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Helsinki: Suomalaisen Tiedeakatemian Toimituksia, 1913. IV + 87 pp. Folklore Fellows' Communications No. 13.
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5/13/2018 Aarne, Antti: Leitfaden der vergleichenden Märchenforschung. - slidepdf.com
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FF COMMUNICATIONS N:o 13
l E I T F A D E f t
DER
Y l R f i U I [ H f n O f n M l f t ( H ( f t n R U H U n ~VON
ANTTI AARNE
HAM INA 1913 ,
SUOMALAISEN TIEDF.AKATEMlAN KUSTANTAMA
O r ig in al f rom
U N IV E R S IT Y O F M IC H IG A N
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1-
HAMINA 1913,
I"IAMJN,.\.N SUOM/t . .LAINEN SANOMAlEHTI~ JA KIRJAPAINO~O.·Y.
)(,oogk Original from
U N IV E R S IT Y O F M I C H IG A N
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Vorwort ..
Das vorliegende Werk beabsichtigt die Marchenforscher
mit der geographisch-historische nUn tersuc hungsmethodebekannt zu machen. 1m ersten Absehnitt werde ich emige
Gesichtspunkte allgerneiner Art fiber die MArchen darstellen,
besonders ilber deren Ursprung, soweit die gegenwartige
Forschung diesc Dinge ZUi erkennen vennag. 1m zweiten
Abschnitt werde ich die in den Marchen geschehenden
Veranderungen beschreiben, von deren Kenntnis die Ermit-
tdung der Schicksale der Marchen zunlchst abhAngt. Nach-
dent wir dann ir n dritten Abschnitt mit der Untersucbungs-
methode selbst bekannt geworden sind, Iolgen im vierten
praktische Winke far die AusfCthrung der Forsebungsarbeit.
Schliesslich referiere ich den Hauptinhalt der Marchen,
die als Beispiele zur Beleuchtung verschiedener Umstande
gewohnlich herbeigezogen sind, Als Erganzung zu dem
\~lerkewjrd in der folgenden Nummer von FFC eine Uber-
sicht der bei der Untersuchung notigen Ma.rchenHteratm'
erseheinen.
Man kann verschiedener Ansicht daruber sein, ob das
von mir angewandte Verfahren, einige wenige Mlrchen als
Beispielezu benutzen, der AufklArung der Dinge zum Vorteil
gereicht hat, Es ist zuzugeben, dasseine grOssere MArchen-
menge eine mehr variierende Beispielwabl n~Oglich gemacht
bltte. Meine Behandlungsweise hat sich zunaehst von dem
Wunsche hergeleitet, das Werk so zu gestalten, dass auch
die mit den Marchen weniger Vertrauten esanwenden
kOnnen. Und unzweifelhaft ist es fOr jeden leichter, die
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IV ANrt1 AARNE, Leitfaden.-- ------ --~~- ~- ---~. - -
ffC 13
Beispiele aufzufassen, wenn sie aus MlrcheD genommen
sind, die er genau kennt und die man bei Bedarf in dem-
selben Werke wieder lesen kann. Bass die von mir be -
nutzten Mlrchen hingereicht haben, Beispiele fOr die ver-
schiedenen Falle zu bieten, das wird, hoffe ich, aus dem
\Verke deutlich werden.
Den herzlichsten Dank drOcke ich hiermij den Herren
Prof. Kaarle Krohn und Axel Olrik aus f O r die von ihnen
erhaltene Unterstiitzung. Der erstere hat ausser dem, was
er durch seine grundlegenden Untersuchungen fOr die Sachegetan hat, mir im Laure meiner Arbeit durch seine Rat-
schlage geholfen, und der letztere hat mil"Manuskripte eines
unter Arbeit befindlichen, die Grundfragen der Volksdich-
tung behandelnden grOsseren Werkes .zur Einsicht Ober·
lassen.
Berlin, den 15. November 1913.
Coogle
,,. . .
O r ig in a l f ro m
U N IV E RS IT Y O F M IC H IG A N
Antti .Aarne.
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l. Ursprung der Marchen.
Die Frage nach dem Ursprung der Marchen hat den
Marchenforschern viel Anlass zurn Nachdenken gegeben.
Was sind die Ma.rchen, wo und wann sind sie entstanden,woher ruhrt das Vorkommen ahnlicher MArchen in ver-
schiedenen Landern '!
Die Beantwortung dieser Fragen terschien denen beson-
ders schwierig, die als die ersten die MArchen wissenschaft-
Iich 7.U erforschen begannen,. den deutschen Brndern Grimm,
Ihre ausfOhrliche Kenntnis der Literatur und ihr tief- und
weitgehender Blick erzeugten bei Ihnen ganz andere Gedan-
ken fiber die MArchen als diejenigen, die zu damaJiger Zeit
gang und gflbe waren und heute noch in dem Publikum
vorherrschen, das der Entwicklung der wissenschaftlichen
Forschungsarbeit nieht folgt, den von ihr gewonnenen
Ergebnissen fernsteht. Man hielt die Ma.rchen "fOr wun-
derliche Erzablungen, wie sie sieh Mntter und Warterinncn
erdenken, urn damit die Kinder zu unterhalten. Es sind
leichte, regellose Machwerke einer spielenden Einbildungs-
kraft. Ein jeder kann dergleichen machen, welcher diese
Kraft besitzt, Wenn sie aber gut erzahlt worden, so kOnnen
wohl auch Erwachsene daran Gefallen Iinden", Mit diesen
Worten hat im Jahre 1864 der Osterreicher J. G. VOIIHahn I) die populate Auffassung geschildert.
Den Grund zur MArchenforschung legten die Bruder
Grimm durch ihre bekannte Ma.rchensammlung »Kinder- und
1) Hahn v., J. G., Griechische und albanesische MArchen I
(186.j..), Einleitung S. 1.
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2 ANTI .• AARNE, Leitfaden.~-~
FFC 13
Hausm"rchen.:l, die im zweiten Jahrzehnt des 19. jahrhunderts
erschien. lhre Gedanken fiber den Ursprung der Mlrcbenhaben sie teils in den an die Sammlung anknupfenden
"Anmerkungen ( I , teils anderswo dargesteUt.
Die grimmsche MArchensammlung unterscheidet sich
von den Iruheren ahnliehen Sammlungen dadurch, dass
darin die Volkserzahlungen in der Form, wie sie aus dern
Munde des Volkes gekommen waren, ohne absichtliche
Veranderungen beibehalten werden sollten. Das Bestreben
der Bruder Grimm, die Ma.rchen in der volkstumliehen Form
zu erhalten, fliesst aus der Auffassung her, die sie von den
Marchen hatten. Sie setzten narnlich die Marchen in Zu-
sammenhang mit denfalten Mythen. Sie sind, sagten sie,
das letzte Echo der allen arischen My then und leiten auf
diese Weise ihren ersten Anfang aus dem gemeinsamen
Urheim der arischen Vo~ker ber. Als die Mythen sich bei
den verschiedenen Volkern mit del' Zeit veranderten und
urnformten und zuletzt ganz verfielen, entstanden aus den
Oberresten derselben die Volksmarchen. Die Bruder Grimm
schreiben also die MArchen zunachst den arischen VOl kern
als Eigentum zu, weshalb man die von ihnen vertretene
Gedankenrichtu.ng die ar is c he The 0rie nennen kann.
Ober die gemeinsamen Ausseren Grenzen der Ma.rchen und
ihre Verwandtschaft aussert Wilhelm Grimm u. a.: 1) "Die
Grenze wird bezeicbnet durch den grossen Volksstamm, den
man den indogermanischen zu benennen pflegt und die
Verwandtschaft zieht sich in immer engern Ringen um dieWohnsitze der Deutsehen, etwa in demselben Verhaltnis,
in welchem wir in den Sprachen der einzelnen, dazu geho-
rigen Volker Gemeinsames und Besonderes entdecken."
Die \Vanderung der Marchen von einem Lande zum ande-
ren leugnen die Bruder Grimm [edoch nieht ganzlich, sie
halten es sogar in einzelnen Fallen fnr wahrscheiulich, dass
1) Grimm. KHM (Reclam) III S. 435.
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F F C _ ] _ 3 _ . . ~ _ _. . __!l_r~prung der MArchen. 3
ein MArchen von einem Volke zum andern o.bergegangen
und dann auf dem Iremden Boden fest gewurzelt sei. I )
Um den Wert del" Volksmarchen in den Augen der-
[enigen zu erhohen, die ihnen wissenschaftliche Bedeutung
nicht zuerkennen wollten, finder es Jacob Grimm angezeigt,
die wissenschaftliche Hehandlung der Marchen zu verteidigen.
In der Einleitung zu Felix Liebrecht's deutscher Ubersetzung
des Pentamerone aussert er nArn1ich: I) "Gegenwlrtig bedarf
es keiner Entschuldigung daftir, class diesen merkwOrdigen
Oberlieferungen aller Ernst und aile Genauigkeit des For-schens und Untersuchens zugewandt werde, die wir der
Sprache und den Liedern des Volks endlich uberhaupt
wieder angedeihen lassen. Sie mogen fortfahren, wie sie
es lange Zeit hindurch unvermerkt im stillen getan haben,
zu erheitern und zu unterhalten; allein sie dOrfen [etzt
zugJeich wissenschaftlichen Wert in Anspruch nehrnen, der
ihnen vie) weitere und allgemeinere Anerkennung sichert, 61
Die grimmschen Ansichten nber den Ursprung der
Marchen gewannen allgemeine Anerkennung. Einer ihrer
Anhanger war der schon erwahnte Osterreicher J. C. v.
Hahn, der nach grimmscher Auffassung das erste MArchen-
typensystem bildete :i), ferner der bekannte Orientalist Max
Muller, der Italiener Angelo de Gubernatis und mit ihnen
viele andere, die von dem Standpunkt der Naturerschei-
nungen das Entstehen del' Mythen und der MArchen zu
erklaren versuchten. Von der Beschaffenheit der letzter-
wAhnten Gedankenrichtung gibt die folgende Deutung AndreLefevre'» fiber das Rotkappchenrnarchen eine Vorstellung : .')
I) Grimm, KHM (Reklam) III S. 428.
•) Liebrecht. Pent. (1846) 1 s. VIII; in H. Floerkes neuer
Bearbeitung (1909) s . IX.
S) Hahn V., J. G., Griechische und albanesische Marchen I
(1864), Einleitung.
') Martens, Charles, L'origine descontes populaires (1894)
S. 27 u, Forke, A'I Die indischen Marchen (1911) s . 24.
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ANTIt AARNE, Leitfaden, FFC m3~------,--- - - -- _.- ~~.-~- ---------
"Die rote Kappe ist das Rot der MorgenrOte, und Rot-
kappchen selbst fst die MorgenrOte, Der Kuchen und der
Topf Butter, die sie bringt, weisen vielleicht auf die Opfer-
brote und die als Opfer dargebrachte Butter, Die Gross-
mutter ist eine Persenifikaeion der alten MorgenrOtt".,
dern sich [ede neue anschliesst, Der Wolf ist entweder
die verzehrende Sonne oder die Wo1keund die Nacht ..1
In solcbem Phantasiespiel ginR man so weit, dass der
wissenschaftliche Ernst ganzlich zu verschwinden begann.
Es vergjng eine lange Zeit, ehe die grimrnschen An-sichten auf ernsteren Widerstand stiessen, Im Jahre 1859
stellte der gottluger Sanskritforscher Theodor Ben.l~vin der
Einleitung zu der deutschen Obersetzung des Pantschatantra
fiber den Ursprung der MArchen eine neue Auffassung auf,
die die MArchen von del" ihnen von den Brndern Grimm
gegebenen geheimnisvoUen mytbischen H u n e befreite und
sie mit der Literatur verband, Nach Henley stammen beinahe
alle Marchen aus Indien, wo der Buddhismus sie geschaffen
hat _. davon der Name ~nd is c h e The 0rie - und von
dort sind sie hauptsachlich durch die Vermittlung der Lite-
ratur fiber die ganzeWelt gewandert, Nur die Tiermarehen,
die in den Asopischen Fabeln tltere Vertreter haben als in
den indischen, haben sich in entgegengesetzter Richtung
bewegt, von Griechenland nach Indien, In ihrer Art waren
die indischen Mlrchen 50 vorzngllch, dass sie bald die bei
den verschiedenen Vc,lkern moglicherweise bekannten Ahn-
lichen Erzlhlungen verdrangten und leicht nationalisiert
wurden, Benfey meint, die Verbreitung der Milrchen sel
vonr 10. Jahrhundert an gesehehen, als die islamidschen
VOlker sich immer mehr mit Indien bekannt zu machen
begannen und die indischen Erzshlungssammlungen aich
durch Obersetzungen in den islamitischen Reichen in Asien,
Afrika und Europa und dureh sie in dem christlichen
Okzident verbreiteten, Nach den Gebieten im Osten und
Norden hatten die ~nd~schen Mlrcben schon fruller Init der
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fo'FC13 Ursprung der MArchen.--------------~--~-~-.----- 5
buddhistischen Literatur zu wandern begonnen. Die lite-
rarische Verbreitung vermittelten in erster Linie das per-sische Tuti-Nameh und die arabischen und hochst wahr-
scheinlich die jud:ischen Schriften. I)
AhnJiche Ansichten scheinen schon fruher unter den
Forschern bekaont gewesen zu sein. Das beweisen folgende
von Jacob Grimm in del" Einleitung zu F,Ux Liebrecht's
Obersetzung des Pentamerone 1846 geausserteWorte: 1 1 ) "Man
lasse fahren den Wahn, die Marchen seien an irgendeiner
begOnstigten Stelle aufgewachsen, und von da auf lusserlich
nachweisbarem Weg oder Pfad in die Ferne getragen worden.
Das ist jetzt schon durch sorgfaltige Sammlungen widerlegt."
Benfey's Auffassung gewann leicht an Boden, beson-
ders unter den eigentlichen Marchenforschern, die schon
aufzutauchen begannen. Die bemerkenswertesten seiner
Anhanger sind Reinhold Kohler und Em. Cosqui«. Der
erstere betonte die Wichtigkeit der Behandlungsweise, die
die einzelnen Marchen in der Zeit so weit als mOglich
zuruckverfolgeu woHte, und dachte, dass man auf diese Weiseimmer nach Indien komme. Der letztere ging so weit, dass
er schon die Existenz der modernen indischen Parallel1en
(fir genugend hielt, den indischen Ursprung zu beweisen.
Gegen die benfeysche Auffassung vom Entstehen der
MArchen in historischer Zeit erhob sich unter den Anthro-
pologen eine andere, die ihren Ursprung in die Iruhesten
Zeiten der VOlker verlegte. Die Hauptvertreter dieser sog.
ant h r0polo g is c hen The 0rie sind die englischcn
Gelehrten E. B. Tylor und besonders Andreu. Lang. Tyler
war in seinen Forschungen auf dem Gebiete der menschlichen
Sitte und des menschlichen Glaubens zu der Erfahrung
telangt, dass die altesten religiosen Grundsatze, Z. B. die Auf-
fassungen von dem gegenseitigen Verhaltnis des Korpers und
I) Benf'ey, Th., Pantschatantra I (1859). Vorrede XXI ff.
t) Liebrecht, Pent. (1846) I S. IX; in H. Floerkes neuer Bear-
beitung (1909) s. X.
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6 ANTlI AARNE, Leitfaden. F.FC 13
der Seele, von den Geistern u, a. bei allen VOlkern die
gleichen waren, ohne dass man von dem Einfluss einesVolkcs auf das andere sprechen konnte. Nach diesen
GrOnden schliessen die Anthropologen: da die ursprang-
~iche Denkart, del" Gleube und die Phantasie bei allen
Velkerri sehr ahnUch sind, folgt daraus, dass in verschiede-
nen Gegenden selbstandig 4hnliehe Marchen entstanden
sind. Die gleichen seelischen Voraussetzungen erzeugen ja
gleiche Produkte. Die Obereinstimmung der Mlrchen bei
den verschiedene~ VOlkern braucht also nicht aufeinegegenseitige Abhangigkeit oder EnUehnung 'hinzudeuten,
sondern sie ist ein Ergebnis des mehrmaligen Entstehens
der Mlrchen.
Es zeugt von dem Fernblick der Bruder Grimm, dass
sie schon in ihrer Zeit die Ml'Jglichleit auch derartiger
Ansfehten bernerkten. Wir wollen mit dem Vorangehenden
folgeode aus dem dritten Sande der ",Kinder- und Haus-
~nlrchenu entnommene Worte vergIeichen: I) "Es giebt abe ...
Zustande, die so einfach und naturlich sind, dass sie fiber·
all wiederkehren, wie es Gedanken giebt, die sich wie von
selbst einfinden, es konnten sich daher in den verschie-
densten] Landern dieselben oder doch sehr ahnli,che MAr-
chen unabha.ngig von einander erzeugen: sie sind den ein-
zelnen VvOrtern vergleichbar, welche aueh nicht verwandte
Sprachen dureh Nachahmung der Naturlaute mit geringer
Abweichung oder auch ganz uberdnstimmend hervorbrin-
gen. if Neben der Hauptauffassung der Bruder Grimm wurdendiese Hue Gedanken jedoch weniger beachtet,
Von diesen drei fUr die ErklArung des Ursprungs der
Ma.rchen eingetretenen Hauptrichtungen hat die grimmsche
heute nur wenig Bedeutung mehr, zu der bCllfeysch2'n
bekennen sich noch einzelne Forscher, obgleich die Ein~
seitigkeit der Ansichten Benfeys starkgemildert werden
i) Grirmn, KHM (Reclam) III S. 427.
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FFC 13 Ursprung der Marchen.----~-----------
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musste, die neueste, engJiscbe dagegen hat noch viele
Anhanger,Gegen alle diese Theorien. sind Einwande erhoben
worden.
Was zuerst die grimrnschen Ansichten betrifft, reicht
die von ihnen dargestellte Herleitung der Marchen von
ihrem ersten Ursprung aus der Urheimat der arischen Velker
keineswegs hint die Obereinstimmung zu erklaren, die
zwischen den Ma.rchen der verschiedenen LAnder besteht,
Wenn diese Ubereinstimmung in dieser Weise entstanden
ware, wurde sie sich in keinem Faile weiter als auf den
Grundgedanken oder die Hauptzftge der Erzahlung erstrecken.
Jetzt bemerkt man [edoch oft auch in den unbedeutendsten
Nebenumstanden Ahnlichkeiten, und die Zusammenstel1ung
langer, komplizierter Erzahlungen ist in verschiedenen
Landern dieselbe.
Die grimmsche Ansicht, dass die Marchen besonders
den indogermanischen Volkern zugehorcn, kann in unserer
Zeit keinen Glauben mehr finden. Die enorm angewachse-nen volksUim1ichen MArchenvorrate und die vorgeschrittene
F orschung haben unwiderleglich bewiesen, dass die MAr-
chen nieht nur den indogermanischen Volkern zugehoren,
sondern dass man dieselben MArchen bei den verschiedensten
V(')lkern antreffen kann. Wenn die Bruder Grimm die
Forschungsmittel unserer Zeit zur VerfGgung gehabt hatten,
wire ihr Gedanke von dem Indogermanismus der MArchen
nie entstanden. Sie bezweifelten aueh selbst teilweise die
Dauerhaftigkeit dieser Ansicht, wie wir aus folgenden Warten
Wilhelm Grimm's entnehmen konnen: I) "SO gewiss fUr
jetzt die angegebene Grenze gilt, so ergiebt sich vielleicht,
wenn noch andere Quellen sich aufthun, die Notwendigkeit
einer Erweiterung, denn mit Erstaunen erblickt man in den
Marchen, die von den Negern in Bornu und den Bet-
I) Grimm, KHM (Reclam) III S. 435.
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ANTTI AARNE, Lehfaden. FFCI3.~.~~
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schuanen, einem Wandervolk in Sudafrika, bekannt gewor-
den sind, einen nicht wegzuleugnenden Zusammenhang mitdeutschcn, wahrend ihre eigentumliche Auffassung sie
wiederum von ihnen trennt."
Die benfeysche Theone zeigt einen grossen Fortsehritt
darin, dass sie die Obereinstimmung der Marchen in den
verschiedenen Landern auf gegenseitige Entlehnung zurfick-
fuhrt. Nach ihr haben die Marchen einen bestimmten
Geburtsort, von dem sie sich anderswobin verbreitet haben,
Ein offenbarer Irrtum aber ist es, die Heimat beinahe aller
.MArchen nach Indienzu verlegen. Der Umstand, dass in
Indien in alten Zeiten viele Marchen bekannt und beliebt
waren, berechtigt nieht zu dieser Annahme, Warum sollten
wir bei anderen Volkern die Fahigkeit der MArchenschopfung
leugnen? Die Sache wurde umso bedenklicher, als Benfer
den Tiermarchen eine Ausnahmestellung zuwies, indem er
sie aus Griechenland herleitete. Hiergegen hat man mit
Recht bemerkt, dass es widersinnig sei, den Griechen die
Schopfung der einen Marchenart zuzuerkennen, sie ihnenaber auf anderen Gebieten abzusprechen. Die benfeysche
Ansicht fiber den indischen Ursprung der Mlrchen hat aile
ihre Bedeutung verloren, nachdem die Forschung erwiesen
bat, dass viele MArchen anderswo als in Indien entstanden
sind.
Unrichtig ist bei Benfey aueh die zu grosse Bewertung
der Literatur bei der Verbreitung der MArchen. Dazu ver-
leitete ihn wahrscheinlich die Reichhchkeit der alten indischenMa.rchen~iteratur, als deren Gegengewicht man das volksttim-
liche MArchenmaterial zu seiner Zeit noch ziemlich wenig
kannte, Es ist cine sehr natOrliche Bemerkung, dass die
a.1tere Iiterarische Existenz der indischen Mlrchen noch
nicht bedeutet, dass diese schriltlichen Bearbeitungen die
Urquelle der Marchen waren, welche in anderen Landern
als volkstiimliche Erzahlungen bekannt sind. Die letzteren
haben, wer weiss wie lange, in dem Munde des Vo1kes
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gelebt, Und ausserdem hat die Forsehung fiber die ein-
zelnen Mlrcben festgestellt, dass das volkstumliche MArchen
gewehnlich eine altere Mlrchenform reprasentiert als die
indischen oder beliebige andere Iiterarische Bearbeitungen
und dass der Forscher darum sein besonderes Augenmerk
auf das volksttimliche Marchen zu riehten hat.
Was wiederum die anthropo1ogische Theorie anbelangt,
enthalt sie unbestreitbar viel Anregendes und theoretisch
wohl Durehdachtes, und auf bestimmten Forschungsgebieten
hatsie ohne Zweifel doe grosse Bedeutung, aber die Fragenach diem Ursprung del' MArchen ist sie nur in sehr gerin-
gem Mass,e imstande zu beleuchten, Es ist zwar moglich,
dass bel den Volkern, die im Naturzustande leben, ahnliche
Gedanken und Phantasiebilder entstehen, Das GefQhl von
dem Unterschied zwischen dem Menschen und dem Tiere
istz. B. so unbestimmt, dass man den Menschen selbstan-
dig in verschiedenen Gegenden in einen naheren Zusarnmen ..
bang mit dem Tiere, ja Bogar miteinem leblosen Gegenstand
setzen kann, er wahlt ein Tier zu seiner Gemahlin, man
denkt slch den Ubergang der Seele aus dem Menscben
irgendwohin usw., aber von hier ist es noch ein weiter
Weg zu den MArdllen. Die Marchen sind keine primitiven
VorsteUungen und Phantasiebilder, und die Uberelnstimmun-
gen zwischen den MArchen der verschledenen Lander
beschranken sich nichtauf einen solehen Zug allgerneiner
Art, sondern erstreeken slch, wie in der Besprechung del'
grisnmschen Ansichten schon erwahnt .wurde, einerselts aufEinzelheiten der Erzlhlung~ bisweilen sogar auf den Aus-
druck und aadererseitseuf das Ganze der Erzlhlung. Ein'e
derartige Obereinstimmung kann nicht so entstanden sein,
wie sie die anthropologisehe Ansicht erklart, Nehmen wir
ermge Beispiele. Wie ware es rnoglich, dassaus der ahn-
lichen primitiven Denkart und Phantasie der Naturvolker
Iolgte, dass z. B. in dem Zauberringmarchen sowohl in
Indienals ill Finland die zu tOtenden Tiere, Katze und Hund,
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:10 ANTIl AARNE, Leitfaden .. FFC 13
mit Geld freigekauft werden, die gerettete Schlange ihren
Retter zu ihrern Vater geleitet, damit er die Belohnung, den
Stein (Ring)" bekomme, dass die Maus (Ratte) als MitheUerin
der Katze und des Handes ihren Schwanz in den Mund
des Entwenders des Rings steckt, um ihn den Ring auf
den Roden ausspucken III lassen, class die Katze bei dem
Uberschwimmen des Wassers auf dem Hunde sitzt usw.
Und wie konnte die Zusamrnenstellung einer sokompIi~
zierten Erzahhmg sich mehrmals ingleicher Weise bilden.
Uno ebenso schwer lasst es sieh denken, dass auch kurzereGcschichten wie das Fischen des Ba.ren mit elem Sehwanze
oder das Erbeuten der Fische durch den Fuchs mit allen
ihren ubereinstimmenden Einzelheiten mehr als ein Mal
entstanden w:iren.
Neben diesen Hauptrichtungen erwahne ich besonders
die Ansichten Kaorte Krohu's, zu denen er durch seine
Tiermarchenforschungen I) gelangt ist, Krohn stellt sich
auf den benfeysehen Standpunkt darin, dass die MArchen
erst Ergebnisse der historischen Zeit sind, abe" er 'wider-
setzt sich ihrer Verbreitung hauptsachlich durch die Ver-
mittlung der Literatur und betont dagegen die grosse Bedeu-
tung der volkstumlichen Ma.rchen und deren altere Existenz
neben den literarischen Bearbeitungen. Was das Schaffen
de r Marchenanbelangt, raumt er den versehiededen VllI-
kern ihren Anteil daran eln, "Ebenso wenig wie urrsere
Kultur", aussert er darnber in der Vorrede zu dem Werke
.,Mann und Fuchs" : t ) , "ausschliesslich einer Nation undeiner Hasse Z1 1 verdanken 1St , sind die Volksma.rchen aus
dergenia]en T~Uigkeit eines einzigen Volkes entstauden,
Sie sind vielmehr das durch vereinte Arbeit erworbene
gcmeinsame Eigenturn der ganzen mehr oder weniger civi-
I) Krohn, K., Bar (Wolf') und Fuchs, eine nordische Tier-
marchenkeue (journal de la Societe Finno-ougrienne VI 188g)" und
M ann und Fuchs II89 r).
. .!) Krohn; K, Mann LInd Fuchs S. 10.
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FFe 13 11
lisirten Welt und somit ein Gegenstand der internationalen
Wissenschaft. II
Die auf ein reiches Material gegrnndeten Forschungen
Krohns und die von ihm entwickelte Forschungsmethode ha-
ben das richtige Verstandnis der Marchen wesentlich geklart.
Noch manche anderen Gedanken sind vorgebracht
worden fiber den Ursprung der Marchen und fiber die
urrloslich darnit verbundene Frage, wie die Obereinstimmung
zwischen den MArchen der verschiedenen Lander zu begrei-
fen ist, Insbesondere in den spateren Zeiten, als der Mar-chenforschung eine gressere Aufmerksamheit zuteil wurde,
sind diese Fragen oft beruhrt worden. Meines Erachtens
haben die Forscher jedoch selten etwas Neues vorgebracht,
zumeist haben sic nur verschiedene Seiten der schon
erwahnten Hauptauffassungen entwickelt und vervollstandigt,
Auf cine eingehende Wiedergabe der Ansiehten verzichte
ich deswegen hier und werde meine Aufmerksamkeit nur
einigen, Ofters hervorgetretenen Gedanken zuwenden.
Bei der ErmittJung des Ursprungs der MArchen geht
man mitunter von der Auffassung aus, class die MArchen nieht
immer so gewesen sind, wie sie heutzutage vorkommen,
sondern class ursprunglich i r n fernen Altertum n U T einzelne
MarchenzUge, sog. Marehenmotive existiert haben, die sich
dann durch ziemlich willkurliche Mischung und Verbindung
zu Ganzen, zu Marcht>n geformt haben, Diese Ansicht
spiegelt sich in der von A. Rittrrshatts in ihrer als Einlei-
tung zu der Samrnlung "Die neuislandischen Volksmarchen"gegebenen Untersuchung wieder.
Dergleichen Ansichten leiten sich von mangelhaftem
Vertrautsein mit den Marchen her. Wenn man von der
Voraussetzung ausginge, dass anfangs nur Erzahlungs-
motive existiert hatten, die dann willkurlich miteinander
verbunden wurden, welche Verwirrung ware die Folge
clavon? Zu den MArchen; wie wir sie jetzt kermen, gelang-
ten WiT auf diese Weise nicht. Oberflachlich gesehen konnen
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12 A:\TTI AARSE, Leitfaden. FFC 13
die Marchen wie eine Strahne verwirrten Garnes erscheinen,
durch welche zu dringen unmoglich ist, aber der ernsteForscher erkennt sie bald als stehende Erzahlungen, die in
dem Munde des Volkes nebeneinander leben. Sie beein-
flussen sich zwar gegenseitig, vermiscben und verwickeln
sich, bald verengern sie die voIIstAn dige Form, bald erweitern
sie sich wieder usw., aber eine EigentQmlichkeit der Mar ·
chen ist es, dass sie in ihren einzelnen Ziigen und Teilen
Schwankungen zeigen, wahrend der Stamm der Erzahlung
derselbe bJeibt. Dies kommt daher, dass sie von Anfang anin ihrer Komposition bestimmte Erzlhlungen gewesen sind,
deren ursprnngfiche Farm man ausfindig machen kann.
Und dass die Sache sich so verhalt, hat die auf zahlreiche
volksttlmliche und altere literarische Varianten gegrnndete
vergleichende Forschung unwiderleglich Iestgestellt,
Beispiele davon, wie in den MArcben, von den in
ihren einzelnen Teilen geschehenen Formveranderungen
abgesehen, der Stamm der Erzlhlung sicb doch erhalt,
ergibt uns [edwede vergleichende Marcbenforscbung. Das
MArchen lebt ein Jahrhundert nach dem anderen in seinen
Hauptztigen unverandert, Es kommt z. B. niemand in den
Sinn zu bezweileln, dass das im persischen Tuti-Nameh
von Nachschebi befindliche, aus der volkstnmlichen Cher·
lieferung sich herleitende Zaubervogelmarehen dasselbe
ist wie das in den verschiedenen Teilen von Europa und
Asien gegenwartig im Munde des \"olkes lebeode gleiche
MArcheD. Nachschebi's Tuti-Nameh stammt aus dem Anfangdes J 4. Jahrhunderts 11. Chr, Also hat das 600--jabrige
Leben im Munde des Volkes das Mlrchen in seinen Grundtei-
len nicht verandert,
jedes Ma..rchen ist abo ursprunglich eine feste Erzah-
lung. die nur einrnal an bestimrnter Stelle und zu bestimmter
Zeit entstanden ist. Dieser Gedanke ist einer der Grund-
~t,;'danken der Marcbenforschung. Unter denjenigen, die
ihn leugnen, ist man bisweilen dahio gekommen, die M6g·
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1 3
lichkeit alief Marchenforschung zu bezweifeln, wenigstens wo
sie sich bestrebt, die Ursprungsschicksale des Mlrch.ens zu
bestimmen. Zu diesem Standpunkt jst 1I. a. A. Rillwshaus
ge1angt. In der erwahnten Untersuchung fiber den Ursprung
der Ma.rchen lussert sie u. a.: ') ,,'Vann und wo diesc
MArchen entstanden, ist dann eine Frage, die wir wohl nie
werden beantworten konnen, da ihre Entstehungszeit oft
irr eine Zeit zurnckreichen mag, in die der Menschengeist
nicht vordringen kann. Speziell die M4rchen mit all ihren
wunderbaren Geschehnissen reichen viel1eicht ncch in dieZeit, da die junge Menschheit sich noch im ersten Kind-
heitszustande befand und von ihr a1le Naturobjekte als
beseelte und belebte Wesen aufgefasst wurden uno wo die
Marchen, wie heute noch fUr unsere Kinder, die erste Form
der Erzahlungen waren."
Was die Zuruckfuhrung der Marchen in die primitivsten
Zeiten del' VOlker betrifft, ist sie offenbar Ialsch, Der gan7.e
Ball der MArchen beweist, dass sie sich nicht in allerpri-
mitivsten Verhaltnissen gebildet haben, sondern Erzeug-
nisse der geschichtlichen Zeit sind. Es seien z. B. viele
in Ihnen vorkommende spltere Begriffe,.kulturelle Tiere u. a.
bemerkt. Ich meine natOrlich die clef Erzahlung ursprtmg-
lich angehorenden Znge und nicht die spater hinzugekomme-
nen oder durch Modernisierung eines alten Begriffes oder
Gegenstandes entstandenen Bildungen, die hier keine Bedeu-
tung haben konnen, Den spateren Ursprung der Marchen
beweist auch der Umstand, dass man sie nicht bei den aufeinem niedrigeren Standpunkt stehenden Volkern als autoeh-
thon antrifft, sandern ais anderswoher gekommen. Die
finnisch-ugrischen Vr,lker in Russland z. B. haben ihre
Mlrchen von den Russen, Die Ma.rchen unterscheiden sich
in dieser Beziehung von den Sagen. Die Sagen sind alter
I) Rittershaus, A., Die neuislandischen Volksrnarchen ([902)
S. XLIII.
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'4 ANTII AARNE, Leitfaden. FFC 13- ---_--- - ------."~~ -- - _- ----~-~-----
als die MArchen und aile, auch die niedrigsten Volker,
haben sie geschaffen. "Die Sagen sind alles in allern viel
altertOmHcher als die M~rchen; die Sagen sind narnlich
kunstlos und einfach" I sagt Friedrich v. d. Leyen. I)
Wenn sich die MArchen aher ursprunglieh aus der
gescbichtlichen Zeit herleiten, wie sind dann die in die
Urzeiten der VOlker hindeutenden Denkweisen zu verstehen,
deren Vorkommen in den Moirchen niemand leugnen kann?
Friedrich v. d. Leven aussert folgende, zutreffende
Worte: 2) "Wir mussen in unserer Untersuchung streng
unterscheiden zw ischen M A rchenm otiv und MArchen. So
seltsam das klingt, so vergassen und vergessen ooeh die
Forscher nichts ofter, als gerade diese einfachste der
Tatsachen. Hatte man sich immer an sie erinnert, so wire
eine ganze Reihe Yon Theorien und wissenschaftlichen
Fehden gar nicht entstanden; denn diese beruhten zum
grc5ssten Teil auf der Verwechslung von MArchenmotiv und
MArchen.1I
Es ist unleugbar, class jene uraltcn "MArchenmotive'" das
richtige Verstandnis der Marchen ganz wesentlich erschwert
haben. Daraus, dass sie Reste aus sehr alten Zeiten sind,
(olgt nicht, dass es so auch mit den MITchen sci. Zu diesen
uralten Motiven gehoren namlich nur einige EinzelzOge der
MArchen, viele andere und zwar der grosste Teil von ihnen
weisen auf spatere Zeiten hin. Die Sache verhalt sich einfach
so, class die M:trchen selbst aus der geschichtlicben Zeit
stammen, aber bei ihrer Zusammensetzung wurden auch ausalten Zeiten qrerbte Begriffe und Sitten in Anwendung gr-
bracht . Es ist kaum glaublich, dass der Verfasser des MArchens
diese altertOmlichen Vorstellungen auch nur fur wahr gehal-
ten oder es mit seiner Erzahlung immer ernst gemeint babe.
Die MArchen sind wahrscheinlich schon von Anfang an ZUlU
L ) Leyen, F. Y. d., Da- Marchen t 191 I) s. 75.~)Ders. S. 27.
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grOssten Teil mit der Absicht Vergnugen zu bereiten abge
fasst worden, und die Auffassung ist Ialsch, class man sie
in den alten Zeiten anfangs ernst genommen habe, wie es
heutzutage unter den Kindem der Fall ist, und sie erst
sparer Vergnugens halber zu erzahlen begonnen hatte,
Einige von den Freunden der anthropologischen Auf-
fassung, die zwar der Wanderung der Marchen von einem
Volke zurn anderen eine grossere Bedeutung zuerkennen
als die Grunder del" Schu1e, versuchen den Wert der Ent-
lehnung durch die Behauptung Zl1 verrnindern, dass vieleAhnlichkeiten, in welchen die Forscher Entlehnungen
vorausgesetzt haben, ihr Entstehen dem Zufall verdanken.
In diesem Sinn a.ussert sich u. a. A. Forke in seinem Werke
"Die indischen Ma.rchen" (191 I). 1m Leben kommen viele
Ubereirrstimmungen vor, erklart er, die auf Zufall beruhen.
Es gibt Falle, wo die Denker, ohne VOIl einander xu wisseri,
gleiche Konzeptionen gehabt haben, ein chinesischer Philo-
soph und do indischer Weiser haben z. B. fiber das mensch-
liche Leben solche Anschauungen ausgesprochen, dass der
gr~sste Tei1 des Lebens von der Kindheit, dem Alter und
dem Scblafe ausgefullt wird und den Rest noeh Schmerz,
Krankheit und Sorge storen, Ebenso sind in dell Marchen
viele Ahnlichkeiten entstanden; so z. B. die Ubereinstimmung
in der asopischen Fabel vom Fuchs, der, nachdem er das
Herz des getOteten Hirsches gefressen, ZUlU LOwen sagt,
der Hirsch babe gar kein Herz gehabt, und in dem MAr-
chen vom Dracbentoter, wo del" als Retter der Konigstoch-ter auftretende Marschall behauptet, die Drachen hatten
Gberhaupt keine Zunge - er hat die .lungen herausge-
schnitten und mitgenommen -. entstammt dem Zufall. Es
ist wahr, dass man in den Marchen bisweilenauch zufallige
A.hnlichkeiten trifft, und Forke's Foigerungen kfmutn thea-
retiseh betrachtet zutreffend erscheinen, aber ill \Virklichkeit
verschwindet ihre Bedeutung fast ganzlich. Es ist namlich
zu bemerk.en, class del" erfahrene Forscher ziemlich leicht
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die zufalligen Ahnlichkeiten von den aus Entlehnungen
herfliessenden unterscheidet, Einzejne FAUe, in denen demForscher die Beschaffenheit der Ahnlichkeit nicht bewusst
wird, beeiaflussen die Hauptsacbe sehr wenig. Und ausser-
dem ist immer zu bedenken, was schon klargelegt wurde,
dass die MArchen ga.nze Er,za.hlungen sind, and wenn von
A.hnlichkeiten die Rede ist, sind sie als Enihlungen zu
behandeln und nicht als einzelne Zuge oder Episoden,
jeder Zug und jede Episode hat urspriinglich ihren Platz
in einem bestimmten Marchen, aus dem sie sich bisweilengelost baben konnen, und in diesem Sinn ist von ihnen
zu sprechen, Und von der in den ganzen Erzahlungen
sicb bemerkbar rnaehenden Ahnlicllkeit sagtauch Forke:
"Dann ist an einem Zusammenhang kaum zu zweifeln",
Wo und wann die M4rchenenstanden sind, h.at in
[edern einzelnen Fane die Spezialuntersuchung zu ermitteln,
Bei der Kritik der benfeyschen Ansichten sahen wir, dass
Indien nlcht die Heimataller MArchen sein kann, und
ebenso wenig ist es ein anderes einzelnes Land. Marchen
sind offenbar in versehiedenen Gegenden entstanden. Dass
einige von Ihnen aus Indien stamrnen, mOchteo auch die
eifrigsten Gegncr del' indisehen Theorie nieht leugnen.
Eine bewiesene Sache ist auch, dass Mlrchen in Europa
entstanden sind. Der Entstehungsort von M a.rchen , die
aussehliesslich in Europa angetroffen werden, z. B. der
Marchen "die Tiere im Nachtquartier", udie drei Zauber-
gegenstande und die wunderbaren Fruchte", "Titelitureil
(Mt. 500) u.a. ist gewlss in unserem Erdteile 7.U suchen,
Die einzeluen ausserhalb Europas, z..B. in Amerika, begeg-
nenden Varianten, sind deutHch in spaterer Zeit von
Europa herubergekommen, Einige Abenteuer des dummen
, Baren und des schlauen Fuchses, Z : • . B. das Fischen mit dem
Schwanze, sind ihrem Ursprung nach als nordeuropaisch
erwiesen worden ..
Obgleich aber MArchen in versehiedenen Geg,enden
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verfasst worden sind, ist es doeh nieht wahrscheinlich,
dass sie aberall entstanden seien, Ich glaube, class sie
zum grossten Teil an bestimmten Orten zustandegekommen
sind. Einige Volker und Gegenden haben besondere
Voraussetzungen fOr das Schaffen von Marchen gebabt.
Einen solchen fOr die Entstehung der Marchen gOnstigen .
Enlboden hat der Orient und vor allem das vielbesprochene
Indien gehabt. Meine Auffassung ist, dass Indien, dem
einige fur die Entstehung der Marchen beinahe aile Bedeu-
tung haben absprecben wollen, doch einen bemerkenswerten "Antell an ihrer Schopfung hat. Die Reichhaltigkeit der
alten indischen MlrchenHteratur zeigt, dass die Mlrchen
in Indien sehr beliebt waren. 1m Hinbliek darauf scheint
es sehr natOrlich, dass di.e Indier Marchen auch verfasst
haben. Es ist Ialsch, sie in Benfey's Art aus del' bud-
dhistisehen Literatur herzuleiten, aber die volkstiimlichen
Vorbilder, auf welche sich die schriftlichen Bearbeitungen
grunden, kr,nnen die ursprOng1ichen Formen der Erza.h-
lungen vertreten. Es sei jedoch hervorgehoben, dass eine
solche Frage nieht auf einmal definitiv entschieden werden
kann. Der Antell der verscbiedenen Volker an der MAt-
chenschOpfung wird sich erst dann aufklaren, wenn zuerst
die Schicksale und der Entstehungsort jedes einzelnen
Mlrchens durch Spezialuntersuchungen bestimmt worden
sind. Reinhold Knltler und andere, die mit ihm die einzelne
Mlrchen betreffende Behandlungsart betouten, haben die
kanftige Forschung auf den richtigen Weg hingewiesen.Die Vormglichkelt del" marge nlandischen MArchen wird
auch daraus ersichtlich, dass nach ihnen und durch Steffan-
leihen bei denselben in Europa, wie es scheint, neue Mlr-
chen zusarnmengesetzt worden sind, die den hiesigen Ver-
haltnissen besser entsprechen, Ein solches ist das Ma"chen
"die Tiere im Nachtquartier", dessen Vorbild das morgen-
landische Marchen von. den auf der Reise belindlichen
HausgerAten gewesen ist, und ebenso das europaischc
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Fortunatusmarchen. Sowohl die Haupthandlung als einige
einzelne ZUge des letztgenannten kommen in denahel1
morgen land ischen MIrehen vor.l)
Ebenso wie einige VOlkel' grOssere Voraussetzangen
fGr das Schaffen von MITchen gehabt haben, so bat es sicb
augenseheinlich mit eimgeu Zeitepochen verhalten. In
Indien hat es wahrscheinlich in alteren Zeiten besondere
mlrchenerzeugende Epochen gegeben, In Europa scheint
das .Mittelalter eine solehe gewesen zu sein, Die kGnft ige
Forschung wird wahrscheinlich viele von den in Europaentstandenen Marchen als mittelalterlieh erweisen. Der
aberglaubische Geist des Mittelialtf'rs, das Geheimrrisvolle
und der Mystizismus desselbeu sind geeignet geweseu, lias
Entstehen der an dip. Wirklichkeit sich w.enigkehrenden
Mlrchen zu begunstigen,
Die einzelnen Mlrehen konnen also ihrern Alter nach
sehr verschieden sein. Ein agyptlscher Papyrusfund beweist,
class das Marchen von 2 Brndern und deren Abenteuern
(Mt. 303) in Agypten schon urn ii i300 V. ChI'. bekanru war.
und der Grieche Herodotos erzahlt das bekannte Rarnpsinit-
marchen (Mt. 950) schon im fo.nften jahrhundert vor unserer
Zeitrechnung. Andere Marchenw~eder stamrnen aus ver-
haJtnismassig spateren Zeiten, Die meisten neuen Marchen
sind Schwanke.
Die weitere Verbreitung eines Marchens von seinem
Entstehungsorte aus konnte durch die mOndJi.che ErzAhlung
und durch die Vermitdung del' Literatur stattfiuden. Dassdie Marchen sich rnundlich verbreiten, beweist unleugbar
die Tatsache, class die MatrchenvorrAte zweier Nachbarvolker
einander mehr gleichen als diejenigen solcher VOlker, die
weiter voneinanderwohnen. Die mtlndliche Verbreitung
del' Marehen leugnet kaum jemaud mehr. Leicht bemerkt
man auch in ihrer Verbreitung den Einfluss del" Literatur,
I) .M emoi res de 1 . 1 . 1 Sod ete Fmno-eugrien ne XX V S. qo--- l.p.
;
,
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FFC 13 Ursprung der MAr'chen. 19
So haben solche in vielen Sprachen veroffentlichte, 3 1 1 1 . .
gemein benutzte Bucher wie "Tausend und eine Na,cht4<und
die "Kinder~ und Hausmarehen" der Bruder Grimm die
Verbreitung und Verallgemeinerung elRlger Mln::hen
augenscheinlich befordert, Eine grossere Bedeutung aber
hat die Literatur Hir die Verbreitung der MArchen nieht
gehabt, Vor der Erfindung der Buchdruckerkunst muss
deren Einfluss sehr unbedeutend gewesen sein. Man erinnere
sich. dass die Bacher in den alteren Zeiten sehr selten
waren, und dass auch lange nach der Erfindung des Buch-drucks die Kunst des Lesens wenig verbreitet war. lnbezug
auf einzelne Mlrchen hat die Forsebung nachgewiesen,
dass man in dem volkstumlichen Mlrdlen niehts oder sehr
wenig von einem Einfluss del' a.lteren literarischen Verianten
merkt. In der neuesten Zeit sind die Voraussetzungen (01' die
literarische Verbreitung der Ma.rcben viel grOsser gewesen,
und eine solche ist auch in grOsserem Masse erfolgt als
fruher, obgleich nieht in dent Grad wie manche erwarten
mochten. Der Schwede A ..Ahlstrl)m ist durch seine Forschun-
gen zu der Uberzeugung gekommen, dass in den schwe-
disehen MArchen bls in das letzte Jahrhundert kaum der
geringste Iiterarische Einfluss zu bemerken ist. Als H_vlten-
Caval/ius und StepJums um 1840 ihre - grosse MArchen-
sammelarbeit ausfuhrten, war von der schwedischen Volks-
bucher-Literatue fast keine Spur in dem volkstemlichen
Marchenschatz zu finden. Aus den allerletzten Zeiten hat
er ofters Aulzeichnun,gen bemerkt, die sich unmittelbar odermiuelbar aus Bnehern herleiten, J ) Hauptsachlich zu demsel-
ben Ergebnis, glaube ich, kommt die Forschung auch
anderswo,
Die Verbreitung del" M.§.rchen hat durch Jahrhunderte
hindurch stattgefunden und geschieht noeh jeut inerster
Linie auf mnudlichern Wege, Die M.archen wandern Jill
I) Ahlstrom, A., Om Iolksagorna (l8gS) S. 32~33.
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20 ANlTI AARNE,Leitfaden. FFC 13
Volke so leicht, und sie haugen nicht von mer Verschieden-
heit der Sprachen abo Die Sprachgrenze bringt das \\Tan-
dern der metrischen Erzeugnisse des Volksgeistes zum
Stehen oder erschwert es wenigstens sebr, abe r das Wan-
dern des ungebundenen Mlrchens hindert sie kaum. Fur
die Verbreitung der Ma.l'chen bedarf es nur des gegen-
seitigen Verkehrs der Individuen und der V~lker. Ebenso
wie sie in einunddemselben Volke von einer PersOnlichkeit
zur anderen Qbergehen, ebenso bringt der nahere Verkehr
zwischen den VOlkern sie von einem Volke zum anderen.Was das verschieden haufige Vorkommen einzelner Mlrchen
und ihr weiteres oder engeres Verbreitungsgebiet betrifft,
h4ngt dies teils von dem Alter des Marchens. von seiner
\Vanderungszeit, aber auch viel von seiner eigenen Beschal-
Ienheit abo Wei1 die MArchen als Mittel zur Erheiterung
gt'lnaucht werden, ist es naturlich, dass die unterhaltenden
MAn'hen, von denen die Horer mehr angez.ogen werden.
sich schneller als die trockenen verbreiten, Das Mlrchen
"die Tiere im Nachtquartier" ist offenbar durch seinen
Irohlichen Ton in den verschiedenen Landern Europas so
allgemein geworden, wAhrend das verwandte MArchen von
den auf der Reise befindlichen Hausgeraten sich mit einer
viel unbedeutenderen Verbreitung zufrieden geben musste,
Die Anziehungskraft des Inhalts hat aueh die March en von
dem Manne, der sagte, er komme aus dem Paradies (Paris)
(Mt. 1540), von den drei Zaubergegenstlnden und den wun-
derbaren Frnchten u, a. ".7.U den hauligsten MArchen Europasgema('ht.
Gegen die mandliche Verbreitung der Marchen ist
mitunter die Behauptung aulgestellt worden. dass dasselbe
Mlrchen bei zwei welter voneinander lebenden VOl kern
vorkommen, hingegeu hei dern zwischen ihnen wohnen-
den Volke Iehlen 'kann .. Diese Erscheinung beweist jedoch
nichts in Bt·;l.ug auf die Verbreitung der Ma.rchen, denn sit'
beruht fast immer auf de-Ill Mangel an Sammlungen und ist
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FFC13 21
mit dern Fortschritt der Sammelarbeit immer seltener gewor-
den. MOglich ist in einzelnen Fallen auch, dass das MAr-
chen bei dem zwischenw ohnenden Volke in Vergessenheit
geraten ist.
\Venn man VOI1 der Verbreitung der Marcherr spricht,
werden oft die geschichtlichen V nl kerwanderungen als
Zeugnisse genommen. Eine grosse Bedeutung pflegt man
z. B. dem bekannten Einfall der Mongolen in Russland
zuzuschreiben, wo sic rur tAngere Zeit wobnen blieben.
Es ist naturlich, class derartige Ereignisse die Ubertragungder Ma.rchen von Volk zu Yolk verrnitteln konnteu. 'Venn
man aber andererseits die grosse Leichtigkeit in der \Van-
derung der MArchen in Betracht zieht, sind die Wanderun-
gen del' VOlker meines Erachtens mit Vorsicht als Zeug-
nisse anzuwenden, So verhalt es sich besonders, wenn sie
in den Alteren Zeiten vor sich geg-angen sind, denn die
MArchen haben Zeit gehabt, im Laure del" jahrhunderte
weite Wege von Mund zu Mund selbst zu wandern,
und ausserdem fAllt es dem Forscher gewOhnlich schwer zu
ermitteln, was fO r MArchen das in jedem Fall in Frage
kommende Volk beim Antritt seiner Wanderuog gekannt
hat. was doch notwendig ist, ehe die Ubersiedlung Beweis-
kraft haben kann. Mehr Bedeutung haben die spateren
lhnJichen Erscheioungen. So hat man inbezug auf die
finnischen MArchen Zeitbestimmungen gewonnen dureh die
urn ]600 geschehene Ubersiedlung von Savolaxern nach
Schweden, vor allem nach del' Landschaft Wermland, wo
sie sesshaft blieben.
Die Mlrchen bilden eine Schicht von Erzahlungen, die
von einem Orte zum anderen wandernd, in der Erinnerung
des Volkes Iortlebt, Sie wird von den an verschiedenen
Orten und zu verschiedenen Zeiten entstandenen elnzelnen
Erzahlungen gebildet, die in ihrer Art mit der Literatur
vergleichbare Erzeugnisse sind. Ursprunglich gehoren die
Marchen augenscheinlich alle dem alten Kontinent an,
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22 ANTT l AARNE,. Leltfaden, FFCl3
obgleich sie durch Ubersragung tells auchausserhalb dessel-
ben bekannt werden konnten, Ihre leichte Wanderung
leiter s:ichaus ihrer von Ort und Zeit unabhangigen Beschaf-
fenheif her, die sie nberall anpassungsfahig und wiUkommen
macht, Neue Marchen kOnnen auch noch entstehen, obgleich
die Phantasie des Volkes im allgemeinen besehrankt ist, sie
schaffa in unserer Zeit sehr selten etwas vollstandig Neues.
Die Mar,chen haben ihren eigenen Inhalt, der von dem
der anderen Volkspoesie durehaus verschieden ist, Selten
haben sie und die anderen Erzeugnisse der Volkspoesiesich miteinander vermischt. Esgibt einzelne Fane, t n denen
eln MArchenmotiv als eine Ortlieh und zeitlieh gebundene
Sage oder als lied in gebundener Form erscheint. Ein
MarcbenerzAhl.er kann blsweilen seine Erzahlung mit einern
Spruche verschnnern. Es jst aueh nicht unmogllch, einem
RAtse1 mit dern Marchen verbunden zu begegnen, In eini·
gen Mlr,chen bildet das Erraten des Ratsels einen wesent-
lichen Teil der Erz.Ahlung. Alles dies sind jedoch Ausnah-
meHll:Ie. Mehr Auhnerksamkeit verdient in der Erforschung
der Marchen nur das Vorkommen der Mlrchenmodve ill
den alten Volksepen.
Man hat olt die Marchenforschung als Nebensache mit
irgendeinem anderen Forschungsgebiet vereinigen wollen,
Das hat man von der ersten Zeit clef Forschung all getan
und tut ,es noeh heute, Die Freunde del' grimmschen Schule
sind rneistens Mythologen und Linguisten, die der benfey-
schen Schule Literaturhistoriker und die der englisehenSehule Anthropologen gewesen, [Jaher haben sich viele von
den Einseitigkeiten nod Irrtnmern hergeleitet,wekhe in der
Forscbung der Mlrchen vorgekommen sind. Die MArchen
bilden ein besonderes Forschungsgebiet mit eigenem Inhalt
und eigenen Forschungsmethodera, una sie mussen5elbstln~
dig untersucht werden, wobei natOlrlich die Beziehungen des
Forscbuogsgebiets zu einigen anderen nahestehenden "'is~
seuschahazweigen in Betracht luziehen ist,
J
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FFC 13 Die Veranderungen in den MArchen. 23----===--- -=-~ - -- -- --- -~~ - -- - -~--- . -..,....--.., -- - - - - ..-: - -~---=-....,...------=-
II. Die Veranderungen. in den March en.
Das innere Leben der Marchenist sehr anziehend.
i\US der Art infer Erhaltung foigt, class sie im Laufe der
Zeit Veranderungen unten\torfengewesen sind und noeh
fortwahrend sind. Wir kounen ein und dasselbe Marchen
mehrere hundert Male aus dem Volksmunde aufzeichnen,aber
zwei auch in ihrer \Vordonn gauz gleiehe Varianten sind
lIInmij.g~icb zu finden. Dies ist eine Folge des beschrankten
Erinnerungsvermdgens, Die Verfasser der literarischenBear-
beitungen der Mlrchen sind mit den volkstumlichen Erzah-
lern xu vergleichen. Auch in ihren Handen hat sich die
Erzlhlung verandert, obgleieh die Ursaehen del' Verlnde-
rungen teilweise anderer Art sein kounen. Der Schreiber
hat seine Veranderungen Ofter a~s clef volksttimliche t:rzlhler
absiehtlich gemacht, Seine Arbeit wurde von einem bestimm-
ten, z. B. sehonliterarischen oder didaktischen Ziel geleitet,
Es ist dem Forscher 1l' l!c"Jglich tlber die Verhaltnissedes inneren Lebens der M lrchen Klarheitzu gewinnen.
Hie Veranderungen Iolgen namlich bestimmten Gesetzen
des Denkens und clef Phantasie, die mit den in den sprach-
~ichen Erscheinungen herrscbenden Gesetzen der Sprache
zu vergleichen sind. Die Veranderungen .sind durch be-
stimmte Ursachen hervorgerufen, 1 - : 5 geschehen zwar auch
vom Zufa.111abhangige Verandcrungen, aber sie sind selten
Ul1Id dem erfahrenen Forscher Ieicht erkennbar,
Ieh werde im Folgenden die hemerkenswertesten diesel'
Gesetze darstellen ..
Wenige Um st.a n de v e r u r sa.c h e n in den MAr·
chen so vie l e Vcr and c ru n g e n w ie d a s Vergess·en
e in e s Z u g e s (einer Person, ejnes Gegenstendes, eines
Ereignisses u. a.), Das Vergessen betrilit seltener die fih' die
Ganzheit der Erzahlung wichtigen Grundzuge. Gewohnlich
gerat ein Um stand in Vergessenheit, cler mit deruhrigen
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FFC13
Erzahlung nicht in Iesterem Zusammenhang steht und dessen
\Vegbleiben deswegen keine anderen bemerkenswerteren
Veranderungen zur FoIge hat. In dem Ma.rchen von den
Tieren im Nachtquartier ist oft die die Tiere betreffende
Todesdrohung vergessen, derentwegen die Tiere das Haus
verlassen, In del' Ma.rchenform, wo der Menscb in Ge-
meinschaft mit den Tierenals Teilnehmeran der Reise
vorkommt, ist oft die ganze Darstel1ung des Aufbruehes
zur Reise weggeblieben und ohne nahere AufklArung wird
nul' gesagt, dass del' Mensch die Tiere bei sich hal. In
dern M:'lrchen von den drei Zaubergegenstanden und denwunderbaren Fruchten, durch deren Hilfe die Entwenderin
der Gegenstande gezwungen wird, dieselben zurOckzugeben.
ist zuweilen die Dreizahl der Empfanger der Zaubergegen-
stande vergessen worden. 1m Zaubervogelmarchen ist die
Erzahlung von dem Reichwerden des Vogelempflngers
durch das Verkaufen der Eier vergessen, und das Ver-
schwinden des Reichwerdens hat seinerseits das Vergessen
der ursprunglichen Annut des Mannes erleichtert. Die
Armut ist namlich ursprOnglich als Gegensatz zum Reich-
"verden vorgekomrnen, uod nachdem das Reichwerden
weggeblieben ist, ist es nicht mehr notwendig gewesen, die
Armut des Mannes hervorzuheben.
Das Vergessen hat in den inneren Schicksalen des
Moirchens einen grosseren Einfluss als irgendein anderer
Umstand. Ja man kann sagen, es hat einen grosseren oder
kleineren Anteil an den meisten in den MArchell vorsichge-
henden Veranderungen.De r G e g ens at z des V erg e sse n sis t die E r-
weiterung d e r ErzAhlung durch u r s pr a n g lj cb
n ic h t z u ih r g e h l '> rig eSt 0 ff e. Auch die Erweiterung
ist eine der allgemeinsten Erscheinungen in den Mlrchen.
Das was hinzugefugt wird, entnimmt man meistens dem
schon vorhandenen Stoffvorrat, gewOhnlich anderen Mllrchen.
Mitunter erfindet del' Erzahler selbst eine Erglnzung an
O r ig in al f rom
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FFC 13 Die Veranderuagen in den MA.rchen. 25--~--------- ----~ - ---
einer Ste1le, die ihm in irgendeiner Beziehung mangelhaft
erseheint, M it de r Jo:rzahh.mg werden ga.nze Episoden oderStucke einer solehen verbunden, I I I den sich vereinigen-
den Teilen muss ein zusammenfassender gemeinsamer Zug
oder etwas Ubereinstinunendes sein, Erweiteruugen konnen
in [edem Mlrchen auftreten, Mit de-Ill Aberueuer von den
im Nachtquartier befindlichen Tieren hat sich die Geschichte
VOI1il BlrenfOhrcf, der mit Hilfe seines Baren den Teufel
verjagt, verbunden, Die Vereinigung ruhrt davon her, dass
es sich in belden Geschichten UIn die Vertreibung des
Gegners handelt und der Vertreiber in heiden ein Tier ist.
In dem Zaubervogelmarchen ist ein anderswoher gekomme ..
ner Zusatz der Diener, der den jungen zur Flucht verhillt,
die del: Liebhaber der Mutter getotet haben will. Der Diener
schlachtet die Jungen nicht, wie ihm aufgetragen ist, sondern
er bereitet fO r den Liebhaber eln Essen aus zwei jungen
Hunden zu, In der ursprtmgliehen Episode wird gewohn-
lich von dem Bringen des Tierberxens anstatt des Herzens
des zu tOtenden Menschen gesprochen, Ein solcher Zusatz,
den ein spaterer" Erzlhler selbst erdichtet hat, ist das Kaufen
der HAuser dureh den Besitzer des Beutels fOr seine Bruder.r
in einer Gruppe Iinnischer Varianten des Marchens"Die
drei Zaubergegenstande und die wunderbaren Frncbte",
Den Umstand, dass die anderen Emptanger der Zauber-
,g-cgenstande diese dem Besitzer des Beutels zur Verfugung'
stellen, hat man eines naheren Motivs bedurltig erachtet,
Ein solches Motiv hat man dutch den Kauf der Hauserbekomrnen, indem die Hergabe der Zaubergegenstande
als Belohnung fur diese Wohltat erscheint, Eine sparer
gebildete Episode desselben M~rchens ist augenscbeinlieh
auch das Sehonmachen als Eigenschaft der wunderbaren
Frnehte, wodurch die Aufmerksamkeit der Koulgstochter
auf die Fruchte gelenkt wird, und ebenso das Durehprugeln
der Konigstochter wodurch man die GrOsse der ihr auierleg-
ten Strafe verscharfen wollte.
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A~TTI AARSE, Leitfaden. FFC1]
nit' Erweiterung kann an jedem beliebigen Punkte des
Marchens einsetzen, aber besonders sind der An fan g und
das 'E n d e der Erzahlung dazugeeignet. Dit' Erzahler haben
eine besondere Vorliebe, die Eirrleitung der Erzahlung auszu-
dehnen und ebenso die E .fzahlung- m it Endzusatzen lortau-
spmnen. IIer Zusatz am Schloss g-estahet sich bisweilen zu
einem schnurrigen Epilog. Der Anfang und <las Ende des
Marchells zeigeu auch sonst eine grOssere Neigung sich zu
\'C'ra.ndernals seine ubrigen Teile. Werm wir z. B . die
Art und Weise des Empfangs der Zaubergegenstande i n
den Marchell "Die drei Zaubergegenstande und die wun-dcrbaren Fruchteli und . ,Die Zaubergaben t! betracbten,
treffen wir in belden eine Anzahl mehr oder weniger ver-
brei tete verschiedeuartige Bildung'en an. Einige von Ihnen
sind deutlich aus ianderen Mar-eben gf'kommen, z. B. in dem
erstgenannten Faile die F:riosung del' verzauberten jung-
Iraueu, die Entwendung der Zaubergegenstande aus den
Handen der wegen dC'T Teiluug sieh streitenden Teufel,
de.. Besuch des vaterlichen Grabes, die Segnung des unbe-
statteten Leichnams US\\"! und in dem letzteren das Empor-
klettern an einer grossen Pllanze ins Paradies, das Erhahen
der Zaubergegenstande von dern GlOck, von dem die Saat
des Mannes beschadigenden Vogels u .. 3.
Z u r E r w e i e r u n g g e h.o r t a u c h d i e V e r e i n i -
gung ve r sc h ie d e u e r Ma.rchen lU e in e m Ganzen.
Die ~:rla.h'er verbinden M:trchen miteinauder, in denen sich
irgendein g'emeinsamer, zusamrnenhaltender Zug hefindet.
Zusasmnenruckung kann man in einzclnen F411en in allen
beliebigen Macrchen Hnden, abel' einige MArchengruppen
zeigcn besoudere Neigung dazu, Solche sind zmdkhst die
Ticrmarchen. Fbenso wie die Zusanuuensteller del- mittel-
.alterischen Tierepen verschiedene Tiergeschjchten in einem
g"'l"I11l'insamell Rahmen uiiteinander verbanden, ebense
vereinigt auch <las Volk z. B. die Abenteuer des schlaucn
FUl'hsesuud des dummen B aren , Zusanunenruckuug he-
) (,oogk Original from
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merkt man auch in den Marchen von dern dummen Teufel,
den der kluge Mensch betrugt, und in den Schwanken,besonders in den Schildburgerschv ..anken. Es sei jedoch
bemerkt, dass die Zusammengehorigkeit verschiedener
Geschichten nicht immer ZusammenrOckung bedeutet, derm
sie kann teilweise auch ursprunglich sein.
E i n e A r t Er w ei t e r u n g i s t n o c h d i e V ' e r v ic I -
f a.1 tigun g. Auch darin vermehrt sich der ursprtmglich
in die Erzahlung gehorende Stoff. Die Personlichkeiten,
Gegenstande, Eigenschaften, Tatigkeiten u. a. verviellaltigen
sich. Es ist Verviellaltigung, wenn sich in dem Marchen
.,Die Tiere im Nachtquarticr" die Zahl del" Tiere verrnehrt:
neben dern Hahne erseheint ein Huhn, neben dem Ochsen
eine Kuh, neben den Haustieren Tiere des Waldes. In
der einfachen Vervielfaltigung multipliziert sich der Gegen-
stand oder der Begriff mit einem ode!" mehreren gleichen.
In dem erwAhnten Marchen sind bisweilen anstelle eines
Hahnes viele Ha.hne,anstelle einer Gans viele Ga.n!'f
gekommen usw. Gewohnlich beruhrt die Verviellaltigungnur einzelne von den auf der Reise befindlichen Tieren,
abe .. zuweilen ist die Zahl aller Tiere vervielfaltigt. In dern
Marchen von den auf der Reise befindlichen Hausgeraten
hat sich in einigen europaischen Varianten die zur Reise-
gesel1schaft gehOrende Nadel verdoppelt, ja bisweilen
sogar verdreifacht. In einer olo netzischen Variante des
Aladdin-Marchens sind statt einer Lampe viele Lampert,
aber die Zauberkraft gehOrt nur einer von ihnen, die
sich von den anderen durch ihre Schmutzigkeit untcrschei-
det. Die Verviellaltigung' ist also i.n diesem Falle nieht
vollstandig ,
Oft werden bei der VervielHlItigung bestimmte Zahlen
befolgt. Die Dr e i ah list in den Marchen sehr gewOhnlich.
Bruder sind oft drei vorhanden, yon denen der jfmgstc als
durnmster gilt, wahrend er in Wirklichkeit del' klugste ist,
Zaubergegenstande gibt es drei, die Zahl der Richter im
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28 .-\:,\TII AANNE, Leitfadee,--.- --" .. . - - "" -_ -~-_-- -- - --,_ -.~---.,.~ --~-
,!
Il
M"rchcn "Undank ist der Welt Lohn" ist drei usw I)
Bei der Allgemeinheit der Dreizahl ~n den Mlrchen istes kein Wunder, dass sieauch in der 'Vervie'lfAltigung oft
angewendet wird, In del' Geschdchte von dem Fischen des
B lren [1 t1 it dem Schwallzeist del" Bar m itunter drei NA chte
an das Eisloch gesetzt, in dem Marchen "Ba.renfrassNwo
der Mann dem Fuchse statt del" ihm versprochenen zwel
Ganse (Hulmer) zwei Hunde bringt, koeimt zuweilen anstelle
von drei, aber auch fOnf oder zehn Gansen dieselbe Anzahl
Hunde VOl"..
Dus Er g eb ni d e r VervieUlltigung i t oft
e in e D u pie t ten lor] )1, .d, 11. in der Erzahlung bildet sich
nach einem vorhandenen Zugeein neuer ihm· gleichen-
der ZUg". So ist es z. H. in der Fortunatus- Variante der
Gcsta Rosnanorum geschehen. wenn neben den aussatzig
machenden Fruchten ein Zauberwasser erschienen ist,
das das Fleisch von dell FOssen lOst. Das Wasser hat
eigentlich dieselbe\Virkung wie die Frnchte. Dassel be
Verhaltnis herrscht zwischen den gesundmachenden Fruchtenund dem entspreehendenWasser. Eine Duplettenlorm ist
auch die Wiederholung des Durchprugelns in einigen
Varianten des Marchens ..,Die Zaubergaben", Im Mlrchen
zwingt del' von selbst schlagende Knappe) (oder clef Sack,
am; dessert Innerem Jungen mit Stocken in den Handen
erscheinen] durch das Prugeln den Enrwender del' Zauber-
g:egenstdrrude dieselben ihrem Besitzer' zurtickzugebea. Nach
diesem ist das am Ende des Mlrchens blsweilen vorkom-
urende Durchprugeln des Weibes des Besitzers der Zauber-
gegensUlndc und ebenso in den Varianten mit zwei Zau~
berdingen das Durchprugeln der Ga.ste des reichen Bruders
g;ebi1det Die Entstehung de r Duplettenformen hat in die-
sem Falle wahrscheinlich del" amnsante Charakter des Zuges
'.
J
1) Vgl, O[rik. A., Episke love ifolkedigtningen (Danske Stu-
dier IgoB S. Bl).
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FFC 13
verursacht. In der Rauberfassung des Ma.rehens "Die
Tiere im Naehtquartier" ist eine Dupletten form die Verja-gUD;g der Besitzer des Nachtquartiers von ihrem Schmaus
bei der Ankunft der Tiere in dem Haus. Die Verjagung
ist hier eine Kopie der ursprQ nglich zu dem Marchen gehO-
renden Verjagung des in das Nachtquartier Eindringenden,
In der Urform des MArchens sind namlich die Besitzer des
Hauses bei der Ankunft der Tiere abwesend, Das Verkaufen
des Vogels in einigen Varianten des Zaubervogelmarchens
ist eine Duplettenform des Verkaufens der zu der Urform
des M4rcheos gehOrenden kostbaren Eier.
Die Duplettenform fQgt der Erzahlung in den erwahnten
Fallen einen neuen Zug bel. Es gibt auch Duplettenformen,
die die Erzahlung nieht erweitern, sondern einen in del'
EI7..ahlung schon vorhandenen Zug einem anderen Zug
angleichen. Diese sog. A n a log i for me 0, die den sprach-
lichen Analogieformen entsprechen, sind in den Mardlcn
sehr gewOhnlich. Sie sind zweierlei Art, jenachdem oh
das Vorbild der Form in demselben oder in einem anderenMarchen vorkommt.
Eine 7.U der ersteren Art gehorende A naJogiefonn ist
der Dienst, den die Katze und der Hund in einigen fin-
nischen Varianten des Marchens \'0111 Zauberring erweisen
durch die Rettung des Gebers des Gegenstandes aus dem
Feuer. J4:s ist dies eine Kopie von dem Zuruckbringeu
des entwendeten Zauberringes. Ja die Katze ist sogar oft
auch beim Durchdringen des Fellers, ebenso wie es beim
Oberschwimmen des Wassers dargestellt ist, auf den Rucken
des Hundesgesetzt. Die gleicbe Analogieform entsteht in
dem MArchen von den drei Zaubergegenstanden und den
wunderbaren Frachten, wenn die Entwendung des Zauber-
gegenstandes IIbringt einen, wohin man will" nach del'
Art der Entwendung der anderen Zaubergegenstande von
der femen Insel in das Halts tier Konigstochter ubergeht ,
lind ebenso in dem Zaubervogehnarchen, WCI1Il anstatt der
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30 ·--- -_._- -ANTI~ AARNE. Leittaden. FF'C f3
- -- -- ~ ~= ~-~= ~-------=
Abenteuer des Verzehrers des Herzens der eine Bruder zu
einem vornehmen Beamten bei seinem KOnig gewordenenBruder gemacht wird ..
Wenn im Marchen mehrere in derselben Stellung
befindlicheZGge' vorkommen, konnen diese alle sieh ex
analogia dem einen Zugegieich verandern. So geht es
x, H. im Mlrchen von den Tieren im Nacht.quartier,wenn
die Aufgabe oder der Beruf des eineu Wanderers allen
Mitgliedern del' Reisegesellschaf]; zugeeignet wird, So stellt
sich der .:rzAhler mitunter nach dem\Vidder, der in der
Urform des M,i:rchens eiu Schuhmacher gewesen ist, aile
Tiere als Schuhmacher vorl nach der Gans alle als Schnei-
der usw.
Ails Beispiel von Analogieformen, wo das eine MI.rchen
das andere beeinflusst, erwahne ich die Verwechslung der
PJa.tze des Haren und des Fuchses in der nordischen
Umformung des Mlrchens ",Der BAr mit den ZAhnen am
Schwanze des Pferdes ha.ngend... . In dleser ~ockt. der B ar
den Fuchs an den Schwanz des Pferdes, aber nach anderenAbcnteuern des Baren und! des Fuchses, in denen der Bar
immer als Betrogener und der Fuchs als Betrnger erscheiat,
ist auch hier zuwejlen der Bir an die Stene des Fuchses
als Fahrender, der Fuchs an die Stelle des 8ll'en als Ret-
gebel- gestellt worden.
Selten ist in dell Ma.r,chen a uc h n icht die
Sp e xi al is ie r e ng ei n e r ,allgemeinell· o der die
Ve r a l lgem.ei aes-u u g ei n er s pe ziel l e n Be a eic h-
nun g. Die t:rzAhler bestimmen gem naher, beschranken
eineu Begriff allgemeinerer Art und erweitern urngekehrt
eillenl"'ngerell Begrif] in seiner Bedeutung, Die letztere
Veranderuug kann bisweilen eine Folge des Vergessens
seiu, In dem Mar'chen voru Zauberring ist mitunter der
-Fisch, welcher den Zaubergegenstand verschluckt, seiner
Art nach als Hecht, Felchen u. BI. bestimrnt, und ebenso
hat man in dem Zaubervogelmarchen den Vogel stelleu-
Ii
iJ
. .
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FFCI3 Die Veranderungen in den MArchen. 31
we-ise Huhn, Gans, Ente u. a. Zl1 nennen begonnen. Eine
entgegengesetzte Erscheinung kommt in dem Marchen vonden drei Zaubergegenstanden und den wunderbaren Fruchten
vor, wenn die bestinunte Fruchtart, die Apfel, hie und cia
gemeinhin in Fruchte verandert worden sind, und im MAr~
chen von den Tieren im Nachtquartier, werm statt eines
bcstimmten Handwerks fUr verschiederie Tiere Benennungen
wie "einer'\ "jemand If angewendet worden sind.
M it den Er z a h l u n g e n k o n n en sich Lr e m d e
StoHe auch durch Vertauschung v e r b in d e n, d. h.
anstelle eines weggebliebenen Zuges erscheiut ein anderswo-
her gekommener anderer Zug, der mit jenem irgendwie
verwandt ist. Far den Schlussteil des Zaubervogelmarcheus
ist bisweilen derjenige des Marchens "Die elrei Zauber-
gcgensta.nde und die wunderbaren Fruchte+veingetreten.
Die Verbindung ist eine Folge del' ObereinstimlJlung in
den Haupthandlungen del' Erzahluugen. 1m Zaubervogcl-
marchen wird das betrugerische Weib mit einem zauber-
kr~ftigen Grase Inr die Entwendung del' uuentleerbarenGeldquelle, des Vogelherzens, bestraft, Im Marc-hen "Die
drei Zaubergegenstandeund die wunderbaren Fruchte " wird
das betrugerische Weib mit Hilfe der Fruchte gezwungen, die
ihnen entwendeten Zaubergegcnstande zurnckzugeben, unter
einen unentleerbaren Geldbeutel. Das Gras hat in einen
Esel verwandelnde, die Fruchte haben HOrner erzeugende
Kraft. In demselben Marchen wahlt ein Steigen gelassener
Vogel den Verzehrer des Kopfes ZUll1 KOnig, indem er sich
auf dessen Kopf niederlasst. Zur Erklarung del' Konigs-
wahl jst mit dem Zaubervogelmarcheu bisweilen das Mar·
chen von dem Drachentoter verbunden, in dent das KOnig--
werden auch enthalten ist : der Junge erlost die Knnigstoch-
ter aus del' Gewalt des Drachens, zur Belohnullg das Mad-
chen und das Reich erhaltend. An die Stene des unent-
leerbaren Beutels im Marchen "Die drei Zaubergegenstande
und die wunderbaren Fruchte" hit ans dcm Zaulx-rrim ..·. . ~
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.- \: \"11' .-\.ARSE, Leitfaden.- ---- - ---~-
FFC 1J.
marchen mitunter der Ring gekommen, der entweder seine
ursprtlugliche Eigenschaft "bekommt was man wunscht ..
erhalten oder sich in einen golderzeugenden Gegenstand
verwandelt hat, ebenso aus dem MArchen lillie Zaubergaben"
ein Ranzen.
Vertauschung erfolgt auch in ein und demselben Mar·
chen. Die Personlichkeiten, Eigensehaften, Tatigkeiten u. a.
IOsen sich aus ihrer ursprO nglichen Verbindung und
fngen sich zu neuen Verbindungen zusammen. Das was
urspriinglich von der einen Person oder dem einen Tier
erzahlt worden ist, hat mall dann von anderen erzahlt,
[Ill Marchen .,Die Tiere im Nachtquartier" werden die
Berufe und die Aufenthaltsorte del' Tiere vertauscht.
Das Schmiedehandwerk, das ursprnnglich dem Schweine
g'ehOrl, wird bisweilen einem anderen Mitglied del' Reise-
gesellschaft zugeeignet, del' Aufenthaltsort der Katze, der
Herd, wird von del" Gans eingenomrnen lISW.. FOr das
ursprtlngliche Tier wird dann ein anderes Handwerk. oder
ein anderer Aufenthaltsort erfunden.Die Vertauschung de r l e tzt e r w a hnt e n "Art
erfolgt mitunter nach dem Gesetzf des Ge g e n-
sa t z e s, wobei sich das Verhaltnis zweier Zfige entgegen-
geselzt verandert. Das geschieht z, H. dann, wenn in del'
norrlischen Umformung des Marchens .,Der BAr mil den
Zahnen am Schwanze des Pferdcs hangend", wie O. Ddlm~
ltardt gezeigt hat ~), der Bar anstelle des Fuchses zum Rat-
geber und de r Fuchs anstelIe des Haren zurn Fahrenden
geworden ist oder wenn sich im Zauberringmarchen das
I Iinuberschwimmen des Hundes und de r Katze bisweilen
so verwandelt hat, dass del' Hund auf den Rucken der
Katze gesetzt wird.
Eine gewOhnliche Er s c h e in u n g i t in d e n
Mal"chen die Vermcnschlichung d e r Ti e r a b e n-
I) DAhnhardt, 0., Natursagen LV (1 .91:2 ) S .. :iil35.
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t e u e r (Anthropomorphismus), Im Hinblick daraul, dass die
Tiere in den Mlrchen meistens den Menschen gleichwertig,
als sprechende und denkende Wesen dargestellt werden,
ist die Vermenschlichung eine sehr natflrliche Veranderung,
Sie ist verschiedenartig. Zuweilen wird der Mensch zu
den in der Erzahlung vorkommenden Tieren hinzuge-
fagt. So z. B. irn MArchen "Die Tiere irn Nachtquartier".
Das Mlrchen hebt dann gewohnlich so an, dass der Mann
sich mit Tieren auf der Reise befindet und in einem Haus
einkehrt, um dart zu abernachten. Eine andere Art Anthro-pomorphismus ist die Verwandlung des Tieres in einen
Menschen. In dem eben erwAhnten MArchen is t an die
Stelle des aus dem Nachtquartier vertriebenen Wolfes ein
Rauber gekommen, und diese neue Sildung hat dann weite
Verbreitung gefunclen. In dem MArchen von der Suche
nach einer Kinderwlrterin oder einem Klageweib erscheint
anstatt des Baren bisweilen ein Mann, der das Klageweib
fur seine Frau sucht. Wahrend der Sucher ein Mensch
geworden ist, sind die sich Anbietenden noch Tiere geblieben.
S e Ite n e r, 0b g lei c h n i h tun b e k ann t, i t die
Verwandlung eines Menschenabenteuers in ein
Tie ra ben t e u e r (Zoomorphismus). In einer syrischen
Variante des Zauberringrnarchens finden wir anstelle der
Hauptperson der Erzahlung einen BAr und anstelle des
Entwenders des Zauberrings, der Konigstochter, einen Wolf,
so dass das Marchen ganz zum Tiermarchen geworden ist.
Ebenso ist in einer syrischen Aufzeichnung des Zaubergaben-
marchens Ernpfanger der Zaubergegenstande ein Fuchs lind
Entwender der FUrst der Fnchse, Es sei jedoch erwahnt,
dass die Verwandlung der Menschen in Tiere in diesen
FAllen vom Erzahler beabsichtigt ist, als Foige des Wun-
sches des Aulzeichners Tierrnarchen, zu sammeln.
Nahe verwandt mit den z w ei letzterwAhnten
Erscheinungen ist die Damo n is ir u n g d e r Tf e r a-
ben t~,u e rod e rum g ek e h r t de rOb erg a n g d t' r T e u -
3
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Ielab e n t e a er un te r die Tiere.\Venn von einem Tier-
marehen vermenschlichte. Varianten existieren, trifft m.an
gewOhnUcb auch dAmon.isierte an. Ebenso wie im Mlrchen
"Die Tiere im Nachtquartier" der in das Haus Eindringende
zum Rluber vermenschlicbt ist, ebenso ist er oft aueh zum
Teufel oder Gespenst geworden. Anstelle des Gebers des
Zauberrings, der Schlange, erscheint in Finland und Inger-
manland zuweilen der Teufel. Die Abenteuer von. der Ernte-
teilung und vom Baumtragen u.. a .. kommen bald zwischen
dem Teufel und dem Manne, bald zwischen dem Baren und
dern Fuchse VOT. Nach ihrem Ursprung dnrften sie Teu-Ielsgeschichten sein, in den en spater Tiere als handelnde
Gestalten eingetreten sind.
Der Anthropomorphismus l s t bisweilen Ego-
mo.rpb lsmu s, wenn slch der Ersahler der Handlung, ge-
wohnlieh als Hauptpcrson deli' Erza.hlung hervortretencl,
hinzugesellt, Dadurch versueht er gewiseermassen die Ereig-
nisse sich und dem Horer oAher zu bringen, Der Ego-
morphismus, der durch die von dem Erzlhler benutzte erstePerson bekannt ist, hat in den MArcben jedoeh keine gros ..
sere Bedeutung. Ich habe niemals bemerkt, dass durch den
Egomorphismus eatstandene Fassungen weitere Verbreitung
gefunden hlt.ten. Einzelne Falle des Egomorphismuskaon
man dagegen in allen beliebigen Marchen antreffen. Das
Ma.rchen von den Tieren im Naehtquartier z. B. begiont
zuweilen etwa Iolgendennassen: AIs icheinmal mit einigen
Tieren auf der Reise war usw.
Die letzterwahnten Erscheinungen zeigen, dass auch
ganze MArche·ngruppen (Menschen-, Tier-, Teufel IDArcben)
sich miteinander vermischen und beeinflussen konaen.
Abgesehen von den sc h o n f r a h e r e rw a hn te n
- F'al len v o l l zi e h en sich in den MArchen auch
s o nst v i e l e V e r a n d e r u n g e n d u r e h d e n E i n f l u s s
des ein e n Z u g e s a u Ide n a t1de r e n. Die VerAnderung
cines Zuges zwingt die mit ihm in Zusammenhang stehen-
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FFC 13 D ie VerA nde ru ng en . in den . M A rchen_ :_ _ . 35
den anderen Zuge sich zu verlndern, damit die Harmonie
zwischen den Teilen der Erzahlung erhalten bleibe. Wennsich der ErzAhlunganderswoher gekommeoe Stoffe hinzu-
ragen, verlangt deren Verschmelzung mit ihrem neuen
Zusammenhang, class sicb die nachsten Teile der Erzlhlung
aneinander anpassen. Der Einfluss greilt auf diese Weise
mitunter auch tiefer in die ErzAhlung ein, Es gibt Falle,
wo eine einen einzelnen Zug betreffende, ursprOnglich
geringfogige Veranderung die ganze Erzahlung verdirbt.
Die folgenden Beispiele beleuchten diese in der Marchen-
forschung sehr bernerkenswerte Erscheinung.
Wenn im Zauberringmlrchen zum Geber des Zauber-
gegenstandes statt des Vaters del" von dem Tode geretteten
Schlange die Gerettete selbst geworden ist, so ist die Folge
davon gewesen, class der Ort der Abtretung des Gegen-
standes vom Hause der Geretteten oach dem Ort der Ret-
tung verlegt wird. Oer Gang nach dem Hause der Schlange
hat namlich mach der vorhergehenden Veranderung seine
Bedeutung verloren, denn der Zauberring kanngut bei derGeretteten sein. Wenn im MArchen von den drei Zauber-
gegensta..nden und den wunderbaren Frachten die Entwen-
dung des Zaubergegenstandes "bringt einen, wohin man
will 1 4 ex analogia in das Haus der Konigstochter iibertra-
gen wird, wodureh der Flug nach der Insel in Weglall
kommt, so haben anstelle der Inset als Standort der FrOchte
Orte zu erscbeinen begonnen, welche leicht zu erreichen
sind (del" Wald) oder man hat zu der Erzahlung eine
Nebengeschichte hinzugefugt, um die Uberschreitung des
Wassers zu erklaren, Das letztere Verfahren findet in einer
Gruppe finnischer Varianten Anwendung, es wird erzahlt,
wie der Junge, nach dem Verlieren der Zaubergegenstlnde
in Verzweiflung geraten, sich in einen am Meeresstrande
liegenden verfallenen Kahn wirft und der Wind ihn zu der
Insel bringt. Am Eode des Aladdinmlrchens erscheint der
Bruder des vergifteten Zauberers als heilige Frau, urn ibn
O r ig in al f rom
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ANTI) AARNf:, Leitfaden. File 13-_.- ----_._ ._------- ---
7.U raehen. Wenn bisweilen in die volksturnlichen Varianten
statt des Gifttranks der in den Marchen gewohnlichere
Schlaftrankgekommen ist, hat dies das Wiedererscheinen des
Zauberers im Palaste mOglich gemacht. In einer Iinnischen,
volkstumlichen Aufzeichnung desselben Mlrchens hat dati
Vergessen des Zauberrings einen umwa.lzendenEinHuss
ausgenbt, lm Anfang des M~rchens Ist der Ring nicht not-
wendig gewesen, denn die Lampe konnte statt des Ringes
den jungen aus der Erde heraufbringen, da aber der Ring
spater in der Erza.hlung nicht vorhanden ist, um die ver-
lorene Lampe zurtlckzuschaffen, ist es eine Notwendigkeitgewesen, die Entwendung der Lampe wegzulassen und den
Schluss der E.rzahlung ganz umzuformeu.
B e i m U b c r g a n g d e s M Q r c h e n s a u s einerGe-
gend in cine andere erf o l gt da rin oft Akklimati-
s i r u n g e in e s fremden Gegenstalldes. An die
Stene des fremden Gegenstandes wird ein in der Gegend
bekannter oder weoigstens bekarmterer Gegenstand gesetzt,
namlieh ein solcher, der seiner Art nach dem ursprtrng-
lichen nahesteht, So vertauschen sich z. 13. das Pferd und
der Esel, Was in Sud- und teilweise aueh in Mittdeurop.a
von dem Esel, das wird in Nordeuropa vom Pferde erza.h~t.
So verh~Ut es sich im MArdlen von den Tieren im Nach-
quartier, wo einer der Wanderer ein Pferd (Esel) ist, und
im Zanbervogelmarehen, wo es sich urn die Verwandlung
in elnen Esd handelt, Dem sehlauen Fuchse der euro-
paisehen Tiergeschichten entspricht a n Asien ein Schakal,
in Afrika ejne Schildkrote oder ein Hase, und bei denamerikanischen Negern ist das schlaue Tier das Kanieehen,
1m Ma.rchen von den drei Zaubergegenstanden und den
wunderbaren Fruehten haben sich die Apfel in Sndeuropa
.unci Agypten in die Fruchtarten der warm en Lander ver-
wandelt: in Feigen, Trauben und Datteln.
Diese Erseheinung hat il l del' MS..-chenforschung eine
grosse Bedeutung, Die Verwandluug des Fremdenin Be-
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Jio~FC 3 Die Veranderungen in den M arcllen .~-~.-~~--- . . . . . ---~......._ - - ---- "--- --~ ~-"-- - -~ 37---~--.
kanntes beschrankt sich nieht auf die Gegenstande, sondern
sie reicht del tiefer in die Erzahlung hinein. Obwohl die
E rzah lung, wenn sie von einem Volle ZUI11 anderen Ilber-
geht., in der Hauptsaehe ihrenTnhalt beibehalt, konnen die
einzelnen ZOge sich den Verhaltnissen, Sitten, Auffassun-
gen, der Religion usw. anpassen, jedes Volk drtrckt sozu-
sagen dent MArchen in irgendeloerWclse seinen Stempel
auf. Die verschiedenen Bildungsgrade der V()lker z. B.
hinterlassen ihre Spuren in der Erz.4blung. In dem Mei-
sterdiebe legen einige Volker das Schwergewicht daraul,dass der Held des M4rchens ein geschickter Dieb ist,andcre
wieder auf seine Klugheit unci Findigkeit,
Eine Abnlicbe Anpassung bemerkt man auch in den
Personen- und Ortsnamen, werm solche in den M:trcll1en
vorkommen. Wenn der Deutsche den. Helden des Mar-
chens Hans nennt I(Z. B. der starke Hans) und der Russe
entsprechend [wan, benutzt der Finne den Namen Ma.tz
(v4kevaMatti =er starke Matz), In dem Marchen vom
Manne, der sagt, er komme von Paris - Paradies, haben
in einigen Landern die Ortsnamen derselben durchzudrin-
gcn versucht, soweit diese zu einer derartigen Missdeutung
An lass geben konnten, So treffen wir In den skandinavischen
Landern solche Namenvermischungen wit: Ringerike - him-
mclrike, Ringerig ._ himmerland und in Finland ganz all-
g~mein Taivassalo ~ taivaansali (taivas::;;:::::der Himmel,
salo > sall =er Saal). Taivassalo 1St der Name eines sud-
westfimnischen Kirchspieles,VerAnderung des Frentden in Bekannt~s
i t a u c h d i e Mo d e r n is ie r ung e i e s v e r alteten
C; e g ens tan des 0de r Beg r iHe s. Ein Gegenstand.,
den unsere Zeit. nicht: rnehr kennt oder der wenigstens
nicht mehr dieselbe Bedeutung hat wie Iruher, wird mit
e iriern neueren vertauscht, In dieser Weise sind im Baren-
frassmlrchen statt der von dem Manne gebrauchten Zugtiere,
der Ochsen, an einigen Stellen Pferde erschienen, Ebenso
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3 8 , AN 'TTI AARNE, Le i t faden. FFCr3
findet sich im MArchen von der Ernteteilung zwischen dem
Teufel und dem Manne (dem Blren und dem Fuehse), \\"'0
der eine das Oberirdische, der andere das Unterirdische
erhah, an der Stelle der ursprOnglichen Rube zuweilen
deren neuzeitlicherer Stellvertreter, die Kartoffel,
Die VerAnderungen in den MArchen sind
b i we i e n s o n a t a r li h, d a s s ih r Ni c b t e i t r e -
ten m e h r be f rem den w 0 . r de ad s ih rEi n t ret en.
Die Beschaffenheit einiger Zage verfubrt direkt dazu gewisse
Anderungen vorzunehmen. Wenn z. B. im MAr,ehen von
den drei Zaubergegenstanden und den wunderbaren Frueh-ten die EmpU.nger der ZaubergegenstAnde dre] sind, aber
als Verlierer derselben nur einer VO'D ihnen vorkommt, ist
es ganz natndich, dass der Erzahler bisweilen entweder
auch die Anzabl der Empfanger auf einen zusammengeaogen
hat ode'rumgek~hrt [eden EmpfAnger seinen Gegenstand
hat verlieren lassen. Ebenso sind in das Zaubergaben-
mlrchen statt eines Empfangers der Zaubergegensttnde
zuweilen dreigekomment weil von dre] Gegenstanden die
Rede ist, Die Empfanger sind dann gewohnlich Brader, und
die Verlnderung ist augenscheinlich durch das allgemeine
Vorkommen der drei Brader ~n den MIFchengefOrdert
worden. Im ZaubervogeImlrchen beziebt sich die Zauber-
kraft ursprunglich uaf den Kopf und das Hen des Vogels,
sodass der Verzehrer dles Kopfes Kl'>nig wird und der des
Herzens das Vermogen Gold zu erzeugen gewinnt, Eine
naturliche Fomge der europaischen Zauberschriftbildung,
gernass deren die Zaubereigenschaft des Vogels durch eine
auf den F1ftgeln befindliche Schrift bekannt wird,ist die
bisweilen auftretende Verbindung der Zauberkraft mit den
FI(}ge~n gewesen. Die BiIdung hltte wahrscheinlich eine
weitere Verbreitung gefunden, wenn die Ungeniessba.rkeit
der FIOgd sie nicht daran gehindert hatte.
Hinsichtlich einiger Veranderungen ist es moglicb, dass
sie neben der gewohnlichen durch Entlehnung erfol!gten
,J
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FFC 13 Die geographiseh-historif'che Forschungsmethode. 39
Verbreitung mitunter auch selbstandig mehrere Male vor
sieh gehen konnten. So wahrseheinlieh in dem Mlrchen"Die Tiere im Nachtquartier", wenn anstatt der ursprnng-
~ichen Auslegung des Halmschreies solche allgemeine
Ausrufe wie "Nehmt ihn fest" und "Schlagt ihn tot" Ein-
gang gelunden babe-no Dieser Art sind zuntlchst die im
vorhergehenden Absatz angefuhrten, dureh ihre Natllrlichkeit
gekennseichneten Veranderu nge n.
III Die geographlseh ...historisehe Forsehungs- ..methode.
Der Urheber der gcographisch-historisehen Forschungs-
methode war der finnische Gelehrte julius Krohn, der sie
zur Ertorschung der Kalevalalieder iaowendete. Zu seinem
Verfahren gelangte er auf folgende Weise. A. A ..Borcnius
batte in seinern Aufsatz "Wo ist das Kalevala enstanden?"
~Suoll1en Kuvalehti 1873) mit sprachliehen und sachlichenGrunden gezeigt, dass die Kalevalalieder, die ostlich der
firmiseben Grenze bei den in Nordrussland wohnenden
Kareliern aufgezeichnet worden waren, nicht aus diesen
Gegenden stammen konnten, sondem dorthin von Westen
her aus Finland eingewandert seien, J. Krohn machte
ausserdem die Wabrnehmung, dass sich in den Liedern
auch sUdlichet aus Ingermanland end Estland gekommene
Elemente befanden, Urn sich klar zu machen, was in den
Kalevalaliedern aus demWest,en stamrnte, was aus dem
SOden gekommen und was wiederum karelischen Ursprungs
war, begann er die einzelnen Lieder eingehend zu durch-
forschen. Und er erkannte, dass sieh die Lieder bei ihrer
Wanderung von Westen nach Osten und von SOden nach
Norden in der Weise verandert hatten I dass sich die eine
Fassung aus der anderen in geographischer Reihenfolge
eritwickelte. Auf diesem Wege riickwArts gebend, versuchte
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ANTTl t\.\RNE, Leitfaden, FFC 1'3----- ------.--.-----~----.-
•er fur [edes Lied die Urform und zugleich die Heimat zu
ermitteln, 1)
1 ' : 5 warkein reiner Zufall, dass diegeographisch.
historische Methode zum ersten Malin Finland angewendet
wurde, Dies leitete sich zunachst aus der Reichlichkeit des
finnischen aus dem Munde des Volkes aufgezeiehneten
Forsehungsmateriales her. Aber die Methode selbst ist
vollstandig international und so naturlich, dass man zu ihr
selbstandig in jedem anderen beliebigen L.ande hatte kommen
konnen, und es sind auch Falle vorgekommen, \\'0 die Erfor-
scher der Volkspoesie unabhlngig voneinander daagleieheVerfahren anzuwenden begannen, "Auch ohne die finnisclu-
Forschung ware sie zurn Hauptwerkzeug des Forsehers ge-
worden A, hat. der dlnische Gelehrte Axel U/rill gelusscrt.
Auf das Gebiet der Marchenwandte die' geograpbisch-
historische Methode meines \Vissens zumersten Mal Kanr!,.
Kroh» in ' selnen Tlermarchenforschungen an, von denen
Im ersten Teile meines Werkes gesprocben wurde.
Der die geographisch-historische Forsehungsmethodebeuutzende Forscher stellt sich alserstes Ziel die AufsudlunR
del" uraprunglichen Form des M.archens.. 'Veil die Verande ..
rung-en nach bestimmten Gesetzen des Denkens und del"
Phantasie geschehen, ist er bestrebt, darauf fussend, durch
die Vergleiehung del' Marchenvarianten die Schicksa]e des
Ma.rchens rackwarts ZUi verfolgen, die Erzahlung von allem
zu reinigen, was spater hinzugekommen ist, und auf diese
Weise zu ermitteln, wie das MArchen beim Antritt seiner
Reise ausgesehen hat.
Aber das gesammelte Material ist in bestimmter ortlicher
und zeitlicher Ordnung zu vcrglelehen. Die Verlnderungeu
in den Marchen vollziehen sich gewohnlich allrnahlich beirn
Obergang des Mlrchens von einem Orte zu einem anderen
I
I~II
III
J
iI) Krohn; K.j Uber die finn. f olkloristische Methode lFinl!l.-Ugr, Forsch, 1910 S. 36).
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uad von. einer Zeit zu der anderen, und darum gleichen
sich zweigeographisch lind zeitlich einander nahestehendeMlrchenvarianten gewohnlich mehr als die Varianten, deren
Aufzeichnungsortc weiter voneinander entfernt liegen, Die
crste Aufgabe des Forschers ist 'es daher die Steffe nach
den Aufzeichnungsorten in geographische Ordnung und,
soweit ~Jte.re literarisehe Quellen existieren, in historische
Ordnung zu bringen.
Der in der vergleichendcn Marchenforschullg sehr be -
deutungsvolle Umstand, dass der Grad der Entstellung desvolkstamlichen M4rchens auf der Lange des zuruckgelegten
\Veges beruht, ist teilweise eine Folge davon, class fa,r
einen IAngeren Weg eine lAngere 1Nauderungszeit nOtig
ist, aber in bemerkenswertem Mass'e leitet er sich auch von
der Tatsache her, c lass als Ursachen der Veranderungen
zum grossen Teil die von aussen korumenden Einflusse
erscheinen, Einen je langeren \Veg das Marchen wandert,
in desto mehr variierende Verhaltnisse gerat es, d. h.: desto
mehr bekornmt es Anlass zu Veranderungcn. Ausserdern
muss man sich natnrlich eriunern, dass das Mlrchen sich
lm Laufe der Zeit auch in derselben Gegend verandert und
zwar in besonderen Fallen sogar sehr stark.
Das Mlm-chen 1St gewohnlieh aus verschiedenen Aben-
teuern zusammengesetzt. Da es aus diesem Grunde schwer
wird, die Erzahlung auf einmal in ihrer Gesamtheit durch-
zumustern, ist sie zuerst in ihre Hauptteile zu zerlegen lind
[eder TeH einzeln zu eriorschen, Aber auch ein ejnzelnesAbenteuer ist 7.U kcmpliziert, darum werden wir es wieder
der Reihenfolge nach in seine Hauptstoffe, in Zuge: die
Persenlichkeiten, Gegenstande, Mittel, Tatigkeiten usw, teilen
und deren ursprungliche Formen aufsuchen. FUr jeden
einzelnen Zug gehen wir den ganzen Stoffvorrat dUTCh ..
Die Aulsuchung der ursprunglichen Form des Ma.rchens
wird auf diese Weise zum Aufsuchen der Urform der
Bestandteile der Erzlhlung. Nur durch diese Behandluug
Coogle Or ig in a l f rom
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ANTII AARNE,Leitfaden .. FFC 1 3-~--
ist es uns mogtich in das bunte innere Leben des MArchens
ei nzudri ngen.Bei der Feststellung der Urform del' ZOge werden
folgende Umstande in Betracht gezogen.
Die a l lgem e in e rv 0 r k 0m men d e For In is t
h auf ig e r u r s p r i1 n g lie h a I s die s e It e n e r v 0 T-
k 0 In In end e. Die einzelnen oder sehr se1tenen Falle sind
gewOhnlich zulallige Erscheinungen. Die Mehrzahl der
Varianten kann jedoch nieht allein die Frage entscheiden,
sie kann auch trugen. Die Anzahl der Varianten beruht
z. B . auf der Intensitat der Sarnmelarbeit in verschiedenen
Gegcnden. Eine in genauer abgesuchten Gegendenvor-
kommende spatere Form kann auf diese Weise durch eine
gressere Anzahl Varianten vertreten sein als die ursprflng-
liche Form, die meistens den weniger durchsuchten Lokali-
taten angehort. Hie und da ist eine spatere Bildung durrh
Verrnittlung der Literatur sehr allgemein geworden. 1m
MArch en von den Tieren im Nachtquartier z. B. hat die
grimmsche Variante verursacht, dass die Rauberform heut-
zutage im Volksmunde viel allgemeincr ist als die ursprung-
liche Wolfform.
Neben der Anzahl der Varianten muss man daher beim
Aufsuchen der Urform sein Augenmerk noch auf andere
Umstande richten.
Ein solcher Umstand ist der Umfang der Verbreitungs-
gebiete der verschiedenen Formen des Zuges, Die in
e in e m w e i e r e n Gebiete vorkommende Formhat im allgemeinen den Vorzug vo r einer i n
eng ere m G e bie tea n get r 0 f fen e n For m. \\renn
die ursprOngliche Form aus irgendeinem Grund selten ge-
worden ist, wahrend die spateren Bildungen an RaUD l
g:cwonnen haben, zeigt das grossere Verbreitungsgebiet
der ersteren gewOhnlieh ihr hoheres Alter an. Es gibt
sogar F a : 1 J e , wo die spateren Bildungen in einem beschrank-
ten Gebiete die ursprungliche Form spurlos versehwinden
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FFC 1 3 Die geographisc~~~_i~~risc~e F_:_?!~~'~lIngsmethode. 43
lassen. Dies ist der Fall, wenn im Mlrchen von den drei
Zaubergegenstanden und den wunderbaren Fruchten der
urspriingliche Ort, \\'0 die FrOchte waehsen, die Mlnselu,
bei den Deutschen verschwunden ist. Dass die ,.,Inscl" frnher
auch bei den Deutschen bekannt gewesen ist, folgt aus deren
Vorkommen einerseits in Westeuropa, andererseits in Fin-
land und Russland, wohin das MArchen durch Vermittlung
der Deutschen gekommen sein muss. Es sei [edoch bemerkt,
dass ein einzelner Fall mitunter weit ausserhalb des Gebietes
erscheinen kann, auf welchem der in Frage stehende Urn standsonst angetroffen wird, ohne dass man ihm bei der Fest-
stellung des Ursprungs des Zuges besondere Bedeutung
beimisst. Er hat sich durch einen einzelnen Reisenden oder
auf andere zufAllige Weise so weit verirrt, So ist die
europaische Fassung des Zaubervogelmarchens, welche durch
die Zauberschrift gekennzeichnet ist, einmal auf der Insel
Mauritius an der Ostkuste Afrikas aufgezeichnet worden.
Den europaischen Ursprung der Variante beweist neben der
Zauberschrift das Versprechen des dem Vogel Nachstellenden,
die Toehter des Ernpfangers des Vogels unter der Bedingung
7.U heiraten, dass der Vogel zur Hoehzeit zubereitet wird, was
ein rein europaischer Zusatz ist. Ebenso sind die euro-
paischen Marchen bisweilen in Amerika. angetroffen worden.
Ferner sind die Verbreitungswege des
MAr c hen sin Bet r a c h t 7. U zie hen. Das kommt
dann in Frage, wenn die al1gemeine Verbreitungsrichtung
des Mlrchens aus irgendeinern Grund vollsUlndig sieherzutage tritt, obgleieh die naheren Umstande erst durch eine
eingehendere Untersuchung festgestellt werden. W iT kOnnen
z. B. in der Geschichte von dem Fisehen mit dem Schwanzc
beim Untersuchen anderer ZOge nieht unterlassen in Betracht
zu ziehen, dass das Eis als Ursache des Abbrechens vom
Barenschwanze das MArchen seinem Ursprung nach als
nordisch erweist und zugle!ch seine Verbreitungsrichtung
von Norden nach SOden bestimmt.
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ANTII AARNE, Leitfaden, FFC 13
Eine Handhabe liefert bei der Beurteilung noch die
allgemeine Heschaffenheit der Variente, E i1 e in e in e r
gut erhaltenenVa.riante v o r k o m me n d e Form
des Z u g e s hat g r ,(')sse r e n \V e r t, 3 .] s di e in ein e r
ver d o r b e n e n vorkommende. Dieser Urnstand erklart
sich aus der allgemeineu Regel, dass die Teile der Erzahhmg
unter nabem gegenseitigen Einfluss stehen. Die Entstellung
eines Zuges verursacht Entstellung anderer lhm nahestehen-
der Zuge, Wenn die schlechtere Beschaffenheit der Variante
auf schwacher Erinnerung des Erzahlers beruht, steht jsuch
in diesem Falle die Beschaffenheit des einzelnen Zuges inl:inklang mit der Beschaffenheit der ganzen Variante.
Auch ist die verschiedene Verbreinmgsfahigkeit des
Zuges, des ursprungtichen oder spater entstandenen, 7 .U
beachten, Solche U rn st a n de, die durch i r e n tr e]-
f e n den o d e r u n t e r h a lte e d e n Charakter ode r
a u s irgendeinem a nd e r e n Grund b e s o n d e r e r
Art den Sin n des Z u h 0 , r ~ r s f e sse 1n, e r h a Itt' 1 1
sic h be sse run d v era 1]g em e i. n ern 5 m c hie i b te r.
Von einzelnen Zugcn gilt dies ebenso wie von ganz,en
Mitrchen. Wegen Hues Humors ~st im Zauberringmarchcn
so hiuf]g die Geschichte von der Maus erhalten, die durch
das mit ihrem Schwanze auf dell Lippen des Entwenders
des Zauberrings verursachte Kitzeln diesen zwingt, dell
Ring auf den Boden auszuspeien. lm Ma.rchen von den
Tieren jm Nachtquartier hat der Hahn haufiger als irgendein
anderes Tier seinen Platz unter den Teilnehmern an der
Reise behalten, weil er beim Vertreiben des in die Stube
Eindringenden eine 80 besondere Aufgabe hat. Von seinem
hohen Aufenthaltsort auf dem Balken verkundet er dem Ent-
lliehenden seine strenge Drohung. Das mita.nderen zu
den Wanderern hinzugefugten Waldtieren verglichen hau-
fige Vorkommeu des Hasen est durch das dem unruhigen
Hupfen desselben angepasste treffende Moth" von dem
Suchen der Waffe verursacht worden.
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Ejnes der wichtigsten Beweismittel fur die Feststellung
der Ursprunglickeit des luges ist dessen Naturlichkeit,
D a s N a t u r li h e is t n e b e n d e m L l n u a t u r l i h e n
a I 5 U r S P r iln g 1 ic h z u bet rae h ten. Dieses Argument
scheint vielleicht auf den ersten Blick zweifelhaft, denn man
IllUSS lug-eben, class es an sichetwas Subjektives enth41t.
Der eine kann das eine natiirlicher finden als der andere.
In unsicheren Fallen, wenn nicht andere in dieselbe Rich-
tung deutende Umstande erscheinen, ist es auch am besten
die Entscheidung zu unterlassen, Deonoeh entwickeln dieErfahrung und das grnndliche Bekanntwerden mit dem
inneren Leben der Volkspoesie in grossem Masse das Urteils-
vermogen des Forschers in dicser Beziehung und beschranken
die eventuelle Subjektivitat,
\Venn z, B. im Marcllen von den Tieren im Nachtquar-
tier die Katze ganz allgcmcin auf die Feuerstelle (den Herd)
gesetzt wird, von wo aus sic dem in die Stube Eindrin-
genden das Gesicht zerkratzt, und der Hahn auf den Hal -
ken. urn zu krahen, ist es unzweifelhaft, dass die Tierr-
schon in der Urform des Mlrchells gerade diese fur sie so
naturlichen Aufenthaltsorte gehabt haben. Die Naturlichkeit
entscheidet auch die Frage, ob del' in den nordischeu
Varianten vorkommende Bar oder der hauptsachlich in den
sudliehereu Gegenden anzutreffende \VoH in der Geschichte
vom Fisc-hen mit dem Schwanze ursprunglich ist. IJer
Zweck del" Geschichte ist ursprnnglich offen bar die Erkla-
rung der Kurzschwanzigkeit irgendeines Tieres gewesen,und der langgeschwanzte Wolf erscheint in diesem Faile
nicht passend. Die Urspriinglichkeit des Haren bekraftigen
einige andere Umstande. So hat die Unnaturlichkeit des
\Volfes zuweilen ver1eitet zu erklaren, class man fur ihn aus
Eisen oder Hanf einen neuen Schwanz beschafft hat, oder
class der Schwanz nicht ganz abbricht, sondern abgenagt wird.
N e b e n del' Naturlichkeit d e s u r s p r n n g-
lic h e n Zuges kommt d e m Forscher bei der
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ANTTl AAR,HE, Leitfaden.
Auffindung der Ll r Iorm mit unter die Folge ..
r j c h tig k e i t z u H i f e. Man hat auch Zweifel. darabergel.ussert, ob die M4rchen ihrem Ursprung nachfolge,
richtig seien. Dazu sei bemerkt, dass [ede Forschuog von
der Voraussetzung ausgeht, dass das von lhr benutzte
Material aus vernnnftigen Konzeptionen hervorgeht, ohne
diese existiert keine Wissenschaft, Und dass es mit den
M4rchen so ist, das ist im Vorhergehenden scbon gezelgt
worden, Es ist gelungen, die Schicksale laager kompliziester
Ma.rchen zu erklaren, und als Resultat hat sicb.-eine ein-
heitliche, hannonische Urformergeben. Irrtumer sind natnr-
lith auch auf diesem Gebiete mOglich, aber mit dem Fort-
schreiten der Forschung werden sieallrnahlich richtiggestelh
werden.leh werde dies durch folgende Beispiele beleuchten,
m n dem Zaubervegelmarchen ist neben der M.A.rcbenform
mit zwel Zauberkraften auch die Form mit einer Zauberkraft
ziemlich verbreitet, wozu nur das KOnig-werden gehr.trl
Wenn zu entseheiden ist, welche von diesen Fassungen
ursprunglich ist, muss man in Betracht ziehen, dass dieAnzahl del' Verzehrer des Zaubervoge'ls auch i n der M A r -
chenform mit einer Zauberkraft gewOhnUch zwei ist ,(Broder).
Zauber sind augenscheinlich ebenso viele wie Versehrer
vorhanden g'ewesen.V\renn einmal zwei Personen genannt
werden.vist es folgerichtig, dass man von jedem der belden
auch etwas Besoaderes zu eraahlen hat. Undl ein anderes
Beispiel aus dernselben Marchen. Wenn der Liebhaber de r
Frau verlangt, dass die jungen, die Verzehrer des Vogels,
geschlachtet und aus ihneu ein Braten zubereitet werden
soll, heisst es bisweilen in verschiedenen Gegenden, dass
die Mutter dieser grausamen Forderung ihren Beilall gibt,
Dies geschieht nieht so oft, class man den Zug wegen seiner
Hlufigkeit als ursprunglich auffassen kOnnte, aber in . die
\Vagschale Iallt noeh del' Umstand, dass die Jongen ver-
hAltnismassif;( oft am Schluss des M4rchens auch die Mutter
bestralen und zwar auch in solchen Fillleu, wo die Zustim-
J
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mung der Mutter nieht erwahnt wird. Wenn auch die
Mutter bestraft wird, ist sic gewiss ursprtlnglich auch schul-dig gewesen. \Veon im MArchen von den Tieren im Nacht-
quartier der auf den Wipfel des Baumes geflogene Hahn
in einem ferneo Hause Licht erblickt, wohin sich die Tiere
dann begeben, so ist dies ein spaterer Zug, denn er setzt
das Zubausesein der Bewohner und die zweite Verjagung
voraus, die als Duplettenform sparer entstanden ist, Es Ist
nicht anzunehmen, dass aus dem Hause ein Licht schiene,
wenndie Bewohner abwesend wAren.
Es ist auch in Betracht zu ziehen, ob del' durchzumu-
sternde Zug sich nur in dem zur Untersuchung vorliegenden
MArchen vorfindet oder ob man in einem oder anderen
Mlrchen einen gleichen oder einen nahe an ihn erinnern-
den Zug antrifft, D ern u r j n e in e m MAr c hen b e-
fin d lie h e Z u g k ann e her u r s p r u ng lie h s e ina I s
de r Z u g, w e l c her sic t it au c han de r 5 W 0 fin de t.
Dies folgt daraus, dass jeder Zug ursprunglich zu einem
einzigen MArchen gehort, Wenn der Zug in mehreren
MArchen angetroffen wird, kommt also der Einfluss des
einen .Ma.rchens auf das andere in Frage, Dies kommt in
der Forschung so oft VOl', dass es unnOtig erscheint hier
Beispiele dafur anzuftihrerr.
Und zurn Schluss ein Umstand, dessen der Forscher
sich bei seiner Arbeit auch zu erinnern hat. Die A h n -
lichkeit des Zuges kann in e in z e l n e n Fal1en
au e h z u f A ] 1ig 5e in. Zufalligkeit kann man wenigervoraussetzen, wenn -dieselben Variationen in einem einheit-
lichen, beschrAnkten Gebiete vorkommen, Die Frag-e de ..
Zufalligkeit wird durch die Beschaffenheit del' Varianten in
anderen Beziehungen entschieden. Wenn man in ihnen
keine andere nahere Ubereinstimmung bemerkt, handelt es
sich wahrschein1ich urn Zulalligkeit, So verhalt es sich z, B.
dann, wenn im M4rchen von den auf der Reise bcfind-
lichen Hausgeraten die zu qualende Person einerseits in
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ANTII AARNE, Leitfaden,- -
_ __ _ _ _ _ _ F~(::_l~
japan und Indien, andererseits jin einer europaischen Variance
ein Tier ist, 1He Varianten sind sonst so verschiedenartig,wie es in so weit auseinanderliegenden Gegenden aufge-
zeichnete Varianten liberhaupt im allgemeinen sind. So
ist das Tier schon seiner Art nach :in den verschiedenen
Varianten verschieden,,
, II
I,
I
Wenn "vir durch die zugweise veruleichende Unter-
suchung errnittelt haben, wit' [eder Teil der ErzAhlung beim
Entstehen des· Marchens ausgesehen hat, so gelangen wir
von bier durch Verbindung der einzelnen luge zn del'
Urform des g',anzeD Marchens. Das Ergebnis beschrankt
sich natarlieh auf den Inhale des Marchens, uber seine \Vort-
form konneu wir keine Klarheit ~ewinnen,
So interessant aber auch die Erkenntnis der Urform des
Mirchensals solches ist, ist es <loch nieht das schliessliche
Ziel d'er Forschung, sondern nur ein Mittel zur genaueren
Feststellung der Sehlcksale des March ens, Mit Hilfe del'
Urform des Ma.l'chens kl)nnen wir die Heimat, die Nationafi-
ta.t und die Verbreitungswege des MArchens naher erforsehen,und sic leiter tins auch bel der Bestirnmung del" Entstehung's-
zeit des Ma.rchel1s.
'Vas zuerst den Elltstchung'sort und die Ver-
breitungswege der Ma.rchen anbelangt, liefert uns die ver-
gleichende Forschung daruber seltener genaue, eingehende
Erg'ebnlss,e. Abel' Ortsbestiunnrmgen allgemeiner Art, z, B.
ob das Marchen morgen- oder abendlandisch ist, ob es aus
dem kalten Norden oder dem warrnen SOden 5t3 1 1 1 1 11t, was
fur allgemeinere Ricbtungen es g·ewandeli't ist u. a., sind
leicht zu crmjtteln. Oft kann man auch mehr oder weni-
g-er sicher den Toil Asiens oder Europas bestimmen, wo
das Marchen seine Wanderung begonner» hat, ja bisweiten
auch seine Nationalitat. Und die Forschung erk~art. auf
diese Weise die Ortsverhaltnisse nieht nur der selbstarrdi-
g'(;'n Marchen, sondern auch ihrer Variationen, der inihuen
erfolgten spateren Vcranderungen,
J
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FFC 1 3 Die geographisch·bistOl:!sche Forscbungsm~!h~~e .. 49
Die Schwierigkeiten bei der genaueren Bestimmung
des Heimatsortes des Mlrchens steben in Zusammenhang
mit der allgemeinen Beschaffenheit der Marchen. Die Mlr·
chen kammern sich sehr wenig um die Ortlichkeit. Sie
verknapfen sicb nieht in der Weise der Sagen mit einzel-
nen Orten oder PersOnlichkeiten. Von der Art der MArchen
gi.bt in dieser Beziehung am beaten der sie oft einleitende
Ausdruck "es war einmal" eine Vorstellung, aber auf das
"Wo" wird keine Riicksicht genommen.
Den Heimatsort des Mlrchens endgOltig zu bestimmengenQgt bisweilen ein einzelner Umstand, aber oft beschrankt
sich das Ergebnis auf die Wahrscheinlichkeit, und die Ge-
wissheit .verlangt. class mehrere Beweismittel in eine und
dieselbe Richtung deuten ..
Beim Bestimmen des Entstehungsortes des
MArchel1s ist es am praktisehsten zuerst die
a.lteren literarischen Varianten d u r c h z u m u-
stern, soviel deren bekannt sind. Wenn diesealle
in dieselbe Riehtung weiseo, gewinnt der Forscher darnit
einen guten Leitfaden fOr seine Bestrebungen. So verhAlt
es sich mit dem Zaubervogelmarchen, dessen Altere litera-
rische Varianten aIle morgenlandisch sind. Der Forscher
darf aber nicht vergessen, dass die literarischen Varianten
.Beweismittel zweiter Ordnung sind. Erstens sind sie gewohn-
lich, wie schon erwahnt, spatere Bearbeitungen der Erzah-
lungen, und zweitens sind die Sammlungenselbst oft durch
Ubersetzungen weit von ihren ursprnnglichen HeimatsortenObertragen worden, in ihrem Inhalt und ihrer Zusammen-
setzung mehr oder weniger verlndert. Urn sichere Ergeb-
nisse zu erzielen, sind wir daher neben den altereD litera-
rischen Varianten auf die von dem volkstumlichen MArchen
gebotenen Mittel angewiesen ..
Eines der wiehtigsten Beweismittel bei der
Bestimmung des Heimatsortes ist das Ve r b r e i-
tungsgebiet de s M4rchens. Wenn das MArchen nur- 4
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50__ .. .. AN])l ~RNEj Leitfaden, FFC ]3
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I, "I '. . . : 1
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I
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in einem besebrankteren Gebiet bekannrtst, ist sein even-
tuelles Entstehungsgebiet in demselben Masse beschdlnkt.
Dass die M,lrchen von den Tieren m m Nachtquartier und
von den drei Zaubergegenstanden und den wunderbaren
Frnchten, die blnfig in . Europa vorkommen, aber ausser-
halb desselben nur alseineelne ausEuropa eingewanderte
Varianten, ursprunglich europaiseh sind, ist eine naturliehe
Sache.Die Umformung des, Mlrchens "Der Blr mit den
Zlh:nen am Schwanze des Pferdes ha.ngend'", wo der .BIr
den Fuchs an den. Schwanz des Pferdes lockt, ist in Nord-europa entstanden, denn sie wird Durin Skandinavien,
Finland und Estland angetroffen, Das ZLIl dem Zauber-
vogelmarehen gehorende EntzOnden der Kerze in del' Kirche
bel der Kr»nigswahl kommt nur in Finland und Russland
vor und hat sich natnrlieh auf diesem Gebiete geblldet,
augenscheinjich in Rusaland, wo die Kerzen 1m grleehiscb-
katholisehen Gottesdienst einen so bemerkenswerten Platz
einnehmen,
Wenn wir in solehen FaJlen den Entstehungsort des
Marchens genauer bestimmen wollen oder wenn der Verbrei-
tungsbe.zirk des Mlrchens niehl so besehraakt ist, m us s
man seine Schlfiss·e auf die H4ufigkeit u n d
Be s c h a ff e n h ei des MIrc hens in v e r s c bie den e n
G e g ell den g r Q n den. WenD das Zauberringmarchen in
den verschiedenen Teilen von Asien verhaltnismassig oft
angetroffen wird und welter im Osten Europas merklich hAu·
figer ist als im West;en - in Frankreich, Deutschland undEngland ist es gar niehr anzutreffen -, weist dies deutlich auf
die Herkuoft des MA.rehens aus Osten" aus Asien hin. Zu
demselben Resultat kommen wir wenn wir das Verhaltnis
der asiatischen und der europaischen Varianten mit der
Urfonn des Mlrcbens vergleicben. Die asiatischen stehen
nlmUch im allgemeinen der Urforrn naher, nod die im Ost~
lichen Europa gemachten Aufaeichnungen sind besser als die
weiter imWesten niedergeschriebenen. Das europaische
MarcheD von den drei Zaubergegenstanden und den wunder-
I.
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FFC 13 Die geographlsch-hisforiscbe Forschungsmethode. 5[--- -----
baren Frachten wird von Westen naeh Osten .zu entstcllt,
woraus wir schliessen konnen, class das M§.rchen in diesel
Richtunggewandert ist und also aus clem westlichen Europa
stammt.
Zur Auffindung des Heimatsortes b re te t
bi sw ei l e n vauc h d e r Inhalt des .Marchens ein e
Ha: n d h a b e, Es lOnnen in der Erzahlurrg sogar Umstande
vorkommen, die die Frage allein entscheiden, Wenn z, B.
in der Geschichte vom Fischen mit dem Schwanze, deren
Grundidee in der Erklarung der Kurzschwa.nzigkeit~esBaren besteht, das AbfaUen des Schwanzes Eis voraussetzt,
so zeigt dies, class das MArchen in den nordischen Landern
entstanden ist, wo die Gew4sser zufrieren, Uod wenn jemand
doch die Ursprunglicbkelt des Eises bezweifeln sollte, muss
der Zweifel schwinden, wenn eine allmahliche Entstellung
des Zuges von Norden nach Suden beobachtet wird, Auf die
kalten Gegenden weist auch die Hausbaulorm des Ma.rchens
"Die Tiere im Naehtquartier", Das Haus wird namlich zum
Schutzgegen die Kalte des Winters gebaut. Der Entste-
hungsort des Marchens druckt auch sonst dem Inhalt der
Erzahlung bisweilen seinen Stempel auf, woran er kenntlich
ist, So sind Kolorit und Stirnmung des Zauberringrnar-
chens morgenlandisch, Wenn man diesem Umstande auch
keine entseheidende Bedeutung be imessen kann, stiltzt er
doeh andere Argumente, die gleichfalls nach Osten weisen,
Die Verbreitungswege del' Marchen beruhen in
jedem einzelnen Faile auf dern Entstehungsort des Marchens.Sie ergeben siehin ihren Hauptztigen gewohnlich schon
beim Suchen nach der Urform des Ma:rchells und besonders
dann, wenn del' Heimatsort desselben bestlmmt worden ist.
Eingehendere Aufschlusse lassen sich durch doe besondere
Behandlung dieser Frage gewinnen.
Hinsichtlich derW.anderungswege der Ma.rchen ver-
d~'ent die Frage des Zusammenhangs zwischen
diem Morgen- und Ab e n dl an d eine besondere Auf-
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52 ANnI AARNE, Lei tfad en,~--~ -----~----- ~---~-- - .;.--~.=-=-==-=-~- ~-. ~
FFC 13 ,
I
J
merksamkeit, denn sie hat der Forseher so oft zu ent-
scheiden.
Wenn die Mlrcben auf mQndlkhem Weg vom Morgen-
land nach dem Abend~and oder umgekehrt ubergingen,
konnten sie zwei Hauptwegeeinschlagen: den sOdlichen
durch Sndwestasien und die Balkan-Halbinsel oder den
nerdlichen, der das Morgenlland und Russland entweder
durch Sibirien oder Kaukasien verbindet, Itn SOden konnte
eine Verbindungauch zwischen Asien und Nordafrika und
zwischen dem letztgenarmten uno SOdeuropaentstehen.
Da die lJrtlich einander naherstehenden Varianten sich
un allgemeinen mehr gleichen, ist das naterlichste Miue]
beim Untersuchen der Wanderungswege des Marchens, die
Beschaffenheit desselben in zwei einander am nAcbs,ten
negenden l.andern durchzusnustern, Wenn das Ma.rchen
in aneinandergrenzenden Tejlen Asiens und Europas bekannt
ist und dazu auf heiden Seiten eine n.Ahere Obereinstim-
mung bemerkbar ist, 50 ist es unzweifelhaft, dass es von
der einen Seite nacb der anderen gewandertist.W,enn z, B.das morgenlandlsehe Zauberringmarchen sowoh1 in : SUd·
westasien als auchauf der Balkan-Halbinsel b~kannt ist
und auf beiden Seiten solche besonderen ZUge vorkommen
wie das Siegel oder der Stein. des Ringes als Zauberge-
genstand, kann man sich nur vorstellen, <lass das Ma.rehen
auf diesem Wege nach Europa gekommen ist, Die Oberein-
stimmmungen in dem ebenso morgenlandischen Zaubervogel-
marchen zeigen, dass das Ma.rchen von Sudwestasien nach
Nordafrika und dem Balkan Obergegangen ist, und es wird
sogar deutlich, dass es vern Balkan und aster~eich-Ungam
nach Russland gewandert ist. Das Zaubervogelmarchen ist
einmal auch bei den sfbirisehen Tartaren aulgeaeichnet wor-
den, aber diese Variance bezeugt nieht, dass sieh das MAr-
chen auch auf dem nordlicheren Weg nach Europa bewegt
hltte, namlich direkt nach Russland, denn da kommt die
europaische Zauberschrih vor und ist der Vogel seiner Art
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~F~~ _ I!ie geogrdphisch-historisch~ Fors'chungsmetbo~~ __ 53
naeh, wie oft in Russland, eine Gans, woraus zu schliessen
die Varianteaus Russland stammt.Wenn man dem Obergang des MAr,chens vom Morgen-
land nach dem Abendland oder umgekehrt nachforscht,
bildet oft das Fehlenaslatischer Aufzeichnungen elne Sehwie ..
rigkeit. Der Forscher kann z, B. durchaus die Oberzeugtmg
gewinnen, dass das morgenlandlsehe M4rcben mimdlich
n.ach Europa gewandert ist, aber helm Fehlen von Auf-
zeichnungen welter westlich in Asien kann er die Wan-
demngswege nicht feststellen, Dies ist ejner von den der
F orschung noch anhaftenden Nachteilen, die bei der Ent-
wicklung der Sammelarbeit von selbst verschwinden werden.
Eini:ge LInder bildenInfolge ihrer geographischen Lage
Treffpunkteaus zwei Richtungen kommender MAr'cben-
strOme und erhalten dadurch fur die Erforschu ng def Mir-
chen besondere Bedeutung. AI!; Beispiel hierfur nehme ich
Finland, wohin Mlrcben von Westen, aus Skandinavien, und
von Osten. aus Russland, gestrOmt sind. Bisweilen bemerkt
man von ein und demselben MArchen deutlich zwei ver-
schiedene Fassungen, die auf dem Standpunkt der skandi-
navischen Varianten stehende westfirrnische und die den
russischen gleichende ostfinnisehe. Dies ist der Fall in dern
dreiteiligen die Verhaltnisse des Mannes, des Baren und
des Fuchses behandelnden Barenfrassmarchen. In. West-
finland und Skandinavien Tehlt der dritte Teil der Serie,
das Gesprlcb des Fuchses mit seinen Gliedern, der dagegen
zuweilen in Ostfil1]a.nd~ebenso wie gewOhnlich in Russ-land, vorkommt. ImMlrchen vom Fischen mit dem Schwanze
reisst in Westlinland und Skandinavien der Schwanz des
Baren beim Heben der vermeintlichen Fischlast oder beim
Erschrecken vor einern vom Fuehse herbeigerufenen Angrei-
fer ab, in Ostfinland und Russland erseheint a]s Tier ein
WoU, und die Angreifer kommen zufamg herbei,
Die Richtung der Einwanderung des Mlrchen.s in Fin-
land kann man gewohnlich wegen der Reichhaltigkeit der
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A NTI. AA RN E, Leitfaden. FFC 13
volksturnlichen MArchensammlungen entscheiden, Das Zau-
bervogelmarchen, dessen morgenlandischer Ursprung schon
die Ankunft des MArchens von Osten her voraussetzt, ist
in einigen Fallen besser in Ost- als in Westfinlandl erhal-
ten, und zwischen den Iinnisehen und russischen Varianten
besteht augenfa.IHge Obereinstimmung. Die Konigswahl
wird auch in Finland durch das russische Kerzenentzunden
in der Kirche entschieden ; in Ostfinland ist ebenso wie in
Russland der Zaubervogel ein Wasservogel, u n d o stall der
zum Schlachten bestimrnten Jungen werden junge HUDde
getotet, Die erwahnten im Marchen sparer erschienenen
Zo.ge sind in diesem vielleicht zurn Teil schon bei seiner Ein-
wanderung von Russland nach Finland vorhanden gewesen,
zum Teil erst nachher entstanden und in derselben Richumg
verbreitet worden. Als Beispiel der von Westen gekomme-
nen Marchen seien "Die Tiere im Nachtquartier" erwahnt,
Ausser dem Marchen selbst sind auch hier einige von den in
der Erzahlung spater geschehenen Veranderungen in dersel-
ben Richtung weitergewandert. Es verdient noch bemerktzu werden. class sich das Marchen dem Anschein nach nicht
von Finland nach Russland verbreitet hat. Die russische
Hausbaufassung dagegen ist nach Finland gekommen.
Auch beirn Suchen nach der Entstehungszeit des
Ma.rchens und der spater darin erfolgten Veranderungen
sind genauere Bestimmungen seltener mOglich.
Wenn die alteren literarischen Varianten die ursprung-
lichen Formen der Marchen reprasentierten und die Zusam-
mensetzung und das Alter der Sammlungen genau bekannt
waren, wurde die Ermittlung des Alters der Ma.rchen eine
leichtere Aufgabe sein. Aber als s p a t e r e Bearbei-
tungen der v o l ks t u m lic h e n Marchen k o n n e n die
l i er a r i c h e n Varianten nul' die s p a t e st e Grenze
f u r die Entstehung d e r MArchen mitteilen. U rn
wieviel das Marchen alter ist als die Sammlung, das kon-
nen wir nicht erfahren. Und auch jene spateste Grenze
wird dadurch oft unsicher, dass wir von dem Ursprung un d
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•.r~F_C13_!)ie ge~~raphil:ich-~storische F~n·schung:smeth?~e. __ ~
den Schicksalen del" alten Erza.hlungssammlungen oft so
un k lare Kenntnis besitzen. Wir konnen nicht bestimmen,
warm jedes einzelne Marchen in der Sammlung seinen
Platz erhalten hat. Das Erscheinen des Zauberringrnarchens
in der mongolischen Siddhi-Kur Sammlung z, B. beleuchtet
sehr wenig die Frage nach der Entstehungszeit d.ieses Mar-
chens, denn der Werdegang und das Alter des Siddbi-Kur
sind sehr mangel haft bekannt. Wenn wir dagegen das
.Zaubervogelmarchen in Nachschebi's Tuti-Narneh antreffen,
kOnnen wir schliessen, class das Marchen gewiss schon im
Anfang des vierzehnten Jahrhunderts in Persien bekanntgewesen ist, aber wenn zugleieb klar wird, dass das volks-
tiim1icbe Marchen alter als die Iiterarische Bearbeitung ist,
bleibt die Entstehungszeit des urspriinglichen Ma.rchens
doch unbekannt.
Gewisse Zeitbestimmungen bie t e t bi w ei l e n
a.U C h d e r I n h aIt d e sMa rchen s. Ebenso wie wir
bemerken, class der Entstehungsort des Marchens mitunter
Spuren in dessen lnhalt hinterlassen hal, so ist es auch mit
d.er Entstehungszeit desselben. Hierher gehort eigentlich die
schon fruher behandelte umfassendere Frage nach der Entste-
h.ungszeit del" Ma.rchen im allgemeinen. Viele in Ihnen vor-
kommende Kulturbegriffe erweisen sie als Ergebnisse der
kulturellen Zeit. Es seien z, B. im Ma.rchen von den drei
Zaubergegenstanden und den wunderbaren Fruchten die
Begriffe Soldat, Arzt, Geld, Apfel u. a. hervorgehoben. Im
Zaubervogelmarehen finden sich als ahnliche Anhaltspunkte
fur die Zeitbestimrnung das Gold und der zahme Esel oder das
Pferd. Die sparer in Europa erschienene Zauberschrift zur
Angabe der .Eigenschaft des Vogels leitet sich aus der Zeit
her, wo die Lese- und Schreibkunst schon bekannt waren,
Die Entzundung der Kerze in der Kirche beim Entscheiden
der Konigswahl ist ein Erzeugnis der ch.ristlichen Zeit usw,
Der Mangel in del' jetzigen MArc.benforschung, dass sie
nieht in allen Punkten vollstandig sichere und bestimrnte
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·FFC 13
Ergebnisse gewinnen kann, sondem sich bisweilen mit der
Wahrscheinlichkeit und mit al1gemeinen Schlussfolgerungen
begniigen muss, ist zurn grossen Teil eine Folge der Neuheit
des Forschungsgebiets und wird beirn ,Fortschreiten der For-
schung und beim Anwacbsen des Materials immer geringer
werden. Die inneren Schicksale des Mlrchens bergen
unzweifelhaft Umstande, we1che man bis jetzt noch nich;
bemerkt und voll erfasst hat. Die Untersuchung muss sich
auch zugleich mit dem Bestreben, die Urfonn, die Verhaltnisse
des Enstehungsortes, der Zeit und der Verbreitung zu ermit-
teln, das Ziel VOT Augen halten, sich immer tiefer mit denErscheinuogen des inneren Lebens der Ma.rchen bekannt zu
machen,
Die M4rchenforschung ist mit der Auffindung der Urform,
des Entstehungsortes, der Entstehungszeit und der Wande-
rungswege der MArchen keineswegs erschopft, "Erst danach",
hat Kaarle Krohn einmal scherzhaft geaussert, "beginnt
eigentlich die M:lrchenforschung". Mit Hilfe der gewonnenen
Resultate konnen wir nun die Elemente untersuchen, aus
welchen die M:t.rchen urspriinglich zusammengesetzt sind:
was in ihnen dem Volksglauben, den Sitten u, a. angebOrt.
Die Marchen werden zu wertvollen Hilfsmitteln im Dienste
einiger anderen Wissenschaften : der Ethnogra.phie, der
Archaologie usw, Aueh konnen WiT daran gehen die in
den Mctrchen vorkommenden volkspsychologischen Erschei-
nungen naher aufzuklaren, auf die schon in der vergleichen-
den Forschung soweit wie moglich eingegangen worden ist,
Fragen wie die, in welcher Weise jedes Volk die zu jhmgekommenen MArchen beeinflusst hat, sind [etzt an der
Reihe grOndlicher und erfoIgreicher untersucht zu wer-
den. Der gegenseitige kulturelle Einfluss der VOlker wird
beleuchtet durch die Wanderungswege der MArchen. Alles
dies sind Fragen, deren nahere Erorterung zu den Aufgaben
der zukunftigen Forscbung gehort und auf welche hier nur
hingewiesen werden kann.
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~'FC 13 Ilie Technik der MQrchenror~chung. 57-----_ .......- ._ . -- _, -, -----. ----'_. . . . . . . . _. ---,--'_ ---
IV. Die Teehnik der Marchenforsehung.
Um sich auf irgeadeinem Arbeitsgebiet erlolgreich beta ..
tigen zu kOunen, muss der Menscb das Arbeitsgebiet kennen;
wenn er die Arbeit zum erstenmal in Angriff nimmt, ist
seine erste Aufgabe, sieh mit dem Arbeitsgebiet bekannt zu
machen. Der Ma.rchenforscher muss sichauch
zu e r-s t v erb e r e i e n.d in d a s Forschungsgebi,et
e ina r -b eite n. Daz u gehOrt zunlchst das Lesen gu ter
Mlrchen.sammlungenJ wobei die Aufmerksamk.eit besonders
auf die Systematik der Mlrchen zu richten ist, Aber die
aufgezeicbneten UDd verOffentlichten Marchen sind schon
von ibren eigentlichen L'ebens,verhaltnisseugetrennt. Wer
mit den Mlrch~n intimer vertraut werden will, der muss
ausziehen und sie aus dem M.unde des Volkes sammeln.
FOr den Mlrchenforscher ist es sehr wanschenswert, dass
er selbst Marcben gesammeit hat. Und abgeseben von
den Materialien muss er danach streben, sich mit der For-
schung selbst bekannt zu maehen, sich schon im voraus
einen Begriff davon bilden, worum es sich in derselben
bandelt. Dazu ist die Lektare ttichtiger Spezialjorschun-
gen nOug.
Die a u s I u h r lic h e Kenntnis d e r Ma.rchen
is t eines der a l l e rwj e h t igs t e n Wel'kzeuge in
den Ha n d.en des Forschers. Dies ergibt sichteils
daraus, dass die Veranderungen so oft dureh den Einflussanderer M.archen verursacht werden. Je ausfOhrlichere
Kenntnisse der Forscher vom Inhalt del" Marchen hat, desto
Ieichter wird es ibm, den Ursprung del" Verandernngen zu
ermitteln, mit anderen Worten: destornehr Aussiehten hat
er fUr das Gemingenseiner Arbeit. Die Kenntnis clef M4r~
chen und besonders der MI.rchentyp,en bewahrt auch den
Forscher davor, MArchen mit einander zu verbinden, zwischen
denen kein wirlrJicher Zusammenhang besteht, Dergleichen
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58 AN1Tl AARNE, Leitfaden. FFCJ3
Fehler haben die mit den Ma.rchen weniger vertrauten
Forscher oft begangen.
\Ve n n die n lHig e 11 v 0 r b ere ien den Arb eien
au 5g e H i h r t sin d, s o l I de r For s c her d a s The rna
s e in e r For s c hun g wah len. Er muss das Marchen
oder die M<'1.rcbengruppe bestimmen, deren Schicksale er zu
erklaren beginnt. Hier ist hervorzuheben, dass das genaue
Bestimmen des Themas im voraus oft schwer ist. Beim
Fortschreiten del' Arbeit karin die geplante Aufgabe sich
erstens als zu beschrankt erweisen. Der Forscher kann
sich irren, indem er Variationen einunddesselben Mlrchens
fO r selbstandige Marchen halt, oder das von ihm zur Unter-
suchung herausgegriffene M1rchen ist mit irgendeinem ande-
ren Marchen so nahe verwandt oder mit ibm so vermischt
undverflochten, dass es schwer ist, die Untersucbung
desselben einzeln, von dem letzteren gesondert auszufCt.hren.
Derjenige Iehlt in der Wahl des Themas, der z. B. beginnt
die Form mit drei Zauberdingen vom Zaubergabenmarchen
zu behandeln, aber die Form mit zwei Zauberdingen unbe-
rucksichtigt lasst. WeI' das Titelituremarchen (Mt. 500)
untersuchen win, der muss auch das Marchen "Drei alte
Weiber als Hellerinnen" (Mt. S0l) mituntersuchen. Ebenso
sind die Marchen .,Das Madchen ohne HAndel! (Mt. 706)
und "Die drei goldenen Sohne" (Mt. 707) gleichzeitig zu
erforschen. Bisweilen ist wieder das gewa.hlte Themain
Wirklichkeit umfassender, als der Forscher sich vorgestellt
hat. Von diesen zwei bei der Wahl des Themas drohcn-
den Irrturnern hat del' erste verwirklicht schadlichere Folgen
als del' letzte. "Venn wir Material auf einem zu weiten
Gebiete gesammelt haben, ist es mOglich, zu beliebiger Zeit
das Thema zu beschranken, und del' Schade liegt nul' darin,
class wir etwas mehr Arbeit clarangewendet haben, als wir
diesmal gcdacht hatten. Aber nieht ebenso leicht ist es,.das zu knappe Thema zu erweitern. Die fO r die Forschung
notige Literatur ist von verschiedenen Seiten herbeizuschaf-
CoogleOriqinal from
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~ F _ F _ C _ 1 3 ; : : . . . _ ~_D_ie_T_e_c_h_n_ik_derM A rchen!~schung .:__ ~~
fen, und einige Werke sind schwer in die Hande zu be-
kommen. Noch muhsamer ist das Sammeln des handschrift-
lichen Materials. Kein Forscher hat immer al1e Quellen
in der Hand. Wenn er im Laufe der Sammelarbeit oder,
was noch schlimmer ist, erst nach derselben bemerkt, dass
er sich in zu engem Rahmen bewegt hat, verursacht es ihm
Schwier.igkeiten den Irrtum gutzumachen und es ist zum Teil
vielleicht unmOglich. Be ide r Wah Ide s The mas fUr
eine U'n t e r s uc h u n g muss man daher vor allem
eine zu enge Beschr!lnkung vermeiden. Praktischund klug handelt, wer das Samrneln des Materials etwas
welter ausdehnt, als es seine Untersuchung eigentlich erfor-
dern wOrde. Die schliessliche Beschrankung des Themas
wird ihm spater von selbst klar werden.
Das Zi e! des Sammelns d er Materialien i t ei e
mo g lic h s t grosse Anza.hl Varianten von d em oder
den zur Untersuchunggewa.hlten MArchen zusam-
men z u b r in g en. Solche kennen wir in der Alteren Lite-
ratur, aber insbesondere in den aus dern Volksmunde auf-
gezeichneten Ma.rchensamlungenantreffen, die teils im
Druck veroffentlicht sind, teils nur handschriftlich existieren.
Die volkstOmliche M:lrchenliteratur ist im Laufe von hundert
Jahren ungemein stark angewachsen und besonders hat sie
sich wahrend der letzten Jahrzehnte, wo die MArchen die
Aufmerksamkeit mehr auf sich gelenkt haben, bedeutend ver-
mehrt. Und noch viel grosser ist die Anzahl der hand-
schriftlich aufbewahrten Aufzeicbnungen.Wegen der Reichlichkeit der M:trchenvorrAte ist das
Sammeln des Materials eine sehr arbeitsreiehe Aufgabe.
Die Schwierigkeiten werden noch durch die Vielspraehig-
keit der Aufzeichnungen mid deren Zerstreuthcit in ver-
schiedenen Landern erhOht.
Zur Erleichterung der Schwierigkeiten, welche sich
dem Forscher der Volkspoesie beim Sammeln des Materials
bieten, grfindeten einige fUr die Sache interessierte Folk-
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60 ASTTl AAR.~E,Leitfaden, FFC 13
loristen -. foh. Bolle, Kaarl« Krohn, Axel Dlrik und C . w.
v. 5_lIdow- vor einigen Jahren einen internationalen Bundmit dem Namen "Folklore Fellows" ("Folkloristischer For-
scherbund", "Federation des Folkloristes"). Die Statuten
des Bundes bestimrnen als Zweck desselben: I ) a) den For-
srhern volkskundliches (folkloristisches) Material aus den
verschiedenen Landern zugAnglich 7.U machen und Kataloge
derarliger Sammlungen herauszugeben, und b) die Heraus-
gabe wissenschaftlich befriedigender Publikationen volks-
kundlicher Materialien in einer leieht zuganglichen Sprache
oder mit Referaten in einer solchen zu fOrdern. Seine
Tatigkeit hat der Bund so geordnet, dass Inr [ede landschaft-
liche oder nationale Arbeitsgruppe, die im Bunde' durch
Mitglieder vertreten ist, eine Auskunftstel1e oder ein Ver·
treter eingesetzt ist; durch Vermittlung der Auskunftstellen
krmnen Abschriften, Auszuge und Obersetzungen von Hand-
schriften und schwer zuganglichen Druckwerken aus Offent-·
lichen und, so weit wie moglich, auch aus privaten Samm-
lungen beschafft werden. SoIche Auskunftstellen gibt esschon eine Anzahl Z } , und neue werden gebildet. Der For-
scher braucht sich also, um Materialien zu bekommen, nur an
die Auskunftstellcn zu wenden, diese sorgen fOr die Beschaf-
fung von Kopicn und auch notigen Ubersetzungen, alles
natiirlich gegen eine rnassige Entschadigung.
Grosser als anderswo sind die Schwierigkeite.n beim
Sammeln des Materials auf dem Gebiete der Ma.rchen. Der
Bund hat deshalb seine Aufmerksamheit zu allererst auf
die Marchen gerichtet. Urn Einheitlichkeit in den Marcheu-
veroffentlichungen und den Katalogen zu erziel en , ist von
dem Unterzeichneten ein zusarnmenhangendes Ma.rchenver-
zeichnis "Verzeichnis der Ma.rchentypen~ (FFC 3) ausgear-
1 ) Anhang zurn ersten Bande der Serie "Folklore Fellows
Communications".
2) Siehe "Bedchte Ober die Tatigkeit des folkloristischen
Forseherbundes "FF·· (FFC 4, ? u. 12).
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61
beitet worden, wiesie schon fruher von j. G . ",.H oh" J ) ,
SV. Grundtvig·) und einigen anderen herausgegeben worden
sind. Diesem Verzeichnis gernass sind die finnischen und
die finlAndisch-schwedischen Ma.rchen schon geordnet und
deren Kataloge zur VerfOgung der Forscher veroffentlicht
worden (FFC 5 u. 6), und i n . manchen anderen Landern hat
man es unternommen, Kataloge auszuarbeiten. Das Typen-
verzeichnis ist in seiner gegenwartigen Form noch nicht
vollstandig. Nach einiger Zeit, wenn mehrere spezielle
Verzeichnisse fertig sein werden, besteht die Absicht, vondemsclben eine vervollstandigte Ausgabe herauszugeben.
Der Bund Folklore Fellows ist noch in del' Organi-
sation begriffen. Aber sein Zweck ist sehr wichtig. Die
Fortschritte der Erforschung der Volkspoesie beruhen in
hohem Masse darauf, wie es ihm gelingen wird, sein Vor-
haben zu verwirklichen. Jeder Ma.,rchenforscher sollte daher
die Tatigkeit des Vereins unt~rsUitzen, sich als Mitglied
einer Auskunftstelle ansch1iessen oder mangels einer sol-
chen eine neue Auskunftstelle bilden usw.
Der neue Bund wird wahrscheinlich lange Zeit seine
Aufmerksamkeitvor aHem auf die handschriftlichen Material-
vorrate gerichtet halten und versuchen sic del' Wissenschaft
nutzbringend zu machen, abel' daneben bestrebt er sieh
gewiss auch, dem Forscher beirn Sammeln des gedruckten
Materials behulflich zu sein.
Obwohl das Zusarnmenbringen des Materials an sich
eine muhsame Aufgabe ist, geht sie in Wirklichkeit erheblich
leichter vonstatten, wenn die Arbeit in rechter Weise be-
gonnen und in rechter Ordnung ausgefiihrt wird.
I) Siehe S. 3.
t) Grundtvigs Verzeichnis (Reaistrantj jst beim Ordnen der
Ml.rchenvorrAt.e von "Dansk Folkernindesamling" hefolgt (Siehe
FFC 2), doch so, da ...s neben G:s Numrnern s.pAtt"rdie Nummern
des neuen Typenverzeichnisses gestellt sind.
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rl.NTTI MRNE, Leitfaden.- - - - _. ----- ---
FFCI3
Das Sammeln des Material s ist von d em Hei-
mat s Iand e des For s c her s au s v0r z un e h men. Jednhat die beste Gelegenheit, sich mit den Marchen seines
eigenen Landes bekannt zu machen, weswegen er von ihneo
gewohnlicbeine grOssere Anzahl von Varianten zusammen- I
bekommt. Mit Hilfe dieser bildet sich ihm von dem zu
untersuchenden MArchen eine Vorstellung, auf der sich das
spatere Sammeln gut aufbauen kann.
Darauf hat man sich mit. irgendeiner mit
guten Anmerkungen versehenen Marchensamm·I un g be k ann t z u mac hen. Die Herausgeber der Samm-
lunge" oder andere mit der vergleichenden Mirchenliteratur
mehr vertraute Personen haben namlich oft mit den MArcheo !
ein Verzeichnis ihrer anderswo angetroffenen Varian teo
verknnpft oder andere in der Forschung nfitzliche Mitteilun-
gen daruber gegeben. Solche Verzeichnisse kann man auch
zuweilen ausserhalb der Sammlung selbst Iinden, in irgend-
einer Zeitschriftusw. Der Wert der Anmerkungen ist
sehr verschieden, von der Menge der ihnen zu Grunde
liegenden MArchenliteratur abhangend, Bisweilen werden
in ihnen nur die MArchen des eigenen Landes oder dazu
diejenigen des Nachbarlandes in Betracht gezogen, aber
mitunter wird auf die. neuere und Altere MArchenliteratur
in ihrer ganzen Ausdehnung ausgegriffen. Auch ihrer Form
nach sind die Anmerkungen verschieden. Die einen Autoren
beschranken sich darauf, nU T zu erwahnen, wo sich die
Variante befindet, andere referieren auch deren Inhalt gaO loder teilweise, Wenn das Originalwerk schwer aufzutreiben
ist, kann ein solches Referat den Mangel desselben ersetzen.
Schon die Anmerkungen der ersten Sammlung konnen auf
diese Weise den Forscher zu vielen Varianten leiten, u n d
die Arbeit bekomrnt einen guten Anfang. An die neuen
Varianten knupfen sich wieder Hinweise, und so setzt man
die Arbeit von einem Werke- zum andern fort, soweit d i e
Literatur reicht, Im Faile es unmOglich ist, ein Werk in
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FFC 1 3- - - ~ -
Die Technik der Ma:rchernforschung.
die Hinde zu bekommen, muss man versuchen, sich durch
Briefwechsel mit dem Inhalt der darin befindlichen Variante
bekannt zu machen. Wenn es sich trotz aller Mahe UIln10g-
rich erweist die gewunschte Auskunft zu erhalten, muss der
Forscher auch einen kurzen Hinweis als solchen in Betracht
ziehen, denn derselbe beweist in jedem Faile, dass das Mar-
chen in der betreffenden Gegend bekannt ist.
Die Bedeutung der verschiedenen Marchensammlungen
in dieser Hinsicht geht aus meiner Darstellung der neu-
eren Ma.rchenliteratur hervor.Beim Sammeln der Varianten sind folgende Umstande
im Auge zu behalten:
a ) Das Material ist einer Kr iti k 7.U u n t e r-
z ie h e n, denn nur die zuverlassigen Stoffe haben wlssen-
schaftlichen Wert. Die Kritik muss erstens klarlegen, ob
das Marchen seine reine volkstnmliche Form behalten oder
ob der Herausgeber es bearbeitet hat. Es ist zu bernerken,
dass viele Sammlungen entweder ausschliesslich oder teil-
weise zur Unterhaltung der Kinder und der jugend bestirnmt
sind, und die in ihnen befindlichen Marchen sind dies em
Zweck moglichst angepasst worden. Besonders hinsichtlich
der alteren Sammlungen hat der Forscher Anlass vorsichtig
zu sem. Bisweilen erklaren die Herausgeber in der Ein-
leitung oder in den Anmerkungen, in welchem Grade sie
die Form del' Erzahlungen beeinflusst haben. Zweitens ist
das Verhaltnis der volkstumlichen Aufzeichnung zu der
neueren Mlrchentiteratur ins Auge zu lassen. Der Erzahler
bat vielleicht das Marchen in einem Buche gclesen oder
dies bat derjenige getan, del' es ihm erzahlt hat. Wenn
del" Forscher hier nicht auf der Hut ist, wird er verleitet,
falsche Schlusse zu ziehen, Drittens ist darauf zu achten,
dass der Aufzeichnungsort richtig mitgeteilt ist. Auch hierbei
ware es wichtig, dass man sich beim Sarumeln der M:lirehen
stets erkundigt, woher der Erzahler das M~rchen bekom-
men hat. In den gegenwartigen Sammlungen wird es se1ten
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64- - - _ - _ -~ANTIl AARNE, Leitfaden.
- ---~~ - ----_------~---FFC 13
erwahnt, Es ist moglich, class das MArchen in einer ganz
anderen Gegend gehort worden ist. In einzelnen Fillenkann die Variante sehr lange Strecken Qberf1iegen. Kaarlt
Kroh» erzahlt von seinen Sammelreisen folgendes derartiges
Vorkommnis: In Sudfinland wurde ibm ein Ma.rchen erzahlt,
in dem ein Zug in auffallender Weise an eine Iraher von
ibm am nordliehen Ladogaufer aufgezeichnete ostfinnische
Variante erinnerte. Er erkundigte sich bei dem Erzahler
genauer danach lind erhielt die Mitteilung, dass der Erzahler
das Marchen wlrklich in Ostfinland in derselben GegendgehtJrt hatte.
b) D asS a III In e I n III U sse r s c hOp fen d s ein. Es
soll mOglichst genau alle, sowohl die Alteren Iiterarischen
als die volksUlmlichen Varianten des zu untersuchenden
Mlrchens ausfindig machen. Was die letztgenannten betriftt,
ist besonders zu beacbten, dass das Sammeln sich auf
das ganze Verbreitu ngsgebiet des vol kstumlichen Marchens
erstreckt, Je vollstandiger das Material zusammengebracht
ist, desto sichrer werden die daraul gegrundeten Ergeb-. .
msse scm,
e) Der Forscher muss von irgendeiner Gegend
die Resultate eine r intensiveren Sammelarbeit
z u r VerfOgung b e k o rn m e n, Dies ist bei dem jetzigen
Stand der Forschung n6tig, Man muss sich nlmlich erin-
nern, class das Sammeln in einigen Landern, besonders
ausserhalb Europas, noch sehr mangelhaft gewesen ist. Wenn
der Forseher Gelegenheit hat, in einem beschrlnkten Gebietdie Entwicklung und Wanderung des Mlrchens eingehen-
der 7.U verfolgen, kommt ihm das bei der Enischeidung
weiterreichender Fragen zu Hille.
Die Varianten sind fO r die I r ntersuchung aufzuzeichnen,
Das vollstandige Abschreiben derselben kann jedoch nicht
in Frage komrnen, ausser wenn das zu untersuchende Mlr-
chen ganz kurz ist, Das Abschreiben lingerer Erzahlungen
erfordert zu viet Zeit und Mllhe, und es ist ausserdem
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FFef3 Die Technik der .Ma.rchenfor:-;chun~.
unbequem, sie bei der Ausfuhrung der Untersuchung anzu-
wenden, wobei die Varianten unzahlige Male durchzulesen
sind. Wi r soIl en deshalb n u r die H a up t z r . g e de r
Er z a h Iu n g a u Iz ei hn e n. Hier muss man sich jedoch
davor hnten, dass die Aufzeichnun.g eine zu kurze Fassung
erhalt, Auch far den erfahreneren Forscher ist es unmog-
lich, im Voraus genau zu sagen, welche Umstande in del'
Forschung Bedeutung haben werden. Deshalb ist es am
kliigsten, in die Aufzeichnung auch solches aufzunehmen,
was sich sparer mOglicherweiseals unbedeutend erweist.
Also Heber zu viel als zu wenig,
Jede Aufzeichung, so kurz sie auch sei, muss
fur si h auf ein Blatt Pa p i r geschrieben wer·
de n. Dieses Verfahren hat den Vorzug, dass es dem
Forscher die M~glichkeit bietet, die gesammelten Varianten
in die Ordnung zu bringen, in der sie in der Forschung
zu behandeln sind,
Auf das Sammetn des Materials folgt dessenE inor d nun g. Ai le Varianten ei nunddesselben Vol kes
werden zusarnmengebracht, und die V~lker werden nach
ihrer Verwandtschaft und geographischen Lage geordnet.
Da in der Untersuchung stets auf einzelne Varianten und
Variantengruppen hingewiesen wird, ist es wichtig, dass
man fur jede Variante do kurzes, aber verstandliches
Zeichen erfindet. Die Frage ist allerdings absolut praktischer
Art, und jeder Forscher kann darin handeln, wie esihm
am besten scheint. Die Varianten sind bisweilen [ede mit
ihrer eigenen Ordnungsnummer bezeichnet worden, abel'
darin liegt cler Nachteil, class das Zeichen der Variante gar
nicht die Nationalitat und den Aufzeichnungsort derselben
angibt. len Iuhre im Folgenden das von Kaarie Krohn
aulgestellte Bezeiehnuugssystem vor, das er als Anhang zu
dem ersten Bande Vall FFC veroffentlicht hat und das teil-
weise in den Untersuchungen benutzt worden ist. Darin
werden die grossen Sprachgruppen mit dern Anfangsbuchsta-
5
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66 . ANlTI AARN'E, l ..eitfaden. FFC 13
ben ihrer Namen bezeichnet, und' neben diesem wird der
Anfangsbuchstabe des einzelnen Volkes gesetzt, Wenn z. B.
die romanischen VOlker mit dem Buchstaben R signiert
werden, wird das Zeichen der Franzosen RF, d.er Italiener
RE, del" Portugiesen RP sein usw. Die einzelnen Varian-
ten der verschiedenen VOlker werden mit den auf die
Buchstaben Iolgenden Ordnungsnummern bezeichnet. Wenn
Iranzosische Varianten z, B. 10 vorhanden sind, bilden sich
Zeichen wie RF I, RF 5" RF 9 usw. Den Orduungsnummern
liegt der Ort der Aufzeichnung in dem betreffenden Landzu Grunde. K r 0 h n s S y 5 t e In sieht so aus:
Erster grosser Buchstabe:
C = Celten, F =Finnougrier, G = Gennanen, R =Romanen, S =laven, T = Ttlrken.
Erster und zweiter grosser Buchstabe:
CB =Bretouen, CI =rlander, CS =chottlander,
C\V =Waleser.
FE =sten, FF =Finnen , FL=
Lappen, FM =M a-
gyaren, FP =ermische VOlker (Syrjanen, Woljaken), FU =
Ugrische VOlker am Ural (Ostjaken, Wogulen), FW ~
Wolga-Volker (Mol'dwinen, Tscheremissen).
GD =arien, GE =nglander, GG =Germanen im
engeren Sinn. Deutsche, GH - Hollander, GI = Islander;
GN =Norweger I GS =chweden, GSF oder bloss GF =Schweden in Finland, germanische Finlander, GV =
Vlamen,
RE =panier, RF =Franzosen, RI = Italiener, R L
=adiner, Friauler und Rha.toromanell, RP = Portugiesen,
RR =Rumanen,
SH =ulgaren, sc = Lechen und Slovaken, SP =o-
len, SR = (Gross-jk ussen, SRW __:_Welssrussen, S5 =SeiLen, Kroatcn und Slovenen, SlJ = Ukrainier (Klein-
russell) und Ruthenen, S\V = Wenden.
'1'(: =Cuwassen, TK = Kirgisen, TO =Osmanen,
TT =Tataren.
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FFCI3 Hie Techni_k~der .~A!"chenforschun~,
Einzelstehende VOlker Europas werden nur mit drei
Initialbuchstaben, einem grossen und zwei k lei nen, bezeich net:
Alb = Albanesen, Bas =asken, Gre =riechen, Let
=Letten, Lit =Litauer, Sam = Samojeden.
Wie wir sehen, werden hier nur die europaischen VOI* '
ker in Betracht gezogen. Ein umfassenderes System ist
auch vorlaufig nicht notwendig. Varianten sammeln sich
heutzutage noch ausserhalb Europas gewohnlich in so be-
schrankter Zahl an, dass sich dec Forscher mit der Bezeich-
nung derselben leicht zurecht finder. Fur die verschiedenenErdteile schla,gt Krohn die Signaturen Eu, As, Af, Am,
Au VOT.
Gering an Zahl werden auch die alteren literarischen
Varianten sein. Man kann sie durch eine Abkurzung des
Namens des Werkes oder des Verfassers bezeichnen, z , H.
Kath. (Kathasaritsagara), T-N. (Tuti-Nameh), Strap. (Stra-
parolas' Dreizehn ergOtzliche Nachte),
Fur einige einzelne Lander sind noeh eigene Signa-
tursysteme gebildet worden, um deren einzelne Teile zu
bezeichnen. So 1.. B. in Finland und Daaemark.
Nachdem wir das Material geordnet haben, sind wir
soweit, dass wir an die Untersuchung selbst gehen kOnnen.
Zu d ies e m Zweck ist die Er z a h l u n g in ih re
IIa up tt e ie z u z e r leg eo, die T e i1e in ih r e Hau p t-
I: a g : e. Hier ist hcrvorzuheben, class das gcnaue Voraus-
bestimmen del' Hauptziige bisweilen mit Schwierigkeiten ver-
Lunden ist. We.m Unklarheiten auftauchcn, ist es unnOtig,sich filr deren Aulklarung anzustrengen, sondern man gehe
direkt zu den sicheren Zugen tiber. Beim Fortschreiten der
Untt"rsuchung narulich und beim allruahlichen Aufdeckcn der
Beziehungen zwischen den Teilen der Erzahlung' wird die
wirkliche Bedeutung jedes Umstandes deutlich,
Heim Aufsuchen der Urform des Ma.rchens kann man
lwei Verlahren auwenden : man kann entweder zncrst nul'
die volkstumlichcn Varianten zur Uutcrsuchung vornehmen,,,
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68 ANlTI AARNF., Leitfaden, FFC 13
d. h. die ursprungliche Form des volkstumliehe n Ma.rchens
aufsuchen und dann mit den erreichten Resultaten die
Alteren Iiterarischen Varianten vereinigen oder auf einmal
alles Material erforschen. Es ist schwer, lias eine Ver-
fahren vor dem anderen zu empfehlen, Doch wenn die
alteren literarischen Varianten grOssere Bedeutung haben,
ist es fur die Aufkla rung der Urform von Vorteil, wenn diese
mit den volkstumlichen Varianten zusammen behandelt
werden. In jedem Falle ist das gegenseitige Verhaltnis
des volkstamlichen Mflrchens und der alteren literarischenVarianten sparer fO r sich zu erklaren, damit errnittelt werde,
welche von den zweien die altere Form der Erza.hlung
darstellt.
Hiernach folgt d a s Aufsuchen del" Urform
del' ZOge. je de r ein zelne lug i t f u r sich zu
u n t e r 5 U c hen, wobei immer sein Verhaltnis zu den ihm
nahestehenden anderen Zugen im Auge zu behalten ist.
Der Erfolg der Forschung macht es erforderlich, an ein und
derselben Stene alle verschiedenen Fassungen des Zuges
ubersichtlich zu sammeln. Auf diese Weise konnen wir sic
am besten mit einander vergleichen. Urn die Behandlungsart
7.U erklaren, fiihre ich hier einige Beispiele an:
\Vir wollen zuerst zur Illustration die Art d er
Fl'O C h t e im MArchen von den drei Zauhergegenstanden
und den wunderbaren Fruchten nehrnen. Wenn wir den
Zug in [eder einzelnen Variante fur sich betrachten und
die ein lind dieselbe Fassung vertretenden Varianten zusam-menstellen, bekommen wir unter Anwendung von Krohns
Buchstabensystem das folgende Verzeiehnis: I)
Die Fruchte sind:
Apfel: CB I, CS I, 2, 4, FE, Fa 1-3), Fb ,. -3.6,
I) Da ich rnich hier ebenso wie in den folgenden Beispielen
auf meine eigenen Forschungen stutze, werden nur in denselben
vorkommende Varianten In Betracht gezogen.
:I ) Nach F stehende kleine Buchstaben bezeichnen die ver-schiedenen Provinzen Finlands.
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FFC 1 3 Die Technik del' Marchenfor:-;(,huI1K_
Fd 3, 4, Ff 2-·· S. Fj 4, S. Fk 1, 3, Fq 2, GG 2---4, 12,
13, GSF 2, RF 2, 4. 5. S C I, 2, SR 1,3,5,7--9, SRWI, 2, 4--6. SU 2, 3, Let. 2, Zig;
Apfel, aber diegesundmachenden Dinge sind:
Birnen : GG 2" 3, 13, RF 4. sc 2, SU 2;
Nusse : FE;
Salbe: GG [2:
Wasser: RF 5;
B eeren : Fb 4, Fd 2, Fe I, Ff 1'1 6, Fi 1-5, 7, 8, F],
J, 2, Fk - 1 - - . 6, Fm I, 3, .... Fn, Fp 2, 4, Fq I,S [,5, Sf{.h ]0. SRW 3. SU r :
Fruchte (Sorte nicht bestimmt): CI, Fe 2, Fk 2, Fp I,
RI 5, Let. I;
Hirnen: GG 11, HF I, RR I. SC 3;
Kirschen: CB 2, GO;
Nusse : Fd 1;
Pflaumen: GG 1;
Feigen : RE I, 2, RI 2. 3, 6, 8, II, 12, 1 5, SH 3,
Gre 2;
Trauben: Alb;
Dattetn: A I Arab.;Gras: Fb S, Fe I, 2, RF 3, HI 13, SC 5:
Salat: GG 9, 10, RI .h 12, SS 1.
Welche von diesen vielen Fruchtsorten ist im Mar,chen
ursprunglich gewesen '? Die Apfel haben sowohl die .Mehr-
zahl der Varianten als auch das weiteste Verbreitungsgebiet
fUr sieh. Sie sind irn ganzen Gebiete des Ma.rchens bekannt.Obwohl aber lwei so wichtige Umstande fUr die Ursprting-
lichkeit der Apfel spree-hen, erheischt es die schliessliche
Entscheidung der Frage, class auch die anderen Fruchtsorten
durchgeprult werden, vor allern ihr Verhaltnis zu den Apfeln.
Nach den Apfeln haben die Beeren die gTOsste Varianten-
zahl, aber ihr Verbrcitungsgebiet beschrankt sich auf Russ-
land und Finland. Die "Beerenu sind augenscheinlich eine
lokale Bildung, die eine g-ewisse Verbreitung gewonnen hat.
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70 ANTI. i\ARNE. Leitfaden. FFll3
Sie ist auch als eine abgeschwachte Bildung zu betrachten,
weil sie eine ganze Fruchtgruppe und nieht eine bestimmte
Fruchtsorte darstellt. Noch starker sind in dieser Hinsicht
die unbestimrnten "Fruchte'* entstellt, die ausserdem sehr
selten sind. Die Varianten mit den "Friichten" sind zufll·
lige Erscheinungen, Sie beruhen teils darauf, dass der
Erzahler vergessen hat, die Sorte der Fruchte zu erwahnen,
teils dOrften sie sich aus der Mangelhaftigkeit der benutzten
Aufzeichnungen erklaren,
Dass die Erzahler sich bestrebt haben, die Fruchtsorte
In eine andere zu verwandeln, besonders in eine in d . e r
betreffenden Gegend mehr bekannte, kann niemand wun-
dern. Von der Verwandlung sind bisweilen nul' die einen,
die gesundmachenden Fruchte betrollen : anstatt der gesund·
machenden Apfel finden sich Birnen, Nusse . oder irgend-
cin ganz fremder Stoff: Salbe, Wasser. DeT Erzahler hat
dadurch offen bar den doppelten Einf1uss der Fruchte auch
ausserlich sichtbar mechen wollen. Mitunter haben die Apfe l
ihren Platz vollstandig anderen Fruchtsorten uberlassen:Birnen, Kirschen, Nessen, Pflaumen und in den warmen
Landern den fUr diese charakteristischen Feigen, Trauben,
Datteln. Aile diese kommen so selten vor, dass keine ven
ihnen ursprunglich sein kann. Einige tragen deutJich loka-
len, andere zufalligen Charakter.
Noch nieht betrachtet sind das Gras und der Salat,
welche zwar auch selten sind, aber deren Verbreitungsgebiet
ausgedehnter ist, Das Gras und der Salat mit ihren in
Esel verwandelnden Zauberkraften gehoren jedoch in das
Zaubervogelmlrchen, das sich in allen diesen Varianten
mit dem Mlrchen HDie drei Zaubergegenstande und die
wunderbaren Fruchte" verbunden hat, und ihre Urspriing·
lichkeit in dern letztgenannten kann gar nicht in Fragc
kommen.
Alle Umstande beweisen also die Ursprnnglichkeit der
Apfel, und dasselbe zeigt das Vorkommen derselben in dem
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Im 15. Jahrhundert verfassten Volksbuche von Fortunatus
und seinen Zaubergegenstanden.:
AJs zweites Beispiel wahle ich aus dem Zaubervogel-
marchen den Zug die Stelle cler Zauberkraft in
de 11 1 V 0 gel. Die mit dem Vogel verbundene Zauberkraft
bezieht sich auf einen bestimmten Korperteil, Gehen wir
wieder den ganzen Materialvorrat durch und zeichnen wir
die verschiedenen Formen des Zugesaur. Die Zauberkraft
vereinigt sich
mit dem Kopf des Vogels : Fi 7, Fill It 2, Fp 8, Fs,
FL, FM, FP. GG 6, RE, RF, RI I, 4, 5. RR I, S I, 6,sc I. 2, 4 - , 7, SR I, 3-6, SS 1-3, 6~SU 2" 6, Let. I,
Gre, Zig., A I BeT. 3, As Turk. J, Arab. J I Ind. 2, 5;
mit dem Herzen: CB, Fb I,. Fe I, 2, Ff I. 2, Fi J I
Fj 1--3, FI, Fm 1, Fp 4, Fq I, Fs, FM, FP, GG 1-5,7.
RE, RF, RI 1-3, 5. RR IJ 2, S 6, S C It 2, 4,5,7, SR
I" 6, SS I, 3-7, SU 5, 6, Gre, Zig., A I Ber. r, 3, As
TUrk. rI Syr., Arab. I:mit der Leber: Fb 3, GG I, 2, 4, 7, RI 2-4, S 10,
SS 2, SU 5, Let. 2, Gre, As Ind. 5:
mit den Eingeweiden (dem Magen): Fi 7, Fq 9, RR I,
2, S I, 9, S C 5, SR 4, AI Ber. I, As Turk. I:
mit den Flngeln : FE, Fd 2, Fi 4, Fm 2'1 Fp J, 2, 8,
FL, S 3, 5, SR 2 , 3, SRW, S5 51 SU i,3, 4;
mit dern Kropf: AI Ber. 4, Arab. 2;
mit den Nieren: SS 2, 4;
mit del' Lunge: Let. 2;
m il der Brust: As Ind. 2;
mit dern Nabel: SR 2;
mit dem Hals: SR 5:
mit dem Knochen: Fm 2;
mit dem Fuss: SRW, Zig.;
der Vogel verdoppelt und mit jedem ein eigeuer Zau-
ber verbunden: Let. 1, AI Ber. I, As Ind. I, 3, Hinter-
indo 2.
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ANTI[ AARNF.,Leitfaden. F lOC 13
Von den verschiedenen Formen des Zuges kr.nnen
wir als spater entstanden gleieh die letzterwahnte weglas-
sen, ill welcher von zwei Vogeln die Rede ist, die beide
ihre eigene Zauberkraft besitzen, Die Zweizahl der Vogel
hat sich aus der ursprunglich zu dem MArchen gehorenden
Zweizahl der Zauber (das Konigwerden und das Vermogen
Gold zu erzeugen] ergeben, eine in den Mlrchen sehr nattlr-
liche Veranderung, In einigen finnischen Varianten (Fb r ,
Fe I, 2, Fe, Ff I) wird von 2 Eiern gesprochen, aus denen
je ein Zaubervogel hervorgeht, wenn sie genugend bebrntet
werden, Ais einzelne gelegentliche Falle konnen wir auch
Kropf, Nieren, Lunge, Brust, Nabel, Hals, Knochen und Fuss
ausscheiden, Sie dOrften sich teils aus der Schwache der
Erinnerung des Erzahlers herleiten, teils absicht1iche Verande-
rungen sein. Die Flugcl wiederum sind nur in einem Teile
von Europa (in Finland, Russland und einmal in Bulgarien)
bekannt, also in einern sehr beschrankten Gebiet. Das
Erscheinen der FIGge] habe ich Iruher als Beispiel von
solchen Veranderungen in den Marchen erwahnt, deren
Geschehen beinahe unabwendbar ist.Weil sich die Zau-
berschrift auf den Flugeln des Vogels befindet, ist es nanir-
Iich, dass die Erzahler zuwejlen darauf verfallen sind, die
Zauberkraft auch mit den Flugeln zu verbinden, so wenig
passend diese auch als Speise sind.
Obrig sind noeh Kapf, Herz, Leber und Ei ngeweide.
Von diesen gehoren das Essen des Kopfes und das Konig-
werden so standig zusamrnen, class sie gewiss schon in
dem ursprunglichen Milrchen vereinigt gewesen sind. So
ist es schon in den alten Varianten des Tuti-Nameh und des
Kandschur. Aber welcher Korperteil hat in der ursprung-
lichen Form des Ma:rehens das Golderzeugen verursacht?
Das Herz ist bedeutend haufiger als die Leber und die
Eingeweide und hat sich weit verbreitet, obwohl allerdings
auch die letztgenannten in verschiedenen Gegenden vor-
kommen. Die Sache wird entschieden, wenn wir wahrneh-
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FFC 1 3 Die Technik del' Marchenlorschung.------ 7 3
men, dass das Herz das ejrrzige ist, das allgemeiner neben
dern ursprtmglichen Kopfe erscheint, Die Leber Iindet sich in14 Varian ten nur zweim al zusammen m it dern Kopfe, aus-
serdem wird einmal von dern Kopie, dem Herzen und der
Leber gesprochen, die jedes fur sieh einen Zauber haben ..
GewOhnlicher ist neben cler Leber das Herz als Stellver-
treter des Kopfes. Die Ursprunglichkeit der Eingeweide
kann noch weniger in Frage kommen. Die Anzahl der
Varianten ist dafur eine zu geringe, und die Stellung der
Eingeweide ist auch sonst nieht feststehend. lhre Eigen-
schaftcn sind bald das Golderzeugen, bald das Verschaffen
eines hohen Arntes - also die Analogieform des Konig-
werdens usw, -. Bisweilen reprasentieren sie neben dem
Kopfe und dem Herzen einen dritten Zauber, Das Erschei-
nen der Eingeweide (des Magens) geht wahrscheinlich darauf
zurtick. dass, als der zauberkraltige Teil des Vogels verzehrt
wird, derselbe :in die Eingeweide ubergeht, Als die jungcn
des Besitzers des Zaubervogels durch das Verzehren des
Vogels die Bestrebungen des dem Vogel Nachstellenden
zunichte gernacht haben, versucht dieser die Stucke des
Vogels aus dem Magen der jungen wieder herauszube-
kommen, zuweilen wird sogar erzahlt, dass er bestimrnt,
aus den Eingeweiden der Jungen eine Speise zu bcreiten.
Es verdient auch in Betracht gezogen zuwerden, class
das Verzehren des Herzens im al1gemeinen ein wichtiger
Zauber ist. Das Vermogen Gold zu erzeugen ist in der
Urform des MA.rchens offen bar mit dem Herzen verbundengewesen.
Beim Aufsuchen der Urform des Zuges dftrftc es auch
nicht ohne Bedeutung sein, dass der Kopf und das Herz
(=die Seele) die wertvollsten Teile des Korpers sind. Da
es sich urn so bedeutungsvoIle Vorteile wie das Konig-
werden und das Vermogen Gold zu erzeugen handel t, scheint
es naturlich, €lass der Verfasser der Erzahlung sie gerade
mit den wichtigsten Korperteilen verbunden hat.
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7 4 AN1TI r\AH.N'E, Leitfadcn. FFCI3
Hiernach betrachten wir den Zug de r iI I d a s N a l'h t -
qua r ti rEi n d r in g end e in dern Man-hen ",Die Tiercim Nachtquartier".
In der Form A, in' der die wandernden Tiere sich i n
einern von Ihnen selbst gebauten Haus befinden, erscheint
der Zug in folgender Gestalt:
\Volf: FE 1:2 (+ Fuchs), Fb J I Fi 2~ 3, Fj 4, 5, (+ B:ln,
6, 9. 10, Fill 12, Fb J I I, F] I 12, I Lh .l15, Fs I 1 6, Fj
155, F\V 1 (+ Hase), 2, GN I, SR 3, SR 2 (+ Fuchs u.
B~rJ! 3 (+ Bar)I),
S~-"7, SR\V r ,2
(+ Bar), 6J SU 3, 5,i, 10 (+ Hase):
Bar: Fm 13, Fq IS. SI{ 4;
Rauber: GSF 3. SR I;
Teufel: Fj 19, ,)13.
Rauber und Teufel gehoren sehr allgemei n zu der
Marchenfonn B und haben sich daraus in die erwahnten
Varianten verirrt. Zwischen dem Wolfe und dem Barcn
wiederum entseheidet die Anzahl del' Varianten und das
Verbreitungsgebiet die Sache unstreitig zugunsten des erst-
g-cnannten. Del' Wolf und der B ar kornmen in den Tier-
marchen oft einer anstelle des andern VOl'. Das Erschri·
nen des Haren, Fuchses oder I iasen in einigen Varianten
neben dern Wolfe als in das Nachtquartier Eindringcnder
ist ein von solchen Tiermarchen vcrursachter spaterer Zusatz,
in denen die erwahnten Ticre zusarnmen sind. Der in das
Nachtquartier Eindringende ist also in der Form A ursprunz-
lich der Wolf gewesen.
Auch in diesem Beispiele, wie in den heiden vorhergc-
henden, ist die ursprungliche Form des Zuges zugleich die
am haufigsten vorkommende Form, In der Form H dt'~
Marchens "Dit! Tiere irn Nachtquartier "I in dcr die Tiere
11 1 einem frernden Hause ubernachten, ist der Sachverhalt
I) BAr erzahlt dem Wolle.
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F~'C13 IHe Technik der Man_·hcllforschung.---"'. - - . . . , . . . , -,...._,._ . . . . . . . . -.,. .. . - . 75
ein anderer, Die Durchmusterung des Zuges gibt uns darin
folgende Variantengruppen:Wolf: Alb., CB r 2, Fb 110, GD 20, GG 11, 14. 16,
24, GSF 7, GV 4, RE 3, RF I, 3, 5. 6, 10, 16, RP 11
R\\! J I), SB 1-3. SP 6, SS I I), 6, SU 2;
BAr: F,j J 53, GN 2;
Rauber: CI, CS, FE 2-· I I, J3-16, Fb 3 r, I 18-- [20,
Fe 128, 130, 131, 133, 134, Fd 137, Fh 152, Fj 158, Fk
[60, 162, 1631Fj I98, FM, CD 6, 8. 9, 14, 18, 22, 26-29,
31, GE 1-3, GG J, 4, 6~ 9, 12, 13, IB, GS 2. 5, GSF
2, 5, 6, 10, 12, 15, GV " 2, 5, 8--10. RE 2, RF 7-9,
II, R~ 4, RR 1,2, RW 2, 3, sC 1-5, SP I, 2, 4. S5
3, -J., SU , , 1 - , 9, I I, 12, S\V;
Teufel (Kobold, Gespenst. u. a.): FE I, Fq 16, J 7, Fj
18, 20-26, Fl 27, 28, Fa 29. 30, Fb 32-34, Fd 35. Fe
36-'-38, {O, {I, Ff 42, Fg 43, Fx 46, Fk 47, FI 49, 5'2,
53, 55 - 57, 61, Fm 63, 65 -67, Fn 68, Fo 69. Fs 72, Fx
73, 7 4 - , Fa 7S. 76• Fb 77-82,. Fe 83, Fd 84, Ff 85. Fd
87, Fe 89, 90, Fg"9I - 93, Fh 94. Fj 95-98, Fk 99, FI
IOO~· 106, Fa 108,. Fd 109, Fb 117, 121-12 .... [26,127,
)..c r29, 132, 135, Fd 136, J 38, q.I_(43. Fe 144--- r46,
Ff J47-I50, F] 15." 156, 157, Fk J 59. J6 I, FI 164, Fb
166-179, Fd 181--187, Fe I88~190. Ff 191-196. Fj
197, Fk 199-201, Fx 202,GD 1-4, 7. 10-13, 15, 16,
21, 24, 32, 33, GG 2, GSj I, 3, 4, 6, G5F r , 4; 9, 13,
14,. 16, SP 3. 5, 7-1'2, SU I;
Herr oder Bewohner des Hauses: Fb 180, CD 1·7, 19,23. 25, RF 4, RI I, SS 2. 5:
Tiger: Am Ind.
Unter diesen verschicdenen Fassungcn des Zugcs erken-
nen wir leicht die seltensten, die zweite, ffinfte und sechste
als spater entstanden. Der Tiger ist ein einzelnstehender
Fall und der Herr oder Bewohner des Hauses cine verall-
1) Wolf und Fuchs haben den Platz gewechselt.
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ANTn rlARNE. Leitfaden, FFC 13
gemeinerte Bildung.. Die Beschaffenheit des in die Stube
Eindringenden, die sonst in den verschiedenen Fassungen
erwahnt wird, bleibt da unbestimmt. Besitzer des Nacht-
quarriers ist er Oberall in der Form B. Was wiederum den
Bar betrifft, hat er, ebenso wie in einigen A-Varianten,
hier zweimal den Plat? des Wolfes eingenommen.
Um die U rsprunglichkeit rivalisieren also Wolf, Rauber
und Teufel. Wenn die Zahl der Varianten die Frage
entschiede, reprasentierte der Teufel die urspriing1iche Form,
aber bei der Durchsicht des Verzeichnisses ist leicht 7. U
bemerken, dass die grosse M,engc der Teufel-Varianten auf
der Haufigkeit der finnischen Aufzeichnungen beruht. Die
Teufel-Fassung erseheint nur an bestirnmten Orten = in den
skandinavischen Landern, in Finland und Polen (SU
stammt aus Galizien nahe .der polnischen Grenze), wozu
sie einmal in Estland autgezeichnet worden ist. Der Riese
in der deutschen Variante GG 2 durfte ein in seinem
Ursprung von den Teufel-Varianten unabhAngiger Fall sein,
Die Teufel-Fassung ist also unbekannt im grOss ten TeB von
Mitteleuropa, in Sudeuropa, auf den Brittischen Inseln und,
weil sic nicht zu der in Russland verbreiteten Form A
geh<)rt, auch in Osteuropa, Was die Wolf- und RAuber-
Fassungen anbelangt, kann man dagegen von heiden sagen,
class sic das gauze Gebiet des Ma.rchens beherrschen, obgleich
die letztere haufiger ist. Om zu ermitteln, welche von diesen
Fassungen in der Form B ursprunglich ist, muss die Auf-
merksamkeit auf folgende Umstande gelenkt werden : a) DasMarchen ist ursprunglich oHenbar ein Abenteuer zwischen
den Haustieren und den Tieren des Waldes gewesen, b) So
verhalt es sich in allen ~lte['en literarischen Varianten, von
denen zwei aus dern J 2. und lwei aus dem .r6. Jahrhun-
dert stammen, und in ihnen allen erscheint ausserdem als
der in das Haus Eindringende ein und dasselbe Tier, nam-
lich del' Wolf . Nach den Iiterarischen Varianten kann man
auch schliessen, dass die Rauber-Fassung Zl1 diesel" Zeit
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FFC 13 Die Tee..hnik del' Man'henror~('hullg, 77
noch nicht bekannt war. Es konnte jemand behaupten, dass
die \Volf-Varianten sich 1Il0g)icherweise von jenen litera-rischeri Fassungen herlciten, wenn es aber so ware, wiirde
man eine nahere Ubereinstluunung zwischen den erwahnten
B-Varianten und den a.ltcren literarischeu Varianten erwar-
ten. Eine solche ist [edoch nicht zu heiuerken. Mit diesel'
Annahme stande auch der Umstaud nicht in Einklang,
<lass der Wolf auch in del" Form A del" in die Stube Kin-
dringende ist. Ebenso wenig kann mall annehmen, class
der \Vo)f ursptiinglich nul' zu der Form A des MArchens
gehort hatte u nd von da in ei ne Gruppe VOI1 B-Varianten
ubergegangen ware, dcnn die erwahnten B-Varianten sind
meistens an solchen Orten aufgezeichnet worden, \\'0 die
Form A nieht bekannt ist.
Der RAuher ist also nach allem eine spatere anthro-
pomorphisierte und der Teufel eine darnonisierte Badung.
Die erstere hat die grimmsche Variante "Bremer Stadtmusi-
kanten II so allgemein geruacht, die aus dem Buche in den
Volksmund ubergegangen ist. Einige del' Rauber-Varianten
sind augenscheinlich unmittelbar aus dem Ruche gekomrnen.
Die Teufel-Fassung wiederum hat ihren Ursprung in der
Vcrbindung einiger Teufelsgeschichten mit dem MArchen,
z. B. der Geschichte von dem Spukhause, wo keiner Nacht-
ruhe findet (Mt, 326 u, I16o)",JJer Barenfuhrer und sein
Baru (Mt. 1161), der dem Teufel versprochene Jl.lnge u. a.
Wir werden vollkommen davon uberzeugt, dass del' in
das Nachtquartier del' Haustiere Eindringende auch in del'Form B ursprunglich der Wolf gewesen ist, dessen Platz
die anthropomorphisierte Rauber-Fassung und die damoni-
sierte Fassung sparer allgernein eingenommen haben.
Beim Suchen nach der Urform der Zuge hat man
Anlass, besonders noch das Iolgende Verfahren zu betonen :
We n n i ge n d ein e Form des Zu g e s d u r c h ihre
Hau Fi g k e it, ih r w ei e 5 V e r b I'e it l1 n g s g e b i t, j h r e
N a t u r l i h k e i o d e r a u s a n d e r e n G r u n d e n u r -
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.\:nT1 .\ARNF.,f ettfaden.
5P r (i n g lie h s c h e in t, j s t z u u n t e r sue hen ,ob sic h
andere FassunJ..!en l e ic h t daraus haben e r g e b e nk t, nne n . Nut' in dem Faile, dass es sich so verhalt, karm
man sic als ursprunglich betrachten.
We n n die ursprOngliche Form j e d e s Zuges
g e fun den is t, b i Ide t m a 11 5 i h d u r c h V e r bin dun g
d e r s e 1ben die U r f 0 r III des ga n zen M a . r C ' hen s, mit
II i fed e I'end e I" H e imat 50 I" t, die En t s t e hun g s z e it
un d diVe r b rei tun g5we g e des M a . r c hen 5 un t e r·
s u c h t werden in del' Weise, wie es im vorigen Abschnitte
des Werkes auseinandergesetzt worden ist,
E r s t n a c h de m d ie U n t e r s u c h u n g z u Endl'
g e f u h r t is t , kann d a s benutzte Material auf die
s c h li s s li h c Form v e r k u r z t w e r d e n. Die Ver-
knrzunz ist eine durchaus formelle Sac-he, die auf ver-
schiedene Art behandelt werden kann, Ich will jedoch
darauf auhnerksam machen, dass man beirn VerOffentlichen
des Materials oft un nlJtig viel Worte macht. Es ist aber-
flnssig, mehr zu veroffentlichen als die Zuge, die in der
Untersuchung vorkonunen, und da immer von derselbeu
Erzahlung die Rede ist, 1St ausserate Kurze mOglich. In
wenigen Zeilen kann man auf diese Weise eine ganze
Variaute vorfuhren. so class aile ihre speziellen Eigenschaften
ersichtlich werden. Die imrner wachseude Menge des Mate·
rials zwingt den Forscher direkt zu einer kurzen Wieder-
g-abe. B ei del' Verkurzung kann man sagar so ' ...eit gehen,
<lass nur einige bemerkenswertere Varianten eingehend rele-riert und die anderen nul' aufgez.a.hlt werden, Die Deut-
lien kei t erfordert jedoch ill d iesem Faile an ei n if,en Stellen
in del' Uutersuchuug selbst die Dinge ein wenig ausfuhr-
Iicher d arzustellen.
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FF'C 13 Die als Beispiele benutzten Ma.rchen.
V. Die sis B eispiele benutzten M arehen .
(Mt. = Marchentypus in FFC n:o 3.)
Die Ma.rchen fuhre ich in del" Form vor, die die ver-
gleichende Untersuchung als ihre Urform nachgewiesen hat,
doch be strebe ich mich in meiner Darstellung urich moglichst
kurz 7.U rassen. Siehe: Krohn, K., B ar (Wolf] und Fuchs,
eine nordische Tiermarchenkette (= Journal de la Societe
Finno-ougrienne VI 1889) und Mann und Fuchs, drei verglei-cbcnde M~rchenstudien (1891) und Aarne, Anlli, Verglei-
chende MArchenforschungcn (1907) I), Die Zaubergaben
(I909) (= Journal de la Societe Finno-ougrienne XXVII I)
un d Die Tiere auf del" W anderscha ft (1913) (= F 0Iklore
Fellows Communications Ir ) .
MI. I. Das Erbeuten del' Fische. Del' Fuchs sieht den
Mann mit dem Pferd' die Fischlast fahren und wirft sich
wie tot auf den Weg. Der Mann hebt in seiner Freude
aber den schonen Fuchspelz das Tier auf und schleu-
deft es hinter sich auf den "Vag-en. Selbst vorn auf dem
\Vagen sitzend Ht.hrt er welter, ohne zuruckzuschauen. Df"1'
Fuchs wirft einen Fisch nach dem anderen auf den \Veg.
Schliesslich springt er selbst hinunter.
MI. 2. Das Fischru mil drm Sduvanz«. Als del' Fuchs
im \Vinter Fische verzehrt, kommt del' Har zuihm und
bittet UIll einen Teil davon. Der Fuchs rat dem Haren, ill
r-iner kalten Nacht in einem Eisloch mi t seinem Schwanz
ZlI angeln, wie auch er es getan habe, DcI' BAr geht, um
das Mittel zu versuchen, Del' Fuchs rat, den Schwanz so
lang-e unbeweglich zu halten, bis die Fische anbeissen. A Is
er denkt, del' Schwanz sei eiugelroren, fordert cr den Baren
auf denselben zurtu-kzuziehe-n . Im Glaubeu, class er cine'
I) Vgl, die Be-prechunz K. Krohns in den Finniscb-ugrischen
Forschungen IX Anz. S. 5.
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80 ..\~'TT1 ..\ARNE, Leittaden, FFC 1 3
grosse Fischlast hebe, reisst der Bar , sodass der Schwanz
abgeht.MI. ) 7. nil' SIIl·hr uach riner Ki"drrw(Jrlen"" (einem
Klageweib). Del' Bar geht nach dem Tode der Barin, urn
eine Warterin fUr seine Jungen zu suchen. Den ihrn begeg-
nenden Hasen findet er nach PrOfung seiner Gesangstirnme
untauglich, den Fuchs hingege n tauglich und bringt ibn in
seine Hohie. Als der Ba.r ausgeht, urn Essen zu suchen,
verzehrt del" Fuchs die Jungen eins nach dem anderen. Rei
der Rnekkehr des Baren kornmt der Fuchs aus der Bohle,
ehe er ihn hineinlasst, und den Sachverhalt spOttisch ver-
kundend rennt er davon.
MI. 47. Drr Bar mil tin, Zahne» am Schu-ans» des
Pferdes hdngend. Der Fuchs frisst ein totes Pferd. Der
B ar kommt und fragt ihn, wie er es gefangen habe. Der
Fuchs sagt, er habe sich am Schwanze des in der Sonne
liegeoden Pferdes Iestgebissen und so gerissen, dass das
Pferd zu lauren anfing und lief, bis es tot urnfiel. Der Bar
geht, urn dassel be Mittel zu versuchen, und das Pferd Il.ufl
mit dem Bareu am Schwanze,
MI. 1)0. Die Tiere 1m Nachtquartier.
For III B: Eiuige Haustiere: ein Ochse, ein Pferd,
ein Widder, eine Katze, cine Gans und ein Hahn enttliehen,
da sie fUr ein Gelage oder aus einern anderen Grunde
geschlachtet werden sollen, und schliessen sich zu einer
Reisegesellschaft zusammen. Sie kommen zufallig zu einem
Wolfshaus, dessen Bewohner abwesend sind, und lassensich fO r die Nacht in dern Hause nieder. Das Pferd stellt
sich draussen auf, der Ochse irgendwo in der Nahe der
Tur, der Widder auf dem Fussboden der Stube, die Katze
nirnmt im Herd Platz, di.e Gans auf dem Tisch, und der
I-Iahn fliegt auf den Balkcn hinau£. Als die WOlfe in der
Nacht heimkommen, schickcn sieeinen aus ihrer Mittt'
hinein, urn zuerst nachzuschen, wer in der Stube ist, Die
Tierc aber sturzen hier auf ihn los und verjagen ihn. Als
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FP C 13 Die als Beispiele benutzten Marchen. 81
er am Herd Feuer anziinden win, zerkratzt ibm die Katze
das Gesicht und die Hande, die Gans zwickt ihn mit dem
Schnabel usw., wahrend der Hahn vorn Balken herab kraht.
Zu seinen Genossen gelangt, erzahlt der erschrockene Wolf,
\~ie ihn ein altes Weib am Of en mit Wollkamrnen zerkratzt
habe, ein Schneider habe ihn mit einer Schere geschnitten
US\\'., und von oben habe einer hinter ihm her gerufen :
)tGebt ihnaudt mir her!" Die WOlfe zl ehen entsetzt von
ihrern Haus weg und lassen dieses in den Handen del'
Haustiere.For III A: Die Tiere: ein Ochse, ein Widder, ein
Schwein, eine Gans und ein Hahn iibernachten in einem
von ihnen selbst gebauten Hause, wohin die WOlfe einen
aus ihrer Mitte hineinschicken.
MI. 154. "BtJrtHjrass". Der Mann pflOgt mit einem
Paar Ochsen am Waldessaum. Zomig schilt er die faulen
Tiere: nIhr Barenfutter !" Ais der BA.r das im Walde hort,
kommt er und Iordert die Ochsen. In seiner Not bittet der
Mann, mit Ihnen seine Arbeit beendigen zu darfen und
erhAIt die Erlaubnis dazu. Vom Baren nieht bernerkt,
schleicht der Fuchs zu dem verzweifclten Mann uno ver-
spricht, ihn aus der Not zu helfen, [a ihm sogar den Baren in
die Hande zu ljefern, wenn er als Belohnung ein Paar Ga.nse
bekomme. Nachdem er dies Versprechen erhalten, ver-
schwindet er wieder in den Wald, wo er anfarigt das Hetzen
del' Bunde nachzuahmen, Erschrocken fragt del' B4r: ,.Was
ist das fnr ein Gerausch?" Del' Mann antwortet: "DieJ:lger des KClnigs sind auf del' Barenjagd". Del' 841' bittet
den Manni ihn nicht zu verraten. Del' Fuchs ruft aus dern
Walde dern Manne zu : ,,\Vas hast du fUr Schwarzes neben
Dir'!" Der Mann, auf Belehl des Baren : "Einen Baum-
sturnpf". Del' Fuchs: "Hebe ihn auf dcin Fuhrwerk ! --
binde ihn fest! - schneide die Aste ab! --- haue die Axt
in den Haumsnunpf!" Der Bar: "Tue, als hobest du - als
bandest l I L L - als ob du abschnittest - als 0 1 1 du hiebest !"
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ANTTI ~\.ARNE. Leitfaden, FFC 13
Der Mann hebt ihn auf sein Fuhrwerk, bindet ibn wirk-
Iich fest, schlagt die Reine ab, haut mit der Axt an den
Kopf, so class der Ba r stirbt. Dann geht der Mann nach-
hause, urn das im voraus von ihm versprochene Gansepaar
zu holen. Vom Hause bringt er einen zugebundenen Sack
mit sich. Wie er ihn aber offnet, springt daraus ein
Hundepaar auf den Fuchs los, und der Fuchs entflieht in
seine Hohle. Das MArchen fa.hrt mit dem Gesprach des
Fuchses und seiner Glieder fort und endet mit dem Tode
des Fuchses,MI. 155. Undani: ist dey Wett Lohn. Ein Mann rettet
eine Schlange aus der Kluft unter einem Stein. Die Schlange
sagt, Undank sei der Welt Lohn, und droht den Maun zu
verzehren. Auf den Vorschlag des Mannes aber gehen sie,
bei drei ihnen entgegenkommenden Richtern Recht xu
suchen, Dieersten Richter: das Pferd und der Hund sind
mit del' Schlange einig, aber der dritte, der listige Fuchs
lockt die Schlange wieder in die Kluft, und del" Mann
tOlet sie.
MI. 210. Die HOllsgr.rtlll! u. a. auf der Reise. Ein Ei,
ein Skorpion (?),' cine Nadell ein Stuck Kot und ein MOrser
befinden sich zusammen auf der Reise. In dem Hause eines
alten Weibes angelangt, verstecken sic sich an verschiede-
nen Stellen. Als die Alte am Abend nachhause kommt,
geht sie zum Herd, urn Feuer anzuzunden , aber das Ei
zerspringt und beschmutzt ihr das Gesicht., dew Skorpion
sticht sic usw., bis der Ml'1rser sie erschlagt.MI. 5hO. Das Mtfrrhen VOIn Zauherring. Ein armer
Junge kauft fU r sein weniges (reId cinen Hund und danarh
cine Katze los, die beide getOtet werden sollen. Nach eini-
g-er Zeit rettet er eine in Todesgefahr sehwebende Schlange.
Dankbar fuhrt ihn dieselbe zu sich nachhause, \\'0 ihm ihr
Vater einen Stein gibt, mit Hilfe dessen er alles verwirk-
lichen kann, was er sich wunscht, DcI' Junge schafft sich
als Wohnung e-in prachtiges Schloss lind heiratet die
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KOnigstochter. Der Stein wird ihm aber gestohlen, das
Schloss und die Frau werden durch Zaubcrmacht weitwegzu einer andereu Person entruckt, und der Junge wird vom
KOnig ins Gefangnis geworfen. Nun machen sich die dank-
baren Tiere, die Katze und der Hund, auf, den Zauberge-
genstand zu suchen. Die Katze sitzt auf dem Rucken des
Hundes, als sic aber einen F1uss schwimmen. Am- Zielc
angekornrnen, bemerken sie, dass der Dieb den Stein im
Munde tragt, Die Katze fa.ngt cine Maus uno zwingt sie,
ihr den Stein zu verschaffen, Die Maus kitzelt in der
Nacht mit ihrem Schwanze die Lippen des schlafenden
Diebes, der den Stein auf den Boden ausspeit. Auf dem
Heimweg C a J 1 t der Stein ins Wasser, und ein Fisch ver-
schuckt ihn, aber sic finden den Fisch und gewinnen den
Stein zuruck, Schliesslich bekommt der Junge den Stein
wieder, Er zaubert sich sofort sein Schloss und seine Frau
wieder herbei,
MI. 56[. Aladdin. In der in Tausend und eine Nacht
vorkommenden Bearbeitung des Zauberringmarchens, in dem
sogenannten Aladdin-Marchen, erhalt der Held des MArchens,
do ungeratener Junge (Aladdin), den Zaubergegenstand,
cine Lampe aus der Erde, wohin ein afrikanischer Zaube-
rcr ihn geschickt hat, die Lampe zu holen, Da aber der
Zauberer den Gegenstand nicht schon zur Offnung heraus
bekommt, verschliesst er diese durch Zauberworte und lasst
Aladdin unter der Erde. Dieser reibt zulallig' an dern Ring,
den ihm der Zauberer gegeben hatte: der Geist des Ringeserscheint und fuhrt ihn ans Tageslicht. Dann wird erzahlt,
wie er die Tochter des Sultans heiratet, sich einen machti-
gen Palast hervorzaubert und wie der Zauberer sich durch
Betrug der Lampe bemachtigt. Del,' Geist des Ringes bringt
Aladdin zum verscbwundenen Palast. Der Zauberer wird
durch einen Gifttrank getOtet, und der Palast an seinen
Iruheren Platz zuruckgebracht, Schliesslich kommt der Bru-
der des Zauberers, urn als heilige Frau seinen Bruder zu
rachen, Aladdin aber totet ihn mit einem Dolch.
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ASTn AARNl:, Leitfaden. fFC 1.3
Mi. J6) u. J64. Die Zauhergaben.
Die Marchenform mit drei Zaubergegenstan-den; Ein armer Mann bekomrnt (vom Winde, der seinen
Acker beschadigt hat, als Vergutung) ein Zaubertischtuch,
das sich auf Befehl mit den besten Speisen bedeckt. Auf
dem Heimweg vom Geber des Zaubergegenstandes kehrt er
fur die Nacht in einern Gasthaus ein, Wah rend der Mann
schUlft, vertauscht der Wirt, welcher ihn am Abend das
Tischtuch hat anwenden sehen, dasselbe mit einem ande-
ren Ausserlich gleichen, seiner Beschaffenheit nach jedoch
gewohnlichen Tischtuch, mit dem der Mann am Morgen
seine Reise Iortsetzt. Zuhause angelangt, wendet er das
Tischtuch, urn sich Essen zu verschaffen, an, aber verge-
bens, der Gegenstand hat gar keine Wirkung. Da der
Mann verrnutet, er sei bei dem Geber des Zaubergegen-
standes betrogen worden" eilt er mit seinem Tischtuch dort-
hin zuruck und bekomrnt einen Zauberesel, der auf Befehl
so vie) Geld fallen IAsst, als man nur zu haben wunscht.
Aber der Esel wird ebenfalls in dem Gasthaus mit einemanderen, gewohnlichen Esel vertauscht. Der Mann unter-
nirnrnl noeh zurn dritten Mal dieselbe Reise und erhalt nun
einen Zauberkntlppel, der [eden unbarmherzig durchprugelt,
den der Besitzer zu sehlagen befiehlt. Der Mann kehrt
wieder in dern Gasthaus ein ; von dem Betrug des Wirtes
dieses Gasthauses hat er bereits vernomrnen, und indem
er dem KnOppel befiehlt, den Wirt durchzuprugeln, zwingt
er ihn das entwendete Tischtuch und den Esel zurack-
zugeben,
In der MA.rchenforrn mit lwei Zaubergegen-
s tA n den wjrd von einem Gegenstand zum Aufbewahren
von Essen erzahlt, der die wunderbare Eigenschaft besitzt,
dass auf Befehl die besten Speisen aus ihm kommen, und
von einem anderen Gegenst.and von gleichem Aussehen,
woraus Geister mit Stl'lcken in den Handen erscheinen UDd
Prugel austei1en. Der wohlhabende Nachbar des armen
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Manneskauh den essenspendenden Gegenstand fUr reueren
Preis, aber mit Hilfe des neuen Gegenstandes, der den mitseiner Beschaffenheit unbekannten Nachbar auf dessen Befehl
durchzuprugeln beginnt, bekommt der Held des Mirchens
den ersterwlhnten Gegenstand zuruck,
MI. 566. Die drei ZauhergegctlSlandr r 4 H t J die wunder-
buren Frachte. Es sind drei Bruder, Soldaten. Jeder von
inen wird Besitzer eines eigenturnlichen Zaubergegenstan-
des. Der eine bekommt einen unentleerbaren Geldbeutel,
der zweite ein Horn, das ein Heel" herbeizaubert, und derdritte einen Mantel, der seinen Besitzer hinbringt, wohin
er befiehlt, Die Konigstochter entwendet dem Besitzer des
Beutels seinen Zaubergegenstand und ebenso den von
seinem Bruder ibm gegebenen zweiren Zaubergegenstand.
Auch der _dritte der BrOder tritt dem Heiden des M4rchens
seinen Zaubergegenstand, den Mantel, abo Es gelingt ihm
mit Hilfe des Gegenstandes das Madchcn zur Strafe auf
eine ferne Insel zu schaffen. Aber das M.adchen betrugt
ihn wieder, kehrt auf dern Zaubermante1 nachhause zuruck
und lasst den Jungen auf der Insel sitzen. Dieser stosst
auf einen Apfelbaum, isst von dessen Fruchten, bemerkt
abel' zuglelch, dass ihm HOrner am Kopf gewachsen sind.
Er verzehrt andere Apfel, lind die Horner verschwinden.
Unerkannt verkauft der Junge von den ersten Apfe~n der
Konigstochter, die HOrner an den Kopf bekommt. Nach
einiger Zeit kommt 'er als fremder Arzt an den Hof des
Konigs, zwingt das MAdchcn, die entwendeten Gegenstandezuruckzugeben, und schliesslich beseitigt er die Horner ..
Varianten dieses Mlrchens linden sich auch in der
Geschichtensammlung G est a Rom a nor u m und in dcm
.Volksbuch von For tun a t u s, s e in emS a . C ' k e I u n d
s e in e m W u n s c h hut le i n.
MI. J67. Der Zaubervog,rl. Vas Schicksal macht eincn
armen Mann zum Besitzer eines Goldeier legenden Wun·
dervogels. Der Mann verkauft die kostbaren Eier lind wird
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86 Axrrt AAR~E, Leitfaden. fo'fC 1 3
reich. Einmal geht er auf Reisen und lasst den Vogel
seiner Frau zur Pflege zuruck. Unterdessen kommt derKAufer der Eier 7.U der Frau und verlockt sie durch ein
Liebesverhaltnis, ihm den wunderbaren Voge1 zur Mahlzeit
zuzubereiten. Der Vogel birgt eine Wunderkraft derart,
class. wer seincn Kopf isst, KOnig wird, und dass der, der
<las Herz verzehrt, das Vermogen Gold zu erzeugen bekommt.
Der Vogel wird zugerichtet, HUI t aber durch Zufall den
heiden Sohnen des verreisten Hausherrn in die Hande,
und die Jungen essen, ohne "Oil der wunderbaren Eigen-
schaft des Vogels zu wissen, den Kopf und das Herz. Der
Liebhaber aber weiss, dass do Braten, deraus den Ver-
zehrern des Vogels zubereitet wird, dieselbe Wirkung hat
wie del' gebratene Vogel sel bst, und verlangt, class die
jungeu gescblachtet werden, worein auch die Mutter ein-
willigt. Die Jungen entrinnen durch Flucht dem Mordan-
schlag, Der den Kopf gegessen hatte, geIangt in ein Reich,
"'0 nach dem Ableben des alten Herrschers gerade ein
neuer gewa.hltwird. Ein steigen gelassener Vogel 11sst
sich auf seinen Kopf nieder, und er wird als Herrscher
anerkann t. Ocr andere Bruder wird von einer Kenigstocbter
auf den Rat eines Zauberweibes veranlasst, das gegessene Herz
7.\1 erbrechen, Er verwandel t die Betrugerin durch ein Zau-
bergras in eine Eselin, die durch schwere Arbeit geplagt wird,
Schliesslich treffen die Bruder einander, die Eselin bekommt
wieder menschliche Gestalt, und die Mutter wird bestraft.
MI. 10) o. Ern te tr ilu n g. Mensch (Fuchs) und Teufel(Bar) betreiben einen gemeinsamen Ackerbau. Der dum-
mere, del' Teufel, wahlt von den Wurzelfruchten (RObe)
den oberen und von den Hahn- oder Hulsenfruchten (Gerste
den unteren Teil,
MI. 1052. Batm·t/r(lgl·n. Mensch (Fuchs) und Teufel
(Bar) tragen einen Baum. Ocr Teufel tragt am Wipfe],
ohne sich umzusehen, del' Mensch sitzt auf dent dicken
Stamrnende.
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In h 8 .1 t.
Vorwort . . . , . . . . . ., . .
I. Ursprung der MArchen '...
U. Die VerA.nderungen in den MArchen
III. Die geographisch-historische Forschungsmethode
IV. Die Technik der MArchenforschullg.
V. Die als Beispiele benutzten Ma.rchen . .. . . .
Ht'lle
lII-IV
1-22
~-39
39-56
5 7 - - 78
jg.-86