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tropole verblasst. Die Pforzheimer Schmuckbranche beginnt die Dauerkrise inzwischen jedoch als Chance zu begrei- fen. Nicht nur, weil man nächstes Jahr mit größtmöglicher Wirkung nach innen und außen das 250. Jubiläum der „Gold- stadt“ feiern wird. Sondern weil Pforz- heim tatsächlich Potenzial hat: als „hid- den gem“, als unterschätzte Stadt, in der Tradition und Moderne allmählich zu- sammenfinden und die mit einer Mi- schung aus Wissen, jahrhundertelanger Erfahrung und Tüftlersinn im globali- sierten Schmuckmarkt wieder neue Ak- zente setzen könnte. In Sachen Qualität macht den Pforz- heimern zum Beispiel niemand etwas vor. War die Pforzheimer Schmuckpro- duktion um die Jahrhundertwende da- rauf spezialisiert, mit maschineller Fer- tigung auf die massenhafte Nachfrage nach günstigem Schmuck zu reagieren, waren ab Ende der 70er andere Tugen- den gefragt. Damals wurde die heimi- sche Industrie rasch von asiatischer Bil- ligproduktion überholt. Wer dem nichts entgegensetzen konnte, ging ein. Um 1900 arbeiteten rund 40.000 Menschen in der Pforzheimer Schmuck- industrie, die damals die ganze Welt be- lieferte und Deutschland zum bedeuten- den Zentrum der Uhren- und Schmuck- herstellung in Europa machte. Heute be- schäftigt die Branche in der 120.000- Einwohner-Stadt am Nordrand des Schwarzwaldes nur noch rund 2000 Menschen. Viele der einstigen Schmuck- spezialisten setzen ihr Know-how in Branchen ein, die zukunftsträchtiger er- scheinen. Für Metallbau und Präzisions- technik ist Pforzheim heute fast be- kannter als für sein goldenes Erbe. Von den Herstellern, die überlebt haben, set- zen die meisten auf das, was man allen anderen voraushat: den ganz speziellen Wert der Pforzheimer Arbeit. „Qualitativ sind wir heute noch un- schlagbar“, sagt Hanspeter Wellendorff, Seniorchef der 1893 gegründeten gleich- namigen Schmuckmanufaktur. Wellen- dorff ist neben Chopard der andere gro- ße Name, der den Sprung von Pforzheim in die Welt geschafft hat. Als die Kon- kurrenz aus Asien die deutsche Produk- tion zu verdrängen begann, habe er „Un- summen“ in die Fertigung gesteckt, um den Betrieb mit Digitalisierung und CNC-Steuerung auf den neuesten Stand der Technik zu bringen, erzählt Wellen- dorff. „So waren wir in der Lage, eine hervorragende, wenn nicht die beste Qualität herzustellen. Und so konnten wir in Pforzheim bleiben.“ Pforzheimer Schmuckmacher sind aber nicht nur bekannt für präzise Fer- tigung und süddeutsches „Schaffer- tum“. Sie sind auch innovativ. In Pforz- heim wurde ironischerweise die Quarz- uhr erfunden, die in den 70ern und 80ern für ein Massensterben in der eu- ropäischen und amerikanischen Uhren- industrie sorgte. Das Weißgold stammt von hier, und das Doublé, bei dem Gold mechanisch auf günstigeres Material wie Messing, Silber oder Kupfer aufge- bracht wird. „Das Pforzheimer Völkchen ist ziemlich einfallsreich“, sagt Hans- peter Wellendorff. „Das sind Tüftler.“ Wellendorff gehört selbst zu ihnen. Die Wellendorff-Kordel, neben dem gol- denen „W“ mit Brillant das Markenzei- chen des Familienunternehmens, ersann er nach dem Vorbild der Vorhangkordeln, mit denen seine Frau Eva bei ihrer Groß- mutter so gerne gespielt hatte. Ein von Hand zur hauchdünnen Spirale gedreh- ter Draht aus der hauseigenen Goldlegie- rung wird wiederum mit einer Goldlegie- rung gefüllt, um ihr von innen Halt und Spannung zu verleihen. Die Mischung ist Betriebsgeheimnis, das Ergebnis eine neue Form von Gold: solide und schwe- relos zugleich. Auch die „Happy Diamonds“ von Cho- pard, eine der bahnbrechendsten Ent- wicklungen im zeitgenössischen Schmuckdesign, wurden 1976 nicht etwa in Genf, sondern in Pforzheim erfunden. Die speziellen Fassungen für die frei be- weglichen Diamanten, die unter Saphir- glas in Schmuckstücken und Uhren um- hertanzen, werden mit derselben hoch- modernen Präzisionstechnik gefertigt wie der Schmuck und die Uhrenteile, für die Chopard am Standort Pforzheim ei- nen ganzen Maschinenpark bereithält. „Handarbeit ist in unserer Branche dennoch unersetzlich, und auch darin ist Pforzheim spitze“, sagt Michael Jou- venal, ein distinguierter Herr mit schwäbischem Akzent, seit 1974 Ge- schäftsführer des deutschen Standorts von Chopard. Erst unter den erfahrenen Händen der Feinpoliererinnen werden aus den Schmuckstücken Dinge, die das Auge zum Staunen bringen. „Eine sehr wichtige Abteilung“, sagt Jouvenal, es klingt fast ein wenig ehrfürchtig aus dem Mund des erfahrenen Managers. „Da kommt der Glanz dran.“ Aber auch unten im Tal kann Pforz- heim glänzen, wiederum auf ganz eigene Weise. In der Manufaktur von Victor Mayer, einen Steinwurf vom wellen- dorffschen Betrieb entfernt, zeigt Mar- cus O. Mohr, Urenkel des Firmengrün- ders, die Schätze des Hauses. Im Keller lagert das Archiv der 1890 gegründeten Schmuckfirma, Tausende von Hand gra- vierte Stahlgesenke und die dazugehöri- gen Prägemaschinen und Fallwerke, mit denen man hier vor 100 Jahren eine frü- he Serienproduktion betrieb. Ein Museum ist der Betrieb dennoch nicht. Nebenan graviert Michael Fauth, einer der letzten beiden Guillocheure in Deutschland, an altertümlichen Maschi- nen zarte Linienmuster in goldene Ziffer- blattscheiben. In der Emaillewerkstatt werden sie mit Feueremaille veredelt, ei- ne weitere Spezialität des Hauses, die in dieser Qualität kaum noch existiert. Ne- ben der eigenen Kollektion bedient Mar- cus Mohr internationale Luxusmarken, auf einen Auftraggeber ist er besonders stolz: Fabergé, legendär für Zaren-Eier und exquisites Guilloché-Emaille, lässt seine Emaillewaren ausschließlich bei Victor Mayer fertigen. K arl Scheufele hat es schnell hinausgeschafft aus dem Tal. 1958 bezog der junge Goldschmied und Uhrmacher eine Etage in der Fabrik sei- nes Schwiegervaters im württembergischen Birkenfeld, einem Vorort der badischen Stadt Pforzheim. Sechs Jahre später ließ er dort einen Flachbau in bester Südhanglage errich- ten, mit Schwarzwaldblick. Auf dem Tisch im Konferenzraum des Chopard- Mutterschiffs warten Butterbrezeln, im Untergeschoss entstehen mithilfe von modernster Präzisionstechnologie die Teile für die Schmuckuhren des Hauses sowie die Schmuckkollektionen von Chopard. Wer Chopard als Genfer Mar- ke kennt, sollte einen genauen Blick auf ein Stück aus der aktuellen Linie „Hap- py Hearts“ werfen. Dort steht neben dem geschwungenen Chopard-Logo: „Made in Germany“. Für Karl Scheufele hat diese Her- kunftsbezeichnung, seit diesem Jahr für einige Märkte vorgeschrieben, einen un- gewohnten Klang. Schließlich war seine Idee, 1963 eine Genfer Uhrenmanufaktur mit dem schönen Namen Chopard zu kaufen und fortan selbst Schweizer Uh- ren herstellen zu können, der Schlüssel zum Aufstieg der Familie Scheufele in die erste Liga der internationalen Luxusher- steller. „In Pforzheim ist alles entstan- den, darüber sind wir auch sehr glück- lich“, sagt der Patron. „Wir wollen nur nicht als Pforzheimer Firma erscheinen.“ Die Aussage ist beispielhaft für das ge- spaltene Verhältnis der Pforzheimer zu ihrer Heimatstadt. Seit den 70er-Jahren ist der Glanz der einstigen Schmuckme- Wie kommt es dann, dass Pforzheim ein derart schlechtes Image hat, selbst bei der eigenen Bevölkerung? Die Stadt versucht seit Jahren, ihre vielen Zuwan- derer zu integrieren – 46 Prozent der Pforzheimer sind Ausländer oder Deut- sche mit Migrationsgeschichte, darun- ter viele, die ursprünglich als Gastarbei- ter wegen der nahen Stuttgarter Auto- mobilindustrie gekommen waren. Die Arbeitslosenquote ist die höchste in Ba- den-Württemberg, im Haushalt klafft ein 50-Millionen-Euro-Loch. Dieses Jahr holte die AfD hier 24 Prozent. „Außerdem klingt Pforzheim schon mal nicht so toll“, sagt Marcus Mohr. „Im Englischen hört es sich an wie ‚Fart- Heim‘, und unser weltberühmtes Schmuckmuseum wird zum ‚Schmock- Museum‘.“ Die Stadt leide außerdem immer noch an einem Kriegstrauma, verursacht durch den alliierten Bom- benangriff im Februar 1945. Pforzheim wurde damals dem Erdboden gleichge- macht und in den 50ern mit moderner Wirtschaftswunder-Architektur wieder aufgebaut. Das im Wortsinne zerrissene Stadtbild bescherte Pforzheim lange den Ruf als hässlichste Stadt Deutsch- lands, heute beginnt man, die Perlen der Nachkriegsarchitektur zu entdecken. Auch Pforzheims Ausbildungsstätten haben einen hervorragenden Ruf. In der Stadt befindet sich Deutschlands einzige Goldschmiedeschule mit Uhrmacher- schule. Die Fakultät für Gestaltung der Pforzheimer Hochschule kann sich mit einer Kreativschmiede wie dem Londo- ner Central Saint Martins messen – auch im Hinblick auf die Internationalität der Studenten. „Das breite Repertoire macht uns einzigartig“, sagt Andreas Gut, der als Professor im Studiengang Schmuck unterrichtet. „Wenn wir uns etwas über- legen, dann können wir es auch umset- zen.“ Und die am stärksten wachsende Stadt Süddeutschlands hat eine über- durchschnittlich junge Bevölkerung. „Das ist natürlich eine Riesenchance“, sagt Oberbürgermeister Gert Hager. „Vo- rausgesetzt, die Integration gelingt.“ Eine Maßnahme, zumindest die jun- gen Kreativen und das zeitgenössische Design in Pforzheim zu etablieren, ist bereits erfolgreich. Das Kreativzentrum EMMA, von der Stadt in einem sanier- ten Jugendstilbad eingerichtet, wird von vielen Nachwuchsdesignern genutzt. Die erfolgreiche Modeschmuck-Desig- nerin Jasmina Jovy hat hier genauso ihr Atelier wie die Schmuckkünstlerin Frie- da Dörfer, die nicht mehr wegwill aus Pforzheim, wie sie sagt. „Weil es hier al- les gibt: kurze Wege, Infrastruktur, Spe- zialisten – für jedes Schmuckproblem lässt sich eine Lösung finden.“ Die wachsende Nachfrage nach hoch- wertigem Schmuck spielt den Pforzhei- mern zusätzlich in die Hände. Damit der Durchbruch gelingt, könnte etwas mehr Selbstbewusstsein nicht schaden, findet Karl Scheufele. „Ich bin früher immer raus mit meinem Köfferle und hab die Kunden besucht“, erzählt der Chopard- Chairman. „Die Pforzheimer müssen ähnlich aktiv werden, sie müssen raus aus dem Tal, raus in die Welt“, sagt er. „Im Schmuckmarkt gibt es heute ein ähnliches Riesenangebot wie bei den Uhren. Aber wenn jemand etwas ganz Besonderes hat, dann ist das der beste Weg und man hat immer eine Chance!“ Pforzheim war einst ein weltweit bedeutendes Zentrum der Schmuckherstellung. Heute versucht man an frühere Erfolge anzuknüpfen – mit Erfindergeist, badischer Beharrlichkeit und Qualität made in Germany VON LORRAINE HAIST VICTOR MAYER; BERNHARD FRIESE, PFORZHEIM; WELLENDORFF; CHOPARD Innovativ: die Kordel aus 18-karätigem Gold, Markenzeichen der Manufaktur Wellendorff Einmalig: die Herstellung von Guilloché-Emaille in der Manufaktur von Viktor Mayer Im Tal der TÜFTLER Kleinod der Nachkriegsmoderne: das Reuchlinhaus, Heimat des Schmuckmuseums, erbaut nach den Plänen von Manfred Lehmbruck Made in Pforzheim: „Happy Hearts“- Armreifen von Chopard WELT AM SONNTAG NR. 49 4. DEZEMBER 2016 70 STIL ANZEIGE

Abgezeichnet von: AMS Dir/WAMS/WSBE-VPW 1 Chef vom Dienst ...€¦ · 80ern für ein Massensterben in der eu-ropäischen und amerikanischen Uhren-industrie sorgte. Das Weißgold stammt

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Page 1: Abgezeichnet von: AMS Dir/WAMS/WSBE-VPW 1 Chef vom Dienst ...€¦ · 80ern für ein Massensterben in der eu-ropäischen und amerikanischen Uhren-industrie sorgte. Das Weißgold stammt

tropole verblasst. Die PforzheimerSchmuckbranche beginnt die Dauerkriseinzwischen jedoch als Chance zu begrei-fen. Nicht nur, weil man nächstes Jahrmit größtmöglicher Wirkung nach innenund außen das 250. Jubiläum der „Gold-stadt“ feiern wird. Sondern weil Pforz-heim tatsächlich Potenzial hat: als „hid-den gem“, als unterschätzte Stadt, in derTradition und Moderne allmählich zu-sammenfinden und die mit einer Mi-schung aus Wissen, jahrhundertelangerErfahrung und Tüftlersinn im globali-sierten Schmuckmarkt wieder neue Ak-zente setzen könnte.

In Sachen Qualität macht den Pforz-heimern zum Beispiel niemand etwasvor. War die Pforzheimer Schmuckpro-duktion um die Jahrhundertwende da-rauf spezialisiert, mit maschineller Fer-tigung auf die massenhafte Nachfragenach günstigem Schmuck zu reagieren,waren ab Ende der 70er andere Tugen-den gefragt. Damals wurde die heimi-sche Industrie rasch von asiatischer Bil-ligproduktion überholt. Wer dem nichtsentgegensetzen konnte, ging ein.

Um 1900 arbeiteten rund 40.000Menschen in der Pforzheimer Schmuck-industrie, die damals die ganze Welt be-lieferte und Deutschland zum bedeuten-den Zentrum der Uhren- und Schmuck-herstellung in Europa machte. Heute be-schäftigt die Branche in der 120.000-Einwohner-Stadt am Nordrand desSchwarzwaldes nur noch rund 2000Menschen. Viele der einstigen Schmuck-spezialisten setzen ihr Know-how inBranchen ein, die zukunftsträchtiger er-scheinen. Für Metallbau und Präzisions-technik ist Pforzheim heute fast be-kannter als für sein goldenes Erbe. Vonden Herstellern, die überlebt haben, set-zen die meisten auf das, was man allenanderen voraushat: den ganz speziellenWert der Pforzheimer Arbeit.

„Qualitativ sind wir heute noch un-schlagbar“, sagt Hanspeter Wellendorff,Seniorchef der 1893 gegründeten gleich-namigen Schmuckmanufaktur. Wellen-dorff ist neben Chopard der andere gro-ße Name, der den Sprung von Pforzheimin die Welt geschafft hat. Als die Kon-kurrenz aus Asien die deutsche Produk-tion zu verdrängen begann, habe er „Un-summen“ in die Fertigung gesteckt, umden Betrieb mit Digitalisierung undCNC-Steuerung auf den neuesten Standder Technik zu bringen, erzählt Wellen-dorff. „So waren wir in der Lage, einehervorragende, wenn nicht die besteQualität herzustellen. Und so konntenwir in Pforzheim bleiben.“

Pforzheimer Schmuckmacher sindaber nicht nur bekannt für präzise Fer-tigung und süddeutsches „Schaffer-tum“. Sie sind auch innovativ. In Pforz-heim wurde ironischerweise die Quarz-uhr erfunden, die in den 70ern und80ern für ein Massensterben in der eu-ropäischen und amerikanischen Uhren-industrie sorgte. Das Weißgold stammtvon hier, und das Doublé, bei dem Goldmechanisch auf günstigeres Materialwie Messing, Silber oder Kupfer aufge-bracht wird. „Das Pforzheimer Völkchenist ziemlich einfallsreich“, sagt Hans-peter Wellendorff. „Das sind Tüftler.“

Wellendorff gehört selbst zu ihnen.Die Wellendorff-Kordel, neben dem gol-denen „W“ mit Brillant das Markenzei-chen des Familienunternehmens, ersann

er nach dem Vorbild der Vorhangkordeln,mit denen seine Frau Eva bei ihrer Groß-mutter so gerne gespielt hatte. Ein vonHand zur hauchdünnen Spirale gedreh-ter Draht aus der hauseigenen Goldlegie-rung wird wiederum mit einer Goldlegie-rung gefüllt, um ihr von innen Halt undSpannung zu verleihen. Die Mischung istBetriebsgeheimnis, das Ergebnis eineneue Form von Gold: solide und schwe-relos zugleich.

Auch die „Happy Diamonds“ von Cho-pard, eine der bahnbrechendsten Ent-wicklungen im zeitgenössischenSchmuckdesign, wurden 1976 nicht etwain Genf, sondern in Pforzheim erfunden.Die speziellen Fassungen für die frei be-weglichen Diamanten, die unter Saphir-glas in Schmuckstücken und Uhren um-hertanzen, werden mit derselben hoch-modernen Präzisionstechnik gefertigtwie der Schmuck und die Uhrenteile, fürdie Chopard am Standort Pforzheim ei-nen ganzen Maschinenpark bereithält.

„Handarbeit ist in unserer Branchedennoch unersetzlich, und auch darinist Pforzheim spitze“, sagt Michael Jou-venal, ein distinguierter Herr mitschwäbischem Akzent, seit 1974 Ge-schäftsführer des deutschen Standortsvon Chopard. Erst unter den erfahrenenHänden der Feinpoliererinnen werdenaus den Schmuckstücken Dinge, die dasAuge zum Staunen bringen. „Eine sehrwichtige Abteilung“, sagt Jouvenal, esklingt fast ein wenig ehrfürchtig ausdem Mund des erfahrenen Managers.„Da kommt der Glanz dran.“

Aber auch unten im Tal kann Pforz-heim glänzen, wiederum auf ganz eigeneWeise. In der Manufaktur von VictorMayer, einen Steinwurf vom wellen-dorffschen Betrieb entfernt, zeigt Mar-cus O. Mohr, Urenkel des Firmengrün-ders, die Schätze des Hauses. Im Kellerlagert das Archiv der 1890 gegründetenSchmuckfirma, Tausende von Hand gra-vierte Stahlgesenke und die dazugehöri-gen Prägemaschinen und Fallwerke, mitdenen man hier vor 100 Jahren eine frü-he Serienproduktion betrieb.

Ein Museum ist der Betrieb dennochnicht. Nebenan graviert Michael Fauth,einer der letzten beiden Guillocheure inDeutschland, an altertümlichen Maschi-nen zarte Linienmuster in goldene Ziffer-blattscheiben. In der Emaillewerkstattwerden sie mit Feueremaille veredelt, ei-ne weitere Spezialität des Hauses, die indieser Qualität kaum noch existiert. Ne-ben der eigenen Kollektion bedient Mar-cus Mohr internationale Luxusmarken,auf einen Auftraggeber ist er besondersstolz: Fabergé, legendär für Zaren-Eierund exquisites Guilloché-Emaille, lässtseine Emaillewaren ausschließlich beiVictor Mayer fertigen.

K arl Scheufele hat esschnell hinausgeschafftaus dem Tal. 1958 bezogder junge Goldschmiedund Uhrmacher eineEtage in der Fabrik sei-nes Schwiegervaters im

württembergischen Birkenfeld, einemVorort der badischen Stadt Pforzheim.Sechs Jahre später ließ er dort einenFlachbau in bester Südhanglage errich-ten, mit Schwarzwaldblick. Auf demTisch im Konferenzraum des Chopard-Mutterschiffs warten Butterbrezeln, imUntergeschoss entstehen mithilfe von

modernster Präzisionstechnologie dieTeile für die Schmuckuhren des Hausessowie die Schmuckkollektionen vonChopard. Wer Chopard als Genfer Mar-ke kennt, sollte einen genauen Blick aufein Stück aus der aktuellen Linie „Hap-py Hearts“ werfen. Dort steht nebendem geschwungenen Chopard-Logo:„Made in Germany“.

Für Karl Scheufele hat diese Her-kunftsbezeichnung, seit diesem Jahr füreinige Märkte vorgeschrieben, einen un-

gewohnten Klang. Schließlich war seineIdee, 1963 eine Genfer Uhrenmanufakturmit dem schönen Namen Chopard zukaufen und fortan selbst Schweizer Uh-ren herstellen zu können, der Schlüsselzum Aufstieg der Familie Scheufele in dieerste Liga der internationalen Luxusher-steller. „In Pforzheim ist alles entstan-den, darüber sind wir auch sehr glück-lich“, sagt der Patron. „Wir wollen nurnicht als Pforzheimer Firma erscheinen.“Die Aussage ist beispielhaft für das ge-spaltene Verhältnis der Pforzheimer zuihrer Heimatstadt. Seit den 70er-Jahrenist der Glanz der einstigen Schmuckme-

Wie kommt es dann, dass Pforzheimein derart schlechtes Image hat, selbstbei der eigenen Bevölkerung? Die Stadtversucht seit Jahren, ihre vielen Zuwan-derer zu integrieren – 46 Prozent derPforzheimer sind Ausländer oder Deut-sche mit Migrationsgeschichte, darun-ter viele, die ursprünglich als Gastarbei-ter wegen der nahen Stuttgarter Auto-mobilindustrie gekommen waren. DieArbeitslosenquote ist die höchste in Ba-den-Württemberg, im Haushalt klafftein 50-Millionen-Euro-Loch. Dieses Jahrholte die AfD hier 24 Prozent.

„Außerdem klingt Pforzheim schonmal nicht so toll“, sagt Marcus Mohr.„Im Englischen hört es sich an wie ‚Fart-Heim‘, und unser weltberühmtesSchmuckmuseum wird zum ‚Schmock-Museum‘.“ Die Stadt leide außerdemimmer noch an einem Kriegstrauma,verursacht durch den alliierten Bom-benangriff im Februar 1945. Pforzheimwurde damals dem Erdboden gleichge-macht und in den 50ern mit modernerWirtschaftswunder-Architektur wiederaufgebaut. Das im Wortsinne zerrisseneStadtbild bescherte Pforzheim langeden Ruf als hässlichste Stadt Deutsch-lands, heute beginnt man, die Perlen derNachkriegsarchitektur zu entdecken.

Auch Pforzheims Ausbildungsstättenhaben einen hervorragenden Ruf. In derStadt befindet sich Deutschlands einzigeGoldschmiedeschule mit Uhrmacher-schule. Die Fakultät für Gestaltung derPforzheimer Hochschule kann sich miteiner Kreativschmiede wie dem Londo-ner Central Saint Martins messen – auchim Hinblick auf die Internationalität derStudenten. „Das breite Repertoire machtuns einzigartig“, sagt Andreas Gut, derals Professor im Studiengang Schmuckunterrichtet. „Wenn wir uns etwas über-legen, dann können wir es auch umset-zen.“ Und die am stärksten wachsendeStadt Süddeutschlands hat eine über-durchschnittlich junge Bevölkerung.„Das ist natürlich eine Riesenchance“,sagt Oberbürgermeister Gert Hager. „Vo-rausgesetzt, die Integration gelingt.“

Eine Maßnahme, zumindest die jun-gen Kreativen und das zeitgenössischeDesign in Pforzheim zu etablieren, istbereits erfolgreich. Das KreativzentrumEMMA, von der Stadt in einem sanier-ten Jugendstilbad eingerichtet, wird vonvielen Nachwuchsdesignern genutzt.Die erfolgreiche Modeschmuck-Desig-nerin Jasmina Jovy hat hier genauso ihrAtelier wie die Schmuckkünstlerin Frie-da Dörfer, die nicht mehr wegwill ausPforzheim, wie sie sagt. „Weil es hier al-les gibt: kurze Wege, Infrastruktur, Spe-zialisten – für jedes Schmuckproblemlässt sich eine Lösung finden.“

Die wachsende Nachfrage nach hoch-wertigem Schmuck spielt den Pforzhei-mern zusätzlich in die Hände. Damit derDurchbruch gelingt, könnte etwas mehrSelbstbewusstsein nicht schaden, findetKarl Scheufele. „Ich bin früher immerraus mit meinem Köfferle und hab dieKunden besucht“, erzählt der Chopard-Chairman. „Die Pforzheimer müssenähnlich aktiv werden, sie müssen rausaus dem Tal, raus in die Welt“, sagt er.„Im Schmuckmarkt gibt es heute einähnliches Riesenangebot wie bei denUhren. Aber wenn jemand etwas ganzBesonderes hat, dann ist das der besteWeg und man hat immer eine Chance!“

Pforzheim war einst ein weltweit bedeutendes Zentrum der Schmuckherstellung. Heute versucht man anfrühere Erfolge anzuknüpfen – mit Erfindergeist, badischer Beharrlichkeit und Qualität made in Germany

VON LORRAINE HAIST

VICTOR MAYER; BERNHARD FRIESE, PFORZHEIM; WELLENDORFF; CHOPARD

Innovativ: die Kordel aus 18-karätigem Gold,Markenzeichen der Manufaktur Wellendorff

Einmalig: die Herstellungvon Guilloché-Emaillein der Manufaktur vonViktor Mayer

Im Tal der TÜFTLER

Kleinod der Nachkriegsmoderne: das Reuchlinhaus, Heimat desSchmuckmuseums, erbaut nach denPlänen von Manfred Lehmbruck

Made in Pforzheim: „Happy Hearts“-Armreifen von Chopard

WAMS_Dir/WAMS/WSBE-VP104.12.16/1/Stil2 CPASSLAC 5% 25% 50% 75% 95%

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