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Accademia di Architettura – Mendrisio, Schweiz Die Wahl der Accademia di Architettura für ein Studienjahr im Ausland erfolgte im wesentlichen aufgrund des erstklassigen fachlichen Rufs der Hochschule und dem sehr positiven Erfahrungsbericht, den ein Münchner Student, der zuvor dort ein Auslandsjahr absolviert hatte, bei einer Einführungsveranstaltung zum Thema Studium im Ausland an der TUM erstattet hatte. Im Übrigen hat mich, da ich in Italien geboren und aufgewachsen bin, der Gedanke gereizt, eine Zeit lang in einer italienischsprachigen Gegend Architektur zu studieren, um meine zweite Sprache in einem beruflichen Kontext anzuwenden und mein fachliches Italienisch verbessern zu können. Die Bewerbung mit Portfolio um einen Austauschplatz hat an der TUM stattgefunden und die Bewilligung durch die Fakultät in München wurde zeitnah und unkompliziert von der Gasthochschule bestätigt. Von der Accademia wurde vor Beginn des 1. Semesters Anfang September ein Sprachkurs für ausländische Studenten angeboten, den ich allerdings nicht wahrgenommen habe, da ich bereits muttersprachliche Italienischkenntnisse habe. Weiterhin gab es auch semesterbegleitend einen Sprachkurs. Das Studentenwohnheim, Casa dell’Accademia Für Austauschstudenten gibt es in Mendrisio in der Regel die Möglichkeit, einen Wohnheimplatz in der Casa dell’Accademia zu erhalten. Die Mietkosten liegen hier mit 590,- CHF monatlich (Stand SS 2011) etwas über dem freien Wohnungsmarkt in dem Ort (dadurch bedingt, dass ein Mietvertrag für ein Jahr vorgesehen ist, die Miete jedoch in 10

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Accademia di Architettura – Mendrisio, Schweiz  Die Wahl der Accademia di Architettura für ein Studienjahr im Ausland erfolgte im wesentlichen aufgrund des erstklassigen fachlichen Rufs der Hochschule und dem sehr positiven Erfahrungsbericht, den ein Münchner Student, der zuvor dort ein Auslandsjahr absolviert hatte, bei einer Einführungsveranstaltung zum Thema Studium im Ausland an der TUM erstattet hatte. Im Übrigen hat mich, da ich in Italien geboren und aufgewachsen bin, der Gedanke gereizt, eine Zeit lang in einer italienischsprachigen Gegend Architektur zu studieren, um meine zweite Sprache in einem beruflichen Kontext anzuwenden und mein fachliches Italienisch verbessern zu können. Die Bewerbung mit Portfolio um einen Austauschplatz hat an der TUM stattgefunden und die Bewilligung durch die Fakultät in München wurde zeitnah und unkompliziert von der Gasthochschule bestätigt. Von der Accademia wurde vor Beginn des 1. Semesters Anfang September ein Sprachkurs für ausländische Studenten angeboten, den ich allerdings nicht wahrgenommen habe, da ich bereits muttersprachliche Italienischkenntnisse habe. Weiterhin gab es auch semesterbegleitend einen Sprachkurs.

Das Studentenwohnheim, Casa dell’Accademia

Für Austauschstudenten gibt es in Mendrisio in der Regel die Möglichkeit, einen Wohnheimplatz in der Casa dell’Accademia zu erhalten. Die Mietkosten liegen hier mit 590,- CHF monatlich (Stand SS 2011) etwas über dem freien Wohnungsmarkt in dem Ort (dadurch bedingt, dass ein Mietvertrag für ein Jahr vorgesehen ist, die Miete jedoch in 10

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Raten gezahlt werden muss von September bis Juni, und dafür in den beiden Sommermonate Juli und August die Zimmer weiterhin kostenlos zur Verfügung stehen). Trotzdem kann man durchaus zu einem Zimmer in der Casa dell’Accademia raten, nicht nur weil die Wohnungssuche in einem fremden Land eventuell recht anstrengend werden kann, sondern vor allem auch weil dort durch die Gruppe internationaler Studenten eine bunte, anregende und sympathische Stimmung herrscht. Dazu trägt übrigens auch die erstklassige architektonische Qualität des Gebäudes bei, das mit seinen zwei gegenüberliegenden Scheiben mit Laubengängen das intensive Gemeinschaftsleben wunderbar fördert. Die kleinen, aber sehr gut geschnittenen Zimmer sind in 4er WGs mit einer großzügigen Wohnküche organisiert, jeweils zwei Zimmer teilen sich ein Bad.

Die gemeinschaftliche Wohnküche der Casa dell‘Accademia

Das Studienjahr ist in zwei Semester organisiert, wobei Vorlesungen und Entwürfe von Mitte September bis Weihnachten und von Ende Februar bis Anfang Juni gehen. In den Nebenfächern sind Prüfungen im Januar und Juli vorgesehen, ein Nachholtermin wird im September angeboten. Die wichtigste Lehrveranstaltung ist das Atelier (=Semesterentwurf), das jedem Studenten in der Ersten Woche nach der Abgabe von drei Präferenzen zugelost wird. Austauschstudenten haben in dem Zuteilungsverfahren keinen Vorrang den lokalen Studenten gegenüber, doch gewinnt man eine Priorität, wenn man das vergangene Semester nicht die Erstwahl bekommen hat: so sind in der Regel auch die beliebtesten Ateliers mit zwei Versuchen zu erreichen. Alternativ besteht die Möglichkeit, sich vor Anfang des Semesters direkt bei den Lehrstühlen mit Portfolio zu bewerben, in jedem

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Atelier sind zu diesem Zweck einige Plätze reserviert. Das Betreuungsverhältnis ist günstig mit zwei Assistenten auf 15-25 Studenten, wobei auch die Professoren in der Regel alle ein-zwei Wochen für Testate und Tischkritiken kommen, und somit wesentlich intensiver an der Lehre beteiligt sind als an der TUM. Die Ateliers sind teils auf Italienisch teils auf Englisch, Italienischkenntnisse sind von Vorteil, doch letztlich nicht zwingend Notwendig. Mit meiner Wahl der Ateliers von Prof. Francesco Venezia und Prof. Quintus Miller war ich sehr zufrieden, weitere namhafte Professoren sind Valerio Olgiati, Manuel und Francisco Aires Mateus, Jonathan Sergison, Marianne Burkhlater und Christian Sumi, Michele Arnaboldi. Jedes Wintersemester werden außerdem von Gastprofessoren oft interessante Entwürfe angeboten. Im Allgemeinen ist die Entwurfslehre durch starke Persönlichkeiten und klaren Positionen zu Architektur geprägt, somit ist die mögliche Bandbreite der Entwürfe in einem Atelier, allerdings auch das Spektrum der Richtungen, die durch die verschiedenen Professoren vertreten sind, enger als an der TUM; dafür liegt das Niveau der Lehre in der Regel erheblich über dem TUM-Durchschnitt. Obwohl der Entwurf klar im Mittelpunkt steht, kommt der grafischen Darstellung und Präsentation der Arbeit eine besonders hohe Bedeutung zu. Daneben ist das Erbe der Lehre Peter Zumthors an der Accademia der besondere Stellenwert des Modells, sowohl als Arbeitswerkzeug als auch als Präsentationsmittel: in mehreren der Ateliers wird viel Energie in großmaßstäbliche Holz- oder Betonmodelle investiert, um Räumliche Qualitäten, Stimmungen etc. zu definieren. Für den Modellbau steht eine Präsentation des Atelier Aires Mateus Holzwerkstatt und eine Gips- und Betonwerkstatt zur Verfügung, meistens wird auch in den Atelierräumen selbst Modell gebaut. CNC-Fräsen und Lasercutter gibt es nicht, dadurch hat der Modellbau einen viel Handwerklicheren Charakter. Neben den Ateliers wird eine Anzahl theoretische Nebenfächer angeboten, unter denen man je nach Semester wählen kann (allerdings hat man als Austauschstudent hier eine gewisse Freiheit). Diese bestehen in der Regel aus einer Vorlesung oder einem Seminar, meistens auf Italienisch, oft einer Analyse- oder Entwurfsarbeit und schließlich einer schriftlichen oder mündlichen Prüfung, die man auf Anfrage in der Regel auch auf Englisch absolvieren kann. Aus persönlicher Erfahrung kann ich die Kurse von Prof. Franz

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Graf (Baukonstruktion der Moderne) und Prof. Bruno Pedretti (Kunsttheorie der Moderne) besonders empfehlen. Die Atelierräume sind verteilt auf das ehemalige Krankenhaus Palazzo Turconi und den nahe gelegenen Neubau Palazzo Cannavée, der auch Hörsäle, Modellbauwerkstatt und Computerräume beherbergt. In der nahen Villa Argentina ist Verwaltung und Sekretariat untergebracht, in einem weiteren Pavillon befindet sich die gut bestückte Universitätsbibliothek. Eine eigene Mensa ist nicht vorhanden, Studenten haben eine Vergünstigung in der Kantine des gegenüberliegenden Krankenhauses, die allerdings trotzdem recht teuer bleibt, wie auch das Café im Palazzo Cannavée. Die Lebenshaltungskosten sind allgemein ziemlich hoch, es lohnt sich meistens, z.B. für Einkäufe über die italienische Grenze ins nahe Como zu fahren.

Die Kirche S.Rocco in Salorino

Mendrisio ist ein kleiner Ort und das Freizeitangebot ist eher überschaubar. Die Accademia bietet immerhin Hochschulsport an (Schwimmen, Skifahren, etc.), und die Fachschaft organisiert neben Vorträgen und Partys neuerdings auch eine Improvisationstheatergruppe. Jedes Semester findet an der Hochschule eine Vortragsreihe mit international bekannten Architekten oder Architekturfotografen statt (letztes Jahr u.a. Aurelio Galfetti, Francisco Mangado, Helène Binet, Andrea Deplazes), parallel dazu gibt es in einer informaleren Runde regelmäßig von der Fachschaft organisierte Vorträge, wo junge, erfolgreiche Architekten aus dem Ausland berichten. Das Studentenleben ist munter, man trifft sich abends in einer kleinen Bar gegenüber der Accademia und oft bei privaten Partys in dem Ort, manchmal wird aufgrund der strengen Nachtruhegesetze und der reizbaren Dorfbewohner in den Wäldern in der Umgebung gefeiert. Die Accademia ist die einzige Hochschule in Mendrisio und hat nur um die 500 Studenten, so lernt man sich rasch kennen.

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In den Ferien und an seltenen freien Wochenenden bietet es sich an, die schöne Umgebung zu erkunden: man kann nach Lust wandern, bergsteigen und die vielen kleinen Bergdörfer in der Umgebung anschauen, im Sommer im nahen Luganer See schwimmen gehen und natürlich auf die Suche gehen nach den vielen, in der Gegend verstreuten Villen von Botta, Galfetti, Snozzi & Co. Wenn man sich schließlich wieder mal nach Stadt sehnt, ist es nicht weit nach Como und Mailand, Ausflüge nach Zürich oder Basel sind ebenfalls beliebt. Der Ort ist an die Bahn angebunden, allerdings sind Zugfahrten in der Schweiz teuer, und die Verbindung insbesondere nach München ist ziemlich schlecht, mit langen Fahrzeiten und nur ein-zwei Zugkombinationen täglich ohne häufiges Umsteigen. Dafür ist der Flughafen Mailand Malpensa nicht weit, und es gibt einen Shuttlebus direkt von Mendrisio. Wenn man ein Auto hat, ist es für das tägliche Leben auf jeden Fall empfehlenswert, es auch nach Mendrisio mitzunehmen, für Ausflüge, Besorgungen, Weggehen etc. da z.B. abends Züge und Busse nicht besonders lange fahren. Direkt bei der Accademia kann man sich auch ein Fahrrad ausleihen. Insgesamt ist Mendrisio der ideale Ort, um sich für eine Zeit lang weit weg von den vielseitigen Ablenkungen der Stadt mit wesentlichen Themen der Architektur zu beschäftigen. In diesem Jahr habe ich große fachliche Fortschritte gemacht, eine ganz neue Perspektive und neue Leidenschaft für Architektur gewonnen, und kann mir nach dieser Zeit gut vorstellen, in der Zukunft für die Umsetzung meiner beruflichen Plane die Schweiz durchaus als Alternative zu Deutschland zu betrachten. Erstmal plane ich allerdings, nach einem praktischen Jahr in einem Architekturbüro mein Studium in Mendrisio abzuschließen.