A. Heidegger's Spätphilosophie

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  • 8/9/2019 A. Heidegger's Sptphilosophie

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    Wolfgang Cernoch

    Zu Heideggers Sptphilosophie

    Entscheidend zur Beurteilung der Philosophie Heideggers ist, ob ihm gelingt,die transzendentale Differenz in seinem Begriff des Daseins anders als mit der

    bloen berhhung des Subjektiven zu berwinden, von dessen Horizont desDaseins nicht nur Raum und Zeit, sondern auch die zeitliche Besonderheit eines

    jeweiligen Seienden vor dem Hintergrund der Frage, was an Stelle dieserBesonderung denn noch mglich gewesen wre, erst das von ihrer jeweiligentrivialen faktischen Existenz verschiedene eigene Sein als Dasein erhellt. DieEkstasen der Zukunft, der Vergangenheit und der Gegenwart bzw. des Jetztdrften, so wie in Sein und Zeit vorgestellt, zwischen Eigentlichkeit und

    Uneigentlichkeit gerade nicht dazu angetan sein, das Dasein als Horizont desSubjektiven zu verlassen, obgleich Heidegger immer schon bemht ist, dasSubjektive vom Horizont des Daseins zu trennen. Dabei scheint er aber zubersehen, da er seinerseits das Subjektive mit den Ich desSelbstbewutseins verwechselt, zumal seine drei Ekstasen im Grunde auf diePhnomenologie des inneren Zeitbewutseins Husserls beruhen (dieHeidegger 1928 herausgegeben hat): Dort wird erst zwischen Retention undProtention der Reproduktion als sekundre Wiedererinnerung eine Zeitstellegegeben. Husserl gelingt es derart, die selbst im teleologischen Urteil zwischenMittel, Zweck und Endzweck bei Kant unklar doppelt bleibendenUnterscheidung zwischen theoretischer und praktischer Vernunft zuunterlaufen: Allerdings nur als zeitliche Interpretation der eidetischenReduktion, wenn die nach rckwrts gewendeten Retentionen erst dieProtention bezeugen, die aus dem Archiv jenes Thema auswhlt, welches ebenaus diesen Retentionen wieder erinnert werden soll.

    Derart bleibt Husserl wiederum hinter Kant zurck, da er nunmehr gar nichtnach Zwecken frgt. Whrend also Husserl eine Mechanik des innerenZeitbewutseins entwirft, welche die Antizipation in der Protention von jeder

    Reflexion auf die praktische Vernunft freihlt, stellt sich Kant auf denStandpunkt, da der Grundsatz der praktischen Vernunft allein aus derReflexion auf die Zwecke ihrer Gegenstnde zu konstituieren sei. Der einevergit auf den bergang zur Zweckreflexion, der andere lt den bergangder Reflexion der Mittel als Gegenstnde der theoretischen Vernunftunterbelichtet.

    Inmitten dieser Problematik versucht Heidegger die Retention als Ekstase derVergangenheit, die Protention als Ekstase der Zukunft und die Reproduktionals Ekstase der sich hier als uneigentliche Gegenwart der Wiedererinnerung

    einstellende Dynamik der ffnung des Seyns zum Horizont der Seiendheit

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    (Innerweltlichkeit) gegenberzustellen. Der Verlust des berganges zur

    praktischen Vernunft bei Husserl scheint Heidegger zu erlauben, die zumNaturereignis reduzierte transzendentale Psychologie des Zeitbewutseins alsUnterlage zu nehmen, den Horizont des Daseins, welches meines Erachtensimmer vom Subjektiven getragen wird, auch fr das Verhltnis von Ereignisund Horizont in Stellung zu bringen, bei dem Ereignis nicht Wahrnehmungund der Horizont nicht Bewutsein ist.

    Zunchst erscheint dies als unmglich. Die leitende Ekstase der Zukunft schlgtnach der Erreichung ihres Horizontes um in die Ekstase der Vergangenheit,also der Vorblick geht ber in den Rckblick als Rckblick vom Vorblick aus.

    Dieser trifft aber nicht mehr jenen Zeit-Punkt, von dem aus der Vorblickgeworfen wurde (als Entwurf), sondern dieser hat sich selbst schon in der Zeitweiter bewegt. Er trifft also gerade den Zeitpunkt, von dem aus der Vorblickgeworfen wurde, aber nicht den Zeit-Punkt, von dem er geworfen wurde,denn der auch qualitativ bestimmbare Zeitpunkt hat sich mit der Zeit selbstweiterbewegt. Diese Differenz macht nun die Ekstase der Gegenwart(uneigentliche Wiedererinnerung) bzw. des Jetzt (eigentliches Bewutsein desDaseins in der Wiederholung) aus und umschliet als Bewutsein des Daseinsdie Horizonte der Ekstase als Horizont des Daseins. Da Heidegger nun in

    Sein und Zeit daraus die Zeit als Dimension messbarer Quanta erst ableitenwill, kann doch nur dann verstanden werden, wenn neuerlich dietranszendentale Differenz in Stellung gebracht wird: Die Konstitution desHorizontes des Daseins aus den Horizonten der Ekstasen der Zeitigung

    bringen sowohl fr die Gegenwart wie fr das Jetzt eine ihnenzugrundeliegende Zeitlichkeit zum Vorschein, und zwar jene, in der derZeitpunkt des ersten Entwurfes sich whrend des Entwurfes und seinerRckkehr selbst bewegt. Die von Heidegger auch ontologisch blo als aus derZeitlichkeit des subjektiven Daseins abgeleitet vorgestellte lineare Zeitlichkeit

    des Messens stellt sich so doch wieder anhand dieser Vorrckung als selbstursprnglich und den Horizonten der Zeitekstasen vorausgesetzt heraus.

    Allerdings zeigt Heidegger dort, wo er die Ganzheit des Horizontes desDaseins nicht mehr ber die Sorge (also als Verfallenheit) bestimmt, eines auf:nmlich, da der Raum und die Zeit zwar ihren Anteil an der objektivenExistenz besitzen, dieser Anteil aber nur am Horizont des Daseins als Horizontdes Bewutseins erscheint. Im Rahmen der Amphibolie des Begriffe vonExistenz und Wahrheit kommt so Raum und Zeit erst im Dasein zu Existenz.Ebenso wird die Sphre der Potentialitt der mglichen Seiendheit erst durch

    das in den Horizont des Bewutseins eintretende Seiende sichtbar. So kann

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    Heidegger zurecht sagen, die Lichtung ist seynsverbergend, indem das Seiende

    in der Lichtung die Potentialitt des Seyns verbirgt, indem das Seiende ist, wases ist, und nicht, was es sein knnte, noch was berhaupt sein knnte.Darberhinaus macht Heidegger immer wieder darauf aufmerksam, da dieLichtung nicht ist, sondern west: die Lichtung west als An-wesen des Seyns.Das Wesen des Seyns bleibt im Anwesenden wie in der Ankndigung desEreignisses abgrndig.

    Ob damit aber das hier relevante transzendentale Ideal gegenber der bloenPotentialitt der Sphre des Wahrheit und Falschheit wie Gut und Bseungeschieden enthaltenden Seyns vor jeden Seindheit in Stellung gebracht

    werden kann, bersteigt den Rahmen dieser ersten Stellungnahme.

    Andererseits: welche Art von Objektivitt als die transzendentale Differenzbersteigendes haben dann Raum und Zeit im transzendentalen Idealismus,welche Art von Objektivitt besitzt die Potentialitt des Seyns gegenber denAlternativen des blo mglichen Denkbaren und der Reihe mglicher WeltenLeibnizens? Diese letzten beiden Fragen sind nochmals grundlegendverschieden zu stellen: die erste stellt sich gegenber jeder mglichen Welt, diezweite stellt sich gegenber dem Seyn, demgegenber eine Welt als mglicheSchpfung selbst eine spezifische ffnung des Seyns zu einer bestimmten

    Dynamik wre.

    Heidegger weist also tatschlich eine neue Fragerichtung ber dietranszendentale Differenz hinausgehend an, wenngleich gerade anhand der

    jeweils in Rede stehenden Welt unter mglichen Welten, soll nicht die Weltwiederum unter die subjektive Perspektive fallen, auffllt, da dieUrsprnglichkeit von Raum und Zeit nicht mit der Ursprnglichkeit derWahrheit des Seins als seynsverbergende Lichtung des Anwesens des Seynszusammenfallen kann. Heidegger kann also die Dialektik der Lichtungzwischen Horizont des Ereignisses in einer Welt und Horizont als Weltgegenber den Seyn sowenig ausschalten, wie die Dialektik zwischen Horizontdes Daseins als Horizont des Bewutseins und als Horizont des Ereignissesauch ohne Horizont des Bewutseins.

    Weiters hat Heidegger noch das Erbe Husserls zu tragen, die Konstitution desinneren Zeitbewutseins auf Kosten der praktischen Vernunft, bestimmt zuhaben. Ihm drfte so obige Dialektik und dieser Verlust gemeinsam jeneProblemschwelle gebildet haben, die dazu gefhrt hat, zwischen Erde undWelt (vgl. Leibniz luniverse und monde) an Stelle zwischen Welt undSeyn noch die Gtter ins Spiel zu bringen, denen gegenber wir den Vorzugerwerben knnen, den Abgrund des Grundes bis auf den Grund zu gehen. Mit

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    dieser Ausbeutung indischer Esoterik (vgl. die wechselnde Bedeutung des

    Gottesbegriffes im Yoga) und der abermaligen ausdrcklichen Einfhrung dertranszendentalen Differenz mittels der Unterscheidung von Erde (Physis) undWelt, die freilich selbst zu ontologischen Ehren erhoben wird, abermals ohnedamit zu einer ersten Ontologie zu kommen, die Basis einer Ontologie derGeschichte sein knnte, gelangt Heidegger nahezu am Ende der Schrift VomEreignis zum letzten Gott und somit an Stelle zur Auflsung seiner von ihmoft nur angedeuteten Frage wenigstens in eine deutlich gestellte Frage,angesichts deren ein Verstummen kein Verschweigen mehr wre, nur zuVerdoppelung des Problems, das schon zwischen der Kantschen Idee des

    Raumes und der Newtonschen Idee des Raumes als Anschauungsraum Gottesbestanden hat.

    Sowohl der Entwurf der Zeit als Zeitigung der Ekstase wie der Entwurf derLichtung als das Seyn verbergende An-Wesen des Seyns im Seienden (ohnedemselben west blot das Seyn in der Lichtung des eigenen Daseins) bleibenalso Hinweise eines groen Philosophen, wenngleich auch von vorneherein zukonstatieren ist, da weder da noch dort Heidegger verstanden hat, seineeigene Entwicklung fglich in Verbindung mit der Tradition zu stellen, dereneigentliches Wesen er allererst zu erhellen getrachtet hat, sondern der in die

    Uneigentlichkeit verfallenden Moderne das Siegel eines neuen Anfangsknstlicher Primitivitt aufdrckt, das selbst aber im Werk Heideggerspolitisch unbenannt bleibt.*

    *Die erste Kritik am konservativen Christlich-Sozialen Standpunkt bezieht sichzunchst darauf, da dieser den Strukturen des internationalen Handels undder technisch-produktiven Krfte entgegensteht. Die Entwicklung dertechnisch-produktiven Krfte hngt von den Mglichkeiten des Handels mit

    ab. Auf die Entwicklung der Produkte mchten wir trotz der abgelehntenFolge extensiven Gebrauches (der allerdings die Voraussetzung frwirtschaftlichen Erfolg der technisch-praktischen Krfte sein drfte) nichtverzichten mssen. Ebenso wenig auf die heute schon wieder beinahe berholtscheinenden Errungenschaften von der Unabhngigkeit der Gewaltenvoneinander im Staat und dem Problem deren demokratische Legitimierung. Die Kritik an Schlegel bezieht sich auf die sozialromatische Vorstellung einernaturrechtlich und naturphysiologisch fundierten stndischenWirtschaftsordnung.

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    Die Kritik der christlich-sozialen Konservativen am Beginn des Neunzehnten

    Jahrhunderts an der Umgestaltung des Staates zu einer effizienten Verwaltungund einheitlichen Rechtssprechung hat sich aber in den Folgen der politischenund industriellen Revolution (Nationalismus und Massenverelendung) doch alsgerechtfertigt gezeigt.