Richterwahlmodell reichen5. Im Grundegenommen wird versucht, Exekutive, Legislative und Judikativegleichmäßig und einigermaßen ausgewogen zu beteiligen.

Die demokratische Legitimation der Richterwahl und Richter-auswahl hat in der öffentlichen Diskussion erstaunlich geringes

2 Art. 95 Abs. 2 GG; zu Abweichungen beim BVerfG Art. 94 Abs. 1 Satz 2GG.

3 §§ 49 Nr. 2, 54 ff., 57 DRiG.4 Vgl. § 56 Abs. 1 Satz 2 und 3 DRiG.5 Dazu überblicksweise Schilken, Gerichtsverfassungsrecht, 3. Aufl. 2003,

Rdnr. 449, 503–505.

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Gewicht. Wenn Richterwahlen kritisiert werden, richtet sich dieKritik gegen den politischen Einfluss6, der den Sachverstandzurückdränge. Die deutsche Rechtskultur stellt das Kriteriumfachlicher Eignung bis heute dem Kriterium demokratischer Le-gitimation wertend gegenüber. Eine persönlichkeitsgebundeneöffentliche Diskussion gibt es teilweise bei Bundesverfassungs-richtern, seltener bei Bundesrichtern oder Gerichtspräsidentenin den Ländern, kaum oder nie über gewöhnliche Richter. Diefachliche Bewertung ist Sache von Prüfungen und beruflicherBewährung; sie ist letztlich engen Zirkeln vorbehalten. Die Kri-tik der Anwaltschaft verlangt nicht mehr demokratische Legiti-mation, sondern Teilhabe am Urteil des engeren Zirkels. Rich-terinnen und Richter werden in großen Mengen ernannt, so dassschon deshalb aufwendige Wahlverfahren und öffentliche Dis-kussion als Instrumente echter demokratischer Legitimation aus-scheiden.

2. Das romanische Modell

Die romanischen europäischen Unionsstaaten, nämlich Frank-reich, Italien und Spanien, haben nach dem französischen Mo-dell des „Conseil supérieur de la magistrature“ bei der Richter-wahl und -auswahl das Gewicht auf den Sachverstand gelegtund die demokratische Legitimation stark hintangesetzt7. Dieseroberste Justizrat hat in der Mehrzahl richterliche Mitglieder, dieentweder – wie in Frankreich – vom Präsidenten ernannt oder –wie in Italien – von Richtern gewählt werden. Teilweise wähltdas Parlament weitere Mitglieder (z.B. Professoren und RAe inItalien) zu. Eine weitere Eingangsschwelle ist eine besondereZulassungsprüfung für Anfänger.

3. Angloamerika

Der amerikanische Richter ist stark demokratisch legitimiert.Bundesrichter werden vom Präsidenten mit Bestätigung des Se-nats auf Lebenszeit ernannt, ihre Ernennung ist häufig, wennnicht regelmäßig Gegenstand öffentlicher politischer Diskus-sion. Richter der Einzelstaaten werden entweder vom Gouver-neur mit parlamentarischer Bestätigung ernannt oder nach ei-nem Wahlkampf gewählt. Meist ist die Wahl zeitlich begrenztund Wiederwahl möglich8. Richter werden stets nur Bewerbermit anwaltlicher oder politischer Praxis, sehr selten auch Pro-fessoren.

Wie ernst Amerikaner die demokratische Legitimation der Rich-terschaft nehmen, zeigt die Tatsache, dass bei verschiedenerStaatsbürgerschaft für gewichtige Streitsachen Bundesgerichteerster Instanz angerufen werden können, um so für beide Par-teien demokratische Legitimation herzustellen; dasselbe gilt beiStreitigkeiten, die Bundesrecht und nicht einzelstaatliches Rechtverwirklichen9.

In Deutschland hat man die Frage nach der Legitimation vonRichtern der Länder, über Bürger anderer Bundesländer zu ur-teilen, ernsthaft nie gestellt. Auch in der Europäischen Union er-gibt sich mehr und mehr die Tendenz, Richter von Unionsstaa-

ten bindend über Bürger anderer Unionsstaaten urteilen zu las-sen – nach vielen Vorstellungen ohne jede Kontrolle in einemExequaturverfahren. Für einen Amerikaner wäre dies unvor-stellbar. Wie ursprünglich die Bürger einer anderen wichtigenTraditionsdemokratie, nämlich der Schweiz10, gehen Amerika-ner noch heute grundsätzlich davon aus, dass im Geltungsbe-reich ihrer Verfassung niemand über sie ohne ihr Einverständnisurteilen kann, dessen Ernennung sie nicht durch Wahl unmittel-bar beeinflussen konnten11. Die Abneigung der USA gegen dieUnterwerfung unter fremde internationale Gerichtsbarkeit er-klärt sich auch aus diesem demokratischen Verständnis richter-licher Legitimation12.

In England ernennt zwar der Lord Chancellor die Richter, aberstets aus den Reihen erfahrener Anwälte und beobachtet von ei-ner kritischen Öffentlichkeit, die sich bei den wenigen Richterndurchaus aufmerksam und diskussionsbereit zeigt13.

4. Ausgewogenheit des deutschen Modells?

Wenn man sich überlegt, ob das deutsche Grundmodell richtigliegt14 oder ob ein Wechsel zum romanischen Modell einesobersten Justizrats mit Richtermehrheit angezeigt erscheint, wieer von der organisierten Richterschaft teilweise angemahntwird, so sollte man diese Frage nicht beantworten wollen, ohneauf die rechtskulturellen Hintergründe der unterschiedlichenEntwicklung einzugehen15.

Angloamerikanische Rspr. ist ursprünglich stärker case law unddamit stärker Rechtssetzung bzw. Gesetzgebung als kontinen-tale Rspr. So ist der Trend zu stärkerer demokratischer Legitima-tion dieser gesetzgebenden Rspr. durchaus konsequent. Derkontinentale Jurist geht stärker von der Vorstellung eines kodifi-katorischen Programms aus, das der Richter nur ausfüllt, sodassseine demokratische Legitimation in der Gesetzesbindung liegtund seine handwerklichen Fähigkeiten mehr gefragt sind alsseine Persönlichkeit. Das deutsche Wahl- und Auswahlmodellhat bisher deutlichere Elemente demokratischer Legitimation alsdas romanische Modell mit seinen Richterprüfungen und rich-terdominierten Gremien. Wenn man berücksichtigt, dass diemoderne rechtskulturelle Entwicklung eine Konvergenz voncase law und Kodifikation mit sich bringt, so besteht wenigGrund, sich vom angloamerikanischen Modell richterlicher de-mokratischer Legitimation stärker zu entfernen und sich auf dasromanische Model zuzubewegen.

Hinzu kommt ein Weiteres. Für die Europäer waren die Gerichtefrüher Garant bestimmter Freiheiten, die dem Monarchen abge-rungen waren, nicht etwa die Parlamente. Das Recht erscheintals eine aus Ideen des Humanismus geborene Wohltat, die Ge-richte verteilten es als fertiges Produkt unter das Volk als eine ArtSozialleistung. Das Rechtsverständnis der Amerikaner siehtRecht als Produkt gesellschaftlicher Auseinandersetzung im Par-

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Stürner, Unabhängigkeit der Richter aus der Sicht der Wissenschaft

6 Dazu der Bericht Bertram NJW 2001, 3167 ff.; ferner Rüthers JZ 2002,365 ff., 369 ff.; Voss ZRP 2001, 183 f.; Mackenroth DRiZ 2001, 214 ff.

7 Hierzu und zum Folgenden aufschlussreich Cappelletti, Le Pouvoir desJuges, p. 115, 136–137, 164; ferner aus richterlicher Sicht MariuzzoDRiZ 2001, 161 ff. (Italien); Manzanares Samoniego DRiZ 1999, 317 ff.(Spanien). Es verdient Interesse, dass der italienische und spanische rich-terliche Beitrag die französische Tradition dieser Institution mehr oderweniger unerwähnt lassen.

8 Dazu überblicksweise Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsverglei-chung, 3. Aufl. 1996, § 17 I, S. 236; Stürner, FS Brohm 2002, S. 153 ff.,155 f.; für US-Bundesrichter Art. II sec. 2 der Verfassung.

9 Art. III sec. 2 der Verfassung; zur Motivation der Verfassungsgeber Frie-denthal/Kane/Miller, Civil Procedure, 2nd ed. 1993, § 2.5, p. 23 ff.; Stür-ner, FS Brohm, 2002, S. 155/156.

10 Hierzu Art. 59 Abs. 1 BV a.F.; dazu Habscheid, Schweizerisches Zivil-prozeß- und Gerichtsorganisationsrecht, 2. Aufl. 1990, Rdnr. 50 ff., 72 ff.(„interkantonales Prozessrecht“); zur Modifikation im neuen Art. 30Abs. 2 BV insbesondere Vogel/Spühler, Grundriss des Zivilprozess-rechts, 7. Aufl. 2001, § 11, Rdnr. 12 ff., S. 61.

11 Ausführlich Stürner, FS Brohm, 2002, S. 155 f.; ders., Suing The Sover-eign in Europe and Germany, 35 Geo. Washington International Law Re-view (erscheint 2003).

12 Dazu schon Stürner, Some European Remarks on a New Project of theAmerican Law Institute and Unidroit, 34 The International Lawyer 1071,1086 (2000); ders., Revue Internationale de Droit Comparé 52 (2000),845, 865.

13 Hierzu Zweigert/Kötz, Einführung, § 15 II 6, S. 206 ff.14 Zu seinen verfassungsrechtlichen und rechtspolitischen Grundlagen aus-

führlich Voßkuhle/Sydow JZ 2002, 673 ff.15 Hierzu schon Stürner, FS Brohm, S. 158 ff.; ders., Suing The Sovereign in

Europe and Germany, 35 Geo. Washington International Law Review(erscheint 2003).

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lament und vor Gericht, geboren aus demokratisch legitimierterEntscheidung über Interessenkonflikte. Sein Schicksal ist nichteiner Schicht überlassen, die Verwirklichung von Gerechtigkeitbedarf – in den Worten des Supreme Court – der Mitarbeit eineraufgeklärten Öffentlichkeit16. Der stärkeren Einbindung vonRecht und Rspr. in den Prozess demokratischer Willensbildungentspricht die demokratische Kontrolle der Richterauswahl, beider die Persönlichkeit des Richters wichtiger ist als fachlicheQualifikation. Nach Auffassung der Angloamerikaner ist dasRecht schon halb verloren, wenn man es Richtern und Gerich-ten überlässt. Ihr System hält den Bürger wach und ist nicht zu-letzt deshalb vor rechtskulturellen Katastrophen, wie sie Konti-nentaleuropa heimgesucht haben, letztlich bewahrt worden.

Die romanischen Modelle begünstigen den Rückzug der öffent-lichen Meinung aus der Diskussion von Rechtssetzung und Rspr.,das Recht wird zur Aufgabe einer bestimmten Schicht oder auchKaste. Sie versuchen zwar – vor allem in Italien und Spanien –aus der Geschichte des Totalitarismus Lehren zu ziehen, indemsie den Zugriff auf die Justiz konstruktiv verunmöglichen wollen.Angst ist indessen auch hier wie immer ein schlechter Ratgeber.Es ist nicht eine Burgenmentalität der Justiz, die rechtsstaatlicheStabilität schafft, sondern ihre Öffnung zur Gesellschaft undihren demokratischen Institutionen. Europa wäre deshalbschlecht beraten, sich der Modelle bewährter Demokratie zuüberheben und auf die romanischen Modelle einzuschwenken.Von den Reformwünschen der Richterschaft ist deshalb dringendabzuraten. Sie bedürften nicht nur einer Änderung der Verfas-sung17, was nachdenklich machen mag, aber letztlich nicht aus-schlaggebend sein kann, sondern sie setzen ein verfehltes undgefährliches rechtspolitisches Koordinatensystem voraus.

Man mag am deutschen System der Richterauswahl sanfte Kor-rekturen anbringen, z.B. andere Berufsgruppen wie Anwälte be-teiligen oder durch Verfahrensmaßnahmen qualitativen Krite-rien stärkeres Gehör verschaffen18. Eine grundsätzliche Umori-entierung in Richtung richterlicher Selbstrekrutierung ist abernicht empfehlenswert, eher eine Verstärkung demokratisch legi-timierender Elemente auf Länderebene.

III. Justizielle Selbstverwaltung oder externe Justizverwaltung

Mit diesen grundsätzlichen Bemerkungen ist bereits eine Vor-entscheidung gefallen, die Plänen zu einer vollen justiziellenSelbstverwaltung durch die Richterschaft nicht unbedingt güns-tig ist. Gleichwohl sollen sie in ihrer vollen Grundsätzlichkeitkurz dargestellt und besprochen sein.

1. Die Vorschläge des Richterbundes19

Letztlich wünschen sich Teile der Richterschaft – man könnteauch sagen: die veröffentlichte Meinung der Richterschaft – einModell, das man mit dem Schlagwort „Alle Macht den Richternund ihren Räten“ umschreiben könnte, ein Modell aus einemGuss und mit großer gedanklicher und innerer wie äußerer Ge-schlossenheit. Man kann es mit folgenden Stichworten skizzie-ren: Einbeziehung aller Gerichtsbarkeiten einschließlich – be-sonders bemerkenswert – der Staatsanwaltschaft; Bildung einesJustizverwaltungsrates aus Gerichtspräsidenten und General-staatsanwälten mit Allzuständigkeit für justizielle Fragen; eige-

ner Haushalt und eigene Haushaltsverantwortung der Justiz;Personalentscheidungen nach ausschließlich fachlichen Krite-rien durch Justizverwaltungsrat und Richtervertretung bzw.Staatsanwaltsvertretung oder durch einen Richterwahlausschussaus Justizverwaltungsrat und einer gleichen Anzahl von Parla-mentariern; Dienstaufsicht des Justizverwaltungsrates überRichterinnen, Richter und Staatsanwälte; Qualitätsmanagementdurch laufbahninterne und laufbahnübergreifende Qualitätszir-kel; Qualitätssicherung und Qualitätskontrolle während desganzen Berufslebens, ohne dass einheitliche Qualitätsstandardserforderlich wären, weil Rechtsanwendung und Entscheidungs-findung nur in Grenzen messbar seien; obligatorische perma-nente Weiterbildung.

2. Ursprünge des Modells

Dieses Modell verbindet alte Träume von richterlicher Autono-mie und richterlicher Emanzipation von der Politik und Exeku-tive20 mit Bestrebungen, die staatliche Tätigkeit in Verwaltungund Justiz an betriebswirtschaftlichen Organisationsformen aus-zurichten und entsprechende Umgestaltungen vorzunehmen21.Die Schlagworte dieser Bewegung zur Ökonomisierung derStaatstätigkeit sind Kosten- und Leistungsrechnung, Budgetie-rung, operatives und strategisches Controlling, Dezentralisie-rung, Professionalisierung des Managements, Kunden- und Ser-viceorientierung, Kontraktmanagement aufgrund von Leistungs-vereinbarungen zwischen übergeordneten und untergeord-neten Einheiten. Das Richtervereinsmodell betont den Deregu-lierungscharakter und glaubt damit, einen besseren Ausgangs-punkt für ein Kontraktmanagement durch Leistungsvereinba-rungen zu schaffen, das der richterlichen Unabhängigkeit ge-recht wird. Wie solches Qualitätsmanagement allerdingsgenauer aussehen soll, verliert sich dann etwas im Unklaren.

3. Kritik am Richterbundsmodell und am neuen Steuerungs-modell

a) Verfassungsrechtliche Legitimation richterlichen Handelns

Soweit das Richterbundsmodell die Personalhoheit der Richterüber sich selbst intendiert, ist es mit den Grundsätzen demo-kratischer Legitimation richterlichen Handelns, wie sie hier er-arbeitet worden sind, weithin unvereinbar. Allerdings sollte mannicht nur, wie dies Papier jüngst getan hat22, den Maßstab derbestehenden Verfassung anlegen, sondern sich in einer Zeitgrundlegender Veränderungen, die auch vor der Verfassungnicht Halt machen, darüber hinaus Rechenschaft abgeben, wel-che rechtspolitischen Grundentscheidungen hinter diesem Mo-dell stehen. Dabei erscheint das demokratische Modell der In-tegration von Rechtsbildung und Rechtsfindung in die öffent-liche und bürgerliche Willensbildung wichtiger als der Primatechten oder vermeintlichen richterlichen Sachverstandes odergar der Primat betriebswirtschaftlicher Produktionsformen imBereich des Rechts. Die Justiz kann weder ein Staat im Staatesein noch ein selbstständiges Unternehmen, das sozusagennach eigenen Gesetzen Recht produziert.

b) Gefährdung der Unabhängigkeit durch Richter

Es ist nicht nur die Exekutive, die Unabhängigkeit gefährdenkann, es sind auch Gerichtspräsidenten, Vorsitzende und Rich-

216 Aufsätze BRAK-Mitt. 5/2003

Stürner, Unabhängigkeit der Richter aus der Sicht der Wissenschaft

16 Wood v. Georgia, 370 U.S. 390; aufgenommen in EGMR EUGRZ 1979,368 ff.

17 Völlig zutreffend Papier NJW 2002, 2585 ff.; zu den verfassungsrecht-lichen Vorgaben auch Voßkuhle/Sydow JZ 2002, 673 ff.

18 Darin liegt ein berechtigtes Anliegen von OVG Schleswig-Holstein JZ2002, 141 ff.; teilweise aber zu Recht kritisch Schulze-Fielitz JZ 2002,144–146.

19 Hierzu die Kurzdarstellung DRiZ 2002, 5/6 mit Internetfundstelle zumausführlichen Text.

20 Zu Recht verweist Papier NJW 2002, 2585 ff. auf van Husen AöR 78(1952/53), 49 ff.

21 Dazu B. Kramer ZZP 114 (2001), 267 ff.; Kurzfassung (ohne Hinweis aufdie Originalveröffentlichung) in NJW 2001, 3449 ff.; zum Hintergrundausführlich Hoffmann-Riem, Modernisierung von Recht und Justiz,2001, S. 209 ff.; Röhl DRiZ 2000, 220 ff.; Eifert, in: Hoffmann-Riem, Re-form der Justizverwaltung, 1998, S. 164 ff.

22 Papier NJW 2002, 2585 ff.

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ter selbst. Das Deregulierungsmodell des Richterbundes stütztsich auf den Vorteil größerer Sachnähe und die bessere De-tailkenntnis bei Dienstaufsicht und der Bildung von Qualitäts-zirkeln zum Qualitätsmanagement. Sachnähe ist beim Urteilüber andere ein sehr janusköpfiges Argument, es bedeutetauch oft einenVerlust an Distanz und Neutralität. Die bisherigeEinrahmung richterlicher Unabhängigkeit ist durch eine sorg-same Balance aus kollegialen, exekutivischen und justiziellenElementen gekennzeichnet: das Präsidium lässt in die Ge-schäftsverteilung fachliche Beurteilung ebenso einfließen wiedie Mitglieder eines Spruchkörpers23; Maßnahmen der justizi-ellen Exekutive, deren oberste Spitze an der häuslichen At-mosphäre eines Gerichts nicht teil hat, werden durch be-sondere Richterdienstgerichte mit persönlicher und sachlicherDistanz kontrolliert, schwerwiegende Maßnahmen bedürfenrichterlicher Entscheidung24. Versuchen zu einer besserenFeinsteuerung richterlicher Tätigkeit durch näher rückendeInstitutionen, mögen sie sich auch Qualitätszirkel nennenoder richterlich besetzt sein, ist insoweit mit Skepsis zubegegnen, als sie diese ausgewogene Balance verschiebenkönnten.

c) Die neuen Beurteilungsmaßstäbe und des „Kaisers neueKleider“

Die Begrifflichkeiten des neuen Steuerungsmodells nimmt derRichterbund nur zögerlich auf, soweit es um Qualitätssicherungund Qualitätskontrolle geht. Der Versuch zur Ökonomisierungdes richterlichen Produkts wird über Gängigkeiten nicht hin-auskommen, und vielfach werden sich ökonomische Katego-rien, auf die Justiz übertragen, als des Kaisers neue Kleider er-weisen. Es ist schon heute üblich, die Geschäftsbelastung einesRichters oder Spruchkörpers nach der Art seiner Fälle und einerdurchschnittlichen Erledigungszeit zu beurteilen, wenn es umGeschäftsverteilung oder quantitative Beurteilung seiner Arbeitgeht. Jede Perfektionierung oder Kategorisierung in Qualitäts-vereinbarungen trägt die Gefahr schematisierter Intoleranz undplanwirtschaftlicher Bürokratisierung in sich. Unternehmens-philosophien wechseln wie die Kleidermode, und letztlich blei-ben in der Wirtschaft immer Absatz, Gewinn und Überleben diemaßgeblichen Kriterien, der Weg dahin ist zweitrangig. SolcheKriterien gibt es aber bei der Justiz erst aus großer zeitlicher Dis-tanz, die Gefahr ist groß, sich an Formalismen und Verfahrenfestzuklammern, um präsent greifbare Kriterien zu schaffen, da-mit aber letztlich Licht in Gefäßen einzufangen. Die Justiz istnicht allein Objekt solcher Versuche. Auch an Universitäten be-kommt mehr und mehr nur noch ausreichend Geld, wer seineLehrveranstaltungen an bestimmte Gängigkeiten anpasst undfürs Forschen und Bücherschreiben bestimmten Planungsritua-lien und Modeströmungen huldigt – für ältere Kollegen mit dementsprechenden Ansehen keine echte Gefahr, für die jüngereGeneration eine Anleitung zur Anpassung und zum Origina-litätsverlust.

Der Kern richterlicher Tätigkeit kann keiner eigentlichen „Qua-litätskontrolle“ unterliegen, sondern allenfalls der Kritik, dierichtig oder falsch sein kann, von wem sie auch immer stamme.Rspr. muss sich im freien Markt der Meinungsbildung bewährenund behaupten, nicht an Maßstäben von Qualitätszirkeln. DieKritik der öffentlichen Meinung und der Fachwelt ist wichtigerals Empfehlungen von Qualitätszirkeln. Das Teuerste sind sach-liche Fehlentscheidungen und hieraus folgende gesellschaftspo-litische Fehlentwicklungen, nicht etwa Verfahren, die bestimm-ten Zeitvorstellungen im ambivalenten Sinn des Wortes nichtentsprechen.

d) Büroorganisation und Bürotechnik

So bleiben als Veredelungsgegenstand betriebswirtschaftlicherund ökonomischer Betrachtung eher Objekte, die man bisherunter dem Begriff der Büroorganisation und Bürotechnik zu-sammengefasst hat. Hier kann man – immer unter der Voraus-setzung der Wahrung praktischer Vernunft – das Feuer freigeben.Aber dieser Bereich lohnt nicht geistigen und debatorischenAufwand, der besser wichtigen Fragen der Rechtsentwicklunggewidmet wäre.

IV. Richterdienstrecht und Aufsicht

1. Begrenzende Tendenz der Rechtsprechung

Die Rspr. hat die richterliche Unabhängigkeit gegen reale undpotentielle Übergriffe von Aufsichtsorganen eher bereits im Vor-feld verteidigt. Dies ist grundsätzlich völlig richtig. Der Schadenaus einer Beeinträchtigung äußerer und innerer richterlicherUnabhängigkeit wäre größer als ein möglicher Nutzeffekt strik-terer Aufsicht, deren sachlicher Effekt auf widerstrebende Rich-terinnen und Richter ohnehin zweifelhaft bleiben müsste. Dasssich rasch unliebsame Schleusen öffnen könnten, wenn hierallzu großzügig verfahren würde, zeigt auch die Hartnäckigkeit,mit der die Staatsanwaltschaft Richterinnen und Richter wegenRechtsbeugung durch mehrere Instanzen verfolgt hat, weil derEindruck mangelnden Gehorsams gegenüber oberlandesge-richtlichen Revisionsentscheidungen in Bußgeldsachen25 oder –inhaltlich erheblicher – der Eindruck bewusster Verzögerunghaftkontrollierender Entscheidungen entstanden war26. In dreiFällen bedurfte es des Eingreifens des BGH, um die übertriebe-nen Kontrollbedürfnisse gegenüber richterlichem Verhalten ein-zudämmen, teilweise erscheint die staatsanwaltliche Hart-näckigkeit nahezu unverständlich27. Man sieht, welches Droh-potential auch justizielle Kontrollkräfte entfalten können, wennsie erst einmal entfesselt sind und mit dem Essen der Appetitkommt.

Im Bereich aufsichtsrechtlicher Maßnahmen, wie Ermahnungenund Verweisen, ist der Rspr. der Richterdienstgerichte m.E. dieAbgrenzung zwischen erlaubter Rüge schlechter quantitativerund temporärer Ergebnisse und der verbotenen Einzelanwei-sung für konkrete oder abstrakteVerfahrensgestaltung insgesamtgut geglückt. Grob gesagt kann die Justizaufsicht rügen, dassverglichen mit anderen Referaten in gleicher Zeit weniger erle-digt wird, und sie kann darauf auch ihre dienstliche Beurteilungstützen28. Die Justizaufsicht kann aber nicht anordnen, dass be-stimmte Fälle rascher zu behandeln seien oder dass ein Richterzweimal statt einmal wöchentlich mündlich verhandeln solle29.Nach völlig unbestrittener Meinung kann sie sich zur Urteils-qualität oder Qualität der Verhandlungsführung30 auch indienstlichen Beurteilungen nicht negativ äußern.

2. Fleiß und Dienstzeiten

Wenn oft aus § 26 Abs. 2 DRiG, der die Aufsicht über „unver-zögerte Erledigung der Amtsgeschäfte“ anordnet, die aufsichts-rechtliche Befugnis hergeleitet wird, die Arbeitszeit von Rich-tern zu überwachen und zu reglementieren31, so ist auch dies

BRAK-Mitt. 5/2003 Aufsätze 217

Stürner, Unabhängigkeit der Richter aus der Sicht der Wissenschaft

23 §§ 21a ff., 21e; § 21g GVG.24 §§ 61 ff. DRiG.

25 BGH NJW 1997, 1455; 1999, 1122; dazu U. Schulz NJW 1999, 3471.26 OLG Frankfurt NJW 2000, 2037 (hierzu Schäfer NJW 2000, 1996); BGH

NJW 2001, 3275.27 So im Falle der angeklagten Richterin, die kein einmonatiges Fahrverbot

anordnete: BGH NJW 1997, 1455.28 Guter neuerer Überblick bei Papier NJW 2001, 1089 ff.29 Aufschlussreich BGH NJW 1988, 419 ff.30 Hierzu BGHZ 90, 41, 46 f.31 In dieser Richtung wohl Redeker NJW 2002, 2610

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bisher an der höchstrichterlichen Rspr. gescheitert32. Zunächsteinmal ist für den Zivilprozess festzuhalten, dass die deutscheProzessdauer im internationalenVergleich sehr kurz ist und vonanderen Ländern eher bewundert wird33 – sie erreichen oft nurim summarischen Verfahren die deutsche Normalerledigungs-dauer, auch wenn sie ein ähnliches Heer von Laufbahnrichternhaben wie Deutschland. So schlecht kann es also um dieArbeitsmoral deutscher Richterinnen und Richter gar nicht be-stellt sein. Wo BVerfG oder gar der EGMR zu lange Prozess-dauer anmahnen, erweist sich der Blick auf die Dauer manchhöchstrichterlichen Verfahrensganges manchmal als peinlicherBumerang. So war in einem der letzten Fälle behaupteterProzessverzögerung vor dem EGMR ein Strafverfahren inDeutschland34 durch drei Instanzen innerhalb von etwa zweiJahren erledigt. Das BVerfG benötigte fast drei Jahre, das Ver-fahren vor dem Gerichtshof für Menschenrechte insgesamtrunde acht Jahre. In einem Zivilverfahren35 benötigte das AGein halbes Jahr, das BVerfG acht Jahre und der EGMR ca. fünfJahre. Immerhin erließ das BVerfG in einem neueren Fall, derzwischen dem OLG und dem BGH 15 Jahre lang hin- und her-pendelte, eine Mahnentscheidung binnen weniger Monate36.Man sollte also die Klagen über zögerlichen Prozessverlauf inder normalen Gerichtsbarkeit in Grenzen halten und sichmanchmal eher überlegen, ob sich manche höchste Richternicht stärker auf die Anforderungen ihres eigentlichen Amteskonzentrieren müssten.

Die feste Dienstzeit für Richterinnen und Richter ist ein Neid-topos, soweit schematische Forderungen erhoben werden.Richtig ist, dass Richterinnen und Richter erreichbar sein soll-ten, soweit dies konkrete dienstliche Belange erfordern, wozugehören: kollegiale Beratung, rasche Eilentscheidungen ohneMöglichkeit zeitlicher Vorausplanung, Sitzungstermine. Stän-dige Erreichbarkeit durch Parteien und Anwälte, wie sie oft alsForderung anklingt, zeugt von einer immer mehr um sich grei-fenden Unsitte, nämlich der einseitigen telefonischen Verhand-lung der Rechtssache, wie sie bis in höchste Gerichte leiderhäufig praktiziert wird. Sie verstößt gegen elementareGrundsätze rechtlichen Gehörs, und der schwere Verfahrens-fehler, der zur Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheitberechtigt37, wird nicht dadurch geheilt, dass man sich über ei-ner Protokollierung dieses telefonischen ex parte-Verfahrensberuhigt.

Gute Entscheidungen sind in gewisser Weise schöpferischeProzesse und brauchen Reifungsprozesse, die nicht jede Rich-terpersönlichkeit am Schreibtisch zu leisten vermag.Viele Rich-ter setzen sich nur an den Schreibtisch, um Ergebnisse zu Pa-pier oder in den Computer zu bringen, und es sind wirklichnicht die schlechtesten. Es ist richtig, wenn die Rspr. die Ein-mischung in den Arbeitsstil abblockt, und es ist hoch zu schät-zen, wenn Vertreter der Anwaltschaft, die bei Formen höhererDienstleistung auch eines gewissen Freiraums bedarf, hier dienötige Großzügigkeit und Einsicht zeigen, wie dies hier undheute geschehen ist.

3. Widersprüchlichkeiten zu modernen Tendenzen derGerichtsorganisation

Die Diskussion von Dienstzeiten und „Qualitätszirkeln“ gibt imÜbrigen Veranlassung, auf tiefe Widersprüchlichkeiten zu mo-dernen Tendenzen der Gerichtsorganisation hinzuweisen. DerGesetzgeber propagiert in Deutschland38 wie in den meisten eu-ropäischen Ländern39 den Einzelrichter erster Instanz und teil-weise sogar in der Berufungsinstanz. Frühere Generationen ha-ben dem kontinentaleuropäischen Karriererichter ohne längereanwaltliche oder richterliche Bewährung diesen Vertrauensvor-schuss nicht gewährt, sondern haben stärker auf das Kollegial-organ gesetzt, das wie ein Ofen die Kohlen am Glühen hält undihr Verlöschen in Vereinzelung verhindert. Dies ist in doppelterHinsicht richtig. Einmal gibt die richterliche Gruppe eher einenArbeitsrhythmus vor, aus dem auszusteigen nicht einfach ist,ohne dass dies mit einer Dienstzeitengängelung im eigentlichenSinne verbunden wäre. Zum anderen bewirkt die Gruppe einepermanente wechselseitige Qualitätskontrolle40.

Man hat geglaubt, über all diese Erfahrungen hinweggehen zukönnen, und auf die reife und verantwortungsvolle Persönlich-keit des Einzelrichters gesetzt. Der Versuch, über Dienstzeiteneinen geordneten Arbeitsrhythmus herzustellen oder über Qua-litätszirkel einen Gruppenkontrollmechanismus zu installieren,harmoniert mit diesen gegenläufigen Tendenzen wenig, vor al-lem aber hat er in seiner Ineffizienz und Unbeholfenheit fast et-was Rührendes. Entweder sollte man zur (richterlichen) Arbeits-gruppe, wie sie auch das Management der freien Wirtschaftkennt, zurückkehren und Kammern und Senate wieder voll ein-führen, oder aber man sollte auf die Selbstständigkeit der Ein-zelrichter vertrauen und die Qualitätskontrolle der Rechtsmittel-instanz überlassen. Qualitätszirkel mit ihrem metajuristischenCharakter können klare Organisationsstrukturen nicht ersetzen.Qualitätskontrolle, soll sie einigermaßen funktionieren, bedarfeines hohen Aufwands und klarer Strukturierung, das lehrt dieErfahrung aus vergleichbaren Bereichen, wie z.B. der Medizinund Patientenversorgung. Hält die herkömmliche Kontrollstruk-tur der Justiz den Maßstäben moderner Qualitätskontrolle wirk-lich nicht stand? Man kann nicht innerinstanzliche Kontrollsys-teme und Rechtsmittel abbauen, um dann nach reichlich diffu-sen Formen einer „Produktkontrolle“ zu rufen, vielleicht weilman vor dem eigenen Mut zur Autonomie des Karriererichtersohne Erfahrung gleich wieder Angst bekommt.

So bleibt die Frage, ob die herkömmlichen Gruppensystemeund das herkömmliche Rechtsmittelsystem nicht vieles längstvorweggenommen haben, was heute unter betriebsorganisato-rischer neuer Begrifflichkeit diskutiert wird. Das traditionelleGerichtssystem, das auf Erfahrungen von Jahrhunderten beruht,mag moderner sein, als es im hektischen Markt der Neuigkeitenden Anschein hat.

4. Der Richter und die Kritik in einer dienstlichen Beurteilung

Die h.M. und die Rspr. der Dienstgerichte schließt zwar zuRecht eine dienstaufsichtliche Maßnahme aus, die inhaltlicheKritik amVerhandlungsstil oder gar am Urteilsinhalt umfasst. Siedehnt dies aber auch auf die dienstliche Beurteilung aus, wenndort z.B. eine wenig straffe Verhandlungsführung41 oder eineweit überdurchschnittliche Aufhebungsquote gerügt werden. Esfragt sich, ob damit nicht einer intellektuellen UnredlichkeitVorschub geleistet wird, die der Transparenz von Besetzungs-

218 Aufsätze BRAK-Mitt. 5/2003

Stürner, Unabhängigkeit der Richter aus der Sicht der Wissenschaft

32 Grundlegend BGHZ 113, 36 ff.33 Hierzu schon Stürner, Aktuelles Forum Justizreform, NJW 2000, Beil.

Heft 25, S. 33 ff.; DJT 2000 Leipzig; Zuckerman, Civil Justice in Crisis.Comparative Perspectives of Civil Procedure, 1999, p. 31s.

34 EGMR NJW 2001, 211.35 EGMR NJW 2001, 213.36 BVerfG NJW 2001, 215.37 Hierzu OLG Oldenburg NJW 1963, 451; Stürner, Die richterliche Auf-

klärung im Zivilprozess, 1982, Rdnr. 32; Principles of Transnational Ci-vil Procedure, Principle 1.5 (Gemeinschaftsprojekt von Unidroit undAmerican Law Institute), in: The American Law Institute, Principles andRules of Transnational Civil Procedure, Preliminary Draft Nõ 3 (October2002).

38 §§ 348, 348a; 526, 568 ZPO 2002.39 Dazu z.B. Art. 801 ff. c.p.c. Frankreich; Art. 50 bis ff. c.p.c. 1998 Italien.40 Auf diesen Zusammenhang weist Greger JZ 2000, 842, 850/851 zu

Recht hin.41 BGHZ 90, 41, 43 f.

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entscheidungen wenig förderlich ist und etwas an die sprach-liche Heuchelei von Arbeitszeugnissen erinnert. Natürlich stütztsich der Vorschlag zu einer Besetzung und seine Beurteilung imPräsidialrat oder Wahlgremium nicht nur auf äußere Formalis-men, sondern auf Überzeugungen von inhaltlicher Güte der Ar-beit der Bewerber. Solche Überzeugungen gründen auf Flüster-propaganda oder negativen Gerüchten und entziehen sichstärker der Kontrolle, als wenn in formalisierter Form ein be-gründetes Urteil über die Güte einer Arbeit abgegeben wird. DieAngst vor dieser Kritik gründet sich auf die eigenartige Vorstel-lung, dass andere eine solche Kritik unkritisch übernehmen. DerLebenserfahrung entspricht dies nicht ohne weiteres, zumalRichterinnen und Richter Stellung nehmen und damit zu einerbegründeten sachlichen Diskussion beitragen können, die bes-sere Ergebnisse zeitigen dürfte als Gerüchte.

Auch in diesem Punkt ergibt sich der eigenartige Widerspruch,dass einerseits der Einzelrichter zum reifen und unabhängigenUrteil über andere befähigt sein soll, aber dann selbst nicht inder Lage erscheint, Kritik zur Kenntnis zu nehmen und sie zu er-widern und zu verarbeiten, ohne die innere Freiheit zur persön-lich zu vertretenden richtigen Entscheidung zu verlieren. Dierichterliche Gruppe schützt vor persönlicher inhaltlicher Kritik,die dann allenfalls der erfahrene Vorsitzende zu gewärtigen hat.Wenn der Richter aus ihr heraustreten soll, muss er dazu auchdie persönliche Standfestigkeit haben und sollte nicht vor Be-merkungen in Dienstzeugnissen einknicken, die im Übrigennicht immer die gewünschte Wirkung haben, sondern auch dasGegenteil bewirken können, falls sie die Umgebung nicht über-zeugen.

V. Haftung für Fehlleistungen der Rechtsprechung

Im letzten Teil sollen noch einige Überlegungen zur externenKontrolle richterlichen Handelns in Gestalt der Staatshaftungund des Rückgriffs auf den Richter angestellt werden.

1. Richterhaftung und Anwaltshaftung

Anwälte haften für ihre Verfahrensfehler, Richter in aller Regelnicht und ebenso wenig der Staat. Im Prinzip geht die Rspr. desBGH auch davon aus, dass Fehler der Gerichte den Anwalt vonseiner Haftung nicht befreien42. Ob man dem Obiter Dictum imDreierbeschluss der 2. Kammer des 1. Senats43 – es war dieskeine Senatsentscheidung – mit seiner verfassungsrechtlichenKritik all zu viel Bedeutung beimessen soll, erscheint fragwür-dig. Solche Beschlüsse sind vor allem in ihren nicht entschei-dungstragenden Gründen oft nicht sehr sorgfältig überlegt undgeben Präferenzen einzelner Richterinnen und Richter oder garihrer Mitarbeiter wieder, denen man endgültiges Gewicht nichtimmer zumessen kann. Die drei Verfassungsrichter meinenbeiläufig, die Berufsausübungsfreiheit des Anwalts könne ver-letzt sein, wenn er haften solle, obwohl eine mögliche richter-liche Korrektur des anwaltlichen Fehlers unterblieben sei, oderwenn er hafte, weil er das Gericht nicht auf eine fehlsameRechtsauffassung hingewiesen habe. Schon vor dem Hinter-grund normaler Zurechnungskriterien des Schadensersatzrechtsist diese Kritik schwer einzuordnen: die eigene Pflichtwidrigkeitbleibt auch dann Zurechnungsgrund, wenn die PflichtwidrigkeitDritter als Ursache für einen Schaden hinzutritt – immer vo-rausgesetzt, dass das Fehlverhalten Dritter im Rahmen der Le-benserfahrung liegt44. Es besteht wenig Veranlassung, dies imVerhältnis von anwaltlichem und richterlichem Fehlverhalten

anders zu sehen, zumal im richterdominierten deutschen Pro-zess die Rolle des Anwalts auf eine Art Überwachungsfunktiongeschrumpft ist, für deren Erfüllung der Anwalt hauptsächlichobligatorisch ist und folglich auch haften sollte. Aus der Skepsisder drei Richter des BVerfG auf eine verfassungsgerichtliche Be-reitschaft schließen zu wollen, die Haftung für gerichtliche Feh-ler auszudehnen, z.B. auf Fälle grober Fahrlässigkeit, erscheinteher zweifelhaft. Zu viele Argumente sprechen gegen eine sol-che Entwicklung.

2. Die international gängige Lösung

Das Haftungsprivileg der Richter bzw. des Staates für seine Rich-ter ist das Ergebnis einer sehr breiten Rechtsentwicklung in al-len Rechtskulturen westlicher Zivilisation45. Meist beschränktsich die Haftung auf Vorsatz, wie z.B. im angloamerikanischenRechtskreis, und wo für grob fahrlässige Fehlleistungen oderverzögerte Verfahrenserledigung eine Haftung bejaht wird, wieunterschiedlich im romanischen und germanischen Rechtskreis,geschieht dies nur mit zahlreichen Einschränkungen und größ-ter Vorsicht.

3. Die Gründe

Was sind die Gründe für diese sehr breite internationale Ent-wicklung? Es werden stets zwei Gründe mehr oder wenigergleichberechtigt genannt, nämlich der Schutz der Rechtskraftund der Schutz richterlicher Unabhängigkeit. Man scheut nichtnur die Druckwirkung auf den Richter, wie man sie bei auf-sichtsrechtlichen Maßnahmen gerade vermeidet, sondern auchdie Wiederholung des Verfahrens unter umgestülpter instanziel-ler Zuständigkeit. Das LG hätte darüber zu befinden, ob Bun-desrichter einen groben Fehler machten, weil sie den gemein-samen Senat nicht anriefen, und ob dieser Fehler den Verfah-rensausgang negativ beeinflusste; es hätte darüber zuentscheiden, ob ein Bundesverfassungsrichter eine Dreierent-scheidung unangemessen verzögert hat und dadurch ein Scha-den für den Bf. entstanden ist. Wie sehr nicht nur der Gedankeder Rechtskraft, sondern auch die damit verbundene Notwen-digkeit einer instanziellen Ordnung die Vorstellung von derSchädlichkeit einer Haftung für richterliche Fehler prägt, zeigtdie gesamteuropäische Lösung: bei groben Fehlleistungen kannder EGMR als übergeordnetes Gericht dem Opfer gerichtlicherFehlleistung eine angemessene Entschädigungssumme zuspre-chen46, was auch durchaus immer wieder geschieht47. Jedenfallsist es nicht ganz richtig zu sagen, es gebe keine Entschädigungfür richterliche Fehlleistungen ohneVorsatz – es gibt sie, aber in-stanziell wohlgeordnet.

4. Neuere Gründe für eine Haftungsverschärfung?

Die Frage, ob es neuere und bessere Gründe geben könnte, dieFrage staatlicher Haftung für Fehlurteile neu zu überdenken undanders zu entscheiden, ist m.E. letztlich klar zu verneinen. DasArgument, Rechtskraft stehe auch Anwaltshaftungsprozessennicht entgegen, ist zwar formal richtig, trifft aber nicht den Kernder Sache: im Anwaltshaftungsprozess ist das Fehlverhalten desAnwalts der zentrale Streitpunkt, das richterliche Fehlurteil kanneine Rolle spielen, muss es aber nicht, und wenn, dann oft i.S.verpasster instanzieller Überprüfung.

Im richterlichen Staatshaftungsprozess wäre stets das letztin-stanzliche Urteil Kontrollgegenstand. Der Hinweis auf den Ver-lust instanzieller Richtigkeitskontrolle durch die ZPO-Reform ist

BRAK-Mitt. 5/2003 Aufsätze 219

Stürner, Unabhängigkeit der Richter aus der Sicht der Wissenschaft

42 Zuletzt BGH NJW 2002, 1048 ff.43 BVerfG NJW 2002, 2017, 2018.44 Dazu allgemein Esser/Schmidt, Schuldrecht, Allgemeiner Teil, Bd. I/2,

8. Aufl. 2000, § 33 II 2, S. 234 ff. m.Nw.

45 Guter Überblick über die Rechtslage und ihre historischen Hintergründebei Cappelletti, Le Pouvoir des Juges, p. 114 ff., 124 ff., 154 ff. m.Nw.

46 Art. 41 EMRK.47 Verweigert im Fall EGMR NJW 2001, 213, 214.

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zutreffend – aber der Staatshaftungsprozess zur Korrektur istein rechtspolitisch verfehltes Instrument. Das Argument desSchutzes richterlicher Unabhängigkeit wird übrigens nicht nurfür staatliche Richter ins Feld geführt, sondern auch für dieschiedsrichterliche Haftung, die nach deutschem Recht glei-chen Grenzen unterliegt wie die Staatshaftung für richterlicheFehler48. Manchmal kommen also auch anwaltliche Schieds-richter in den Genuss des Haftungsprivilegs.

VI. Schlussbemerkung

Zum Schluss seien noch einige kurze Bemerkungen zum eu-ropäischen Gesamtzusammenhang gestattet, in dem das Themasteht. Mit der Unabhängigkeit und demokratischen Legitimationder Richter des EuGH in Luxemburg und des Gerichtshofs ersterInstanz ist es sehr schlecht bestellt. Die Richter werden von denRegierungen einvernehmlich ohne jede parlamentarische Mit-wirkung bestellt49. Jeder Staat stellt ohne Rücksicht auf die Zahlseiner Bürger einen Richter – was die demokratische Legitima-tion durch die Gesamtheit der EU-Bürger nicht gerade stärkt.Grob gesagt hat ein Luxemburger Bürger bei der Wahl seinerVolksvertretung und damit seiner vorschlagenden Regierungden hundertsechzigfachen Einfluss auf die Richterernennung,verglichen mit einem deutschen Bürger. Die zeitliche Begren-zung der Amtszeit verbunden mit der Wiederbenennungsmög-lichkeit schafft nicht gerade Vertrauen in die Unabhängigkeitvon Regierungen, die Prozesse in Luxemburg führen und dannwieder Richter benennen. Wenn man die Machtfülle bedenkt,

die der Gerichtshof als Promotor von Marktfreiheiten inzwi-schen hat, wirkt es fast bedenklich, mit welcher Sorgfalt man aufnationaler Ebene Unabhängigkeitsfragen diskutiert, um dannauf europäischer Ebene mühsame rechtskulturelle Errungen-schaften einfach über Bord zu werfen. Dass auch die selbstver-ständliche Unterwerfung der EU-Bürger unter die Gerichtsbar-keit von Richtern anderer EU-Staaten ohne die Transformationeines Exequaturverfahrens Grundprinzipien demokratischer Le-gitimation und Kontrolle missachtet, ist schon erwähnt – dertechnokratische Geist der Diskussion um ein europäisches Ge-richtssystem hat beängstigende Implikationen.

Die Umformung der Justiz am Maßstab ökonomischer Katego-rien könnte irgendwann das BVerfG beschäftigen. Es steht zuhoffen, dass es dann dem Wert rechtskultureller Traditionengenügend Gewicht gibt. Im Bereich des Anwaltsrechts hat sichdas BVerfG in vielen Entscheidungen zum Promotor eines Den-kens in Markt- und Dienstleistungsfreiheiten gemacht, das dieTradition des Verständnisses der Anwaltschaft als eines Organsder Rechtspflege eher hintanstellt50. Noch scheinen die eu-ropäischen Deregulierer der Kommission nicht zufrieden, Kom-missar Monti pocht auf weiteren Abbau von Berufsregeln für An-wälte und Notare. Man hat – unter tatkräftiger Mithilfe desBVerfG – den Markt für den europäischen Wettbewerb geöffnet,und gekommen sind machtvolle amerikanische Anwaltsoligo-pole51. Möge sich im Bereich der Justiz ein allzu übereilter Ab-schied von Traditionen nicht wiederholen, die zwischen Öko-nomie, Markt und Rechtspflege meinten klar unterscheiden zusollen.

220 Aufsätze BRAK-Mitt. 5/2003

Scharnhoop, Die Umsatzsteuer in den Rechnungen der Rechtsanwälte und Notare

Viele RAe und Notare sind sich insbesondere bei Mandaten mitAuslandsbezug unsicher, ob und welche Umsatzsteuer sie inRechnung stellen müssen. Dieser Beitrag stellt die verschiede-nen Konstellationen und Lösungen vor.

I. Rechtsanwaltstätigkeiten

Alle berufstypischen Leistungen eines RA fallen unter § 3aAbs. 3 i.V.m. Abs. 4 Nr. 3 UStG (s. Abschnitt 39 Abs. 10 UStR).Danach gilt:

1. Ist der Empfänger der Leistung ein Unternehmer und ist dieLeistung auch für sein Unternehmen bestimmt, so ist der Ort derLeistung dort, wo er sein Unternehmen betreibt (bzw. der Ort,an dem sich die die Leistung empfangende Betriebsstätte befin-det):

p Empfängerort in Deutschland: Rechnung mit deutscher USt.

p Empfängerort im Ausland: Rechnung ohne USt.

Im EU-Ausland fällt in diesen Fällen zwar die ausländischeUSt an; für diese haftet der deutsche RA in der Regel ge-samtschuldnerisch mit dem Leistungsempfänger; im Rah-

men der sog. Reverse- Charge- Regelung muss aber der Leis-tungsempfänger den Steuerbetrag unter Zugrundelegung desdortigen Steuersatzes selbst ermitteln, mit seiner Steuer-erklärung deklarieren und kann dann den Vorsteuerabzugvornehmen. Eine umsatzsteuerliche Registrierung des RA indiesem anderen Staat ist daher nicht erforderlich. Zu denaußereuropäischen Staaten kann keine einheitliche Be-schreibung gegeben werden.

2. Ist der Empfänger der Leistung kein Unternehmer und hat erseinen (Wohn)Sitz in Deutschland, so ist der Ort der Leistung inDeutschland (§ 3a Abs. 1 UStG):

p Rechnung mit deutscher USt

3. Ist der Empfänger der Leistung kein Unternehmer und hat erseinen (Wohn)Sitz im EU-Ausland, so ist der Ort der Leistungdort, wo der RA seine Kanzlei betreibt, in der Regel alsoDeutschland (§ 3a Abs. 1 UStG):

p Rechnung mit deutscher USt

4. Ist der Empfänger der Leistung kein Unternehmer und hat erseinen (Wohn)Sitz im Drittland (also weder Deutschland nochEU), so ist der Ort der Leistung an diesem (Wohn)Sitz (§ 3aAbs. 3 Satz 3 UStG):

p Rechnung ohne USt

48 Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 6. Aufl. 2002, Kap. 12, Rdnr. 9m.Nw.

49 Art. 221, 225 EG.

50 Dazu BVerfGE 76, 171 ff.; 80, 269 ff.; 87, 287 ff.; 93, 362 ff.; 98, 49 ff.;JZ 2001, 350 ff.; dazu kritisch Stürner JZ 2001, 699 ff., 703.

51 Aufschlussreich de Lousanoff ZZP 115 (2002), 357 ff.

Die Umsatzsteuer in den Rechnungen der Rechtsanwälte und Notare

Rechtsanwalt Jens Scharnhoop, Berlin*

* Kanzlei Fuhrmann Wallenfels Binder, Berlin

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II. Notarstätigkeiten

1. Bei allen Beurkundungen der Notare, die im Zusammenhangmit Grundstücken stehen, ist Ort der Leistung dort, wo dasGrundstück liegt (§ 3a Abs. 2 Nr. 1 b UStG). Hierzu gehörenauch die Einräumung, Veränderung, Löschung etc. von dingli-chen Rechten (Abschnitt 34 Abs. 6 und 8 UStR):

p Falls Grundstück in Deutschland, dann Rechnung mit deut-scher USt

p Falls sich das Grundstück im Ausland befindet, dann findetgrundsätzlich das Umsatzsteuerrecht des dortigen StaatesAnwendung. Das gilt auch dann, wenn alle Beteiligten deszu beurkundenden Vorgangs in Deutschland ansässig sind.Da sich das Umsatzsteuerrecht in den jeweiligen Staatendeutlich unterscheidet, können hier keine abschließendeAuskünfte gegeben werden. Für die Staaten der europäi-schen Union gelten die nachfolgenden Ausführungen. ImZweifelsfall helfen Kanzleien vor Ort oder aber die je-weiligen Auslandshandelskammern (www.ahk.de). Jeden-falls gilt:

n Rechnung mit der jeweiligen ausländischen Umsatz-steuer

Diese ausländische Umsatzsteuer wird von den Beteilig-ten auch tatsächlich geschuldet. Sind die Beteiligten vor-steuerabzugsberechtigt, können sie sich aber die Vor-steuer in den meisten (z.B. allen EU-) Staaten erstattenlassen. Eine Liste der hierfür zentral zuständigen auslän-dischen Behörden findet sich u.a. im Internet unterwww.bff-online.de.

Ein Ausweis der deutschen Umsatzsteuer würde dahinge-gen den Vorsteuerabzug der Beteiligten in Deutschland

ausschließen (BFH-Urt. v. 2.4.1998 – V R 34/97, BStBl. II1998, 695)!Der Notar muss die Steuer in dem ausländischen Staat er-klären und kann, soweit vorhanden, Vorsteuerbeträge gel-tend machen. Voraussetzung ist die steuerliche Registrie-rung in diesem Staat. Die bisherigeVerpflichtung, einen Fis-kalvertreter zu bestellen, gibt es aufgrund einer Änderungdes Art. 21 der 6. EG-Richtlinie seit dem 1.1.2002 nichtmehr. Da die tatsächliche Handhabung und Umsetzungder 6. EG-Richtlinie in den EU-Staaten nach wie vor unter-schiedlich ausfällt, sollte sich ein Notar, wenn er sich ent-schließt, auf einen Fiskalvertreter zu verzichten, vorher beiden o.g. Stellen vor Ort erkundigen, um etwaige Schwie-rigkeiten mit der dortigen Verwaltung zu vermeiden.

2. Bei allen Beurkundungen, die nicht im Zusammenhang mitGrundstücken stehen (z.B. im Gesellschaftsrecht), ist der Ort derLeistung gemäß § 3a Abs. 1 UStG dort, wo der Notar sein No-tariat betreibt, in der Regel also Deutschland (vgl. Rau/Dürr-wächter, § 3a UStG, Rn. 239):p Rechnung mit deutscher USt3. Selbstständig erbrachte und abgerechnete Beratungen wiez.B. für die Anfertigung von Urkundsentwürfen und der Bera-tung der Beteiligten, die nicht im Zusammenhang mit Beurkun-dungen stehen (vgl. § 24 BNotO und §§ 145 und 147 Abs. 2KostO), werden wie die unter Ziff. I. dargestellten Tätigkeitender Rechtsanwälte behandelt (Abschnitt 39 Abs. 11 UStR).(Vorstehende Ausführungen entsprechen der Auffassung derFinanzverwaltung, so dass bei den entsprechenden Steueraus-weisen und -erklärungen keine Probleme auftauchen sollten; inder Literatur werden zum Teil auch hiervon abweichende Auf-fassungen vertreten.)

BRAK-Mitt. 5/2003 Pflichten und Haftung des Anwalts 221

Überblick

Überblick

Neues zur Berufungsbegründungsfrist bei PKHUngewöhnlich hohe Resonanz erfuhr der letzte Beitrag an glei-cher Stelle (Chab, PKH nach der ZPO-Reform, BRAK-Mitt. 2003,163). Wie Leser mitgeteilt haben, war die Problematik offenbarauch in der Richterschaft kaum bekannt und umso mehr auf In-teresse gestoßen. Neue Entscheidungen dazu geben Anlass,nochmals auf das Thema zurückzukommen. Worum ging es?

Mit der ZPO-Reform wurde die Frist zur Berufungsbegründung(§ 520 ZPO) wie auch zur Revisionsbegründung (§ 551 ZPO)geändert. Sie beträgt jetzt zwei Monate ab Zustellung des Ur-teils in der Vorinstanz und ist damit unabhängig vom Zeitpunktder Berufungs- bzw. Revisionseinlegung. Die Begründungs-fristen müssten also nach dem Wortlaut der Vorschriften auchdann laufen, wenn zunächst nur ein PKH-Antrag für die nächs-te Instanz gestellt wird. Das wirft für den Anwalt die Frage auf,wie er mit der Begründungsfrist umzugehen hat. Muss er viel-leicht eine Verlängerung der Begründungsfrist erbitten, wenn

der PKH-Beschluss nicht rechtzeitig da ist, oder genügt ein Wie-dereinsetzungsantrag bzgl. der Einlegungsfrist (wie bislangauch) und der Begründungsfrist?

Der erste Lösungsansatz scheint schon deshalb unpraktikabelund halbherzig, weil er an § 520 Abs. 2 Satz 2 und 3 ZPO schei-tern kann. Einer zweiten Verlängerung oder einer Verlängerungüber einen Monat hinaus muss der Gegner zustimmen. Auch bisdahin haben die Gerichte oft genug nicht über die PKH ent-schieden.

Damit bleibt offenbar nur noch die Wiedereinsetzungslösung.Hierzu war die Frage entstanden, ob dann ein ausdrücklicherWiedereinsetzungsantrag für die Berufungsbegründungsfristüberhaupt notwendig ist oder ob die Gerichte stillschweigendvon einem entsprechenden Antrag ausgehen und von Amts we-gen Wiedereinsetzung gewähren müssen. Der im letzten Beitragzitierte Beschluss des LG Frankfurt v. 24.6.2003 (2-11 S 345/02)ist jedenfalls nicht haltbar. Der BGH hat hierzu inzwischen ineiner einstweiligen Anordnung (Beschl. v. 6.8.2003 – VIII ZB77/03) deutlich zu verstehen gegeben, dass das LG § 236Abs. 2 2. Halbs. ZPO zu Unrecht nicht beachtet hatte.

Pflichten und Haftung des Anwalts

Rechtsanwälte Bertin Chab und Holger GramsRechtsanwältin Antje Jungk

Allianz Versicherungs-AG, München

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Nun hat der XII. ZS des BGH in einer ausführlich begründetenEntscheidung (Beschl. v. 9.7.2003 - XII ZB 147/02) Stellungbezogen. Das OLG hatte in der Vorinstanz den Antrag auf Be-willigung von PKH erst nach regulärem Ablauf von Berufungs-und Berufungsbegründungsfrist positiv beschieden. Zugestelltwurde dieser Beschluss am 14.5.2002. Mit am 28.5. eingegan-genem Schriftsatz legten die Prozessbevollmächtigten Berufungein und beantragten zugleich die Wiedereinsetzung in den vo-rigen Stand bzgl. der Berufungseinlegungsfrist. Am 27.6.schließlich wurde die Berufung begründet und zugleich Wie-dereinsetzung wegen Versäumung der Berufungsbegründungs-frist beantragt. Das OLG meinte, dass diesbezüglich nun keineWiedereinsetzung möglich sei, weil die Begründung nicht in-nerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO,also nach Wegfall des Hindernisses i.S.d. Wiedereinsetzungs-vorschriften (PKH-Bewilligung), nachgeholt worden sei. DieRechtsbeschwerde hiergegen hatte nach Ansicht des BGHgrundsätzliche Bedeutung und außerdem auch in der Sache Er-folg. Dabei räumt der BGH dem OLG gegenüber durchaus ein,dass der Wortlaut des § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO eigentlich keinanderes Ergebnis zulasse, meint aber, die Vorschrift sei verfas-sungskonform auszulegen, um die verfassungsrechtlich gebo-tene Angleichung der Situation bemittelter und unbemittelterRechtsmittelführer herzustellen. Da nach neuem Recht die Ver-säumung der Einlegungsfrist wegen des vorgeschalteten PKH-Verfahrens regelmäßig auch die Versäumung der Begründungs-frist nach sich zöge, würde die durch das OLG vorgenommeneAuslegung zu einer klaren Benachteiligung der unbemitteltenPartei führen. Die Begründungsfrist verkürzt sich nämlich – vomGesetzgeber ungewollt – je nach Situation erheblich, will manam Buchstaben des Gesetzes festhalten.

Die Lösung sei am ehesten in einer Neufassung des § 234 ZPOzu suchen. Ein Gesetzentwurf liegt bereits vor. Er geht aber demSenat immer noch nicht weit genug, insbesondere die bereitsvorhandenen Ansätze anderer Bundesgerichte zu deren Verfah-rensordnungen seien noch ungenügend berücksichtigt. Auf dieerstaunlich breiten Ausführungen hierzu darf an dieser Stelleverwiesen werden. Welcher Lösung nun letzten Endes der Vor-zug zu geben sei, lässt der Senat für den konkreten Fall aber da-hinstehen: die Frist war jedenfalls noch nicht versäumt. Dazukommt man entweder, indem man die zweimonatige Begrün-dungsfrist überhaupt erst mit Zustellung der PKH-Bewilligungbeginnen lässt oder eine einmonatige Begründungsfrist ab Zu-stellung der Entscheidung über die Wiedereinsetzung bzgl. derEinlegungsfrist annimmt.

Überraschend ist das allemal. Schließlich ging die Diskussionzunächst um die Frage, ob der Anwalt die Frist verstreichen las-sen und dann Wiedereinsetzung beantragen kann, oder ob er vor-sorglich bis zur Klärung der Frage die Fristverlängerung versuchensoll. Dass die reguläre Frist mit Zustellung des Urteils zu laufenbeginnt, war nicht in Zweifel gezogen worden. Nun hat der BGHklargestellt, dass es nicht einmal einer Wiedereinsetzung in dieBegründungsfrist bedarf, weil diese Frist jedenfalls erst nach Zu-stellung des PKH-Beschlusses überhaupt zu laufen beginnt.

Rechtsanwalt Bertin Chab

Das aktuelle Urteil

Beratungspflichten nach Abschluss der InstanzNach Abschluss der Instanz hat der Prozessbevollmächtigte diePflicht, den Mandanten umfassend über die Möglichkeiten derAbwehr von Vollstreckungsmaßnahmen zu beraten. (eigenerLeitsatz)

BGH, Urt. v. 10.7.2003 – IX ZR 5/00

Besprechung:

Zu diesem Haftpflichtprozess kam es – wie so häufig – deshalb,weil die Vorgehensweisen der Mandantin und der verschiede-nen beteiligten Anwälte nicht abgestimmt waren. Die Kl. betriebu. a. einen Käsestand in einer Markthalle. Der zunächst man-datierte RA kündigte aufgrund tatsächlichen oder vermeint-lichen Auftrags der Mandantin den Mietvertrag und focht dieKündigung im Nachhinein wieder an. Im Rahmen einer Räu-mungsklage, in der es um die Wirksamkeit der betreffendenKündigung ging, war die beklagte RAin erstinstanzlich mit derProzessführung beauftragt. Nachdem das LG der Räumungs-klage stattgegeben hatte, wurden wiederum neue Anwälte mitder Überprüfung der Erfolgsaussichten der Berufung sowie derDurchführung des Berufungsverfahrens beauftragt. Die Beru-fung war – entgegen der Prognose der beklagten RAin – erfolg-reich, da die Kündigung des Mietvertrages wegen fehlendenKündigungsgrundes als unwirksam angesehen wurde. Bereitskurz vor Berufungseinlegung hatte die Kl. den streitgegenständ-lichen Käsestand aber geräumt und das Inventar veräußert. Sieverlangte nun den bis zur regulären Beendigung des Mietver-trages entgangenen Gewinn von der beklagten RAin, da diesesie anlässlich bzw. nach Erhalt des erstinstanzlichen Räu-mungsurteils unzureichend beraten habe.

Mit dem gegen die Bekl. geltend gemachten Haftpflichtan-spruch verlangt die Kl. so gestellt zu werden, als hätte sie denKäsestand nicht veräußert. Da die Kündigung des Mietvertragesletztinstanzlich als unwirksam erkannt wurde, hätte sie denKäsestand weiter betreiben dürfen. Hätte eine ausreichende Be-ratung stattgefunden, hätte sie von der Veräußerung Abstand ge-nommen. Hierzu ist zunächst festzustellen, dass die Kl. keinender beteiligten RAe zur Frage der Veräußerung des Inventarskonsultiert hatte. Einen ausdrücklichen Rat, den Stand zu ver-äußern, hatte sie also nicht bekommen. Allerdings lag der Ent-scheidung, den Stand zu veräußern, offenbar eine falsche Vor-stellung der rechtlichen Möglichkeiten zu Grunde. Dies führt zuder Frage, ob und ggf. welcher Anwalt die Mandantin weiterge-hend über die Konsequenzen von Vollstreckungsmaßnahmenbzw. Vollstreckungsschutzmöglichkeiten belehren musste undwelche Pflichten den Anwalt überhaupt bei bzw. nach Ab-schluss einer Instanz treffen (vgl. dazu auch BGH, NJW 2003,2022, m. Anm. Jungk in BRAK-Mitt. 2003, 165, zur Überprü-fung der Aussichten eines Rechtsmittels).

Die Kl. machte geltend, sie habe den Käsestand nur wegen derdrohenden Zwangsvollstreckung des Vermieters aus dem erst-instanzlichen Urteil veräußert. Die Bekl. habe sie nicht ausrei-chend über die zur Verfügung stehenden Maßnahmen zur Ab-wendung der Zwangsvollstreckung belehrt. Dieser Aspekt betrifftnun in der Tat den Mandatsumfang des erstinstanzlichen An-walts. Zwar könnte der Vollstreckungsschutzantrag ein neuesMandat sein (BGH, NJW 1996, 48, 51 geht sogar von derselbenAngelegenheit aus); die Belehrung über die Vollstreckungsmög-lichkeiten als solche obliegt allerdings von jeher dem Instanzan-walt (Borgmann/Haug Rdnr. III 93; Zugehör-Sieg, Rdnr. 747).Dass die beklagte RAin die Mandantin über die Möglichkeitenund Voraussetzungen eines Vollstreckungsschutzantrags einer-seits bzw. die Konsequenzen einer Vollstreckung durch den Ver-mieter andererseits ausreichend belehrt hätte, konnte sie nichtdarlegen. Insbesondere der Hinweis auf etwaige Schadenser-satzansprüche gegen den Räumungskläger aus § 717 Abs. 2 ZPOfür den Fall einer Aufhebung des Räumungsurteils wäre nach An-sicht des OLG Celle wie des BGH erforderlich gewesen. DieseAnforderungen stehen im Einklang mit der bisherigen Rspr.: DerAnwalt muss alles tun, um die rechtlichen Interessen des Man-danten zu wahren. Er muss die verschiedenen Vorgehensweisenaufzeigen und so dem Mandanten eine eigenverantwortlicheEntscheidung ermöglichen. Im konkreten Fall hätte die beklagteAnwältin also trotz ihrer Skepsis bezüglich der Erfolgsaussichtender Berufung der Mandantin die Möglichkeit und die Vorausset-

222 Pflichten und Haftung des Anwalts BRAK-Mitt. 5/2003

Das aktuelle Urteil

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zungen eines Vollstreckungsschutzantrags aufzeigen müssen, da-mit diese über die Antragstellung bzw. Weiterverfolgung ent-scheiden konnte. Auch die Aussicht, im Obsiegensfalle Scha-densersatz gem. § 717 Abs. 2 ZPO zu bekommen, ist ein Um-stand, der bei der Entscheidung des Mandanten über das weitereVorgehen durchaus Berücksichtigung finden kann. Dem BGH istdaher zuzustimmen, dass nach den Anforderungen der Rspr. andie Beratung bei Instanzabschluss umfangreichere Belehrungenseitens der Bekl. erforderlich gewesen wären.Eine umfassende Beratung setzt allerdings die Kenntnis des we-sentlichen Sachverhaltes voraus. Für die Anwältin stellte sichder Sachverhalt so dar, dass die Alternativen zwischen Durch-führung der Zwangsvollstreckung und freiwilliger Räumung desKäsestandes bestanden. Die Veräußerung des Inventars standhingegen nicht in Rede und ging auch weit über den vollstreck-baren Inhalt des Räumungsurteils hinaus. Die Größenordnungder durch diese Vorgehensweise geschaffenen vollendeten Tat-sachen kannte die Bekl. also nicht. Die geplanten Vorgehens-alternativen beeinflussen aber durchaus den Umfang der Bera-tung. Unter diesen Umständen hätte es näher gelegen, jedeerdenkliche Möglichkeit zu prüfen, die Vollstreckung zu ver-meiden, als wenn es nur um die zeitweise Räumung des Käse-standes gegangen wäre. Die fehlende Information seitens derMandantin über ihr Vorhaben kann ein Mitverschulden begrün-den. Genau dies hat das LG im Haftpflichtprozess erster Instanzder Kl. auch vorgeworfen: Sie hätte die Veräußerung des Inven-tars mit den zu diesem Zeitpunkt mandatierten (Berufungs-)An-wälten erörtern müssen.Das LG hielt das Mitverschulden der Mandantin mit gutenGründen sogar für überwiegend. Das OLG hat in seinemGrundurteil hierüber nicht entschieden mit dem Hinweis, dasMitverschulden sei im Rahmen des Betragsverfahrens zu prüfen.Diese Verfahrensweise hat der BGH allerdings nicht gebilligt:Weder im Rahmen eines Feststellungs- noch eines Grundurteilsdarf der Mitverschuldensgrad offen gelassen werden. Die not-wendigen Feststellungen hierzu müssen nun vom Berufungsge-richt nachgeholt werden.

Rechtsanwältin Antje Jungk

Rechtsprechungsleitsätze

Haftung

Verjährung von Regressansprüchen gegen AnwälteDer Schaden i.S.d. § 51b 1. Alt. BRAO ist bereits mit Schlussder mündlichen Verhandlung im Vorprozess eingetreten, wenndies der letzte Zeitpunkt war, eine Klageerhöhung geltend zumachen, um zumindest die erforderliche Revisionssumme zuerreichen. (eigener Leitsatz)Schleswig-Holsteinisches OLG, Urt. v. 2.3.2000 – 11 U 119/98

Anmerkung: Die Kl. warf dem beklagten Anwalt vor, er habe esversäumt, im letzten Termin des Berufungsrechtsstreites im Vor-prozess einen zusätzlichen Antrag auf Zahlung zu stellen. Hätteer dies getan, hätte der BGH in der dann zulässigen Revision dieVorentscheidung wegen eines Verfahrensfehlers aufgehobenund die Sache zurückverwiesen. So aber habe die Beschwernicht ausgereicht. Der Mahnbescheid im Regressprozess gingerst mehr als drei Jahre nach dieser letzten mündlichen Ver-handlung bei Gericht ein. Das OLG bestätigt die höchstrichter-liche Rspr., dass bei prozessualen Fehlern der Schaden regel-mäßig erst mit Verkündung der Entscheidung der jeweiligen In-stanz entstehe (BGH, WM 1998, 788 unter Aufgabe der früherenRspr. (etwa NJW 1992, 2829)). Diese Sicht sei aber nicht immerzwingend. Nach demVorbringen der Kl. stand nämlich fest, dass

nach der mündlichen Verhandlung wegen der fehlenden Klage-erhöhung jede Möglichkeit einer zulässigen Revision verbautwar. Damit sei auch der Schaden endgültig eingetreten, es gabkeine Unsicherheiten mehr in der Zeit bis zum Erlass des Urteils.Der BGH hat dieses Urteil mit Nichtannahmebeschluss v.17.6.2003 (IX ZR 118/00) bestätigt.

Rechtsanwalt Bertin Chab

Verantwortung des Anwalts für unwahren Tatsachenvor-tragFür eine ausdrücklich „nach Auskunft“ des Mandanten ge-tätigte unwahre Tatsachenäußerung kann ein Anwalt nur imAusnahmefall verantwortlich gemacht werden.

Eine regelmäßige Kontrolle der vom Mandanten mitgeteiltenTatsachen kann berufsrechtlich nicht verlangt werden.

(eigener Leitsatz)

BVerfG, Beschl. v. 16.7.2003 – 1 BvR 801/03

Der Anwalt hatte für seinen Mandanten eine Bank aus einerselbstschuldnerischen Bürgschaft in Anspruch genommen. Indem Anspruchsschreiben hatte er vorgetragen: „Mit einer ...Zahlung der Hauptschuldnerin ist ... nach Auskunft unsererMandantschaft mangels Zahlungsfähigkeit nicht zu rechnen“.Die – in Wahrheit zahlungsfähige – Schuldnerin nahm den An-walt auf Unterlassung dieser Äußerung in Anspruch. Das OLGDresden gab dem Anspruch zum Teil statt. Der Anwalt habe sichden Inhalt einer fremden, nicht den Tatsachen entsprechendenund herabsetzenden Äußerung zu Eigen gemacht. Er sei ver-pflichtet gewesen, die Information sorgfältig zu überprüfen.

Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerde nicht zur Ent-scheidung an, da das OLG-Urteil den Anwalt – nach Erledigt-erklärung – nicht in existentieller Weise betreffe und ihn letzt-lich nur hinsichtlich der Kosten beschwere. Das BVerfG ließ je-doch deutlich erkennen, dass die Entscheidung den Anwalt inseinem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG verletzt. Träfe die An-sicht des OLG zu und müsste ein Anwalt befürchten, regelmäßigpersönlich belangt zu werden, wenn er in seiner Funktion alsParteivertreter Informationen seines Mandanten weitergibt,würde die ordnungsgemäße Interessenvertretung und damit einwesentlicher Teil anwaltlicher Berufsausübung unterbundenwerden.

Einem Anwalt als berufenem Berater und Vertreter müsse inallen Rechtsangelegenheiten die unerlässliche Äußerungsfrei-heit zukommen, die seine Stellung als unabhängiges Organ derRechtspflege erfordert. Eine regelmäßige Kontrolle der vomMandanten mitgeteilten Tatsachen könne berufsrechtlich nichtverlangt werden. Eine solche Verpflichtung würde das Vertrau-ensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant zerstören. Auchhaftungsrechtlich besteht eine solche Verpflichtung des Anwaltsnach st. Rspr. nicht (vgl. Zugehör, Handbuch der Anwaltshaf-tung, Rdnr. 539; Borgmann/Haug, Anwaltshaftung, 3. Aufl.,Kap. IV, Rdnr. 23 ff., jeweils m.w.N.).

Rechtsanwalt Holger Grams

Zurechnung von AnwaltsverschuldenDer Mandant muss sich Verschulden seines Anwalts auch imPKH-Verfahren nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen. (eige-ner Leitsatz)

OLG Köln, Urt. v. 4.6.2003 – 26 WF 121/03

Anmerkung: Der Anwalt hatte für seinen minderjährigen Man-danten PKH für eine Unterhaltsklage gegen dessen Vater bean-tragt mit dem Hinweis, dass es dem Jugendamt als Beistand bis-lang nicht gelungen sei, den Vater zur Errichtung eines Unter-

BRAK-Mitt. 5/2003 Pflichten und Haftung des Anwalts 223

Rechtsprechungsleitsätze

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haltstitels zu bewegen. Vor der Entscheidung über den PKH-An-trag wurde aber doch noch eine Jugendamtsurkunde errichtet.Der Anwalt verschwieg dies dem Gericht und fragte sogar nochbeim Gericht nach dem Sachstand bzgl. des PKH-Antrags.

Das OLG Köln bewertete dieses Verschweigen als vorsätzlich.Da es für die Entscheidung über den PKH-Antrag nicht auf denZeitpunkt der Antragstellung, sondern auf den der Entscheidungdurch das Gericht ankommt, hätte der Kl. alle für die Entschei-dung wesentlichen Änderungen mitteilen müssen. Nach Vorlie-gen der Jugendamtsurkunde war die Klage mutwillig, so dass dieBewilligung von PKH gem. § 124 Nr. 1 ZPO aufzuheben war.

Ob der Partei selbst ein Verschulden zuzurechnen war, ließ dasOLG offen, jedenfalls sei die Rechtslage deren Prozessbevoll-mächtigten bewusst gewesen. Dessen Verschulden sei der Par-tei gem. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen. Die Anwendung dieserZurechnungsnorm ist in Literatur und Rspr. durchaus umstritten.Gegen die Anwendung wird angeführt, der Zweck des § 85Abs. 2 ZPO, das Prozessrisiko nicht zu Lasten des Gegners zuverschieben, erfasse nicht das nicht kontradiktorische PKH-Ver-fahren, weil hier dem Ast. nur die Staatskasse gegenübersteheund der eigentliche Prozessgegner nicht Partei und damit nichtschutzbedürftig sei. Der BGH (NJW 2001, 2720 m.w.N.) hattejedoch wie jetzt das OLG Köln argumentiert, die systematischeStellung des § 85 Abs. 2 ZPO im ersten Buch der ZPO verbieteeine Ausnahmeregelung für das PKH-Verfahren. Außerdem seider Prozessgegner im PKH-Verfahren keineswegs ein Außenste-hender, sondern würde durch die Bewilligung von PKH dem Ri-siko ausgesetzt, dass der Ast. einen kostengünstigen Rechtsstreitführen könne, den er ansonsten vielleicht gar nicht führenwürde, und dass der Ast. im Unterliegensfall den Kostenerstat-tungsanspruch möglicherweise nicht erfüllen könne.

Außerdem würden durch die Anwendung der Zurechnungs-norm die Interessen der unbemittelten Partei nicht unbillig be-einträchtigt, da diese ja bei einem Anwaltsverschulden einenRückgriffsanspruch gegen ihren Anwalt habe. Vor diesem Hin-tergrund ist es jedoch ausgesprochen unbefriedigend, dass dasOLG die Frage eines Eigenverschuldens der Partei offen gelas-sen hat. So werden – möglicherweise unnötige – Regresspro-zesse gegen Anwälte provoziert.

Ausgehend von der BGH-Rspr. ist aber darauf hinzuweisen, dassauch Fristversäumnisse im PKH-Verfahren, die auf einem An-waltsverschulden beruhen, der Partei zuzurechnen sind, so dassWiedereinsetzung nicht gewährt wird.

Rechtsanwalt Holger Grams

Fristen

Überprüfung des SchriftsatzinhaltsDie generelle Anweisung an das Büropersonal, den Berufungs-schriftsätzen das erstinstanzliche Urteil beizufügen, entbindetden Anwalt nicht von der Pflicht zur persönlichen Überprüfungder Ordnungsmäßigkeit des Schriftsatzes. (eigener Leitsatz)

BGH, Beschl. v. 14.5.2003 – XII ZB 154/02

Anmerkung: Zum notwendigen Inhalt der Berufungsschriftgehört nach st. Rspr. des BGH insbesondere auch die Angabe,für wen und gegen wen das Rechtsmittel eingelegt wird (z. B.BGH, NJW-RR 2000, 1371). Grundsätzlich kann diese Voraus-setzung auch dadurch erfüllt werden, dass sich die Beteiligtenaus dem beigefügten erstinstanzlichen Urteil ergeben. Die Prü-fung der Einhaltung der Formvorschriften obliegt dem Anwaltpersönlich (BGH, NJW 1995, 1499). Hieran ändert es auchnichts, wenn der Schriftsatz als Textbaustein im Computer ab-gespeichert ist. Man sollte sogar meinen, dass den Anwalt in die-sem Fall noch größere Sorgfaltspflichten treffen, als wenn er den

Schriftsatz abdiktiert. Die Beifügung des erstinstanzlichen Ur-teils mag zwar als Rettungsanker dienen, wenn der Schriftsatzinsoweit unvollständig ist; mit der Fertigung und Unterzeich-nung eines nicht den Formvorschriften entsprechenden Schrift-satzes setzt der Anwalt jedoch einen Gefahrentatbestand, demmit einer generellen Anweisung an das Büropersonal nicht an-gemessen begegnet werden kann.

Rechtsanwältin Antje Jungk

Postausgangskontrolle und Überprüfung des Fristen-kalendersEs stellt kein Organisationsverschulden dar, wenn in den für dieGerichtspost bestimmten Postkorb sowohl fristgebundene alsauch andere Schriftsätze eingelegt werden, wenn dieser täglichzu einer bestimmten Uhrzeit geleert und die Schriftstückedurch einen zuverlässigen Boten zu Gericht gebracht werden.(eigener Leitsatz)BGH, Beschl. v. 22.5.2003 – I ZB 32/02, NJW-RR 2003, 1004

Prozessbevollmächtigte haben durch geeignete Büroorganisa-tion sicherzustellen, dass die Erledigung fristgebundener Sa-chen am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristen-kalenders überprüft wird. (eigener Leitsatz)BGH, Beschl. v. 23.7.2003 – XII ZB 75/03

Anmerkung: Beide BGH-Beschlüsse gehen zurück auf die Wie-dereinsetzung ablehnende Entscheidungen des OLG München.Im ersten Fall war ein bereits postfertiger Schriftsatz offenbarweisungswidrig aus dem Postkorb entfernt worden, wo er erst ei-nige Tage später wieder eingelegt wurde. Dieser Postkorb wurdenach Vortrag der Prozessbevollmächtigten täglich durch einenzuverlässigen Boten nach 10.00 Uhr vormittags gelehrt und zumörtlichen Gericht gegeben. Das OLG beanstandete, dass unter-schiedslos fristgebundene und nicht fristgebundene Schriftsätzein den Postkorb aufgenommen würden. Darin sieht der BGHeine Überspannung der Anforderungen an den RA. Wenn ge-währleistet sei, dass fristwahrende Schriftsätze rechtzeitig her-gestellt und postfertig gemacht werden, und wenn die weitereBeförderung der Post am gleichen Tag sichergestellt sei, gebe eskeinen Grund, fristgebundene und nicht fristgebundene Schrift-stücke getrennt voneinander zu behandeln.Das ist korrekt. Eine (zusätzliche) Fehlerquelle kann nämlichdurch die konkrete Organisation nicht eröffnet sein. Ergänzendsei zur Organisation in der Kanzlei an dieser Stelle noch auf Fol-gendes hingewiesen: wenn die Post fertig im Korb liegt und dieFrist aus dem Kalender gestrichen wurde und sich nun doch ein-mal die Notwendigkeit ergibt, die Post wieder zu entnehmen,muss auch die Frist erneut in den Kalender. Dann ist an und fürsich lückenlose Sicherheit gewährleistet. Dieser Aspekt wurdeallerdings in dem Beschluss nicht angesprochen.Nicht so recht eingängig ist die zweite Entscheidung. Hierwar vorgetragen, dass die Anwaltsgehilfin zwar die offene Fristim Kalender als solche am Tag des Fristablaufs erkannt, aberkeine weiteren Maßnahmen getroffen hatte, so dass die Fristschließlich ungestrichen im Kalender blieb. Das OLG sah dasOrganisationsverschulden in der fehlenden abendlichen Fris-tenkontrolle. Auf die Rechtsbeschwerde hin hat der BGH dieEntscheidung des OLG bestätigt. Man wird wohl kaum auf eineabendliche Fristenkontrolle bestehen können. Eine wirksameAusgangskontrolle ist aber nur gewährleistet, wenn der Kalen-der zuverlässig gegen Ende des jeweiligen Arbeitstages noch-mals kurz daraufhin überprüft wird, ob auch tatsächlich alleFristen gestrichen sind. Es sollte aber eigentlich nichts dagegensprechen, wenn dies z.B. schon kurz nach Mittag erfolgt. Die„Endkontrolle“ muss aber sozusagen als eigenständige Hand-lung in den Arbeitsablauf eingefügt sein.

Rechtsanwalt Bertin Chab

224 Pflichten und Haftung des Anwalts BRAK-Mitt. 5/2003

Rechtsprechungsleitsätze

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Berufungsbegründungsfrist nach PKH-AntragZur Frist, innerhalb derer eine versäumte Berufungsbegrün-dung nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe nachzuholenist.

BGH, Beschl. v. 9.7.2003 – XII ZB 147/02

Anmerkung: siehe Überblick, S. 221 in diesem Heft.

Zusammenschluss von Anwälten

In den bisherigen Folgen dieser Rubrik wurden kanzleibezo-gene Formen anwaltlicher Zusammenarbeit dargestellt. In denbeiden letzten Folgen wird nun die Zusammenarbeit mehrererAnwaltskanzleien im Rahmen eines bestimmten Mandats be-leuchtet. Das Zusammenspiel mehrerer Anwälte („viele Köche...”) innerhalb eines Mandats ist haftungsträchtig. Keiner solltesich daher auf den Kollegen verlassen, sondern dessen Tätigkeitkritisch beobachten, um nicht selbst in die Haftung zu geraten.Um Unmut beim Kollegen, der solches Verhalten vielleicht nichtgewohnt ist, zu vermeiden, sollte dies bei Beginn der Zusam-menarbeit besprochen werden.

Verkehrs- und ProzessanwaltDie in der Vergangenheit häufigste und auch gefahrenträch-tigste Konstellation einer Beteiligung mehrerer Anwälte an dergleichen Sache war das Zusammenwirken von Prozessanwaltund Verkehrsanwalt (auch Korrespondenzanwalt genannt).Diese Form der Zusammenarbeit fand hauptsächlich bei Ver-fahren vor den LG statt und hat infolge der Neufassung des § 78ZPO zum 1.1.2000 und der Erweiterung der Postulationsfähig-keit vor den OLG zwar stark abgenommen, wird aber nichtvollständig verschwinden. Beide Anwälte haben selbständigeMandate mit unterschiedlichem Umfang und Pflichtenkreisen,die nicht deckungsgleich sind, sich aber überschneiden kön-nen. Keiner der beiden Anwälte ist im Verhältnis zum Mandan-ten Erfüllungsgehilfe des anderen (BGH, NJW 1988, 1079,1082; NJW-RR 1990, 1241, 1245). Bei Verletzung einer beidenAnwälten obliegenden Pflicht können beide Anwälte aus-nahmsweise gesamtschuldnerisch haften (BGH, NJW 1993,1779; 1997, 2168). Gebührenteilungsabreden und interneHaftungsfreistellungen haben im Außenverhältnis zum Man-danten keine Wirkung.

Die Pflicht zu ordnungsgemäßem prozessualem Handeln ob-liegt dem Prozessanwalt. Für die Wahrung von Prozessfristen istprimär er verantwortlich. Ist vereinbart, dass der Verkehrsanwalt

die Schriftsätze fertigt (sog. „Stempelmandat”), obliegt die Frist-wahrung beiden gemeinsam. Der Prozessanwalt wird also nichtaus der Verantwortung entlassen. Er muss fristwahrendeSchriftsätze anmahnen und ggf. selbständig bei Gericht Fristver-längerung beantragen. Für Form und Inhalt der Schriftsätze istder Prozessanwalt immer verantwortlich (soweit er Fehler er-kennen kann, etwa bei mangelnder Schlüssigkeit oder Substan-tiierung). Bedenken muss er dem Verkehrsanwalt mitteilen(BGH, NJW 1990, 1241).

DemVerkehrsanwalt obliegt die Sachverhaltsermittlung und dieInformation und Belehrung des Mandanten. Den Prozessanwaltmuss er sorgfältig auswählen. Ihn überwachen und in dessenTätigkeit eingreifen muss er nur, wenn sich ihm aufdrängt, dassder Prozessanwalt nicht ordnungsgemäß arbeitet. Die Frist zurEinlegung eines Rechtsmittels darf der Verkehrsanwalt erst strei-chen, wenn der von ihm beauftragte Rechtsmittelanwalt die An-nahme des Mandats bestätigt hat (BGH, NJW 1997, 3245). Fürmangelhafte Schriftsätze, die der Verkehrsanwalt dem Prozess-bevollmächtigten zur Einreichung beim Gericht zuleitet, haftetunbeschadet der Verantwortlichkeit des Prozessanwalts (auch)der Verkehrsanwalt im Rahmen seines Auftrags (BGH, NJW2002, 1417).

UntervollmachtZugenommen hat infolge der Änderung des § 78 ZPO die Zu-sammenarbeit zwischen Anwälten in Form der Unterbevoll-mächtigung. Dabei ist der Hauptbevollmächtigte auch Prozess-anwalt, während ein am Gerichtsort niedergelassener Anwalt le-diglich mit der Terminswahrnehmung beauftragt wird (dies warfrüher nur bei Amtsgerichtsprozessen gängig).

Auch bei einer Unterbevollmächtigung kommt im Regelfall einMandatsvertrag zwischen dem Mandanten und dem unterbe-vollmächtigten Anwalt, aber kein Vertragsverhältnis zwischenden beteiligten Anwälten zustande, sofern der die Untervoll-macht erteilende Hauptbevollmächtigte seinerseits im Rahmender ihm erteilten Vollmacht handelt (Borgmann/Haug, Kap. VII,Rdnr. 34; Sieg in: Zugehör, Rdnr. 246). Auch hier erfolgt daherkeine Verschuldenszurechnung nach § 278 BGB.

Der Unterbevollmächtigte hat nur einen eingeschränkten Pflich-tenkreis (ordnungsgemäße Terminswahrnehmung, Informationdes Hauptbevollmächtigten, vgl. Sieg in: Zugehör, Rdnr. 251).Allerdings muss sich auch der Unterbevollmächtigte so weit indie Sache einarbeiten, dass er in der mündlichen Verhandlungzu einer qualifizierten Erörterung des Streitstoffs in rechtlicherund tatsächlicher Hinsicht in der Lage ist (OLG Düsseldorf, NJW1982, 1888).

Rechtsanwalt Holger Grams

BRAK-Mitt. 5/2003 Aus der Arbeit der BRAK 225

Statistik Jurastudenten, Prüfungen,Rechtsanwälte

Die Auswertung der Daten des Bundesministeriums der Justiz,des Statistischen Bundesamtes und der RAKn zur Zahl der Jura-studenten, Referendare und RAe hat für das Jahr 2002 ergeben,dass weiterhin mit einem Anstieg der Zulassungen zur Rechts-anwaltschaft zu rechnen sein dürfte.

Der vom Bundesjustizministerium für das Jahr 2002 erstelltenStatistik über die Dauer des Jurastudiums lässt sich entnehmen,dass die Ausbildungsdauer vom Studienbeginn bis zur Zulas-sung zur Anwaltschaft gegenüber dem Jahr 1993 sowie den vor-angegangenen Jahren um etwa 2 Jahre verkürzt worden ist. Esvergehen derzeit durchschnittlich 8 Jahre.

Die durchschnittliche Semesterzahl der zur Ersten Staatsprüfungerstmals zugelassenen Studenten betrug im Jahr 2002 9,58 Se-

Aus der Arbeit der BRAK

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mester. Schließt man die Wiederholer mit ein, so liegt die durch-schnittliche Studiendauer bei 10,54 Semestern3. Im Vergleichdazu haben Studenten im Jahre 2001 9,53 Semester bzw. 10,36Semester studiert4. Insgesamt steigt die durchschnittliche Studi-enzeit somit wieder leicht an, ist jedoch im Verhältnis zu denJahren bis einschließlich 1993 deutlich zurückgegangen5. Diesdürfte auf die Einführung der Freiversuchsregelung zurückzu-führen sein.

Von dieser Regelung machten 35,40 Prozent aller im Jahr 2002im ersten juristischen Staatsexamen geprüften Kandidaten Ge-brauch6. Insgesamt ist die Zahl der Kandidaten, die den Freiver-such unternommen haben, imVergleich zumVorjahr wieder ge-sunken7.

Die Statistik unten links zeigt, dass die Durchfallquote der Kan-didaten, die den Freiversuch im Jahre 2002 in Anspruch genom-

men haben, mit 19,72 % niedriger liegt als bei den Kandidaten,die nicht von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht haben.Es zeigt sich aber auch, dass die Kandidaten, die den Freiversuchin Anspruch genommen haben, eine erheblich bessere Beno-tung erhielten; dies ergibt sich aus der Übersicht unten rechts.

226 Aus der Arbeit der BRAK BRAK-Mitt. 5/2003

Jahr Studienanfänger Bestandene Examen Rechtsanwälte

1. Rechtswissenschaft 1. Juristische 2. Juristische Bestand Zuwachs1. Fachsemester Staatsprüfung Staatsprüfung am 31.12. Absolut in %

1959 3.916 3.153 2.308 18.347 1.133 0,51

1960 3.173 3.400 2.173 18.720 1.373 2,31

1965 4.805 2.698 2.9192 20.088 0.292 1,51970 6.703 3.712 2.758 23.599 0.717 3,11975 12.206 4.326 5.353 28.708 1.854 6,91980 14.446 5.750 4.123 37.314 1.237 3,41985 11.995 6.015 5.265 48.658 1.731 3,71990 15.953 8.127 6.853 59.455 2.817 5,01995 20.153 11.380 10.653 78.810 4.519 6,11996 19.907 12.573 10.689 85.105 6.295 8,01997 19.210 12.393 9.761 91.516 6.411 7,51998 19.198 12.153 10.397 97.791 6.275 6,91999 18.836 12.099 10.710 104.067 6.276 6,422000 18.455 11.893 10.366 110.367 6.300 6,052001 18.143 11.139 10.697 116.305 5.938 5,382002 19.361 10.838 10.330 121.420 5.116 4,40

Quellen: Studienanfänger: Statistisches Bundesamt; Prüfungen: BMJ; RAe: BRAK.

Land Durchfallquote (in %)

Kandidateninsgesamt mit Freiversuch

Baden-Württemberg 32,16 23,66Bayern 32,52 22,55Berlin 30,59 20,93Brandenburg 43,61 34,48Bremen 36,07 30,88Hamburg 18,77 15,79Hessen 16,55 7,34Mecklenburg-Vorpommern 34,04 22,55Niedersachsen 24,22 17,58NRW 21,25 14,89Rheinland-Pfalz 22,73 11,16Saarland 29,10 19,80Sachsen 36,25 29,41Sachsen-Anhalt 44,19 29,76Schleswig-Holstein 18,69 18,59Thüringen 30,11 16,18

gesamt 28,02 19,72

Land besser als ausreichend bestanden(in %)

Kandidateninsgesamt mit Freiversuch

Baden-Württemberg 35,06 46,06Bayern 36,99 52,92Berlin 44,43 56,71Brandenburg 34,22 43,68Bremen 36,61 39,71Hamburg 54,84 69,17Hessen 56,72 77,98Mecklenburg-Vorpommern 41,95 56,86Niedersachsen 50,09 64,06NRW 41,44 54,47Rheinland-Pfalz 46,66 58,57Saarland 41,13 60,40Sachsen 33,14 42,86Sachsen-Anhalt 34,11 48,81Schleswig-Holstein 47,78 57,05Thüringen 39,21 57,35

gesamt 41,43 54,52

1 Beeinflusst durch das In-Kraft-Treten der BRAO am 1.10.1959.2 Ab 1.10.1965 Verkürzung der Referendarzeit von 31/2 auf 21/2 Jahre.3 Quelle: BMJ „Übersicht über die Dauer des Studiums 2002“.4 Im Jahr 1996 lag die durchschnittliche Studienzeit bei 9,07 bzw. 9,60

Semestern, 1997 bei 9,32 bzw. 9,74 Semestern, 1998 bei 9,35 bzw.10,01 Semestern und 1999 bei 9,40 bzw. 10,21 Semestern.

5 BRAK-Mitt. 1994, 223.6 Der prozentuale Anteil lag zwischen 24,38 % in Hessen und

46,29 % in Schleswig-Holstein.7 Im Jahr 2001 unternahmen 37,26 % den Freiversuch, 2000 waren es

36,50 %.

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Nicht bestanden haben im Jahre 2002 29,91 % das erste, 14,37 %aller geprüften Kandidaten das zweite Staatsexamen. 14,84 %haben das erste, 15,23 % das zweite juristische Staatsexamen mitPrädikat (bis einschließlich voll befriedigend) abgeschlossen.

Die Durchfallquote der Kandidatinnen lag im ersten Staats-examen mit 30,57 % über dem Bundesdurchschnitt, im zweitenmit 14,65 % leicht unter dem Bundesdurchschnitt8.

Die Zahl der Referendarinnen im Vorbereitungsdienst nimmtständig zu. Während sich im Jahre 1982 28,93 % Referendarin-nen im Vorbereitungsdienst befanden, waren es 1999 schon45,31 %9, am 1.1.2001 46,74 %10, am 1.1.2002 48,37 %11 undam 1.1.2003 48,36 %. Die Zahl der neu eingestellten Referen-dare insgesamt ist im Vergleich zu den Vorjahren erneut leichtgesunken. Im gesamten Bundesgebiet wurden 10.086 Referen-dare neu eingestellt12.

Mit der sinkenden Zahl der Neueinstellungen von Referendarennimmt auch die Zahl der Kandidaten im zweiten juristischenStaatsexamen ab. 2002 haben 10.330 Referendare das zweiteStaatsexamen bestanden.

Die unten stehende Übersicht verdeutlicht, dass im Jahre 2002im gesamten Bundesgebiet 7842 RAe neu zur Anwaltschaft zu-gelassen worden sind. Vergleicht man diese Zahl mit der Zahlder Examenskandidaten aus dem Jahre 2001 (10.697), so folgtdaraus, dass 73,31 % derjenigen, die das zweite juristischeStaatsexamen bestanden haben, zur Anwaltschaft zugelassenworden sind.

Von den insgesamt neu zugelassenen RAen wurden 4.655 RAe(dies entspricht 59,36 %) und 3.141 RAinnen (dies entspricht40,05 %) sowie 38 RA-GmbHs neu zugelassen. Auch im Jahre2002 hat der Anteil der RAinnen an den Neuzulassungen beiden Geburtsjahrgängen ab 1970 deutlich zugenommen. Einweiterer Anstieg der Anzahl der RAinnen in den nächsten Jah-ren wird daher zu erwarten sein.

434 neu zugelassene RAinnen und RAe waren zwischen 40 und59 Jahre alt, dies entspricht 5,53 % der Neuzulassungen. 106RAinnen und RAe (1,35 %) waren zum Zeitpunkt ihrer Zulas-sung 60 Jahre und älter. Es ist davon auszugehen, dass es sichinsoweit um pensionierte Beamte handelt.

1.147 RAinnen und RAe, die zwischen 27 und 39 Jahre alt wa-ren, haben im Jahre 2002 ihre Zulassung zurückgegeben. Ausden Statistiken lässt sich nicht entnehmen, ob dies allein des-halb geschehen ist, weil die entsprechenden RAinnen und RAekeinen Erfolg im Beruf des RA hatten oder ob sie von vornher-ein beabsichtigt hatten, nur solange zur Anwaltschaft zugelas-

BRAK-Mitt. 5/2003 Aus der Arbeit der BRAK 227

Zugänge Abgänge

RAK Neu- darunter Nur Verzicht zulassungen (ohne Bezirkswechsel)insgesamt

männlich weiblich GmbH 40 bis 59 60 Jahre 27 bis 39 60 JahreJahre und älter Jahre und älter

BGH 000 0 0000 0000 00000 0 0 0000 0Bamberg 0 139 0095 0043 00001 0005 004 0017 8Berlin 0 735 0439 0294 0002 00031 008 00121 35Brandenburg 0 79 0049 0030 00000 0006 000 00027 13Braunschweig00 88 0054 0034 00000 0006 003 00018 10Bremen 00 76 0047 0029 00000 0008 002 0012 11Celle 0 260 0156 0104 0000 00027 005 0052 7Düsseldorf 0 758 0457 0298 0003 0047 006 0063 50Frankfurt 941 0549 0390 0002 0026 014 00126 54Freiburg i. Br.0 139 0083 0055 00001 0008 003 00019 15Hamburg* 0 467 0293 0174 0000 00019 001 0068 28Hamm 0 604 0379 0223 0002 00053 006 0097 56Karlsruhe 0 168 0108 0059 0001 0008 003 0028 11Kassel 00 81 0048 0033 00000 00v6 001 00015 14Koblenz 0 132 0084 48 0000 0009 006 0007 6Köln 0 665 0389 0274 0002 0043 009 0054 50Mecklenburg-Vorpommern 078 0052 0026 00000 0006 001 00024 6München 954 0524 0426 0004 0048 012 00104 57Nürnberg 0 206 0111 0095 00002 0004 003 0037 11Oldenburg 0 109 0072 0036 0001 0007 004 00024 14Saarbrücken 00 64 0036 0028 0000 0008 001 00018 7Sachsen 0 278 0156 0111 000011 0009 004 0053 14Sachsen-Anhalt 00107 0054 0051 00002 0006 002 00042 12Schleswig 0 145 090 0055 0000 00015 001 0024 26Stuttgart 0 321 0182 0138 0001 00017 004 0057 29Thüringen 0 111 0056 0042 00003 0003 001 00018 13Tübingen 0 092 0064 0028 00000 0002 001 00012 1Zweibrücken00 45 0028 0017 00000 0007 001 00010 9

Bundesgebiet 7842 4655 3141 0038 0434 106 01147 567

in Prozent 100 % 59,36 % 40,05 % 0,82 % 5,53 % 1,35 %

8 Ohne Berlin.9 Bohnenkamp, BRAK-Mitt. 2000, 299.

10 Ohne Berlin und Sachsen.11 Ohne Berlin, Hessen und Sachsen.12 Im Jahr 2001 waren es 10.240 Neueinstellungen, 2000: 10.703.

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sen zu sein, bis sie eine Anstellung als Juristen in Staat oder Wirt-schaft gefunden hätten. Dennoch verdeutlicht diese Zahl denDruck, der auf Berufsanfängern lastet.

Von den RAinnen und RAen, die 60 Jahre und älter waren, ha-ben im Jahre 2002 567 ihre Zulassung zurückgegeben. Diesdürfte überwiegend aus Altersgründen geschehen sein.

Insgesamt zeigt sich, dass die Anzahl der RAe ständig weiter zu-nimmt, wenn auch in geringerem Maße als bisher (2000:6,05 %, 2001: 5,38 %, 2002: 4,40 %, jeweils zum 31.12.). Ge-setzgeber und Anwaltschaft müssen darauf reagieren und imWege der Ausbildungsreform junge Juristen auf den Anwaltsbe-ruf vorbereiten und dafür Sorge tragen, dass die anwaltlicheVer-gütung den Anforderungen an die Anwaltschaft und deren Leis-tungen gerecht wird.

RAin Julia von Seltmann, Berlin

I. Presseerklärungen

Nr. 21 v. 28.8.2003

Anwaltschaft begrüßt Entwurf zur Modernisierungder Rechtsanwaltsvergütung

BERLIN (DAV/BRAK). Das Bundesministerium der Justiz hatheute den Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Modernisie-rung des Kostenrechts vorgelegt. Teil dieses Entwurfs ist einneues Rechtsanwaltsvergütungsgesetz. Es enthält wesentlichestrukturelle Änderungen des bisherigen anwaltlichen Ge-bührenrechts sowie die Abschaffung des 10 %-igen „Gebühren-abschlags Ost“. Dieser Entwurf entstand auf der Grundlage vonVorgesprächen, die der Deutsche Anwaltverein (DAV) und dieBundesrechtsanwaltskammer (BRAK) mit der Bundesministerinder Justiz, Frau Brigitte Zypries, geführt hatten. Maßgeblich mit-gewirkt hat auch der rechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Norbert Röttgen. Beide Anwaltsorganisatio-nen begrüßen diesen, wenn auch bescheidenen Schritt in dierichtige Richtung. Aufgrund des Parteienkonsenses ergäbe sichendlich eine echte Chance der Reform des Gebührenrechts. DieNotwendigkeit dieser Reform war bereits in der Vergangenheitauch von der FDP und von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN aner-kannt worden.

Die Neuregelung sei notwendig, da die Anwaltschaft immernoch auf der Grundlage der seit dem 1.7.1994 unverändertenGebühren arbeiten müsse. Die seitdem gestiegenen Kosten fürPersonal und Sachleistungen hätten zu einem erheblichenRückgang anwaltlicher Erträge geführt. Keiner anderen Berufs-gruppe mute man so viele Nullrunden zu. Vor diesem Hinter-grund sei die nun vorgesehene jährliche Steigerung von 1,4 %für die Zeit seit 1994 sehr maßvoll.

„Die Anhebungen bleiben weit hinter der allgemeinen wirt-schaftlichen Entwicklung zurück. Im Zusammenwirken mit derVeränderung der Gebührenstruktur wird die Neuregelung aberfür mehr Akzeptanz sowohl bei Anwälten als auch beim Man-danten führen,“ so die Einschätzung des BRAK-PräsidentenRechtsanwalt Bernhard Dombek. Hiermit könnten beispiels-weise besonders schwierige und arbeitsintensive Tätigkeitenbesser als bisher honoriert werden.

„Wir können angesichts des sehr mäßigen Umfangs der Anhe-bung keine Freudentänze aufführen. Aber angesichts der vielenkleinen Kanzleien, die in den letzten zehn Jahren mit steigen-den Kosten bei sinkenden Umsätzen zu kämpfen hatten, müs-sen wir nun zu einer Lösung kommen,“ ergänzt RechtsanwaltHartmut Kilger, Präsident des DAV. Der politische Konsensmüsse nun genutzt werden.

Die Präsidenten beider Organisationen begrüßen einhellig dievorgesehene Anpassung der Anwaltsgebühren in Ostdeutsch-

land an das Westniveau. Damit werde eine alte Forderung er-füllt.

DAV und BRAK hoffen, dass der Entwurf das Parlament schnellund unbeschadet durchläuft. Sie appellieren an die Länder, dieZustimmung zu dem erreichten Kompromiss nicht von unerfüll-baren Forderungen abhängig zu machen. Nach Ansicht beiderOrganisationen sind Gebührenordnungen in Freien Berufennotwendig, um dem Bürger den Zugang zum Recht durch qua-lifizierten Rechtsrat zu ermöglichen.

Nr. 22 vom 18. September 2003

Bundesrechtsanwaltskammer: Anwälte lehnen Einbeziehungin die Gewerbesteuerpflicht ab

Bundesrechtsanwaltskammer, Hamburg/Berlin. DeutschlandsAnwälte lehnen die durch die Bundesregierung und Gemeindenvorgesehene zusätzliche Belastung ihres Berufsstandes durcheine Einbeziehung in die Gewerbesteuer ab. In der jetzigenschwierigen wirtschaftlichen Lage müsse die Anwaltschaft ent-lastet und nicht belastet werden, fordert die Bundesrechtsan-waltskammer anlässlich ihrer 97. Jahreshauptversammlung am18. September in Hamburg. Hintergrund ist der aktuelle Geset-zesentwurf der Bundesregierung zur Reform der Gewerbe-steuer, der zur Verstärkung der Einnahmequellen der Gemein-den eine Einbeziehung der freien Berufen, und damit auch derAnwälte, in die kommunale Besteuerung vorsieht.

„Wir sind nicht bereit, für das Versagen der Steuerpolitik dieVer-antwortung zu tragen. Die schwierige finanzielle Lage der Ge-meinden ist hausgemacht. Die steuerpolitischen Entscheidun-gen der Vergangenheit haben dazu geführt, dass das Gewerbe-steueraufkommen drastisch gesunken ist. Dieses Problem kannaber nicht auf dem Rücken der Anwaltschaft ausgetragen wer-den“, so der Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer Dr.Bernhard Dombek.

„Wir treten für Steuergerechtigkeit ein. Eine Gemeindewirt-schaftsteuer sollte deshalb für alle Bürger der Gemeinde gelten.Gegen die vorgesehene undifferenzierte Einbeziehung werdendie Rechtsanwälte sich wehren“, kündigt Dr. Dombek an. Einedeutliche Abfuhr erteilt er den Forderungen der Gemeindennach einer Substanzbesteuerung, denn dies sei das offenkun-dige Ende vieler kleineren Anwaltskanzleien und damit kontra-produktiv, da Arbeits- und Ausbildungsplätze vernichtet wür-den.

Nach Auffassung der Bundesrechtsanwaltskammer ist eineGleichbehandlung der Dienstleistungen von Anwälten mit demAngebot von Gewerbetreibenden nicht zu rechtfertigen. DieBundesrechtsanwaltskammer weist anlässlich ihrer Tagung da-rauf hin, dass die Anwaltschaft in erheblichem Maße pro bonoTätigkeit leistet. Jeder Anwalt berät nach Schätzungen der BRAKjährlich in acht bis zehn Fällen in Beratungshilfe- und in Pro-zesskostenhilfeverfahren. „Durch die Unterstützung der sozialSchwächeren nehmen wir erhebliche Einkommenseinbußen inKauf und unterscheiden uns damit ganz maßgeblich von Ge-werbetreibenden. Wir sind keine EDV-Berater und haben auchkeine Geschäfte, in denen es Waren zu kaufen gibt. Wir beratenunsere Mandanten und verhelfen ihnen zu ihrem Recht. Des-halb sind wir wichtiger Bestandteil in unserem Rechts- und So-zialsystem“, erklärt Dr. Dombek.

II. Stellungnahmen

Die nachfolgenden Stellungnahmen der BRAK können im Inter-net unter www.brak.de/ „BRAK-Intern“ „Ausschüsse“ abgerufenwerden:

228 Aus der Arbeit der BRAK BRAK-Mitt. 5/2003

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Ausschuss Informatik und Kommunikation

– Stellungnahme der BRAK zum UNCITRAL-Übereinkommens-entwurf über internationale Verträge, die durch Datennach-richt geschlossen oder nachgewiesen werden – UNCITRAL-Dokument A/CN.9/WG.IV/WP.100 – (Bericht über die Sitzungder UNCITRAL-Arbeitsgruppe „electronic commerce“ vom5. bis 9. Mai 2003 in New York)

Ausschuss Internationales Privat- und Prozessrecht

– Stellungnahme der BRAK zum UNCITRAL-Übereinkommens-entwurf über internationale Verträge, die durch Datennach-

richt geschlossen oder nachgewiesen werden – UNCITRAL-Dokument A/CN.9/WG.IV/WP.100 – (Bericht über die Sitzungder UNCITRAL-Arbeitsgruppe „electronic commerce“ vom5. bis 9. Mai 2003 in New York)

Ausschuss Familienrecht

– Stellungnahme der BRAK zum Entwurf eines Gesetzes zur Än-derung der Vorschriften über die Anfechtung der Vaterschaftund das Umgangsrecht von Bezugspersonen des Kindes

– Stellungnahme der BRAK zu dem Abschlussbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Betreuungsrecht“

BRAK-Mitt. 5/2003 Amtliche Bekanntmachungen 229

Geldwäschebekämpfungsgesetz (GwG): Anordnung der Bun-desrechtsanwaltskammer nach § 14 Abs. 4 Satz 2 GwG

Das Präsidium der Bundesrechtsanwaltskammer hat am 26. Juli2003 in Düsseldorf aufgrund der Befugnis gemäß § 14 Abs. 4Satz 2, 3 GwG folgende Regelung zur Befreiung von den inter-nen Sicherungsmaßnahmen (§ 14 Abs. 2 GwG) getroffen:

Rechtsanwälte und verkammerte Rechtsbeistände, die in eige-ner Praxis tätig sind und die die in § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GwGgenannten Geschäfte regelmäßig ausführen, sind von denPflichten, interne Sicherungsmaßnahmen, wie die Bestimmungeines Geldwäschebeauftragten, die Entwicklung internerGrundsätze zu Sicherungssystemen und Kontrollen zur Verhin-derung der Geldwäsche, die Sicherstellung der Zuverlässigkeitvon Mitarbeitern sowie die Unterrichtung der Mitarbeiter überPflichten nach dem GwG und über die Methoden der Geld-wäsche vorzusehen (§ 14 Abs. 2 GwG i.V.m. § 14 Abs. 1 Nr. 8GwG), befreit, wenn in der eigenen Praxis nicht mehr als ins-gesamt zehn Berufsangehörige oder Berufsträger sozietäts-fähiger Berufe gem. § 59a BRAO tätig sind.

Entsprechendes gilt für Rechtsanwälte und verkammerte Rechts-beistände, die ihren Beruf gemäß § 59a BRAO in Gesellschaftenbürgerlichen Rechts (Sozietäten) gemeinsam ausüben oder diein einer Partnerschaftsgesellschaft tätig sind. Gleiches gilt fürRechtsanwälte und verkammerte Rechtsbeistände im Falle einerKundmachung einer Sozietät, auch wenn die Voraussetzungennach § 59a BRAO nicht vorliegen und im Falle einer Kundma-chung einer Partnerschaftsgesellschaft, auch wenn die Voraus-setzungen nach § 1 PartGG nicht vorliegen.

Entsprechendes gilt für Rechtsanwaltsgesellschaften mit be-schränkter Haftung mit dem Unterschied, dass die Pflichten zuden internen Sicherungsmaßnahmen grundsätzlich die Berufs-gesellschaft und nicht die natürlichen Personen des Berufsstan-des treffen (§ 14 Abs. 3 Satz 1 GwG i.V.m. § 14 Abs. 1 Nr. 8,Abs. 2 GwG).

Diese Anordnung wird in den BRAK-Mitteilungen bekannt ge-macht und wird mit der Bekanntmachung wirksam (§ 41 Abs. 3Satz 2 VwVfG).

Die vorstehende Anordnung wird hiermit ausgefertigt und ver-kündet.

Berlin, 31. Juli 2003

Dr. DombekPräsident

Erläuterungen:

I.

Rechtsanwälte und verkammerte Rechtsbeistände sind gemäߧ 14 Abs. 1 Nr. 8, Abs. 2 GwG dazu verpflichtet, interne Siche-rungsmaßnahmen dagegen zu treffen, dass sie zur Geldwäschemissbraucht werden können, wenn sie die in § 3 Abs. 1 Satz 1Nr. 1 GwG genannten Geschäfte regelmäßig ausführen. Dabeihandelt es sich gemäß § 14 Abs. 2 GwG um folgende Vorkeh-rungen:

– Es muss ein der Geschäftsleitung unmittelbar nachgeordneterGeldwäschebeauftragter bestimmt werden, der Ansprechpart-ner für die Strafverfolgungsbehörden und das Bundeskrimi-nalamt – Zentralstelle für Verdachtsanzeigen – sowie für dienach § 16 GwG zuständige Behörde, hier die Bundesrechts-anwaltskammer, ist,

– es sind interne Grundsätze, angemessene geschäfts- und kun-denbezogene Sicherungssysteme und Kontrollen zur Verhin-derung der Geldwäsche und der Finanzierung terroristischerVereinigungen zu entwickeln,

– es ist sicherzustellen, dass die Beschäftigten, die befugt sind,bare und unbare Finanztransaktionen durchzuführen, zuver-lässig sind, und

– die Beschäftigten sind regelmäßig über die Methoden derGeldwäsche und die nach diesem Gesetz bestehenden Pflich-ten zu unterrichten.

Grundsätzlich treffen diese Pflichten zur Vornahme der internenSicherungsmaßnahmen die natürlichen Personen, also Rechts-anwälte und verkammerte Rechtsbeistände, unabhängig von ih-rer Stellung in der beruflichen Einheit. Dies leitet sich aus § 14Abs. 1 Nr. 8 GwG i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GwG ab. Fallsdie Berufsangehörigen ihre berufliche Tätigkeit im Rahmen ei-nes Unternehmens ausüben, obliegt dieVerpflichtung zu den in-ternen Sicherungsmaßnahmen gemäß § 14 Abs. 3 Satz 1 GwGdem Unternehmen; dies bedeutet, dass bei einer beruflichenTätigkeit innerhalb einer Berufsgesellschaft die Pflichten zu deninternen Sicherungsmaßnahmen die Berufsgesellschaft trifft.

II.

Die Bundesrechtsanwaltskammer hat nach § 14 Abs. 4 Satz 2und 3 GwG die Möglichkeit, Einzelne oder Gruppen der einbe-zogenen Berufsangehörigen wegen der Art der von diesen be-triebenen Geschäfte und der Größe des Geschäftsbetriebes von

Amtliche Bekanntmachung

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der Anwendung der Vorschriften gem. § 14 Abs. 1, 2 GwG ganzoder teilweise auszunehmen.

Die Bundesrechtsanwaltskammer macht hiermit von dieser An-ordnungsbefugnis Gebrauch. Es werden diejenigen Berufsan-gehörigen von der Verpflichtung zu den in § 14 Abs. 2 GwG ge-nannten Sicherungsvorkehrungen befreit, die in beruflichenEinheiten tätig sind, die nicht mehr als insgesamt zehn Berufs-angehörige oder Angehörige sozietätsfähiger Berufe gemäߧ 59a BRAO umfassen. Dies gilt unabhängig davon, in welcherFunktion oder Stellung die Berufsträger dort tätig sind. Absatz2 Satz 2 der Anordnung bezieht auch die so genannte „Außen-sozietät“ und so genannte „Scheinpartnerschaftsgesellschaft“mit ein.

Grund für die Befreiung von Rechtsanwälten und verkammertenRechtsbeiständen bei Tätigkeit in beruflichen Einheiten bis zueiner „Gesamtkopfzahl“ von zehn Berufsträgern und der Be-rufsgesellschaften bis zu einer entsprechenden Größe ist, dassin Einheiten bis zu dieser Größe die Gefahr eines Verlustes geld-wäscherelevanter Informationen, die durch arbeitsteiliges Vor-gehen in größeren Unternehmensstrukturen vorhanden seinkann, nicht besteht. Die Gefahr des Informationsverlustes kannals so gering angesehen werden, dass die zu treffenden Siche-rungsvorkehrungen unverhältnismäßig hohen Aufwand verursa-chen würden.

Dabei hat sich die Bundesrechtsanwaltskammer mit der Wirt-schaftsprüferkammer und der Bundessteuerberaterkammer ab-gestimmt, um einheitliche Maßstäbe zu schaffen. Dies ist vordem Hintergrund der Bündelung mehrfacher Berufsqualifikatio-nen in einer natürlichen Person, der interdisziplinären Zusam-menarbeit in Einzelpraxen, Sozietäten und Partnerschaftsgesell-schaften sowie der Mehrfachanerkennungen von Berufsgesell-schaften von besonderer Bedeutung. Auch die Entscheidung derbeteiligten Kammern, eine Befreiung an eine Gesamtkopfzahlder in der jeweiligen Einheit tätigen Berufsträger aller sozietäts-fähigen Berufe anzuknüpfen, trägt dem Rechnung. Zudem be-deutet diese „Gesamtlösung“ gegenüber dem auch denkbarenWeg, getrennt nach den einzelnen Berufen vorzugehen, einen

geringeren Aufwand für die Berufsangehörigen aller beteiligtenBerufsstände, da anderenfalls pro Berufsstand in der beruflichenEinheit beispielsweise jeweils ein Geldwäschebeauftragter zubestellen wäre.

Im Unterschied zu Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern sindRechtsanwälte und verkammerte Rechtsbeistände allerdings nurdann zu internen Sicherungsmaßnahmen verpflichtet, wenn siedie in § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GwG enumerativ genannten Ge-schäfte regelmäßig ausführen. Reine Anwaltskanzleien mitmehr als 10 Berufsträgern müssen daher nicht stets die Pflicht zuinternen Sicherungsmaßnahmen beachten, sondern erst dann,wenn sie z.B. regelmäßig für ihre Mandanten an der Planungoder Durchführung von Kauf und Verkauf von Immobilien oderGewerbebetrieben mitwirken oder z.B. regelmäßig an derGründung, dem Betrieb oder der Verwaltung von Treuhandge-sellschaften, Gesellschaften oder ähnlichen Strukturen mitwir-ken. Verwaltungsrechtlich ausgerichtete Kanzleien können bei-spielsweise daher auch dann von der Pflicht zu internen Siche-rungsmaßnahmen befreit sein, wenn sie zwar mehr als 10Berufsträger haben, für ihre Mandanten aber an den Katalogge-schäften nicht oder nur gelegentlich mitwirken. Wirkt allerdingsauch nur ein Berufsträger regelmäßig an den Kataloggeschäftenmit, so bleibt die Pflicht nach § 14 GwG bei mehr als 10 Berufs-trägern bestehen. Ist in der Kanzlei mindestens ein Wirtschafts-prüfer oder Steuerberater tätig, so besteht die Pflicht zu InternenSicherungsmaßnahmen stets bei 11 oder mehr Berufsträgernentsprechend den für Steuerberater und Wirtschaftsprüfer gel-tenden Anordnungen.

Die Anordnung wird in den BRAK-Mitteilungen bekannt ge-macht. Die Wirkung der Anordnung tritt mit der Bekannt-machung in den BRAK-Mitteilungen ein (§ 41 Abs. 3 Satz 2VwVfG), da die BRAK-Mitteilungen das Medium für öffentlicheBekanntmachungen der Bundesrechtsanwaltskammer ist.

Wirtschaftsprüferkammer (WPK-Mitt. 2003, 184 f.) und Bundes-steuerberaterkammer (DStR 2003, 955) haben entsprechendeAnordnungen erlassen.

230 Personalien BRAK-Mitt. 5/2003

JR Rudolf Heimes †

Am 11.8.2003 ist der frühere Präsident der RAK des Saarlandes,Kollege JR Rudolf Heimes, verstorben.

Er gehörte fast 20 Jahre lang dem Vorstand unserer Kammer anund war in den letzten Jahren seiner Vorstandstätigkeit ihr Prä-sident.

Er war Mitglied des Landesprüfungsamtes für Juristen währendfast zwei Jahrzehnten und wurde als Richter in den Verfas-sungsgerichtshof des Saarlandes berufen.

Über 25 Jahre lang war er im Rentenausschuss unseres Versor-gungswerks tätig, überwiegend als dessen Vorsitzender.

Die saarländische Landesregierung hat die hohen Verdienste,die Rudolf Heimes sich um die Anwaltschaft und die Rechts-pflege in unserem Land erworben hat, dadurch gewürdigt, dasssie ihm im Jahre 1983 den Titel des Justizrats verliehen hat.

Als erster saarländischer Anwalt erhielt er im Jahre 1992 das Eh-renzeichen der Deutschen Anwaltschaft.

Vor wenigen Monaten wurde er mit dem Saarländischen Ver-dienstorden ausgezeichnet. Hiermit wurde er, wie der Minister-präsident unseres Landes in seiner Laudatio ausführte, dafür ge-ehrt, dass er sich neben seiner Anwaltstätigkeit immer auch inden Dienst des Allgemeinwohls, der res publica, gestellt hat.

Sein Rat und seine Hilfe waren immer gefragt, wenn schwerewirtschaftliche Probleme unser Land bewegten, unabhängig da-von, welche Partei die Regierung gestellt hat. Dies bezeugt dasVertrauen, das seinem Können und der Integrität seiner Persön-lichkeit entgegengebracht wurde.

Die Anwaltschaft unseres Landes, und sicher nicht nur sie, wirdRudolf Heimes ein ehrendes Gedenken bewahren.

RA JR. Eberhard GelzleichterPräsident RAK des Saarlandes

Personalien

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Widerstreitende Interessen – zur Verfassungswidrig-keit des § 3 Abs. 2 BORA; BRAO § 43a Abs. 4; BORA§ 3 Abs. 2; GG Art. 12

1. § 3 Abs. 2 der Berufsordnung für Rechtsanwälte vom29.11.1996 (BRAK-Mitt. 1996, 241) ist mit Art. 12 Abs. 1 GGunvereinbar und nichtig. Dies gilt auch für inhaltsgleiche Fas-sungen dieser Vorschrift in späteren Bekanntmachungen.

* 2. Werden RAe oder Anwaltssozietäten zur Beendigung einesMandats verpflichtet, obwohl diese zuvor selbst die wider-streitenden Interessen auf der Gegenseite nicht vertreten ha-ben und sie auch nicht zu vertreten beabsichtigen, liegt hierineine unverhältnismäßige Einschränkung ihrer Berufsausübung.

* 3. Der Schutz anwaltlicher Unabhängigkeit und der Erhaltdes konkretenVertrauensverhältnisses zum Mandanten könnenals Gemeinwohlgründe nicht angeführt werden, wenn die vomSozietätswechsel betroffenen Mandanten beider Seiten dasVertrauensverhältnis zu ihren jeweiligen Anwälten nicht als ge-stört ansehen und mit einer Fortführung der eigenen ebensowie der gegnerischen Mandate einverstanden sind.

* 4. Kann sich durch einen Sozietätswechsel bei generalisie-render Betrachtung eine Gefahr für die Verschwiegenheit unddie geradlinige Interessenvertretung ergeben, kommt die Ein-schätzung, ob eine Rechtsbeeinträchtigung konkret droht, inerster Linie den Mandanten beider Kanzleien zu, die deshalbwahrheitsgemäß und umfassend zu informieren sind. Danebenliegt es in der verantwortlichen Einschätzung der betroffenenRAe, ob die Konfliktsituation eine Mandatsniederlegung gebie-tet. Ein verantwortlicher Umgang mit einer derartigen Situa-tion kann von einem RA erwartet werden.

* 5. Das Gesetz geht nicht davon aus, dass ein berufswürdigesund gesetzeskonformes Handeln der RAe nur im Wege der Ein-zelkontrolle oder mit Mitteln des Strafrechts gewährleistetwerden kann.

BVerfG, Beschl. v. 3.7.2003 – 1 BvR 238/01

Aus den Gründen:

A.

Mit der Verfassungsbeschwerde wenden sich die Bf., die ge-meinsam eine Anwaltskanzlei betreiben, gegen die von der zu-ständigen RAK ausgesprochene und vom BGH in der angegrif-fenen Entscheidung bestätigte Verpflichtung zur Niederlegungvon Mandaten, nachdem sie einen RA angestellt haben, der zu-vor bei einer anderen Kanzlei beschäftigt war, die in Bezug aufdiese Mandate die Gegenseite vertritt.

I. Die Mandatsniederlegung soll der Vermeidung einer wider-streitenden Interessenvertretung dienen. Das Verbot der Vertre-tung widerstreitender Interessen ist in § 43a der Bundesrechts-anwaltsordnung (im Folgenden: BRAO), eingefügt durch Gesetzvom 2.9.1994 (BGBl. I, 2278), geregelt und in § 3 der Berufs-ordnung für Rechtsanwälte vom 29.11.1996 (BRAK-Mitt. 1996,241; im Folgenden: BORA) näher ausgestaltet. Die Vorschriftenlauten:

§ 43a BRAO

Grundpflichten des Rechtsanwalts

(1) bis (3) ...

(4) Der Rechtsanwalt darf keine widerstreitenden Interessen ver-treten.

(5) und (6) ...

§ 3 BORA

Widerstreitende Interessen, Versagung der Berufstätigkeit

(1) Der Rechtsanwalt darf nicht tätig werden, wenn er, gleich inwelcher Funktion, eine andere Partei in derselben Rechtssacheim widerstreitenden Interesse bereits beraten oder vertreten hatoder mit dieser Rechtssache in sonstiger Weise im Sinne der§§ 45, 46 Bundesrechtsanwaltsordnung beruflich befasst war.

(2) Das Verbot gilt auch, wenn ein anderer Rechtsanwalt oderAngehöriger eines anderen Berufes im Sinne des § 59a Bundes-rechtsanwaltsordnung, mit dem der Rechtsanwalt in Sozietät,zur gemeinschaftlichen Berufsausübung in sonstiger Weise (An-stellungsverhältnis, freie Mitarbeit) oder in Bürogemeinschaftverbunden ist oder war, in derselben Rechtssache, gleich in wel-cher Funktion, im widerstreitenden Interesse berät, vertritt, be-reits beraten oder vertreten hat oder mit dieser Rechtssache insonstiger Weise beruflich befasst ist oder war.

(3) Wer erkennt, dass er entgegen den Absätzen 1 oder 2 tätigist, hat unverzüglich davon seinen Mandanten zu unterrichtenund alle Mandate in derselben Rechtssache zu beenden.

Diese Regelung entspricht weitgehend den früheren Richtliniendes anwaltlichen Standesrechts, die durch Beschl. des BVerfG v.14.7.1987 (BVerfGE 76, 171) als eine nicht hinreichendeGrundlage für Eingriffe in die freie Berufsausübung der RAe be-anstandet worden waren. Nach den Standesrichtlinien war al-lerdings schon der Anschein der Vertretung widerstreitender In-teressen zu vermeiden, weshalb es nicht darauf ankam, ob derdie Kanzlei wechselnde RA in der alten Kanzlei mit der frag-lichen Rechtsangelegenheit jemals befasst gewesen war. Alleindie Möglichkeit einer Zwielichtigkeit reichte aus, um die Nicht-befassung mit der Sache zur Standespflicht zu machen (vgl. Lin-genberg/Hummel/Zuck/Eich, Kommentar zu den Grundsätzendes anwaltlichen Standesrechts, 2. Aufl. 1988, § 46 Rdnr. 23).Mit der Berufsrechtsnovelle 1994 nahm der Gesetzgeber dasVerbot der Vertretung widerstreitender Interessen in Gestalt von§ 43a Abs. 4 BRAO in das Gesetz auf. Nach der Begründungzum Gesetzentwurf bedarf es der Regelung als Grundlage fürdas Vertrauensverhältnis zum Mandanten sowie zur Wahrungder Unabhängigkeit des RA und der im Interesse der Rechts-pflege gebotenen Geradlinigkeit der anwaltlichen Berufsaus-übung. Die anwaltliche Berufspflicht gehe deshalb über dieStrafbestimmung des § 356 StGB hinaus (vgl. BT-Drucks.12/4993, 27). Die nähere Ausgestaltung wurde gem. § 59bAbs. 2 Nr. 1 Buchst. e BRAO der Berufsordnung überlassen, weilim Zusammenhang mit dem Entstehen immer größerer Kanz-leien und überörtlicher Sozietäten sowie der zunehmenden an-waltlichen Spezialisierung praxisorientierte Leitlinien zu ent-wickeln seien (vgl. BT-Drucks. 12/4993, 34 f.).

BRAK-Mitt. 5/2003 Berufsrechtliche Rechtsprechung 231

Bundesverfassungsgericht

Berufsrechtliche Rechtsprechung

Bundesverfassungsgericht*Leitsatz der Redaktion (Orientierungssatz)

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Dem Erlass von § 3 BORA gingen längere kontroverse Diskus-sionen, insbesondere im Hinblick auf die Stellung der freienMitarbeiter und der angestellten RAe, voraus (vgl. Prot. über die3. Sitzung der Satzungsversammlung bei der BRAK v. 20. bis21.4.1996, 23 ff.). In der Folgezeit wurde eine Änderung oderErgänzung der Vorschrift erörtert (vgl. Prot. über die 5. Sitzungder Satzungsversammlung v. 28. bis 29.11.1996, 7; Prot. überdie 6. Sitzung der Satzungsversammlung v. 5. bis 6.11.1998,23 ff.) und schließlich eine Änderung des § 3 BORA beschlos-sen; ein neuer Abs. 3 wurde eingefügt, der bisherige Abs. 3wurde Abs. 4 (vgl. Prot. über die 7. Sitzung der Satzungsver-sammlung v. 21. bis 22.3.1999, 16 ff.). In der Fassung v.22.3.1999 (BRAK-Mitt. 1999, 123) hat § 3 BORA folgendenWortlaut:

Widerstreitende Interessen, Versagung der Berufstätigkeit

(1) und (2) ...

(3) Die Verbote der Abs. 1 und 2 gelten nicht, wenn eine Ver-bindung zur gemeinsamen Berufsausübung beendet ist und derRechtsanwalt während der Zeit gemeinsamer Berufsausübungweder Sozius war noch wie ein solcher nach außen hervorge-treten ist und auch selbst mit der Rechtssache nicht befasst war.

(4) ...

II.

1. Die Bf. betreiben als Gesellschafter bürgerlichen Rechts inder Stadt R. eine Anwaltskanzlei. Ab 1.10.1999 wurde RA Dr. L.angestellt und auch im Briefkopf neben den drei Sozien ge-nannt. Zuvor war Dr. L. in der ebenfalls in R. ansässigen SozietätW. D. & M. als angestellter RA beschäftigt und auf dem Brief-bogen erwähnt. Im Zeitpunkt des Wechsels bearbeiteten diebeiden Kanzleien neun Fälle, in denen sie als Auftragnehmer je-weils die gegnerischen Parteien vertraten. RA Dr. L. hat in derabgebenden Kanzlei keines dieser Mandate vor seinem Wech-sel selbst bearbeitet. In der aufnehmenden Kanzlei wurde durchinterne Weisungen sichergestellt, dass er mit diesen Rechts-sachen nicht befasst wird. Das Gebühreninteresse der Bf. beliefsich für diese Mandate auf knapp 85.000,00 DM.

Im Anschluss an ein Belehrungsschreiben stellte die zuständigeRAK fest, dass die Fortführung der Mandate, bei denen die ab-gebende Kanzlei auf der Gegenseite stehe, gegen § 3 BORA ver-stoße, und verpflichtete die Bf., die Mandatsniederlegungenschriftlich zu bestätigen. Die Bf. stellten Antrag auf gerichtlicheEntscheidung. Der AGH setzte zunächst durch einstweilige An-ordnung den Vollzug der Verpflichtung aus und hob sodann dieEntscheidung der RAK auf. Nach seiner Auffassung stellt § 3Abs. 2 und 3 BORA keine geeignete Rechtsgrundlage für einenEingriff in die freie Berufsausübung dar. Für die Konkretisierungdes Tätigkeitsverbots bei einem Sozietätswechsel einzelner RAe,das von grundsätzlicher Bedeutung für die Berufsausübung seiund zugleich die Interessen der Allgemeinheit an der Art undWeise anwaltlicher Tätigkeit berühre, fehle eine hinreichend be-stimmte gesetzliche Grundlage, weshalb die Satzungsregelungunwirksam sei. Die Ausweitung des Vertretungsverbots auf So-zien und Scheinsozien sei gesetzlich nicht fundiert. § 43a Abs. 4BRAO wende sich ausschließlich an den einzelnen mandatier-ten Anwalt, ohne das Verbot auf Sozietäten zu erstrecken, wiees beispielsweise in § 45 Abs. 3 BRAO geschehen sei. Darüberhinaus würden berechtigte Belange der Mandanten missachtet,die eine bestimmte Sozietät beauftragt und auf die Anstellung ei-nes RA nach Auftragserteilung keinen Einfluss hätten. RA Dr. L.werde als später hinzugetretener Scheinsozius nicht zum Ver-tragspartner dieser Mandanten.

Der BGH hob mit dem angegriffenen Beschl. die Entscheidungdes AGH auf und bestätigte die Entscheidung der RAK (NJW2001, 1572). Zur Begründung führte er aus, die Verpflichtungzur Niederlegung der Mandate ergebe sich unmittelbar aus

§ 43a Abs. 4 BRAO. In diesem Sinne sei auch § 3 Abs. 2 und 3BORA auszulegen. Jeder RA einer Sozietät handele regelmäßignamens der Sozietät, auch wenn er das Mandat nicht persönlichbearbeite. Die Vertretung i.S.d. § 43a Abs. 4 BRAO sei im wei-testen Sinne zu verstehen und setze ein Bearbeiten nicht voraus.Das gelte auch für den so genannten Außensozius, weil er denAuftraggebern in gleicher Weise wie die Sozien hafte. In Anse-hung des Schutzzwecks von § 43a Abs. 4 BRAO gelte nichts an-deres. Die Erstreckung des für einen RA geltenden Tätigkeits-verbots auf alle Sozien, auch die Scheinsozien, sei von jeher an-erkannt und beuge dem berechtigten Misstrauen der Mandantenvor. Zwar werde hierdurch die Möglichkeit eines Kanzleiwech-sels erschwert; der Schutz des Vertrauens der Mandanten in dieUnabhängigkeit ihres RA und in die Integrität der Rechtspflegehabe indessen Vorrang.

2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Bf. im Wesent-lichen dieVerletzung von Art. 12 Abs. 1 GG. § 43a Abs. 4 BRAOsei als Rechtsgrundlage für den Eingriff nicht einschlägig, da sichdiese Vorschrift nach ihrem Wortlaut nur an den einzelnen RAwende. Anders als in § 45 Abs. 3 und § 46 Abs. 3 BRAO fehleeine Erstreckungsregelung auf Sozien. Abweichend von denGrundsätzen des anwaltlichen Standesrechts habe der Gesetz-geber auch nicht mehr dem Anschein der Vertretung widerstrei-tender Interessen entgegentreten wollen. Deshalb sei § 3 BORAvon der Ermächtigungsnorm nicht gedeckt. Ein derart ein-schneidendes Verbot habe auch wesentliche Bedeutung für dieBerufsausübung der Anwaltschaft und hätte deshalb vom Ge-setzgeber selbst getroffen werden müssen.

3. Der Antrag der Bf., im Wege der einstweiligen Anordnung dieVollziehung des Beschl. des BGH auszusetzen, hatte Erfolg,nachdem die von dem Wechsel betroffenen Mandanten beiderKanzleien keine widerstreitenden Interessen gesehen und sichmit der Fortführung der Mandate ausdrücklich einverstanden er-klärt hatten (BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, NJW 2001,1562). Inzwischen sind die vom Tätigkeitsverbot erfassten Strei-tigkeiten abgeschlossen.

4. Das BMJ sowie der Präsident des BGH haben von einer Äuße-rung in der Sache abgesehen. Zu der VerfassungsbeschwerdeStellung genommen haben die BRAK, die BNotK, der DeutscheRichterbund, der DAV und der Republikanische Anwältinnen-und Anwälteverein sowie die Bekl. des Ausgangsverfahrens.

a) BRAK und BNotK halten die Verfassungsbeschwerde für un-begründet. Die Auslegung von § 43a Abs. 4 BRAO durch denBGH sei nicht zu beanstanden. Letztlich könne nicht ausge-schlossen werden, dass sowohl zwischen den RAen der abge-benden Kanzlei als auch zwischen den RAen der aufnehmen-den Kanzlei ein Transfer sensiblen Wissens bezüglich der be-troffenen Mandate erfolgt sei oder noch stattfinde. Neben denhaftungsrechtlichen Problemen des Sozietätswechslers seiendie Belange des Gemeinwohls in Gestalt der Mandanteninter-essen, des Erhalts des Ansehens der Anwaltschaft und der Integ-rität der Rechtspflege zu berücksichtigen. In der abgebendenKanzlei sei eine Mandatskündigung kein geeignetes Mittel, dadas abgewanderte Insiderwissen nicht rückholbar sei. Der Ver-weis auf die fortbestehende Verschwiegenheitspflicht genügeangesichts des äußeren Bildes und des hierdurch hervorgerufe-nen Argwohns nicht, zumal die Einhaltung der Verschwiegen-heitspflicht von keinem der Mandanten überwacht werdenkönne. Das Ohnmachtgefühl erschüttere das Vertrauen in dieVerschwiegenheit, die Interessenkollisionsfreiheit und Unab-hängigkeit der Anwaltschaft. Dem könne nur mit einer berufs-rechtlichen Pflicht zur Mandatsniederlegung in der aufnehmen-den Kanzlei begegnet werden. Die Beeinträchtigung der Be-rufsfreiheit der aufnehmenden Sozietät sei zumutbar. Es steheder Kanzlei frei, ihren Mitarbeiterkreis durch geeignete Perso-nen ihrer Wahl zu erweitern. Man sei nicht auf einen durch Vor-

232 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 5/2003

Bundesverfassungsgericht

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mandate belasteten Kanzleiwechsler angewiesen. Auch derWechsler selbst werde allenfalls geringfügig in seiner Freiheiteingeschränkt. Mildere Mittel seien nicht ersichtlich, weil dasVerbot der Vertretung widerstreitender Interessen nicht zur Dis-position der jeweiligen Mandanten stehe, soweit es auch demInteresse der Rechtspflege an der gebotenen Geradlinigkeit an-waltlicher Berufsausübung diene.

b) Dem schließt sich die Bekl. des Ausgangsverfahrens an. Trotzteilweise geänderter Verhältnisse seien die früheren Argumenteweiterhin tragfähig. Zur Vermeidung des bösen Scheins sei diePflicht zur Niederlegung der Mandate im vorliegenden Fall zuRecht bejaht worden. In der anwaltlichen Praxis gebe es einenWissenstransfer durch wechselseitige Vertretung, durch Bera-tung mit Kollegen, durch Kanzleikonferenzen und gemeinsameVeranstaltungen, so dass der Schutz der Vertrauenserwartungdes Mandanten nahezu bei jedem Sozietätswechsel berührt sei.

c) Diese Auffassung teilt auch der Deutsche Richterbund, der al-lerdings die erhebliche Erschwerung eines Wechsels zwischenSozietäten bei einer Prüfung am Maßstab des Art. 12 Abs. 1 GGfür problematisch hält. Auf eine konkrete Betrachtungsweise,insbesondere hinsichtlich des Kenntnisstandes und der Vorbe-fassung des wechselnden RA, dürfe aber nicht abgestellt wer-den, weil im Interesse des Vertrauens in eine geordnete Rechts-pflege ein strenger Maßstab nicht unverhältnismäßig sei.

d) Demgegenüber halten der DAV und der Republikanische An-wältinnen- und Anwälteverein die Verfassungsbeschwerde fürbegründet. Abweichend von anderen Normen verpflichte § 43aAbs. 4 BRAO nur den Anwalt selbst, nicht aber die Sozietät alsGanzes. Mit dem Wortlaut dieser Vorschrift sei die Auslegungdes BGH nicht zu vereinbaren. Nach der Rspr. des BVerfGkönne die Rechtsetzungskompetenz für Vertretungsverbotedurch Sozietätswechsler nicht auf den Satzungsgeber übertra-gen werden, da neben den Interessen der RAe, die selbst emp-findlich in ihrer Berufsausübungsfreiheit betroffen seien, auchMandanteninteressen und das Vertrauen in die Anwaltschaft ins-gesamt berührt würden. Das im Wege der Auslegung erweiterteVerbot sei jedenfalls unverhältnismäßig. Insbesondere werdedie Berufsausübung junger Anwälte übermäßig behindert. So-wohl große überörtliche Sozietäten als auch kleinere Sozietätenin mittelgroßen Städten hätten häufig in gleichen Sachen Man-danten auf verschiedenen Seiten. Für junge Anwälte sei ein So-zietätswechsel für das Fortkommen von großer Bedeutung.Führe der Wechsel zur Notwendigkeit der Niederlegung vonMandaten mit erheblichen Gebührenaufkommen, würde einsolcher Wechsel sehr erschwert. Die jungen Anwälte würdenfaktisch an die erste anstellende Sozietät gebunden. Mit der ent-sprechenden Zustimmung der Mandanten könne ein Vertrau-ensverlust ausgeschlossen werden; ein allgemeiner Ansehens-verlust für die Anwaltschaft sei nicht nachvollziehbar, zumal esprimär auf die Wahrung der Verschwiegenheitspflicht an-komme. Im Übrigen sei zu beachten, dass es auch legitime In-teressen der Mandanten an der Fortführung der Mandate durchden Anwalt ihres Vertrauens gebe.

e) Auf Veranlassung der BRAK und des DAV hat die DeutscheDelegation beim Rat der Anwaltschaften der Europäischen Ge-meinschaft ergänzend unterschiedliche europäische Ansätzezur Konfliktlösung beim Sozietätswechsel dargestellt.

B.

Die Verfassungsbeschwerde ist begründet.

Die angegriffene Entscheidung bestätigt eine gegen die Bf. ge-richtete Verfügung der RAK. Ob eine solche Verfügung schondeshalb rechtswidrig sein könnte, weil es der RAK an einerRechtsgrundlage fehlt, Berufspflichtverletzungen mit dem Erlassvon Ge- und Verboten zu begegnen (vgl. BGH, MDR 2003, 418mit ablehnender Anmerkung von Hartung), bedarf vorliegend

keiner Vertiefung. Denn die an die Bf. gerichtete Aufforderungder RAK, die Mandate niederzulegen, findet der Sache nach imGesetz keine der Verfassung entsprechende Grundlage. Diedem § 43a Abs. 4 BRAO durch den BGH gegebene Auslegungverletzt die Bf. in ihrer Berufsausübungsfreiheit aus Art. 12Abs. 1 GG (I.). Die vom BGH bestätigend herangezogene Vor-schrift des § 3 Abs. 2 BORA ist aus diesem Grund nichtig (II.);hingegen ermöglicht § 43a Abs. 4 BRAO eine der Verfassungentsprechende Auslegung und Anwendung.

I.

1. Die Vertretung von Mandanten ist ein wesentlicher Teil derdurch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten anwaltlichen Berufsaus-übung.

Anwälte streiten berufsmäßig für die Interessen ihrer Mandan-ten, die ihrerseits frei sind, den ihnen zusagenden Rechtsvertre-ter zu wählen und zu mandatieren. Das personale Vertrags- undVertrauensverhältnis betrifft einen Beruf, der staatliche Kontrolleund Bevormundung prinzipiell ausschließt (vgl. BVerfGE 34,293, 302) und unter der Herrschaft des Grundgesetzes der freienund unreglementierten Selbstbestimmung des Einzelnen über-antwortet ist, soweit sie nicht durch verfassungsgemäße Rege-lungen beschränkt ist (vgl. BVerfGE 50, 16, 29). Ihre eigenstän-dige und unabhängige Funktion in der Durchsetzung des Rechtsnehmen die RAe gerade in Bezug auf ihre jeweiligen Mandan-ten wahr.

Das in erster Linie durch persönliche und eigenverantwortlicheDienstleistung charakterisierte Verhältnis zum Mandanten wirddurch berufliche Zusammenschlüsse nicht aufgehoben oderwesentlich verändert (so für den Strafverteidiger, BVerfGE 43,79, 91 f.). Gesetzliche Einschränkungen der beruflichen Betäti-gung treffen den einzelnen Anwalt persönlich und sind in ersterLinie den Interessen der Mandanten geschuldet. Diesem Man-datsverhältnis dienen die in § 43a BRAO normierten Grund-pflichten des RA. Dazu zählen insbesondere die strafbewehrte(§ 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB) und durch ein Zeugnisverweigerungs-recht geschützte (§ 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO, § 53 StPO, § 84 Abs. 1FGO i.V.m. § 102 AO) Pflicht zur Verschwiegenheit nach § 43aAbs. 2 Satz 1 BRAO sowie das ebenfalls in bestimmten Bege-hungsformen strafbewehrte (vgl. § 356 StGB) Verbot in § 43aAbs. 4 BRAO, widerstreitende Interessen zu vertreten. In Ver-bindung mit dem in § 43a Abs. 1 BRAO enthaltenen Gebot, dassder RA keine Bindungen eingehen darf, die seine berufliche Un-abhängigkeit gefährden, garantieren diese Grundpflichten demMandanten, dass ihm als Rechtsuchendem unabhängige An-wälte als berufene Berater und Vertreter gegenüber dem Staatoder gegenüber Dritten zur Seite stehen (vgl. §§ 1, 3 BRAO).

2. Der Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der Bf. in Gestaltder Verpflichtung zur Beendigung eines Mandats darf nur durchGesetz oder aufgrund eines Gesetzes erfolgen (vgl. § 3 Abs. 2BRAO), das den Anforderungen von Art. 12 Abs. 1 GG genügt.

a) An einer ausdrücklichen gesetzlichen Normierung der Pflichtzur Mandatsbeendigung für Sozietäten fehlt es. § 43a Abs. 4BRAO bezieht sich auf den Einzelanwalt, der in derselben Sa-che nicht Parteien mit gegenläufigem Interesse vertreten darf.Die Wortfassung ist von besonderer Bedeutung, weil dasselbeGesetz an anderer Stelle die Erstreckung von Verboten auf diemit dem RA in Sozietät oder sonstiger Weise zur gemeinschaft-lichen Berufsausübung verbundenen RAe im Wortlaut vorsieht(§ 45 Abs. 3 und § 46 Abs. 3 BRAO).

b) Das Fehlen einer ausdrücklichen Regelung bedeutet aller-dings nicht notwendig, dass eine die Berufsausübung ein-schränkende Verfügung und eine sie bestätigende Gerichtsent-scheidung den Anforderungen des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG wi-dersprechen. Der vorliegende Fall gibt keinen Anlass, dieGrenzen richterlicher Rechtsauslegung und -fortbildung bei Ein-

BRAK-Mitt. 5/2003 Berufsrechtliche Rechtsprechung 233

Bundesverfassungsgericht

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schränkungen der freien Berufsausübung allgemein und ab-schließend festzulegen. Die Auslegung des einfachen Gesetzes-rechts einschließlich der Wahl der hierbei anzuwendenden Me-thode ist Sache der Fachgerichte. Auch aus dem in Art. 20 Abs. 3GG angeordnetenVorrang des Gesetzes folgt keinVerbot für denRichter, ggf. vorhandene gesetzliche Lücken im Wege richter-licher Rechtsfortbildung zu schließen.

Die Fachgerichte haben bei der Auslegung und Anwendung desGesetzes jedoch die Bedeutung des betroffenen Grundrechtsund den Umfang seines Schutzbereichs zu beachten. Sie müs-sen eine unverhältnismäßige Beschränkung der grundrecht-lichen Freiheit vermeiden. Die Gerichte sind, wenn sie Ein-schränkungen der grundsätzlich freien Berufsausübung für ge-boten erachten, an dieselben Maßstäbe gebunden, die nachArt. 12 Abs. 1 GG den Gestaltungsspielraum des Gesetzgeberseinschränken (vgl. BVerfGE 54, 224, 235; 97, 12, 27).

3. Dem wird die angegriffene Entscheidung nicht gerecht, dieRAe oder Anwaltssozietäten zur Beendigung eines Mandats ver-pflichtet, obwohl diese zuvor selbst die widerstreitenden Inte-ressen auf der Gegenseite nicht vertreten haben und sie auchnicht zu vertreten beabsichtigen. Eine solche Berufsausübungs-einschränkung, die damit begründet wird, dass sich die RAe zurBerufsausübung mit einem Anwalt verbinden, der zuvor auf derGegenseite angestellt war, kann vor Art. 12 Abs. 1 GG nur Be-stand haben, wenn das Verbot durch ausreichende Gründe desGemeinwohls gerechtfertigt ist und der Eingriff nicht weitergeht, als es die rechtfertigenden Gemeinwohlbelange erfordern(vgl. BVerfGE 54, 301, 313). Eingriffszweck und Eingriffsinten-sität müssen in einem angemessenen Verhältnis stehen (vgl.BVerfGE 101, 331, 347).

a) Ersichtlich dient § 43a Abs. 4 BRAO der Wahrung des Ver-trauensverhältnisses zum eigenen Mandanten und der Siche-rung der Unabhängigkeit insoweit, als ein Anwalt, der sich zumDiener gegenläufiger Interessen macht, jegliche unabhängigeSachwalterstellung im Dienste des Rechtsuchenden verliert.

aa) Es ist hier nicht darüber zu entscheiden, welche Folgerungenzu ziehen wären, wenn der die Sozietät wechselnde RA das „wi-derstreitende“ Mandat selbst betreut, es gar in die aufnehmendeKanzlei einbringt. Nicht zu behandeln sind auch Fälle, in denender bekannt gewordene Sozietätswechsel die Mandanten inihrem Vertrauen tatsächlich erschüttert, so dass sie das Man-datsverhältnis zur abgebenden oder zur aufnehmenden Kanzleivon sich aus beenden. Des Weiteren steht hier nicht zur Ent-scheidung, wie zu verfahren ist, wenn durch den Sozietäts-wechsel die Verschwiegenheitspflicht des § 43a Abs. 2 BRAOgefährdet oder verletzt würde. Dafür bieten die Ausgangsver-fahren keine Anhaltspunkte.

bb) Wenn die vom Sozietätswechsel betroffenen Mandantenbeider Seiten das Vertrauensverhältnis zu ihren jeweiligen RAennicht als gestört ansehen und mit einer Fortführung der eigenenebenso wie der gegnerischen Mandate einverstanden sind, kön-nen der Schutz anwaltlicher Unabhängigkeit und der Erhalt deskonkreten Vertrauensverhältnisses zum Mandanten nicht alsGemeinwohlgründe angeführt werden.

b) § 43a Abs. 4 BRAO dient aber nicht nur dem Schutz des in-dividuellen Vertrauensverhältnisses zwischen Anwalt und Man-dant und der Wahrung der Unabhängigkeit des RA, sondern dar-über hinaus dem Gemeinwohl in Gestalt der Rechtspflege, dieauf eine Geradlinigkeit der anwaltlichen Berufsausübung ange-wiesen ist (vgl. BT-Drucks. 12/4993, 27), also darauf, dass einAnwalt nur einer Seite dient. Alle diese Belange treten neben-einander und bedingen einander.

aa) Als unabhängige Organe der Rechtspflege und als berufeneBerater und Vertreter der Rechtsuchenden haben Anwälte dieAufgabe, sachgerechte Konfliktlösungen herbeizuführen, vor

Gericht zugunsten ihrer Mandanten den Kampf um das Recht zuführen und dabei zugleich staatliche Stellen möglichst vor Fehl-entscheidungen zu Lasten ihrer Mandanten zu bewahren (vgl.BVerfGE 76, 171, 192). Die Wahrnehmung anwaltlicher Aufga-ben setzt den unabhängigen, verschwiegenen und nur den In-teressen des eigenen Mandanten verpflichteten RA voraus.Diese Eigenschaften stehen nicht zur Disposition der Mandan-ten. Der Rechtsverkehr muss sich darauf verlassen können, dassder Pflichtenkanon des § 43a BRAO befolgt wird, damit die an-gestrebte Chancen- und Waffengleichheit der Bürger unterein-ander und gegenüber dem Staat gewahrt wird und die Rechts-pflege funktionsfähig bleibt (vgl. BVerfGE 63, 266, 284; 93, 213,236).

Dies bedeutet indessen nicht, dass die Definition, was den In-teressen des eigenen Mandanten und damit zugleich derRechtspflege dient, abstrakt und verbindlich von RAKn oder Ge-richten ohne Rücksicht auf die konkrete Einschätzung der hier-von betroffenen Mandanten vorgenommen werden darf. Kannsich durch einen Sozietätswechsel bei generalisierender Be-trachtung eine Gefahr für die Verschwiegenheit und die gerad-linige Interessenvertretung ergeben, kommt die Einschätzung,ob eine Rechtsbeeinträchtigung konkret droht, in erster Linieden Mandanten beider Kanzleien zu, die deshalb wahrheits-gemäß und umfassend zu informieren sind. Daneben liegt es inder gesetzesgeleiteten verantwortlichen Einschätzung der be-troffenen RAe, ob die Konfliktsituation oder doch jedenfalls dasZiel der Vermeidung zukünftiger Störungen des Vertrauensver-hältnisses eine Mandatsniederlegung gebietet (vgl. das in derStellungnahme der Deutschen Delegation beim Rat der Anwalt-schaften der Europäischen Gemeinschaft erwähnte Institut derdélicatesse im französischen Recht, das den Grad an eigenver-antwortlicher Selbsteinschätzung des RA umschreibt).

Ein verantwortlicher Umgang miteiner solchen Situation kann voneinem RA ebenso erwartet wer-den wie von einem Richter beider Offenlegung von Gründenzur Selbstablehnung (vgl. § 19

Abs. 3 BVerfGG und hierzu BVerfGE 46, 34, 41 f.).

Soweit die BNotK in ihrer Stellungnahme davon ausgeht, daswirtschaftliche Interesse eines RA, ein Mandat fortzuführen,nehme ihm die nötige Unabhängigkeit und Unparteilichkeit fürein am Maßstab des § 43a Abs. 4 BRAO ausgerichtetes geset-zeskonformes Handeln, entspricht dies nicht der gesetzgeberi-schen Einschätzung. Der Gesetzgeber bezeichnet die RAe alsunabhängige Organe der Rechtspflege (§ 1 BRAO). Auf deren In-tegrität, Professionalität und Zuverlässigkeit ist die Rechtspflegeangewiesen (vgl. BVerfGE 87, 287, 320). Das Gesetz geht nichtdavon aus, dass ein berufswürdiges und gesetzeskonformesHandeln der RAe nur im Wege der Einzelkontrolle oder mit Mit-teln des Strafrechts gewährleistet werden kann. Das anwaltlicheBerufsrecht beruht auch nicht auf der Annahme, dass einesituationsgebundene Gelegenheit zur Pflichtverletzung im Re-gelfall pflichtwidriges Handeln zur Folge hat.

bb) In tatsächlicher Hinsicht können die Fallgestaltungen, aufdie sich die Verbotsnorm des § 43a Abs. 4 BRAO bezieht, sehrvielseitig sein (vgl. hierzu Zuck, NJW 1999, 263, 265; Henssler,NJW 2001, 1521, 1525 f.; Müller, AnwBl. 2001, 491, 493;Schlosser, NJW 2002, 1376, 1379 f.). So kann die Arbeitsteilungin der abgebenden Kanzlei durch räumliche Trennung (beiüberörtlichen Sozietäten und bei Bürogemeinschaften), durchorganisatorische Vorkehrungen (chinese wall), durch Ausgestal-tung des Vertragsverhältnisses (Sozius, Angestellter oder freierMitarbeiter), durch die schiere Größe oder die fachliche Ab-schottung der verschiedenen Bereiche einer Kanzlei (beispiels-weise Baurecht, Familienrecht, Patentrecht) gewährleisten, dass

234 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 5/2003

Bundesverfassungsgericht

VerantwortlicherUmgang mit Situationkann vom RA erwartet

werden

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die Verschwiegenheitspflicht schon deshalb nicht gefährdet ist,weil es für den wechselnden Anwalt nichts zu verschweigengibt.

Die gesetzliche Pflicht zur Verschwiegenheit und das Vertrauender Mandanten in die Verschwiegenheit des einzelnen Anwaltskommen erst zur Geltung, wenn der RA über geheimhaltungs-bedürftige Informationen verfügt. Diese können dem RA die in-nere Unabhängigkeit nehmen oder den Mandanten verunsi-chern und deshalb zur Beendigung des Mandats durch Auftrag-nehmer oder Auftraggeber führen. Möglicherweise hält aber einMandant der abgebenden Kanzlei solche Kenntnisse über Sach-verhalt und Rahmenbedingungen oder von Einzelproblemen imkonkreten Fall für unschädlich, sofern der wechselnde RA in deraufnehmenden Kanzlei von jeder Rechtsbesorgung (im Sinnevon beraten, unterstützen, vertreten) fern gehalten wird. Auf dieVerschwiegenheit ihrer Anwälte sind Mandanten bei einem So-zietätswechsel in derselben Weise angewiesen wie in den Fäl-len, in denen der eigene Anwalt bei späteren und anderen Aus-einandersetzungen von der Gegenseite mandatiert wird.

cc) Im Interesse der Rechtspflege sowie eindeutiger und gerad-liniger Rechtsbesorgung verlangt § 43a Abs. 4 BRAO lediglich,dass im konkreten Fall die Vertretung widerstreitender Interes-sen vermieden wird. Soweit die vom Kanzleiwechsel unterrich-teten und beiderseits betroffenen Mandanten einen solchen Wi-derstreit nicht befürchten und Vertrauen in die getroffenen Vor-kehrungen sowie die Verschwiegenheit ihrer Anwälte zeigen,besteht im Interesse der Rechtspflege nur Anlass zum Eingreifen,wenn hierfür sonstige Indizien sprechen, die den Mandantenverborgen geblieben oder von ihnen unzutreffend eingeschätztworden sind. Die RAKn sind insoweit berechtigt und verpflich-tet, allen Hinweisen nachzugehen. Eine Vermutung oder einenAnschein pflichtwidrigen Verhaltens dürfen sie indessen ihrenMaßnahmen nicht zugrunde legen.

Die BRAO knüpft an solcheabstrakten Gefährdungen derRechtspflege nur in Ausnahme-fällen an (vgl. § 7 Nr. 9 und 10).Dem entspricht die Fassung von§ 43a Abs. 4 BRAO nicht.

c) Diesen Grundsätzen wird die an § 3 Abs. 2 BORA ausgerich-tete Auslegung von § 43a Abs. 4 BRAO durch den BGH nichtgerecht. Sie beschränkt die Freiheit der Berufsausübung in deraufnehmenden Kanzlei über das zum Schutz der betroffenenRechtsgüter erforderliche Maß hinaus, weil sie die Möglichkeitverstellt, den Besonderheiten des jeweiligen Falles Rechnung zutragen. § 43a Abs. 4 BRAO gebietet eine dem Einzelfall gerechtwerdende Abwägung aller Belange unter besonderer Berück-sichtigung der konkreten Mandanteninteressen.

II. § 3 Abs. 2 BORA, der keinenRaum für eine Einzelabwägunglässt, ist aus diesem Grund in derursprünglichen wie in der Fas-sung späterer Bekanntmachun-

gen mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar und nichtig. Die Vor-schrift vernachlässigt nicht nur die Interessen der Mandanten;sie berücksichtigt – soweit die Befugnis zur Ausgestaltung nach§ 59b Abs. 2 Nr. 1 Buchst. e BRAO reicht – auch weder die Be-rufsausübungsfreiheit des die Sozietät wechselnden RA nochdie der Mitglieder der aufnehmenden Sozietät in hinreichendemMaße.

1. a) Art. 12 Abs. 1 GG schützt jede berufliche Tätigkeit, gleich-gültig ob sie selbständig oder unselbständig ausgeübt wird (vgl.BVerfGE 7, 377, 398 f.; 54, 301, 322). Zur Berufsausübunggehört das Recht, sich beruflich zusammenzuschließen (vgl.BVerfGE 80, 269, 278), aber auch das Recht, einen Arbeitsplatz

nach eigener Wahl anzunehmen, beizubehalten oder aufzuge-ben (vgl. BVerfGE 85, 360, 372 f.; 97, 169, 175). Ein Eingriff liegtauch vor, wenn die wirtschaftlichen Folgen von Rechtsnormendie Eingehung von Arbeitsverhältnissen wesentlich erschweren.

b) Die Möglichkeit des Sozietätswechsels ist für die Anwalt-schaft zunehmend von Bedeutung.

Der Beruf des RA wird nicht mehr fast ausschließlich allein ineigener Kanzlei oder gemeinsam mit nur wenigen selbständigenPartnern ausgeübt (vgl. Busse, NJW 1999, 3017). Etwa 7.000RAe arbeiten in großen Sozietäten mit 30 bis 500 RAen zusam-men; fast 20.000 RAe gehen in Sozietäten mit 4 bis 30 RAenihrem Beruf nach (vgl. Heussen, Anwalt 2003, Heft 5, 16 f.).Viele von ihnen arbeiten im Angestelltenverhältnis oder sie sindfreie Mitarbeiter (vgl. Huff, Anwalt 2002, Heft 11, 8 ff.). MittlereKanzleien gehen überörtliche Sozietäten ein oder benennenfeste Kooperationspartner in anderen Regionen oder im eu-ropäischen Ausland. In welchem Maße einem jungen Berufs-einsteiger Gelegenheit zur Spezialisierung in einer größerenKanzlei geboten wird und in welchem Umfang er mit sonstigenMandaten in der Kanzlei in Berührung kommt, hängt von der je-weiligen Kanzleiorganisation ab.

Zugleich hat die Spezialisierung unter den RAen zugenommen.Etwa 14 vom Hundert führen eine Fachanwaltsbezeichnung; an-dere zeigen durch die Wahl von Tätigkeitsschwerpunkten an,welche Ausschnitte des Rechts sie mit Vorzug bearbeiten (vgl.BRAK-Mitt. 2002, 122). Selbst für hochspezialisierte RAe etwaim Recht der Gentechnologie, im Kartell- und Vergaberechtoder im Börsenrecht kommt noch ein Kanzleiwechsel in Be-tracht; er beschränkt sich indessen auf einen kleinen Kreis vonKanzleien, die nicht selten in früheren oder noch anhängigenVerfahren die Gegenseite vertreten haben oder vertreten. Sol-chen Beschränkungen unterliegen, worauf der DAV und dieBekl. des Ausgangsverfahrens hingewiesen haben, auch jungeAnwälte mit örtlicher Bindung in Kleinstädten und im länd-lichen Raum.

Ein Kanzleiwechsel ist keine Seltenheit mehr. Das Bild der einBerufsleben lang andauernden Zusammenarbeit weniger RAeist stark von Verhältnissen geprägt, die der Vergangenheit an-gehören. Nicht nur angestellte RAe, sondern auch Sozien su-chen inzwischen vermehrt durch Kanzleiwechsel ihre Einkom-mens- oder Karrierechancen zu verbessern (vgl. Huff, Anwalt2002, Heft 11, 8, 9; vgl. auch K. Westerwelle, Rechtsanwalts-sozietäten und das Verbot der Vertretung widerstreitender Inte-ressen, 1997, 130). Die Möglichkeit der Mobilität hat demnachfür den Einzelnen an Gewicht gewonnen.

2. Schon wenn sich durch den Vertragsschluss die Partner selbstwechselseitig in ihrer beruflichen Handlungsfreiheit beschrän-ken, indem sie einem der Vertragschließenden den Arbeits-platzwechsel erheblich erschweren (Konkurrenzklauseln), sinddie Rechtsfolgen anhand des Maßstabs des Art. 12 Abs. 1 GG zuprüfen (vgl. BVerfGE 81, 242). Von vergleichbarem Gewicht isteine Satzungsregelung wie § 3 Abs. 2 BORA, die unabhängigvon eigener Einflussnahme durch die Handelnden den Berufs-wechsel erschwert, weil der aufnehmenden Kanzlei grundsätz-lich die Mandatsniederlegung und damit der Verzicht auf Ein-nahmen zugemutet wird. Die hiermit verbundenen Beeinträch-tigungen der Berufsausübungsfreiheit dürfen nicht weiter gehenals vom Eingriffszweck her unumgänglich.

3. § 3 Abs. 2 BORA beschränkt die Nachteile für die aufneh-mende Sozietät nicht auf das zum Schutz von Gemeinwohl-interessen erforderliche Minimum. Die Vorschrift enthält keineRegeln, die eine Prüfung im Einzelfall ermöglichen, ob Siche-rungen zur Wahrung des Vertrauens in die Beachtung der Ver-schwiegenheitspflicht bestehen.

BRAK-Mitt. 5/2003 Berufsrechtliche Rechtsprechung 235

Bundesverfassungsgericht

Anknüpfung an ab-strakte Gefährdungen

ist Ausnahme

Kein Raum für Einzel-abwägung durch§ 3 Abs. 2 BORA

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In der ursprünglichen Fassung kannte § 3 Abs. 2 BORA über-haupt keine Ausnahmen zugunsten bestimmter Kooperations-formen; das Verbot der Wahrnehmung widerstreitender Interes-sen aus § 43a BRAO wurde einschränkungslos auf alle Anwälteerstreckt, sofern sie zu der abgebenden Kanzlei in irgendeinerRechtsbeziehung gestanden hatten. Sozien, Angestellte, freieMitarbeiter oder in Bürogemeinschaft verbundene Personenwurden gleich behandelt. Inzwischen mildert § 3 Abs. 3 BORAin der Fassung von 1999 die Rechtsfolgen für Angestellte im In-nenverhältnis ab, sofern sie mit der Rechtssache tatsächlichnicht befasst waren. Aber auch nach dieser Änderung bleibt § 3Abs. 2 BORA unverhältnismäßig.

Wie oben dargelegt ist das Verbot, widerstreitende Interessen zuvertreten, geeignet und erforderlich, im Interesse von Mandan-ten und Rechtspflege die mit dem Gesetz bezweckten Ziele zuerreichen. In welchem Ausmaß das Verbot aber auf Dritte zu er-strecken ist, mit denen der tatsächlich mandatierte RA zusam-menarbeitet oder zusammengearbeitet hat, muss unter dem Ge-sichtspunkt der Verhältnismäßigkeit austariert werden. Die fürdie Außenhaftung und für die Außenvollmacht entwickeltenGrundsätze der zivilgerichtlichen Rspr., die Mandanten undRechtsverkehr eine erleichterte Zurechnung ermöglichen (vgl.BGHZ 56, 355), können insofern nicht maßgeblich sein. Dennder Schutzzweck des § 43a Abs. 4 BRAO ist – wie unter I. dar-gelegt – ein anderer. Auch aus der Berufsordnung, die es in § 8gestattet, freie Mitarbeiter durch Aufnahme in den Briefkopf zuAußensozien zu machen, lassen sich keine Abwägungskriteriengewinnen. Diese Regelung dient der Selbstdarstellung der ab-gebenden Kanzlei und hat nicht den Interessenwiderstreit nacheinem Sozietätswechsel im Blick. Für die hier zu beurteilendeFrage ist demgegenüber entscheidend, welcher Informations-fluss zwischen RAen stattfindet, die lediglich in Bürogemein-schaft verbunden sind. Das hängt aber von der Organisationund der Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen denAnwälten ab.

Undifferenziert an diese formalen Außenbeziehungen ein Mo-bilitätshindernis zu knüpfen, weil beim Wechsel in eine andereKanzlei die gegnerischen Mandate auch dann niederzulegensind, wenn der freie Mitarbeiter nur eng umgrenzte Einzelauf-gaben, möglicherweise sogar am heimischen Arbeitsplatzwahrgenommen oder in der Bürogemeinschaft kein Wis-senstransfer stattgefunden hat, ist unangemessen. Die Normdes § 3 Abs. 2 BORA trägt den typischen Merkmalen überörtli-cher Sozietäten und europaweiten Kooperationen, insbeson-dere den Vertragsgestaltungen bei Bürogemeinschaften, sowieden theoretischen und praktischen Möglichkeiten der Abschot-tung in der aufnehmenden Kanzlei nicht ausreichend Rech-nung. Der Sozietätswechsel darf nicht erschwert werden, wennhinreichend gesichert ist, dass Pflichtverletzungen nicht zu be-sorgen sind. Diese Prüfung im Einzelfall aber sieht § 3 Abs. 2BORA nicht vor.

Im Ergebnis folgt daraus eine un-verhältnismäßige Erschwerungdes Kanzleiwechsels, weil dieaufnehmende Kanzlei finanzielleEinbußen nur dann in Kauf neh-

men wird, wenn sie ein ganz besonderes Interesse an der Hin-zugewinnung der neuen Arbeitskraft hat. Noch gravierendersind die Auswirkungen, wenn der Sozietätswechsel nicht frei-willig und langfristig geplant erfolgt, weil es unvorhergesehenzu einer Trennung der Sozien, zu einer Auflösung oder Abspal-tung von Kanzleien oder zu wirtschaftlichen Engpässen bei derabgebenden Kanzlei kommt. In derartigen Fällen kann die Be-rufsausübungsregelung eine Zeit lang Folgen haben, die einerBerufswahlregelung nahe kommen. Bis zur Abwicklung der Alt-mandate wird sich insbesondere dann selten eine aufnehmende

Kanzlei finden, wenn der Kreis der denkbaren Sozien oder Ar-beitgeber durch einen hohen Spezialisierungsgrad eng gezogenist. Solche einschneidenden Folgen für die Berufsausübung ver-langen ausreichend gewichtige Interessen auf Seiten der Man-danten oder der Rechtspflege, die nach den Ausführungen obenunter B. I. nicht ausnahmslos und ohne Rücksicht auf typisier-bare Fallvarianten unterstellt werden dürfen.

III. Auch ohne Änderung der Berufsordnung wird der BGH, anden der Rechtsstreit zurückverwiesen wird, entscheiden kön-nen. § 43a Abs. 4 BRAO ist hinreichend bestimmt, um die nochnotwendige Sach- und Kostenentscheidung zu ermöglichen.

Anmerkung RA Dr. Kirchberg

Die Frage, ob eine Anwaltssozietät von der RAK verpflichtetwerden kann, bei Aufnahme eines Sozietätswechslers unab-hängig davon, ob dieser die entsprechenden Mandate in derabgebenden bzw. Altsozietät bearbeitet hat, sämtliche Man-date niederzulegen, bei denen die Altsozietät auf der Ge-genseite stand, hat die Anwaltschaft tief gespalten. Der Ver-lauf des Verfahrens, das schließlich zu der hier zu bespre-chenden Entscheidung des BVerfG v. 3.7.2003 geführt hat,spiegelt das wider und ähnelt dementsprechend regelrechteiner Achterbahn: die RAKTübingen hatte sich für die von ihrausgesprochene Verpflichtung zur Mandatsniederlegung beigegenläufigen Mandaten erklärtermaßen auf die Satzungs-bestimmung des § 3 Abs. 2 BORA berufen. Diese Bestim-mung wurde vom AGH Baden-Württemberg jedoch durchBeschl. v. 20.11.1999 – AGH 21/99 (II) – für nichtig erklärtund die darauf gestützte Verfügung der Kammer dement-sprechend aufgehoben. Der BGH drehte diese Entscheidungwieder um, indem er sich auf das – nach seinem Wortlauteigentlich nur an den einzelnen Anwalt gerichtete – gesetz-licheVerbot der Vertretung widerstreitender Interessen (§ 43aAbs. 4 BRAO) bezog, dieses (wie nach den §§ 45 Abs. 3, 46Abs. 3 BRAO) auf die Sozietät insgesamt erstreckte und indiesem Sinne auch § 3 Abs. 2 und 3 BORA mit der Folge aus-legte, dass der Beschluss des AGH aufgehoben und die vor-angegangene Verfügung der Kammer wieder bestätigt wurde(Beschl. v. 6.11.2000, BRAK-Mitt 2001, 82 = NJW 2001,1572). Das BVerfG hat schließlich wiederum in die entge-gengesetzte Richtung votiert, mit seinem nunmehr vorlie-genden Beschl. v. 3.7.2003 die Vorschrift des § 3 Abs. 2BORA – genauso wie der AGH – für nichtig und die generelleErstreckung des gesetzlichen Verbots widerstreitender Inte-ressen auf den hier interessierenden Fall des Sozietätswech-sels für verfassungswidrig erklärt. Jetzt ist erneut der BGH, anden die Sache zurückverwiesen wurde, aufgerufen, im Rah-men einer verfassungskonformen Anwendung und ggf. sogarFortbildung des § 43a Abs. 4 BRAO zu einer den Vorgabendes BVerfG entsprechenden abschließenden Entscheidung inder Sache sowie über die Kosten zu gelangen. Ein neuer-licher Ausschlag in die entgegengesetzte Richtung ist jedochnicht ausgeschlossen, nachdem der BGH seine Rspr. zwi-schenzeitlich dahin gehend konkretisiert hat, Ge- und Ver-botsverfügungen der RAK seien von vornherein mangels ge-setzlicher Grundlage unzulässig (Beschl. v. 25.11.2002,BRAK-Mitt 2003, 22 m. Anm. Dahns = NJW 2003, 504) undkönnten auch nicht in eine Beratung oder Belehrung i.S.d.§ 73 Abs. 2 Nr. 1 BRAO umgedeutet werden (vgl. Beschl. v.14.7.2003 – AnwZ [B] 59/02, www.bundesgerichtshof.de/Entscheidungen). Das würde allerdings an der bereits imBundesgesetzblatt (BGBl. I 2003, 1672) verkündeten Nich-tigkeit des § 3 Abs. 2 BORA nichts mehr ändern.

236 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 5/2003

Bundesverfassungsgericht

UnverhältnismäßigeErschwerung einesKanzleiwechsels

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Auch und gerade die BRAK hatte sich schwer getan, in die-ser umkämpften Causa zu einem einheitlichen Meinungsbildzu gelangen. Der mit der Ausarbeitung einer Stellungnahmegegenüber dem BVerfG beauftragte BRAK-Verfassungs-rechtsausschuss hatte zunächst mehrheitlich für die Begrün-detheit der Verfassungsbeschwerde votiert, gleichzeitig aberauch die gegenläufige Mindermeinung des Ausschusses zuProtokoll gegeben. Dem Präsidium erschien die Sache so ge-wichtig, dass es damit – ausnahmsweise – sogar die (90.)Hauptversammlung befasste. Diese beschloss, in erster Linieberufspolitisch gegenüber dem BVerfG Flagge zu zeigen undsich deshalb dafür auszusprechen, die Verfassungsbe-schwerde als unbegründet zurückzuweisen. Die in derHauptversammlung auch und gerade in Ansehung von inter-nationalen und Großsozietäten artikulierten Befürchtungenbezüglich des Wissenstransfers beim Sozietätswechsel wo-gen danach schwerer als die aus dem Gebot, gegenläufigeMandate beim Sozietätswechsel niederzulegen, resultieren-den Beeinträchtigungen der Grundrechte nicht nur des So-zietätswechsels und der Mitglieder der aufnehmenden So-zietät, sondern auch der beiderseitigen Mandanten.

Mit seinem Beschl. v. 3.7.2003 hat das BVerfG die entspre-chenden Befürchtungen und insbesondere etwa auch dasvon der Bundesnotarkammer im Verfahren vorgebrachte Ar-gument, das wirtschaftliche Interesse eines RA, ein Mandatfortzuführen, nehme ihm die nötige Unabhängigkeit undUnparteilichkeit für ein am Maßstab des § 43a Abs. 4 BRAOausgerichtetes, gesetzeskonformes Verhalten, für nicht(mehr) ausreichend erklärt, die generelle Erstreckung des§ 43a Abs. 4 BRAO auf den Sozietätswechsel und dement-sprechend auch die generalisierendeVorschrift des § 3 Abs. 2BORA zu rechtfertigen. In noch nicht da gewesener Formappelliert das BVerfG stattdessen an die unreglementierteEigenverantwortlichkeit der Anwaltschaft wie folgt:

„Der Gesetzgeber bezeichnet die Rechtanwälte als unab-hängige Organe der Rechtspflege (§ 1 BRAO). Auf derenIntegrität, Professionalität und Zuverlässigkeit ist dieRechtspflege angewiesen (vgl. BVerfGE 87, 287 <320>).Das Gesetz geht nicht davon aus, dass ein berufswürdigesund gesetzeskonformes Handeln der Rechtsanwälte nurim Wege der Einzelkontrolle oder mit Mitteln des Straf-rechts gewährleistet werden kann. Das anwaltliche Be-rufsrecht beruht auch nicht auf der Annahme, dass einesituationsgebundene Gelegenheit zur Pflichtverletzung imRegelfall pflichtwidriges Handeln zur Folge hat.“

Daraus folgt in dieser Allgemeinheit (noch) mehr als die hierinteressierende „Freiheit beim Sozietätswechsel“ (so Kleine-Cosack in seinem Editorial zu NJW Heft 33/2003). Die Ent-scheidung des BVerfG v. 3.7.2003 reiht sich damit vielmehrnahtlos in die Entscheidungen ein, die das BVerfG bereits mitseinem Verdikt über die Standesrichtlinien (BVerfGE 76, 171u. BVerfGE 76, 196), dann etwa mit seinem Urteil zum Ver-säumnisurteil (BVerfGE 101, 312) und schließlich in einerVielzahl von hier nicht im Einzelnen zu memorierenden Ent-scheidungen zur anwaltlichen Werbung und zur Zulässigkeitvon Zusatzbezeichnungen i.S. einer Entfesselung der An-waltschaft von selbst auferlegten Beschränkungen getroffenhat. Gefährdungstatbestände oder Verbote, die bereits demVorliegen eines bösen Anscheins vorbeugen sollen, habennach der nunmehr vorliegenden Entscheidung des BVerfG v.3.7.2003 in einem modernen anwaltlichen Berufsrecht, dasvon der Eigenverantwortung der RAe und der Selbstbestim-mung der Mandanten sowie von dem vom BVerfG wieder-

holt betonten bzw. hervorgehobenen „personalen Vertrau-ensverhältnis“ zwischen diesen geprägt ist, künftig grund-sätzlich keinen Platz mehr.

Das bedeutet nicht, dass das Interesse der Allgemeinheit ander Geradlinigkeit der anwaltlichen Berufsausübung undRechtsbesorgung und dementsprechend die Erfüllung desanwaltlichen Pflichtenkanons des § 43a BRAO (Unabhän-gigkeit, Verschwiegenheit, Sachlichkeit, Verbot widerstrei-tender Interessen, Sorgfalt beim Umgang mit anvertrautenVermögenswerten und Fremdgeldern) nunmehr zur Disposi-tion der Mandanten stünden. Soweit es jedoch um den Kanz-leiwechsel geht und, so das BVerfG, die davon unterrichte-ten und beiderseits betroffenen Mandanten einen Widerstreitder Interessen nicht befürchten undVertrauen in die insoweitgetroffenen Vorkehrungen sowie in die Verschwiegenheit ih-rer Anwälte zeigen, besteht im Interesse der Rechtspflege nurdann Anlass zum Eingreifen, „.. wenn hierfür sonstige Indi-zien sprechen, die den Mandanten verborgen geblieben odervon ihnen unzutreffend eingeschätzt worden sind.“ Zu die-sen in Frage kommenden Vorkehrungen, die einen Wider-streit der Interessen im Wesentlichen relativieren können,zählt das BVerfG erklärtermaßen die Arbeitsteilung in der ab-gebenden Kanzlei durch räumliche Trennung, durch organi-satorische Vorkehrungen, durch Ausgestaltung des Vertrags-verhältnisses, durch die „schiere Größe“ oder durch die fach-liche Abschottung der verschiedenen Bereiche; und das musseigentlich auch für die aufnehmende Kanzlei gelten.

Liegen der RAK Hinweise vor, dass die Mandanten nicht hin-reichend über den Sozietätswechsel informiert worden sindoder dass die sich daraus ergebenden Konsequenzen von ih-nen unzutreffend eingeschätzt worden sind, ist die Kammer,so das BVerfG, berechtigt und verpflichtet, diesen Hinweisennachzugehen. Ob das dann im Einzelfall zu einer Untersa-gungsverfügung führen kann, hat das BVerfG vorliegend(noch) offen gelassen. Der BGH geht inzwischen – mangelshinreichender gesetzlicher Grundlage – von der Unzulässig-keit entsprechender Untersagungsverfügungen aus (Beschl.v. 25.11.2002 a.a.O). Ob die Kammern stattdessen ohneweiteres wettbewerbsrechtlich gegen ihre Kammermitgliedervorgehen können, ist Gegenstand einer beim BVerfG anhän-gigen und zugestellten Verfassungsbeschwerde (1 BvR981/00); die Entscheidung hierüber wird nicht zuletzt imHinblick darauf, dass der I. ZS des BGH unbeachtlich derhieran geübten Kritik auf seiner Rspr. zur Zulässigkeit vonWettbewerbsklagen der Kammern beharrt (vgl. zuletzt Urt.v. 25.10.2001, BRAK-Mitt 2002, 139 = NJW 2002, 2039),seit längerem mit Spannung erwartet.

Die Nichtigerklärung des § 3 Abs. 2 BORA durch das BVerfGgebietet eigentlich keine Diskussion über eine Nachfolge-oder Ersatzregelung. Das BVerfG ist – stattdessen – offenbarder Meinung, § 43a Abs. 4 BORA, der das Verbot widerstrei-tender Interessen zunächst nur für den einzelnen Anwalt sta-tuiert, dürfe im Wege der richterlichen Rechtsfortbildungauch auf die Sozietät erstreckt und, wenn auch nicht gene-ralisierend, auf die hier interessierende Frage der Notwen-digkeit der Niederlegung gegenläufiger Mandate nach So-zietätswechsel, zur Anwendung gebracht werden. Im Regel-fall und insbesondere bei Vorliegen entsprechenderZustimmungserklärungen der beidseits betroffenen, hinrei-chend informierten Mandanten wird ein entsprechendes Ge-bot, in welcher Form auch immer, jedoch nicht (mehr) durch-gesetzt werden können.

RA Dr. Christian Kirchberg, KarlsruheVorsitzender des BRAK-Verfassungsrechtsausschusses

BRAK-Mitt. 5/2003 Berufsrechtliche Rechtsprechung 237

Bundesverfassungsgericht

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Anmerkung RA Staehle

Roma locuta, causa finita? Der Praktiker, der an der„Front“ täglicher Kammerarbeit zu beraten und berufsauf-sichtliche Entscheidungen zu treffen hat, freut sich nor-malerweise, wenn eine Grundsatzentscheidung desBVerfG in einer lange umstrittenen Materie Klarheitschafft. Hat er doch fortan brauchbare Entscheidungskri-terien zur Hand. Gibt der Beschluss des BVerfG v.3.7.2003 Anlass zur Freude? Liefert er klare Entschei-dungskriterien? Ich meine, man kann diese Fragen nur aufden ersten Blick bejahen. Denn damit, dass § 3 Abs. 2BORA für verfassungswidrig erklärt wurde, sind die kla-ren, praktikablen Regelungen des § 3 Abs. 2 u. 3 BORAzahlreichen Zweifelsfragen gewichen.

Der Spruch des BVerfG beruht wesentlich auf der An-nahme, § 43a Abs. 4 BRAO spreche nur den einzelnenAnwalt, nicht aber Sozietäten, an. Dies sei von besonde-rer Bedeutung, weil das Gesetz an anderen Stellen aus-drücklich Erstreckungsnormen vorgesehen habe (§§ 45Abs. 3, 46 Abs. 3 BRAO). Im Lichte der besonderen Be-deutung des Grundrechts der Berufsausübungsfreiheitmag es verfassungsrechtlich geboten sein, hier eine Ge-setzeslücke anzunehmen, obwohl der Gesetzgeber einesolche ausweislich der amtlichen Begründung zum Ent-wurf der BRAO-Novelle 1994 nicht schaffen wollte (vgl.hierzu im Einzelnen Feuerich/Weyland, 6. Aufl., Rdnr. 57zu § 43a BORA).

Kritisch zu sehen ist es aber, wenn das BVerfG unter Hin-weis auf eine den Strafverteidiger betreffende Entschei-dung (BVerfGE 43, 79, 91 f.) ausführt, das Verhältnis desAnwalts zum Mandanten werde in erster Linie durch per-sönliche und eigenverantwortliche Dienstleistung charak-terisiert und diese Charakteristik werde durch beruflicheZusammenschlüsse nicht aufgehoben oder wesentlichverändert. Daher beträfen gesetzliche Einschränkungender beruflichen Betätigung den einzelnen Anwalt persön-lich, nicht aber eine Sozietät, in der er seinen Beruf aus-übt.

Ist diese Sicht für den Strafverteidiger aus der Natur desstrafrechtlichen Mandates heraus und schon im Hinblickauf die beschränkte Zahl der Verteidiger (§ 137 StPO)nahe liegend, so entfernt sie sich doch deutlich vom Er-scheinungsbild weiter Bereiche des zivilrechtlichen Man-dats, namentlich im Wirtschaftsrecht. Hier ist die An-waltssozietät als solche Vertreterin des Mandanten. DieSozietät ist als Team gefordert; das Mandat wird – biswei-len ohne besonderes Vertrauensverhältnis zu einem be-stimmten Anwalt – im Vertrauen auf die Kompetenz undErfahrung einer einschlägig qualifizierten Sozietät als sol-cher erteilt. Die personenbezogene Mandatierung einesSozius ist in diesen Bereichen zwar möglich, aber dochder seltene Ausnahmefall. Geht das BVerfG also von ei-nem nur teilweise zutreffenden Anwaltsbild aus, wenn esausschließlich den einzelnen Anwalt und nicht eine be-auftragte Sozietät als „Vertreter“ des Mandanten ansieht?

§ 43a Abs. 4 BORA soll nach der amtlichen Begründungdes Regierungsentwurfs zur BRAO-Novelle drei Zieleschützen, nämlich das Vertrauensverhältnis zwischen An-walt und Mandant, die Unabhängigkeit des RA, die ver-loren geht, wenn er gleichzeitig als Vertreter konträrer In-teressen agiert, und schließlich die im Interesse derRechtspflege gebotene Geradlinigkeit anwaltlicher Be-rufsausübung. Diese Anliegen werden in den Entschei-dungsgründen des Beschlusses mit höchst unterschied-licher Ausführlichkeit behandelt.

Die ersten beiden Punkte werden vom BVerfG in einemeinzigen Satz abgehandelt: Wenn die vom Sozietäts-wechsel betroffenen Mandanten das Vertrauensverhältnisnicht als gestört ansehen und mit einer Fortführung derMandate durch beide beteiligten Sozietäten einverstan-den sind, so können nach der Entscheidung des Gerichtsweder der Schutz anwaltlicher Unabhängigkeit noch derErhalt des konkreten Vertrauensverhältnisses als Gemein-wohlgründe angeführt werden, die einem Sozietätswech-sel entgegenstehen. Trägt diese lapidare Feststellung wirk-lich? Jeder erfahrene Anwalt weiß, dass das Einverständ-nis der Mandanten nicht immer der umfassenden Kennt-nis möglicher Verstrickungen der beteiligten Anwälte undder abwägenden Vorausschau auf die weitere Entwick-lung der betroffenen Mandate entspringt. Es ist keines-wegs unwahrscheinlich, dass die Zustimmung einem Irr-tum über die weitere Entwicklung einer Streitigkeit odereiner von den beteiligten Sozietäten begleiteten geschäft-lichen Transaktion entspringt. Man glaubt sich beispiels-weise kurz vor einer Einigung und scheut den mit einemAnwaltswechsel verbundenen Management-Aufwand.Ein Anwaltswechsel in einer komplexen Materie ist jaauch für den Mandanten eine regelrechte Strafe. Oderman stimmt gar mit der berechnenden Überlegung zu, diejeweilige Gegenseite werde sich durch den Wechsel aneiner allzu konsequenten Durchsetzung der gegnerischenInteressen gehindert sehen. Das zu schützende Vertrau-ensverhältnis kann so zum Objekt von Irrtümern undZweckmäßigkeitserwägungen der Mandanten werden.Und was geschieht, wenn ein Mandant aus irrationalenGründen, z. B. in der Absicht, die Gegenseite zu behin-dern, seine Zustimmung „mutwillig“ verweigert?

Beratung und Berufsaufsicht der Kammern können natür-lich nicht die Motivation für die Zustimmung der Man-danten ermitteln und beurteilen. Andererseits sollen sieaber „allen Anhaltspunkten und Hinweisen nachgehen“.In der Praxis werden sie sich darauf beschränken müssen,die Zustimmung der beiderseitigen Mandanten als zwin-gende Voraussetzung eines Sozietätswechsels zu behan-deln.

Das BVerfG betont, die ebenfalls von § 43a Abs. 4 BRAOgeschützten Belange der Geradlinigkeit anwaltlichenHandelns und damit der Rechtspflege stehe nicht zur Dis-position der Mandanten. An diese, allgemeiner Überzeu-gung entsprechende, Feststellung knüpft das Gericht dannjedoch einigermaßen überraschend den Gedanken, wasden Interessen der eigenen Mandanten „und damit zu-gleich der Rechtspflege“ diene, könne von den RAKn undGerichten nicht ohne Rücksicht auf die konkrete Ein-schätzung durch die Mandanten definiert werden. Fazitalso: Sowohl im Hinblick auf das konkrete Vertrauensver-hältnis des Anwalts zum Mandanten als auch im Hinblickauf die zu schützende Unabhängigkeit des RA als auch imHinblick auf die zu schützenden Belange der Rechts-pflege kommt es in erster Linie auf die Zustimmung derMandanten an, dessen Disposition andererseits die zuschützenden Rechtsgüter entzogen sind. Kann eine solche„Gemengelage“ zu der Transparenz führen, die im Inte-resse der Rechtspflege erforderlich ist?

Die Mandanten sind „wahrheitsgemäß und umfassend“zu unterrichten. Es fragt sich, von wem und über was. Solldiesem Erfordernis sinnvoll Rechnung getragen werden,so müssen die beiderseitigen Mandanten neben der Tat-sache des Wechsels eines Sozius auch über den mandats-bezogenen Kenntnisstand des Wechslers und ggf. über dieVorkehrungen zur Verhinderung des Wissenstransfers in

238 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 5/2003

Bundesverfassungsgericht

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der neuen Sozietät unterrichtet werden. Um die erforder-lichen wahrheitsgemäßen und umfassenden Informatio-nen sicherzustellen, müsste wohl die alte Sozietät dengegnerischen Mandanten, also denjenigen der neuen So-zietät, über den Kenntnisstand des wechselnden Anwaltsunterrichten. Hat der Wechsler irgendwelche sensiblenKenntnisse, so müsste die neue Sozietät den Mandantender alten Sozietät über die zur Verhinderung des Wis-senstransfers getroffenen Maßnahmen unterrichten. Dennnur die jeweils betroffene Sozietät hat ja „umfassend“Kenntnis über solche Umstände. Die Unterrichtung derGegenpartei über mandatsbezogene Interna einer So-zietät ist eine nicht undelikate Neuerung im Rechtsleben.Oder müssen die beteiligten Sozietäten einen „Informati-onspool“ für die beiderseitigen Mandanten bilden?

Es klingt uns Anwälten angenehm in den Ohren, wenn dieStellung als Organ der Rechtspflege vom höchsten Ge-richt mit den Begriffen der Integrität, Professionalität undZuverlässigkeit verknüpft wird und die Mandatsniederle-gung bei befürchteter Interessenkollision der eigenverant-wortlichen Selbsteinschätzung des RA anheim gegebenwird. Etwas weitgehend scheint allerdings, zumindest vonder menschlichen Komponente her, der vom BVerfG zurFrage der Mandatsniederlegung gezogene Vergleich mitder Situation, der sich ein Richter bei der Offenlegung von

Gründen zur Selbstablehnung gegenüber sieht: Verliertein RA bzw. seine Sozietät durch die Mandatsniederle-gung u. U. einen beträchtlichen Vergütungsanspruch, soverliert der Richter im Falle der Selbstablehnung allenfallsdie Pflicht, sich mit einem u. U. unangenehmen und kom-plizierten Fall befassen zu müssen.

Mit dieser kurzen Anmerkung können nur einige wenigeProbleme angesprochen werden, die der neue Rechtszu-stand mit sich bringt. Die Entscheidung wirft in der Praxisviele Fragen auf, die nur befriedigende Antworten findenwerden, wenn die Anwaltschaft die ihr zugetrauten posi-tiven Eigenschaften in hohem Maße besitzt und fruchtbarin den Klärungsprozess einbringt, den der Beschluss desBVerfG eingeleitet hat. Ob die Satzungsversammlung auf-gerufen ist, eine neue Satzungsregelung an die Stelle deraufgehobenen zu setzen, darf bezweifelt werden, nach-dem das BVerfG einen Bedarf an Einzelkontrolle durchRAKn und Gerichte von Verfassungs wegen expressis ver-bis verneint hat. Es hält offenbar die gesetzliche Regelungdes § 43a BRAO alleine für ausreichend.

Roma locuta? Ja, zum Teil aber noch in Rätseln. Causafinita? Leider nein!

RA Hansjörg Staehle,Präsident der RAK München

BRAK-Mitt. 5/2003 Berufsrechtliche Rechtsprechung 239

Anwaltsgerichtliche Rechtsprechung/Weitere berufsrechtliche Rechtsprechung

Anwaltsgerichtliche RechtsprechungOrientierungssätze/*Leitsätze der Redaktion

Zulassungswiderruf – zur Verfassungsgemäßheit des§ 14 Abs. 2 Ziff. 2 BRAO; BRAO § 14 Abs. 2 Ziff. 2;GG Art. 3, 12

* 1. Auch wenn im Rahmen des § 14 Abs. 2 BRAO nicht nocheine weitere Abwägung der einzelnen Umstände einer Verur-teilung erfolgt, stellt dies keinen Verstoß gegen den Grundsatzder Verhältnismäßigkeit dar.

* 2. Die Tatsache, dass sich ein RA bei Straftaten im „privatenBereich“ bewegt hat und ihm berufsrechtliche Verstöße nichtvorzuwerfen sind, kann im Rahmen der Strafzumessung imStrafverfahren berücksichtigt werden. Dem Gesetzgeber kannaber insoweit nicht vorgeworfen werden, dass er in § 14 Abs. 2Ziff. 2 nicht noch Ausnahmen zulässt, wenn er eine grundsätz-liche Grenze gezogen hat und diese Grenzziehung schwerwie-gende Verstöße gegen strafrechtliche Vorschriften zur Voraus-setzung hat.

Niedersächsischer AGH, Beschl. v. 5.6.2003 – AGH 27/02

Volltext unter www.brak.de

Anwaltliche Werbung – zur Briefkopfgestaltung („... &Coll.“); BORA §§ 9, 10; UWG § 3

* 1. Eine Kurzbezeichnung von zwei in einer Kanzlei tätigenRAen, der der Zusatz „... & Coll.“ folgt, erweckt den Anschein,als sei außer diesen beiden RAen noch mehr als nur ein weite-rer RA in der Kanzlei tätig.

* 2. Die Vorstellung des Rechtsverkehrs über die Anzahl derin einer Kanzlei zur gemeinsamen Berufsausübung tätigenRAe ist wettbewerbsrechtlich relevant, da die Größe derPraxis unter dem Aspekt von Bedeutung ist, dass in dringen-den Fällen jedenfalls einer von einer größeren Anzahl in ge-meinsamer Praxis tätiger RAe jederzeit greifbar ist und füreine Auskunft zur Verfügung steht. Ferner erwartet das recht-suchende Publikum, je größer die Zahl der Anwälte, destofortgeschrittener sei die Spezialisierung auf den verschiede-nen Gebieten.

Niedersächsischer AGH, Beschl. v. 3.2.2003 – AGH 15/02

Volltext unter www.brak.de

Syndikusanwalt – zur Berücksichtigung der Beschäfti-gung als Syndikus bei der Bewerbung um ein Notar-amt; BNotO § 6 Abs. 3 Satz 1, Satz 3

* 1. Eine Tätigkeit als Syndikusanwalt kann einem Bewerberfür ein Notaramt nicht als hauptberufliche Tätigkeit „als

Rechtsanwalt“ i.S.d. § 6 Abs. 3 Satz 3 BNotO angerechnetwerden.

* 2. Das Regelerfordernis des Nachweises einer bestimmtenDauer hauptberuflicher Tätigkeit als freier, unabhängiger An-walt als Voraussetzung für die Bestellung des Anwaltsnotars soll

Weitere berufsrechtliche RechtsprechungOrientierungssätze/*Leitsätze der Redaktion

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nach der Vorstellung des Gesetzgebers sicherstellen, dass derBewerber um das Anwaltsnotariat die organisatorischen Vor-aussetzungen für die Geschäftsstelle geschaffen und umfang-reiche Erfahrungen mit einer Vielzahl von Rechtsuchenden undVertrautheit mit den örtlichen Verhältnissen erlangt hat.

* 3. Bei der Auswahlentscheidung ist jedoch zu prüfen, ob auf-grund der Beschäftigung als Syndikusanwalt eine Vergabe vonSonderpunkten in Betracht kommen kann.

BGH, Beschl. v. 14.7.2003 – NotZ 2/03

Volltext unter www.brak.de

Anwaltliche Werbung – zur Verwendung einer Phan-tasiebezeichnung durch eine Rechtsanwalts-AG;BORA §§ 9, 10, 33; UWG §§ 1, 3

* 1. Die Firmierung einer RA-Aktiengesellschaft unter einerPhantasiebezeichnung ist unzulässig.

* 2. Eine RA-Aktiengesellschaft hat eine berufsrechtswidrigeFirmierung als Störerin zu unterlassen.

OLG Nürnberg, Urt. v. 10.6.2003 – 3 U 588/03 (n.r.)

Aus den Gründen:

I. Die Kl. macht einen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungs-anspruch geltend. Sie verlangt, dass die Bekl. in ihrer Firma denBestandteil „PRO-VIDENTIA“ unterlässt.

Die Bekl. wurde am 21.9.1998 von zwei RAen und einem StBgegründet. Zu ihrem Vorstand wurde RA Dr. N. B., Kammermit-glied der Kl., bestellt. Nach anweisendem Beschl. des BayObLGv. 27.3.2000 (3 Z BR 3 331/99) wurde die „PRO-VIDENTIARechtsanwalts AG“ in das Handelsregister eingetragen.

Die Kl. hält die Firma einer RA-Kanzlei mit einer Phantasiebe-zeichnung aus berufsrechtlichen Gründen für unzulässig undunlauter i.S. v. §§ 1, 3 UWG. Sie hat deshalb Klage erhoben mitdem Antrag:

Der Bekl. wird unter Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu500.000,00 DM oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten –Ordnungshaft auch für den Fall, dass das Ordnungsgeld nichtbeigetrieben werden kann, zu vollstrecken an ihrem Vorstand –wegen jeder Zuwiderhandlung

untersagt,

sich im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken zurKennzeichnung ihrer RA-Kanzlei der Bezeichnung

„PRO-VIDENTIA“

zu bedienen.

Das LG hat die Klage abgewiesen, da ein Verstoß der Bekl. ge-gen berufsrechtliche Vorschriften nicht vorliege und die Gefahreiner Irreführung nicht bestehe.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Kl., die den geltend ge-machten Anspruch im vollen Umfang weiterverfolgt.

Die Bekl., die beantragt, die Berufung zurückzuweisen, hält dieKl. nicht für klagebefugt, die anwaltliche Berufsordnung (BORA)auf eine Aktiengesellschaft nicht anwendbar und eine Ver-wechslungsgefahr für ausgeschlossen.

Im Übrigen wird auf die tatsächlichen Feststellungen des ange-fochtenen Urt. und die im Berufungsverfahren gewechseltenSchriftsätze Bezug genommen.

II. Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg, da die Bekl.als Störerin für unerlaubte Wettbewerbshandlungen ihrer Grün-der haftet, §§ 1 UWG, 9 BORA, 1004 BGB analog.

1. Klagebefugnis:

Die Kl. ist gem. § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG klagebefugt und aktiv-legitimiert, wettbewerbsrechtliche Ansprüche gegen die Bekl.durchzusetzen. Nach st. Rspr. des BGH (BGH, NJW 2003, 819m.w.N. – Anwalts-Hotline) hat eine RAK die Klagebefugnis ei-nes rechtsfähigen Verbandes zur Förderung gewerblicher Inte-ressen, weil auch sie ungeachtet ihrer öffentlich-rechtlichenAufgabenstellung die beruflichen Belange ihrer Mitglieder zuwahren und zu fördern hat. Dies gilt ausdrücklich auch für dieGeltendmachung von wettbewerbsrechtlichen Unterlassungs-ansprüchen gegen ihre Mitglieder (BGH, a.a.O.).

Mit Beschl. des BGH v. 25.11.2002 (BGH, NJW 2003, 504 –rechtsanwaelte-notar.de) stellte der BGH fest, dass die BRAOdem Vorstand einer RAK nicht das Recht verleiht, festgestelltenVerstößen gegen die berufsrechtlichen Vorschriften mit einerUnterlassungsverfügung zu begegnen, da die BRAO keine Be-fugnisnorm für derartige Eingriffe enthalte. Mit der Klagebefug-nis nach § 13 UWG befasst sich der Beschluss nicht. Vom Er-gebnis her stützt er die bisherige st. Rspr. zur Klagebefugnis, dader von der Bekl. vorgebrachte Einwand, das Vorgehen der RAKnach UWG sei rechtsmissbräuchlich, da ihr berufsrechtlicheMaßnahmen zur Verfügung stünden, der Boden entzogen wird.

2. Unterlassungsanspruch:

Die Bekl. haftet als Störerin für unlautere Wettbewerbshandlun-gen ihrer Gründer.

a) Ein Anspruch gegen die Bekl.nach § 1 UWG i.V.m. § 9 BORAunter dem Gesichtspunkt, dassdie Bekl. selbst gegen berufs-

rechtliche Vorschriften der BORA verstößt, besteht nicht, weildie BORA auf eine RA-AG nicht anwendbar ist.

Der persönliche Anwendungsbereich der BORA als Satzung be-schränkt sich auf die Kammermitglieder (Hartung/Holl, 2. Aufl.Einf. BerufsO, Rdnr. 63). Die Bekl. als Aktiengesellschaft ist je-doch kein (Zwangs-)Mitglied der RAK. Zwar bestimmt § 60Abs. 1 BRAO, dass RAe und RA-Gesellschaften die RAK bilden,doch ergibt sich aus einer Gesamtschau mit §§ 59c ff. BRAO,dass als RA-Gesellschaft ausschließlich die GmbH geregelt ist.Außerdem hat der Gesetzgeber in Kenntnis der Problematik der RA-AG diese ausdrücklich nicht regeln wollen (BT-Drucks.13/9820).

Auch aus § 33 BORA lässt sich nichts anderes herleiten:

Danach hat bei der beruflichen Zusammenarbeit, gleich in wel-cher Form, jeder RA zu gewährleisten, dass die Regeln derBORA eingehalten werden. Adressaten dieser Vorschrift könnenaufgrund der beschränkten Regelungskompetenz einer Satzungnur Mitglieder sein. Ein Nichtmitglied kann durch Bestimmun-gen einer Satzung nicht zum Zwangsmitglied gemacht werden.

Schließlich kommt auch eine Anwendung der BORA auf dieBekl. nicht aufgrund deren eigener Satzung (§ 2 Nr. 1) in Be-tracht, da dort zum einen nur geregelt ist, dass die beschäftigtenRAe das Berufsrecht zu beachten haben, zum anderen natürlichauch eine Aktiengesellschaft sich durch ihre eigene Satzungnicht zum Mitglied einer anderen Körperschaft machen kann.

Auch eine analoge Anwendung der BORA, insbesondere des§ 59k BORA, der die Firmierung der RA-GmbH regelt, scheidetaus, da der Gesetzgeber bewusst die RA-AG nicht geregelt hatund deswegen schon die Voraussetzungen der analogen An-wendung anderer Vorschriften nicht vorliegen (BayObLG, NJW2000, 1647; Pluskat, AnwBl. 2003, 131; Schumacher, AnwBl.2000, 409; Heublein, AnwBl. 1999, 304). Die Gegenmeinung(Kempter/Kopp, NJW 2000, 3449; 2001, 778) setzt dem letztlichentgegen, dass es vernünftig wäre, die Firmierung der RA-AGderjenigen der GmbH und der Partnerschaftsgesellschaft anzu-

240 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 5/2003

Weitere berufsrechtliche Rechtsprechung

BORA auf RA-AGnicht anwendbar

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gleichen, ohne jedoch die Voraussetzungen der analogen An-wendung – planwidrige Regelungslücke – zu prüfen.

b) Die Gründer der PRO-VIDEN-TIA RA-AG haben durch die Na-mensgebung gegen §§ 33 Abs. 2,9 BORA verstoßen, da die Fir-mierung unter einer Phantasiebezeichnung für eine RA-Kanzleiunzulässig ist und zwei der drei Gründer RAe waren, die zu ge-währleisten hatten, dass die berufsrechtlichen Regeln eingehal-ten werden, gleichgültig in welcher Form eine Zusammenarbeitvon RAen stattfindet.

aa) Die Zulässigkeit einer Phantasiebezeichnung kann nichtaus der Entscheidung des BayObLG v. 27.3.2000 (BayObLG,NJW 2000, 1647) hergeleitet werden, da dort nur die Zulässig-keit der Firmierung unter handels- und aktienrechtlichen Ge-sichtspunkten zu prüfen war und ausdrücklich offen gelassenwurde, ob Unterlassungsgebote nach Wettbewerbsrecht grei-fen können.

bb) Der hier vertretenen Auffassung steht auch die Entscheidungdes OLG Karlsruhe (OLG Karlsruhe, NJW 2001, 1584) nicht ent-gegen, in der „artax“ als Zusatz zu den Namen der Partner fürzulässig erachtet wurde, da im vorliegenden Fall eine reinePhantasiebezeichnung als Firma gewählt wurde.

c) Die Namensgebung einer Aktiengesellschaft stellt Handelnim geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs dar.Die Firma ist als geschäftliche Bezeichnung nach § 5 Abs. 2 Mar-kenG schutzfähig, da sie im Geschäftsverkehr markenähnlicheWirkung hat.

d) Durch die Verwendung von „PRO-VIDENTIA“ zur Bezeich-nung der Aktiengesellschaft verstoßen die Gründer gegen § 9BORA. § 9 Abs. 1 BORA erlaubt es, im Fall der beruflichen Zu-sammenarbeit von Anwälten eine Kurzbezeichnung zu führen.Die Namen früherer Kanzleiinhaber, Gesellschafter, Angestell-ter oder freier Mitarbeiter dürfen in der Kurzbezeichnung wei-tergeführt werden; im Übrigen darf die Kurzbezeichnung nureinen auf die gemeinschaftliche Berufsausübung hinweisendenZusatz enthalten (§ 9 Abs. 2 und 3 BORA). § 10 Abs. 1 BORAergänzt diese Bestimmung dahin gehend, dass auf Briefbögenauch bei der Verwendung einer Kurzbezeichnung die Namensämtlicher Gesellschafter mit mindestens einem ausgeschriebe-nen Vornamen aufgeführt werden müssen und dies auch fürNamen anderer Personen gilt, die in einer Kurzbezeichnunggem. § 9 Abs. 1 BORA enthalten sind. Dabei muss mindestenseine der Kurzbezeichnung entsprechende Zahl von Gesell-schaftern, Angestellten oder freien Mitarbeitern auf den Brief-bögen namentlich aufgeführt werden.

Aus diesen Bestimmungen folgt, dass auch Zusammenschlüssevon RAen zu ihrer Bezeichnung im Rechtsverkehr entweder denNamen aller zusammengeschlossenen RAe oder eine Kurzbe-zeichnung führen müssen, die die Namen einzelner oder meh-rerer Anwälte ggf. mit den Zusätzen gem. § 9 Abs. 3 BORA ent-halten. Diese Grundregel anwaltlicher Namensgebung hat fürdie Partnerschaftsgesellschaften in § 2 PartGG und für die RA-GmbH in § 59k BRAO ihren Niederschlag gefunden.

In der fünften Sitzung der zweiten Satzungsversammlung bei derBRAK am 7.11.2002 in Berlin wurde (u.a.) beschlossen, § 9Abs. 2 BORA wie folgt zu fassen:

„Die Kurzbezeichnung ist aus den Namen früherer oder derzei-tiger Mitglieder der Berufsausübungsgemeinschaft zu bilden.Zusätze sind nur erlaubt, soweit dadurch keine Sach- oderPhantasiebezeichnung entsteht.“

Durch Bescheid des BMJ v. 21.2.2003 hob das BMJ die Wörter„Sach- oder“ auf, so dass im Ergebnis Sachfirmen zulässig,Phantasiebezeichnungen jedoch ausgeschlossen sein sollen.

Die Änderung des § 9 Abs. 2 BORA wurde jedoch nicht ver-kündet (amtliche Bekanntmachung, BRAK-Mitt. 2003, 69).

Der Senat versteht den Beschl. der zweiten Satzungsversamm-lung bei der BRAK dahin gehend, dass hinsichtlich der Phanta-siebezeichnung von RA-Kanzleien lediglich deklaratorisch klar-gestellt wurde, dass diese – wie bisher – unzulässig sind, also in-soweit keine Änderung zum vorhergehenden Zustandvorgenommen wurde.

e) Durch den Verstoß gegen be-rufsrechtliche Regeln der Na-mensgebung haben sich dieGründer der RA-AG einen Vor-

sprung durch Rechtsbruch verschafft und deswegen unlauteri.S.v. § 1 UWG gehandelt. Zwei der drei Gründer waren RAe,die der BORA unterliegen und die mit ihrer Stimmenmehrheitdie Namensgebung hätten beeinflussen können und müssen.

Dabei kann es dahinstehen, ob die einschlägigen Normen derBORA wertbezogen oder wertneutral sind, da die Gründer, dieRAe sind, bewusst gegen diese Vorschrift verstoßen haben. Ih-nen musste das anwaltliche Berufsrecht bekannt sein.

f) Die Bekl., die wie dargelegt selbst nicht an das anwaltliche Be-rufsrecht gebunden ist, haftet jedoch als Störerin, da sie die Na-mensgebung duldet (BGH, NJW 2001, 1791 – dentalästhetica).

g) Die berufsrechtliche Einschränkung der Namensgebung stellteine Einschränkung der Berufsausübungsfreiheit i.S.v. Art. 12Abs. 1 GG dar. Sie bedarf nach der Rspr. des BVerfG (BVerfG,NJW 1993, 2988; BVerfG, NJW 2000, 730; BVerfG, MDR 2000,1262) vernünftiger Erwägungen des Gemeinwohls. SolcheGründe liegen vor. RAe sind unabhängige Organe der Rechts-pflege und als solche Teil eines grundgesetzlichen geschütztenRechtsgutes (Art. 92 ff. GG). Das Vertrauen der Bevölkerung indie Rechtspflege setzt auch für RAe bestimmte Verhaltenspflich-ten voraus, die in der BORA zusammengefasst sind. Als Organder Rechtspflege ist ihnen nicht nur im Bereich der Werbungeine Zurückhaltung auferlegt, da sie einen freien Beruf ausüben,folglich nicht Gewerbetreibende sind und ihre Tätigkeit nicht inerster Linie vom Streben nach Gewinn, sondern maßgeblichvom Dienst am Recht und von der Absicht der Rechtsdurchset-zung für ihre Mandanten bestimmt ist. Mit einem solchenGrundverständnis anwaltlicher Tätigkeit lässt sich eine Kanzlei-bezeichnung mit einem reinen Phantasienamen nicht in Ein-klang bringen.

3. Kosten: Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

4. Vorläufige Vollstreckbarkeit: Die Entscheidung über die vor-läufige Vollstreckbarkeit erging nach §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

5. Die Zulassung der Revision: Die Revision gegen diese Ent-scheidung wird zugelassen, da sie der Fortbildung des Rechtsdient. Bisher ist höchstrichterlich über die streitgegenständlicheFrage nicht entschieden worden.

Unzulässige Ordnungshaft gegen einen Strafverteidi-ger; GVG §§ 177, 178

* Zwangsmaßnahmen gegen einen Strafverteidiger in derHauptverhandlung sind stets unzulässig. Gegen die Ansicht,wonach zumindest in Extremfällen die Anwendung vonZwangsmaßnahmen zulässig sein soll, spricht nicht nur dieStellung des Verteidigers als unabhängiges und neben Gerichtund Staatsanwaltschaft gleichgeordnetes Organ der Rechts-pflege, sondern auch vor allem der eindeutige Wortlaut der§§ 177, 178 GVG, die den Verteidiger als eine der Personen,gegen die eine Maßnahme nach diesen Vorschriften erlassenwerden könnte, nicht nennt.

OLG Hamm, Beschl. v. 6.6.2003 – 2 Ws 122/03

BRAK-Mitt. 5/2003 Berufsrechtliche Rechtsprechung 241

Weitere berufsrechtliche Rechtsprechung

Verstoß der Gründer gegen §§ 9, 33 Abs. 2

BORA

Vorsprung durchRechtsbruch

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Aus dem Tatbestand:

I. Der Betroffene RA Dr. N. ist Verteidiger des Angeklagten M.,gegen den die Staatsanwaltschaft Hagen den Vorwurf des Ver-stoßes gegen das BtMG erhoben hat. Die Hauptverhandlung indem Strafverfahren M. fand am 20.5.2003 vor dem Schöffenge-richt Hagen statt. An dieser nahm RA Dr. N. als Verteidiger desAngeklagten M. teil.

Nach Schluss der Beweisaufnahme beantragte der Vertreter derStaatsanwaltschaft die Festsetzung einer Gesamtfreiheitsstrafevon zwei Jahren unter Strafaussetzung zur Bewährung und Auf-hebung des gegen den Angeklagten bestehenden Haftbefehls.Der Verteidiger beantragte eine Gesamtfreiheitsstrafe von einemJahr unter Strafaussetzung zur Bewährung und ebenfalls Aufhe-bung des Haftbefehls. Nach Beratung wurde der Angeklagte zueiner Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Der gegenden Angeklagten bestehende Haftbefehl wurde aufgehoben undneuer Haftbefehl nach Maßgabe des verkündeten Urteils erlas-sen.

Im Protokoll der Hauptverhandlung vom 20.5.2003 ist der Fort-gang der Hauptverhandlung im Anschluss an die Verkündungdes Urteils wie folgt festgehalten:

„Der Verteidiger unterbrach das Gericht ständig bei seinem Ver-such, dem Angeklagten eine Rechtsmittelbelehrung nach Ab-schluss der Begründung des Urteils zu erteilen.

Er wurde mehrfach aufgefordert, zu schweigen.

Als er diesen Aufforderungen nicht nachkam, wurde die Sitzungunterbrochen und der anwesende RA Dr. N. wurde nunmehrnochmals aufgefordert, zu schweigen und den Sitzungssaal zuverlassen.

Auch dieser Aufforderung kam er nicht nach.

Daher wurde er zunächst auf Anweisung des Vorsitzendendurch die Wachtmeister aus dem Sitzungssaal geführt.

Es wurde wieder in die Hauptverhandlung eingetreten.

Dem Angeklagten wurde hinsichtlich des Urteils und des Haft-befehls eine Rechtsmittelbelehrung erteilt.

Die Sitzung wurde erneut unterbrochen und der störende RA Dr.N. zur Prüfung, ob gegen ihn ein Ordnungsmittel zu verhängensei, vorgeführt.

Zur Person; Dr. F.N.

Dem Störer wurde mitgeteilt, dass das Gericht erwägt, gegen ihnein Ordnungsmittel (Ordnungsgeld oder Ordnungshaft) zu ver-hängen, da er nach Unterbrechung der Hauptverhandlung ge-gen M. der Aufforderung des Gerichts, zu schweigen und denSaal zu verlassen, nicht nachgekommen sei und in unver-schämter Weise weitergeredet und darauf bestanden habe, spre-chen zu dürfen.

Dem Störer Dr. N. wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gege-ben.

Er erklärte:

Ich habe vor Unterbrechung der Hauptverhandlung gebeten, ei-nen Antrag stellen zu dürfen und, nachdem dies mir nicht ge-stattet worden war, gebeten, zu protokollieren, dass mir nichtgestattet worden sei, einen Antrag zu stellen.

Sodann habe der Vorsitzende nach Erinnerung des Störers nochvor Unterbrechung der Hauptverhandlung den Störer aufgefor-dert den Sitzungssaal zu verlassen und darauf hingewiesen, dassgegen ihn nach dem GVG sitzungspolizeiliche Maßnahmennicht zulässig sind.

Nach der Unterbrechung, so jedenfalls meine Erinnerung, habeich gesagt: „Sie brauchen mich nicht zu verhaften, ich verlasseden Sitzungssaal freiwillig.“

Das Gesamtgeschehen, angefangen mit meiner Bitte, einen An-trag stellen zu dürfen, bis zu meiner Verhaftung hat insgesamtnicht mehr als 60 Sekunden gedauert.

Der Vertreter der StA erklärte, dass nach seiner Einschätzungordnungsrechtliche Maßnahmen gegen den Störer nicht ver-hängt werden dürfen, da es sich um einen fortlaufenden Wort-wechsel gehandelt hat und er deshalb seine Verteidigerstellungdurch die während des Wortwechsels erfolgte Unterbrechungder Hauptverhandlung nicht verloren hat.

Das Gericht zog sich zur Beratung zurück. Nach Beratungwurde der Beschl. (des Gerichts) verkündet.

Beschluss:

In der Sache über die Verhängung einer Ordnungsmaßnahmebetreffend wird gegen den Störer Dr. N. gem. § 178 Abs. 1 GVGeine Ordnungshaft von 1 Tag festgesetzt.

Aus den Gründen:

Der Störer Dr. N. hat sich im Zusammenhang mit der Haupt-verhandlung gegen den Angeklagten M. am heutigen Tage einergröblichen Ungebühr schuldig gemacht. Er war an diesem Ver-fahren als Verteidiger beteiligt und unterbrach am Ende der Ur-teilsbegründung und vor Erteilung der Rechtsmittelbelehrung anden Angeklagten den Vorsitzenden und wollte, dass sofort einAntrag zu Protokoll genommen wird.

Nachdem der Vorsitzende mehrfach erklärt hatte, dass vor Er-teilung der Rechtsmittelbelehrung keinerlei Anträge mehr pro-tokolliert werden, versuchte der Störer Dr. N. seinen Willendurch lautstarkes und aggressives Weiterreden durchzusetzen.Hiermit fuhr er, trotz mehrmaliger Aufforderung durch den Vor-sitzenden zu schweigen, fort. Daraufhin unterbrach der Vorsit-zende wegen dieser Störungen die Sitzung und forderte den Stö-rer Dr. N. auf, nunmehr unverzüglich zu schweigen und den Sit-zungssaal zu verlassen. Dieser Aufforderung kam der Störernicht nach, sondern redete vielmehr weiterhin lautstark und ag-gressiv auf den Vorsitzenden ein. Er wurde nochmals unter Hin-weis auf die Unterbrechung der Sitzung unmissverständlich inlauterem Ton aufgefordert, zu schweigen und den Sitzungssaalzu verlassen. Auch auf diese Aufforderung des Vorsitzenden rea-gierte der Störer nicht. Erst nach diesen mehrfachen, ergebnis-losen Aufforderungen durch den Vorsitzenden, zu schweigenund den Sitzungssaal zu verlassen, ordnete der Vorsitzendeschließlich an, dass die Wachtmeister den Störer aus dem Saalentfernen.

Dem Störer wurde eine Rechtsmittelbelehrung erteilt. Der Stö-rer wurde durch die Wachtmeister in die Ordnungshaft abge-führt. Der Störer erhielt Ausfertigung des Ordnungsbeschlusses.Der Sitzungsvertreter der StA erhielt ebenfalls eine Beschluss-ausfertigung.

Der Betroffene wurde im Anschluss an die Verkündung desBeschl. in Ordnungshaft genommen. Er hat umgehend gegendie gerichtlichen Maßnahmen Rechtsmittel eingelegt. Auf diesofortige Beschwerde hin hat der Senat noch am 20.5.2003 –entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft – dieVollziehung des angefochtenen Ordnungshaftbeschlusses aus-gesetzt.

Inzwischen hat der Betroffene umfassend Stellung genom-men und beantragt, den angefochtenen Beschl. aufzuheben.In der Begründung seines Antrags hat der Betroffene auchzur Frage der Unzulässigkeit der Entfernung aus dem Sit-zungssaal Stellung genommen. Die Generalstaatsanwaltschafthat ebenfalls beantragt, den Ordnungshaftbeschluss aufzu-heben.

242 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 5/2003

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II.

1. Das Rechtsmittel ist zulässig (§§ 181 GVG, 311 StPO).

Aufgrund der Begründung des Rechtsmittels durch den Schrift-satz v. 26.5.2003 geht der Senat davon aus, dass der Betroffenesich nicht nur gegen die Festsetzung der Ordnungshaft, sondernauch gegen die vorangegangene (gewaltsame) Entfernung ausder Hauptverhandlung wendet. Zwar wird ausdrücklich nur dieAufhebung des Ordnungshaftbeschlusses beantragt, die Be-gründung verhält sich inhaltlich jedoch auch zu der Entfernungaus der Hauptverhandlung. Auch insoweit war somit eine Ent-scheidung zu treffen. Dem steht nicht entgegen, dass diese Maß-nahme inzwischen vollzogen ist. Es bedarf nach Auffassung desSenats keiner näheren Begründung, dass hinsichtlich dieserMaßnahme die Grundsätze der Rspr. des BVerfG zum fortwir-kenden Rechtsschutzinteresse Anwendung zu finden haben(vgl. dazu BVerfG, NJW 1997, 2163).

2. Das Rechtsmittel ist begründet.

a) Die Festsetzung bzw. der Erlass von Zwangsmaßnahmen inder Hauptverhandlung gegen den Verteidiger Dr. N. nach den§§ 177, 178 GVG ist unzulässig.

Die Frage, ob ein Verteidiger, der nach Auffassung des Gerichtsdie Hauptverhandlung stört, gem. § 177 GVG aus dem Sit-zungssaal entfernt oder gegen ihn sogar nach § 178 GVG einOrdnungsmittel erlassen werden kann, ist in Rspr. und Literaturumstritten. Die Literatur ist – soweit ersichtlich – einhellig derAuffassung, dass Zwangsmaßnahmen gegen den Verteidiger inder Hauptverhandlung stets unzulässig sind (vgl. u.a. Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., 2003, § 177 GVG Rdnr. 2 f.; Pfeiffer,StPO, 3. Aufl., § 178 GVG Rdnr. 4, KK-Diemer, StPO, 4. Aufl.,§ 178 GVG, Rdnr. 4 i.V.m. § 177 Rdnr. 2 GVG; Wickern inLöwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 177 GVG Rdnr. 7; Burhoff,Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 4. Aufl.,2003, Rdnr. 809). Dem hat sich in der Vergangenheit bereits dasOLG Düsseldorf angeschlossen (vgl. wistra 1994, 79).

Demgegenüber wurde in derRspr. in der Vergangenheit daraufabgestellt, ob ein extremes Fehl-verhalten des Verteidigers vor-liegt, das zu einer nachhaltigen

Störung der Hauptverhandlung bis hin zur Gefahr der Unmög-lichkeit der weiteren ordnungsgemäßen Durchführung der Ver-handlung führt. Für diesen Fall war/ist die obergerichtliche Rspr.der Auffassung, dass in solchen (Extrem)Fällen der Vorsitzendebefugt sein sollte, den Verteidiger aus dem Sitzungssaal zu wei-sen, ggf. sogar mit Gewalt (BGH, NJW 1977, 437; OLG Hamm,JMBl. NW 1980, 215; Malmendier, NJW 1997, 227, 232 ff.).

Der Senat schließt sich der Literatur an und gibt seine im Beschl.v. 13.6.1980 – 2 Ss 1079/80, JMBl. NW 1980, 215, in einemobiter dictum geäußerte entgegenstehende Auffassung aus-drücklich auf. Gegen die Ansicht, wonach zumindest in Ex-tremfällen die Anwendung von Zwangsmaßnahmen zulässigsein soll, spricht nicht nur die Stellung des Verteidigers als un-abhängiges und neben Gericht und Staatsanwaltschaft gleich-geordnetes Organ der Rechtspflege, sondern auch vor allem dereindeutige Wortlaut der §§ 177, 178 GVG, die den Verteidigerals eine der Personen, gegen die eine Maßnahme nach diesenVorschriften erlassen werden könnte, nicht nennt.

Eine analoge Anwendung derVorschriften der §§ 177, 178GVG auf den Verteidiger schei-det aus. Der Betroffene weist zuRecht darauf hin, dass im Bereichdes tangierten Art. 104 GG weder eine Analogie noch Rechts-fortbildung zulässig ist (vgl. dazu u.a. BVerfGE 29, 183). Es ist

vielmehr allein Aufgabe des Gesetzgebers, durch ein förmlichesGesetz Vorsorge dafür zu treffen, dass die Durchführung derHauptverhandlung nicht an einem ungehörigen Verhalten desVerteidigers scheitert (Meyer-Goßner, a.a.O.; Jahn, NStZ 1998,391 ff.; Gröner, Strafverteidigung und Sitzungspolizei, 1998;Burhoff, a.a.O.).

Demgemäß war der Beschl. des AG, durch den ein Tag Ord-nungshaft gegen den Verteidiger Dr. N. festgesetzt worden ist,aufzuheben und zudem festzustellen, dass die – zuvor erfolgte– Entfernung von Dr. N. aus dem Sitzungssaal nicht zulässig war.Etwas anderes folgt nicht daraus, dass die vom Vorsitzenden an-geordnete Entfernung des Verteidigers aus der Hauptverhand-lung offenbar während einer Unterbrechung der Hauptver-handlung erfolgte – das Protokoll der Hauptverhandlung ist in-soweit nicht ganz eindeutig. Denn dadurch wurde dieVerteidigerstellung des Betroffenen nicht aufgehoben. Auch dieZeit kurzfristiger Unterbrechungen zählt zudem zur „Hauptver-handlung“ bzw. zur „Sitzung“ i.S.d. §§ 176, 177, 178 GVG (vgl.dazu auch BGHSt 44, 23), so dass die eingeschränkte Anwend-barkeit der §§ 177, 178 GVG auf den dort genannten Personen-kreis unter Ausschluss des Verteidigers auch für diese Zeiträumegilt.

Da der Beschl. des AG hinsichtlich der Ordnungshaft schon ausden vorstehend dargelegten Gründen aufzuheben war, konnteschließlich die Frage dahinstehen, ob zum Zeitpunkt seines Er-lasses das AG überhaupt noch die Sitzungsgewalt und damit dieBefugnis hatte, Ordnungsmittel gegen den Betroffenen festzu-setzen (insoweit verneinend OLG Hamburg, NJW 1999, 2607).Denn immerhin war zum Zeitpunkt der Anordnung der Ord-nungshaft dem Angeklagten bereits hinsichtlich des Urteils unddes Haftbefehls die Rechtsmittelbelehrung erteilt.

b) Vorsorglich weist der Senat auf Folgendes hin:

Selbst nach der vom Senat bislang vertretenen Auffassung (vgl.den bereits erwähnten Beschl. v. 13.6.1980) wäre vorliegenddie Festsetzung von Zwangsmaßnahmen gegen den Betroffenen– wie auch die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend ausgeführthat – nicht in Betracht gekommen. Denn die Festsetzung vonOrdnungshaft hat der Senat auch schon damals als nicht zuläs-sig angesehen.

Er vertritt darin lediglich dieAuffassung, dass in Extremfällenggf. die zwangsweise Entfer-nung des verteidigenden RA ausdem Sitzungssaal und damit aus

der Hauptverhandlung zulässig sein könne. Als Extremfall an-gesehen worden ist dabei eine Fallgestaltung, die unaufschieb-bar nur – unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnis-mäßigkeit – durch die zwangsweise Entfernung des „Störers“ be-reinigt werden könne. Ein solcher „Extremfall“ hat hier abernach den Feststellungen des Protokolls nicht einmal ansatz-weise vorgelegen. RA N. hat – so auch die Begründung des Be-schl. des AG – zunächst lediglich als Verteidiger versucht, einenAntrag zu stellen. Dies mag dem Gericht in dem Stadium desVerfahrens lästig gewesen sein, es stellt aber keine (extreme)„Ungebühr“ dar, die es rechtfertigen würde, gegen den Vertei-diger Zwangsmaßnahmen zu ergreifen. Auch der sich auf Grundder Weigerung des Gerichts daraus entwickelte Wortwechseldes Vorsitzenden mit dem Verteidiger rechtfertigte eine Ord-nungsmaßnahme nicht, selbst wenn dem Verteidiger vom Vor-sitzenden nicht das Wort erteilt war. Der Senat weist darauf hin,dass sowohl der BGH als auch der Senat für ein der vorliegen-den Fallgestaltung vergleichbares Verhalten eines RA bzw. einesVerteidigers gerade den Erlass einer Zwangsmaßnahme aus-drücklich abgelehnt (vgl. BGH, NJW 1977, 437; OLG Hamm,a.a.O.).

BRAK-Mitt. 5/2003 Berufsrechtliche Rechtsprechung 243

Weitere berufsrechtliche Rechtsprechung

Zulässigkeit vonZwangsmaßnahmen in

Rspr. umstritten

Keine analogeAnwendung der §§ 177 f. GVG

ZwangsweiseEntfernung ggf. in

„Extremfällen“ möglich

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Kontrolle von Verteidigerpost; StVollzG § 29

* 1. Gemäß § 29 Abs. 1 StVollzG ist jede Überwachung der Ver-teidigerpost, d.h. jede Kontrolle des gedanklichen Inhalts derSendung unzulässig. Sinn und Zweck dieses Überwachungs-verbotes ist es, den unbefangenen Verkehr zwischen dem Ge-fangenen und seinem RA, d.h. ihren freien, vor jeder auch nurbloßen Möglichkeit einer Kenntnisnahme des Kommunikati-onsinhaltes durch Dritte geschützten Gedankenaustausch aufschriftlichem Wege zu gewährleisten.

* 2. Zulässig ist ausschließlich eine Prüfung, ob überhaupt Ver-teidigerpost vorliegt, die sich jedoch auf nur äußere Merkmalebeschränken darf.

OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 13.5.2003 – 3 Ws 292/03

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Unaufgeforderte E-Mail-Werbung gegenüber Rechts-anwaltskanzleien; BGB §§ 823, 1004

* 1. Eine unaufgeforderte E-Mail-Werbung gegenüber einer RA-Kanzlei stellt einen Eingriff in den eingerichteten und ausgeüb-ten Gewerbebetrieb dar.

* 2. Derartige E-Mail-Werbung macht für die Kanzlei eine in-haltliche Kontrolle notwendig, um zu verhindern, dass Daten,die für die Kanzlei wichtig sind, nicht versehentlich gelöschtwerden. Diese Sichtung ist mit einem Zeitaufwand, mit Mate-rialkosten und mit Personalaufwand verbunden, der nicht hin-nehmbar ist.

* 3. Eine Wiederholungsgefahr wird bereits beim ersten rechts-widrigen Eingriff vermutet. Diese Vermutung kann widerlegtwerden, wenn nachgewiesen wird, dass die Versendung durcheine einmalige Sondersituation veranlasst gewesen ist.

AG Bonn, Urt. v. 13.5.2003 – 14 C 3/03

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Vergütung für die Tätigkeit eines Assessors; BRAGO§ 4; BGB § 612

* 1. Für dieTätigkeit eines juristischen Mitarbeiters, der die Zu-lassung als RA (noch) nicht erhalten hat, sind die Vorausset-zungen des § 4 BRAGO nicht erfüllt. Dies führt jedoch nichtdazu, dass kein Vergütungsanspruch besteht.

* 2. Es begegnet grundsätzlich keinen Bedenken, bei einem As-sessor, der ein dem RA vergleichbarer Volljurist ist, als ange-messeneVergütung für seineTätigkeit einen Betrag anzusetzen,welcher der Gebühr entspricht, die er bekommen hätte, wenndie Voraussetzungen des § 4 BRAGO erfüllt wären.

* 3. Die Erstattung eines Abwesenheitsgeldes kann hingegennur verlangt werden, wenn eine entsprechende Vereinbarung

zwischen RA und Mandant oder zwischen Assessor und Man-dant nachgewiesen ist.

OLG Hamm, Beschl. v. 27.3.2003 – 4 Ws 94/03

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Postkontrolle eines von einem Rechtsanwalt an einenUntersuchungsgefangenen gerichteten Briefes; BRAO§ 43b; StPO § 119 Abs. 3

* Der Zweck der Postkontrolle eines an einen Untersuchungs-gefangenen gerichteten Briefes ist allein auf die Kenntnis-nahme von dem Inhalt zu erstrecken, um entscheiden zu kön-nen, ob unter dem Aspekt des § 119 Abs. 3 StPO der Brief zubeanstanden ist. Nicht hingegen ist es Aufgabe der Briefkon-trolle zu klären, ob ein RA durch dieVersendung des Briefes ge-gen § 43b BRAO verstoßen hat.

OLG Hamm, Beschl. v. 18.2.2003 – 4 Ws 75/03

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Anwaltliche Werbung – Angabe einer fachlichen Spe-zialisierung; BORA § 7; UWG § 1

* 1. Wirbt ein RA mit der Angabe „Bau-/Mietrecht Online-Be-ratung durch RA ... www.ra-(Ortsname).de“, verstößt er gegen§ 7 Abs. 1 Satz 3 BORA, weil er nicht die Bezeichnungen „In-teressen- und/oder Tätigkeitsschwerpunkt“ verwendet hat, wiedies bei personenbezogener Kennzeichnung fachlicher Spezia-lisierung erforderlich ist. Die angesprochenen Verkehrskreiseverstehen diese Werbung dahin, dass der RA über ein bloßesInteresse an diesen Gebieten hinaus eine auf Erfahrungen ba-sierende Kompetenz als RA in der Beratung in diesen Rechts-gebieten hat.

* 2. Eine Verletzung des § 7 Abs. 1 Satz 3 BORA ist nicht wett-bewerbsrechtlich unlauter i.S.v. § 1 UWG, soweit der betref-fende RA zum Zeitpunkt der Werbung gem. § 7 BORAgrundsätzlich berechtigt war, die beworbenen Rechtsgebieteals Tätigkeitsschwerpunkte zu benennen.

OLG München, Urt. v. 19.12.2002 – 29 U 3722/02

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Erfolgshonorar – Nichtigkeit eines Prozessfinanzie-rungsvertrages; BRAO § 49b Abs. 2; BGB §§ 134, 138

* Schließt ein von einem RA beherrschtes Unternehmen mit ei-nem Mandanten dieses RA einen Prozessfinanzierungsvertrag,so ist dieser Vertrag nach § 134 BGB nichtig, weil er das in§ 49b Abs. 2 BRAO festgelegte gesetzliche Verbot der Verein-barung eines Erfolgshonorars umgeht.

KG, Urt. v. 5.11.2002 – 13 U 31/02

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244 Berufsrechtliche Rechtsprechung BRAK-Mitt. 5/2003

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