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Hans J. Alpers / Ronald M. Hahn
Planet der
Raufbolde
Band 2
aus der Reihe„Raumschiff der Kinder“
ungekürzte Originaleditionder nicht mehr aufgelegten
Einzelausgabe von 1977
© Ensslin & Laiblin Verlag GmbH & Co. KG Reutlingen 1977. SämtlicheRechte, auch die der Verfilmung, des Vortrags, der Rundfunk undFernsehübertragung, der Verbreitung durch Kassetten und Schallplattensowie der fotomechanischen Wiedergabe, vorbehalten. Printed in Germany.
ISBN 3770903889
„Land“ in Sicht!
Harpo Trumpff tauchte auf. Prustend wie ein Walroß durchbrach er denWasserspiegel des künstlich angelegten Sees und warf mit einer raschen Drehung das klatschnasse Haar aus der Stirn. Dabei entdeckte er eine Bewegungam Rande des Sees. Er sah gerade noch, wie die Gestalt eines Mädchens imfarbigen Gewirr des Plastikdschungels verschwand.
„He, Babs, warte!“ rief er und watete tropfend ans Ufer. „Warum läufst dudenn weg? Komm lieber ins Wasser!“
Doch das achtzehnjährige Mädchen im roten Jeansanzug schien ihn garnicht wahrzunehmen. Sie glitt geschickt und lautlos wie ein Indianer zwischen den synthetischen Sträuchern und Büschen dahin. Und dabei sozielbewußt wie auf der Pirsch nach einem Geheimnis.
Hatte sie vielleicht etwas gehört, etwas entdeckt, das neu und ungewöhnlich war? Aber nein, dachte Harpo, der ein paar Momente lang bei diesem Gedanken eine Gänsehaut bekommen hatte. Doch nicht auf der EUKALYPTUS.Schließlich lebten sie in einem Raumschiff und nicht in einem der wenigenUrwälder, die es angeblich noch in irgendwelchen fernen Ecken der Erde gab.
Das Raumschiff EUKALYPTUS war von den Besatzungsmitgliedernverlassen worden, nachdem es durch eine rätselhafte Katastrophe zunächstaus dem ErdOrbit ausgebrochen war und dann in die Tiefen der Galaxis geschleudert wurde. Nach einigen bangen Tagen der Ungewißheit befand essich inzwischen völlig unter der Kontrolle der Kinder, die eigentlich nur zurErholung an Bord waren. Unterstützt wurden sie bei den schwierigen Aufgaben durch die Grünen – wie sie die grünbepeltzen Roboter nannten – unddas Große Gehirn, einen riesigen Computer, der alle Funktionen des Schiffeskoordinierte. Und da die Erwachsenen das Schiff fluchtartig aufgegebenhatten, konnte es niemanden mehr an Bord geben, den die Kinder nichtkannten.
Babs war immer etwas schwierig, aber sie floh längst nicht mehr, wenn sichKinder näherten. Was mochte sie wohl veranlaßt haben, bei seinem Auftauchen das Weite zu suchen? Ohne sich abzutrocknen glitt Harpo in seinebereitliegenden Kleider. Er war jetzt bald sechzehn Jahre alt, und beim Anziehen stellte er fest, daß die Hosen wirklich immer enger und kürzer für ihnwurden. Er mußte langsam zu wachsen aufhören, wenn er nicht so groß wiesein Freund Karlie Müllerchen werden wollte, der mit seinen fünfzehn Jahren schon weit über zwei Meter maß. Auch die Haare trocknete er nicht erstab, sondern rannte gleich los. Noch konnte er an den sich bewegenden Blättern erkennen, welchen Weg Babs nahm. Sie gab keinen Laut von sich. Siesprach sowieso selten, und wenn doch einmal, dann nur wenige Wörter. Abersie verstand sehr gut, wenn man sie etwas fragte.
Nach Luft schnappend eilte Harpo dem Mädchen durch das Dickicht vonDeck 41 hinterher. Hierher kamen nur die ganz begeisterten Schwimmer,
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seitdem die ehemaligen Bewohner des Decks in die Zone null umgezogenwaren.
„Was ist denn los, Babs?“ fragte Harpo, als er sie eingeholt hatte. Unwillkürlich sprach er ganz leise, als er den bewußt geheimnisvollen Blick des Mädchens auffing. Babs war stehengeblieben und legte lauschend den Kopfschief, so daß ihr linkes Ohr fast die Schultern berührte.
Jetzt legte sie den Zeigefinger an die Lippen und sah Harpo in die Augen.Sie hatte schöne Augen mit eisblauer Iris, aber irgendwie wirkte ihr Blick geistesabwesend. Harpo hatte noch immer nicht herausgefunden, wie Babs anBord des Schiffes gelangt war. Ihr Name stand weder auf der Liste der Patienten noch der des medizinischpädagogischen Personals oder der Astrogatoren und Techniker.
„Dort!“ sagte sie plötzlich und zeigte auf die grüngestrichene Deckwand,die vor ihnen aufragte.
Harpo starrte die Wand an. An verschiedenen Stellen war der Anstrich bereits fleckig geworden. Er verstand nicht, was Babs meinte. Wieder tastetenseine Blicke nach der Wand, aber dann streiften sie das Stück Boden davor.
Die künstlich aufgeschichtete Erde unmittelbar zu ihren Füßen war eingestürzt. Wie es oft im Leben vorkommt, hatte Harpo das Wichtigste, unmittelbar vor seiner Nase nicht bemerkt: Der Erdboden vertiefte sich zueinem etwa zwei Meter abfallenden Hohlweg, der genau auf die Schiffswandzuführte. Offenbar hatte es hier einen das ganze Deck durchziehenden unterirdischen Gang gegeben. Er mußte durch die Erschütterungen beimVerlassen des ErdOrbits eingestürzt sein und gab nun eine runde Schleusentür frei. Sie war leicht geöffnet und bewegte sich zaghaft in den Angeln, weilder Luftzug der kräftigen Deckventilatoren dagegenhielt.
Klick, ging es. Klick, klick, klick.Erschreckt machte Harpo einen Schritt rückwärts. Das war ja beinahe so
unheimlich wie in alten Schlössern, in denen Geister spukten. Hatte Babsdieses Klicken knapp an der Hörgrenze des menschlichen Ohres über dieweite Entfernung gehört? Dann mußte sie wirklich über ein phänomenal gutfunktionierendes Gehör verfügen.
„Was ist das?“ fragte er. Zögernd ging er näher, als er keine Antwort erhielt,und spürte instinktiv, daß Babs folgte. Zum ersten Mal sah er mit eigenenAugen, daß es noch andere Ausgänge als die Schächte des Antigravliftes aufden Decks gab. Aber dann fiel ihm die allererste Begegnung mit Babs ein.Auch damals war sie vielleicht durch einen ähnlichen Gang gekommen, als ermit Anca gerade die geheimnisvollen Räume jenseits der Deckwand durchsuchte.
Eine Weile ertrug es ein Junge wie Harpo ganz gut, von Dingen umgeben zusein, die er nicht immer auf Anhieb verstand. Aber wenn das Kopfzerbrechenallzu große Ausmaße annahm, begann er zu handeln. Aus einem plötzlichenEntschluß heraus sprang er in den Hohlweg hinab und näherte sich vorsichtig, aber nicht ängstlich jener Schleusentür. Sie war gerade groß genug,
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einen Menschen hindurchzulassen. Ein vor der Tür angebrachtes Metallschild zog seine Aufmerksamkeit auf sich:
14CNUR FÜR TECHNISCHES PERSONAL
NOTEINSTIEGBEACHTEN SIE DIE SICHERHEITS
VORKEHRUNGEN!
Babs sagte: „Wohin, Harpo?“ Ihre Stimme klang wie die eines Mädchensvon höchstens elf Jahren. Und doch schien sie nicht ängstlicher zu sein alsbei ganz harmlosen Gelegenheiten, wenn sie leicht zusammenzuckte, weilsich jemand schnell bewegte oder laut redete.
„Bloß mal nachsehen“, gab Harpo über die Schulter zurück. Er wußte zwarnicht, welche „Sicherheitsvorkehrungen“ zu beachten waren, aber er hattenicht die Absicht, wieder hinaufzuklettern, ohne zuvor einen Blick hinter dieTür geworfen zu haben.
Er schnalzte anerkennend mit der Zunge. „Da hast du vielleicht eine ganztolle Entdeckung gemacht, Babsie. Komm doch, dann schauen wir gemeinsam nach, was hinter der Tür steckt.“
Babs schüttelte den Kopf. Lieber nicht, hieß das. Offenbar hatte sie keineLust, sich auf ungewisse Abenteuer einzulassen.
Harpo zuckte mit den Schultern und tastete sich vorwärts. Dann glitt erdurch die Schleusentür, die sich spielend mit einem Finger öffnen ließ. Dahinter lag ein winziger Raum. Harpo entdeckte sofort eine weitere Tür auf dergegenüberliegenden Wand. So ähnlich sah auch die Luftschleuse vor derZentrale aus.
Es gab unbekannte und verwirrende Knöpfe, mit deren Hilfe die Türelektronisch zu öffnen war, aber Harpo versuchte es ganz einfach an demHandrad, das wohl für Notfälle vorgesehen war. Zuvor hatte er sich davonüberzeugt, daß die beiden Zeiger der Luftdruckmesser deckungsgleich waren.Er mußte also keine Angst haben, daß sich auf der anderen Seite das lebensfeindliche Vakuum des Weltalls befand.
Einen Moment lang rieselte ihm trotzdem ein kalter Schauer über denRücken. Es könnte ja sein, daß die Instrumente nicht mehr korrekt anzeigten,oder daß ... Entschlossen drehte er weiter, bis sich die Metalltür knarrend aufsperren ließ.
Licht flackerte im gleichen Moment auf und übergoß ihn so unerwartet,daß er die Augen mit den Händen bedecken mußte, und mühsam zwischenden Fingern hervorlugte. Er atmete schwer, sein Brustkasten hob sich wienach einem anstrengenden Hundertmeterlauf.
Schließlich hatten sich seine Augen auf das Licht eingestellt und meldetenihm die ersten Bilder. Er befand sich in einem so großen Saal, wie er ihn niemals zwischen den Decks und der Schiffsaußenhaut vermutet hätte. Spätererfuhr er, daß der Raum 140 Quadratmeter umfaßte und „Hangar“ genannt
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wurde. Seine Metallwände wirkten kalt und steril, weil es niemand für nötiggehalten hatte, ein paar Farbtupfer zu verschwenden.
„Hangar“ war ein Wort, das er in diesem Moment noch nicht kannte, aberals er die drei Objekte vor sich in den hydraulischen Docks liegen sah, begriffer sofort, daß dies so etwas wie eine Garage für kleine Raumfahrzeuge war.Unwillkürlich stieß er einen spitzen Jubelschrei aus.
Kein Zweifel! Das waren Gleitboote, die langgezogenen, schnittigen Automobilen glichen, aber eine Kuppel aus durchsichtigem Glas oder Kunststoffals Fahrerkabinen hatten. Kurze Stummelflügel zeigten, daß sie für Flüge innerhalb der Atmosphäre geeignet waren. Harpo selbst hatte solche Booteschon im Fernsehen bewundert. Von Thunderclap Genius wußte eraußerdem, daß diese MiniaturRaumschiffe beinahe narrensicher bedientwerden konnten, da sie mit dem Steuersystem des Großen Gehirns verbunden waren und kein geschultes Bedienungspersonal erforderten. Nur fürden Fall, daß auch der Zentralcomputer des Raumschiffes ausfiel, war eineHandsteuerung vorgesehen. Diese Probleme hatten sie nicht. WennThunderclap sich nicht irrte, gab man die gewünschten Befehle einfach überdas Mikrofon an den Computer, der sie in elektrische Impulse umwandelteund daraus einen Leitstrahl modulierte, an dem das Boot sich vorwärtsbewegte. Selbstverständlich geschah das alles ohne einen meßbaren Zeitverlust.
Harpo erinnerte sich, daß Lonzo von solchen Beibooten der EUKALYPTUSerzählt hatte. Die Schwierigkeit war nur, daß man bei Lonzo nie so genauwußte, ob er die Wahrheit sagte oder sich eine kleine Lügengeschichte ausgedacht hatte. Aber mit Sicherheit besaß er keine Informationen über denStandort der Boote.
Nun, die hatte jetzt Harpo. Am liebsten hätte er sich ja gleich in eines derBoote gesetzt. Und warum eigentlich nicht? Von Entdeckerdrang beseelt, umkreiste er die schnittigen Flitzer. Durch eine geöffnete Luke enterte er nachkurzem Zaudern schließlich eines der Gleitboote und tauchte unter der Glaskuppel wieder auf. Fasziniert ließ er seinen Blick über die bequeme Inneneinrichtung schweifen. In den Polstern hatten sicherlich vier oder fünf LeutePlatz, ohne daß sie sich mit den Ellbogen allzusehr ihren Platz erkämpfenmußten.
In seinen Fingern kribbelte es vor Aufregung. Er hatte Lust, diese wunderbaren Dinge zu berühren, war aber intelligent genug, dies zu unterlassen, solange er nicht wußte, welchen Schaden er damit anrichten konnte.
Die gepolsterte Sitzbank, kreisrund und direkt an den Wänden desFahrgastraums befestigt, beherrschte das Bild. In der Mitte erhob sich einkunststoffverkleideter, meterhoher Monolith, in dessen Oberfläche eine Tastatur mit verschiedenfarbigen Schaltern eingelassen war. Dann entdeckteHarpo die Bedienungsanleitung der Schaltung. Sie lag unübersehbar aufeinem der Polster. In mehreren Sprachen wurde erklärt, welche Funktionendie einzelnen Schalter hatten. Vorsichtig probierte er sie aus.
Zuerst verdunkelte sich die Glaskuppel zu einem undurchdringlichenSchwarz, dann flammte die Bordbeleuchtung in einem beruhigenden Rot
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auf. Harpo testete Heizung und Klimaanlage und stellte fest, daß alles einwandfrei funktionierte. Schließlich erwischte er den Knopf, der die Verbindung mit der Hauptzentrale der EUKALYPTUS herstellte.
„He!“ hörte er Karlie Müllerchen überrascht ausrufen. „Beim feurigenKometenschweif! Was ist das für ein Leuchtzeichen?“
Karlie hielt im Moment die Funkleitstelle auf Deck null besetzt und sorgtedafür, daß alle Abteilungen zu jeder Zeit miteinander sprechen und Informationen austauschen konnten.
„Na, rat doch mal“, forderte Harpo ihn auf und hatte Mühe, ein helles Lachen zu unterdrücken.
Karlie erkannte seine Stimme sofort. „Harpo? Wo steckst du denn? Ich habedich auf einem Funkkanal, der bisher völlig tot war!“ Aus seiner Stimme klanggrenzenlose Überraschung heraus.
Thunderclap Genius, der wohl auch gerade in der Zentrale hockte, schaltete sich in das Gespräch ein: „Harpo, wir haben eine ungeheure, gewaltige,sensationelle, noch nie dagewesene, superdupertiptoppe Entdeckung gemacht! Wir sind nämlich auf dem allerbesten Wege, in wenigen Wochen ...“
„Moment, Moment“, unterbrach Harpo, der sich so schnell die Fäden nichtaus der Hand nehmen lassen wollte. „Was immer ihr an guten Nachrichtenhabt – ich habe bestimmt noch bessere.“ Und jetzt spuckte er es aus. „Wißtihr, was ich ... oder besser, was Babsie ... oder vielmehr, was wir zusammen ...Also, hört ihr überhaupt zu, ganz genau zu? Setzt euch alle hin, obwohl esnicht viel helfen wird, denn das haut euch gewiß vom Hocker. Wir – haben –die – Gleitboote!“
„Waaaaaas?“ kam ein vielstimmiges Echo, an dem außer Thunderclap undKarlie wohl auch noch andere beteiligt waren.
„Na hör mal“, schimpfte Karlie, „warum sagst du uns das eigentlich erstjetzt?“
Wie ein Sturzbach ergoß sich Harpos Bericht über die Lautsprechersystemein die Hauptzentrale und ging von dort aus rasend schnell von Mund zuMund. Er nahm sich natürlich Zeit mit seiner Erzählung und schmückte dieForschungsreportage mit allerlei schaurigen Details aus, die den Zuhörernbuchstäblich die Haare zu Berge stehen ließen.
„... und als ich die grauslich quietschende Tür am Ende des modrig riechenden Gangs aufstieß und der unheimlich finstere Raum vor mir lag, hämmerte mein Herz bis zum Halse hinauf, und meine Knie zitterten, und dannsah ich sie vor mir, drei Stück und bestens in Schuß ...“
Ein Seufzer der Erleichterung ging durch die Reihen der Zuhörer. Harposchwieg, erschöpft von der langen Rede und den vielen Flunkereien. Glücklich schwelgte er bereits im voraus in den kommenden Ehrungen, die ihm sicherlich zuteil wurden.
Aber er wartete vergebens auf Lobeshymnen. Vielmehr drang ein verhaltenes Kichern an seine Ohren. Thunderclap knurrte daraufhin jemanden anund sagte rasch: „Im Glanz deiner Entdeckung verblaßt unsere Beobachtung
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natürlich, Harpolein. Aber du solltest trotzdem eiligst mit Babs hinaufkommen und sie dir ansehen!“
Wenn Thunderclap derart untertrieb, dann mußte etwas Besonderes geschehen sein. Harpo stieg flink aus dem Boot, eilte den Weg zurück und ließsich von Babs aus der Grube ziehen. Er streichelte ihr dankbar die Wange,nahm sie bei der Hand und eilte mit ihr zum Antigravlift. Mit gemischten Gefühlen stellte er fest, daß sein Vollbad umsonst gewesen war, denn erschwitzte wie ein Braten auf dem Grill.
In der Zentrale wurden sie von der gesamten Besatzung der EUKALYPTUSerwartet, darunter Lonzo, der Roboter, Thunderclap mit einem erwartungsvollen Lächeln und blitzenden Augen, Brim Boriam, der „Arztlehrling“ undLucky Cicero, der mongoloide Junge mit der Fähigkeit zur Teleportation.
„Siehst du den Stern dort hinten?“ fragte Thunderclap pfiffig. Er strecktedie Rechte aus und deutete auf einen blaugrünen Punkt, der sich deutlich imLicht der zahllosen Sonnen hinter der Sternenkuppel abzeichnete.
Harpo nickte. Was der bloß wollte? „Klar, aber ...“ Die kleine Lori Powitz kicherte. Jetzt wußte Harpo auch, wer das vorhin gewesen war. „Sieh ihn dir genau an, Harpolein“, platzte sie dazwischen. „Fällt dir nichts auf?“
Fiel ihm etwas auf? Eigentlich nicht. Oder war der Stern vielleicht etwasheller und auffälliger geworden? Schwer zu sagen, fand Harpo. Unsicherkratzte er sich am Kinn und verzog abschätzend das Gesicht. DanielDüsentrieb würde jetzt sicher eine TausendWattBirne aufgehen, aber ihmleuchtete nicht einmal eine Kerze.
„Mit bloßem Auge“, unterbrach Thunderclap das Schweigen mit gnädigemTonfall, „kann man es auch gar nicht erkennen, hi, hi!“
Karlie Müllerchen baute seine Riesengestalt vor Harpo auf. Er hatte wiekein Zweiter Wissen über Astronavigation in sich hineingefressen und warschon wie ein Alter Hase in der Lage, Positionsbestimmungen vorzunehmen.Sein Kinn zuckte vor Erregung, und die dünnen Haare seines spärlichenBartes, der ihm trotz seiner Jugend bereits wuchs, wippten hin und her.
„Diese blaugrüne Sonne“, meinte er mit seiner kieksenden Stimme, „derwir den Namen Archimedes gegeben haben, kommt näher. Besser gesagt: Wirnähern uns ihr, jeden Tag, jede Stunde. Und in vier Wochen werden wir sieerreicht haben!“
Peng! Harpos Kinnlade klappte nach unten. Im gleichen Moment setzte einJubel ein, der die Hauptzentrale vibrieren ließ. Die anderen kannten die Neuigkeit ja längst und hatten sich nur verabredet, nichts zu verraten, um HarposVerblüffung voll auszukosten. Aber sie hörten die gute Nachricht natürlichgern ein zweites Mal und führten wahre Freudentänze auf.
„Big“ Tom kletterte auf Fidels Schultern und tätschelte dem Riesen Karlieden Hinterkopf, während Lonzo an der Spitze einer Gruppe von besondersÜbermütigen demonstrierte, wie die legendären australischen Känguruhsfrüher durch die Lande gehüpft waren.
All die Sterne am Himmel waren Sonnen, nur leider unerreichbar fern.Wenn sie sich nun einem dieser Sterne näherten, dann hieß das nichts
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anderes, als daß wahrscheinlich auch Planeten, die diese Sonne umkreisten,in ihre Reichweite kamen. Und das bedeutete ...
„Wir können uns in richtigem Gras wälzen“, krähte der kleine Ollie.„Und frische Luft atmen!“ fügte Micel hinzu.„Und Wasser aus einem Bach schlürfen!“„Und Regenwürmer baden!“„Und Berge besteigen!“„Und in einem Meer baden!“„Und ... und ... und ...“Thunderclap Genius wandte sein Gesicht langsam wieder der gläsernen
Kuppel zu, die sich über der Hauptzentrale spannte. Harpo sah, wie sich dieLippen des Freundes lautlos bewegten. Er konnte zwar nicht hören, was er indiesem Moment sagte, aber er konnte es sich denken.
Wir kommen! Wir kommen! Wir kommen!
Planet Nordpol, bitte melden!
Die nächsten drei Wochen, in denen die Mannschaft mit ungewohnter Emsigkeit Zukunftspläne schmiedete, vergingen wie im Flug. Kein Tag verstrich,ohne daß sich nicht Gruppen zusammenfanden, die sich stundenlang überalle nur denkbaren Einzelheiten einer möglichen Landung die Köpfe heißund die Stimmbänder lahm redeten. Einige besonders verwegene Besatzungsmitglieder der EUKALYPTUS gingen noch weiter, etwa der kleineOllie. Dessen stille Liebe war es, Listen anzulegen, seitdem er einmal einenStapel alter Formulare in den Verpflegungskammern gefunden hatte. Und sobegann er damit, eingehende Organisationspläne aufzustellen, die im Endeffekt darauf hinausliefen, daß er auflistete, was er alles auf den Planeten mitzunehmen gedachte. Seine allererste Liste sah so aus:
1 Lederhose (Eigentum), gut erhalten 2 Bälle (von Lori ausleihen), möglichst bunte 1 Dingsbums zum Spielen (Trompo), sehr lieb 1 Dackel (Moritz), auch sehr liebNatürlich verwarf er seine Liste jeden Tag aufs neue, um sie dann wenig
später in abgewandelter Form erneut zu Papier zu bringen. Für seine Arzneien legte er sich weitere Speziallisten an, die laufend ergänzt wurden, weil ihmimmer neue Übel einfielen, gegen die man sich wappnen mußte.
Fantasia Einstein, ein sensibles, rothaariges und immer nervöses Mädchenvon fünfzehn Jahren, das starke Fähigkeiten im technischen Bereich zuentwickeln begann, programmierte das Große Gehirn, jenen Computer, derdie EUKALYPTUS steuerte und auch sonst alle Anlagen fehlerlos bediente.Seit dem Eingriff der Weltraumärzte arbeitete es zu 98 Prozent wieder, undmehr konnte im Moment niemand verlangen.
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Wie es sich herausgestellt hatte, war die Denkmaschine wie die Roboter fähig, mit einer dem Klang des menschlichen Organs täuschend nachgemachten Stimme zu sprechen. Und so kam es, daß die Kinder, wenn sie denErklärungen lauschten, manchmal meinten, es mit einem unsichtbaren Menschen zu tun zu haben. Manche meinten ernsthaft, daß im Innern derriesigen Apparatur ein echter Mensch lebte, der sich hinter den Stahlwändenverbarg.
Schuld an solchen Vermutungen trug die Tatsache, daß das Gehirn sich inmancher Beziehung für eine Maschine seltsam menschlich benahm, was vorallen Dingen diejenigen überraschte, die den Roboter Lonzo – der ja aucheine Maschine und kein Mensch war – nicht so gut kennengelernt hatten wieHarpo und seine Freunde. Denn Lonzo handelte auch nicht gerade mit derkühlen Sachlichkeit einer mechanischelektronischen Ansammlung vonallerlei Drähten, Wicklungen, Transistoren und Blech.
Das Große Gehirn hatte die Angewohnheit, den Zuhörern allerlei Informationen aufzudrängen, die gar nicht gefragt worden waren. Vielleicht fühlte essich einsam mit seinem umfassenden Wissen und wollte andere daran teilhaben lassen. Aber es entschuldigte sich immer sehr artig, wenn man den Redefluß abbrach.
Allmählich hatten sich die EUKALYPTUSKinder an das ungewöhnlicheComputerwesen gewöhnt und machten sich auf ihre Art lustig darüber.
„Wie groß ist unsere derzeitige Entfernung zum System Archimedes,Großes Gehirn?“ fragte Karlie. Erwartungsvoll lauschte die Versammlung.Man hatte es sich auf dem Boden der Zentrale bequem gemacht, weil es nurzwölf Sitzplätze gab.
„Die Entfernung zur Umlaufbahn des äußersten Planeten beträgt amkürzesten Punkt absolut exakt 3.222.772,1675423 Kilometer, wobei ich mirerlaubt habe, die letzte Kommastelle aufzurunden“, erwiderte der Computermit tiefer Stimme. „Wenn man allerdings berücksichtigt, daß dieser Planetalle vierzehn Jahre, drei Monate, zwei Wochen, fünf Tage und ... ahem, ichmöchte auch hier aufrunden ... eine Bahnabweichung aufweist, müßte manden vorgenannten Wert um 0,00017 Prozent revidieren, sofern man die Entfernung auf einen Punkt in der Zukunft bezieht, der zwei Jahre und ...“
„So genau wollen wir es gar nicht wissen“, stöhnte Karlie.„Karlie?“ fragte das Gehirn vertraulich.„Ja?“„Darf ich mir eine Zusatzbemerkung erlauben?“„Du darfst.“„Das Schiff wird die erwähnte Kurve in genau sieben Tagen, vier Stunden
und 36 Minuten schneiden, falls die Geschwindigkeit nicht geändert wird.“„Das hat zwar keiner gefragt“, meinte Karlie grinsend, „aber mit dieser In
formation kann man wenigstens etwas anfangen.“Das Große Gehirn sagte mit einem wohlgefälligen Unterton: „Ich dachte
schon, daß es euch interessieren würde. Darf ich euch noch auf ein Phä
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nomen bei der Umlaufbahn des dritten Monds des zweiten Planeten desSterns Taurus hinweisen, wo –“
„Interessiert uns überhaupt nicht“, entgegnete Karlie trocken.„Nicht?“ fragte das Gehirn. „Ich bin untröstlich, daß ich es wagte, eure Oh
ren mit meiner rostigen Stimme über Gebühr zu beleidigen. Aber vielleichtmöchtet ihr etwas anderes wissen. Zum Beispiel gibt es ein wahnsinnigkomisches Zahlenspiel der Prrrzturwqzt auf dem Planeten –“
Harpo unterbrach lachend. „Besser wäre es, wenn du uns Einzelheitenüber die Sonne Archimedes verraten könntest. Sie besitzt also Planeten? Undda von einem äußeren Planeten die Rede war, auf jeden Fall mehr als einen.“
„Eine logische Folgerung“, lobte der Computer. „Archimedes besitzt tatsächlich mehrere Planeten. Ähnlich wie unser heimatliches Sonnensystem,das bekanntlich neun Planeten hat: Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun, Pluto. Dazu kommen die Marsmonde Phobos undDeimos, die Jupitermonde –“
Anca zog eine Schnute und warf ein: „Ich verstehe das alles nicht. Wohersoll unser Computer wissen, wie viele Planeten Archimedes hat? Kann manvon hier aus doch noch gar nicht erkennen!“ Sie legte nach Indianerart wieein Späher die Flache Hand gegen die Stirn und tat so, als würde sie den Sternenhimmel absuchen.
Bevor das Große Gehirn die Gelegenheit wahrnahm, erklärte Karlie bereits,daß die EUKALYPTUS ein vollautomatisches Observatorium besaß, das ander Außenhaut des Raumschiffs angebracht war. Die Daten wurden sogleichan den Computer weitergegeben. Und nicht nur, daß die Fernrohre Dinge registrierten, die das menschliche Auge nicht mehr erkennen konnte: Mit Hilfeder Spektralanalyse des Sternenlichts konnte auch manches über die chemische Beschaffenheit der Körper festgestellt werden. Das Große Gehirnnahm den Faden wieder auf und begann damit, die Namen der Jupitermondeherunterzurattern, bis Karlie in einem Anfall komischer Verzweiflung erneutunterbrach. Er bat den Computer, doch endlich zur Sache zu kommen.
„Untertänigster Diener“, meinte das Gehirn und tat zerknirscht. „Archimedes besitzt fünf Planeten. Einer davon – es handelt sich um den vierten –bietet Lebensbedingungen, unter denen Menschen existieren können. ImMoment ist es dort allerdings etwas zugig, wenn ich mal so sagen darf.“
„Du darfst!“ rief Thunderclap und prustete dabei vor Lachen. Kopfschüttelnd kniff er ein Auge zusammen und flüsterte Harpo zu: „Da habenwir uns aber ein Schwatzmaul eingefangen.“
Da zufällig alle still waren, hatten einige das Flüstern verstanden undriefen: „Schwatzmaul! Schwatzmaul!“ Damit hatte die Denkmaschine endgültig ihren Namen weg. Unter großem Beifall wurde beschlossen, daß derSchiffscomputer der EUKALYPTUS fortan den Namen Schwatzmaul tragensollte. Harpo schrieb es ins Logbuch ein, und Schwatzmaul bedankte sichartig für die Aufmerksamkeit.
„Gehen wir der Reihenfolge nach“, begann er seine Antwort auf eine FrageFantasias. „Archimedes am nächsten ist logischerweise der erste Planet, eine
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Steinkugel ohne Wasser, Atmosphäre und Vegetation, mit einem Durchmesser von viertausenddreihundertsiebenundzwanzigkommadreisechs“
„Kannst du nicht ein bißchen schneller machen, Schwatzmaul?“ fragteBrim Boriam in das Murren der anderen hinein. „Sag uns lieber, wie derPlanet heißt.“
„Döskopp!“ antwortete Karlie. „Der ist doch noch gar nicht getauftworden!“
„Dann geben wir ihm halt einen Name“, schlug Anca vor. Im Namenerfinden war sie groß; allerdings fielen ihr nur selten Planetennamen ein. Dafürnervte sie ihre Mitspieler beim Scrabble mit ungeheuren Phantasienamenund mußte meistens disqualifiziert werden.
„Prima! Aber dieses Mal wird keine Flasche daran zerschlagen.“„Wer weiß einen guten Namen für einen Steinhaufen?“„Vielleicht Rolling Stone?“„Oder Wackelstein?“„Nennen wir ihn Primus“, schlug Thunderclap vor. „Das hört sich wissen
schaftlich an. Und heißt außerdem ‚der erste‘.“„Du immer mit deinem Latein“, brummte Fidel Flottbek, meinte es aber
nicht böse.Schließlich einigten sich alle auf Primus.Planet Nummer zwei war ein ziemlich unwirtlicher Patron mit einer Atmo
sphäre aus Chlorgas. Tosende Stürme jagten mit Geschwindigkeiten von über700 Kilometern in der Stunde über seine Oberfläche. Die Zuhörer schütteltensich, als Schwatzmaul ihnen die Zustände dort plastisch vor Augen führte,und sahen ein, daß auf diesem Planeten Leben in der gewohnten Form kaumexistieren konnte.
Bei der Namensgebung schlug Harpo Duftbeutel vor, während andere fürHaderlump oder Fiesling waren, aber am meisten Beifall fand wieder derschlichte Name Secundus, „der zweite“, weil er so schön lateinisch und gelehrt klang. Fantasia hatte den Vorschlag gemacht, um zu beweisen, daß sieebenfalls etwas von Latein verstand.
Bei der dritten Welt, einem heißen, trockenen Himmelskörper, dessenOberfläche eine einzige Wüste war, ging den Lateinern allerdings die Pusteaus. Schamhaft mußten sie zugeben, daß ihnen die lateinische Bezeichnungfür „der dritte“ nicht einfallen wollte. Und ausgerechnet dieses Mal hielt sichder geschwätzige Computer zurück; vielleicht hatte selbst er hier und dortkleine Wissenslücken. Schließlich einigte man sich auf „Nummer drei“, unddas war ja auch kein schlechter Name.
„Wenn uns später jemand danach fragen sollte“, meinte Thunderclap pfiffig, „dann sagen wir einfach, daß nur lateinische Namen einfallslos wären.“Schwatzmaul registrierte die neuen Namen, und Harpo schrieb sie außerdemgewissenhaft in sein Logbuch. Dann lieferte der Computer weitere Informationen: „Der vierte Planet macht gerade eine Winterperiode durch, eine ArtEiszeit. Die Atmosphäre besteht zu 25 Prozent aus Sauerstoff, zu 70 Prozentaus Stickstoff. Der Rest sind Edelgase wie Neon, Xenon, Helium und –“
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„Ist das nicht giftig?“„Nicht der Rede wert“, erwiderte Schwatzmaul eilfertig. „Versuche von
Professor Doktor Reinhard Merker haben ergeben, daß –“„Den kenne ich!“ rief Brim Boriam aufgeregt.„Oh“, antwortete Schwatzmaul verdutzt. „Ich dachte, daß nur ich ... Nun,
wenn es mir gestattet ist, möchte ich gern mein kleines Referat fortsetzen,ahem, aber nur, wenn es wirklich niemanden stört ...“
Aus den Lautsprechern kam so etwas wie ein verlegenes Hüsteln. „Verzeihung“, hieß es dann. „Herr Präsident, Frau Präsidentin, Herr Minister, meineHerren Kanzleiräte. Ich möchte an dieser Stelle nicht versäumen, in allerDeutlichkeit und mit dem gebotenen Ernst dieser Stunde darauf hinzuweisen, daß es mir ein Herzensbedürfnis ist –“
„He, ‘ne andere Platte!“ rief Fidel.„Zur Sache, Schwatzmaul“, kam ihm Thunderclap zu Hilfe, während die
anderen feixten und lachten.„Ich bitte vielmals um Verzeihung“, sagte der Computer höflich. „Das ist
mir so herausgerutscht. Das war ein Ausschnitt aus der Taufrede für diesesRaumschiff.“
„Och“, entfuhr es dem staunenden kleinen Oliver. „Echte Kanzleirätewaren dabei?“
„Ich fahre fort“, meinte Schwatzmaul, ohne den Einwurf zu beachten. „Dervierte Planet ist nahezu erdgroß, und seine Schwerkraft beträgt 0,99 Gravitationseinheiten, was bedeutet, daß man sich auf ihm eine Winzigkeit leichterbewegen kann als auf der Erde. Ein Zentner wiegt dort gewissermaßen nurneunundneunzig Pfund.“
Harpo klatschte vor Begeisterung, und auch die anderen Kinder atmetenauf. Diese Nachricht bedeutete ihnen sehr viel, denn wer wollte schon seinenFuß auf eine Welt setzen, wo er fortwährend darauf achten mußte, daß schonein kleiner Sprung ihn in ungeahnte Höhen trieb. Das konnte nämlich geschehen, wenn die Schwerkraft nur gering war, wie etwa auf dem Mond derErde. Das Gegenteil konnte natürlich noch unangenehmer sein, denn einMensch kann schlecht in einem Gravitationsfeld von vielleicht fünf Gravosleben und arbeiten. Das wäre so, als müßte man dauernd mit riesigen Mühlsteinen am Hals durch die Gegend laufen.
Planet Nummer fünf, der unter großem Gelächter Gustav getauft wurde,weil sein grantiges Äußeres eines der Kinder an das Gesicht seines OnkelsGustav erinnerte, stellte sich ebenfalls als lebensfeindlich heraus. Undaußerdem kreiste er in so großer Entfernung um die Sonne, daß sie geradenoch als pfenniggroße Scheibe zu erkennen war. Entsprechend lausig kaltmußte es dort sein.
Allen war klar, daß allein der vierte Planet das Ziel der EUKALYPTUS seinkonnte. Man würde Eis und Schnee auf ihm finden und nannte ihn deshalb„Nordpol“, aber vielleicht spielte auch die Hoffnung mit, daß er trotz allemein bißchen wie die Erde aussah – jene grüne Erde aus den Geschichtsbüchern.
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Dann mußten die neuentdeckten Gleitboote auf Vordermann gebrachtwerden. Lonzo organisierte ein Kommando von technisch versierten Grünenund ließ sie in den inneren Organen der Maschinen so lange herumkriechen,bis sie melden konnten, daß zwei der Boote einsatzbereit wären. Das dritte –es trug die Bezeichnung A1 auf den Außenwänden und den Stummeltragflächen – hatte einige Schäden davongetragen, die nicht sofort zu reparierenwaren. Es würde einige Wochen dauern, bis dieses Boot wieder eingesetztwerden konnte. Ein bißchen lag das auch wohl daran, daß die Grünen fürWartungsaufgaben programmiert worden waren und mit ungewohnten Reparaturen nicht so gut zurechtkamen. Einige besaßen nur ein Programm fürUnterrichtsfunktionen – schließlich hatten sie in den alten Tagen der EUKALYPTUS die Kinder als Lehrer betreut und wurden von vielen noch immermit gemischten Gefühlen betrachtet. So stellten sie sich an wie Leute mitzwei linken Händen. Weder Lonzo noch Schwatzmaul konnten in dieser Beziehung groß helfen, weil ihnen Informationen über Reparatur und Montageweitgehend fehlten. Und die technisch Begabten unter den Kindern warenebenfalls überfordert.
Der historische Augenblick kam, der Tag, an dem die Gleitboote A7 undA9 an das große Gehirn angeschlossen wurden. Bisher hatte es nur Energiezufuhren gegeben, deren Existenz dem Schiffscomputer zwar bekannt aberso wenig bewußt war wie dem Menschen eine einzelne Ader am großen Zeh.Fast zum gleichen Zeitpunkt, als Schwatzmaul zum ersten Mal die Bootefühlte, kam das Signal, auf das alle gewartet hatten: Die EUKALYPTUS erreichte einen Position, von der aus ein sanftes Einschwenken in eine Kreisbahn um Nordpol möglich wurde.
Ein leichtes Zittern durchlief das Schiff, als die seitlichen Schubdüsen, dieals einzige Antriebselemente funktionierten, den vorausberechneten Stoß inden Orbit ausführten. Die Antischwerkraftfelder der EUKALYPTUSverhinderten, daß sich irgendwelche Gegenstände selbständig machten undSchäden anrichteten. Es gab nur einen ganz kleinen Ruck, dann waren sie aufder Umlaufbahn. Die Eigengeschwindigkeit des Schiffes und die Anziehungskraft des Planeten hielten sich jetzt die Waage. Das Ergebnis war eine gekrümmte Flugkurve, die nur ganz allmählich flacher wurde. DieEUKALYPTUS konnte sich antriebslos einige hundert Jahre hier oben halten,bis eines Tages die Schwerkraft des Planeten siegen würde – wenn das Raumschiff dann noch Nordpol umkreiste. Immerhin bestand die Möglichkeit, daßder Antrieb vielleicht doch noch repariert werden konnte. Dann boten sichnatürlich ganz neue Möglichkeiten.
„Harpo“, stöhnte Thunderclap mit heiserer Stimme, „wir sind vielleichtTränentiere! Aber intergalaktische! Weißt du auch, warum?“
„Neee!“ gaben Harpo und ein paar andere verdutzt zurück.„Weil wir auf der Kreisbahn um Nordpol sind.“„Wieso?“ meinte Harpo verständnislos. „Das wollten wir doch auch, oder?“„Ja, das heißt: nein“, sagte Thunderclap. „Ich weiß schon selbst nicht mehr,
was ich davon halten soll. Verstehst du denn nicht: Wir können jetzt nicht
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mehr zurück! Wir werden den Planeten umkreisen, bis wir schwarz sind oderbis der Antrieb wieder in Ordnung ist!“
In dieser Deutlichkeit hatte sich Harpo die neue Situation noch nicht bewußt gemacht, aber so dramatisch fand er es nun auch wieder nicht.
„Na und?“ meinte er. „Wir wollen uns doch sowieso auf Nordpol ansiedeln.“
„Was wollen wir?“ schrie Thunderclap entsetzt.Schlagartig wurde allen bewußt, daß sie in eine Sache hineingeschlittert
waren, ohne daß sie sich über die Folgen und ihre Ziele unterhalten hatten.Alle wollten auf den Planeten hinab. Aber offensichtlich hatten einige nurdaran gedacht, ihm einen Besuch abzustatten, während sich die anderen eineneue Heimat erhofften. Und die erste Fraktion hatte nicht bedacht, daß dieEntscheidung für Nordpol etwas Endgültiges war. Die Schubdüsen waren vielzu schwach, um sie rückgängig zu machen, nachdem die Schwerkraft desPlaneten sie eingefangen hatte.
„Das ist putzig, daß wir uns nicht darüber unterhalten haben“, meinte Harpo. Aber so war es nun einmal. Er fühlte sich nicht entfernt so unglücklichdarüber wie Thunderclap, der mit den Tränen kämpfen mußte. Der Junge imRollstuhl war immer an einen bestimmten Ort gebunden gewesen und kannte die Freiheit nicht, sich zu bewegen, wie er wollte. Jetzt war das anders: Siehatten die Erde weit hinter sich gelassen. Da wollte er doch nicht eineneinzigen Planeten eintauschen gegen all das, was unter anderen Sonnennoch verborgen lag!
Harpo konnte den Freund gut verstehen und wäre gern mit ihm durch dasAll gezogen. Aber er hatte sich längst damit abgefunden, daß so etwas mitdem defekten Antrieb nur ein Traum war. Also blieb Nordpol, und das schienihm nicht das Schlechteste zu sein.
Eine Versammlung wurde einberufen. Die Stimmung war zerfahren, alssich alle hinsetzten und Lonzo das Wort ergriff. „Liebe Freundinnen undFreunde“, begann er in seiner komischen Art. „Lieber Herr Landrat und liebeFrau Landratte! Eine ganz und gar erschröckliche Tatsache drang an unseregeplagten Ohren, über die wir eine Entscheidung fällen müssen. Wie unsereunschlagbaren Ingenieure Einstein und Sause –“
„Lonzo!“ zischte Thunderclap drohend. Ein bißchen hatte er sich schonvon dem Schock erholt.
„... und Genius“, verbesserte sich Lonzo schnell, „ausgetüftelt haben, sitzenwir ziemlich tief drin in der dicken Tinte.“
Rasch informierte er alle, die es noch nicht wußten, daß man vielleichteinen Fehler begangen hatte, als man die Kreisbahn um Nordpol wählte.
Nach einigen „Ahs“ und „Ohs“ kamen die ersten brauchbaren Vorschläge.Einen Schuldigen für die Situation zu suchen, lag allen fern, und deshalb hieltman sich damit gar nicht erst auf. Mehr als ein halbes Dutzend Interessiertegelobten, Fachliteratur zu studieren, um vielleicht doch herauszufinden, wieder Antrieb repariert werden konnte. Karlie fielen die Weltraumärzte ein. Erversprach, alles Menschenmögliche zu tun, um eines ihrer vielleicht in der
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Nähe kreuzenden Schiffe anzufunken. Die Ärzte hatten ja sowieso versprochen, irgendwann nach ihnen zu sehen. Also war die Situation gar nicht sodüster, wie sie im ersten Moment geglaubt hatten.
Der Planet füllte einige Stunden später fast das gesamte Gesichtsfeld aus,wenn man in der Sternenkuppel stand und ins All hinaussah. Deutlich konnte man nun Gebirgsrücken und kleinere Ozeane sehen, die wider Erwartennicht zugefroren waren. Von intelligentem Leben keine Spur, aber das mochte aus dieser Höhe höchstens besagen, daß es dort unten keineWolkenkratzer und Stratosphärenflugzeuge gab. Schwatzmaul schickte Forschungssonden ab, die sich zum Planeten senkten und dann mit Forschungsergebnissen zurückkehrten. Die meisten Flüsse dieser Welt waren gefroren,und es gab nur wenige Vegetationsstreifen. Schnee fiel beinahe täglich inweiten Gebieten. Aber das größte Mysterium, über das die Sonden Berichterstatteten, war ein auf der nördlichen Halbkugel gelegenes, seltsam geformtes Hügelgebiet, dessen Symmetrie auf einen künstlichen Ursprung hinzuweisen schien. Der natürliche Entdeckerdrang der EUKALYPTUSMannschaft führte dazu, daß dieses Gebiet als erstes für eine Landung in Betracht gezogen wurde.
„Und wen schicken wir hinunter?“ fragte Thunderclap am Tag des geplanten Starts mit dem Gleitboot, während er aufgeregt mit seinem Rollstuhlüber das gesamte Deck null raste. „Ich würde ja gern mitgehen, aber dort unten im Schnee könnte ich mich doch nicht bewegen und müßte die ganzeZeit über im Boot hocken bleiben.“
Harpo beruhigte ihn mit dem Hinweis, daß schließlich auch jemand vonder Zentrale des Raumschiffs aus das ganze Unternehmen leiten mußte. Dierichtige Aufgabe für Thunderclap. Da die größeren Kinder alle darauf brannten, als erste den Fuß auf Nordpol zu setzen, mußte schließlich das Los entscheiden. Vier Plätze waren zu vergeben. Die Lose fielen auf Micel Fopp, FidelFlottbek, Brim Boriam und „Big“ Tom Schlitz, einen Jungen, der seinenKameraden anfangs große Schwierigkeiten bereitet hatte, inzwischen aberbewies, daß er freundlich und hilfsbereit wie alle anderen sein konnte, wennman ihn nicht dauernd anmeckerte und hänselte.
Der Start der A9 ging reibungslos vonstatten, nachdem Thunderclap jedeneinzelnen der Besatzung eindringlich darauf hingewiesen hatte, ihm späterauch die kleinste Einzelheit des Abenteuers zu berichten. Schwatzmaul beherrschte das Gleitboot sicher und befolgte mit präziser Routine die Anweisungen Fidels, der als Kommandant gewählt worden war. Die Außenkamerasder EUKALYPTUS verfolgten das winzige Schwebefahrzeug mehrere Stundenlang und verloren es erst aus den Augen, als es durch eine dichte Wolkenbankauf der Tagseite des Planeten zur Landung ansetzte.
Mit schweißfeuchten Händen ergriff Karlie Müllerchen sein Mikrofon undsprach die Worte, die man vorher ausgemacht hatte:
„Planet Nordpol, bitte melden! Hier spricht die EUKALYPTUS!“Aber niemand antwortete ...
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Spuren im Schnee
Der Schock saß so tief, daß mehrere Minuten lang niemand wagte, ein Wortzu sagen. Sogar Schwatzmaul zog es vor, technischunpersönlich zu werden.Sein Großbildschirm flammte auf und präsentierte eine Reihe von Buchstaben, die sich nach und nach zu Wörtern zusammensetzten.
FUNKKONTAKT ABGERISSENMÖGLICHE GRÜNDE: KEINE DATEN„Kein Irrtum möglich?“ fragte Harpo entsetzt. Er war aus seinem
Schwenksessel aufgestanden und strich sich fahrig über das Kinn. SeineHandflächen fühlten sich feucht an, und sein Herz schlug schneller als üblich. Thunderclap biß sich auf die Unterlippe. Er wirkte blaß. Was mochte geschehen sein?
KEINE DATEN KEINE DATEN KEINE DATEN gab Schwatzmaul erneut bekannt, ein wenig vorwurfsvoll, wie es schien.
Harpo war nicht der einzige, der anfing, sich Vorwürfe zu machen. Warensie nicht doch zu hastig vorgegangen? Wäre es nicht besser gewesen, denPlaneten erst noch einige Tage lang zu umkreisen, um klarere, eindeutigereInformationen zu sammeln?
Schließlich war es Lonzo, der die trübe Situation aufhellte. Radschlagendwirbelte er durch die Zentrale und krächzte dabei: „Nicht verzagen – Lonzofragen! Nordpol ist frei von Piraten jeglicher Art, bei Neptun! Niemand kannunseren Freunden ein Leid angetan haben.“
„Und falls doch“, piepste der kleine Ollie und zerrte dabei wütend an denFransen seiner Lederhose, „kriegt er es mit mir zu tun!“ Er reckte seinewinzige Gestalt.
Unter normalen Umständen wären wohl alle in befreiendes Gelächter ausgebrochen, denn Ollie konnte nicht einmal einer Fliege etwas zuleide tun,aber diesmal nagte an allen der Zweifel. Fröhlichkeit wollte nicht so rechtaufkommen. Die Freunde mochten wohlauf sein, aber auf jeden Fall fehlteauch ihnen die Verbindung zum Mutterschiff. Sie mußten sich allein undverlassen vorkommen.
„Und wenn sie nun abgestürzt sind?“ fragte Anca. In ihren Augensammelten sich langsam, aber sicher Tränen. Während Harpo seine jüngereSchwester tröstete, griff Schwatzmaul in die Beratung ein.
„Mit Verlaub bemerkt“, äußerte sich das Große Gehirn zum ersten Malwieder akustisch, „das ist unmöglich! Ich bin nach wie vor mit der A9 verbunden. Nur hören kann ich nichts. Aber ich spüre das Boot – etwa so, wieeiner von euch seinen linken Zeigefinger fühlt und weiß, daß er vorhandenist, auch ohne daß er ihn sieht.“
„Langer Rede kurzer Sinn“, schnaufte Thunderclap Genius und raufte sichdabei wild die Haare, „Schwatzmaul spürt deutlich seinen linken Zeigefinger.“
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„Untertänigster Diener“, gab das Große Gehirn überhöflich zurück, „so istes!“
Ein einziger, lang anhaltender Seufzer schwebte durch die Hauptzentrale.Die Anspannung wich aus den Gesichtern. Aber in den folgenden Stundenvergingen doch nur wenige Minuten, in denen nicht jemand bei Karlie Müllerchen an der Funkleitstelle auftauchte und nach Neuigkeiten fragte. Karlieertrug alles mit stoischer Gelassenheit, aber es blieb nicht aus, daß mit derverstreichenden Zeit die Unruhe bei allen wieder größer wurde.
Als sich auch am nächsten Morgen noch niemand von der A9 gemeldethatte, sagte Harpo: „Wir müssen nachsehen, Thunderclap! Schwatzmaulkann noch so beruhigende Kommentare abgeben. Ich glaube nicht eher daran, daß unsere Freunde gesund und munter sind, bevor ich sie nicht miteigenen Augen gesehen habe!“
„Ich gehe mit!“ rief Anca sofort. Trompo, der nicht einmal katzengroßeAußerirdische, der einem winzigen Elefanten glich – ein irdischer Kurierflieger hatte ihn einst auf der EUKALYPTUS zurückgelassen –, gab pfeifendeGeräusche von sich. Auch andere Stimmen wurden laut. Einige Besatzungsmitglieder brannten wie Anca und Harpo darauf, so schnell wie möglich dasandere Gleitboot zu besteigen und nach dem Rechten zu sehen. Einige derkleineren Kinder hatten Angst und wollten um jeden Preis aus der Nähedieses unheimlichen Planeten verschwinden. Sie dachten gar nicht daran,daß die EUKALYPTUS selbst dann nicht entfliehen konnte, wenn sich riesigeSchlangen von der Planetenoberfläche zu ihnen heraufringeln sollten. Überhaupt kamen unterdrückte Ängste und Hirngespinste an den Tag.
„Was ist, wenn sie Ungeheuern begegnet sind?“„Ach, du liest zu viele Schundromane!“„Oder sie sind in eine Falle geraten!“„Quatsch mit Soße! Wer soll die denn aufgestellt haben?“„Weißt du Döskopp denn, wer auf Nordpol lebt? Sicher gibt es da Riesen
mit drei Beinen und nur einem Auge mitten auf der Stirn!“„Pah!“Der kleine Ollie verbreitete eine Version, wonach glotzäugige Ungeheuer
mit unheimlich langen Zähnen und einer ganz blaugefrorenen Haut imSchnee vergraben lagen und auf herabfallende Raumfahrer lauerten. Je deutlicher er sich dieses Bild vorstellte, desto größer wurde die Angst. Erschüttelte sich schließlich vor Entsetzen, und seine Zuhörer lachten ihn aus.
Da nach einiger Zeit alle einsahen, daß es besser war, Gewißheit zu haben,als mit flatternden Pulsen über die Decks des Raumschiffs zu rennen oder vorAngst in die Hose zu pinkeln, gab es keine Einwände mehr gegen die geplanteSuchexpedition. Die Lose fielen diesmal auf Harpo Trumpff, der vor Freudedarüber einen kleinen Luftsprung machte, Fantasia, die kleine Lori Powitzmit den blauschwarzen Locken und dem süßen Lispeln und – Lonzo! Ancaguckte ziemlich traurig drein, weil sie nicht mitdurfte.
„Alter Blechmann“, sagte Harpo erfreut und klopfte seinem metallenen Gefährten auf die Brust. „Das ist aber riesig, daß du mitkommst!“
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„Grrrkk, grrkkk“, machte Lonzo, was wohl dem „Blechmann“ galt, denn soetwas hörte er gar nicht gern. Aber es klang auch ein bißchen wie Lachen.„Bitte an Bord kommen zu dürfen, Captain.“
Der Himmel allein mochte wissen, wo er die alte Seemannsmütze mit denblauen Bändern aufgetrieben hatte, die er blitzartig hervorzauberte und überdas Metallei seines Kopfes stülpte.
Nachdem sich die Schleuse des Gleitbootes A7 hinter der Besatzung geschlossen hatte und die Funkhelme verteilt waren, zeigten leichte Knackgeräusche an, daß Karlie die Funkverbindung mit der Hauptzentrale hergestellthatte und dort vor den Geräten saß.
„Alles im Lot?“ fragte Thunderclap.„Aye, aye, Sir!“ brüllte Lonzo. „Alle Mann in die Wanten! Refft die Segel!“ Er
blieb als einziger stehen, als sich die A7 behutsam in Bewegung setzte.Schwatzmaul pumpte die Atemluft aus dem Hangar, dann glitt die quadratische Außenschleuse der EUKALYPTUS zur Seite. Langsam bewegte sich dasGleitboot in den Weltraum hinaus.
Mit offenen Mündern starrten die Kinder auf das Panorama vor ihrenAugen. Es war phantastisch und noch viel erregender als von der Zentraleaus! Der nachtschwarze Raum, nur durchstochen vom Glitzern und Funkelneinzelner Fixsterne in verschiedensten Farbabstufungen, wirkte grenzenlosund schien sich bis in die Unendlichkeit zu erstrecken – und so war es jaauch. Das schmale Band der Milchstraße befand sich im Moment unter ihnen, aber das war nur eine Frage der Perspektive und hing vom Kurs desGleitbootes ab.
Die größte Bewunderung rief das gerade verlassene Raumschiff hervor, daszum ersten Mal in seiner ganzen Pracht und Größe zu sehen war.
„Das ist ja viele, viele Kilometer lang!“ stöhnte Harpo. Von der Zentrale aussah man immer nur einen winzigen Teil.
„Ist doch logisch, wenn man daran denkt, wie groß die einzelnen Deckssind“, meinte Fantasia. Aber auch sie konnte ihre Begeisterung nicht verbergen.
„Das muß aber ein Getöse gewesen sein, als die EUKALYPTUS von der Erdegestartet ist.“, lispelte Lori mit ihrem weichen Stimmchen. Da die kleineimmer sehr empfindlich reagierte, wenn sie meinte, daß sie nicht genügendBeachtung fand, wollte Harpo schnell auf die Bemerkung antworten. DochThunderclap kam ihm zuvor.
„Diese großen Raumschiffe sind nur für den Weltraum gedacht, Lori“, ertönte seine Stimme in den Helmlautsprechern der Besatzungsmitglieder.„Deshalb starten und landen sie niemals auf einem Planeten und werdenauch im Weltraum montiert. Das Material wurde aus dem Asteroidengürtelherangeschafft, zum Teil aber auch von der Erde aus hochgeschossen.“
„Astro... Astaro... gürtel?“ fragte Lori neugierig und schüttelte verwundertden Kopf. „Was ist das denn? Kenn’ ich gar nicht!“
Thunderclap lachte leise in sich hinein. „Kein Wunder“, sagte er dann etwas gönnerhaft. „Das ist nur etwas für ganz alte Raumhasen. Weißt du, zwi
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schen den Planeten Mars und Jupiter befindet sich ein Ring aus winzigen,großen und ganz dicken Steinbrocken. Einige sind beinahe so groß wie derMond der Erde. Viele enthalten wertvolle Erze, aus denen durch SchmelzenMetalle gewonnen werden. Übrigens glaubt man, daß dort in Urzeiten beinahe ein weiterer Planet entstanden wäre.“
„Nach einer anderen Theorie gab es einen solchen Planeten“, ergänzteHarpo. „Man nimmt an, daß die Asteroiden die Reste von ihm sind, als erauseinanderplatzte.“
Thunderclap war während der Planetenumkreisung ihr einzigerGesprächspartner, aber die Zeit verging im wahrsten Sinne des Wortes wie imFluge, denn dem Rollstuhlfahrer – eine unbekannte Krankheit machte es ihmunmöglich zu gehen – fiel eine interessante Geschichte nach der anderen ein.Trotz seiner Jugend wußte er unheimlich viel. Die Krankheit hatte dazu geführt, daß Bücher und Zeitschriften seine besten Freunde wurden.
Unterwegs gab es noch helle Aufregung, als Harpo ausrief: „Wir müssenumkehren, ich habe den Translator vergessen!“
Er meinte damit ein Gerät, das nicht größer war als eine Armbanduhr unddazu dienen konnte, die unbekannte Sprache etwaiger Bewohner des Planeten verständlich zu machen. Bereits die erste Expedition hatte ein solches Gerät an Bord gehabt. Insgesamt besaßen sie nur fünf Translatoren undbehandelten sie entsprechend sorgfältig. Es waren Geschenke der Weltraumärzte.
Aber dann entdeckte Harpo den Translator doch noch. Er hatte ihn beimBetreten des Bootes gedankenlos in ein Ablagefach gesteckt. Er band sich daskleine Wunderwerk sicherheitshalber um das Handgelenk.
Als die A7 in die Lufthülle des Planeten eintauchte und ThunderclapsStimme häufig durch Störgeräusche überlagert wurde, hatten Harpo, Fantasia und Lori das Gefühl, nun eine Menge mehr über den Menschen, denWeltraum und den ganzen wunderbaren Kosmos zu wissen. So beeindrucktwaren sie von Thunderclaps Erklärungen. Sogar Lonzo, der nun wirklichmehr wußte als alle Kinder zusammen, grunzte Beifall.
„Lesen kann einen tatsächlich nur klüger machen“, brummelte er tentakelwedelnd. „Obwohl es natürlich auch darauf ankommt, was man liest.Schundhefte sind Gift. Glaubt eurem alten Lonzo, der mehr Magengeschwürehat als Karlie Müllerchen Pickel auf der Nase!“
Obwohl das ein bißchen lehrerhaft geklungen hatte, mußte Harpo seinemMetallfreund im Grunde recht geben. All die Superhelden in den buntenHeftchen, ob sie nun Perry, Jerry oder Barry hießen, konnten ihm gestohlenbleiben, seitdem er aus eigener Erfahrung wußte, wie großspurig dort auf diePauke gehauen wurde.
Dann stieß das Gleitboot durch die Wolkendecke hindurch. Gebirgszügetauchten auf. Ein großer See huschte gerade aus ihrem Blickfeld. Sie überquerten ein riesiges Waldgebiet, das unter einer dichten Schneedecke lag. Eswurde langsam dunkler.
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„Wird es jetzt schon Nacht?“ fragte Lori gespannt. Lonzo erklärte, daßdieses Phänomen damit zu tun hatte, daß die A7 sich der Nachtseite desPlaneten näherte.
„Höhe siebentausend Meter“, sagte Schwatzmaul, der sich bisher bescheiden im Hintergrund gehalten hatte. Dann: „Viertausend Meter.“
Der geschwätzige Computer, nun die Sachlichkeit in Person, hielt dasGleitboot genau auf Kurs. Zehn Minuten später überflogen die Kinder eineHügellandschaft, deren Gipfel etwa sechshundert Meter hoch aufragten.Auch hier lag überall Schnee, aber man konnte erkennen, daß die Hügel sehrgleichmäßig waren und eine runde Kuppe hatten. Und einer glich demanderen so sehr, daß man von oben glaubte, hier hätten einige Riesen plattgetretene Fußbälle verstreut. Das mußte die Landschaft sein, die ihnen schonvon der EUKALYPTUS aus aufgefallen war und das Ziel der ersten Expeditiongewesen war.
„Dort!“ rief Fantasia. „Die A9! Seht ihr?“Richtig. Das Gleitboot stand verlassen zwischen zwei eng beieinander
stehenden Platthügeln. Es war fast eingeschneit, aber immer noch deutlichzu erkennen. Thunderclap erkundigte sich aufgeregt nach Neuigkeiten, weiler Fantasias Aufschrei mitgehört hatte.
„Außer dem Boot ist nichts und niemand zu sehen“, meldete Harpo geknickt.
Die A7 sank tiefer. Plötzlich verkündete ein feines, hohes Rauschen, daßdie Funkverbindung zu EUKALYPTUS abriß.
Harpo reagierte blitzschnell. „Rauf, Schwatzmaul, rauf!“ brüllte er ausLeibeskräften, obwohl auch ein Flüstern genügt hätte. Ihm war eine Idee gekommen: Wenn die Funkstörung nun damit zusammenhing, daß die Hügelnäher rückten? Diese seltsam symmetrischen Felsformationen wirkten beiweitem nicht so, als hätten die Naturgewalten sie im Laufe der Jahrmillionenabgeschliffen.
Schwatzmaul hatte verstanden. Ein Ruck ging durch die A7 und brachtedas Boot leicht ins Trudeln, aber dann zischte es wie ein von der Sehne geschnellter Pfeil in die Höhe. Sofort war die Verbindung wieder einwandfrei.
„Muß mit der Höhe zu tun haben“, meinte auch Thunderclap nachdenklich. „Vermutlich wird die Verbindung wie bei den anderen abreißen,wenn ihr landet. Aber ich höre gerade, daß euch Schwatzmaul auch ohneFunkbefehl wieder heraufholen kann.“
Es stellte sich heraus, daß hierzu ein Knopfdruck ausreichte. Das dabei ausgelöste Signal lief auf einer Frequenz, die von der Funksperre nicht beeinträchtigt wurde. Nachdem ausgemacht worden war, daß dieser Knopf nur imNotfall gedrückt werden sollte und dann bedeutete: „Gleitboot sofortstarten“, konnte das Abenteuer der Landung gewagt werden. Behutsamsenkte sich die A7 in den Schnee neben das Schwesterboot.
Schnuppernd sogen die Kinder die Luft ein, als sie die Köpfe aus derSchleusentür steckten. Es war kalt. Sie sprangen hinaus und versanken bis zu
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den Knien im weichen, flockigen Pulverschnee. Es war so hell, daß ihnenanfangs die Augen brannten.
„Brrrrr“, machte Fantasia. „Bloß schnell wieder ins Boot und in die Schutzanzüge. Hier friert man sich ja sonst was ab.“
„Angeberin“, meinte Harpo, folgte ihr aber rasch in das Gleitboot. Nur Lorimußte erst mehrfach ermahnt werden, bevor sie ebenfalls hineinkletterte.Lonzo, der sich meckernd geweigert hatte, auch nur die kleinste Spitze seinereisernen Füße in den Schnee zu setzen, weil er angeblich höllische Angst vorRostflecken hatte, half ihnen wieder hinein. Natürlich machte er nur Theater,denn er bestand aus rostfreiem Edelstahl und hatte von Wasser, Schnee undEis nicht das geringste zu befürchten.
In den wetterfesten, heizbaren Anzügen betraten sie den Planeten Nordpolerneut. Diesmal in ernsterer Stimmung, denn schließlich waren vier ihrerFreunde verschollen. Da konnte man nicht Hanswurst spielen und naiv in dienächste Falle rennen. Sie bedauerten, daß sie die Oberfläche des Planetenunter diesen traurigen Umständen betraten. Viel lustiger wäre es gewesen,jetzt eine Schneeballschlacht zu machen oder Schlitten zu fahren.
Mißtrauisch beäugte Harpo die Umgebung. Ihr Boot stand in einem Tal direkt am Fuß eines Platthügels. Das flache Gelände zwischen diesem und demnächsten Hügel maß etwa einen Kilometer. In allen vier Windrichtungen ragten kahle Hügel empor, denen ihr besonderes Augenmerk galt. Ein eisigerWind pfiff. Rasch wurden die Nasen rot. Harpo hob Lori auf Lonzos Roboterkörper, damit sie Huckepack reiten konnte. Die Kleine war trotz ihrer elf Jahre im Wachstum zurückgeblieben und drohte bei jedem Schritt in dem fürHarpo und Fantasia nur knietiefen Schnee bis zum Bauch einzusinken.
„Halt!“ rief Fantasia plötzlich. „Ist das nicht eine Spur?“Tatsächlich, das sah aus, als wäre dort jemand hingefallen. Selbst die
dünne Schicht Neuschnee konnte den deutlichen Abdruck eines Hinterteilsnicht verbergen.
Vorsichtig bewegte sich die Gruppe weiter nach Norden. Vereinzelte Löcher im Schnee, halb zugeschüttet, aber immer noch sichtbar, führten genauauf einen der Hügel zu. Als sie ihn erreicht hatten, mußten sie die Köpfe weitin den Nacken legen, um bis zur Kuppe hinaufzuschauen.
„Sie können sich doch nicht einfach in Luft aufgelöst haben“, lispelte Loriungläubig.
Dann entdeckte Harpo im Schnee einen Handschuh. Er glaubte, daß er denschon mal bei Brim Boriam gesehen hatte. Aber die Stelle, an der er lag, markierte zugleich das Ende der Spuren. Als hätte Brim: „Sesam, öffne dich“ gesagt und sei direkt in die Hügelwand hineingegangen.
Seltsam. Brim und die anderen waren also hier gewesen, genau an dieserStelle. Aber was war dann geschehen?
„Es wird bald dunkel“, sagte Lonzo und zeigte mit einem Tentakel – dieanderen drei waren nötig, um Lori auf seinem glatten Körper Halt zu geben –auf die am Horizont versinkende Sonne Archimedes. „In der letzten Nachthaben wir kaum geschlafen. Schlage vor, wir gehen in die Hängematten unter
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Deck, Captain. Kleiner Imbiß in der Kombüse wäre natürlich vorher nicht zuverachten!“
Als er das sagte, fühlten sich alle plötzlich hungrig und müde. Sie kehrtenins Boot zurück, gaben Schwatzmaul mit dem Druckknopf Anweisung, dasBoot zu starten und lieferten der Zentrale ihren ersten Bericht ab. Die Stimmung war ziemlich niedergeschlagen. Obwohl sie keine ausgesprochenenschlechten Nachrichten durchgaben – zum Jubeln gab es keinen Anlaß.Erfreulich war nur, daß man weder wilde Raubtiere noch Ollies glotzäugigeAstronautenfresser entdeckt hatte.
Harpo, Fantasia und Lori lagen lange wach. Obwohl sie eigentlich hundemüde waren, wollte sich der Schlaf einfach nicht einstellen.
Rätselhafte Schatten
Mitten in der Nacht wachte Harpo auf, ohne zu wissen, was ihn geweckthatte. Er reckte sich und lehnte den Kopf gegen die Rundsichtscheibe. Er riebsich die Augen und lauschte dann in die Finsternis hinaus.
Etwas berührte sanft seinen rechten Arm. Lonzo. Da er eine Maschine war,benötigte er keinen Schlaf. Er war die ganze Zeit wach gewesen.
„Psssst!“ zischte der Roboter. „Hörst du?“„Mmmmmm“, brummte Harpo verschlafen. Seine Glieder schmerzten vor
Erschöpfung. Von irgendwoher drangen Geräusche. Er glaubte, daß dieVermißten zurückkehrten, und wollte mit einem Freudenschrei aufspringen,aber Lonzos Tentakel drückten ihn schnell zurück und verschlossen seinenMund. „Nicht bewegen, Junge“, flüsterte er dabei. „Draußen tut sich was.Steh ganz langsam auf.“
Auch Fantasia erwachte durch das Gemurmel, dann Lori, aber beide begriffen schnell, daß es besser war, sich leise zu verhalten. Zaghaft hoben dieKinder ihr Köpfe und spähten durch die Glaskuppel.
Im Schein der beiden winzigen, rötlichleuchtenden Monde des Planeten,die einen geheimnisvoll anmutenden Schein über die Schneedecke warfen,bewegten sich mehrere riesenhafte Gestalten, die jauchzend auf ihren Hinterteilen die Schneehügel hinabrutschten und johlend in weiche Schneewächten plumpsten, sobald sie unten ankamen.
Die heimlichen Beobachter in der A7 glaubten ihren Augen nicht zutrauen: sieben, acht, neun zottelfellige, langhaarige, entfernt menschenähnliche Wesen benutzten die Stille der Nacht dazu, auf den Hügeln Schlitten zufahren. Allerdings ohne Schlitten. Und daß es ihnen Spaß machte, konnteman an den Lauten, die sie ausstießen, leicht feststellen.
„Was sind denn das für welche?“ fragte die kleine Lori staunend. „Affen?“„Bei allen Planeten!“ prustete Harpo los. „Wenn das ein Traum ist, Lonzo,
dann zwick’ mich!“
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„So etwas habe ich wirklich noch nie gesehen!“ rief jetzt auch Fantasia undgluckste in sich hinein. Das war wirklich umwerfend komisch, wie dieschwerfällig wirkenden Gesellen die Schneebahn hinunterrutschten undnach geglückter Landung sofort wieder den Hügel hinaufhasteten, um diegleiche Prozedur von neuem zu beginnen.
Niemand konnte sich vorstellen, daß die fröhlichen Gestalten etwas mitdem Verschwinden ihrer Freunde zu tun hatten. Immerhin wußten sie jetzt,daß dieser Planet nicht unbewohnt war.
„Ob sie wohl intelligent sind?“ fragte Lori.„Und ob!“ antwortete Lonzo. „Oder hast du schon mal lachende Bären
gesehen?“„Sind das denn Bären?“Nun, aus der Ferne wirkten sie wenigstens so oder sahen ihnen zumindest
doch sehr ähnlich. Gemeinsam beratschlagte man, ob man es wagen sollte,mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Aber so mitten in der Nacht war die Entschlußfreudigkeit nicht sehr groß. Und in der Dunkelheit mochte das überraschende Auftauchen von Menschen leicht zu Mißverständnissen führen.Ganz abgesehen davon, daß die Bären es vielleicht gar nicht gern hatten,wenn ihnen jemand den Spaß im Schnee verdarb.
So aufregend alles auch war, übermannte die Kinder doch bald wieder derSchlaf. Am Morgen, als die ersten Sonnenstrahlen den vierten Planeten inWärme und Licht badeten, waren die Zottelgestalten verschwunden. Nächtlicher Schneefall hatte die Spuren beseitigt, als hätte es sie nie gegeben.
Schwatzmaul hob die A7 wieder einige tausend Meter hoch, und Fantasiaerstattete Bericht, während Harpo das Frühstück bereitete. Die Nachricht vonden augenscheinlich friedlichen und vergnügten Wesen wurde auf der EUKALYPTUS mit Begeisterung aufgenommen. Aber an gutgemeinten Mahnungenund Ratschlägen fehlte es natürlich trotzdem nicht. Nach dem Frühstückkletterten die vier Entdecker wieder in die Schneelandschaft hinaus. Sie teilten sich in zwei Gruppen: Harpo und Fantasia, Lonzo und Lori. Sie umrundeten den nördlichen Hügel, und als sie sich auf der anderen Seite trafen,winkte Lonzo schon von weitem aufgeregt mit einem Tentakel. Harpo undFantasia liefen so schnell heran, daß der Schnee nur so spritzte.
„Habt ihr etwas entdeckt?“ fragten beide wie aus einem Munde.„Ich will meinen Kopf aufessen, wenn ich nicht jemanden gesehen habe“,
krächzte Lonzo. „Ganz deutlich habe ich einen Schatten wahrgenommen.Potz Galaxis! Ich könnte schwören, daß es der Geist des alten Captain Kiddwar!“
Fantasias helles Lachen kugelte zu den Hügelkuppen hinauf und rollte vondort zurück. Harpo konnte ebensowenig ernst bleiben. Lonzo will uns wiedereinmal foppen, dachte er. Aber zum allgemeinen Erstaunen war der Roboternicht von seiner Behauptung abzubringen, daß er einen Schatten gesehenhatte. Er tat sogar recht empört, als die anderen zur Tagesordnung übergehenwollten.
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„Glaubt ihr mir denn nicht, Freunde?“ knarrte er stur. „Ich meine es ernst!Dieser Freibeuter hatte einen wüsten roten Vollbart und geflochtene Zöpfe!Er schaute ziemlich grimmig drein, au weia!“
Lori, die noch immer, von Lonzo getragen, über den anderen thronte, kicherte verhalten. „Lonzo spinnt mal wieder“, meinte sie vergnügt. „Ich habejedenfalls niemandes Geist gesehen. Am allerwenigsten den von CaptainKitz!“
„Kidd!“ zeterte Lonzo. „Nicht Kitz! Ha, du kennst ihn ja auch gar nicht,mein Täubchen! Soll ich dir die Geschichte erzählen, wie ich zusammen mitCaptain Kidd auf der Knocheninsel nach der vergrabenen Schatztruhe suchte? Also, paß mal auf, die Sache war so: Nachdem wir aus dem IndischenOzean kamen, die langen Messer zwischen den Zähnen, gingen Kidd undich ...“
Lonzo plapperte drauflos, obwohl keiner richtig zuhörte. Diese Geschichtekannten sie inzwischen auswendig, so oft hatte Lonzo sie erzählt. Man konnte fast meinen, er sei tatsächlich dabeigewesen. Aber Harpo wußte genau,woher Lonzo seine Lügengeschichten bezog: Nichts war leichter für denEisenmann, als Seefahrerbücher aus der Bordbibliothek auswendig zu lernen,da er ein elektronisches Gehirn besaß, das niemals auch nur ein Kommavergaß. Angefangen von Klaus Störtebeker bis hin zu Kapitän Marryat hatteLonzo alles aufgesogen, was sich mit Piraten beschäftigte. Sicherlich hatte erdabei auch eine Menge Seemannsgarn mitverdaut.
Egal! Harpo und Fantasia, die Lonzo bereits lange kannten, wußten, daßman sich auf ihn verlassen konnte, wenn es darauf ankam. Und der Mechanismus des Roboters, eine Ansammlung aus Metall, Kristallen undNeuronen, war bestimmt gegen Halluzinationen hundertprozentig gefeit.Lonzo konnte Dinge wahrnehmen, die Menschen verborgen bleiben mußten,weil ihre Augen für solche Feinheiten nicht geschaffen waren. Auch ein Hundhört ja beispielsweise Töne aus dem Ultraschallbereich, die Menschen längstnicht mehr wahrnehmen können.
„Noch einmal von vorn, Lonzo, altes Haus“, sagte Harpo deshalb. „Wie sahdas Wesen aus, das du gesehen hast?“
„Es war einen Meter groß, wieselflink, grau ... ähm ... ich meine, es schienmir grau zu sein, weil es so wieselflink war. Es hatte einen Bart und Zöpfe undeinen Topf auf dem Kopf und einen komischen Anzug an, wie ein Taucher.“
„Topf auf dem Kopf?“ echote Fantasia ungläubig.„Taucheranzug?“ fragte Harpo. „War es vielleicht ein Raumanzug?“„Nitschewo!“ sagte Lonzo beharrlich. „Nein!“Er schüttelte seinen freien Greiftentakel. „Der Anzug war ziemlich eng,
wollte ich damit sagen. Und der Bursche sah ziemlich rauflustig aus.“Wieder wedelte er mit dem Tentakel, tippte damit auf Harpos Schulter und
brummte: „Er sah genauso aus wie der Kerl, der gerade hinter dir steht.“„Huch!“ quiekte Lori.Fantasia und Harpo wirbelten herum. Für einen Sekundenbruchteil glaub
te Harpo eine zwergenhafte Gestalt zu sehen, die sie aus einigen Metern Ent
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fernung beobachtete. Dann war sie verschwunden. Sie löste sich im Nichtsauf und existierte nicht mehr!
„Ein Wichtelmann!“ rief Lori begeistert. „Mit Zöpfen! Wie süß!“„Er ... ist ... weg ...“ stotterte Harpo verdutzt.„Gar nicht wahr“, behauptete Lonzo. „Wieso denn? Er steht noch da! Sagt
mal, könnt ihr denn nicht sehen?“„Wie?“ fragte Harpo.„Jetzt kommt er sogar näher!“„Harpo, ich fürchte mich“, flüsterte Fantasia.„Uijuijui, ist der aber schnell!“Alle rieben sich die Augen, nur Lonzo nicht. Es half nichts, die geheimnis
volle Zwergengestalt blieb ihren Augen weiterhin verborgen. Sie sahen niemanden, obwohl Lonzo steif und fest behauptete, der Wichtel stände genauneben Harpo.
„Also kann er sich unsichtbar machen“, folgerte Lori stolz, als hätte nochkeiner an diese Möglichkeit gedacht.
„Und wo ist er jetzt?“ fragte Harpo, der immer noch nicht wußte, was ervon der Sache halten sollte.
„Er gafft dich an“, versetzte Lonzo. „Ziemlich aufdringlich, wie ich finde.“Harpo verlor vor Schreck das Gleichgewicht und machte einen Schritt zur
Seite. Ihm war, als prallte er gegen eine unsichtbare Mauer. Ein spitzer Schreierklang, der sich recht empört und wütend anhörte. Dann wurde der Wichtelplötzlich sichtbar. Er schnatterte und keifte, da er genau wie Harpo denBoden unter den Füßen verloren hatte und strampelnd im Schnee lag. Langsam begann die weiße Flockendecke im Umkreis seiner Gestalt zuschmelzen.
„He, hallo!“ rief Fantasia. „Wer sind Sie denn?“„Unglgrungmumpf“, war die knurrige Antwort. Wie alle zugeben mußten,
war das weder ein schöner Name, noch klang das ganze besonders freundlich. Staunend nahmen die Kinder das schimpfend aufstehende und denSchnee aus den Kleidern klopfende Zwergenwesen in Augenschein. Untereinem spitz zulaufenden Ritterhelm mit kleinen Metallflügeln an den Seitenschaute sie ein faltiges Gesicht mit rotblonden, buschigen Augenbrauen an.Das Männlein besaß listige Äuglein, die zornig funkelten. Ein mächtiger Bartsorgte dafür, daß man von seinem Gesicht nicht allzu viel erkennen konnte.Feingeflochtene Zöpfe erinnerten die Kinder an einen MiniaturWikinger ausder irdischen Geschichte.
Bekleidet war das Wesen mit einem blaugrauen Wams, gleichfarbigenHosen und hohen Stulpenstiefeln. Um seinen Bauch spannte sich ein breiterLedergurt, an dessen Vorderseite ein streichholzschachtelgroßes Gerät unheimlich summte. Mehrere Schaltknöpfe waren darauf zu erkennen und paßten nicht zu dem sonstigen Äußeren.
Die Zunge vor Aufregung zwischen die Lippen geschoben, nestelte Harpoan seinem Translator, bis er den Knopf gefunden hatte, der das Gerät aktivierte. Dieses Meisterwerk der Mikrotechnik barg einen Sprachcomputer,
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aber zaubern konnte der auch nicht. Zunächst mußte er einige Minuten langdie Laute einer unbekannten Sprache aufzeichnen und analysieren.
Es war also wichtig, daß der Fremde redete.„Wie ist das werte Befinden, edler Seemann?“ fragte Lonzo und ersparte da
mit Harpo eine Arbeit.Der Inhalt der Frage war unwichtig. Es kam nur darauf an, daß der Zwerg
sprach. Tatsächlich hörte er mit dem Knurren auf, begann zu grinsen, tratfrierend von einem Fuß auf den anderen und ratterte dann los wie einedefekte Schallplatte.
Schnurrend setzte sich der Translator in Gang. Die Apparatur registriertewachsam jeden Laut. Es dauerte kaum zwei Minuten, da flossen die erstenabgehackten Sätze aus dem Translator und wurden von Silbe zu Silbe sicherer und verständlicher.
„... elende Affenkälte ... Konntest nicht aufpassen, du Lausebengel? ... JetztDeflektorschirm im Eimer ... Mir frieren die Zehen ab ... Beim siebenschwänzigen Schneegespenst!“
Harpo entschuldigte sich wortreich, und da begann der Zwerg aufzuhorchen.
„Schneegestöber und Eiszapfen!“ gurgelte der Translator, als der kleineFremde mit dem mächtigen Bartwuchs zu einer Gegenrede ansetzte. „Wiewird mir? Schon wieder diese Sternenbengel mit ihrer Sprechmaschine, diedie Sprache des Großen Flunkerers nachahmt!“
Die Kinder lachten vor Begeisterung, während Harpo stolz auf seinenTranslator sah. Nach dieser grantigen Einleitung grinste der Zwerg erst einmal ausgiebig und sprudelte dann so hastig los, daß der Translator sich schierüberschlagen mußte, um alles ebenso schnell zu übersetzen.
Während er redete, zerrte der Große Flunkerer aufgeregt an Lonzos Tentakeln, die ihn sehr zu beeindrucken schienen. Sie sollten sich nur keine Sorgenmachen, sagte er. Die Freunde seien in der Obhut der „Raufbolde“ und beibester Laune. Man sei ihnen ja sooo dankbar, vor allem dem kleinenschwarzen Doktor.
Er hatte sich jetzt richtig in Begeisterung hineingeredet, versuchte bis zuden Schultern von Harpo und Fantasia hinaufzulangen und kollegial daraufzu klopfen, tätschelte Lonzo und kitzelte Loris Füße. Dann machte er alle Anstalten, gleich zu explodieren, wenn sie nicht sofort mit ihm kämen, da er aufdem besten Weg sei, zu einem bärtigen Eisklumpen zu werden.
Die anfängliche Verwirrung der Kinder wich schließlich, als Harpo, Fantasia, Lori und Lonzo begriffen, daß sie sich umsonst Sorgen um ihre Freundegemacht hatten.
Rasch folgten sie dem zitternden und zähneklappernden Flunkerer, der ihnen großzügig gestattete, ihn „Flunki“ zu rufen. Er schleppte sie genau zujener Stelle, an der sie bereits einmal rätselnd gestanden hatten: direkt vor diesteile Hügelwand, die graublau an einigen Stellen unter dem Schnee hervorleuchtete.
Und dann kam die große Überraschung. Die Wand öffnete sich.
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Ein seltsamer Berg
„Eintreten, Freunde!“ rief Flunki und rannte los. Schon hatte er dasschwarze Tor in der Felswand erreicht und war verschwunden.
Zögernd folgten ihm die Kinder.„He“, ertönte es dumpf aus dem Berg, und der Translator übersetzte
pflichtschuldig: „He!“ Flunkis dicke Nase tauchte aus dem Dunkel auf. Seinroter Bart schimmerte im Licht der Sonne. Die listigen kleinen Äuglein funkelten. „Beim einäugigen EisZyklopen!“ schimpfte er los. „Worauf wartet ihrnoch? Eure Vorfahren müssen Schnecken gewesen sein. Tausend Schneemücken sollen euch in den Hintern stechen!“
Die Kinder lachten, weil sie ja inzwischen wußten, daß man nicht allesernst nehmen durfte, was der Raufbold von sich gab. Aber sie setzten doch zueinem kleinen Spurt an. Verderben wollten sie es sich mit dem kleinen MiniaturWikinger keinesfalls.
„Elender Schurke!“ fluchte Lonzo, der sich den sprachlichen Gegebenheiten dieses Planeten als erster anpaßte. „Mir qualmen schon die Socken. Meinalter Freund Captain Kidd hätte Euch für Eure Redensart in Eisen gelegt. Jawoll, Herr Raufbold!“
„Pah, Captain Kidd“, kam die Antwort. „Wenn er so langsam war wie ihr,hätte er mich nie erwischt. Dem hätten ich die Zipfelmütze über die Ohrengezogen und ihn dann mit Schnee eingeseift.“
„Himmel, Po und Zwirn!“ schrie Lonzo aufgebracht. „Er wagt es tatsächlich, den mächtigen Captain Kidd zu beleidigen! Herr Raufbold, merktEuch gefälligst, daß Captain Kidd nie eine Zipfelmütze, sondern stets einenprächtigen Dreispitz trug. Und so wahrhaft, wie ich LonzoJoachim Washington de la Chevalier heiße: Schnee haben wir nicht auf einer einzigen unserervierhundertsiebzehn Kaperfahrten erspäht.“
„Lonzo!“ mahnte Fantasia entrüstet. „Seit wann gebrauchst du solche Ausdrücke? Und du sollst nicht so schauerlich lügen. Du heißt gar nicht LonzoWaschmirschon Dingsbums!“
„Was bedeutet der Ausdruck Schneewolke, verlängerter Rücken und Bindfaden?“ erkundigte sich Flunki neugierig.
„Schneewolken? Verlängerter Rücken ... und ...“ wiederholte Harpo undprustete los. „Ach herrjeh! Da hat unser kleiner Translator aber wieder maleine Meisterleistung der Übersetzungskunst zustande gebracht.“
„Das haben wir gleich“, meinte Lonzo und drückte einen Knopf des Gerätes. „Für besondere Fälle“, dozierte er, „haben wir auch eine DeftigSchaltung.“ Seelenruhig wiederholte er seinen Fluch und wartete, bis dasÜbersetzungsgerät ihn in Flunkis Sprache übertrug. „So“, sagte er zufriedenund ließ den Knopf wieder los.
Der Raufbold machte „Grrrrr!“ und sprang aus dem Stand zwei Meter hochin die Luft. „Gemeine Verleumdung! Meine Großmutter trinkt niemals!“
„Was hat der Translator denn gesagt?“ fragte Lori lachend.
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„Da fragst du noch?“ brummte der Raufbold und funkelte sie an – was Loriaber nicht einschüchtern konnte, weil man zu deutlich sah, welchen SpaßFlunki diese Schimpferei machte. „Dieser mißratene Schneeochse hat etwasvon einem letzten Rülpser meiner betrunkenen Großmutter gesagt!“
Flunki machte eine Anstandspause und fügte dann schmunzelnd hinzu:„Also ehrlich, Freunde. Bisher hielt ich eure komische Sprache ja für ziemlichtrocken. Wußte gar nicht, daß ihr so gute Flüche auf Lager habt.“
„Wir müssen wohl öfter mal den Knopf drücken, damit sich der Translatorweniger gewählt ausdrückt“, meinte Harpo schelmisch.
Er wußte inzwischen, daß diese winzige Apparatur, so nützlich sie war,auch ihre Schwächen hatte. Normalerweise übersetzte sie ziemlich trockenund bürokratisch, und manchmal waren hochgeschraubte Redewendungendas Ergebnis. Die Kinder hatten das Gerät auf der EUKALYPTUS ausgiebig getestet und sich dabei vor Lachen gekugelt, wenn aus: „Heiliger Bimbam, waszieht der Kerl für eine komische Visage“ ein gepflegtes „Gesegnetes Glockengeläut, der Herr Kommerzienrat hat aber ein freundliches Lächeln“wurde.
Da der Translator auch ein Programm besaß, in dem drastische und lustigeWörter der Umgangssprache gespeichert waren, kam er mit der Sprache derRaufbolde gut zurecht. Sobald Flunki redete, schaltete sich das Gerätautomatisch auf Programm II.
„Wollen wir nicht weitergehen?“ fragte Lori Powitz. Die Kleine brannte darauf, das Innere des geheimnisvollen Berges zu erkunden.
„Ein guter Streit ist wichtiger als alles andere“, tönte Flunki. „Aber imGrunde hast du schon recht, Schneeflöckchen. Borro wird sicher langsammüde, das Tor weiterhin offenzuhalten.“
„Borro?“ fragte Harpo neugierig.„Ja, Borro“, erwiderte Flunki und tat sehr wichtig. „Der Schneekrabbler.“„Ehrlich gesagt“, gab Harpo zu, „ich verstehe immer nur Schneekrabbler.“„Ha“, sagte Flunki und freute sich diebisch. „Beim Ringelschwanz des alten
Frostaffen: Das wundert mich gar nicht.“Die Freunde beeilten sich, Flunki weiter in das geheimnisvolle Innere des
Berges zu folgen. Plötzlich wurde es düster. Dort, wo sich eben noch der Eingang befunden hatte, erschien wie durch Zauberei eine Wand. Das Sonnenlicht konnte nicht mehr in die Höhle eindringen.
„Wird gleich wieder heller“, versicherte ihr Führer beruhigend. Man hörteetwas rascheln. Allem Anschein nach kramte Flunki in seinen Taschen. Dannblitzte der Lichtkegel eines kleinen Handscheinwerfers auf.
„Wir haben unsere Scheinwerfer natürlich im Beiboot gelassen“, meinteHarpo und schlug sich schuldbewußt gegen die Stirn.
„Macht nichts“, sagte der Wichtelmann. „Nur die Außengänge sind dunkel.Wir kommen bald in die beleuchteten Wohngebiete.“
„Wo ist denn der Eingang geblieben?“ forschte Fantasia mißtrauisch.„Ho, ho, ho!“ lachte Flunki. „Wahrlich, bei den zehn Rüsseln des
fischfressenden Mammuts: Wo ist er denn?“
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Man sah ihm an der Nasenspitze an, daß er nicht im Traum daran dachte,dieses Geheimnis zu lüften, zumindest nicht jetzt. Die Kinder vertrauten ihrem neuen Freund inzwischen soweit, daß sie sich keineswegs eingesperrtoder beunruhigt fühlten. Nur Lonzo konnte sich nicht verkneifen, seinen Senfbeizusteuern. „Mich dünkt, der Kollege Raufbold ist ein ganz entschiedenerWitzbold. Eine richtige Ulknudel!“
„He, he, he!“ lachte Flunki meckernd. „Das will ich meinen!“Ein merkwürdiger Berg war dies wirklich, selbst wenn man nicht länger
über das Geheimnis des verschwundenen Eingangs grübelte. Der Boden fühlte sich nicht etwa hart und felsig an, wie man es von einem ordentlichen Bergerwarten sollte, sondern war weich und schwammig. Als würde man auf einerprallgefüllten Luftmatratze gehen. Und warm schien er auch zu sein. DieWände des Tunnels, in dem sie ihrem eifrigen kleinen Führer folgten, warenhärter. Sie erinnerten an Kalkstein und schimmerten auch in hellen Farbtönen.
Die Freunde hatten bereits ein Dutzend anderer Tunnel gekreuzt undkamen langsam zu der Überzeugung, daß der ganze Berg durchlöchert warwie ein Schweizer Käse. In diesem Labyrinth konnte man sich bestimmtleicht verlaufen.
Aber schließlich hatten sie einen ortskundigen Pfadfinder. Und zur Nothätte wohl auch Lonzo den Rückweg gefunden, denn der brauchte ja nur seinfotografisches Gedächtnis zu befragen. Wenn er wollte, konnte er zum Beispiel nacheinander hundert Kieselsteine beschreiben, die an einer beliebigenStelle in einem der künstlichen Bachbette an Bord des Raumschiffes EUKALYPTUS lagen. Er brauchte nur seinen elektronischen Schaltkreisen denBefehl zu geben, diese gespeicherten Einzelheiten abzurufen. Die Kinderbeneideten ihn um diese Fähigkeit, besonders dann, wenn sie mühsam versuchten, sich irgend etwas Wichtiges einzuprägen, indem sie ein Buch mehrmals lasen oder die Videofilme immer wieder ablaufen ließen. Lonzo genügtein einziger flüchtiger Blick aus seinen Sehzellen, und schon war das Geschehene Bestandteil seines Gedächtnisses.
Lonzo trug noch immer seine Matrosenmütze auf dem eiförmigen Wulst,der aus dem ansonsten kugelrunden Metallkörper herausragte. Dort warenseine wichtigsten Sensoren untergebracht, die die menschlichen Sinnesorgane ersetzten. Nicht zuletzt die funkelnden Sehzellen und die Sprechmembrane erinnerten an einen menschlichen Kopf. Lonzo hatte danebenaber auch noch Sensoren, die ihm Ultraschall, die chemische Zusammensetzung von Stoffen, Luftfeuchtigkeit, Temperatur und manchesandere meldeten; Dinge, die Menschen nur mit technischen Hilfsmittelnmessen können. Er bewegte sich munter auf seinen beiden kurzen Beinenvoran, die wie die vier Tentakel aus winzigen Metallringen zusammengesetztwaren. Überhaupt schien er bester Laune zu sein, denn er benahm sich absolut nicht wie ein Forschungsreisender auf einem fremden Planeten.
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„Alle, die mit uns auf Kaperfahrt gehen, müssen Männer mit Bärten sein“,sang er laut und in schauriger Tonlage. „Flunki und Harpo und Lonzo undKidd – die haben Bärte, die fahren mit.“
„Is’ ja ga’ nich’ wahr“, lispelte Lori. „Nur Flunki hat einen Bart!“„Macht nix“, meinte Lonzo fröhlich. „Dann bekommen die anderen Fah
rensleute eben einen Bart ehrenhalber verliehen.“„Und was ist mit uns Mädchen?“ fragte Lori enttäuscht.„Bärte sind nichts für Mädchen“, antwortete der Roboter. „Aber ich werde
mich bei Captain Kidd dafür einsetzen, daß Fantasia Einstein und Loretta Powitz wegen besonderer Verdienste für den großen KlabauterOrden mit gekreuzten Knöcheln vorgeschlagen werden.“
„Klasse“, lispelte Lori. „Aber ich heiße nicht Loretta, sondern Lotharine!“Flunki behielt recht. Als sie wieder einmal in einen anderen Höhlengang
des Labyrinths abbogen, leuchtete vor ihnen ein warmes, rotgelbes Licht, dasseine Lampe bald überflüssig machte. Der Raufbold verstaute sie wieder inden Falten seiner Kleidung. Erstaunlicherweise kam das Licht aus dem Bodendes Ganges, der förmlich zu glühen schien.
Harpo hatte wie die anderen die Kapuze seines Schutzanzuges zurückgeschlagen und seine langen, blonden Haare aus der Umhüllung geschüttelt. Eswar wirklich sehr warm. Er öffnete den Reißverschluß des Anzugs und machte sich etwas Luft. Er hoffte, daß sie bald am Ziel waren und die Anzüge ablegen konnten.
Plötzlich drang eine Gruppe von sechs Raufbolden lärmend aus einemNebentunnel.
„Heilige Winternacht mit Tannenzapfen!“ rief der eine, ein dickes, rundesMännchen mit einem langen Zopf. „Mir sollen sofort alle Schneeläuse ausdem Bart springen, wenn das nicht der Große Flunkerer persönlich ist. Unddiese rasierten Rotznasen sehen dem schwarzen Doktor verflucht ähnlich,he!“
„Frostbeulen und Eishagel“, antwortete Flunki mit ausgebreiteten Armen.„Kann man denn nicht ein einziges Mal in diesen Höhlen spazierengehen,ohne über den dicken Wanst des alten Flusi und seinen Anhang zu stolpern?“
„Mann, wenn die in Massen auftreten, ist aber echt der Eisbär los“, meinteHarpo staunend.
„He, he, he!“ lachte die Schar der Raufbolde, während Flunki und Flusi sichbegeistert auf die Schultern klopften.
Die Gruppe bestand aus drei männlichen und drei weiblichen Wesen, vondenen letztere kleiner und zierlicher wirkten als ihre Begleiter. Sie hattendünnere Nasen als die Männer und waren natürlich bartlos. Eine der Frauensah wie ein kleines Mädchen von zehn Jahren aus und trug das rotblondeHaar offen. Die anderen hatten dicke Zöpfe wie die Männer.
Alle wirkten freundlich und lächelten die Besucher an. Gekleidet waren siewie die männlichen Raufbolde: derbes Lederwams oder ein grobgewebtesHemd, enge Hosen, Stulpenstiefel oder Sandalen mit Lederriemen bis überdie Knöchel und breite Gurte um die Hüften. Die meisten trugen jenes kleine
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Gerät an Stelle einer Gürtelschnalle, mit dem die Raufbolde die Schnelligkeitihrer Bewegungen erstaunlich steigern konnten.
„Meine Freunde hier wollen zu dem kleinen schwarzen Doktor“, erklärteFlunki, nachdem er seine Begrüßungszeremonie mit einem Knuff in FlusisRippen abgeschlossen hatte. „Weiß einer von euch, wo er und die anderenBurschen stecken?“
Brim hätte sich wohl gewundert, daß Wesen, die nur halb so groß warenwie er, ihn als klein bezeichneten – aber gewiß hatte er inzwischen selbst seine Erfahrung mit dem Wortschatz der Raufbolde gemacht. „Beim eisigen Eisdes Schneegockels“, erwiderte Flusi vergnügt, „gewiß weiß ich das!“
Wenn die Kinder jetzt erwartet hatten, daß Flusi weiterreden würde, sahensie sich getäuscht. Er grinste nur und zwirbelte seinen prächtigen roten Bart.
„Aber wie ich dich kenne“, knurrte Flunki mit geballten Fäusten, „willst dues mir nicht verraten, he?“
„Freilich.“„Beim Eiszahn des Frostvampirs!“ schrie Flunki. „Dann rede doch endlich,
Kerl!“„Kein Grund zur Aufregung“, antwortete Flusi grinsend. „Der schwarze
Doktor und seine Freunde sind mit unserem Pilzsammelkommando weg undkehren erst gegen Abend zurück.“
„Dann machen wir es uns einstweilen gemütlich“, sagte Flunki. „Folgt dem Großen Flunkerer zu den Fleischtöpfen der Raufbolde. Sicher
lich seid ihr hungrig.“
Der Clan der Raufbolde
Die Kinder warteten, bis Lonzo nach einer chemischen Analyse mit einemfröhlichen „Haut rein!“ die Speisen für unbedenklich erklärte, dann machtensie sich mit Heißhunger über Fleischbrühe, Salat und Obst her.
Die chemische Analyse war notwendig, obwohl niemand an der Gutartigkeit der Raufbolde ernsthaft zweifelte. Die Möglichkeit konnte nicht ausgeschlossen werden, daß die Speisen für menschliche Organismen ungeeignetwaren.
Im Grunde aßen die Kinder nun zum ersten Mal in ihrem Leben natürlicheNahrung, denn alles, was sie von der Erde und vom Raumschiff her kannten,war synthetisch – sogenanntes Synthofood –, wenn es auch in Aussehen undGeschmack natürlicher Nahrung angeglichen war.
„Das müßte Karlie miterleben“, sagte Harpo und kaute mit vollem Mundan einer eiförmigen, grüngelben Frucht, die saftigsüß schmeckte. „Derwürde uns nicht länger mit seinen blöden Kartoffelpuffern in den Ohrenliegen.“
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Fantasia und Lori Lachten. Karlie Müllerchen war berühmtberüchtigt fürseine vielen KartoffelpufferRezepte. Wenn er Küchendienst hatte, und daskam oft vor, weil er sich regelrecht danach drängte, war es nicht schwer, denSpeisezettel zu erraten.
Flunki gab sich nicht damit zufrieden, seine Gäste beim Essen zu beobachten, sondern langte selbst kräftig zu. Die Brühe schöpfte er aus einem riesigenMetallkessel, dessen Inhalt mindestens drei Dutzend hungrige Mäulergestopft hätte. Obst und Salate reichte er aus großen Schüsseln und Körben.Wie es schien, waren die Raufbolde mit ungeheurem Appetit gesegnet. Na,kein Wunder, wenn sie sich so schnell bewegten und zusätzliche Kalorienbeim Fluchen verbrauchten.
„Ich will mal nicht so sein“, meinte Flunki augenzwinkernd. „Normalerweise schalten wir nämlich beim Essen unser Beschleunigerfeld auf diehöchste Stufe, damit wir richtig reinschaufeln können. Würde ich das tun,hättet ihr keine Chance gegen mich.“
Sein mächtiger Schnauzbart hatte beim Schlürfen der Brühe bis auf denBoden der Kumme gehangen und tropfte jetzt wie ein Pinsel, den man inFarbe getaucht hatte.
Lori kicherte leise in sich hinein und stieß mit dem Fuß Fantasia an.„Schneebeutel und Eishörnchen!“ fluchte der Große Flunkerer. „Mir
scheint, das Schneeflöckchen Lotharine macht sich über mich lustig!“„Nein, nein“, beruhigte ihn Harpo hastig. „Sie ist immer so albern beim
Essen.“„Na, ausnahmsweise will ich das mal glauben“, sagte Flunki schmunzelnd.
Dann versuchte er Lori einen strengen Blick zuzuwerfen, der ihm so gründlich mißlang, daß die Kleine mit einem glockenhellen Lachen herausplatzte.Das war so ansteckend, daß alle mitlachen mußten, selbst Flunki. Dabeitraten ihm vor Freude sogar die Tränen in die Augen.
Allein Lonzo schaute beim Essen zu, ohne etwas anzurühren. Ihm machtedas aber wenig aus. Als Roboter kannte er Gefühle wie Hunger und Durstnicht, wenn er auch manchmal wie ein Mensch redete und es weit von sichwies, eine Maschine zu sein. Allerdings freute er sich zuzusehen, wie es seinen Freunden schmeckte. Er beanstandete nur, daß Essen für Captain Kiddstets eine wichtige und ernste Sache gewesen sei, die mit Albernheiten nichtvereinbar war, und deshalb die Sache mit dem KlabauterOrden vielleichtdoch noch einmal überlegt werden müsse.
Ansonsten registrierte er in seinem fotografischen Gedächtnis, daß sie hierin einer kleinen Grotte saßen, die man wohl als Küche bezeichnen mußte. Einniedriger, derber Holztisch trug das Eßgeschirr, das nur aus Kummen undkleinen Messern bestand. Man hatte es sich auf dem weichen Boden bequemgemacht und die warmen Anzüge abgelegt. Falls die Raufbolde Stühle gekannt hätten, wären sie ohnehin zu klein für Menschen gewesen.
Abgesehen von dem Tisch und den vielen Töpfen und Körben gab es nurnoch ein paar Regale mit allerlei Vorräten und in einer Ecke stand eine glühendrote Platte, auf der der Suppentopf gestanden hatte.
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Das war wieder einmal erstaunlich. Obwohl die Raufbolde rustikal eingerichtet und angezogen waren und in Felsenhöhlen wohnten, hatten sieandererseits doch einige Dinge, die nur mit einer hochtechnisierten Zivilisation zu erklären waren, etwa Heizplatten, Taschenlampen oder die Gürtel mitdem Beschleuniger. Nicht zu vergessen die Beleuchtung, die auch hier ausdem Fußboden drang. Eigenartig nur, daß man die leuchtenden Fläche sahund auch dunklere und hellere Flecken und Stränge ausmachen konnte, aberweiter im Boden nichts zu erkennen war.
„Erzähl uns doch bitte was über die Raufbolde, Flunki“, platzte Harposchließlich heraus, als alle satt waren.
„O ja, bitte!“ fielen auch Fantasia und Lori ein.Für einen Moment redeten alle durcheinander, aber schließlich setzte sich
Harpo durch.„Wie viele Raufbolde gibt es eigentlich auf eurem Planeten?“ wollte er
wissen.„Nicht mehr sehr viele“, antwortete Flunki. „In diesem Clan leben knapp
hundert von uns. Die ganze Ostgruppe besteht aus siebenundvierzig solcherClans. Und dann gibt es noch eine Westgruppe und eine Nordgruppe mit zusammen noch einmal einhundertelf Clans. Alles in allem besteht unser Volkaus höchstens zwanzigtausend Raufbolden, Kinder und Greise mitgerechnet.“
„Oh“, machte Harpo. Das war wirklich nicht sehr viel. Besonders, wennman bedachte, wie groß der Planet Nordpol war. Auf der Erde lebten fastzehn Milliarden Menschen!
„Früher waren wir mehr“, erklärte Flunki. „Damals war es aber auf dieserRiesenmurmel noch nicht so hundekalt. War leichter, etwas zu Futtern füruns und die Partner zu finden.“
„Woher habt ihr die BeschleunigerGürtel?“ fragte Fantasia, bevor Harpoweiterfragen konnte. Er hätte gern gewußt, wen der Raufbold gemeint hatte,als er von Partnern sprach.
„Ha!“ explodierte Flunki. „Bei den sieben Rotpelzen, die ich mit einemHolzschwert erledigte! Ich möchte jedes Haar meines prachtvollen Barteseinzeln darauf wetten, daß du uns nicht zutraust, daß wir genügend Gripshaben, so etwas selbst zu bauen! Du hältst uns für finstere Höhlenaffen, dienichts können, als Schneebeeren und Frostpilze sammeln, he?“
„Aber nein, ich wollte nur ...“ protestierte Fantasia, die nicht recht wußte,ob Flunki nun in der Tat beleidigt war oder wieder einmal den starken Mannspielte. Und sie fühlte sich wirklich ein wenig schuldbewußt, denn sie hattetatsächlich daran gedacht, daß vielleicht eine andere Rasse den Raufboldenein paar technische Instrumente überlassen hatte.
„Schneematsch und Eisklumpen!“ redete sich der Gnom in Rage. „Wiemacht man diesen Rotznasen nur klar, daß wir Raufbolde schon Raumschiffebesaßen, als die Menschen noch auf den Bäumen hockten und ihre Läusezählten?“
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Er raufte sich theatralisch die Barthaare und fummelte dann an seinenZöpfen. Schließlich warf er seinen Helm mit den kleinen Metallflügeln zuBoden und tat so, als würde er darauf herumtrampeln. Aber er achtete geschickt darauf, daß er nichts an seiner Kopfbedeckung beschädigte. Flunkizeigte die Zähne, machte wieder mal: „Grrrr!“, und dabei funkelten seineAugen vor diebischer Freude. Mit diesen Leuten von der Erde konnte mansich so herrlich aufregen.
Schließlich hielt er erschöpft inne, holte tief Atem und erzählte, daß es ingrauer Vorzeit auf dem Planeten Nordpol einen Streit gegeben hatte zwischen Raufbolden, die immer weiter in den Kosmos hinausstürmen wollten,und solchen, die lieber erst einmal auf dem Planeten alles in Ordnungbringen wollten, bevor man sich auf Abenteuer einließ.
Tatsächlich hatte sich dann eine Gruppe von Raufbolden von ihren Partnern getrennt und war ins All gestartet. Man hatte nie wieder etwas von ihnen gehört. Die Zurückgebliebenen wurden nachdenklich. Man fragte sich,ob es Sinn hatte, immer weitere Reichtümer auf Kosten anderer anzuhäufen,sich gegenseitig zu beneiden und zu bekämpfen. Man fand einen anderenWeg: mit den Partnern und in der Geborgenheit des Clans, in dem niemandNot leiden mußte und jeder seinen Spaß hatte.
„Caramba!“ schimpfte Lonzo. „Dieser bärtige Knirps kann es einfach nichtlassen, uns ehrliche Seeleute zu verschaukeln. Er will uns einfach nicht sagen,wer denn diese geheimnisvollen Partner, von denen er dauernd redet, überhaupt sind!“
Plötzlich tauchte ein vor Anstrengung keuchender Jungraufbold am Eingang der Küchenhöhle auf. Seine großen, dunklen Augen blitzten freudig indem schwarzhäutigen Gesicht. Nanu, ein schwarzer Raufbold?
„Harpo! Lori, Lonzo, Fantasia!“ rief er. „Die Rrrraufbolde haben mmirgesagt, daß eine zweite Eexpedition eingetroffen ist.“
„Mensch, Brim!“ schrien die anderen. Sie hatten ihren Freund von derEUKALYPTUS in seinem neuen Raufboldanzug nicht erkannt. „Wir habenuns die größten Sorgen gemacht, als der Funkkontakt abriß.“
„Ddas war wegen ...“„Wissen wir schon alles“, unterbrach ihn Fantasia. „Erzähl doch mal, wie es
euch ergangen ist.“Jetzt kamen auch Tom Schlitz, Micel Fopp und Fidel Flottbek angerannt.
Die Sonne Archimedes hatte sie braun gebrannt, und auch sie sahen in denfremdartigen Kleidern abenteuerlich und verwegen aus. „Hat Borro uns geschenkt“, verkündete Brim Boriam stolz und deutete auf seine Stiefel.„Mächtig dankbar, der Bursche!“
„Ich habe euch schon von draußen gespürt“, sprudelte Micel hervor, derJunge mit den verkümmerten Ärmchen. Er verfügte über telepathische Kräfte, das heißt, er konnte gelegentlich die Gedanken anderer Leute empfangen.„Denkt nur, ich habe mich telepathisch mit Borro unterhalten. EinfachKlasse, kann ich da nur sagen!“
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„He, das wird aber eng hier“, knurrte Flunki. „Laßt uns in eine der Schwatzhöhlen rübergehen.“
Er setzte seinen Gedanken direkt in die Tat um und führte seine Gäste ineine große Nachbarhöhle, in der alle genügend Platz hatten. Sie ließen sichauf weichen Fällen am Boden nieder.
„Wo wart ihr denn die ganze Zeit?“ fragte Lori gespannt.„Wir haben den Raufbolden bei der SchneepilzErnte geholfen“, verkünde
te Tom stolz, dessen krankhafte Blässe fast ganz verschwunden war. „Stellteuch mal vor: Ich allein habe mehr als vier Tonnen geerntet. Da wird Borroanständig über den Winter kommen!“
„Verflixt und zugenäht!“ explodierte Harpo. „Langsam reicht es mir aber.Dauernd wird hier von Partnern und diesem Borro geredet, und niemandhält es für nötig, uns diese mysteriösen Burschen einmal vorzustellen!“
„Jawoll!“ krähte Lonzo. „Selbst Captain Kidd würde niemanden so langeauf die Folter gespannt haben!“
Micel blickte seinem Freund in die Augen, sah in Wahrheit aber viel tiefer,nämlich in Harpos Gehirn. „He!“ rief er aus. „Die wissen tatsächlich nochnicht, wer Borro ist!“
„Juchhu!“ lärmte Tom. „Dann steht euch die dickste aller dicken Überraschungen ja noch bevor!“
„Hahaha“, lachte Brim. „Das zieht ja den stärksten Eskimo vom Schlitten.Hört mal, Leute, könnt ihr euch vorstellen, daß man Borro übersieht?“
Die Neuankömmlinge schienen die Sache unheimlich lustig zu finden,denn sie konnten sich kaum beruhigen vor lauter Lachen.
„Allmächtiger Schüttelfrost!“ jubelte Flunki, dessen mächtiges Organ allesübertönte. „Ist das ein Spaß! Das muß ich nachher sofort den anderen erzählen. Und vor allen Dingen natürlich Borro.“
„Wo ist er denn, euer Borro?“ rief Harpo und sah sich um. „Holt ihn dochendlich her, damit wir ihn sehen können.“ Aus unerfindlichen Gründen riefauch diese Äußerung eine Lachsalve hervor.
„Großvater des Frostfiebers!“ kreischte Flunki in höchstem Entzücken undmit Tränen in den Augen. „Ich kann nicht mehr. Diese Erdenwürmer sindaber auch wirklich zu spaßig.“
Wider Erwarten hatte Brim Boriam dann doch ein Einsehen. „Hört zu“, sagte er mit Verschwörermiene, „ihr werdet gleich mit uns lachen und einsehen,wie komisch das alles ist. Borro ist ein Schneekrabbler und zugleich Partnerder Raufbolde. Sie leben mit ihm zusammen – genaugenomen sogar mehr alsdas! Sie leben in ihm. Versteht ihr jetzt? Borro ist eine intelligente Riesenschildkröte, die sich ganz gemächlich über den Planeten bewegt. Die Raufbolde leben in seinem Rückenschild, den wir anfangs alle für einen Hügelgehalten haben!“
Er klopfte auf den weichen Höhlenboden. „Dies ist Borro“, verkündete er.„Die Wände, das ganze System der Höhlen und Gänge, der ganze sechshundert Meter hohe Hügel – das alles ist Borro!“
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„Potztausend!“ rief Lonzo begeistert. „Wenn das Captain Kidd noch erlebthätte!“
Harpo, Fantasia und Lori hatten ihren Ohren nicht trauen wollen. Aberjetzt verstanden sie alles. Da hatten sie ja wahrhaftig vor lauter Bäumen denWald nicht gesehen. Natürlich, das erklärte alles: Der Eingang in den „Berg“war nichts anderes gewesen als ein Muskel dieses riesigen Wesens und konnte auch deshalb wieder verschwinden, weil er sich zusammenzog und die Öffnung verschloß. Das erklärte auch die Weichheit des Untergrundes, auf demsie gelaufen waren. Sie hatten sich auf der Haut des Schneekrabblers vorwärtsbewegt.
Jetzt lachten alle und riefen fröhlich durcheinander. Es war in der Tatphantastisch. Sie hielten sich im Schutzpanzer eines lebendigen Wesens desPlaneten Nordpol auf. Thunderclap und die anderen Freunde auf der EUKALYPTUS würden Augen wie Mühlräder machen, wenn sie davon hörten.
„Erzählt uns mehr über die Schneekrabbler“, forderte Fantasia ungeduldig.
Ein komisches Erdbeben
„Es steigt die große Besichtigung des Schneekrabblers Borro!“ rief Flunki.„Was Beine hat, folge mir!“
„Klar“, meinte Brim. „Es ist viel beeindruckender, alles selbst anzusehen,als sich von den anderen was erzählen zu lassen. Wir kommen auch mit. Wirhaben uns noch lange nicht sattgesehen.“
Lärmend setzte sich die Schar in Bewegung. „Nehmt die Kratzer mit“, rietFlunki und zeigte auf eine Reihe von schrubberähnlichen Instrumenten, diean der Wand befestigt waren. „Die können wir wahrscheinlich gut gebrauchen.“
Die Kinder ließen sich das nicht zweimal sagen und ergriffen die Geräte. Siedurchquerten eine Reihe von Wohnhöhlen. Das Lachen, Grüßen und Fluchenwollte überhaupt nicht abreißen, denn in den meisten Räumen hielten sichandere Raufbolde auf. Da einige beim Essen waren, auf der faulen Haut lagenoder in fröhlicher Runde den Becher mit Schnapshonig kreisen ließen, fragteHarpo seinen Freund Brim verstohlen, ob hier denn nirgendwo gearbeitetwürde. Überhaupt hatten sie bisher noch nicht einen Raum bemerkt, in demes wie in einer Werkstatt, einer Wäscherei oder einer Fabrikationsstätte aussah. Und doch mußten die Kleider und Einrichtungsgegenstände dieserWessen irgendwo entstehen, gereinigt, geflickt und gewaschen werden.
„Wie das vor sich geht, weiß ich auch noch nicht“, gab Brim zu. „Aber glaubja nicht, daß die Raufbolde faul sind. Während sich der Schneekrabbler solangsam fortbewegt, daß es ein menschliches Auge kaum wahrnehmen kann,schwärmen sie mit automatischen Schlitten aus und sammeln Nahrung oderpflanzen neue an. Du glaubst ja gar nicht, was alles unter der Schneedecke
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wächst! Der Planet ist überhaupt nicht so tot, wie er aussieht. Pausenlos wirdNahrung eingefahren und gelagert. Riesige Mengen! Wirklich, du wirst dichwundern. Unterwegs haben wir auch Raufbolde aus anderen Clans getroffen,denn die Schneekrabbler bewegen sich ja in einer Gruppe über das Land.“
„Flunki hat erzählt, daß die Ostgruppe aus insgesamt siebenundvierzigClans besteht. Gibt denn das Land so viel Nahrung her?“
„Flunki?“ fragte der Raufbold, der alles verstanden hatte, obwohl diebeiden Jungen leise gesprochen hatten und außerdem genügend Lärmherrschte, der nicht zuletzt durch sein eigenes lautstarkes Organ hervorgerufen wurde. „Wer sagt etwas über den Großen Flunkerer, he? Heraus damit!“
„Wir unterhielten uns gerade über die riesigen Nahrungsvorräte“, erklärteBrim Boriam bereitwillig. „Ich kann mir nicht vorstellen, daß hundert nochso hungrige Raufbolde derartige Mengen verdrücken können.“
„Na, die Futtermengen sind doch für Borro“, erklärte Flunki stirnrunzelndund mit gesträubtem Bart. „Und wieso frißt er sie nicht gleich?“ fragte Lorinaseweis.
„Eisregen und Frostnebel!“ knurrte Flunki. „Weil er schläft, natürlich!Deshalb frißt er sie nicht, Schneeflöckchen.“
„He“, rief Tom ungläubig, „das stimmt doch gar nicht. Ich habe mit meineneigenen Augen gesehen, wie Borro sich weiterbewegt hat. Er schläft nicht.Der marschiert munter weiter. Na, munter für seine Verhältnisse jedenfalls.“
„Grrrrr“, machte Flunki, ergriff dann mit beiden Händchen seinen Helmund versuchte ihn sich über die Ohren zu ziehen. „Der Eisverkäufer soll michim Packeis einfrieren, wenn Borro nicht schläft. – Und munter nennst du seinSchleichen? He, du müßtest mal sehen, wie er abzischt, wenn der Sommerkommt! Dann machen wir die großen SchneekrabblerRennen, an denen sichalle Clans beteiligen. Borro hat in den letzten tausend Jahren fast ein Viertelaller Wettrennen gewonnen. Wenn er im Sommer erwacht, jagt er schnellerals ein galoppierender Quadrubbel durch die Gegend. Ganz zu schweigen davon, wenn er sich ins Gletschertal hinabschlittern läßt! Könnt ihr euch dasüberhaupt vorstellen, wenn diese wandelnden Berge wie Bobschlitten in dieTiefe trudeln und dann zusammenstoßen? Das macht vielleicht Spaß! Jungejunge!“
„Halt!“ rief Fantasia nun. „Hast du nicht eben gesagt, Borro sei tausend Jahre alt?“
„Habe ich nicht“, meinte Flunki und streckte ihr die Zunge heraus. „Er istnämlich zweitausend Jahre alt“, fügte er grinsend hinzu. „Schneekrabblervermehren sich selten, dafür werden sie aber auch steinalt.“
„Und ihr?“ fragte Micel. „Werdet ihr auch so alt?“ Noch bevor Flunki dieAntwort aussprach, hatte Micel sie bereits im Gehirn des Raufbolds gelesen.
„Nein, nein, beim eisigen Bart meiner Urgroßmutter“, versicherte Flunkiabwehrend. „Wir werden auch nicht viel älter als ihr Menschen. Aber hört zu,ich will euch erklären, warum Borro schläft und trotzdem weiterkrabbelt –und weshalb Raufbolde und Schneekrabbler so famos miteinander auskommen.“
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Die Besucher von der EUKALYPTUS spitzten die Ohren, während Lonzowie üblich alles in seinem Gedächtnis speicherte.
„Dieser Planet, den ihr Wichte Nordpol nennt – unser Name für ihn istRaufboldparadies –, ist groß. Und es gibt auf ihm nur wenige Schneekrabbler.“
Flunki zwirbelte seinen Bart. „Aber sie würden bald alles kahlgefressenhaben und müßten aussterben, wenn die Natur im Laufe der Evolution nichteinen Schutzmechanismus entwickelt hätte. – Das geht so: Die Krabbler sindnur zehn Tage im Jahr putzmunter. Dann machen sie das große Rennen, vondem ich eben erzählt habe, und legen eine größere Strecke zurück als in denanderen 350 zusammen. Außerdem futtern sie in diesen Tagen fast ununterbrochen. Sie fressen derart viel, weil es für das ganze Jahr reichen muß.Allein können sie gar nicht genügend Futter aufspüren in der kurzen Zeit.“
„Deshalb also helfen ihnen die Raufbolde“, unterbrach ihn Lori miterhobenem Zeigefinger.
„Genau, Schneeflöckchen“, gab Flunki lachend zu. „Wir sammeln die ganzeZeit über Futter und stopfen es in die Hohlräume unter Borros Panzer. Wenner wach wird, schlingt er alles hinunter. Und noch einiges mehr, was er sichdann selbst sucht.“
„Dafür ist er euch sicherlich sehr dankbar.“„Stimmt. Er gibt uns das ganze Jahr über behaglichen Unterschlupf und
Wärme, was am wichtigsten für uns Raufbolde ist, denn wir sind sehr kälteempfindlich. Deswegen auch unsere Beschleunigerfelder, die wir meistensdraußen einschalten, um schneller wieder zu Borro zurückkehren zu können.Früher war es auch wichtig, daß Borro uns vor unseren Feinden schützte.Aber das ist noch nicht alles.“
„Nein?“ fragte Lori.„Borro kann noch viel mehr, denn er ist kein gewöhnliches Tier, sondern
ein hochintelligentes Wesen. Während sein Körper den größten Teil des Jahres Winterschlaf hält, also gewissermaßen auf Sparflamme schaltet und dabeidoch langsam weiterkrabbelt, damit die Gelenke nicht einrosten, wacht seinGehirn! Er unterhält sich mit uns auf ähnliche Art wie euer Freund Micel, dergelegentlich eure Gedanken lesen kann. Wir haben dann nicht nur großenSpaß miteinander, sondern Borro kann uns auch fast jeden Wunsch erfüllen.Deshalb hat Harpo auch nirgendwo Fabriken und Werkstätten entdeckenkönnen. Borro selbst ist nämlich unsere Fabrik! Er entnimmt dem BodenMineralien, wandelt sie in flüssiges Metall, Glas oder was auch immer wirbrauchen um – und verwertet gleichzeitig die unverdauten Reste derverzehrten Pflanzen. Wir machen dann die Konstruktionsentwürfe: für einWams oder einen Helm beispielsweise – und Borro spuckt die fertigen Sachen aus.“
„Klasse!“ sagte Brim bewundernd.„Phantastisch!“ mußte auch Harpo anerkennen.„Das ist ... intergalaktisch!“ rief Lonzo jubelnd und wirbelte seine Tentakel
umher. „Das hätte Captain Kidd wissen müssen, als wir damals vor Kap
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Hoorn gekentert sind. Zwei Jahre hat es gedauert, bis wir wieder eine seetüchtige Schaluppe unter die Füße bekamen.“
„Die Schneekrabbler haben sogar die Raumschiffe gebaut, mit denen dieandere Hälfte unseres Volkes zu den Sternen flog“, verriet Flunki augenzwinkernd. „Allerdings hat er dafür schon eine Menge Zeit gebraucht.“
„Donnerwetter“, staunte Fantasia. „Dann sind Borros Leute ja wohl diegrößten Ingenieure der Galaxis. Oder sagen wir mal, Schneekrabbler undRaufbolde zusammen.“
„Das möchtste wohl auch mal können, wie?“ neckte Tom sie. Es hatte sichherumgesprochen, daß das rothaarige Mädchen nichts lieber werden wollteals ein einfallsreicher Raumschiffbauingenieur. „Fertige Raumschiffe ausspucken und so?“
Harpo glaubte plötzlich auf einem Drahtseil zu laufen, das im Begriff war,sich erst nach links und dann nach rechts zu verschieben. Erschreckt versuchte er die Balance zu halten und erkannte, daß er keine Halluzinationhatte, sondern daß seine Freunde – einschließlich Flunki, dem der Helm bisauf die Nasenspitze hinuntergerutscht war – mit demselben Phänomen zukämpfen hatten.
Der Boden bebte! Erschreckte Ausrufe drangen von allen Seiten auf Harpoein, dann purzelten die Kinder hilflos durcheinander. Von draußen ertönteein Krachen, das sich wie das Donnern eines Gewitters in den Bergenanhörte.
„Die Engländer greifen Captain Kidd an!“ schrie Lonzo. „Alles in Deckung,Leute! Es werden schwerste Geschütze eingesetzt. Na los! Geschützklappenrunter! Geben Sie dem unverschämten Kerl eine Breitseite, Mister Trumpff!“
„Was war denn das?“ fragte Fidel, der sich wie die anderen mit wirren Haaren aufrappelte, als die Erschütterungen nachließen. „Ein Erdbeben?“
Ein Nachläufer riß ihnen erneut die Beine weg. Vorsichtshalber blieben sieeine Minute sitzen und beobachteten kichernd Flunki, dem der Helm nun bisans Kinn gerutscht war.
„Potz Galaxis!“ schrie der Raufbold. „Wollt ihr mich nicht von diesemBlecheimer befreien? Ich sitze im Dunkeln!“
Lonzo war so frei.„Uff!“ machte Flunki mit hochrotem Kopf. Obwohl die anderen nun alle
damit rechneten, daß er ein paar saftige Flüche ausstoßen würde, grinste ernur breit und sagte: „Der Junge hat eben einen goldigen Humor. Wenn dasein Erdbeben war, dann ein sehr komisches.“ Er schüttelte den Kopf, daß seine Zöpfe flogen. „Nein, Freunde, Borro hat gelacht. Richtig herzhaft gelacht.“
„Gelacht?“ echote Lori erstaunt.„Wie, wo, was?“ fragte Harpo verdutzt.Lonzo schnaufte: „Dann möchte ich nicht erleben, wenn er sich über etwas
ärgert!“„Hat er etwa über uns gelacht?“ meinte Fantasia pikiert.„He, he, he!“ lachte Flunki. „Ich nehme an, daß ihm ein Witz besonders gut
gefallen hat. Ihr werdet gleich sehen.“
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Tatsächlich hörten sie aus der Ferne ein schallendes, überschäumendesGelächter, dieses Mal aber aus den Kehlen einiger Raufbolde, die in einerNebenhöhle saßen. Sie hatten flauschige Felle herangeschleppt, auf denen siegemütlich Schnapshonig tranken und dicke schwarze Zigarren rauchten. DasBesondere an dieser Höhle war, daß hier das Bodengewebe viel heller aussahund dicke Falten warf. Die Decke bestand ebenfalls aus weichem Gewebeund nicht wie sonst aus dem Knochenkalk des Panzers. Dicke Stränge ausfleischigem Material hingen tief in die Höhle hinein. Ob das Nervensträngewaren?
„In solchen Kammern kann man sich besonders mühelos mit Borro unterhalten“, bestätigte Flunki. „Sie sind direkt mit seinem Gehirn verbunden.“
„Ihr kommt gerade recht“, sagte einer der Raufbolde und nebelte sich derart mit dem Qualm seiner Zigarre ein, daß man nur noch den bis zum Bauchreichenden rotblonden Bart erkennen konnte. „Wir sind gerade dabei,Flunki!“
„Dann legt mal los, Kollegen.“ Flunki rieb sich grinsend das Kinn.Der andere Raufbold sagte: „Hör zu, Borro: Da kommt eines Tages der
Raufbold Rastus in das schneebedeckte Waldland von SüdTalizien, weil erbeschlossen hat, einige Klafter Holz zu hacken. Als er ankommt, sieht er eineMenge anderer Raufbolde kräftig die Äxte schwingen. Kopfschüttelnd geht erauf die anderen Holzfäller zu und fragt: ‚Wieso arbeitet ihr denn so langsam?‘– Das regt die Befragten natürlich auf. Und das kann man verstehen, wennman weiß, daß sie den kleinen Rastus alle um einen ganzen Kopf überragenund ihre Muskeln durch die wochenlange Hackerei mächtig stark gewordensind. Geringschätzig sagt einer zu Rastus: ‚Sag mal, hast du Wicht überhauptschon einmal einen Baum gefällt, daß du hier so große Sprüche klopfenkannst?‘ Rastus verschränkt die Arme vor der Brust, sieht hochnäsig zu demFrager auf und erwidert: ‚Klar! Zweifelt etwa jemand an meiner Kraft?‘ Daraufhin brechen die altgedienten Holzfäller in lautes Gelächter aus. ‚Wo solldenn das gewesen sein, wo du Bäume gefällt hast?‘ fragt ein anderer. UndRastus antwortet: ‚In der Sandwüste von Pelombang natürlich!‘ Daraufhinschrien die anderen lachend: ‚In der Sandwüste von Pelombang? – Aber dagibt’s doch nicht einen einzigen Baum!‘ – ‚Tja‘, erwidert der clevere Rastus,‚jetzt natürlich nicht mehr!‘“
„Ho, ho, ho!“ lachten die Raufbolde und schlugen sich auf die Schenkel.Die Kinder stimmten in das Lachen ein. Dann wurden sie alle wieder einmaldurcheinandergeworfen. Das war Borro.
„Kennst du den schon, Borro?“ fragte ein anderer Raufbold. „Da kam einesTages der Raufbold Rastus in eine Schenke ...“
„Nichts wie weg!“ rief Lonzo, bei dem sich im allgemeinen Durcheinanderzwei Tentakel verknotet hatten. Lachend folgte ihm die Meute. Nur dieWitzeerzähler blieben in der Höhle zurück und waren bald außer Hörweite.
„Da staunt ihr, was?“ sagte Flunki mit leuchtenden Augen. „Ein paar vonuns sitzen immer hier und heitern Borro auf, damit er nicht trübsinnig wird,während sein Körper Winterschlaf hält. Er hat ja sonst kaum Abwechslung.
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Als nächstes wird Borro dann den anderen Schneekrabblern die Witze telepathisch weitergeben.“
„Na, so was!“ meinte Harpo. Die anderen prusteten immer noch.„Wenn ihr gute Witze kennt, müßt ihr sie mir unbedingt erzählen“, meinte
Flunki, „weil mein Repertoire neuen Stoff dringend nötig hat – aber jetztwerden wir Borro einen anderen Gefallen tun, um den er mich gebeten hat.“
Er musterte mit Scharfblick die Wände. „Hier muß es sein.“ Er wies aufbesonders auffälliges, hellrot leuchtendes Gewebe. „Den Guten juckt es nämlich hier. Er braucht ein paar Leute, die ihn kratzen.“
„Klar, machen wir!“ rief Tom begeistert. „Ran an die Schrubber und auf insGefecht!“
Jubelnd stimmten die anderen mit ein und begannen damit, die Haut derRiesenschildkröte mit ihren mitgebrachten Werkzeugen zu bearbeiten.
Lonzo, dessen Tentakel inzwischen wieder entknotet waren, stürzte hinterher. „Weiter so, Matrosen!“ rief er. „Scheuert das Deck. Die Schaluppemuß blitzen!“
Schlittenfahrt
Es war unmöglich, in der kurzen Zeit jede Besonderheit im Labyrinth desSchneekrabblerPanzers zu besichtigen, denn schließlich war er nicht nursechshundert Meter hoch und an der längsten Stelle fast einen Kilometerlang, sondern auch etwa hundert Meter dick.
Flunki zeigte ihnen das Wichtigste. Da gab es nicht nur den einen Einstieg,durch den sie selbst in den Panzer gelangt waren, sondern mindestens einDutzend solcher Öffnungen, meistens mit einem Muskel unter Borros Panzerkontrollierbar.
Das Erstaunlichste war jedoch jener Teil des Panzers, der die runde Kuppelbildete. Hier wurden die Nahrungsvorräte gelagert. Die engen Höhlen undGänge, die man bisher kennengelernt hatte, fehlten hier. An ihrer Stelle sahendie Besucher richtige große Hallen, in denen sich menschengroße Riesenpilze, Heu, Früchte unbekannter Art, zahllose ebenfalls unbekannte Gemüsesorten und ein schilfartiges Gewächs türmten, das, so äußerte sichFlunki, besonders gut unter der Schneedecke gedieh.
Selbst für die Raufbolde mit ihren Beschleunigern wurde es schwierig, sichin diesen Vorratsräumen zu bewegen. Aus diesem Grund hatten sie querdurch die Hallen eine Seilbahn gebaut. Von einer Gondel aus bestaunten dieKinder die Nahrungsvorräte.
„Ein großes Problem stellen die zahlreichen Insekten dar“, erklärte Flunki.„Ihr wißt schon: Stechmücken, Fliegen, Kakerlaken, Wanzen, Läuse und jedeMenge dieser elenden Käfer. Die sind nicht nur lästig und quälen uns, sondern legen es auch darauf an, unsere Vorräte aufzuessen und Borro zu piesa
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cken. Da es hier ziemlich warm ist und unzählige dunkle Winkel und Ritzenur so zum Verkriechen einladen, sind dauernd einige von uns damitbeschäftigt, die Störenfriede zu bekämpfen. Auch dafür ist die Seilbahnwichtig, denn mit ihr erreichen wir Bezirke, die sonst nur schwer zugänglichsind.“
„Hat Brim euch gegen diese Insekten geholfen?“ fragte Lori gespannt.„Ja“, erwiderte Flunki nickend. „Das hatte auch etwas mit Insekten zu tun.
Stellt euch vor, eine Mückenart hat eine große Stelle des Schneekrabblers inderartig großen Schwärmen überfallen und ihm Blut ausgesaugt, daß sich dieStelle entzündete. Wir wußten keinen Rat. Die Entzündung ging einfach nichtzurück, sondern fraß sich immer tiefer in Borros Körper.“
„Ich habe Borro ein entzündungshemmendes Präparat gegeben“, meinteBrim Boriam bescheiden. Er hatte sich dank der Hypnoschulung der Galaktischen Mediziner wirklich zu einem erstklassigen Arzt gemausert. Dasfanden alle. „Am gefährlichsten war allerdings eine Pilzwucherung, die ichmit Miconazolnitrat in den Griff bekam“, fügte er hinzu. „Ich benötigte mehrere Tonnen von dem Zeug. Nur gut, daß die Arzneimaschine des Bootes aufNordpol genügend Grundmaterial fand, um den Stoff schnell zu synthetisieren.“
„Was er für Ausdrücke kennt!“ himmelte Lori „Doktor Boriam“ an.„Borro bietet euch allen von der EUKALYPTUS für diese rasche Hilfe
Wohnrecht auf Lebenszeit in seinem Panzer an“, informierte sie Flunki.„Das ist wirklich riesig nett“, antwortete Brim. „Aber im Augenblick wissen
wir wirklich noch nicht, ob wir auf diesem Planeten bleiben wollen.Allerdings ist es schön, zu wwissen, daß man irgendwo ein Zuhause hat.“
Er hatte recht. Sie wußten wirklich noch nicht, wie alles weitergehen sollte.Harpo allerdings wußte, daß es viele Kinder an Bord des ehemaligen Sanatoriumsschiffes gab, die um jeden Preis so schnell wie möglich wieder aufeinem echten Planeten leben wollten – selbst wenn er größtenteils mitSchnee und Eis bedeckt war. Andererseits war ein nicht unbeträchtlicher Teilder Mannschaft, darunter Thunderclap Genius, Karlie Müllerchen, der kleineOllie und auch er dafür, weiter durch das All zu fliegen, die Wunder des Kosmos zu sehen und fremde Planeten zu erforschen.
Es würde eine schwierige Entscheidung werden. Daß die Raufbolde ihrAngebot ernst meinten, bezweifelte niemand. Aber würde es auf die DauerSpaß machen, mit einem Schneekrabbler durch unbekannte Länder zu ziehen, wenn man die Chance hatte, den Weltraum zu durchqueren? Anfangs sicherlich, aber nach einigen Jahren ... Zudem war das einzige Eis, auf dasHarpo wild war, Schokoladeneis ...
„Mensch, Brim!“ rief Harpo plötzlich. „Wir haben uns schon eine Ewigkeitnicht mehr mit Thunderclap verständigt. Am Ende glauben die, daß uns waszugestoßen ist!“
„Verdammt“, erwiderte Brim nachdenklich. „Wir müssen unbedingt zu denBeibooten zurück. Ihr könnt ja solange hierbleiben. Wir kommen wieder.“
„Ja, so ist es am besten“, stimmten die anderen zu.
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Flunki stieß einen schrillen Pfiff aus, worauf ein anderer Raufbold mit einerzweiten Gondel erschien und Brim, Fidel, Tom und Micel zu einem Ausgangin der Nähe der Beiboote brachte. Die anderen Kinder blieben zurück.
„Habt ihr eigentlich keinen König oder so was?“ fragte Lori und zupftedabei an Flunkis Ärmel.
„König?“ fragte Flunki zurück. Sein ganzes Gesicht drückte Erstaunen aus.„Nie gehört, das Wort.“
„Na, einen Häuptling, Fürsten, Präsidenten oder Diktator. Einen, der allesbestimmt.“
„So etwas gibt es bei uns nicht“, wehrte der Gnom entrüstet ab. „Jeder tutbei uns, was er für richtig hält, was ihm Spaß macht. Wäre ja noch schöner,wenn uns jemand vorschriebe, etwas zu tun, was uns keinen Spaß macht.“
„Und doch funktioniert alles?“ fragte Harpo. „Alle arbeiten?“„Klar doch“, erwiderte der Raufbold. „Arbeit macht schließlich Spaß, wenn
man genau weiß, daß sie nützt. Und außerdem haben wir soviel Zeit, daßArbeit immer eine willkommene Abwechslung ist.“
Die Kinder mußten zugeben, daß Flunki eigentlich recht hatte. Seitdem sieauf der EUKALYPTUS selbständig waren und sahen, wie etwas unter ihrenHänden entstand, waren sie viel fleißiger.
„Wos“, knurrte Flunki, „holtöt öhr von oinör kloinön Sprötztour möt dömSchlöttön?“
Harpo schlug mit der Faust auf den Translator an seinem Armgelenk.„Das Ding scheint einen Rappel zu haben“, sagte Fantasia lachend.„Oinön Rappöl?“ fragte Flunki.Harpo schlug wieder gegen das Gerät, und im gleichen Moment keifte
Flunki: „Der Eierdieb soll mich rauben, wenn das Schneeflöckchen nichteben über mich gelacht hat!“
„Na also, es funktioniert wieder“, sagte Harpo befriedigt. Er erklärte Flunki,daß der Übersetzungsapparat soeben aus seinen Worten etwas Lustiges fabriziert hatte.
„Schade“, knurrte Flunki, „ich hätte gerne mitgelacht.“Flunki wiederholte sein Angebot, eine Schlittenfahrt zu machen, und alle
stimmten begeistert zu. Der Raufbold steuerte die Seilgondel zu ihrem Ausgangspunkt zurück und noch ein ganzes Stück darüber hinaus. „Aussteigen!“rief er dann. „Wir sind da!“
Vor den staunenden Augen der Besucher lag eine Höhle, in der mindestenszwanzig Fahrzeuge einsatzbereit dastanden. Im Vergleich zu den Raufboldenwaren es riesige Dinger, etwa zehn Meter lang. Ihre Aufgabe bestand, wieFlunki erklärte, darin, möglichst schnell viele Pflanzen zu ernten und zumSchneekrabbler zurückzubringen. Am vorderen Teil der Fahrzeuge warenMesserköpfe und Greifarme angebracht, die von innen gesteuert werdenkonnten.
„Wir brauchen sie jetzt nicht“, sagte der Raufbold und ließ sie per Knopfdruck verschwinden, als alle unter der durchsichtigen Glocke der Fahrer
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kabine angelangt waren. Geräuschlos verschwanden die Werkzeuge hintereiner Verkleidung.
In Ruhe betrachteten die Kinder und Lonzo den Schlitten. Er war aus leichtem Metall, hatte eine Steuerkuppel aus glasähnlichem Material, eineschnittige, ovale Form und ähnelte einem Motorboot. Bei den Raufboldenhätten sie eine solche Maschine gar nicht vermutet. Die Kinder staunten, alsFlunki wie ein erfahrener Pilot den Düsenantrieb startete und den Schlittenzischend auf seinen Kufen an die Wand von Borros Panzer herangleiten ließ.
Jetzt wurde verständlich, daß selbst Raumschiffe für die Raufbolde nichtsUngewöhnliches waren, obwohl sie selbst keine besaßen.
Als der Schlitten die Wand erreichte, reagierte Borro sofort. Er öffnete einTor, das groß genug war, um den Schlitten passieren zu lassen. Flunki startetedurch, und im Nu rasten sie Borros schneebedeckten Panzer hinab.
Harpo, Lori und Fantasia quetschten sich die Nasen an der Sichtscheibeplatt, während Lonzo erfreut blubberte. Kein Wunder, denn zum ersten Malseit vielen Stunden befanden sie sich wieder im Freien. Und zum ersten Malsahen sie bewußt das Äußere des Schneekrabblers als das, was es war: alsPanzer eines riesigen Intelligenzwesens.
Aber im Grunde konnte man auch jetzt nicht mehr entdecken als zuvor.Borro sah von außen eben tatsächlich wie ein Hügel aus, der zwar merkwürdig gleichmäßig geformt inmitten einer Gruppe ähnlicher „Hügel“ lag,ansonsten aber unter einer dichten Schneedecke jede vielleicht interessanteEinzelheit geschickt verbarg. Im Hintergrund waren die Beiboote der EUKALYPTUS zu erkennen.
„Hat Borro eigentlich Füße?“ wollte Lori wissen. „Ich meine wie eineSchildkröte?“
„Das will ich meinen“, gab Flunki verschmitzt lächelnd zurück. „Wie sollteer sich sonst bewegen? Und er hat sehr große Füße, das dürft ihr mir glauben,Freunde. Seht mal genau hin. Dort drüben entstehen doch in regelmäßigenAbständen so kleine Trichter im Schnee. Gesehen?“
„Gesehen!“ schrien die Kinder.„Dort sind seine Füße“, fuhr der Raufbold fort. „Beim Vorwärtsbewegen
stürzt immer etwas lockerer Schnee nach. Und jetzt schaut mal nach hinten.Glaubt ihr jetzt, daß Borro sich bewegt?“
Flunki hatte recht. Ganz deutlich sah man hinter den Schneekrabblern tiefeFurchen in der weißen Landschaft, die genau der Hügelbreite entsprachen.Aber man mußte vorher wissen, auf was man zu achten hatte, um ihre Bedeutung zu erkennen. Und der eisige Wind wehte bereits wieder Schnee indie Mulden und ebnete alles ein.
„Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß es in dieser Einöde Pflanzenund Tiere geben soll“, murmelte Harpo mit gerunzelter Stirn.
„Abwarten“, brummte Flunki und drückte einen anderen Knopf. Jetztbohrte der Schlitten seine spitze Nase tief in den Schnee hinein. Es wurdedunkel, so daß Flunki in der Kabine ein mattes Licht einschalten mußte. Ander Spitze des Fahrzeugs flammten Suchscheinwerfer auf.
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„Jetzt!“ schrie Flunki. Im gleichen Moment brach der Schlitten durch dieSchneedecke und glitt über einen Pflanzenteppich, der die weiche, weißeMasse wie ein Dach vom Boden des Planeten fernhielt.
Eine völlig neue Welt tat sich vor den Augen der überraschten Besucherauf. Sie war wohl dunkel und ohne Sonnenlicht, aber dennoch bedecktedichter Pflanzenwuchs den schwarzen Boden des Planeten. Das war so überraschend wie der Formen – und Farbenreichtum, den man mitunter tiefunten auf dem Grund der Ozeane finden konnte, bevor die großen Chemiekonzerne das Wasser auf der Erde vergiftet hatten.
„Die Pflanzen arbeiten ähnlich zusammen wie die Schneekrabbler undwir“, erklärte Flunki nicht ohne Stolz. „Symbiose nennt man das. EinzelneGewächse gedeihen nur am Körper von anderen. Gerade sie wachsen aberdurch den Schnee bis zum Sonnenlicht durch. Dort zersetzen sie sich,schmelzen durch eine chemische Reaktion kurzzeitig Löcher in den Schneeund führen dadurch Licht und Wasser für die anderen Pflanzen nach unten.“
„Und so sieht es überall auf dem Planeten aus?“ fragte Harpo verblüfft.„Nein“, erwiderte Flunki lachend. „Natürlich nicht. Tatsächlich muß man
solche Gebiete mit der Lupe suchen; so, wie man auf der Erde eine Oase inder Wüste finden muß. Aber im Aufspüren dieser Gewächszonen sind dieSchneekrabbler nun einmal wahre Meister. Überdies gibt es auf unsererWelt auch ein ewiges Sommergebiet, wo man keinen Schnee findet. In derÄquatorzone.“
„Und warum geht ihr da nicht hin? Dann müßtet ihr die Pflanzen unter derSchneedecke nicht so mühsam abernten.“
Flunki zuckte die Schultern. „Die Sommerzone ist schmal. Außerdemkönnte sie die Krabbler schon aus dem Grunde nicht ernähren, weil die dortherrschende Wärme andere Gewächse produziert. Nämlich solche, die dieKrabbler nicht mögen. Die dort lebenden Tiere sähen es sicher auch nichtgern, wenn eine Herde unserer Partner ihnen in ein paar Monaten alles ratzekahl leerfressen würde.“
„A propos sehen“, warf Lori ein. „Kann Borro denn überhaupt sehen?Frieren ihm bei dieser Affenkälte nicht die Augen zu?“
„Bei Rastus und seinen vierzig Äxten“, meinte Flunki, „das würden sie tatsächlich tun. Aber keine Sorge, Schneeflöckchen, unsere Partner brauchenkeine Augen. Ihre telepathischen Talente genügen völlig, um jedes andereSinnesorgan zu ersetzen.“
„Bitte, lieber Flunki“, bettelte Lori, „ich möchte so gern etwas mehr vonBorro sehen. Können wir nicht näher an ihn heranfahren?“
„Klar, machen wir!“ versprach Flunki gutgelaunt und betätigte das Steuerdes Schlittens.
„Heißt Flagge!“ brüllte Lonzo salutierend los. „Riesige Quadratlatschenvierzig Grad Ost! Was sehen meine pulvergeschwärzten Piratenaugen?“
Tatsächlich kam in diesem Moment ein Gebilde ins Gesichtsfeld der Beobachter, das dreimal so groß war wie ihr Schlitten. Man mußte erst einmal denBlick hin und her schweifen lassen, bis man die einzelnen Zehen erkannte
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und die dicke, schuppige Haut. Das sah wahrhaftig aus wie der dicke, tapsigeFuß einer Schildkröte in Großaufnahme. Und ganz ohne Zweifel konnte mannun auch ausmachen, daß er ganz gemächlich, im Zeitlupentempo, angehoben und wieder abgesetzt wurde.
„Borro!“ flüsterte Lori entzückt.„Du suchst dir nicht gerade kleine Spielgefährten aus, mein Schneeflöck
chen“, brummte Flunki gutmütig und strich ihr über die blauschwarzen Locken. „Den Burschen da wirst du nicht so leicht zum Schmusen mitnehmenkönnen ...“
Stimmen in der Nacht
Leise summend glitt Flunkis Motorschlitten über den Schneeteppich. Siehatten Borro bereits weit hinter sich gelassen und steuerten auf das offeneLand jenseits der SchneekrabblerKolonne hinaus. Archimedes stand imZenit und schüttete ein Lichtmeer aus. Nur selten konnte man zwischen demWeiß einen Vegetationsstreifen entdecken. Der Schnee reflektierte dasSonnenlicht so stark, daß den Kindern bald die Augen brannten.
„Beim fröstelnden Eierdieb!“ rief Flunki und schlug sich mit der Handfläche gegen die Stirn. „Hab’ ich doch tatsächlich vergessen, euch Sonnenbrillen zu verpassen!“ Aufgeregt kramte er in der Ablage unter demArmaturenbrett, bis er mehrere Brillen hervorzerrte. Die Gestelle waren sobiegsam, daß man sie den Köpfen der Kinder anpassen konnte.
Die dunklen Brillengläser ließen die Landschaft in einem ganz anderenLicht erscheinen. Harpo deutete auf einen abgerundeten weißen Hügel amHorizont. „Was ist das, Flunki? Ein einzelner Krabbler?“
Der bärtige Raufbold kniff die Augen zu kleinen Schlitzen zusammen. „DasHügelchen dort? Ein verlassener Iglu. Habt ihr Lust, ihn zu besichtigen?“
„Klar!“ war die einmütige Antwort.Und Lonzo fügte hinzu: „Ein Iglu? Dann habt ihr wohl auch Eskimos, Eis
bären und Pinguine?“Der Raufbold lachte dröhnend. „Abwarten“, meinte er grinsend.Nach wenigen Minuten war der Schlitten bis auf zehn Meter an das Ziel
herangefahren. Mit jeder Sekunde beeindruckte die halbkugelförmige, aus dicken Schnee und Eisblöcken zusammengesetzte Kuppel ein Stückchenmehr. Sie schien gut zwanzig Meter hoch zu sein.
„Donnerschlag!“ rief Lonzo anerkennend. „Die Schneemaurer verstehenwirklich etwas von ihrem Fach.“
Der Schlitten rutschte noch ein Stückchen vorwärts und bohrte sich dannin den Schnee. Alle sprangen hinaus. Ein bißchen Bewegung tat gut, denn dieengen Sitze des Motorschlittens waren für die kleinwüchsigen Raufbolde gedacht und ließen den Beinen wenig Bewegungsfreiheit.
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Der Boden hier wirkte härter als anderswo und sah aus, als hätten ihn vieleFüße festgestampft. Harpo, Fantasia und Lori staunten das Bauwerk an undgingen langsam näher. Der Iglu hatte einen Umfang von mindestens 150 Metern und war auch noch weitaus höher, als sie anfangs geschätzt hatten. Inregelmäßigen Abständen fehlten einzelne Schneequader in den Wänden,vermutlich, um genügend Sonnenlicht hineinzulassen. Ein zehn Meter langerTunnel führte in das Innere und war so geräumig, daß man auch bequem mitdem Schlitten hätte hineinfahren können.
Vor den Besuchern lag ein riesiger runder Saal: der gesamte Innenraum desIglus ohne Unterteilungen oder stützende Pfeiler. Das einfallende, flirrendeSonnenlicht malte bizarre Kringel auf den festen Schneeboden und ließ dieweißen Atemwolken der Kinder wie Dampf aufsteigen. Die Atmosphäre hatteetwas von der besinnlichen Ruhe und Feierlichkeit einer Kathedrale.
Nur Flunki zeigte sich wenig beeindruckt. „Kalt und ungemütlich“, knurrteer. „Da lobe ich mir doch unseren lieben Borro. In dem läßt es sich wohnen!“
„Jedem das seine“, quakte Lonzo, dem Empfindungen wie Wärme und Kälte fremd waren. „Ein Fisch findet es eben im Wasser schön und ein Teufel inder Hölle. Und Captain Kidd fühlte sich nur wohl, wenn er Holzplanken unterden Füßen hatte.“
„Wer hat dieses Ding gebaut?“ fragte Harpo. „Raufbolde etwa, die keinenSchneekrabbler bekommen haben?“ Konnten die kleinen Burschen solcheRiesenbauwerke überhaupt errichten?
„Nein, nein“, rief Flunki. „Das würde uns niemals einfallen. Die Faulpelzebauen solche Iglus.“
„Die Faulpelze?“ fragten die Kinder und lachten.„Habt ihr noch keinen von diesen Burschen gesehen? Große Flegel mit
Haaren am ganzen Leib? Na ja, eigentlich heißen sie Rotpelze. Der Hauptzweck ihres Lebens scheint Schlittenfahren zu sein.“ Flunki grunzte verdrießlich.
„Ein angenehmeres Leben kann man sich doch gar nicht vorstellen“, warfLonzo ein und kümmerte sich wenig um den mißbilligenden Blick, den ihmdaraufhin der Raufbold zuwarf.
Harpo erinnerte sich an die geheimnisvollen, bärenhaften Gestalten in derersten Nacht auf dem Planeten. Als er Flunki davon erzählte, riß der kleineMann empört Mund und Augen auf und schrie: „Ha! Haben die Nichtsnutzewieder einmal unseren Borro als Rutschbahn mißbraucht! Diese Burschenhaben keinen Respekt! Der Schneegockel möge seine Eier im Fluge auf ihreKöpfe werfen!“
So wütend sich das auch angehört hatte: Es fiel wieder einmal allen schwer,den Raufbold ernst zu nehmen. Jetzt prasselten tausend Fragen auf Flunkiein, so daß er notgedrungen etwas mehr über die Faulpelze erzählen mußte.
„Sie leben in Clans wie wir Raufbolde und ernähren sich vom Fischfang“,ließ er seine Gäste wissen.
„Wo soll es denn hier Fische geben?“ fragte Harpo. „Bisher haben wir weitund breit keinen Fluß entdecken können.“
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Flunki schmunzelte. „Es gibt aber welche, nur verlaufen sie unterirdisch.Die Faulpelze hacken Löcher in die Eisdecken zugefrorener Seen und tauchen hinab, um ihre Fangnetze auszuwerfen.“
Fantasia schüttelte sich. „Brrrrrrr! Bei dieser Kälte?“„Es sind eben harte Burschen – und faule Flegel natürlich.“ Flunki zwin
kerte mit einem Auge und erzählte dann, daß die Bären einen Heidenrespektvor den viel kleineren und schwächeren Raufbolden hatten. Den Grund umschrieb er recht blumig, aber wie es schien, hatte dies mit dem selbstbewußten Auftreten und der deftigen Sprache der kleinen Männer zu tun. Damitschüchterten sie die Rotpelze ganz schön ein.
„Wieso haben die Faulpelze denn ihren Iglu verlassen?“ lispelte Lori. „Er istdoch noch sehr schön!“
„Treffend bemerkt, verehrte Frau Powitz“, stimmte Lonzo zu. „Nirgendwoist auch nur die allerkleinste Roststelle zu entdecken.“
„Ha!“ rief Flunki. „Weil Borro und die anderen Krabbler sich langsam nähern. Die Faulpelze senden Späher aus und verziehen sich, sobald sie unsereSchneekrabbler am Horizont ausmachen.“
„Weil die Iglus sonst plattgewalzt werden?“„Deshalb nicht. Aber unsere Leute können es nun einmal nicht lassen, die
Burschen kräftig anzuraunzen, wenn sie im Schnee liegen und sich die Sonneauf den Bauch brennen lassen. Wenn wir kommen, suchen die Faulpelze dasWeite. Das war schon so, als ich noch ein kleiner, winziger Wichtel war.“ Ersagte das mit solch einer Überzeugungskraft, daß man ihn glatt für einenRiesen hätte halten können. Dabei überragte er die kleine Lori gerade umeinen Zentimeter. Und das auch nur, weil er einen Helm trug!
Etwas enttäuscht meinte Harpo: „Wie schade, dann werden wir sie wohlnicht zu Gesicht bekommen. Na egal, Nordpol hat uns sicher noch mehr zubieten, oder?“
„Das will ich meinen!“ Flunki reckte sich stolz, wobei ihm der Helm fastüber die Augen rutschte. „Wartet nur ab, bis der Sommer kommt, nächsteWoche um drei Uhr! Dann kreucht und fleucht, kriecht und rennt, krabbeltund wetzt, wimmelt und wummelt es hier nur so. Im Moment haben natürlich die meisten Tiere ihre Schnarchzeit. Habt ihr schon mal Vögel gesehen,die größer sind als Lonzo? Salamander, auf denen man reiten kann? Undwunderschöne, meterlange Würmer?“
„Igitt!“ quiekte Lori. „Würmer! Gibt es bei euch keine Hasen?“„Kleine Hopser mit langen Ohren“, erklärte Lonzo auf Flunkis verständnis
losen Blick hin.„Wißt ihr was?“ fragte der Raufbold und trommelte sich mit den Fäusten
vor Begeisterung gegen die Brust. „Wir übernachten hier und schleichen unsmorgen zum Ufer des FettbauchfischSees! Vielleicht könnt ihr dort ein paarrotfellige Faulpelze beim Fischen beobachten.“
Das war ein Wort! Freudig stimmten alle zu. Während Lonzo Decken undVerpflegung aus dem Schlitten holte, wobei ihm seine vier Greiftentakel einegroße Hilfe waren, informierte Flunki über Funk seine Leute.
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Nach dem Zwielicht der Dämmerung kamen die ersten Sterne zum Vorschein. Flunki hatte einen Spezialkocher aufgebaut und zauberte im Nu einduftendes Mahl. Schon beim Schnuppern wurde man richtig hungrig.
Lonzo brummte: „Beeilt euch, edler Lord Flunki! Der Kohldampf schnürtmir schon die Eingeweide zusammen!“
Aber Flunki kramte nur in seinen Taschen und reichte ihm mit einemartigen „Aye, aye, Sir!“ zwei Trockenbatterien und ein Ölkännchen.
„Guten Hunger, Steuermann!“Lonzo beäugte beides mit großem Mißtrauen und gab es mit der Be
merkung zurück, das eine sei entschieden zu trocken für einen Seemann, dasÖl hingegen zu fett. Schließlich müsse er auf seine Linie achten, sonstwürden ihn die Robotermädchen nicht mehr anschauen.
In der Nacht erwachte Harpo. Lori schlief unter ihren Decken. Flunkischnarchte so laut, daß davon der Boden erzitterte. Lonzo hatte sich wohlabgeschaltet, um Energie zu sparen. Jedenfalls hockte er reglos auf demBoden und hatte nicht das gewohnte Funkeln in den Sehzellen. Nur Fantasiahob fragen den Kopf. „Ist was?“ flüsterte sie.
Beruhigend erwiderte Harpo: „Nee, was soll sein?“ Zwar hatte er ein ungewohntes Geräusch gehört, glaubte es gehört zu haben, aber bevor er nichtsGenaues wußte, wollte er andere nicht unnötig beunruhigen.
„Das sind doch Stimmen!“ murmelte Fantasia und setzte hinzu: „Harpo,dort draußen ist jemand!“
„Pschscht!“ machte Harpo, schälte sich aus den Decken und reichte demrothaarigen Mädchen die Hand. Sie fühlte sich feucht an. Gemeinsam krochen die beiden zum Ausgang des Iglus. Im Eingangstunnel wurden die Geräusche immer deutlicher. Rotpelze?
Harpo und Fantasia hatten Angst. Was ging dort draußen vor? Leise pirschten sie weiter. Etwa fünf Meter vor dem Ausgang stand ein Schlitten, dernicht Flunki gehörte, aber entfernte Ähnlichkeit mit den Schlitten der Raufbolde hatte. Auf den zweiten Blick erkannte man, daß die Glaskuppel, die früher einmal vorhanden gewesen war, jetzt fehlte. Der Schlitten machte vonvorn bis hinten einen ungepflegten Eindruck. Fast schien es, als habe ihn jemand in letzter Sekunde vor der Müllkippe bewahrt. Ein grimmiger, hünenhaft wirkender Rotpelz, der sicher nicht kleiner als Karlie Müllerchen war,verstaute prallgefüllte Säcke auf der Ladefläche. Er stieß dabei ein leisesKnurren oder Brummen aus.
Jetzt erkannten die heimlichen Beobachter noch zwei andere Bärenwesen,die in einem frisch ausgehobenen Schneeloch an der Igluwand standen undweitere Säcke hinaufwuchteten. Sie legten ein ganz hübsches Tempo vor.
Harpo und Fantasia tauschten einen fragenden Blick. Was hatte das nur zubedeuten? Was holten die Bären aus der Erde? Einen vergrabenen Schatz?Vielleicht gehörte ihnen gar nicht, was sie dort auf den Schlitten luden?
Harpos Wangen begannen zu glühen. Mann, oh Mann! Das war einAbenteuer nach seinem Herzen! Eine geheimnisvolle Rotpelzbande, die ihrevergrabene Beute verlud, die vielleicht gefährlich war und das Messer locker
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sitzen hatte. Und er, Harpo Trumpff, Chronist und Logbuchführer der EUKALYPTUS, saß mitten im Brennpunkt des Geschehens.
„Wir müssen herauskriegen, was sie treiben“, wisperte er leise. Fantasianickte.
Wie zwei Schatten huschten die beiden auf die Rückwand des Schlittens zu,während Rotpelz Nummer drei gerade zu den anderen zurückging.
Mit fliegenden Fingern versuchte Harpo einen der mit Lederschlingen verknoteten Beutel zu öffnen. Umsonst, die Säcke waren hart wie gefrorene Erdeund ungeheuer schwer. Fantasia hatte plötzlich zwei leere Beutel in der Handund zischte aufgeregt: „Hahaharpo! Er kommt zurück!“
Die beiden Rotpelze im Schneeloch hatten ihre Arbeit eingestellt und halfen sich gegenseitig hinaus, während der dritte bereits wieder auf denSchlitten zuging. Nicht nur, daß der Iglueingang im Sichtfeld der beiden Bären lag, jetzt bewegten sie sich auch noch schwatzend genau auf diesen Eingang zu. Harpo und Fantasia war der Rückweg abgeschnitten.
Die beiden durchfuhr ein eisiger Schreck. Aber Fantasia, die sonst immerso schnell nervös reagierte, kam auf eine phantastische Idee und setzte sienach blitzartiger Verständigung mit Harpo in die Tat um: Beide kletterten aufdie Ladefläche des Schlittens, schlüpften hinter die Fracht und halfen sichdann gegenseitig in die beiden leeren Säcke, die Fantasia gefunden hatte. Sieduckten sich und spielten Fracht. Mit pochenden Herzen warteten sie darauf,daß der Schlitten sanft anfuhr. Dann wollten sie sich in den weichen Schneerollen und unbemerkt zum Iglu zurückkehren.
Aber es kam anders. Der Schlitten ruckte nur kurz an und hielt wieder, weileiner der Rotpelze zwei nachlässig verstaute Säcke entdeckte, die nicht einmal zugebunden waren. Er zerrte die Säcke zur Mitte der Ladefläche undverschnürte sie.
Die beiden Kinder hatten diese unerwartete Wendung mit Todesangst verfolgt, ohne recht zu begreifen, was geschehen war. Fest stand plötzlich nur,daß sie sich aus eigener Kraft nicht befreien konnten. Das Versteck war zueinem Gefängnis geworden. Das Beste, was sie aus der Situation machenkonnten, war, sich so ruhig wie möglich zu verhalten. Summend jagte derSchlitten in die Nacht hinaus. Der riesige Iglu war bald zu einem winzigenPunkt am Horizont zusammengeschrumpft.
Das Lager der Rotpelze
Harpo erwachte, als behaarte Hände seine Nase berührten. Die Sonne schien ihm in sein Gesicht, und er mußte niesen. Aber das machte ihn vollständigwach.
Herrjeh! Er war eingeschlafen!
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Mehr als ein Dutzend Rotpelze umstanden den Schlitten und stießenerstaunte Rufe aus. Ein sehr kleines Exemplar dieser Spezies, das kaum größer als Lori Powitz war, klammerte sich an einen der großen Bären undbrummte ängstlich: „Huh! Zwei Ungeheuer, Mama! Ich fürchte mich!“
Die anderen Bären lachten. Daran, daß Harpo den kleinen Rotpelzverstanden hatte, konnte man erkennen, daß der Translator die ganze Nachtüber bereits genügend Vokabeln der neuen Sprache aufgenommen hatte,um mühelos zu übersetzen. Die Bären beachteten den Translator nicht weiter. Vermutlich hatten sie sich an das Gerät bereits gewöhnt. Harpo mußte imLaufe der Nacht ungewollt den Einstellknopf betätigt haben, denn er war sicher, daß er das Gerät vor dem Schlafengehen abgeschaltet hatte. Vermutlichhatte das plötzlich einsetzende Quaken aus dem Sack – so mußte den Rotpelzen die Tätigkeit des mechanischen Übersetzers vorgekommen sein – sogar zur Entdeckung der blinden Passagiere geführt.
Auch Fantasia krabbelte jetzt mit strubbligem Haar aus ihrem Sack undmusterte mit verstörten Blicken die Umgebung.
Die Rotpelze – in der Mehrzahl waren sie gut zwei Meter groß – hatten einweiches, rötlichbraunes Fell am ganzen Körper, auch im Gesicht, sowiekleine, runde Ohren und überhaupt sehr viel Ähnlichkeit mit irdischenBraunbären. Sie klopften sich vor Vergnügen auf die Schenkel. Jemand faßteHarpo wie eine Katze am Kragen und hob ihn mühelos hoch. Eine laute Baßstimme grunzte: „Habt ihr so etwas schon gesehen, Kumpels? Ich wette, ihrhabt es noch nicht gesehen! Das ist der größte Zwerg unter der Sonne!“
„Der erste Raufbold ohne Bart!“ rief ein anderer.„Er ist wahrhaftig größer als jeder Raufbold, den ich kenne“, meinte ein
dritter.„Wie viele kennst du denn?“„Zwei.“So ging es weiter, bis der Rotpelz Harpo sanft zu Boden gleiten ließ und
brummte: „Was wollt ihr bei uns, ihr Winzlinge? Wollt ihr etwa unserenSchneemann stehlen?“
Die Umstehenden gaben wieder ein brummelndes Gelächter von sich, daseigentlich ganz gemütlich klang. Fantasia rutschte auf den Knien auf Harpozu und klammerte sich an ihn. Mehrere Rotpelzkinder umkreisten die beidenzögernd und zupften zaghaft an ihren Haaren.
„Die kleine Raufboldfrau könnte fast eine von uns sein“, sagte jemand.Feingliedrige Finger strichen über Fantasias rote Haarpracht, die wie Kupferin der Sonne leuchtete. Aber sonst hatte Fantasia eigentlich wenig Bärenhaftes an sich ...
„Harpo, ich ... fürchte mich“, gestand sie leise.„Ich mich auch“, gab Harpo zu.„He“, rief an Rotpelz aus, „habt ihr das gehört? Die Raufbolde fürchten sich
vor uns!“„Ahem“, räusperte sich Harpo. „Wir sind gar keine Raufbolde, sondern
Menschen.“
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„Menschen?“ Erstaunt sahen Harpo und Fantasia mit an, wie die Rotpelzesich reihenweise auf die Bäuche warfen und prustend vor Lachen mit denFäusten auf den Boden trommelten. „Welch ein komisches Wort! Hahaha!“
Ihr Gelächter schwoll zu einem wahren Orkan an.Kaum hatten sie sich etwas beruhigt, fing einer wieder an, brummte: „Men
schen!“, und schon lagen wieder alle vor Lachen am Boden. Weitere Lachanfälle folgten, als Harpo und Fantasia ihre Namen nannten. Offenbarerzeugte die Lautkombination in den Rotpelzen Heiterkeit, denn das Lachenbegann immer schon, bevor der Translator sich an einer Übersetzung versuchte.
Ein dicker Rotpelz, der sich die Lachtränen mit einer Pfote aus den Augenwischte, sagte glucksend: „Ich heiße Fettwanst! Und dies hier“ – dabei deutete er auf zwei ihm ziemlich ähnliche Bären – „sind meine Brüder Vielfraß undHeringsbändiger. Das sind doch Namen, die etwas bedeuten! Aber eure? Pah,die sind einfach nur witzig.“
Nun lachten die Kinder. Die Rotpelze sahen sich erstaunt an. Nicht imTraum wären sie darauf gekommen, daß ihre Namen für fremde Ohren ebenfalls lustig klangen. Murmelnd umstanden sie Harpo und Fantasia und kratzten sich verlegen hinter den Ohren.
Beinahe alle Mitglieder des Clans hatten inzwischen den Iglu im Hintergrund verlassen und die unfreiwilligen Gäste bestaunt. Harpo faßte sichein Herz, stand mutig auf und entschuldigte sich für die heimliche Schwarzfahrerei.
„Macht nichts“, brummte Fettwanst leutselig. „Seht euch unseren Iglu anund seid für ein paar Wochen unsere Gäste. Wir fressen niemanden – es seidenn Fische. Und da ihr ja keine Raufbolde seid, werdet ihr uns sicherlichauch nicht mit Quengeleien auf den Wecker fallen.“ So übersetzte es zumindest der Translator, obwohl die Bären wahrscheinlich gar keinen Weckerkannten.
Im Innern des Iglus rannten Rotpelze geschäftig hin und her und wirktenüberhaupt nicht so faul, wie das nach Flunkis Erzählungen geklungen hatte.Fettwanst führte seine Gäste herum, zeigte ihnen die Vorräte an eingefrorenen Fischen und erklärte, daß die geheimnisvolle Fracht des Schlittens ausDingen bestand, die man in der Eile des Umzugs hatte zurücklassen müssen.Ein Schatz war der Inhalt der Säcke nicht gerade, für die Bären aber anscheinend doch: verpackte Felle, Decken, Kochgeschirr, Gewürze, Angelzeugund Netze.
Nachdem die wichtigsten Sehenswürdigkeiten betrachtet waren, lud Fettwanst die Kinder in seine Familienecke ein. Sie lernten seinen kleinen Sohnkennen. Er hieß Räucherfischvertilger, aber Harpo und Fantasia nannten ihnAlexander. Fettwansts Frau, eine gemütliche rundliche Bärin, lud sie freundlich zu einer wohlschmeckenden und stark gewürzten Fischsuppe ein, die gerade über einem offenen Feuer kochte. Anschließend zeigte Alexander stolzseine Angelhakensammlung.
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Obwohl Harpo und Fantasia unbepelzt waren, froren sie in ihren warmenAnzügen kein bißchen.
Nachdem sich die erste Aufregung gelegt hatte, ging das Leben der Rotpelze schnell wieder den gewohnten Gang. Harpo und Fantasia besichtigtendie Arbeitsplätze der Bären, sahen ihnen beim Flicken beschädigter Netze zuund bestaunten eine kleine Schreinerei, in der ein schon graufelliger Rotpelzgemeinsam mit zwei Lehrlingen einen Schlitten herstellte. Da Schlitten dieeinzigen Transportmittel für die Bären waren, war diese Arbeit sehr wichtigund wurde deshalb auch von Jüngeren im Clan interessiert beobachtet.
Es stellte sich heraus, daß es keine ausgesprochenen Spezialisten unter denRotpelzen gab. Auch der graue Schreiner ging sonst fischen wie die anderen.Jeder konnte jeden ersetzen, und niemand bildete sich etwas darauf ein,wenn ihm die eine oder andere Arbeit besser von der Hand ging als demNachbarn.
„Ihr lebt ziemlich einfach“, sagte Harpo zu Alexander. „Wie kommt ihrdann zu dem Motorschlitten?“ Die Frage war berechtigt, denn die anderenSchlitten der Rotpelze waren simple Holzschlitten ohne Antrieb.
„Oh“, erwiderte Alexander. „Wir fanden ihn unter einer Schneewehe. Erwar wohl steckengeblieben und dann festgefroren. Wir haben ihn aus demEis herausgetaut und wieder aufgemöbelt. Es ist unser einziger, weshalb wirauch sehr sorgsam mit ihm umgehen. Alle anderen Fahrzeuge müssen wirleider selbst ziehen.“
Später feierten die Rotpelze zu Ehren ihrer Gäste ein Fest. Fässer wurdenherangerollt und hölzerne Becher herumgereicht. Es roch nach Tran. EinDutzend Rotpelze stellte sich in zwei Reihen auf und begann mit einem lustigen, watschelnden Tanz, bei dem sie jedesmal, wenn sie sich den Rückenzukehrten, die Hinterteile gegeneinanderknallten und dabei laut jauchzten.Harpo und Fantasia sahen lachend zu, bis Fettwansts Bruder Vielfraß herbeigerannt kam, einige Bären beiseite schob und rief: „Ein Schlitten nähertsich! Am Steuer habe ich einen Raufbold und einen komischen Kerl miteinem Eisenkopf und Schlangenarmen erkannt!“
„Das ist Lonzo!“ Bisher hatten sich die Rotpelze nicht sonderlich für dieHerkunft der beiden Menschen interessiert, und deshalb war auch Lonzonoch nicht im Gespräch gewesen. Harpo und Fantasia fiel jetzt siedendheißein, daß sie über all dem Neuen nicht mehr an die Freunde gedacht hatten.Schnell erklärten sie ihren Gastgebern, daß dort Freunde nahten, von denennichts zu befürchten war.
Daraufhin strömten brummelnde Rotpelze vor dem Iglu zusammen,drängten aus allen Familienecken heran und steckten neugierig ihre witternden Nasen den Neuankömmlingen entgegen.
Flunkis Motorschlitten umkreiste donnernd das Schneegebäude und hieltschließlich genau vor dem Eingang. Der Motor spuckte noch einmal, dannfuhr die Glaskuppel zurück, und Lonzo tauchte auf. Die Bänder seiner Seemannsmütze flatterten im Wind. Harpo stand mit gesträubtem Bart nebenihm und reckte drohen die Fäuste.
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„Beim Barte des Propheten!“ quäkte Lonzos blechernes Organ über dieEbene. „Rückt sofort die entführten Matrosen heraus, sonst setzt es Hiebe!Habt ihr verstanden? Die sieben Plagen schicke ich euch auf den Hals! Hierspricht der bekannte und allseits gefürchtete Admiral von Schleifstein undTuttlingen und rasselt mit dem Tentakel ... äh, mit dem Säbel!“
„Har, har“, grunzte Fettwanst belustigt und sichtlich unbeeindruckt.„Captain Kidd, feuern Sie eine Breitseite gegen den Dicken ab, der eben ge
lacht hat!“ schnauzte Lonzo.„Was will der Eisenkerl, Papi?“ fragte ein kleiner Rotpelz.Lonzo wirbelte mit seinen schlangengleichen Tentakeln, während Flunki
wutschnaubend Schattenboxen übte und danach seine Schnurrbartendenzwirbelte. Von Lori Powitz konnte man kaum mehr als die Nasenspitze sehen, weil die Bordwand ziemlich hoch war.
„Lonzo flunkert wider, daß die Heide wackelt“, kicherte Fantasia.„Wir haben eure Spur im Schnee verfolgt!“ wetterte Lonzo weiter. „Ausre
den sind absolut zwecklos! Wenn Harpo und Fantasia nicht sofort ihreGesichter zeigen, werfe ich mit Schneebällen! Oder ich reibe den Dicken, dervorhin gelacht hat, mit Schnee ein!“ Er drehte sich zu Flunki um und kläffte:„Captain Kidd, machen Sie die Schneebälle klar!“
Flunki streckte den Rotpelzen die Zunge heraus und legte die Handflächenhinter die Ohren.
Lachend rannten Harpo und Fantasia auf den wartenden Schlitten zu.„Lonzo!“ schrie Harpo und winkte. „Du kannst aufhören, wir sind putz
munter. Niemand hat uns etwas getan!“ Rasch erklärten die beiden, wie sie indieses Abenteuer geschlittert waren.
Lonzo nahm seine Mütze ab und lispelte: „Nix für ungut, meine Bärinnenund Bären. Ich bitte um Entschuldigung, Herr Bärenmeister! Vergeben Sieeinem alternden Rocker seine bösen Worte, dann werde ich Ihnen auch malmein Motorrad leihen!“
Die Rotpelze brüllten und brummten vor Lachen. Viele stürmten nun aufLonzo los und wollten ihn unbedingt betasten. Im Triumphzug wurde er inden Iglu getragen.
Flunki, der die Rotpelze sichtlich ignorierte, stiefelte mißtrauisch über denmit Tierhäuten ausgelegten Boden, rümpfte die Nase und meckerte, weil niemand einen roten Teppich für ihn ausgerollt hatte. „Immerhin“, knurrte er,„kommt es nicht alle Tage vor, daß einer der bekannten und beliebten Raufbolde in einem FaulpelzLager erscheint.“
Das hatte ein Rotpelz namens Alleswisser gehört. Er baute sich grunzendvor Flunki auf. „Hast du FaulpelzLager gesagt?“ schimpfte er los. „Ich möchte dir altem Quengelbruder einmal sagen, daß, als es vor sechshundert Jahrendarum ging, den Krabbler Jupp, der sich überfressen hatte, aus einem Erdloch zu ziehen ... also, daß damals wir Rotpelze ihn mit vereinten Kräften ...“
„Ha!“ rief Flunki mit hochrotem Kopf. „Jawoll, vor sechshundert Jahrenhabt ihr zuletzt richtig gearbeitet und seitdem auf der faulen Haut gelegen!
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Und selbst damals habt ihr die gesamten Wintervorräte der Raufbolde aufgefressen, so daß Jupp beinahe verhungert wäre!“
„Habt ihr uns damals zu einem Imbiß eingeladen oder nicht?“ entgegneteAlleswisser. „He?“
„Imbiß!“ röhrte Flunki. „Sagtest du Imbiß? Dieser Imbiß hätte für meinenClan ein Jahrzehnt gereicht! Wenn damals der einzige Rotpelz, den selbst wirRaufbolde ehren und achten, euch nicht davon abgehalten hätte ...“
„Hühnerschreck?“ höhnte Alleswisser mit gefletschten Zähnen. „Der war janicht einmal richtig rot! Eher hatte er ein rotbraunes Fell ...“
„Willst du mich etwa der Lüge bezichtigen?“ kreischte Flunki und machteseinen bekannten Luftsprung, wobei er sich fast überschlug. Der Helmrutschte ihm über die Augen. „Frostwanzen und Schneekakerlaken! Eisnattern und Graupelwürmer! Haltet mich fest, damit ich diesen Wicht nichtanfalle!“
Die Rotpelze, die beide Streithähne in einer dichten Traube umlauerten,klatschten bei diesem Ausbruch spontan Beifall. Offensichtlich führten Flunki und Alleswisser hier eine Art Theaterstück auf. Harpo manipulierte an seinem Translator, während Flunki und der Rotpelz weiterhin aufeinandereinhackten. Die Kinder bekamen eine „gereinigte“ Fassung der Schimpfkanonaden zu hören und hielten sich dabei den Bauch vor lachen.
Flunki schrie: „Du schnatternder Eisvogel! Du wagst, meine Worte durchden Dreck zu ziehen? Zieh blank, Halunke, und kämpfe wie ein Mann! Niemals in meinem Leben lief mir ein solcher Frechling über den Weg! Mein beleidigtes Blut schreit nach Raaache!“
Der Translator übersetzte jedoch diplomatisch: „Herr Kommerzienrat, sicherlich haben sie meine Worte mißverstanden. Ich bitte Sie freundlich,lassen Sie uns darüber nicht streiten. Ich bin sicher, daß alles nur meineSchuld ist. Ich verzeihe Ihnen großmütig und bitte Sie, mir huldvoll die gleiche Ehre zu erweisen! Lieber Herr Professor!“
Alleswisser höhnte: „Giftzwerg! Schrapphals! Der Lindwurm möge dich inden Hintern beißen! Dieser Winzling wagt es, mir in einem solchen Gossenjargon seine vor Unbildung strotzenden Beleidigungen an die Rübe zuwerfen! Ich schnappe über! Ich werde verrückt! Wo ist mein Knüppel? Bringtmir sofort meinen dicksten Knüppel!“
Der Translator übersetzte brav: „Verehrter Herr Generaldirektor, verzeihenSie die Unbeherrschtheit meiner Ausführungen. Zweifellos war ich es, derihre Worte falsch auslegte. Jetzt verstehe ich alles viel besser. Vielen Dank!Darf ich Sie zu einem Umtrunk in meine bescheidene Familienecke einladen?“
„Nun ist es aber genug“, keuchte Harpo lachend. Aber der letzte Satz schienecht gewesen zu sein, denn Flunki und Alleswisser marschierten Arm in Armdavon, was ziemlich komisch aussah, weil der große Rotpelz sich dabei aufalle viere hinablassen mußte.
„Jetzt wird ein Fläschle Wein gesoffen und ein lustig Lied gepfoffen“,vermutete Lonzo.
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Und Fettwanst fügte hinzu: „In Wahrheit sind die beiden seit Jahren dickeFreunde. Sie tun immer nur so, als könnten sie sich nicht ausstehen, hihi!“
Die Reise ins Sommerland
Am nächsten Tag fragte Lori den erstaunten Fettwanst: „Sag mal, Fettwanst, wer ist der Häuptling dieses Iglus?“
Der Rotpelz kratzte verständnislos seine Nase. „Häuptling?“ meinte er entgeistert. „Was ist das denn? Kenn’ ich gar nicht, das Wort.“
„Na, jemand, der den anderen sagt, was sie zu tun und zu lassen haben“,erwiderte Lori.
„Was die anderen tun und lassen sollen, wissen sie doch selbst am besten“,sagte Fettwanst. „Wie soll das ein einzelner wissen? Wie sollte ich zum Beispiel wissen, was Vielfraß tun will?“
Dann grinste er plötzlich und fügte hinzu: „Na also, wenn ich ganz ehrlichbin: Wir haben tatsächlich so was. Bloß ...“
„Wie heißt denn der Häuptling?“ fragte Harpo.„Oh“, machte Fettwanst. „Er heißt Schnellschwimmer ...“„Schnellschwimmer?“ echote Lori.„... und Vielfraß ...“„Vielfraß auch? Ja, habt ihr denn zwei Häuptlinge?“„Und Fettwanst, Schlafmütze, Regenmacher, Netzflicker“Fettwanst begann mit den Armen zu rudern und zählte alle Clanmitglieder
auf, die ihm gerade einfielen, auch die Frauen und Kinder. Als er fertig war,weil er ziemlich oft nachdenken mußte, keuchte er erschöpft. „Wie ihr seht,ist bei uns jeder Häuptling. Jeder bestimmt über sich selbst. Früher hattenwir tatsächlich mal einen, der alles allein bestimmte: wann wir fischengingen, wann Schlafenszeit war, was die Kleinen tun und was sie nicht tundurften“ Fettwanst grinste. „Das haben wir alles abgeschafft. He, he ... kommtmal mit!“
Er nahm Lori und Fantasia bei den Händen und stapfte mit ihnen – Lonzo,Harpo, Flunki und Alexander im Schlepptau – in eine Ecke des Iglus, wo offensichtlich gerade eine Versammlung stattfand.
Zehn oder mehr Rotpelze saßen auf Bänken aus Schnee und hörten einemweiteren Rotpelz zu. Er stand auf einem Podest, ebenfalls aus Schnee, wirbelte mit den Armen und brüllte mit Donnerstimme: „Wählt mich zumHäuptling, Leute, dann wird hier alles anders werden! Ich verspreche euch:besser, viel besser. Ich werde Tag und Nacht auf der faulen Haut liegen, grunzen und futtern – und es wird mir eine helle Freude sein, euch beim Arbeitenzuzusehen. Alle werdet ihr großen Respekt vor mir haben, mich untertänigstgrüßen und meine Pantoffeln bereitstellen! Wählt mich zum Häuptling, Leute, dann habe ich ein feines Leben!“
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Die Versammelten brachen in frenetisches Gelächter aus. Mehrere Rotpelze schrien laut: „Buh! Buh!“
Harpo schüttelte den Kopf. „Also, den möchte ich auch nicht zum Häuptling haben, wenn er gar nichts tun will, als auf anderer Leute Kosten leben“
„Wartet ab“, flüsterte Fettwanst amüsiert. „Gleich kommt der nächste Redner.“
Ein anderer Rotpelz kletterte auf das Podest, räusperte sich und begann mitvornehm gesetzten Worten: „Liebe Mitbürger! Ihr kennt mich alle als einenehrenwerten Rotpelz aus eurer Mitte. Ich bin volksverbunden und stets füreuch da. Ich kenne eure Probleme bestens, weil ich mich draußen im Landeumgeschaut habe, und will mich für deren Lösung einsetzen. Deshalb gebtmir eure Stimme!“
„Der ist gut“, sagte Harpo.„Pscht“, machte Alexander lächelnd. „Warte ab!“Einer der zuhörenden Rotpelze erhob sich von seiner Schneebank und
fragte: „Sehr gut gesprochen, wirklich! Aber wie stellen Sie sich zum Beispieldie Arbeitsverteilung vor? Möchten Sie lieber Netze flicken oder unter Wasserfischen?“
„Ahem“, meinte der Redner, „ich hatte eigentlich daran gedacht, meinKönnen anders einzusetzen.“
„Wie zum Beispiel?“ rief Fettwanst von hinten.„Nun ... indem ich für euch denke und plane“„An richtige Arbeit haben Sie dabei nicht gedacht?“ fragte Fettwanst weiter.„Nun ... ehrlich gesagt“ Der Redner fummelte an seinem Kragenfell und
schüttelte den Kopf.„Und daran“, sagte Fettwanst zu Harpo, Fantasia und Lori, „erkennt ihr,
daß beide Redner dasselbe wollen, wenn sie es auch mit anderen Wortensagen. Und wißt ihr einen Grund, weshalb wir uns diese Schneeflöhe in denPelz setzen sollten?“
„Mensch“, sagte Harpo, „das stimmt ja! Die hätten euch alle beideverschaukelt. Bei dem zweiten hätte ich es nicht einmal gemerkt, so geschickt, wie der geredet hat.“
„Die beiden Redner heißen Schwätzer und Sabbler“, erklärte Fettwanst heiter. „Sie halten mehrmals im Monat solche Wahlreden.“
„Ja, aber“, meinte Fantasia erstaunt, „wenn sie solche Dinge erzählen, wirdsie doch niemand wählen! Wer will schon einen Häuptling, der nichts tut undvon den anderen dafür auch noch mit Respekt gegrüßt werden soll?“
Ein älterer Rotpelz, der den Einwand gehört hatte, drehte sich um. „Wirwollen ja gar keinen Häuptling. Und Schwätzer wie auch Sabbler wären dieletzten, die einen solchen Beruf ergreifen möchten. Sie halten ihre Reden nur,um uns daran zu erinnern, wie gut es uns geht, seitdem wir die Herrschaftvon Rotpelzen über andere Rotpelze abgeschafft haben.“
Bald darauf kam eine Gruppe von Rotpelzen vom Fischfang zurück. DieKinder halfen eifrig mit, die in den Säcken verstaute Beute zum Vorratslager
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zu schleppen, wo bereits andere Rotpelze warteten, um die Nahrung zu verteilen.
„Bekommen auch die etwas, die nicht beim Fang mitgeholfen haben?“fragte Fantasia neugierig.
„Sicher. Dafür haben sie ja andere Arbeit geleistet. Zum Beispiel Netzegeflickt oder Fässer gebaut. Und morgen gehen sie vielleicht fischen.“
„Ja, und wenn nun einmal jemand weniger tut als die anderen? Bekommter dann auch weniger Fische?“
„Jeder von uns bekommt so viel, wie er essen kann“, brummte Fettwanst.„Sieh mich an! Ich futtere sehr gern Fisch, mag aber dafür keinen Tran.“ Erzog die schwarze Nase ganz kraus. „Tran trinkt aber Vielfraß ungeheuer gern,der wiederum bestimmten Fisch überhaupt nicht mag. Es pendelt sich allesirgendwie ein. Und wer mal weniger arbeitet, weil er gerade keine Lust hat,sich nicht gut fühlt oder weil ihm die Arbeit einfach nicht recht gelingen will,der macht das am nächsten Tag mit einer anderen Arbeit wieder wett.“
„Hmm...“ Fantasia waren solche Gedankengänge ungewohnt. „Was istaber, wenn einer einfach soviel nimmt, wie er will, obwohl er es gar nichtbraucht? Haben dann nicht andere zu wenig zu essen?“
„Wieso?“ Fettwanst runzelte die Brauen. „Niemand ißt mehr, als er in seinen Bauch hineinstopfen kann. Warum sollte er zu viel nehmen? Es würdedoch verderben.“
„Wenn du die Menschen näher kennen würdest“, warf Harpo lächelnd ein,„würdest du diese Frage schon verstehen. Bei uns gibt’s das nämlich ziemlichoft, daß einer mehr an sich rafft, als er brauchen kann.“
Fettwanst nickte und sagte: „Früher versuchte auch jeder Rotpelz, größerzu sein und mehr zu besitzen als die anderen. Dabei gingen Freundschaftenzu Bruch, und die Leute sprachen nicht mehr miteinander. Wenn sie sichtrafen, hatten sie nichts Besseres zu tun, als gegenseitig anzugeben, daß sichdie Igluwände bogen. Und eines Tages ging das nicht mehr so weiter. DieRotpelze setzten sich zusammen und verjagten diejenigen, die ihnen diesenSchneefloh ins Ohr gesetzt hatten, warfen alle ihre Güter in einen Topf undleben seither in Frieden.“
Harpo erklärte, daß die Kinder es auf der EUKALYPTUS genauso machten.Was sie in der Kindheit auf der Erde erlebt hatten, war ihnen allen eine Lehre.Auf der Jagd nach dem besseren Leben hatte man die Erde nahezu vernichtet.Es gab dort keine Wälder mehr und fast nur noch künstliche Nahrung. Wennes im Winter einmal schneite, dann war der Schnee nicht weiß wie hier aufNordpol, sondern schmutziggrau und roch nach Chemikalien. Die wenigenNaturlebensmittel, die es noch gab, wurden in abgedichteten Treibhäusernherangezogen und waren so teuer, daß nur wenige sie sich leisten konnten.Der Raubbau an der irdischen Natur hatte dazu geführt, daß die Menschennicht mehr im Einklang mit ihrer Umwelt leben konnten. Sie wurdenaggressiv und gemütskrank. Allergien tauchten schneller auf als wirksameMedikamente dagegen zu produzieren waren. Viele Ungeborene erkranktenbereits im Mutterleib an neuen, unbekannten Krankheiten.
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Wegen solcher Krankheiten waren die meisten Kinder an Bord der EUKALYPTUS gekommen, die als eine Art Sanatorium die Erde umkreiste, bis einenoch immer ungeklärte Katastrophe das Schiff in den Kosmos entführte unddie Mannschaft flüchten ließ. Aus eigener Kraft und mit Hilfe der Weltraumärzte hatten die Kinder die auftauchenden Probleme gemeistert und dasSchiff schließlich in Besitz genommen.
Fantasia war es, die von den Weltraumärzten erzählte. Als sie zu Ende geredet hatte, platzte Alexander heraus: „Hinter der Schneegrenze, dort wo dieBlumen blühen und die Erde überall grün ist, steht ein Iglu aus Eisen. Da lebtein Wesen, das haargenau so aussieht, wie du uns die Weltraumärzte beschrieben hast. Mit einem birnenförmigen Kopf. Und ein anderes lebt beiihm. Es ist so winzig, daß es auf meiner Handfläche Platz hätte.“
„Mit einer gaaanz langen Nase?“ trompetete Lonzo. Harpo und die anderenhorchten auf.
„Ja“, rief Alexander. „Mit einer gaaanz langen Nase und Schlappohren. Esist sehr niedlich und sehr nett. Wir haben zusammen gespielt, als mein Vatermich in den Eiseniglu brachte, weil meine Zähne wackelten.“
„Ein Weltraumarzt auf diesem Planeten?“ Die Kinder staunten und steckten die Köpfe zusammen. In der gleichen Sekunde wurde ein neuer Plan geboren. „Den müssen wir unbedingt besuchen!“
Sie rannten alle zusammen zu Flunki, der sich gerade wieder mit seinemheimlichen Freund Alleswisser in den Haaren lag.
Der blinde Passagier
Flunki war sofort Feuer und Flamme, als er von dem Plan der Kinder erfuhr. Selbstverständlich war er gern bereit, die Freunde in seinem Schlittenzum Sommerland zu fahren. Der Schlitten war ja ein Mehrzweckfahrzeug,das sich genauso gut auch außerhalb von Schneezonen auf einem Luftpolsterbewegen konnte.
„Beim Schneebesen!“ knurrte er, als Harpo seine Bitte vorbrachte. „Habeich euch nicht tausendmal erklärt, daß alles, was mir gehört, auch meinenFreunden gehört?“
Schüchtern meinte Harpo: „Nun, vielleicht hast du etwas anderes vor ...“„Papperlapapp! Klar fahren wir zu dem Zahnklempner hinaus! Der kann
sich bei der Gelegenheit direkt mal die Reste meiner Beißerchen ansehen.Worauf warten wir noch? Alles aufsteigen, und ab geht es!“
Ganz so eilig hatten es die Freunde nun noch nicht. Schließlich mußte mansich erst einmal ausgiebig von den Rotpelzen verabschieden. Und die Zurückgebliebenen, sowohl die Besatzungsmitglieder der EUKALYPTUS wieauch die Raufbolde des BorroClans und ihre Gäste, mußten über den neuenOrtswechsel informiert werden. Das war aber schnell getan. Micel Fopp, der
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gerade in der Funkzentrale des Beibootes A9 saß, freute sich, die Freunde zuhören. Inzwischen hatte ein richtiger Pendelverkehr zwischen dem Raumschiff und den Raufbolden eingesetzt. Die Boote kamen kaum zur Ruhe. Sieschafften die EUKALYPTUSLeute zum Nordpol und die neugierigen Raufbolde auf das Sternenschiff.
Der Abschied von den freundlichen und gar nicht so faulen Rotpelzen fielallen schwer. Selbst Flunki, der vor Verlegenheit freundlich und grob zugleichwurde und sich von Alleswisser mit einigen Knüffen verabschiedete. Alexander gab allen einen sanften Schmatz auf die Nase, worauf seine Muttermeinte: „Wir beschmatzen uns immer auf die Nase oder reiben die Nasengegeneinander, wenn wir uns mögen. Unser Sohn scheint euch sehr gern zuhaben.“ Bei diesen Worten lächelte sie geheimnisvoll.
Fettwanst winkte mit einem rotgepunkteten Taschentuch, das ihm Lori geschenkt hatte. Die Rotpelze brummten ein Lied, das mit Abschied undWiedersehen zu tun hatte, außerdem von einem Raufbold handelte, der ewignörgelte. Es hörte sich sehr lustig an. Merkwürdig war eigentlich nur, daßsich Alexander verdrückt hatte, als sich der Motorschlitten dröhnend in Bewegung setzte.
Das Gefährt glitt knirschend über die Schneedecke und ließ das Lager derRotpelze schnell hinter sich. Der Raufbold stand hinter dem Steuer, ließ abergelegentlich auch Harpo und Fantasia die Bedienung übernehmen, nachdemer ihnen alles genau erklärt hatte. Lonzo schaukelte mit seinen Greiftentakelndie kleine Lori in den Schlaf und sang mit leiser, knarrender Stimme: „Wirfahren durch bis morgen früh und singen bumsfallera ...“
Stunden später, als der Rieseniglu der Rotpelze weit hinter ihnen lag unddie Sonne Archimedes sich anschickte, hinter dem Horizont zuverschwinden, begann Flunki plötzlich an den Armaturen herumzufummeln.
„Sack Zement!“ schimpfte er in sich hinein. Und dann: „Der Eierdieb sollmich holen!“ Harpo sah, daß Flunkis Gnomengesicht sich in tausend Faltenlegte und der Bart sich wie der Stachelpanzer eines Igels sträubte.
„Ist was?“ erkundigte er sich.„Bei allen Rutschbahnen des Universums!“ fauchte der Raufbold. „Mit dem
Treibstoff ist etwas faul! Lonzo!“„Zu Befehl, Herr Admiral!“„Sei ehrlich!“ Flunki hob einen Zeigefinger und stieß ihn gegen Lonzos di
cken Metallbauch. „Hast du dich etwa erdreistet, von unserem Kraftstoff zutrinken?“
„Iiiiich?“ krächzte der Roboter empört. „Warum werde ich bei solchen Gelegenheiten immer verdächtigt? Bei meiner kalten Seele! Nie würde ich dastun. Nie und nimmerlich!“ Zum Eid hob er zwei Tentakel in die Luft, woraufLori erwachte und sich die Augen rieb.
Der Raufbold setzte seinen Helm ab, wischte sich mit einem riesigen karierten Taschentuch die Schweißperlen von der Stirn, bleckte die Zähne undknurrte: „Also wenn ich den erwische, der uns die 43.212,6 Schambuddels
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Treibstoff geklaut hat! Die fehlen nämlich. Na ja, könnte auch sein, daß wirein Leck ...“
„Wieviel sind denn 43.000 Schambuddels, Flunki?“ fragte Lori gähnend.„Sicherlich sehr viel, oder?“
„Das will ich meinen“, erwiderte der Raufbold. „Mindestens ein Fingerhutvoll. Ein Skandal!“
Flunki überließ Harpo das Steuer und rieb sich die Hände. Noch immerraste der Motorschlitten über die weite, weiße Landschaft dahin. Dann schobder kleine Raufbold Fantasia beiseite und drängte sich an Lonzo und Lorivorbei zu einem kleinen, nur mit einem Fellvorhang bedeckten Durchgang,der zum Laderaum führte. Blitzschnell riß er den Vorhang zur Seite.
„Ha!“ brüllte er mit Donnerstimme. „Dachte ich mir’s doch!“„Ich habe euren Kraftsaft nicht getrunken, Herr Raufbold!“ rief der kleine
Rotpelz, der dort stand und sich nun ängstlich die Hände vor die Augen hielt.„Ich war es nicht, ganz gewiß nicht!“
„Ja, ist denn das ...“ Flunki machte wieder Anstalten, auf der Stelle zu explodieren. Er wirbelte herum, stand plötzlich auf den Händen, strampelte mitden Beinen und biß schließlich wütend in den Fellteppich, der den Boden derKabine bedeckte.
„Alexander!“ dröhnte Lonzo blechern.„Wo kommst du denn her?“ fragten Lori und Fantasia freudig überrascht
wie aus einem Munde. Harpo entglitt fast das Steuer. Rasch drosselte er dasTempo. „Bist du etwa von zu Hause abgehauen?“ fragte er.
Der kleine Rotpelz, der jetzt schüchtern die Fahrerkabine betrat, schiendem Weinen ernsthaft nahe zu sein. „Wenn’s gestattet ist, edle Damen undHerren, edle Eisenmaschine, edler Oberraufbold: Mein Herz dürstet nachAbenteuern, die ich, so wag’ ich’s anzutragen, an eurer geschätzten Seite infernen Landen zu erleben hoffe. Meine Eltern huben zwar an, mich zu warnen, weil alldorten in der weiten, schneelosen Welt sich reichlich viel Gefahren über den Häuptern kleiner Rotpelze zusammendräuen, jedoch konntemich nichts zurückhalten, nicht länger mehr wollte ich fürderhin Angelhakensortieren ... Und so bin ich allhier.“
„Was spricht der denn auf einmal so komisch?“ fragte Lori kichernd.„Jemand muß den Translator verstellt haben“, meinte Harpo. Flunki, in
dessen Ohren alles viel normaler geklungen haben mußte, da er die RotpelzSprache verstand, sah einen Moment verständnislos drein, lachte dann abermit, weil man schließlich Gründe zum Lachen niemals verpassen soll.
„So seid ihr am Ende gar nicht vergrätzt und gram?“ fragte Alexander noch,dann hatte Harpo den Translator wieder einjustiert. Bei dem Gelächter derFreunde hatte der kleine Bär Hoffnung geschöpft.
Harpo schüttelte den Kopf, daß die langen Haare nur so flogen. „Ich bestimmt nicht. Wenn Flunki nichts dagegen hat ... kannst du sicherlich mit unsmitkommen.“
Flunki murmelte undeutlich etwas, das wie: „...Umpph, grrrumph ... Bärenbengel ... grrr ... aber nett ... soll mitkommen ...“ klang.
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Alexander atmete auf und meinte ziemlich selig: „Da bin ich aber beruhigt!Ich dachte schon, ich hätte euch gründlich verärgert.“
Lonzo winkte den Ausreißer zu sich heran: „Du hast doch wohl eineErlaubnis von deinen Eltern für dieses Unternehmen?“ fragte er und tat sehrgrimmig. Aber in dieser Beziehung konnte ihn Alexander beruhigen. Jederjunge Rotpelz ging einmal im Leben auf Wanderschaft und ließ sich dann garnicht selten in einem anderen Clan nieder. Damit wurde nicht nur erreicht,daß die Bärenjungen und Bärenmädchen sich auf eigene Füße stellten unddie Welt kennenlernten, sondern gleichzeitig kam es auch dazu, daß man inanderen Clans Freunde und Verwandte hatte und immer tüchtig feiern konnte, wenn man einander mal begegnete. Da sich Harpo an das geheimnisvolleLächeln von Alexanders Mutter beim Abschied erinnerte, war damit wohlziemlich klar, daß der junge Rotpelz nicht flunkerte. Zumindest die Mutterhatte von seinem Plan gewußt.
Als Flunki wieder das Steuer übernahm, erklärte er, daß er durch die Treibstoffanzeige darauf gekommen war, daß sich eine zusätzliche Person oderandere unbekannte Fracht an Bord befinden mußte. Die Instrumente warensehr empfindlich und zeigten bereits unerhebliche Differenzen an.
Kaum hatte er seine Erklärung abgegeben, als der Motor zu stottern begann. Sofort ging der Raufbold mit der Geschwindigkeit herunter.
„Da haben wir den Salat!“ brüllte Flunki. „Die elende Schneegurkeverweigert den Gehorsam! Das lasse ich mir nicht gefallen!“
„Tut doch etwas“, rief Harpo, dem der Gedanke, inmitten dieser Schneewüste zu stranden, gar nicht gefiel.
„Alle Mann von Bord!“ quakte Lonzo. „Frauen und Roboter zuerst. Odernoch besser: Sämtlichen Ballast abwerfen.“
„Ich springe ja schon hinaus“, meinte Alexander schuldbewußt, aber Loriund Fantasia hielten ihn an seinem glänzenden Fell zurück. „Aber du dochnicht!“
Spotz, spotz! machte der Motor, dann setzte er endgültig aus. Der Schlittenfegte noch einige Dutzend Meter weiter, schließlich fuhr er sich im lockerenSchnee fest. Am Horizont war ein Grünstreifen aufgetaucht, aber bis dorthinerstreckten sich noch viele Kilometer Schneeboden.
Flunki vertauschte fluchend seine Kleidung mit einer blauen Leinenmontur und zeigte dabei zum erstenmal, daß er dicke, graue, flauschige Unterhosen trug. In dem Monteuranzug bot er ein ganz ungewohntes Bild undwirkte eigentlich gar nicht mehr wie ein Raufbold, sondern wie ein viel zuklein geratener Monteur von der Erde. Er zerrte ein paar Bodenbleche hochund krabbelte in einen darunter sichtbar werdenden Tunnel. Nach wenigenMinuten kam er ölverschmiert zurück und ließ erst einmal einen schrecklichen, meterlangen Dauerfluch los, bei dem sich Alexanders Pelz sträubte.
„Wir haben einen Plastikbulbsel verloren“, erklärte er schließlich. „Undausgerechnet einen, für den kein Ersatz an Bord ist!“
„Plastikbulbsel?“ fragte Lonzo. Ein lautes Klicken ertönte, dann öffnete sichauf seiner Brust eine Klappe, und ein Kästchen mit allerlei Schräubchen,
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Dübeln, Haken, Nieten und Pfropfen sprang heraus. „Was immer ein Plastikbulbsel sein mag: Vielleicht habe ich einen!“ rief er. „Schon Captain Kidd lobte stets mein Sortiment an Tauwerk, Rum und Kleinodien.“
„Ha!“ rief Flunki, stürzte auf den Kasten zu und fischte eine Schraubenmutter mit selbstsichernder Kunststoffauskleidung heraus. Genau einen solchenBulbsel brauche ich! Dieser Seemann ist ja ein wandelnder Ersatzteilkasten!“
„Nicht verzagen, Lonzo fragen“, sagte der Roboter gelassen und ließ seinKästchen und die Klappe verschwinden, während Flunki bereits wieder inden Tunnel hinabstieg.
Während noch repariert wurde, steckte Alexander seine Bärennase schnüffelnd aus dem Schlitten hinaus und sog die Luft ein. „Herrlich riecht es hier“,meinte er. „Wie im Sommer bei uns zu Hause.“ Er deutete auf die Grashalme,die vereinzelt doch schon aus der nur noch dünnen Schneedecke ragten.„Bald sind wir im Grünen. Ich kann es kaum noch erwarten.“
Bis auf Flunki, der reparierte, und Lonzo, der überflüssige Ratschläge fürdie Reparatur gab, stiegen jetzt alle aus und liefen ein Stück dem Horizontentgegen. Hier war es längst nicht mehr so kalt wie im Lager der Rotpelze.Man schwitzte sogar ein bißchen in den dicken Anzügen. Fantasia entdecktein der Ferne einen ersten Baum, und Lori deutete verzückt auf ein kleinesTier mit gelbem Pelz und buschigem Schwanz, das sie aus tiefschwarzenAugen neugierig anstarrte und dann davonhuschte.
Die Luft war herrlich – sie schmeckte noch besser als Eiskrem und war mitdem künstlichen Atemgemisch auf der EUKALYPTUS überhaupt nicht zu vergleichen. Und man konnte sich nach allen Seiten frei bewegen. Es gab keineMetallwand, keine Decke und keine Treppe. Erst jetzt erfaßten die Kinder vonder Erde so richtig, was es hieß, einen ganzen Planeten vor sich zu haben.Fantasia umarmte ganz überraschend Harpo. In ihren Augen stand die stumme Frage, ob sie nicht alle die EUKALYPTUS vergessen sollten, um sich hierirgendwo anzusiedeln. Bisher war ihnen allen dieser Planet als einzige Eiswüste erschienen. Mit dem Grün erwachte ein neuer Unternehmungsgeist.
„He, ihr Träumer!“ bellte Flunki von weitem und schwang dabei einenSchraubenschlüssel, der länger war als sein Unterarm. „Es geht weiter!“
Harpo zuckte zusammen. Er hatte tatsächlich für einen Moment lang einBild aus einer greifbar nahen Traumwelt vor Augen gehabt. Es gab dort einenIglu am Rande des Schnees, in dem er mit Thunderclap, Ollie, seinerSchwester Anca, Lori, Lonzo und all den anderen, vor allem aber mit Fantasia, lebte. Man tat, wozu man gerade Lust hatte: Schlitten fahren, fischen,Netze flicken ...
„Kommt, Freunde“, sagte er und nahm erst Lori, dann auch Fantasia beider Hand. „Unser Weg ist noch nicht zu Ende!“
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Die Station des Weltraumarztes
Als der Schlitten die Schneegrenze überquerte, gab es einen leichten Ruck,dann schaltete Flunki den LuftkissenAntrieb ein. Es wurde ein bißchenlauter, aber sonst bemerkte man keinen großen Unterschied. Das Fahrzeugschwebte jetzt dreißig Zentimeter über dem Boden dahin, getragen voneinem Polster aus zusammengepreßter Luft. Da die milde Witterung dieSchutzkuppel überflüssig machte, drückte der Raufbold kurzerhand einenKnopf. Die durchsichtige Kuppel glitt zwischen die Blechverkleidung.
„Sollte mich gar nicht wundern, wenn sich diese Kiste auch noch in eineBadewanne verwandeln läßt“, äußerte Harpo anerkennend.
„Das kannst du haben!“ rief der Raufbold und ließ einen dünnenWasserstrahl aus dem Armaturenbrett zielsicher in Harpos Gesicht schießen.Flunki lachte dröhnend, als sich Harpo wie ein nasser Pudel schüttelte, während die anderen Passagiere sich schreiend in Sicherheit brachten.
„Meine Frisur, meine herrliche Frisur!“ zeterte Lonzo, der nicht ein einzigesHaar unter seiner Matrosenmütze hatte.
Fünfhundert Kilometer hatten sie bereits zurückgelegt. In dieser Regionwar von Schnee nicht mehr die geringste Spur zu bemerken. Vor ihnen öffnete sich eine weite, grünblaue Ebene mit verstreuten Baumoasen. Die Blätterder Bäume wuchsen direkt aus den Stämmen und waren so groß, daß mansich dahinter verstecken konnte. Goldene Blütensporen trieben wie in Zeitlupentempo durch die Luft. Überall summte und zirpte es aus der hellblaumilchigweißen Luft.
Flunki hatte nicht übertrieben, als er die Schönheit und Vielfalt des Planeten pries: Scharen von rotgefiederten Vögeln mit Krummschnäbeln undStelzfüßen sahen neugierig zu, als das Fahrzeug an ihnen vorbeizischte; einRudel pferdeähnlicher, aber nur hundegroßer Tiere mit schwarzweißgeflecktem Fell und spitzen Hörnern auf den Nasen flitzte auseinander, als sie einenseichten Fluß durchquerten, in dem die Tiere gerade badeten. Das Wasserspritzte und sprudelte, daß es eine wahre Pracht war. Aus dem Uferschilf entfernten sich aufgeschreckt blaue Eidechsen. Im Fluß tummelten sich seehundgroße Fische, die man durch das kristallklare Wasser gut erkennenkonnte. Gelegentlich steckten sie ihre Köpfe über den Wasserspiegel, fuhrensich mit langen Flossen über ihre haarigen Schnurrbärte und schickten zornige Jaullaute hinter dem Fahrzeug her. Am Himmel segelte ein drohender,schwarzer Schatten: ein langhalsiger Vogel, der wie ein Geier einen kahlenKopf und eine dichte, aufgeplusterte Halskrause hatte.
„Das ist ein Eierdieb!“ rief Flunki aufgeregt, als Lori ihn auf den Vogel aufmerksam machte.
„Warum hat er denn diesen komischen Namen?“ wollte Lori wissen.„Potzdonner, euer Wissensdurst gefällt mir“, sagte Flunki und zwirbelte die
Schnurrbartenden. „Der Kamerad heißt so, weil er seine eigenen Eier nichtausbrütet. Sie gefallen ihm nämlich nicht, weil sie rosa sind. Dafür klaut er
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sich dann die schönen, goldgesprenkelten Eier der Höhlensalamander undschleppt sie in sein Nest. Groß genug ist er ja dazu, und mit seinen Klauenmöchte ich lieber keine Bekanntschaft machen. Ich habe einmal beobachtet,wie ein kleiner Salamander in einem EierdiebNest ausschlüpfte. Der Vogelhat vor lauter Schreck fast alle Federn abgeworfen. Hohoho! Eigentlich müßten die Eierdiebe ja mit der Zeit lernen, daß aus den Eiern, die sie ausbrüten,Salamander krabbeln, aber sie sind einfach zu dumm dazu. Jahr um Jahr machen sie das gleiche!“
„Und wer brütet ihre eigenen Eier aus?“ wollte Harpo wissen.„Das schafft die Sonne allein“, antwortete Flunki zwinkernd. „Vorausge
setzt, sie fallen vorher nicht einem Eiersammler in die Hände.“„Und was ist das für ein Tier?“ fragte Lori, begierig darauf, ein neues, phan
tastisches Wesen geschildert zu bekommen.„Oh“, meinte Flunki grinsend. „Das sind Wesen mit großen Bärten und
Eisenhelmen. Man nennt sie auch Raufbolde.“Fettwanst hatte ihnen eine Landkarte mitgegeben, die aus einem Stück Le
der mit eingeritzten Angaben bestand. Aber Flunki kannte den Weg so gut,daß er die Karte nicht benutzen mußte. Schließlich konnte er stolz auf einenPunkt am Horizont deuten, der schnell größer wurde und sich als die Stationdes Weltraumarztes entpuppte – denn nach allem, was sie bisher gehörthatten, konnte ja kaum ein Zweifel daran bestehen, daß ein Angehörigerdieser Rasse sich hier aufhielt. Das Gebäude hatte eine gewisse Ähnlichkeitmit einem irdischen Observatorium und trug auch tatsächlich in einemSchlitz der Rundung ein gewaltiges Fernrohr. Aber auch Alexanders Bezeichnung „Eiseniglu“ konnte nicht von der Hand gewiesen werden. Das Gebäudeähnelte einem Iglu oder einer unten abgeflachten Riesenmurmel.
Die Freunde staunten, als ihnen Trompo entgegeneilte, jener Miniaturelefant, den sie auf der EUKALYPTUS glaubten. Aber es war gar nichtTrompo, stellte Lori fest, als sie nach draußen sprang und das kuscheligeWesen auf den Arm nahm. Natürlich: Dies war Trompo II, jenes andereWesen aus Trompos Rasse, von dem Alexander schon erzählt hatte. TromposArtgenossen halfen den Weltraumärzten mit ihren besonderen Fähigkeitenbei der Arbeit. Kein Zweifel, hier hielt sich ein Weltraumarzt auf.
Da kam er auch schon aus dem Gebäude, blickte freundlich zu ihnen herüber und erwartete sie dann mit verschränkten Armen am Eingang. Er trugeinen enganliegenden, silbernen Anzug mit einem schwarzen, ziemlich hohen Stehkragen. Sein Kopf glich einer auf die Spitze gestellten Birne mitwinzigen, spitzen Ohren und kugelrunden Augen.
„Ich habe euch schon erwartet“, sagte er zur Begrüßung und geleitete dieBesucher ins Innere.
„Ja, können sie denn Gedanken lesen?“ fragte Lori verblüfft.„Verrat!“ machte sich Lonzo bemerkbar, aber jeder wußte ja, daß er es
nicht ernst meinte. Es gab nur eine Erklärung: Der Arzt hatte Kontakt mit derEUKALYPTUS aufgenommen und erfahren, daß der Schlitten zu ihm unterwegs war.
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„Na, ganz so war es nicht“, erklärte der Mediziner, nachdem er zuvorallerlei saftige Früchte aufgetischt hatte. „Ich erhielt einen Funkspruch vonKollegen, die euch vor einigen Monaten im Weltall treibend gesehen haben.Sie hielten es für möglich, daß das Raumschiff vom Schwerefeld eines Planeten im ArchimedesSystem eingefangen würde. Schließlich konnte ich euchorten. Erst kürzlich gelang mir allerdings die Verbindung zu einem Burschennamens Vielsprechermund ...“
„Schwatzmaul!“ riefen die Kinder. „Der Translator hat den Namen jamächtig verballhornt. Und außerdem hat die eitle Maschine verschwiegen,daß sie ein Computer ist!“
„Er verband mich dann mit einem gewissen Donnerwetter Übermensch ...“„Mit wem?“ schrie Harpo fasziniert, aber dann lachte er los, als ihm einfiel,
daß damit nur Thunderclap Genius gemeint sein konnte.„Na“, meinte Flunki, „Thunderclap Genius hört sich aber auch komisch
an.“„Eigentlich heißt er ja auch ...“ begann Lonzo, aber dieses Mal war es Har
po, der den vorwitzigen Roboter mit einem Knuff in die Metallrippen zumSchweigen brachte. Thunderclap hütete seinen wahren Namen wie seinenAugapfel, und der Grund dafür war, daß er noch komischer war als derjetzige.
Nach dem Essen besichtigten sie die Station des Mediziners. SeinenNamen hatte er mit einer Lautkombination angegeben, die selbst Lonzos fotografisches Gedächtnis kaum korrekt wiedergeben konnte. Er bestand auseiner Ansammlung von Zischtönen und Konsonanten.
Lori schlug vor, den Arzt KarlHerbert zu nennen, was Harpo nicht gefiel,worauf Fantasia Walter vorschlug, was Lonzo auf die Palme brachte. Der vonFlunki erfundene Name Zahnklempner stieß bei Alexander auf Ablehnung,weshalb man sich schließlich und endlich auf „Hugo“ einigte. Flunki bedauerte seinen Vorschlag nachträglich, als der hellhörig gewordene GalaktischeMediziner sein Zahnarztbesteck heranschleppte und auf den Raufbold zuging.
Flunki riß nicht nur so geschwind aus wie ein Wiesel, sondern kletterteauch noch auf einen Baum und war erst nach etlichen heiligen Eiden zuüberreden, wieder in die Station zu kommen.
Hugo versäumte es nicht, den Freunden seine Laboratorien zu zeigen, indenen unübersehbare Reihen von chromglänzenden Maschinen standen.Wie er erklärte, bestand der Hauptzweck der Station darin, auf Nordpolwichtige Rohstoffe für Medikamente zu gewinnen, die anderswo im Kosmosnur schwer aufzufinden waren. Da der Planet in seiner Sommerzone ungewöhnlich fruchtbar war, existierten hier derart viele Formen pflanzlichenLebens, daß sich für die Medizin sehr günstige Essenzen gewinnen ließen.Aber daneben war die Station natürlich auch dafür eingerichtet, diesenRaumsektor medizinisch zu betreuen, und enthielt zahlreiche Diagnostik,Heil und Operationsräume. Hugo und sein Begleiter, besser seine Begleiterin, denn Trompo II hieß Neli und war ein Weibchen, lebten ganz allein hier.
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Erst nach einer Dienstzeit von zehn NordpolJahren, was etwa siebenirdischen Jahren entsprach, wurden sie abgelöst. Die Hälfte dieser Zeit hattendie beiden bereits abgeleistet. Täglich schwollen die Stöße von Karteikartenund Heftmappen an, und die Computer, von denen Hugo gleich mehrere besaß, ratterten Tag und Nacht, um neue Testergebnisse zu verarbeiten. Hugoließ nämlich keine Gelegenheit aus, die teilweise noch unerforschte Faunanach weiteren Heilstoffen zu durchforsten und Testreihen zu beginnen.
Gelegentlich gab es auch Patienten aus den Reihen der Raufbolde oder Rotpelze, und Hugo freute sich immer über Abwechslung. Glücklicherweisewurden die NordpolBewohner äußerst selten krank, weil sie in einer glücklichen Symbiose mit der Natur lebten und darauf verzichtet hatten, ihre Nahrung mit künstlichen Zusätzen zu vergiften. Nur die Angewohnheit desRauchens, die besonders bei den Raufbolden sehr verbreitet war, gab gelegentlich Anlaß zu einem Krankenbesuch.
„Denkt daran“, brabbelte Lonzo später, „daß auch Pommfritz ungesundsind. Zu viel Fett dran und so!“
„Pommes frites heißt das“, verbesserte Lori kichernd.„Du hast gut reden“, meinte Harpo anzüglich. „Du kommst mit ein paar
Batterien das ganze Jahr über aus und trinkst höchstens mal ein KännchenÖl. Außerdem bestehen unsere Pommes frites sowieso aus Synthofood, sindalso künstlich gemacht, und auch das verwendete Fett ...“
Nach den Anstrengungen der langen Fahrt fiel es allen leicht, in einentiefen Schlummer zu fallen, kaum daß sie es sich in einigen leerstehendenKrankenbetten bequem gemacht hatten.
Hugo ließ seine Gäste ausschlafen. Erst am späten Vormittag erwachte Harpo als erster durch das Gezwitscher unzähliger, etwa daumengroßer Vögel.Ein Teil der Metallwand war zur Seite geglitten und zeigte ein großesPanoramafenster, durch das die Sonnenstrahlen auf die Betten fielen.
Alexander, der als zweiter erwachte, kletterte sofort aus dem Bett undmachte mit ausgestreckten Armen keuchend und schnaufend einigeKniebeugen. „Ist gesund“, meinte er, als Harpo ihn fragend ansah.
„Ach du meine Güte“, jammerte Harpo und versteckte sein Gesicht imKissen. „Jetzt haben wir noch einen Gesundheitsapostel am Hals. Na, duwirst dich gewiß mit unserem kleinen Ollie anfreunden. Wenn der Taschenhätte, die groß genug wären, würde er die ganze Bordapotheke mit sich herumschleppen.“
Wie hungrige Wölfe stürzte die Gruppe nach dem Duschen an den Frühstückstisch, wo köstliche Brote und Marmeladen zum Verzehr einluden.Flunki konnte es so wenig abwarten, daß er sein Beschleunigerfeld einschaltete und dann wie ein Bagger die guten Sachen in sich hineinschaufelte.
„Nicht so schlingen“, riet Alexander und gab dem Raufbold einen freundschaftlichen Klaps auf den Rücken, so daß dieser fast mit dem Gesicht in seinen Teller tauchte. „Man kriegt Bauchgrimmen und Magengeschwüredavon!“
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Flunki schluckte verzweifelt und verdrehte die Augen. Schließlich ließ ersich sogar dazu bewegen, sein Beschleunigerfeld abzuschalten, und aß dannfast gesittet, obwohl auch das natürlich nicht ohne Schmatzen und Schlürfennach echter Raufboldart vor sich ging.
Nach dem Essen gesellte sich Hugo zu den Gästen und meinte: „Als ich miteurem Freund Thunderclap sprach, erzählte er mir übrigens von einem Menschen, der auf der EUKALYPTUS im Tiefschlaf liegt.“
„Das ist Daniel Locke“, sagte Fantasia und nickte, nachdem sie sich ersteinmal den Mund abgewischt hatte. Harpo unterdrückte einen Rülpser, aberLonzo holte den für Harpo nach und warf ihm anschließend einen vorwurfsvollen Blick zu. „Tut man denn so etwas?“
„Also Lonzo ...“ knirschte Harpo. Aber dann erzählte er Hugo von jenem geheimnisvollen Mann, der an Bord der EUKALYPTUS in einem gläsernen Sarglag und dennoch lebte.
Die beiden Weltraumärzte Robbie und Freddie hatten den Mann bereitsuntersucht, konnten aber keine Diagnose stellen. Fest stand nur, daß DanielLockes Leben von einer gefährlichen Krankheit bedroht wurde, gegen die zumindest die Ärzte auf der Erde kein anderes Mittel wußten, als ihn einzufrieren, in der Hoffnung, ihn wieder aufzuwecken, wenn man entsprechendeHeilverfahren entwickelt hatte. Alle Körperfunktionen waren außer Betriebgesetzt, so daß er in seinem Kühlbehälter nicht alterte.
Hugo interessierte sich sehr für den Fall. Er hatte gerade erst sein Studiumabgeschlossen und leistete auf Nordpol gewissermaßen sein Praktikum. Da erglaubte, mehr zu können, als Zähne zu ziehen und hier und dort einen Verband anzulegen, fühlte er sich von Daniel Lockes rätselhafter Krankheit herausgefordert.
„Wir kehren alle gemeinsam zur EUKALYPTUS zurück“, schlug Harpo vor.„Dann kannst du dir den Patienten ansehen. Aber zuvor müssen wir veranlassen, daß eine der Landefähren uns abholt.“
Als sie mit der EUKALYPTUS Funkverbindung aufnahmen, meldete sichKarlie Müllerchen, der nicht schlecht staunte, als aus seinen Lautsprechernein halbes Dutzend Stimmen auf ihn einredeten, so durcheinander, daß ernicht ein einziges Wort verstand.
„Heilige Milchstraße!“ rief er aus. „Hör dir das bloß einmal an, Thunderclap. Ein Hühnerhof mit gackernden Hennen ist dagegen ein Sanatorium!“
„Hallo, Freunde, hier spricht Logbuchführer Harpo Trumpff“, sprudelteHarpo schließlich los, nachdem er sich mit mehrfachem „Pschtscht“ gegenalle anderen durchgesetzt hatte. „Ich habe eine tolle Nachricht für euch ...“
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Der Schläfer erwacht
Auch die Galaktischen Mediziner, die bei den Kindern der EUKALYPTUSunter den Namen Robbie und Freddie bekannt waren, hatten dem geheimnisvollen Mann im gläsernen Sarg nicht helfen können. Trotz der Perfektionihrer durch die Galaxis sausenden Hospitalschiffe – die vorwiegend bei Notfällen eingesetzt wurden , waren ihnen Grenzen gesetzt, die es in den planetaren Stationen, wie Hugo eine bediente, nicht gab.
Zwar war auch der Weltraumarzt Hugo nicht in der Lage, einen Totenwieder zum Leben zu erwecken, aber Daniel Locke war ja nicht tot. Brim Boriam, der schwarze Krauskopf aus Afrika, der an Bord der EUKALYPTUS dieFunktion eines Schiffsarztes ausübte, wurde nicht müde, in seinem weißenKittel Hugo die einzelnen Stationen auf der EUKALYPTUS zu zeigen, ihm dieInstrumente zu erklären. Am meisten beeindruckten Hugo die riesigen Operationsmaschinen, mit deren Hilfe ein guter Mediziner auch die komplizierteste Operation am Kontrollschirm ausführen konnte. Dabei brauchteer nicht einmal selbst ein Skalpell in die Hand zu nehmen. Die Maschine warfähig, winzige Nervenbahnen miteinander zu verschweißen, und arbeitete sogenau, daß sie dem Auge längst nicht mehr sichtbare Fäden zusammenfügenkonnte.
Dennoch hatten Hugo und Brim fast zehn Tage lang alle Hände voll zu tun,um hinter das Geheimnis von Daniel Lockes Krankheit zu kommen. Als erstesließ sich Hugo mit dem Beiboot A9 an Bord der EUKALYPTUS bringen,wobei ihn mehrere Kinder begleiteten. Der Rest – einschließlich Flunki undAlexander – kam mit der nächsten Maschine.
Hugo und Brim untersuchten den Schläfer in seinem gläsernen Sarg aufHerz und Nieren, wie man so schön sagt, wenn man eine gründliche Untersuchung meint. Das war auch nötig, da niemand genau wußte, wie lange derunbekannte Mann bereits an Bord war und ob er sich durch das lange Liegennicht auch noch andere Schädigungen zugezogen hatte. Schließlich hatte esdamals, als die erwachsene Besatzung fluchtartig die EUKALYPTUS verließund die Kinder die Zentrale noch nicht kannten, Energieausfälle gegeben.
Energie ist aber nötig, um Kälte zu erzeugen. Thunderclap Genius erklärtees seinen neugierigen Freunden, nachdem sie eine jubelnde Begrüßungszeremonie über sich hatten ergehen lassen, folgendermaßen: „ElektrischerStrom treibt eine Art Pumpe an. Mit der wird ein Kühlmittel verdichtet –wobei es Wärme an die Umgebung abgibt – und anschließend wieder entspannt – wobei es Wärme aus dem Kühlbehälter aufnimmt.“
Das war schwer zu verstehen, und das wurde in diesem Moment all jenenerschreckend bewußt, die die Lösungen der Physikaufgaben schlichtweg beianderen abgeschrieben hatten. Aber alle behielten, daß beim Kühlen immerein Temperaturunterschied zwischen einem kleinen Kühlraum und seinerUmgebung entsteht. Die Wärme wird aus dem Kühlraum in den größerenRaum der Umgebung geleitet. Der kleine Ollie kam sogar ganz allein auf die
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Idee, daß es überhaupt keinen Zweck hat, die Kühlschranktür offenstehen zulassen, wenn es einem in der Küche zu heiß ist: Ein offener Kühlschrank kühltüberhaupt nicht mehr.
Da auch die beste Isolierung die Kälte nicht konstant halten kann, befürchtete Hugo, daß bei einem Stromausfall der gläserne Sarg zu warm gewordensein könnte. Aber nach der Untersuchung hellte sich sein Gesicht auf: Es waralles in bester Ordnung.
Sechs reparierte Grüne trugen Daniel Locke mitsamt seinem Glasbehälterzunächst in die A9 und dann in Hugos Hospitalstation auf Nordpol. Derkurze Transport war ungefährlich. Auf der Station angekommen, wurde dieKühlpumpe sofort wieder an das Stromnetz angeschlossen.
Jetzt konnten Hugo und seine elefantenartige Assistentin, unterstützt vonBrim Boriam, mit den Hilfsmitteln der Station das Problem in Angriffnehmen. Zunächst wollte es jedoch einfach nicht gelingen, herauszufinden,was Daniel Locke genau fehlte. Blut wurde abgezapft und untersucht. Nichts.
Der Körper wurde durchleuchtet.Nichts.Winzige Sonden glitten in jede Vene und jedes Organ, aber auch sie fanden
nichts. Erst eine Spezialuntersuchung einzelner Körperzellen brachte an denTag, daß eine krankhafte Zellkernwucherung das Leben des Unbekannten gefährdet hatte.
Ein wirklich schwieriges Problem. Aber Hugo und Brim gaben nicht auf.Tagelang vergruben sie sich inmitten ihrer Geräte und entwickelten schließlich, mit Unterstützung des ArchivComputers, in dem die Daten vonMillionen Krankheiten sowie Mittel zu deren Bekämpfung gespeichert waren,eine kombinierte Heilbehandlung. Sie bestand aus einem gespritzten Medikament und einer besonderen Strahlungsart. Während Daniel Locke seinerGesundung entgegenschlief, drückten Hugo und Brim sich glücklich, aberzum Umfallen müde, die Hände und nahmen eine Mütze voll Schlaf.
Am nächsten Tag spritzte Hugo dem gleichmäßig atmenden Schläfer einbelebendes Mittel ein. Fast alle Kinder der EUKALYPTUS befanden sich nunauf dem Planeten Nordpol. Auch eine große Anzahl von Raufbolden hattesich neugierig eingefunden.
Zufällig hatte sich an der Grenze zur Sommerzone auch ein RotpelzClanbefunden, der von der Aktion gehört hatte und dabeisein wollte.
So gab es in Hugos Hospitalstation ein ständiges Kommen und Gehen.Menschen, Rotpelze und Raufbolde drängten durch die Räume oder liefertensich an der Schneegrenze Schneeballschlachten. Die Rotpelze erwiesen sichwegen ihrer größeren Erfahrung als fast unschlagbar, ließen aber hin undwieder – gutmütig wie sie waren – auch mal die Kleinen gewinnen. Und eswar eine Seltenheit, wenn man keinen Motorschlitten aus Flunkis Clan zwischen den Hügeln dahinflitzen sah.
„Jemineh“, stöhnte Hugo, als er den Andrang wahrnahm. „Jetzt merke icherst einmal, wie schön Einsamkeit sein kann!“
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Als sie das Lager Daniel Lockes umstanden, fragte Fidel leise: „Was machenwir, wenn der Alte versucht, uns Befehle zu erteilen?“ Er hatte nicht aufgegeben, alle Erwachsenen als Alte zu bezeichnen und machte lediglich bei Babseine Ausnahme. Er war mißtrauisch gegenüber jedem, der älter als zwanzigwar.
Insgeheim mußte auch Harpo zugeben, daß er darüber schon nachgedachthatte. Weder wußte man, wer Daniel Locke war, noch was er auf der Erde gemacht hatte. Vielleicht war er es gewöhnt, andere Leute herumzukommandieren, und sah die junge Mannschaft des Raumschiffes als eine Kinderscharan, die eine starke Hand benötigte?
„Wir lassen uns das einfach nicht gefallen“, gab Harpo ebenso leise zurück.Er wußte, daß alle so dachten. Und das war kein Wunder. Schließlich hattedie ehemalige Besatzung die EUKALYPTUS in heller Panik verlassen und siealle einem ungewissen Schicksal ausgesetzt. Sie hatten nichts dazu beigetragen, daß die Kinder den Planeten Nordpol erreicht hatten. Nein, das warallein ihr Werk – und sie waren stolz auf das, was sie geleistet hatten. Es gabkeinen Grund, sich jemanden vor die Nase setzen zu lassen.
In diesem Moment schlug Daniel Locke die Augen auf. Er machte: „Hatschi!“ und blickte in Hugos blaues, birnenförmiges Gesicht, weil dieser sichgerade über seinen Patienten beugte. Dann drehte er leicht den Kopf, starrteauf Brims schwarzes Gesicht, verharrte einen Augenblick auf Alexanderszotteligem Bärenpelz und blieb dann an den freundlich grinsenden ZügenFlunkis hängen, dessen listige Äuglein ihm entgegenblinzelten, während erdie Zähne fletschte und seinen Schnurrbart zwirbelte.
Verwirrt schloß der Mann die Augen und murmelte: „Ganz klar. Ich bin verrückt geworden. Kann gar nicht anders sein.“
„Daniel!“ rief Harpo. Er hatte sich nun tapfer entschlossen, den Manngleich mit seinem Vornamen anzusprechen, denn „Herr Locke“ klang garnicht gut – und wäre schon eine Art Unterordnung gewesen. „Es ist alles inOrdnung. Wir haben dich im Tiefschlaf gefunden. Du warst sehr krank, aberWeltraumarzt Hugo und Brim haben dich geheilt!“
Daniel hielt krampfhaft die Augen geschlossen. Seine Zunge leckte nervösüber die Unterlippe. Dann sagte er: „Ein Alptraum. In Breitwand und Farbe!“Seine Stimme krächzte etwas, als seien seine Stimmbänder nach all den Jahren eingerostet. „Ich muß einfach spinnen!“
„He, er kann ja tatsächlich etwas sagen“, ulkte Flunki mit gespielter Überraschung.
„Bären und Zwerge“, sagte Daniel. Offenbar blinzelte er doch ein wenig unter seinen Lidern hervor. „Jungejunge – das wird mir zu Hause keiner glauben!“
„Beim Vater aller Frostbeulen!“ schrie der Raufbold so laut, daß HarposTranslator zu wackeln begann. Er sprang aus dem Stand in die Luft und giftete: „Diese Portion Tiefkühlkost wagt es, mich einen Zwerg zu nennen!Schniefnase und Keuchhusten, dabei bin ich fast einen ganzen Meter groß!“
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Damit war der Bann gebrochen, denn Flunkis Lachfältchen, die deutlichunter seinem struppigen Bart zu erkennen waren, sprachen eine ganze andere Sprache. Es gelang ihm überhaupt nicht, sie durch ein gewollt grimmigesAugenfunkeln zu verbergen.
Alle jubelten und fielen sich in die Arme.„Unter Captain Kidd gab es einen Piraten, der zwar nicht größer als Flunki
Raufbold war“, gab Lonzo zum besten, „aber dafür hatte er andere Talente: Erwußte immer, wo der Captain seine Schnapsbuddeln versteckt hielt!“
Jetzt schlug auch Daniel Locke wieder die Augen auf. Nachdem sich dieerste Verwirrung gelegt hatte, guckte er eigentlich recht freundlich. Und einbreites, glückliches Lächeln auf seinem Gesicht signalisierte: Er hatteverstanden, daß sein Leben, das vor seinem Einfrieren an einem seidenenFaden gehangen hatte, gerettet war.
„Ich scheine also doch nicht zu spinnen. Na, egal, jetzt könnt ihr euch sicher vorstellen, daß ich darauf brenne, herauszukriegen, wo ich bin, was dasalles zu bedeuten hat, was das hier für ulkige Leutchen sind, und ... und ...Ach, ihr wißt schon, ich habe tausend Fragen auf Lager.“
Damit ging es erst richtig los. Alle wollten schnellstens ihre Erlebnisse loswerden und dem Schläfer möglichst detailgetreu die Abenteuer der EUKALYPTUSBesatzung mitteilen. Selbst Fidel ertappte sich dabei, wie er mitleuchtenden Augen den Schneekrabbler Borro schilderte. Es herrschte einkleines Chaos, so daß Daniel sich schließlich aufsetzte und stöhnend an denKopf griff, während Flunki und Lonzo in wilde Entzückensschreie ausbrachenund ein Tänzchen im Sechsneunteltakt improvisierten.
Der Lärm lockte selbst Trompo und Neli an. Trompo, das kleine, rosafarbene Elefantenwesen, hatte die Kinder in den letzten beiden Wochen nurselten gesehen. Der Anblick der beiden kätzchengroßen Intelligenzen ließDaniel erneut schlucken, aber er fing sich rasch wieder. Später erklärte er, indiesen ersten Minuten des Erwachens geglaubt zu haben, sich in einerwundersamen Traumwelt mit allerlei Phantasiegeschöpfen zu befinden.
Schließlich verschaffte sich Thunderclap Genius Gehör und schildertesachlich, ohne viel auszulassen – aber auch ohne sich groß in Erzählungeneinzelner Abenteuer zu verfransen – die bisherige Fahrt der EUKALYPTUSund die Verhältnisse auf dem Planeten Nordpol.
„Das“, sagte Daniel nach einer Pause, „muß ich erst einmal verdauen.“ Erhatte sich bemüht, den Bericht des Jungen im Rollstuhl nicht durch Fragenzu unterbrechen und fühlte sich jetzt so überfordert, daß ihm alle vorläufigzurückgestellten Fragen wieder entfallen waren.
„Jetzt bis du an der Reihe, zu erzählen, wie du an Bord des Schiffes gekommen bist“, platzte Harpos Schwester Anca heraus. Sie war als eine der letztenvon der EUKALYPTUS nach Nordpol gekommen und beneidete die beidenersten Landungsgruppen um die schon erlebten Abenteuer bei den Raufbolden und Rotpelzen.
„Immer langsam“, meldete sich Doktor Brim. „Daniel ist sicher unheimlichmüde und möchte erst mal schlafen.“
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„Schlafen?“ lachte Daniel. „Ich habe wahrhaftig lange genug geschlafen inden letzten sechs Jahren.“ Aber er mußte durch ein heftiges Gähnen unfreiwillig zugeben, daß gerade der lange Schlaf ihn erschöpft hatte. „Ich fühlemich ziemlich geplättet“, sagte er, als die Kinder sein raubtierhaftes Gähnenmit einer Lachsalve beantworteten, „ungefähr so, als hätte mich eine Dampfwalze überfahren.“
Hugo fragte erst gar nicht lange, sondern verpaßte ihm eine Spritze.„Autsch!“ quittierte Daniel verdutzt. „He, ich will nicht wieder eingefroren
werden, Hugo!“„Keine Sorge, diesmal dauert es keine sechs Jahre, sondern höchstens sechs
Stunden“, versicherte der blauhäutige Mediziner.„Ich bin aber wirklich ... uuuaahh ... gar nicht müde uuaaahh...“ Daniel
gähnte noch einmal herzhaft, dann fielen ihm die Augen zu. Das kantige Kinnmit den winzigen Bartstoppeln sackte auf seine Brust. Tiefe und regelmäßigeAtemzüge verrieten, daß er eingeschlafen war.
„Scheint gar kein übler Typ zu sein“, meinte Harpo und sah dabei Fidel an.Der nickte zögernd.
„Sieht so aus.“ Fidel zuckte mit den Schultern. „Hmm – ich glaube, ich mußmal über etwas nachdenken, Harpo.“
„Nachdenken?“ fragte Anca. „Worüber denn?“„Über Vorurteile“, erwiderte Fidel, während er hinausging.„Ich wette, er hat einen gewaltigen Kohldampf, wenn er wieder aufwacht“,
meinte Karlie Müllerchen. „Ob er Kartoffelpuffer mag?“Harpo verzog das Gesicht und sagte griesgrämig: „Wie kannst du daran
zweifeln, Karlie, he?“Der über zwei Meter große Junge grinste von einem Ohr zum anderen.
„Dann werde ich ihm vorsichtshalber mal achtzig Stück in die Pfannehauen ...“
Die lockenden Sterne
Daniel Locke kehrte nach einem opulenten Mahl zusammen mit Harpo,Thunderclap, Fantasia, Lonzo und Karlie auf die EUKALYPTUS zurück undsah zum ersten Mal das Schiff, auf dem er so viele Jahre verbracht hatte, ausder Nähe.
Er konnte nicht verbergen, daß dieser Koloß großen Eindruck auf ihnmachte. Zwar war er selbst Techniker auf einer Werft für Raumschiffe gewesen – und hatte sogar am Bau der EUKALYPTUS mitgewirkt , aber dasfertige Ergebnis seiner Arbeiten hatte er nur auf dem Bildschirm seinesFernsehers betrachten können.
Und das war gar nicht so erstaunlich, wie es sich anhörte. Im allgemeinenbaute man Teile der großen Raumschiffe auf der Erde zusammen und brach
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te sie mit Lastraketen ins All hinaus, wo sie montiert wurden. So hatte Danielimmer nur einzelne Teile zu Gesicht bekommen und deshalb keinen besonders großen Spaß an seiner Tätigkeit gehabt. Die Montagearbeit im All wurdewieder von anderen Technikern ausgeführt, die auch nicht recht zufriedenwaren, weil sie mit den Vorarbeiten nichts zu tun gehabt hatten. Ihnenwurden einzelne Fertigteile übergeben, die sie stur nach einem bestimmtenKonstruktionsplan zusammensetzten. Die Fließbandarbeit hatte man auf derErde längst abgeschafft, weil die Leute sie als unmenschlich empfanden undablehnten, aber dafür griff das Spezialistentum immer mehr um sich.
„Seht ihr?“ meinte der Rotpelz Alexander. „Bei uns haben wir das schonlange rausgefunden, daß es nicht eben das Selbstbewußtsein stärkt, wennman stur immer wieder dasselbe machen muß. Erst wenn man eine Sacheganz entstehen sieht, vom Anfang bis zum Ende – dann macht es Spaß!“
„Warum tun die Monteure denn diese Arbeit?“ fragte Karlie ernüchtert.„Ich meine, wenn sie ihnen doch keine Freude macht ...“
Daniel zuckte die Schultern. „Sie müssen doch irgendwie Geld verdienen,um Nahrung und Kleidung zu kaufen und eine Wohnung zu mieten“, erklärteer. „Die meisten Jobs sind so beschaffen. Man kann sich die Arbeit einfachnicht danach aussuchen, ob sie einem Spaß macht oder nicht.“
„Das ist aber wirklich fies“, meinte Harpo. „Die Leute auf Nordpol tun nurdas, was ihnen Spaß macht. Jeder kann alles. Wir haben es auf der EUKALYPTUS ebenso gehalten. Und es klappt – wenigstens meistens.“
Daniel Locke kratzte sich hinter dem Ohr und nickte dann. „Ich staune sowieso, daß ihr grünen Jungs mit Eierschalen hinter den Ohren dieses Riesenschiff wieder in Schwung gebracht habt, nachdem ein Haufen hochkarätigerSpezialisten die Flucht ergriffen hat.“
„Eierschalen?“ quakte Lonzo.„Grüne Jungs?“Lonzo machte: „Naaaa!“ und drohte Daniel mit allen vier Tentakeln gleich
zeitig.„Oh, ‘tschuldigung“, erwiderte Daniel hastig. „Ich falle doch immer wieder
in diese alten Redensarten zurück. Ich bin halt zu erzogen worden. Tut mirleid. Es dauert eine Weile, bis ich umdenke.“
Er wußte inzwischen, daß die Kinder Bezeichnungen wie „grüne Jungs“überhaupt nicht hören mochten, und hatte sich auch schon gebessert, abergelegentlich rutschte ihm halt noch so etwas raus. Zwar wußten die anderengenau, daß er es eigentlich gar nicht böse meinte und daß sogar ein gehörigesStück Bewunderung hinter seinen Worten steckte. Aber trotzdem ...
„Und wenn schon ‚grüne Jungs‘“ schimpfte Fantasia Einstein, „dann auch‚grüne Mädchen‘. Wir haben nämlich auch allerhand getan.“
Daniel lachte verlegen. „Verzeihung Fantasia. Auch daran muß ich micherst noch gewöhnen. Als ich klein war, hat man mir den Blödsinn erzählt, daßMädchen nicht logisch denken können und deshalb auch nichts von Technikverstehen.“ Er legte einen Arm entschuldigend um Fantasias Schultern.
„Na, wieder gut?“ Daniel blinzelte.
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Fantasia nickte lächelnd. Sie fühlte sich sehr zu Daniel hingezogen, weil ersie an ihren Vater erinnerte, obwohl er viel jünger war. Ihr Vater hatte auchimmer so ein angenehmes, breites Lächeln gehabt. Viele Kinder auf der EUKALYPTUS waren Waisen – wie Harpo und Anca , aber Fantasia litt nochimmer darunter, daß sie ihre Eltern wahrscheinlich niemals wiedersehenwürde.
„Ich dachte mir das schon“, sagte Daniel, nachdem er die Atomreaktorenund Antriebselemente der EUKALYPTUS besichtigt hatte.
„Was?“ fragten Harpo und Thunderclap wie aus einem Munde.„Daß etwas faul ist an diesem Raumschiff. Damals auf der Werft wurde von
einem neuartigen Antrieb gemunkelt. Genaues erfuhr man nicht, weil allesvon den Sicherheitsheinis abgeschirmt wurde. Aber zweifellos wurde dieserneue Antrieb in das Schiff eingebaut.“
„Und was ist daran faul? Hat das vielleicht etwas mit der Katastrophe zutun, die die EUKALYPTUS aus ihrer Kreisbahn um die Erde riß?“
„Vielleicht. Es ist auf jeden Fall ziemlich merkwürdig, daß ein Schiff, daseigentlich nur die Erde umkreisen und nicht das Sonnensystem verlassensoll, überhaupt einen Antrieb erhält! Was soll es denn damit? Eine normaleRaumstation hätte es für die offiziellen Zwecke auch getan. Und mehr noch:Das Schiff bekommt einen gänzlich unerprobten Antrieb, mit dem die Menschen zum ersten Mal größere interstellare Entfernungen überwinden undmit dem die Schranke der Lichtgeschwindigkeit fällt.“
„Hm“, meinte Karlie. Da er sich stark für Astronavigation interessierte,wußte er inzwischen, daß das Licht 300 000 Kilometer pro Sekunde zurücklegt und trotzdem einige Jahre benötigt, bis es von Stern zu Stern dringt. Werschneller reisen wollte, mußte also flinker als ein Lichtstrahl sein. Das galtlange als unmöglich, weil der geniale Physiker Albert Einstein (der übrigensnicht mit Fantasia verwandt ist) eine Theorie entwickelt hat, nach der dieLichtgeschwindigkeit die höchstmögliche Geschwindigkeit im Universum ist.„Stimmt eigentlich. Aber was steckt dahinter? Was ist der Sinn?“
„Keine Ahnung“, gab Daniel zu. „Vielleicht bleibt das immer ein Geheimnis, denn nicht mal Schwatzmaul ist darüber informiert.“
„Der“, kicherte Harpo, „weiß von manchen anderen Dingen auch nichtviel.“
„Einspruch“, sagte Schwatzmaul über sein Lautsprechersystem. „Ichprotestiere!“ Sein Gerede ging in Daniels weiterer Erklärung völlig unter.
„Ich bin davon überzeugt, daß die EUKALYPTUS nicht in erster Linie alsSanatoriumsschiff für kranke Kinder gedacht war! Da wurde ein nagelneuesSchiff mit fast zweihundert Decks gebaut. Ein gewaltiger Kasten, auf demzwanzigtausend Menschen sich verlaufen können. Versehen mit einem Superantrieb. Jeder bei uns auf der Werft glaubte, an einem Sternenschiff zu arbeiten. Die Konzeption ist einfach großzügig und ungewöhnlich. Für ein neuesSanatorium“, fügte er hinzu.
Er schwieg, denn trotz seiner vollständigen Gesundung war sein Tiefschlaf,auf den Daniels Anwesenheit überhaupt zurückzuführen war, ein wunder
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Punkt. „Ich bin jedenfalls nicht davon ausgegangen, daß dieses Schiff dieErde auf ewig umkreist, als ich mich einfrieren ließ.“ Daniel hatte es, wie erberichtete, nur einem Verwandten zu verdanken, daß man sich bereiterklärthatte, sich seiner auf dem Hospitalschiff anzunehmen. „Wenn ein Mann inmeiner Lage so schwer krank wird“, sagte er einmal, „dann muß er sterben.Nur die Prominenten können da noch hoffen, weil sie die teuersten Heilverfahren bezahlen können.“
Die Methode, Menschen einzufrieren, um sie erst dann wieder aufzuwecken, wenn ein Mittel gegen ihre Krankheit entdeckt wurde, war kostspielig.Auf der Erde existierten private Tiefschlafdepots, aber wenn man da eineneinfachen Krankenschein vorlegte, kam man nicht einmal am Pförtner vorbei. Daniel hatte deshalb schon beinahe resigniert, als ihm sein Arzt mitteilte,daß er nur noch wenige Monate zu leben hatte.
Ein Verwandter machte ihn darauf aufmerksam, daß man Freiwillige fürein Weltraumexperiment suchte, die eingefroren werden sollten. Was genaudieses geheimnisumwitterte Experiment beinhaltete, war Daniel bis heuteunklar geblieben – und vermutlich war es auch gar nicht mehr zu rekonstruieren. Daß man seinen gläsernen Sarg jedoch an Bord der EUKALYPTUSbrachte, unterstützte seine Vermutung, daß dieses Schiff keineswegs alleinzur Erholung irdischer Kinder gedacht war.
„Sagt mal“, meinte er, nachdem er beinahe jeden Quadratzentimeter derMaschinenräume inspiziert hatte, „ihr habt zwar tolle Arbeit geleistet undviele Schäden beseitigt – aber ich verstehe nicht ganz, weshalb ihr den Antrieb nicht zu voller Manövrierfähigkeit gebracht habt. Es ist doch alles an Ersatzteilen vorhanden, was nötig ist.“
„Waaas?“ fragte Karlie entsetzt. „Das kann doch nicht wahr sein. Es stimmtzwar, daß alle großen und komplizierten Teile in Reserve genommen wurden,aber so manches kleine und lebenswichtige Detail fehlte, angefangen bei bestimmten Schraubenarten und Werkzeugen.“
Daniel lachte. „Da habt ihr euch foppen lassen“, sagte er grinsend. „Ihrhabt bloß nicht erkannt, was zusammengehört! Habt ihr denn die Werkzeugmaschinen nicht gesehen? Wenn wirklich ein paar Verbindungselementefehlen, könnt ihr die doch mit Leichtigkeit auf den Dreh, Bohr, Fräs, undHobelmaschinen selbst anfertigen.“
Karlie und die anderen waren jetzt tatsächlich an der Reihe, rot zu werden.„Wir haben keine Ahnung, wie man diese Maschinen bedient. Und – ehrlichgesagt – wir haben nicht das geringste verstanden, wenn wir Schwatzmauldanach fragten!“
„Wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf“, schaltete sich das GroßeGehirn in die Unterhaltung ein, „so muß ich dazu bemerken, daß ich es unseren verehrten Damen und Herren Ingenieuren immer wieder ganz präzisebeschrieben hatte. Und trotzdem haben sie behauptet, meine Worte seien fürsie unverständlich. Dabei bin ich seit dem ersten Stromstoß, der durch meineSpeicherzellen fuhr, dafür bekannt, daß ich äußerst knapp, exakt, ohne über
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flüssige Worte meinen Aufgaben genüge. Wie schon weiland der Kommandant in seinen Mußestunden zu sagen beliebte ...“
„Was hast du Karlie und den anderen denn gesagt?“ unterbrach Daniel denWortschwall des Elektronengehirns.
„Nun ja, ich erklärte ihnen kurz und knapp, was sie beachten müssen, bevor sie eine Drehmaschine einschalten, nämlich ein bißchen Werkstofftechnologie, ein wenig Elektrotechnik und eine Prise Zerspannungstechnik. Also:Fe hat drei Modikatoren, nämlich kubischraumzentrierte Gitter, stabil beiTemperaturen bis 911 Grad Celsius, kubischflächenzentrierte Gitter von 911Grad bis 1392 Grad Celsius. Die Umwandlung geschieht bei steigender Temperatur endotherm, bei fallender Temperatur exotherm, wobei Modifikationinstabil existenzfähig infolge Umwandlungsträgheit bei überhärtetem legierten ...“
Karlie verdrehte die Augen.„Nein“, stöhnte Daniel. „Das hast du ihnen erklärt?“„Ja“, erwiderte Schwatzmaul. „Endlich mal jemand, der meine Ausfüh
rungen zu schätzen weiß! Es ist doch wirklich einfach, logisch und absolutnotwendig für das Verständnis, weshalb ich mich nicht scheue, an dieserStelle einmal auszusprechen, meine Damen und Herren – und das muß einmal gesagt werden , daß wir zu dieser Stunde im Bewußtsein unserer Verantwortung, wie jeder zugeben muß ...“
„Halt!“ donnerte Daniel dazwischen. „Schwatzmaul, du bist ... du bist einSchwatzmaul, jawoll! Und ein Hornochse dazu!“
„Vielen Dank“, entgegnete Schwatzmaul. „Ich mag diese großen Tiere, dieGras kauen und dabei eine Reaktionswärme von ...“
„Schwatzmaul!“ drohte Daniel.Karlie keuchte: „Hilfe!“„Aber darf ich wenigstens ...“„Nein“, entschied Daniel. „Du darfst nicht.“„Och, wie schade!“„Durch solche Vorträge werdet ihr niemals lernen, wie man aus einem
Stück Metall eine Schraube anfertigt und sie härten kann. Oder wie manschweißt und schmiedet. Oder ganz einfach Schrauben nicht zu fest undnicht zu locker anzieht. Kommt mit, ich werde euch zuerst mal richtigesElektroschweißen beibringen.“
„Das können wir schon“, sagte Fantasia stolz. „Sonst wären wir nicht weitgekommen bei unseren Reparaturarbeiten. Die Weltraumärzte haben uns dasgezeigt.“
Daniel biß sich verlegen auf die Unterlippe. „Beißt mich jetzt nicht“,meinte er, „aber ich habe mir die Schweißnähte, die ihr gelegt habt, schonangesehen. Also: Erstaunlicherweise hält das irgendwie, aber glaubt mir,meinem alten Lehrmeister wären auf einen Schlag alle grauen Haare ausgefallen, wenn er das gesehen hätte. Die Galaktischen Mediziner mögen zwarGenies auf ihrem Gebiet sein, aber vom Schweißen haben sie nun mal keineAhnung.“
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„Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf“, mischte sich Schwatzmaulwieder ein, „achtet darauf, daß die kristalline Struktur der Metallenden soverändert wird, daß ein gleichartiges Ganzes ...“
Lachend flüchtete Daniel mit den Kindern. Unten in den Maschinenräumen und Antriebskammern gab es nur ganz wenige Lautsprecher, aus denender redselige Computer seine Kommentare abgeben konnte. Ganz verzichtenwollten sie natürlich nicht auf ihn, und später erwies sich, daß sogarSchwatzmaul sich mit einiger Mühe so ausdrücken konnte, daß man ihnohne Fachstudium verstand. Er zeigte ihnen genau, wo noch unterbrocheneLeitungen geschweißt, verlötet oder neu verlegt werden mußten und wo taube Teile gegen Ersatz auszutauschen waren.
Harpo, Thunderclap und die anderen kamen aus dem Staunen nicht mehrheraus, als sie sahen, mit welcher Geschicklichkeit ihr neuer Freund Danieldie Werkzeuge zu handhaben verstand. Er zeigte ihnen mit großer Geduldnicht nur, wie geschweißt, gelötet oder an den Werkzeugmaschinen gearbeitet wurde, sondern wußte überall Rat, wo es Schwierigkeiten gab.
Wenn ein Schraubenschlüssel zu kurz war, verlängerte er ihn kurzerhandmit einem Rohr; wo sich festgebrannte Schraubenmuttern nicht bewegenließen, hämmerte er sie mit einem Meißel auf. Und lässig bewegte er mitwenigen, geschickt angebrachten Hubzügen und Hydraulikpumpen haushohe Antriebsaggregate, von denen die Kinder geglaubt hatten, daß auchtausend Olympiasieger im Gewichtheben sie nicht von der Stelle bewegenkönnten.
Was eigentlich mit dem Antrieb passiert war, konnte auch Daniel nichtfeststellen. Er war ein guter Monteur, aber kein Wissenschaftler. Sicher war,daß aus unvorhergesehenen Gründen eine Überlastung erfolgt war, bei derein Teil der Anlagen ausgefallen und das Raumschiff in einen Raumsektor katapultiert worden war, der so weit von der Erde entfernt lag, daß der Sternenhimmel fremd erschien.
Wo immer die heimatliche Sonne als einer von vielen blitzenden Punktenam Himmel leuchten mochte: Wenn sie in der halbdunklen Zentrale standenund durch die gläserne Kuppel hinaufsahen zu den Sternen, spürte jeder derFreunde ein erregendes Gefühl der Abenteuerlust. Welche seltsamen Weltenund Wesen mochten dort im All auf sie warten?
Zu neuen Abenteuern
Sie hatten sich in der Hauptzentrale der EUKALYPTUS versammelt. Dieswar vielleicht die letzte Versammlung, an der sie alle teilnahmen. Alle, die mitdem Raumschiff zum Planeten Nordpol gekommen waren. Und schon vorBeginn der Versammlung wurde deutlich, daß es zwei verschiedene Lagergab: Die einen wollten auf Nordpol bleiben, während die anderen darauf
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brannten, mit dem Schiff zu neuen Planeten vorzudringen. Vergessen war dieZeit, als sie diesen Planeten erreichten, manövrierunfähig und einzig undallein darauf bedacht, eine neue Heimat zu finden.
Ein bißchen Schuld dabei trug Daniel Locke, denn er hatte maßgebenddabei geholfen, daß die restlichen Schäden an der EUKALYPTUS behobenwaren. Alle halfen bei der Reparatur, auch diejenigen, die nicht daran dachten, den Schneeplaneten wieder zu verlassen. Aber die Abenteuerlustigen unter den Kindern hatten keine ruhige Minute mehr, seit Schwatzmaul bestätigthatte, daß das Raumschiff nicht nur in jeder Beziehung startklar war, sondernauch über so große Reaktorvorräte verfügte, daß man damit ein paar hundertJahre lang durch das All schippern konnte.
„Riskant ist es trotzdem“, äußerte sich Daniel. „Wir wissen immer nochnicht, wie der Antrieb funktioniert und welche Tücken und Kinderkrankheiten damit verbunden sind. Wer sagt uns, daß sich die Katastrophe nichtwiederholt, die das Schiff aus dem Orbit der Erde gerissen hat?“
„Pah“, machte Lonzo wegwerfend. „Wenn Captain Kidd so gedacht hätte,wäre er niemals Pirat geworden, sondern höchstens Heringsfänger auf demBodensee!“
„Probleme sind dazu da, um gelöst zu werden“, meinte auch ThunderclapGenius. „Wenn wir uns auf Nordpol einigeln, erfahren wir niemals, was im Allvorgeht.“
„Ja, müssen wir das denn?“ fragte Fantasia. „Warum genügt es euch nicht,bei unseren Freunden, den Raufbolden und Rotpelzen zu bleiben? Hier ist esdoch prima!“
Sie hatte eigentlich recht, und Thunderclap wußte selbst ganz gut, daß esihm und vielen anderen nur darum ging, neue Abenteuer zu erleben.
„Beim Schneegockel und seinen vierzig Zitterhühnern!“ schimpfte Flunkilos, der neben Alexander, Hugo und einigen weiteren Raufbolden und Rotpelzen als Ehrengast an der Versammlung teilnahm. „Warum könnt ihr euchnicht darauf einigen, daß Nordpol eure neue Heimat wird, daß ihr aber gelegentlich Kap... äh ...“
„Kaperfahrten!“ half Lonzo aus.„... Kaperfahrten zu anderen Planeten macht? Ihr kehrt natürlich immer
wieder in den Heimathafen zurück und bringt euren Freunden Andenkenmit!“
„Respekt, Raufbold“, schmetterte Lonzo los. „Das ist ein wahrhaftig piratiger Einfall! Eine Ehrensalve mit Tusch für den Admiral der Landpiraten vonNordpol!“
„Rärärärääää!“ brüllte Oliver aus Leibeskräften. „Operationsbasis Nordpol!“„Wie weit ist es bis zum nächsten Fixstern?“ wollte Harpo wissen.„Exakt 11,365789456 Lichtjahre“, meldete sich Schwatzmaul, „wobei ich
allerdings voraussetzte, daß sich kein Protest erhebt, als ich die letzte Kommastelle stillschweigend aufrundete ...“
„Und wie lange benötigen wir für die Hin und Rückreise?“ fragte Thunderclap.
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„Die reine Fahrzeit: drei Monate, zwei Wochen, vier Tage, dreizehnStunden, siebenundzwanzig Minuten, vier Sekunden, zwölf Mikrosekunden,acht ...“
„Also können wir bereits in einem halben Jahr zurück sein, wenn wir unsnicht länger als drei Monate in dem fremden Sonnensystem aufhalten“, unterbrach dieses Mal Harpo den Computer. „Ich finde, daß Flunkis Einfallwirklich großartig ist. Es ist demnach gar nicht nötig, daß wir uns trennen –weil wir einfach immer wieder zurückkehren.“
Ganz so einfach war es natürlich nicht, denn für die weiter entfernten Sterne würde man eine entsprechend längere Fahrzeit benötigen. Aber dieKinder waren erleichtert, daß es kein Abschied für immer sein würde, wenneine Gruppe auf Nordpol zurückblieb und die andere sich auf den Weg zuden Sternen machte. Das hatte sie nämlich alle sehr bedrückt. Sie waren inden vergangenen Monaten zusammengewachsen.
„Dann stellen wir jetzt die neue Besatzung der EUKALYPTUS zusammen!“rief Micel Fopp begeistert. Daß der Gedankenleser mit den kurzen Ärmchendie nächste Reise mitmachen würde, war von Anfang an so klar wie dickeTinte.
„Wer bleibt also auf Nordpol zurück?“ fragte Thunderclap.„Ich!“ schrie Flunki, und seine Raufboldfreunde fielen auf der Stelle mit ein.
„Tausend Eierdiebe mögen mir ihre Brut auf den Kopf werfen, wenn es ineinem Schneekrabbler nicht doch gemütlicher ist, als in dieser Sardinenbüchse!“
„Und wer noch?“ fragte Thunderclap lachend.Wie nicht anders zu erwarten war, meldeten sich Tom Schlitz und ein gutes
Dutzend seiner Freunde. Sie hatten sich in den letzten zwei oder drei Wochen stark mit dem RotpelzClan, aus dem Alexander stammte, angefreundetund wollten zurück in den Iglu, wo Fettwanst und seine Verwandtschaft sichihrer angenommen hatten.
Auch Daniel Locke wollte auf dem Planeten bleiben. Er genoß es, endlichfrei zu sein von einengenden Wänden. Er liebte es, stundenlang durch denSchnee zu stapfen, die frische, ozonreiche Luft in die Lungen zu pumpen undden kühlen Wind auf der Haut zu spüren. All das hatte er auf der Erde nie gekannt, und nun wollte er es gehörig auskosten. Das war verständlich.Außerdem wollte Hugo ihn noch eine Weile unter Beobachtung haben, umganz sicher zu gehen, daß die Krankheit ausgeheilt war.
Es gab noch drei Menschen, für die Hugo sich stark interessierte, weil erhoffte, etwas für sie tun zu können: Thunderclap, Lucky Cicero und BabsMonroe. Thunderclap weigerte sich jedoch Stein und Bein, auf dem Planetenzu bleiben. So gern er seinen Rollstuhl in die Ecke stellen wollte, war ihmdoch das Zusammenbleiben mit seinen engsten Freunden wichtiger – jedenfalls im Moment. Außerdem wußte er, daß selbst mit den medizinischenKünsten der Galaktischen Mediziner eine Hilfe für ihn – wenn überhauptmöglich – sehr, sehr langwierig war. Er hoffte, daß er später auf HugosAngebot zurückkommen konnte.
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Babs und Lucky ließ Hugo sich aber nicht entreißen. Babs war organischgesund, brauchte aber dringend eine eingehende psychische Behandlung.
Wie er Lucky helfen konnte, wußte er noch nicht, aber er war überzeugt,daß ihm etwas einfallen würde. Einigen Freunden war es nicht so recht, daßsie auf die Gesellschaft des immer fröhlichen Spielkameraden verzichten sollten, und sie meinten sogar, daß Lucky lieber so bleiben sollte, wie er war.Aber schließlich sahen sie doch ein, daß sie sehr egoistisch dachten.
Sicherlich würde er etwas ernster werden, wenn es gelang, seinen Geist ausdiesem Kokon zu befreien, der ihn gegen die Umwelt abschirmte, weil dannviele Probleme und Konflikte auf ihn warteten wie auf jeden Menschen.Andererseits würde Lucky jedoch eine andere Art von Lebensfreude kennenlernen, uns sein rätselhaftes Talent würde sich dann vielleicht voll entfalten.
Weil der kleine Mongoloide Lucky auf Nordpol blieb, wollte auch Fantasiadie nächste Reise nicht mitmachen. Ihr kleiner Liebling sollte nicht allein zurückbleiben. Es fiel ihr natürlich schwer, Micel und Ollie, ihre beiden anderen„Pflegekinder“ ohne sie abreisen zu sehen, aber was sollte sie machen?
Die Freunde verloren mit Fantasia auch ihre allerbeste Ingenieurin, aberman konnte sie ja schließlich nicht dazu zwingen, auf der EUKALYPTUS zubleiben. Und sie gönnten ihrem Freund Lucky, daß wenigstens einer aus demengsten Freundeskreis vom ehemaligen Deck 27 bei ihm blieb.
Noch jemand zog es zu Lucky, den Raufbolden und Rotpelzen. Das war zurallgemeinen Überraschung Fidel Flottbek. Er wollte nicht so richtig mit derSprache herausrücken, weshalb gerade er, der die Erwachsenen doch garnicht leiden mochte, in nächster Nähe von Daniel und Babs bleiben wollte.
„Das sind keine richtigen Alten“, sagte er, als man ihn darauf ansprach, undgenauso meinte er es auch.
Wenn wir Flunki glauben dürfen, der bei aller Poltrigkeit eine Spürnase dafür hatte, blieb Fidel vor allem deshalb, weil eine gewisse rothaarige Ingenieurin, die er gut leiden mochte, nicht mitfuhr, na ja, wer weiß, vielleichthatte Flunki auch nur geflunkert ...
Harpo guckte ein bißchen enttäuscht, als er hörte, daß Fantasia noch andere Verehrer hatte, nahm es aber hin.
Der kleine Trompo mochte ähnliche Probleme haben, denn der Abschiedvon seiner neuen Gefährtin Neli fiel ihm ebenfalls nicht leicht. Aber Neliwurde auf Hugos Hospitalstation gebraucht – und wenn etwas Trompo überdie Liebe ging, dann war es die Abenteuerlust.
Eine andere Entscheidung wäre auch deshalb schwer möglich gewesen,weil der ganze Planet Nordpol mit allen Schneeiglus und Krabblern und Vegetationsgürteln unter dem Schnee gar nicht ausgereicht hätte, um ein Versteck zu bieten vor dem kleinen Ollie. Der Krauskopf mit derfransenverzierten Lederhose hätte es niemals geduldet, daß sein Spielkamerad Fahnenflucht beging. Aber das wollte er ja auch gar nicht.
Lori Powitz fühlte sich hin und hergerissen zwischen den alten Freundenan Bord und den neuen unter den Raufbolden, aber schließlich siegten Flunki und Borro.
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Flunki versprach hoch und heilig, aus Lori eine gute RaufboldFrau zu machen, auf sie aufzupassen, sie zu beschützen und ihr nicht allzu vieleschlimme Flüche beizubringen.
Mit Alexander, dem rotbepelzten Bärenjungen, wurde ein neues Mitglied indie Mannschaft aufgenommen. Fast ohne Unterbrechung erzählte er tagelang vor der Abfahrt jedem, egal, ob er es hören wollte oder nicht, daß er sichaufmachte, die allerschönste und allerlängste Entdeckerfahrt aller Rotpelzezu unternehmen. Aber schließlich hatte er ja auch recht damit.
Endlich war der Starttag gekommen.Alle hatten sich auf Nordpol versammelt. Die Raufbolde und Rotpelze
hatten sogleich ein großes Fest daraus gemacht und verabschiedeten dieRaumfahrer zu Hunderten. Und natürlich fehlte auch keiner der Zurückbleibenden, auch Hugo und Neli nicht, als die letzten Kinder in die Beibootekrochen, um auf das Raumschiff, das den Planeten umkreiste, zurückzukehren.
Es gab ein paar Tränen, aber dann winkten und jubelten alle und freutensich schon jetzt auf das Wiedersehen.
Die nächste Weltraumexpedition der EUKALYPTUS konnte beginnen!Schwatzmaul richtete seine elektronischen Lauscherohren wieder in den
Kosmos hinaus, in Richtung des neuen Kurses.Dann begannen die Antriebsaggregate kaum merklich zu summen. Die EU
KALYPTUS drückte sich sanft aus der Umlaufbahn um Nordpol. Unter dergleichmäßigen Beschleunigung wurde die Geschwindigkeit immer größer.
Für die Zurückbleibenden schrumpfte der Lichtfleck am Himmel zu einemwinzigen Stern zusammen und verging.
Niemand an Bord wußte, was sie in den nächsten Wochen und Monatenerwarten mochte.
Aber irgendwo im weiten All, genau auf dem vorprogrammierten Kurs desRaumschiffes, trieb ein uralter, eiserner Koloß.
Noch war er viele Millionen Kilometer von der EUKALYPTUS entfernt.Doch das Raumschiff näherte sich ihm unaufhaltsam.
Irgendwann würden die Sensoren des Computers Alarm geben ...
Ende
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Die Besatzung der EUKALYPTUS
Harpo Trumpff:Sechzehn. Blondes, schulterlanges Haar. Hat gelegentlich Angst vor dem
Alleinsein in der Dunkelheit. Grund seines Aufenthalts auf dem Sanatoriumsschiff: Schwindelanfälle, Gedächtnisstörungen nach Stürzen. Chronist undLogbuchführer der EUKALYPTUS.
Anca Trumpff:Harpos Schwester. Zwölf. Langes schwarzes Haar. Klein. Etwas pummelig.
Regt sich auf, wenn man sie „Pummelchen“ nennt. Liebt Tiere. Mit Ollie sehreng befreundet. Übertreibt gern. Wurde auf das Schiff geschickt, damit Harposich nicht allein fühlt.
Brim Boriam:Vierzehnjähriger Negerjunge. Krauses Haar. War anfangs sehr schüchtern.
Litt unter starken Sprachstörungen. Stottert jetzt nur noch, wenn er sehr aufgeregt ist. Hat medizinisches Talent. Wurde von den Galaktischen Medizinern in einem Schnellhypnose Verfahren zum Arzt ausgebildet.
Thunderclap Genius:Deckname eines gelähmten fünfzehnjährigen Jungen. Hütet seinen echten
Namen sorgsam. Hochintelligenter Tüftler. Technisch begabt. AlleswissendeLeseratte mit eidetischem Gedächtnis (vergißt kaum etwas, was er einmal gehört oder gelesen hat). Hobby: Entschlüsseln von Geheimschriften.
Lucky Cicero:Zehn. Kann nur wenige Worte sprechen. Mongoloide. Sehr verspielt.
Freundlich. Verfügt über geheimnisvolle parapsychologische Geisteskräfte.Ist sich ihrer nicht bewußt. Kann sie nicht steuern. „Telekinet“ und„Teleporter“ (Kann Gegenstände mit reiner Geisteskraft bewegen). Verfügtüber die Gabe, seinen Körper aufzulösen und an anderer Stelle wieder komplett zusammenzufügen. Verbringt seine Zeit hauptsächlich damit, zusammen mit Lonzo nach nicht existierenden Schätzen zu suchen. BesteFreundin: Fantasia Einstein. Kümmert sich um ihn, als wäre er ihr kleinerBruder.
Lonzo:Roboter. Im Gegensatz zu seinen maschinellen Kollegen, die wegen ihrer
teddybärartigen Aufmachung die „Grünen“ genannt werden, ohne Verkleidung. Behauptet von sich, überhaupt keine Maschine, sondern ein ehemaliger Seeräuber zu sein. Ist zweifellos defekt. Steht voll auf der Seite derKinder. Akzeptieren ihn, so wie er ist. Klopft gern Sprüche. Hat so ziemlich jedes Buch über Piraten gelesen. Ist in der Lage, kleinere Verletzungen und
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Krankheiten mit einem eingebauten medizinischen System zu behandeln.Besitzt aus Metallringen zusammengesetzte Beine und einen kugelrundenKopf.
Fantasia Einstein:Fünfzehn. Rothaarig. Sensibel. Blaß. Wirkt nervös. Sehr still. Lerneifrig.
Kümmert sich rührend um Lucky Cicero. Möchte eines Tages Raumschiffbauingenieurin werden.
Fidel Flottbek:Dunkelblond. Hat Pickel. Neben Harpo und Thunderclap der älteste Junge
an Bord der EUKALYPTUS. Hatte eine schlimme Jugend. Wuchs in Waisenhäusern auf. Ist daher den Erwachsenen gegenüber nicht besonders positiveingestellt. Hält sie alle für schlecht. Kann aggressiv sein. Ist aber nicht verstockt, sondern kann einsichtig sein, wenn man ihm eine andere Meinung inden richtigen Worten nahebringt.
Micel Fopp:Vierzehn. Schwarzhaarig. Dunkle Augen. Wurde durch falsche Medi
kamente, die seine Mutter während ihrer Schwangerschaft einnahm, mit verkürzten Armen geboren. Hände klein wie die eines Fünfjährigen und direktan seinen Schultern angewachsen. Ansonsten körperlich unversehrt. „Telepath“ (ist in der Lage Gedanken zu lesen).
Karlie Müllerchen:Fünfzehn. 2,20 Meter groß. Niemand weiß, wann er aufhören wird zu
wachsen. Bürstenhaarschnitt. Liebt nichts mehr als Kartoffelpuffer. Tischt siejedesmal, wenn er mit Küchendienst an der Reihe ist, den anderen in hundertVariationen auf. Hat Humor und starkes Interesse an Funktechnik und Astronavigation.
Tom Schlitz:Genannt „Big Tom“. Fünfzehn. Kaut ständig an den Fingernägeln. Hat
puppenhaftes, weißes Gesicht und einen muskulösen Körper für seine Größe.Anfangs ein ziemlich ruppiger Bursche. Wird später den anderen mehr undmehr zum Partner. Freundet sich mit Fidel Flottbek an, der in seiner Kindheiteine ähnliche Entwicklung durchmachte.
Ollie:Elf. Strubbelkopf. Fransenbesetzte Lederhose. Ziemlich frech. Sogenannter
„Hypochonder“ (eingebildeter Kranker). Kerngesund, redet sich aber ständigein, gegen alles und jeden allergisch zu sein. Schreit nach Medizin, sobald ereinen einsamen Pickel auf seiner Haut entdeckt. Sein Ziel: rasch erwachsenzu werden, weil er Anca Trumpff heiraten will.
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Moritz: Dackel. Ollies Liebling. Darf eigentlich nicht in die Zentrale. Wirdvon Ollie immer wieder eingeschmuggelt. Hat es auf Lonzos Metallbeineabgesehen. Und auf Trompo, den er für eine Art Hund hält.
Trompo: Außerirdisches Wesen von Katzengröße. Sieht wie ein rosafarbener Elefant aus. Schlappohren. Haut ist von einem Fell bedeckt. Ist keinTier, sondern ein intelligentes Lebewesen von einem Planeten mit unaussprechlichem Namen. Lebte als eine Art „Krankheitsaufspürer“ bei den Galaktischen Medizinern, bevor er auf das „Raumschiff der Kinder“ kam.
Babs Monroe: Geheimnisvolles, achtzehnjähriges Mädchen. Anwesenheitauf der EUKALYPTUS bislang unerklärlich. Große blaue Augen. Mittellanges,hellblondes Haar.
Daniel Locke: Mehr ein Mythos als eine Person. Ein Mann in einem gläsernen Sarg. Die Kinder können mit ihm keine Verbindung aufnehmen, weil erim Tiefschlaf liegt.
Schwatzmaul: Elektronengehirn der EUKALYPTUS. Umfaßt alleelektronischen Teile, Steuer und Kontrollelemente des Schiffes. Und dieSpeicherbänke. Die Bordbibliothek. Ist nicht perfekt. Muß manchmalzugeben, daß er Wissenslücken hat. Redet mit menschlicher Stimme viel,gern und geschwollen. Auch über Sachen, die keinen interessieren. Das hatihm seinen Namen eingetragen.
EUKALYPTUS: Den Namen erhielt das Schiff erst durch die Kinder. Obwohles ja eigentlich eher wie eine riesige Hantel aussieht. Zwei Kugeln, ein zylindrisches Verbindungsstück. Besteht aus einer Vielzahl von Decks, jedes kilometergroß, viele davon als künstliche Wüsten und Dschungel ausgestattet.
Ob das Raumfahrzeug ursprünglich als eine Art Auswanderungsschiff fürinterstellare Reisen vorgesehen war, weiß man nicht so genau. Sicher ist nur,daß es einen neuartigen, vorher nicht getesteten Antrieb besitzt, der mehrfache Lichtgeschwindigkeit zuläßt. Es umkreiste als Hospitalschiff für krankeund umweltgestörte Kinder die Erde bis es sich aus noch ungeklärter Ursache aus seiner Umlaufbahn riß. Die ursprüngliche Besatzung ließ das Schiffund die Kinder im Stich. Diese mußten selbst lernen, das Schiff zu steuern.Oder steuern zu lassen, denn die meiste Arbeit nimmt ihnen der allgegenwärtige Computer Schwatzmaul ab. Daß sich die EUKALYPTUS überhauptwieder manövrieren läßt, verdanken die Kinder vor allem den hilfreichen„Weltraumärzten“, einer extraterrestrischen Rasse. Die EUKALYPTUS hatmehrere Beiboote, Fabrikationsstätten für alles, was an Bord benötigt wird,Wartungsroboter – und natürlich eine sehr tüchtige, aber auch fröhliche Besatzung.
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