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Dialektik nach Hegel und Adorno von Sascha Regier
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Dialektik nach Hegel und Adorno
von Sascha Regier
Dialektik, als philosophischer Begriff, taucht in der Philosophiegeschichte in unterschiedlich ge-
brauchter Form auf. Nach Platon, der Dialektik noch wesentlich als die richtige Gesprächsführung
im dialogischen Verfahren auffasste um durch diese zu Wahrheiten bzw. der Idee der Wahrheit zu
gelangen, bezeichnet Dialektik seit Aristoteles bis in die mit Descartes einsetzende Neuzeit im We-
sentlichen die Logik, also vor allem die Kunst des syllogistischen Schließens. Kant war es, der die
Dialektik mit der Vernunft zusammengeführt hat, was laut Hegel Kants großer Verdienst war und
Hegel sich hieran anschließend als Weiterdenker, bzw. als Vollender des dialektischen Verfahrens
nach Kant verstehen konnte, der damit die Dialektik zur wissenschaftlichen Methodik erhob, wo-
durch Philosophie in Wissenschaft überführt werden sollte. Bei Kant nimmt die Dialektik eine große
Rolle in seiner Kritik der reinen Vernunft ein, indem er in dem Abschnitt über die Antinomien der
reinen Vernunft Dialektik als Logik des Scheins, als von der Vernunft durchgeführte Schlüsse über
nicht auf Erfahrung basierende Wesenheiten darstellt (sich widersprechende Urteile über Gott, die
Seele und die Unendlichkeit). Hieran konnte Hegel anknüpfen und seine Form der Dialektik ausar-
beiten.
Hegels Dialektik Konzeption gilt als der Höhepunkt des deutschen Idealismus, der Philosophieströ-
mung die im Wesentlichen auf die Philosophen Fichte, Schelling und eben Hegel philosophisch be-
schränkt ist. Der deutsche Idealismus wollte die Aporien, in die sich die Vernunft durch die Aufklä-
rung manövriert hat, überwinden und sie davor bewahren, weiterhin subjektiv und instrumentell zu
sein, was sich durch den Jakobinerterror in der Schlussphase der Französischen Revolution ausge-
wirkt hätte. Das Wissen (und damit die Vernunft) sollte reflexiv werden, das Absolute (als einer der
Zentralbegriffe des deutschen Idealismus) sollte in Gedanken, als Vermitteltes, erfasst werden.
Durch die Überführung der Philosophie in ein philosophisches System sollte sich die Philosophie in
Wissenschaft verwandeln.
Das Wesentliche war also, Erkenntnis als Gegenstand des Bewusstseins zu betrachten und so das
Denken zu denken. Dies sah Hegel durch seine Methode der Dialektik ermöglicht.
Adorno und die anderen Theoretiker der Frankfurter Schule nahmen etwa 200 Jahre später das Kon-
zept der Dialektik als Denkanstrengung des reflexiven Wissens wieder auf, nachdem es als offizielle
Doktrin des Sowjetkommunismus in Verruf geraten und zum bloßen Glaubensbekenntnis des Dia-
mat geworden ist (vor allem ausgelöst durch Engels Wendung der Dialektik als Denkbestimmung in
eine Ontologisierung der Natur). Dialektik sollte Adorno wieder zur wahren Möglichkeit der Wahr-
heitsfindung werden, bzw. als Möglichkeit des kritischen Bewusstseins um den Unterschied von
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Wesen und Erscheinung der bürgerlichen kapitalistischen Warengesellschaft aufzeigen und dechiff-
rieren zu können. Dialektik fungierte hier im Wesentlichen als Ideologiekritik (wie dies schon bei
Marx angelegt war).
Hegel und Adorno haben in ihrer Art zu denken viele Gemeinsamkeiten, gehen doch beide Denker
von der Entzweiung als Quelle der Philosophie aus, als Abspaltung des Subjekts vom Objekt. Philo-
sophie soll als Wissenschaft und Bewusstseinsänderung zur Versöhnung der entzweiten Gesellschaft
führen. Adorno und Hegel sehen die Philosophie als im Wesentlichen durch die Subjekt-Objekt Be-
ziehung konstituiert. Philosophie (und damit eben Dialektik) soll Subjekt und Objekt wieder mitei-
nander versöhnen. Hegel sieht dies als durch die spekulative, die positiv-vernünftige Dialektik er-
reichbar, Adorno sträubt sich dem und insistiert hingegen auf einer negativen Dialektik. Hegels
Konzeption zielt auf eine Synthese von Subjekt und Objekt durch die Erkenntnis der Identität der
Identität und Nicht-Identität ab (schon angelegt in seiner ersten veröffentlichten größeren philoso-
phischen Schrift, der "Differenzschrift"), Adorno beharrt hingegen auf der bestimmten Negation. Er
vollzieht den letzten Hegelschen Schritt, den der Spekulation, nicht. Nichtidentität soll bei ihm ge-
rettet werden. Allbrecht Wellmer bezeichnete Adorno deshalb auch als "Anwalt des Nichtidenti-
schen". Nichtidentität bezieht sich also auf andere Subjekte als Alter-Egos, sowie auch auf die Ge-
sellschaft im Ganzen, der Geist soll nicht mit der Wirklichkeit identisch sein (was hingegen das He-
gelsche Programm als Desiderat setzt).
Hegel versucht mit seiner Philosophie Kants Philosophie weiterzudenken und von ihren Fehlern und
Aporien zu befreien. Vor allem der Vernunft kommt hierbei eine überragende Rolle zu. Er kritisiert
im Wesentlichen den Verstand, der bei Kant noch für wirkliche Erkenntnis von Gegenständen auf-
tritt (durch die Verstandeskategorien als Verknüpfung des Mannigfaltigen aus den Anschauungs-
formen Raum und Zeit). Hegel zeigt auf, dass der Verstand in fixen Bestimmungen der sinnlich
wahrgenommenen Objekten verharrt. Er setzt das erkennende Subjekt so in Negativität zu den Ob-
jekten. Hegel will aber beide als durcheinander vermittelt wissen, weil sonst keine Erkenntnis mög-
lich sei. Erkenntnis habe sich auch auf sich selber, auf das erkennende Subjekt zu richten. Selbstref-
lexion ist durch den Verstand aber hingegen nicht möglich. Hegel richtet sich explizit gegen die
Aufklärungsvernunft, da diese die Objekte nur zu instrumentellen Zwecken betrachte, die Wirklich-
keit vergegenständliche. Hegel will aber die Dualismen Kants, von Subjekt und Objekt, Ding an sich
und Erscheinung, Glauben und Wissen überwinden. Ausgehend von Kants Verstand, als Einheit des
Ich-Bewusstseins, will er das Wahre, die Vernunft, als vermittelt, als Resultat darstellen, eben durch
die dialektische Vermittlung von Subjekt und Objekt erreicht. Hegel wendet sich gegen die Erkenn-
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tnis an sich, wie die Dinge dem Wesen nach sind (im Sinne des Kantischen Ding-an-sichs). Das We-
sen ist hingegen die Vermittlung, weil Erkanntes immer Erkanntes eines Bewusstseins ist. Auch
richtete er sich vehement gegen Kants Vernunftbegriff, der auf nicht empirische Erkenntnisgegens-
tände bezogen ist. Es gebe keine transzendentale Metasprache. Begriffschemata haben immer eine
sozio-historische Bestimmtheit. Dies versucht Hegel durch sein Konzept der spekulativen Dialektik
aufzuzeigen. Sie ist im Wesentlichen inhaltliches Philosophieren, das die Einheit der Bestimmungen
in ihrer Entgegensetzung aufzeigt. Diese Denkbewegung ist die Vermittlung von Subjekt und Objekt
und damit die Erkenntnis der Erkenntnis. Das Denken soll sich selber denken. Im Vordergrund steht
als die Frage nach der Vermittlung, nicht die nach dem Wesen des Objekts. In seiner Enzyklopädie
(der Darstellung seines philosophischen Gesamtsystems) beschreibt Hegel sein Konzept der Dialek-
tik als aus drei Momenten bestehend, dem abstrakt-verständlichen Moment, das die Gegenstände
noch in ihren fixen Bestimmungen auffasst, dem dialektisch-negative Moment, das die Gegenstände
nun einem Negativen, einer Nicht-Identität gegenüber sieht und dem spekulativ-positiven Moment,
das eben die Identität der Identität und der Nicht-Identität ist, als die Erkenntnis der Vermittlung
zwischen Subjekt und Objekt. Das Subjekt hat sein Wesen im Objekt und andersherum. Das hieraus
erkannte Absolute ist der sich selbst wissende Geist und der Geist ist Substanz und Subjekt, womit
Hegel den spinozistischen Substanzbegriff verabschiedet. Das Objekt hat seine Wahrheit nur als
begrifflich Erfasstes und wird damit vom Ich (dem Selbstbewusstsein) als Erkennendem durchdrun-
gen. Hegels Identitätsdenken besagt also die Entsprechung der Einheit des Begriffs mit der Einheit
des Selbstbewusstseins. Das Ding an sich ist von Hegel also der sich selbst wissende Geist, das sich
selbst betrachtende Wissen.
Die Vernunft bringt das Mannigfaltige der sinnlichen Anschauung auf ein begriffliches Allgemeines,
indem das Unterschiedliche vereint wird. Im Urteil ist das Prädikat dann die allgemeine Bestimmung
des Subjekts. Die Wissenschaft der Logik behandelt die absolute Einheit des Begriffs und der Objek-
tivität. Der Begriff ist das spekulativ erschlossene, das noch das Sein und das Wesen als seine Vor-
stufen in sich enthält. Die Logik behandelt die Begriffe im Zusammenhang.
Adorno sieht die klassische deutsche Philosophie als Ausdruck bürgerlichen Denkens. Er verdeut-
licht, dass die Kategorien immer gesellschaftlich geprägt und damit ihre Zeit in Gedanken gefasst
sind. Hierbei nimmt er viele Thesen auf, die bereits im neomarxistischen Diskurs durch Georg Lu-
kacs und Alfred Sohn-Rethel vertreten wurden. Diese zeigten, wie die Abstraktionen durch die be-
grifflichen Kategorien im deutschen Idealismus und bei Kant Ausdruck der bürgerlichen Gesell-
schaft waren, die im Wesentlichen auf der Abstraktion der stofflich sinnlichen Qualitäten der Ge-
brauchswerte, zugunsten ihrer Tauschwerte, also der abstrakten Reduktion der in ihnen enthaltenen
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Arbeitszeit auf einen Durchschnittswert fußten. Diese Impulse nimmt Adorno für seine Dialektik-
Kritik auf und wendet sich hierdurch gegen den klassischen und orthodoxen Marxismus, der die
fortschrittliche Entwicklung der Philosophie beteuerte, aber nicht die Dialektik der Aufklärung dabei
erahnte. Auch Marx wirft Adorno explizit eine Propagierung der instrumentellen Vernunft vor, da
Marx sich nur um die Produktionsverhältnisse und Produktionskräfte kümmerte, die Natur dabei
aber nur als zu unterjochende darstellte.
Adornos Kritik setzt vor allem an Hegels Konzeption des Begriffs an, der als Allgemeines auftritt,
der alles Besondere des auszudrückenden Gegenstandes absorbiert und somit abgeschnitten hat. Der
Kern des philosophischen Idealismus ist Adorno zufolge die Entsprechung der Einheit des Ichs und
der Einheit des Begriffs. Bei Kant taucht die Einheit des Ichs durch die Einheit des Subjekts durch
die transzendentale Apperzeption als Quelle der Einheit des Begriffs auf, bei Hegel ist der Begriff
selber grundlegend. Nie wird jedoch das Objekt in seiner Nicht-Identität als nur Nicht-Identisches
und nicht als zu durch das Ich Subsumierendes betrachtet. Adorno hat eine tiefe Aversion gegenüber
dem System. Er versteht seine Philosophie hingegen als Antisystem, als "Verbindlichkeit ohne Sys-
tem". Sein Denken gilt dem Primat inhaltlichen, nicht formalen Denkens. Erfahrung kann daher als
ein Schlüsselbegriff gelten. Soziologie bestimmt Adorno daher auch als Erfahrungswissenschaft.
Erkenntnis habe nicht durch Definitionen, sonder Relationen zu erfolgen. Der Aversion gegenüber
dem definitorischen Denken, was Adorno zufolge immer identifizierendes Denken ist, was den Ge-
genstand beherrschbar zu machen trachtet, entspricht sein Modell der Negativen Dialektik, die als
Vernunftkritik auftritt und das Nicht-Identische der Subjekt-Objekt-Beziehung in seiner bestimmten
Negation zu retten versucht. Ein wesentlicher Unterschied zu Hegel besteht darin, dass Adorno nicht
die Identität von Sein und Denken voraussetzt oder als Ziel der Philosophie und Wissenschaft erach-
tet. Im Gegenteil, Adorno konstatiert die Unversöhntheit der bürgerlichen-spätkapitalistischen Ge-
sellschaft, die im Wesentlichen auf Warenproduktion und Produktionsverhältnissen beruht, die aus-
beuterisch und naturbeherrschend (innere und äußere Natur) sind. Er versucht in seinen Analysen
immer Philosophie (also die Subjekt-Objekt-Beziehung) mit Gesellschaftskritik zu verbinden. Seiner
Analyse der bürgerlichen Gesellschaft bedient er sich im Wesentlichen Marxscher Kategorien, wie
"Warenwirtschaft" und "Klassengesellschaft". Neben der Gesellschaftskritik übt Adorno durch seine
negative Dialektik zusätzlich immanente Kritik am idealistischen Begriff des Begriffs aus. Die Iden-
tität, die durch den Begriff ausgedrückt ist, reduziert das Objekt auf den Begriff, wodurch von sei-
nem Besonderen abstrahiert wird um es auf Allgemeinheiten zu reduzieren und es unter den Allge-
meinbegriff packen zu können. Identität ist dabei immer eine gedachte, niemals eine objektive.
"Denken heißt Identifizieren". Dabei stellt sich Identifizieren eigentlich gegen wirkliche Erkenntnis,
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da die begrifflichen Schemata nur sagen, worunter etwas fällt und nicht was es ist. Erkenntnis muss
also anders erfolgen als durch formale Systematisierungen durch (Allgemein-)Begriffe. Das Unwah-
re an Hegel sieht Adorno darin, dass Hegel die dialektische Vermittlung von Subjekt und Objekt am
falschen Ort, nämlich im Selbstbewusstsein ansiedelt, wodurch die Identität von Identität und Nicht-
Identität am Ende wiederum nichts als Identität darstellt. Auch falle Hegel hinter Kant zurück, da
Kant wenigstens durch seine Konzeption des unerkennbaren Ding-an-sichs noch eine Sphäre der
Nichtverfügbarkeit für das Subjekt in seine Philosophie hereinbrachte. Bei Hegel geht schließlich
alles in Geist auf, d.h. alles wird von den Subjekten erfasst, identifiziert und klassifiziert, auf Allge-
meinbegriffe gebracht.
Das Allgemeine, ausgedrückt durch die Begriffe, ist für Adorno (und hier übernimmt er Elemente
von Sohn-Rethel) das Äquivalenzprinzip. Beide drücken einen Abstraktionsvorgang aus. Die von
Kant und Hegel aufgestellte These von der transzendentalen Einheit der Apperzeption ist nichts an-
deres als die Abstraktion des Wertes auf den Tauschwert in der Warenwirtschaft des Kapitalismus.
Bei Sohn-Rethel heißt das "Realabstraktion = Denkabstraktion".
Adorno will durch seine Konzeption einer negativen Dialektik hingegen den Identifikationszwang
brechen, er will das Nicht-Identische erhalten, es nicht durch die subjektive Vernunft zu etwas für
sie Positiven machen, bzw. auf gesellschaftlicher Ebene das Denken gegenüber der irrationalen Welt
als ihr Heterogenes belassen. Bezogen auf den dialektischen Dreischritt geht Adorno die These und
Antithese mit, die Synthese vollzieht er hingegen nicht mehr. Gegensätze dürfen nicht affirmativ
gesetzt werden und damit aufgehoben, gleichgemacht werden. Es habe der Vorrang des Objekts zu
gelten, wünscht sich Adorno, man solle in der Gesellschaft leben können "ohne Angst zu haben,
verschieden zu sein". Dies besagt der Terminus "negativ" zum einen, zum anderen besagt er, dass
sich die Dialektik selbst überwindet, wenn die antagonistische Gesellschaft überwunden ist, da sie
nur durch sie besteht.
Erkenntnis muss Adorno vor allem auf die Erfahrung des Widerspruchs zwischen Begriff und Ge-
genstand, den der Begriff überdeckt, abzielen. Als Beispiel nennt Adorno hier den Begriff der Frei-
heit, der auf körperlicher Erfahrung basieren muss, während der Idealismus Freiheit rein ideell be-
stimmt. Philosophie habe sich neu auszurichten und sich gegen das Subjektivitätspostulat zu stellen
um die Unabhängigkeit von Subjekt und Objekt zu gewährleisten. Adorno sieht das in der Möglich-
keit verwirklicht, "mit dem Begriff über den Begriff" hinauszugehen, als durch eine zweite Reflexi-
on des Selbstbewusstseins über das transzendentale Selbstbewusstsein zur kritischen Selbstreflexion
zu gelangen. An wenigen Stellen (und nicht konkretisiert) spricht Adorno auch von "Konstellatio-
nen", die sich gegen einen definitorischen Oberbegriff richten, der die Identität von Begriff und Sa-
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che herstellen soll. Konstellationen zielen hingegen darauf ab, durch neue Begriffe den Gegenstand
aufzutun "ohne ihm Gewalt anzutun". Denken in Relationen, nicht in Definitionen, ist das Desiderat
für ein nicht verdinglichtes Bewusstsein.