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SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 36 Abwart vom Jungfraujoch Der Er schippt meterhohe Schneehaufen, kontrolliert Hunderttausende Glühbirnen und empfängt eine Million Besucher. ANDREAS WYSS ist Hausmeister auf dem Jungfraujoch, 3454 Meter hoch – Top(-Job) of Europe. Wyss wischt Der Jungfrau- Hausmeister im Eispalast. Das tausend Quadratmeter grosse Höhlen-Labyrinth ist von Hand ins Gletschereis gepickelt.

Abwart Der · manntes Raumschiff. Als Erstes checkt der Chef-techniker die Umgebung, schaut durch die riesigen Fenster der Eingangshalle, hinaus in Rich-tung Aletschgletscher. Wurden

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Page 1: Abwart Der · manntes Raumschiff. Als Erstes checkt der Chef-techniker die Umgebung, schaut durch die riesigen Fenster der Eingangshalle, hinaus in Rich-tung Aletschgletscher. Wurden

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Abwartvom Jungfraujoch

Der

Er schippt meterhohe Schneehaufen, kontrolliert Hunderttausende Glühbirnen und empfängt eine Million

Besucher. ANDREAS WYSS ist Hausmeister auf dem Jungfraujoch, 3454 Meter hoch – Top(-Job) of Europe.

Wyss wischt Der Jungfrau- Hausmeister im Eispalast. Das tausend Quadratmeter grosse Höhlen-Labyrinth ist von Hand ins Gletschereis gepickelt.

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Ohne Worte Morgens um 5.30 Uhr. Wyss beim Zmorgekafi daheim in Meiringen BE. Um die Zeit mag er nicht gross reden.

Arbeitsweg Wyss pendelt täglich aufs Jungfraujoch, zwei Stunden hin, zwei heim. Hier auf der Kleinen Scheidegg, hinten Eiger und Mönch (r.).

Zügig Draussen dämmert es, die 120 Jungfraujoch-Angestellten werden per Extra-Zug zu ihrem Arbeitsplatz hochgefahren.

Unterirdisch Ein Grossteil der Station Jungfraujoch ist in den Fels gesprengt. Rollbänder befördern die Gäste an steilen Stellen.

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Hier prallt Naturgewaltauf Touristenwünsche

Das Panorama Wyss auf der Terrasse der Forschungsstation Sphinx. Hinten der Aletsch-gletscher. Heute ists fast windstill, es wurden aber schon Böen von 285 km/h gemessen.

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Viel Licht Hier braucht es Tausende Glühbirnen. In dieser Höhe haben sie eine zehnmal kürzere Lebens-dauer als im Flachland.

Jaaa Wyss’ wichtigstes Werkzeug ist das Handy. Dauernd wird er verlangt. Hinten: Mitarbeiter Toni Eilert in der unterirdischen Werkstatt.

Lächelnder Gastgeber Zwei asiatische Touristen posieren mit Dres Wyss für ein Selfie. Hinten das Observatorium Sphinx.

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TEXT MARCEL HUWYLER FOTOS DAVID BIRRI

Eine derart hohe Ar-beitsstelle kann ei-nem ganz schön zu Kopfe steigen.

Andreas Wyss klettert aus dem 108 Meter tiefen Liftschacht, wo er sich um das Problem «Sphinx-Lift A+B Stö-rung» (so die Alarmmeldung auf seinem Pager) gekümmert hat, als sein Handy klingelt. Ein Mann ruft an. Vor ein paar Tagen hat er sich für einen Job in Wyss’ Team beworben. Das Vorstellungsge-spräch fand hier oben statt, in der Station Jungfraujoch, auf 3454 Metern über Meer. Er hätte den Job gerne gemacht, sagt der Mann, aber er müsse absagen, nach dem Bewerbungsgespräch habe er fürchterlich an Kopfweh gelitten.

«Nicht jeder Angestellte ver-trägt die Höhe», sagt Wyss später, Flachländer leiden hier bereits nach vier Stunden an Kopf-schmerzen und Übelkeit. Wer auf dem Jungfraujoch arbeitet, muss seinen Kopf hinhalten – oder ihn durchsetzen. Letzteres macht Wyss seit 28 Jahren, «und zwar unheimlich gern». Der schönste Arbeitsplatz der Schweiz seis, das Panorama fasziniere ihn noch heute jeden Tag. Da hat der Mann so eine Aussicht und wird noch dafür bezahlt. «Jetzt reden Sie schon wie mein Chef», sagt Wyss.

Alle nennen ihn Dres. Andre-as, Dres, Wyss, 53 Jahre alt, ist im Berner Oberland geboren, im Berner Oberland geblieben. Was er tut, wie er es tut, ist ruhig, klar und bedacht. Da ist viel Wissen, Erfahrung, Gelassenheit und die nötige Portion Oberländer Sturgrind, die es hier braucht, um Touristenwünsche und Naturge-

Mahnmal Beim Bau der Jungfraubahn (1896 bis 1912) verunfallten 30 Menschen, davon viele italienische Bauarbeiter. Heute erinnern Gedenksteine an sie.

walten in Einklang zu bringen. Selbst bei zunehmendem Arbeits- und abfallendem Luftdruck be-hält Wyss einen klaren Kopf. Weh tue es nur, wenn der Kopf ver-pfnüselt oder er sonst wie nicht zwäg sei: «Leichtes Unwohlsein im Tal fühlt sich auf 3500 Metern richtig krank an.»

Nach 28 Jahren auf dem Joch mit Sturmböen bis 285 km/h (Or-kan Wiebke am 27. Februar 1990), gefrorenen Abwasserrohren, nach Luft japsenden Japanern und über- drehten Bollywood-Filmcrews haut Wyss nichts mehr um. Und geht etwas kaputt – Dres regelt die Sache. Auf seiner Visitenkarte steht «Leiter technischer Unter-halt». Wyss ist die gute Seele im ewigen Eis, Alleskönner, Alles-flicker, Alleberuhiger. Er ist der Abwart vom Jungfraujoch.

Dres der Pendler. Vier Stun-den Arbeitsweg, zwei hin, zwei heim nach Meiringen BE. Wer das täglich in Kauf nimmt, muss sei-nen Job mögen. Es ist halb sechs Uhr morgens. Dres am Küchen-tisch löffelt in seiner Kaffeetasse. An der Wand hängt ein Fotoka-lender der Jungfraubahnen, auf dem Buffet liegt eine Jungfrau-joch-Baseballkappe. Über dem Küchentisch mahnt eine ge-schnitzte Holztafel: «Ein liebes Wort am frühen Morgen erfreut das Herz den ganzen Tag.»

«Gämer!», sagt Dres. Mit dem Auto gehts zuerst 40

Minuten bis Grindelwald, dann mit der Wengeneralpbahn auf die Kleine Scheidegg, von dort mit der Jungfraubahn hoch zum Joch. 1987 hat Dres auf dem Berg als Elektriker angefangen. «In 3500 Metern Höhe gehen Apparaturen schneller kaputt.» Computer überhitzen rascher, Kaffeema-schinen reagieren sensibler,

Pistenfahrzeuge zicken eher. Ex-trem sei es bei Glühbirnen: Statt 1000 Stunden wie im Flachland, halten sie auf dem Berg lediglich 100 Stunden.

Im Zug sitzt Jungfraujoch-Personal, 120 Arbeitsplätze bietet die hochalpine Wunderwelt. Dres plaudert mit einer Mitarbeiterin des Lindt-Shops («Swiss Choco-late Heaven»), vis-à-vis döst ein Chinese, den wir später in der Kü-che als Koch wiedersehen werden. Die Zahnradbahn fährt in den Tunnel ein, 7 der 9,3 Streckenki-lometer führen durch Eigerfels. Dann – ist man oben, Station Jungraujoch. Und weils der höchstgelegene Bahnhof Euro-pas ist, tauften ihn die Touristiker auf den marketingmässig nicht zu toppenden Namen «Top of Europe».

Hier hat es einen Bahnhof, Restaurants, Shops, Museen, Lifte, Terrassen, die Forschungsanlage Sphinx, ein Panoramakino, den Eispalast und Aussenanlagen. Und alles in lebensfeindlicher Umgebung: wenig Sauerstoff, zwölfmal höhere Strahlung und Temperaturen bis minus 37 Grad. Es ist, als sorge Dres für ein be-manntes Raumschiff.

Als Erstes checkt der Chef-techniker die Umgebung, schaut durch die riesigen Fenster der Eingangshalle, hinaus in Rich-tung Aletschgletscher. Wurden über Nacht Stolleneingänge zuge-schneit, Absperrungen zerstört, hat der Blitz irgendwo einge-schlagen, oder ist gar ein Hang lawinengefährdet und muss da-rum gesprengt werden?

Einsatz Dres! Er wird in die Küche gerufen. Ein Dampfgarer spinnt. In dieser Höhe siedet Wasser schon bei 85 Grad. Macht das Kochen nicht einfacher.

Raupenkraft Wyss, unterwegs mit dem Pistenbully auf dem Jung-fraufirn. Hinten links erkennt man die Forschungsstation Sphinx.

«Direktion» ... steht an der Büro-tür. Wyss’ Arbeitsraum ist ziemlich klein. Per Computer hat er Zugriff auf 5500 Sensoren im Gebäude.

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Durch verschlungene Gänge gehts in Dres’ Einsatzzentrale, «Direktion» steht an der Tür, da-hinter – ein Kämmerlein. Klein alles, sehr eng, vollgepufft mit Ordnern, Dienstplänen, Funkge-räten und Mammut-Jacken. «Klar hats wenig Platz», sagt Wyss, «aber wir haben hier auch Bau-kosten pro Quadratmeter wie an der Zürcher Bahnhofstrasse, da muss man zusammenrücken.»

Per Computer überwacht Dres die Jungfrau-Station. 5500 Senso-ren übermitteln ihm jede Unre-gelmässigkeit. Klemmt eine Lift-tür, flackert die Beleuchtung, spukt die Belüftung, Anomalie bei der Dachrinnenheizung, dem Blitzschutznetz, in den Toiletten, Küchen, Läden – Wyss klickt den Problemsektor an, zoomt hinein, noch näher, bis er quasi das feh-lerhafte Lämpchen eruiert hat. Apropos: Vor der «Direktion» ste-hen Schränke voller Glühbirnen. Alle Arten und Abarten. Abertau-sende. Sparlampe E27, FL-Röhren 25 W, Kopfspiegellampe 75 W, Scheinwerfer Sphinx.

In Wyss’ Team sind acht Mit-arbeiter, die sich um die Technik kümmern. Die meisten haben ihr Fachgebiet, sind Elektriker, Hei-zungsmonteur, Schlosser, Sani-tärinstallateur, aber alle sind All-rounder. Das grösste Problem hier oben ist nämlich die Abgeschie-denheit. Bis ein Servicetechniker auf dem Jungfraujoch ist, kann es Stunden dauern. Also muss Team Wyss selber ran. Muss alles fli-cken, egal ob Kaffeemaschine, Multimedia-Projektor, WC-Spülung oder Rolltreppe.

Einsatz Dres! Er wird in die Toiletten gerufen. Ein Plattenleger ist da, einige der Plättli müssen ausge-wechselt werden.

Die ersten Touristen treffen um 8.52 Uhr auf dem Joch ein. 2015 zählte man erstmals eine Million Gäste, bis zu 5000 am Tag, viele aus Asien. Die atemberau-bende Bergwelt packt jeden – so oder so: Wer an Atemnot leidet, kauft am Kiosk eine Dose «Medi-zinischen Sauerstoff 99,5 %», 5 Li-ter für 15 Franken. Die Touristen sind begeistert vom Panorama (nur ein Asiat jammert, er hat sei-ne Selfie-Stange verloren) und trippeln von der Halle hinaus in die Eiswelt. Obwohl ihr Schuh-werk nicht immer gletschertaug-lich ist. Manche tragen Stoffturn-schuhe oder Ballerinas, «im Som-mer oft sogar Flipflops» weiss Wyss. Da hat sich eine der Asiatin-nen heute besser vorbereitet. In Erwartung von Eis und Kälte hat sie klugerweise an wärmendes Fell gedacht. Und steht nun da – in ihren fellgefütterten Schlaf-zimmer-Pantoffeln.

Einsatz Dres! Der Eispalast ruft. Die ins Gletschereis gehak-ten Höhlen und Gänge werden täglich mit dem Pickel nachge-bessert. Kleiner Trick: Eisblöcke «klebt» man mithilfe eines Bügel-

eisens zusammen. Dabei gabs vorhin einen Kurzschluss. Dres

flickt auch das.Eine Million Gäste im Jahr,

da erlebt Wyss so manche spezielle Situation. Er er-zählt, wie er einmal …Einsatz Dres! Das Gaspedal

des Pistenbullys klemmt. Auch das erledigt er im Nu, kurvt mit

dem Raupenfahrzeug virtuos auf dem Gletscher herum. Seit 25 Jah-ren lenkt er solche Dinger. Neu-erdings, so will es die Behörde, brauchts dafür eine Prüfung. Dres hat deswegen letztes Jahr extra ei-nen Kurs absolvieren müssen. So wie er jetzt guckt, traut man sich nicht, nach Details zu fragen.

Wieder zurück, berichtet er von allerlei Notfällen. Etwa als der Hochleistungslift stecken blieb, ein Sturm die Fahrleitung der Bahn herunterriss, Bergsteiger am nahen Mönch gerettet werden mussten oder medizinische Not-fälle auftraten. Manchmal muss Dres gar Polizist spielen. Für Ord-nung sorgen. Wie damals, als ein Gast ausrastete und andere ge-fährdete. Dres stellte ihn ruhig. Mit Gutzureden? Sauerstoff ? «Kabelbinder», sagt Dres. Die De-stination Jungfraujoch hat noch jeden zu fesseln vermocht.

Es wird Abend. Mit der Bahn wieder runter, zwei Stunden, zu-rück nach Meiringen. Und ein letztes Mal heisst es:

Einsatz Dres! Den ganzen Tag war er im Getümmel, umgeben von Mitarbeitern, umschwärmt von Touristen. Und ausgerechnet jetzt, in seiner Freizeit, lässt er sich wieder bedrängen. Da steht er, daheim im Stall, umringt von seinen 44 Lieblingen. Dres Wyss, Elektriker, Schlosser, Sanitär-installateur, Polizist und Abwart vom Jungfraujoch – ist immer nach Feierabend auch noch ein wenig Schafzüchter.

Dureschnuufe Wer in der Jungfraujoch-Höhe an Atem-not leidet, kauft am Kiosk bei Monika Cald-well eine Dose Sauerstoff. 5 Li-ter für 15 Fran-ken.

Sein Alltag Zunehmender Arbeits-

und abfallender Luftdruck

40 Tonnen Poulet im Jahr Wyss mit Chefkoch Fritz Jost (r.). Tägliche Menüs: 3000. Hier arbeiten auch indische und chinesische Köche.

Hobbybauer 18.30 Uhr. Feierabend. Ein langer Tag geht zu Ende. Daheim im Stall kümmert sich Wyss um seine 44 Schafe.

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