168

Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

  • Upload
    others

  • View
    2

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll
Page 2: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll
Page 3: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll
Page 4: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

Adhocsita.Erforschung von Improvisation im Design

Diplomarbeit

Annika FryeKunsthochschule KasselProdukt DesignSchwerpunkt: Industriedesign

Prüfer:Prof. Dr. Uta BrandesProf. Oliver VogtDipl. des. Sandra Groll

Dank an:Oliver Schübbe, Kiki Van Eijk, Joost van Bleiswijk, Richard Hutten, Jerszy Seymour, Judith Seng, Hermann Weizenegger,Tassilo von Grolman, Philipp Haffmans

Aiko, Sophie, Leonard, Steffen Kehrle, Guido und Jutta, Hermann, Sabine, Christina, Georgia, Patrick, Martin, Johannes.

Page 5: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

Inhalt

Page 6: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

Teil 1 Stegreifschöpfungen

1. 1 Einleitung 81. 2 Adhocsita: Ad hoc im Design 111. 3 Improvisation und Ad hoc 151. 4 Planung als Gegenteil von Ad hoc und Improvisation 20

Teil 2 Die spontanen Handlungen der Laien

2. 1 Laien und Profis – Was macht Design professionell? 272. 2 Unbewusste Gestaltung durch den Nutzer: Non Intentional Design (NID) 332. 3 Temporäre Konstrukte? Die Provisorien 372. 4 Bewusste Gestaltung durch die Laien: Do-It-Yourself (DIY) 412. 5 Ad-hoc-Strategien in der Architektur 47

Teil 3 Die spontanen Handlungen der Profis

3. 1 Einleitung 553. 2 Ad hoc als Designmethode? 563. 3 Ad hoc und Computer 653. 4 Faktoren der spontanen Handlungen im Design – Der Kontext 723. 5 Motivationen 793. 6 Provisorische Designs? Die Ästhetik der improvisierten Lösungen im Design 883. 7 Negatives Potential von Ad hoc und Improvisation 963. 8 Experteninterviews 100

Richard Hutten 102Oliver Schübbe 106Philipp Haffmans 112Jerszy Seymour 118Hermann Weizenegger 124Kiki van Eijk und Joost vanBleiswijk 130Tassilo von Grolman 136Judith Seng 140

Resumé 156

Anhang

Literaturverzeichnis 162Bildnachweis 164

Page 7: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

Teil 1 Stegreifschöpfungen

Page 8: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll
Page 9: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

8

1. 1 Einleitung

Ad hoc und Improvisation sind alltägliche und essentielle Handlungen. Ge-räte und Möbel, unsere Gesellschaft und die meisten unserer Entscheidun-gen geschehen spontan und improvisiert. Der Alltag, den wir manchmal als chaotisch, planlos oder zufällig empfinden, lässt sich nur mit Improvisation bewältigen. Unser Leben, vor allem unser Berufsleben, verläuft eigentlich – besonders in Deutschland - nach einem Masterplan. Wenn aber dieser Plan nicht gelingt und Störfaktoren - unvorhersehbare Zwischenfälle – unseren Plan beein-trächtigen, so müssen wir schnell handeln und mittels Ad hoc und Impro-visation unseren Plan ändern, ihn wieder ins Gleichgewicht bringen.Improvisation, ein Notanker also, erfreut sich nicht immer großer Beliebt-heit, sie erweist sich aber im entscheidenden Moment als effizient. Wie wäre es also, wenn man diese Effizienz der spontanen Handlungen be-wusst für seine Arbeitsprozesse nutzen würde? Wenn man der spontanen Handlung von vorneherein einen Spielraum im Plan einräumen würde, der es ihr erlaubt, sich zu entfalten?

Im Design werden die zufälligen Stegreifschöpfungen, Provisorien, Behelfs-lösungen und Zweckentfremdungen bereits ganz selbstverständlich in die Arbeitsprozesse integriert. Die Improvisation gilt im Design fast als Metho-de, denn ohne sie könnten Projekte im Design nicht beendet werden – be-sonders wenn am Schluss eines Projekts Zeit zu einem Qualitätskriterium für die Arbeit wird. Die Effizienz der spontanen Handlungen ist im Design bekannt. Sie sind ein legitimes Mittel zur Problemlösung und werden nicht nur mit Unzulänglichkeiten bei der Qualität von Ergebnissen assoziiert.

Der Begriff „Methode“ wird der Spontanität der ungeplanten Handlungen nicht gerecht, denn sie sind Anpassungsleistungen, die sich ständig – je nach Situation – verändern. Sie entziehen sich deshalb jeglicher Planung. Diese Arbeit ist deshalb eine Untersuchung vieler Methoden. Sie widmet sich der Untersuchung der ungeplanten Prozesse im Design und die finden sich im Design oft. Jeder Entwurf ist das Ergebnis von Improvisation und Planung.

Ein Exkurs zeigt die spontanen Handlungen im Alltag der Nutzer, sie wenden Ad hoc und Improvisation ganz selbstverständlich an. Ihr Alltag ist ständig geprägt von Provisorien und dabei finden die Nutzer oft genauso sinnvolle Lösungen wie die Gestalter. Hier stellt sich die Frage nach dem Unterschied zwischen Nutzern und Gestaltern. Wenden sie die Improvisation mit dem gleichen Geschick an wie die Gestalter, oder gleichen die Improvisationen der Nutzer einem dilettantischen Pfusch?

Page 10: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

9

Produkt

Design

Zuhause

Do-It-Yourself

WG-Leben

Prototyp

Mock Up

Camping Provisorium

Wirtschaft

Improvisation

Gesellschaft

Troubleshooting

PolitikPsychologie

Workaround

Übergangsregelung

Komplexitätsreduktion

Collage

Readymade/ Objet Trouvé

Improvisation

Stegreiftheater

Digital

Kunst

Ad hoc/Improvisation

Informelle Architektur

Ad hoc und Improvisation sind die zentralen Be-

griffe dieser Arbeit. Über sie kann das Phänomen

der spontanen Handlungen verständlich gemacht,

verbalisiert und kommuniziert werden. Die Flüch-

tigkeit der spontanen Handlungen macht sie zu

einem Phänomen, das schwer in Sprache zu fassen

ist. Ad hoc und Improvisation sind Oberbegrif-

fe, unter die eine Fülle von Begriffen fallen,

die spontane Handlungen beschreiben sollen. Das

Design besitzt Überschneidungen zu allen ande-

ren Bereichen (Alltag, Kunst, zu Hause, etc.).

Besonders signifikant sind aber die Bereiche Alltag

und Kunst. Im klassischen Designprozess (Entwurf –

Modell – Prototyp – Produktion) ist der Einfluss der

Improvisation unterschiedlich, und jeder Schritt

im Designprozess ist eine Improvisation an sich.

Page 11: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

10

Gibt es überhaupt eine professionelle Form der Improvisation im Design? Auf der Suche nach Ad hoc und Improvisation wird dokumentiert, welche Geschichten sich hinter der Perfektion der Produkte, die wir täglich benut-zen und nach der wir als Gestalter streben, verbergen. Es wird deutlich, wie im Designeralltag auf hohem Niveau gepfuscht wird. Gibt es Strategien, die typisch ad hoc sind? Und kann man bewusst eigene Ad-hoc-Techniken entwickeln? Und worin besteht schließlich die Ästhe-tik von Ad hoc? Wie können mit Hilfe von spontanen Prozessen Produkte entstehen? Lassen sich diese scheinbar einmaligen Phänomene in einen Designprozess übertragen und wiederholen?

Ad hoc und Improvisation lassen sich letztendlich nicht auf ein einfaches Prinzip oder eine besondere Regel reduzieren, sie funktionieren immer nach unterschiedlichen Gesetzmäßigkeiten, die von der Situation abhängen. Die Situation, in der Produkte im Design entstehen, beeinflusst das Ergebnis maßgeblich. Da Ad hoc und Improvisation für jeden unterschiedlich sind und da sich hinter jedem Projekt im Design eine andere Geschichte verbirgt, wurden neun Autorendesigner zu Ad hoc und Improvisation befragt. Die Interviews dienten als wichtige Informationsquelle für diese Arbeit, die von der jahrelangen Erfahrung der Experten profitieren konnte. Sie stellen einen Bezug zwischen Theorie und Praxis von Ad hoc und Improvisation her und vermitteln nebenbei einen guten Einblick in Haltung und Arbeitsweise der Designer.

Page 12: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

11

1. 2 Adhocsita: Ad hoc im Design

Adhocsita, der Titel dieser Arbeit, beutet „schnell hingelegt“ oder auch „hingeworfen“1. Adhocsita sind aus der Situation heraus entstandene Dinge, die „aus dem Handgelenk geschüttelt“ wurden. Das sind Objekte oder Ideen und Strate-gien im Design, die spontan, aus einer bestimmten Situation heraus und für einen bestimmten Zweck entstehen. Das können zum Beispiel einzelne Modelle sein, die während der Entwicklung von Produkten entstehen. Auch der gesamte Entwurfsprozess kann ad hoc sein. Dabei greifen die Gestalter auf bereits bekannte Strategien und Konzepte zurück und benutzen diese für neue Entwürfe.

Einige Techniken eignen sich eher für die spontane Realisierung von Ideen als andere. So ist zum Beispiel das Arbeiten mit gefaltetem und geklebtem Papier eine typische Technik, die es erlaubt, aus dem Stand heraus und mit wenigen Mitteln ein Modell herzustellen.

Auch die Nutzer verwenden die Produkte des Designs ad hoc, indem sie diese ihren Bedürfnissen mittels Ad hoc und Improvisation anpassen. Im Alltag finden sich deshalb viele Umnutzungsstrategien, die den Strategien der pro-fessionellen Gestalter ähneln:„Unterschiedliche Formen erfüllen ähnliche oder gleiche Funktionen. (...) Ein Werkzeug wird für einen bestimmten Zweck hergestellt (...) Realisiert wird der Zweck allerdings erst im Gebrauch.“2 Ein typisches Beispiel hierfür ist der Stuhl, der mehr als nur eine Sitzgelegen-heit ist: Für den Nutzer kann ein Stuhl Leiter, Tisch oder Regal sein, je nach Bedürfnis ändert sich der Zweck, und Archetypen eignen sich besonders für Umnutzungen, weil die Möglichkeiten des Gebrauchs weniger durch die Form begrenzt sind. Schließlich sind die Reaktionen der Nutzer auf die gegebene Gestaltung oft anders als es die Designer bei der Gestaltung dieser Dinge erwartet haben.3

Das Wort Ad hoc hat zwei Bedeutungen: „Spontan, aus der Situation heraus gemacht“ 4 oder „für dieses“5 speziell für einen bestimmten Zweck. Die erste Bedeutung ist allgemein bekannt und wird häufig im alltäglichen Sprach-gebrauch in diesem Zusammenhang verwendet.

1) Der Titel dieser Arbeit – Adhocsita – setzt sich aus dem Begriff Ad Hoc (lat. „für dieses“) und der Endung „sita“ zusammen. Sita = liegen, gelegen (lat.)

2) Dorschel, Andreas: Gestaltung - zur Ästhetik des Brauchbaren, 2. Auflage, Heidelberg 2003, S. 25

3) Vgl.: Brandes, Uta; Erlhoff, Michael; Wagner, Ingo: Non Intentional Design, Köln 2006, S. 7

4) Vgl.: www.wikipedia.org/wiki/Ad_hoc, 15. 03. 2010

5) www.dwds.de/?kompakt=1&sh=1&qu=ad+hoc, 15. 03. 2010

Page 13: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

12

Adhocismus = Freie Über-

setzung des von Charles

Jencks und Nathan Silver

erdachten Terminus

„Adhocsim“. Der Adhocis-

mus ist eine spontane,

aus der Sitaution heraus

geborene, zielgerichte-

te Handlung oder Lösung

(Produkt/Konzept/Objekt),

deren Ziel es ist, ent-

weder ein unmittelbares

Problem zu beheben oder

mittels der Ad-hoc-Vorge-

hensweise eine künstle-

rische oder entwerferi-

sche Arbeit zu schaffen.

Die zweite weniger bekannte Begriffsdefinition stammt aus dem Lateini-schen und verweist auf eine weitere Ebene von Ad hoc: Der besondere Zweck für den ad hoc etwas geschaffen wird, die Nische, die mittels der spontan entstandenen Lösung gefüllt wird. Ad hoc sind also Handlungen, die durch-aus zielgerichtet sind, die mit dem umgehen, was die unmittelbare Situation vorgibt, und gleichzeitig eine kluge Auswahl aus dem Gegebenen treffen. Das macht Ad hoc zu einer nützlichen Strategie im Design.Sowohl Planung als auch Ad hoc sind feste Bestandteile jedes Designpro-jekts: Ad hoc entsteht, obwohl es sich um eine spontane, oft improvisierte Handlung handelt, nie vollkommen ohne Plan. Im Gegenteil: Ad hoc und Planung bedingen einander. Der Plan bildet den Rahmen der spontanen Handlung (siehe: Planung als Gegensatz zur Improvisation). Ad hoc nutzt also bereits Vorhandenes. So gelangt man zu neuen Lösungen, die wiederum mittels ad hoc überarbeitet werden. An dieser Stelle besitzt Ad hoc eine evolutionäre Komponente. So erfuhr zum Beispiel das Auto in seiner formalen und technischen Ent-wicklung eine Evolution, die auf einer Ad hoc-Vorgehensweise beruhte. Die ersten „Autos“ waren motorisierte Pferdekutschen, die ad hoc aus gegebenen Formen und Teilen zusammengesetzt wurden. Das Konzept „Auto“ konnte nur mittels der bekannten Techniken erprobt werden. So entwickelte es sich immer weiter, bis hin zu einem stromlinienförmigen High-Tech-Produkt. Um komplexere Systeme funktionsfähig zu machen, werden also zunächst die verfügbaren Formen benutzt und diese werden dann später einander angeglichen.

Bereits in den frühen 70er Jahren haben Charles Jencks und Nathan Silver Umnutzungs- und Aneignungsstrategien beobachtet. Dabei machten sie keinen Unterschied zwischen Nutzern und Gestaltern, denn alle wenden Ad hoc gleichermaßen an: Der Adhocismus ist ubiquitär und findet sich in der Geschichte, in der Politik, im Alltag und in den verschiedenen Berufen, außerdem in der Architektur und im Design. Der Adhocismus ist eine kreative und zugleich pragmatische Strategie, die sich auf die in der jeweiligen Situation verfügbaren Mittel verlässt:„(...) Basically it involves using an available system or dealing with an exis-ting situation in a new way to solve a problem quickly and efficiently. It is a method of creation relying particulary on resources which are already at hand.“6

Ad hoc sorgt für ein differenziertes Bild der vom Menschen gemachten Um-welt. Er bricht immer wieder mit den Rastern und Regeln, anhand derer Umwelt vereinheitlicht wird. Und Ad hoc sorgt schließlich für ein Gleich-gewicht zwischen Chaos und Ordnung.

Der Ansatz von Jencks und Silver besitzt eine anarchische Komponente: Der Adhocismus ist eine Strategie, die es Nutzern und Konsumenten, aber auch Designern erlaubt, eine gewisse Autonomie gegenüber der Warenindustrie

6) Jencks, Charles (Hg.); Silver, Nathan: Adhocism. The Case For Improvisation, London 1972, S. 9

Page 14: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

13

zu bewahren und unabhängig zu agieren, weil sie sich die Produkte dieser Industrie aneignen und sie ihren Bedürfnissen anpassen.Einem kommerziellen Verwendungszweck wird die Idee des Adhocismus jedoch nicht zugeordnet. „Adhocism“ bildet eine wichtige Quelle dieser Arbeit. Im Gegensatz zu Jencks und Silver liegt mein Fokus jedoch auf den Ad hoc-Phänomenen im Entwurf-sprozess. Denn Jencks und Silver haben diese Prozesse nicht im Einzelnen untersucht, sondern die Ergebnisse vieler Ad-hoc-Strategien gesammelt und anhand dieser Beispiele ihre Theorie erläutert. Mir ging es darum, die einzelnen Strategien von Designern zu identifizieren und wiederkehrende Muster zu finden. Zudem gab es seit dem Erscheinen von „Adhocism“ Entwicklungen, die großen Einfluss auf die Prozesse und Produkte des Designs hatten. Readymade- und Recyclingkonzepte sind fes-ter Bestandteil des Methodenrepertoires im Design geworden. Das Internet bietet ein unendliches Forschungsfeld: Auf Do-It-Yourself-Seiten kann man die Adhocismen der Nutzer sehen und in Design-Blogs wird über Produkte diskutiert. Das Konzept des „Adhocism“ wird in der vernetzten Gesellschaft weiter-entwickelt und findet über das Internet Verbreitung (siehe: www.etsy.com, www.makezine.com).7

Die Entwurfsprozesse sind seit den 70er Jahren in ihrer Struktur gleich ge-blieben, aber die Art der Kommunikation während dieser Prozesse hat sich verändert, und digitale Werkzeuge haben sie beschleunigt. Für die Designer ist der Adhocismus ein selbstverständliches Mittel zur Umsetzung ihrer Ideen geworden. Deshalb wird hier nicht nach allen möglichen Ad-hoc-Phänomenen im De-sign gesucht, denn diese sind äußerst zahlreich, sondern es wird nach sol-chen Phänomenen gesucht, bei denen Ad hoc besonders offensichtlich in der Konzeption oder in der Ausführung einer Idee zutage tritt.

Ad hoc ist nicht nur ein Mittel zur Realisierung von Projekten im Design, sondern kann auch selbst zum Konzept und zur Idee werden (siehe: Ad hoc als Methode im Design?). Das können zum Beispiel Produkte sein, die mittels Ad hoc hergestellt wer-den, so verwendet der Designer Richard Hutten Ad-hoc-Materialien, die es ihm erlauben, seine Produkte auf Anfrage und vor Ort herzustellen. Er ver-wendet mit Epoxydharz versiegelte Hartschaumplatten, die als Baumaterial für Tische, Regale und Stühle dienen. Der einfach zu verarbeitende blaue Schaum, den man sonst auch als Dämmstoff kennt, ist überall verfügbar und besitzt ein geringes Gewicht. Jedes Möbelstück kann auf Anfrage und vom Designer selbst hergestellt werden (siehe: Interview mit Richard Hut-ten).Auch das Suchen und Füllen einer bestimmten Nische kann ein Ad-hoc-Konzept sein. So entwirft zum Beispiel der Designer Oliver Schübbe Möbel für die Recyclingbörse Herford. Die Möbel werden vor Ort produziert, mit aus

7) www.makezine.com, www.etsy.com, Diese Websiten sind Schauplatz der weltweiten Vernetzung von Bastlern, sie kommunizieren über Blogs – etsy. com ist eine art EBay für selbstgebasteltes.

Page 15: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

14

den Schuttcontainern stammenden Materialien. Die Recyclingbörse kann so nur in Herford existie-ren, denn sie ist ein staatlich gefördertes soziales Unternehmen, dass Mitarbeiter aus dem „zweiten Arbeitsmarkt“ beschäftigt und die Abfälle der Mö-belindustrie in der Umgebung (Hersteller von Ein-bauküchen) recycelt. Die Recyclingbörse selbst ist die Nische, die Oliver Schübbe gefunden hat. Dort besteht ein Bedarf an Möbelentwürfen, die mit den vorhandenen Kapazitäten produziert werden können (siehe: Interview mit Oliver Schübbe).

Ad-hoc-Lösungen entstehen also nicht nur durch Zufall oder Willkür, sie können Teil einer bewuss-ten Strategie sein. Auch die Readymades von Duchamp, ein früher Adhocismus in der Kunst, sind mit Präzision und Planung durchgeführte Arbeiten. Die Objekte, die für ein Readymade verwendet wurden, sind mit Präzision ausgewählt, und durch die Rekontextualisierung (ein Museum oder eine Galerie als neuer Kontext) werden sie, obwohl es sich zunächst um Massenprodukte handelte, zu Kunst. Der Adhocismus hat in diesem Fall nicht mehr viel gemein mit einer Notlösung oder einem Pro-visorium, denn die entsprechende Lösung wird gezielt aus den verschiedenen möglichen Lösun-gen ausgewählt. Adhocsita sind also nicht nur Ersatzhandlun-gen, die der Lösung eines unmittelbaren Prob-lems dienen, denn Ad hoc ist eine entwerferische Handlung, die sich aller verfügbaren Ressourcen bedient. Das können Geräte und Werkstoffe, be-reits bestehende Konzepte oder ein bestimmtes Netzwerk aus Kompetenzen sein. Ad hoc im Design ist das bewusste Verwerten der vorgefundenen Situation für einen Entwurf. Und letztlich ist jedes Produkt im Design Resultat ei-ner speziellen Kombination von Kompetenzen und Ressourcen.

Hypothesen:

- Improvisiert wird immer.

- Ad hoc ist eine Vorraussetzung für das

Gelingen von jeglichen (Design-) Projekten.

- Ad hoc kann Komplexität reduzieren.

- Ad hoc ist (auch) eine subversive Strategie.

- Ad hoc ist abhängig von einem bestimmten Kontext.

- Ein Designer ist von Natur aus

Improvisateur, (aber: nicht jeder, der

improvisiert, ist ein Designer.)

- Jedes System braucht Ad hoc und Improvisation.

- Ohne Ad hoc und Improvisation kann sich

keine Vielseitigkeit entwickeln.

- Ad hoc ist eine Methode.

Page 16: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

15

1. 3 Improvisation und Ad hoc

Improvisation als praktische Fähigkeit im Design und Ad hoc als präzise Denkweise

In der Geschichte gibt es zahlreiche Beispiele für Improvisationen. Die Entwicklung unserer Kul-tur beruht auf Improvisation und manche dieser Improvisationen sind ein Sinnbild für ganze Epo-chen geworden: Bereits das Erste Werkzeug, das wir besaßen, ein Faustkeil, entstand aus einer Im-provisation heraus. Auch das Trojanische Pferd war vermutlich ein nur aus den gerade verfüg-baren Materialien provisorisch zusammengezim-mertes Provisorium, das einem einzigen Zweck diente: Die Stadt Troja zu erobern. Und während der Französischen Revolution wurden aus allen möglichen in der Großstadt Paris vorhandenen Materialien Barrikaden errichtet. Viel später, als es in Europa bereits einen Über-fluss an Produkten gab, mussten die Bürger der DDR improvisieren, weil in der Planwirtschaft immer zu wenige Produkte verfügbar waren. Zum Teil wurden diese aber im Überfluss pro-duziert, so dass sie als Ausgangsmaterial für die tatsächlich benötigten Gegenstände genommen werden konnten. Heute dienen „Workarounds“ der Behebung von Softwarefehlern, denn Computersoftware ist nie „fertig“. Ständige Betaversionen werden von den Nutzern weiterentwickelt und Programmierer müssen bei der Entwicklung neuer Programme pfuschen, um sie auf den Markt bringen zu kön-nen.

Wir formen unsere Umgebung also mit Hilfe der Improvisation, denn Improvisation ist letztend-lich auch eine Fertigkeit, die unser Überleben sichert. Deshalb hat Charles Darwin die Improvi-sation als eine existenzielle, in höchstem Maße pragmatische Strategie zur Weiterentwicklung einer Spezies beschrieben: „In the long history of

Improviso = unvermutet.

„Das deutsche Verb ‚improvisieren‘, das im Allge-

meinen ‚etwas ohne Vorbereitung (...) mit einfachen

Mitteln herstellen, verfertigen‘ bedeutet wurde im

18. Jahrhundert aus dem italienischen improvvisare,

zu italienisch improvviso (‚unvermutet‘), entlehnt.

Dem geht wiederum das lateinische improvisus („un-

erwartet, unvorhergesehen, unvermutet“), das Gegen-

teil zu lateinisch providere („vorhersehen, Vor-

kehrungen treffen“), voraus.

(Vgl.: Brockhaus-Enzyklopädie,19. Auflage, Mannheim 1996,

Band 13, S. 161 )

Heute bezeichnet die Improvisation auch den Umgang

mit praktischen Problemen. So wird die Improvisati-

on zum Beispiel bei der Behebung von Computerpro-

blemen eingesetzt, Heimwerker und Profis improvi-

sieren, um ihre Projekte zu beenden, und im Design

ist die Improvisation eine zentrale Fähigkeit.

Page 17: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

16

humankind (and animal kind, too) those who learned to collaborate and improvise most effectively have prevailed“. Darwin erweitert den Begriff der Improvisation vom Notbehelf zur erlernbaren Strategie, die eine Anpas-sungsleistung an die uns umgebende Umwelt darstellt.

Die Improvisation als eine erlernte Strategie ist also mehr als nur ein Not-behelf. Improvisation ist auch eine kulturelle Handlung, die in der Kunst, in der Musik, im Alltag und in vielen anderen Bereichen eine wichtige Rolle spielt. In unserer Kultur gibt es vielfältigste Formen der Improvisation, so ist die Improvisation in der Musik das freie Spiel von Stücken, die während des Spielens erst entstehen.8 Schauspieler improvisieren, indem sie mit Gesten und Sprache auf eine Situation auf der Bühne reagieren. Die Zuschauer wer-den dabei Zeugen eines einmaligen Moments.Ganz anders wird Improvisation im Alltag angewendet: Mittels Improvisati-onen können kleinere, meist im Haushalt auftretende, Probleme umgangen werden. „Improvisation ist eine nutzungsbedingte Fertigkeit.“9, so beschreibt Ri-chard Sennet die Improvisation in Bezug auf das Handwerk, das praktische Arbeiten des Menschen, der die Improvisation im Gebrauch seiner Werk-zeuge einsetzt.Die meisten Definitionen von Improvisation beziehen sich jedoch auf den künstlerischen, schaffenden Moment der Improvisation und nicht auf die Improvisation als praktische Fähigkeit.„(...) Die Kunst, etwas ohne Vorbereitung aus dem Stegreif zuwege zu brin-gen, im engeren Sinne die künstlerische Produktion, deren Gegenstand nicht vorher schon irgendwie, auch nicht im Innern des Künstlers, fertig vorlag.“10. Hier ist ein Ideal der Improvisation gemeint, der Improvisator kann, ohne jegliche Vorbereitung – aus dem Stegreif – einen Gegenstand oder eine Performance hervorbringen. Der spontane Akt gilt hier als Kunst-fertigkeit, eine fast schon handwerkliche Leistung, die die Produktion von Neuem ermöglicht. Der Improvisateur schöpft jedoch auch aus seinen individuell erlernten Fä-higkeiten und aus den in der unmittelbaren Umgebung vorhandenen Fak-toren – die Situation beeinflusst die Improvisation. Denn auch ein Improvi-sateur ist meistens von Fachkenntnissen abhängig, die über einen längeren Zeitraum erworben wurden und die dann im entscheidenden Augenblick abgerufen werden und während der Improvisation miteinander verknüpft werden. Deshalb ist die Annahme falsch, dass die Improvisation nur aus sich selbst heraus entsteht. Dem Beobachter hingegen erscheint die Improvisation als etwas Neues, überraschendes, denn die Handlung selbst ist nicht von langer Dauer. Ihr haftet deshalb etwas scheinbar Müheloses und Unbedarftes an.

8) Vgl.: Bibliographisches Institut Wien: Meyers Großes Konversationslexikon, Leipzig und Wien 1906, Band 9, S. 783

9) Sennett, Richard (Hg.): Handwerk, Berlin 2009, S. 314

10) Bibliographisches Institut Wien: Meyers Großes Konversationslexikon, Leipzig und Wien 1906, Band 9, S. 783

Page 18: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

17

Im Design wird die Improvisation als eine kreative Handlung verstanden, sie dient aber meist der Lösung von unmittelbaren praktischen Problemen. Im Design ist die Improvisation häufig ein Notanker, der nur dem zu er-reichenden Ziel dient und der eine mangelnde Perfektion des Ergebnisses beinhaltet. Improvisation ist dennoch eine im Design alltägliche und not-wendige Strategie. Stets improvisieren Gestalter, um Ideen zu visualisieren und Konzepte zu realisieren. Das Entwickeln von neuen Dingen macht ei-nen neuen Umgang mit den bisherigen Dingen erforderlich. Mittels Impro-visation können Gestalter sich Dinge aneignen, um sie einer neuen Idee zuzuführen: Die Improvisation wird besonders unter Zeitdruck eingesetzt, sie dient aber nicht nur dem Troubleshooting, sie fördert auch die ständige Weiterentwicklung von Design. Das Ergebnis der Improvisation erscheint unvorhersehbar, weil die Improvi-sation ungeplant geschieht, und diese Unvorhersehbarkeit des Ergebnisses macht sie zu einem scheinbar risikoreichen Unterfangen. Deshalb wird mit der Improvisation auch nicht nur Positives verknüpft. Schließlich hängt die Bereitschaft zur Improvisation von der Persönlichkeit ab.

Improvisation ist also eine spontane, neue Strategie zum Umgang mit ei-ner unerwarteten Situation. Improvisation bezeichnet nicht nur spontane Handlungen, sondern auch deren Ergebnisse, die Stegreifschöpfungen.

Die Grenzen der Improvisation sind unscharf. Improvisation beginnt meis-tens mit einem spontanen Einfall. Dort, wo planerisches Denken beginnt, endet die Improvisation. So haftet der Improvisation etwas sehr flüchti-ges an. Die Menge an Zeit, die für die Improvisation zur Verfügung steht, beeinflusst ihr Ergebnis. Man kann vermuten, dass die Improvisation an Spontanität gewinnt, wenn weniger Zeit vorhanden ist und dass als Ergeb-nis der Improvisation vielleicht sogar der Zeitraum für die Bearbeitung des Produkts besser abschätzbar ist.

Improvisation ist abhängig von ihrem Kontext, der ihr Raum und Sinn gibt. Zugleich verändert die Improvisation ihren Kontext und erzeugt somit im-mer wieder neue Improvisation. Improvisation und Ad hoc sind ubiquitär, sie sind Werkzeuge der Anpassung der Welt an unsere Situation, an unser Empfinden. Dieses Werkzeug der Anpassung wenden wir auch für uns selbst an, denn wir improvisieren mit Gesten, Sprache und Handlungen. Wir in-teragieren mit uns und der Welt mittels Improvisationen, die wiederum die Welt verändern, sodass neue Improvisation entsteht.11

Die Zeit, in der wir uns befinden, unterliegt einem ständigen Wandel, den wir so beeinflussen, dass wir existieren können.Bei der näheren Betrachtung der praktischen Improvisationen im Wohn-raum (Provisorien) zeigte sich, dass einige Aspekte der Improvisation (und von Ad hoc) der näheren Untersuchung bedürfen:

11) Vgl.: Dell, Christopher: Prinzip Improvisation, Köln 2002, S.42

Page 19: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

18

- Das unmittelbare und unvollkommene der improvisierten Lösung und die Tendenz zur Verstetigung dieser Lösungen (im Gebrauch, über längere Zeiräume hinweg – Improvisation, die sich etabliert und zur Gewohnheit wird),- Motivationen,- Die in der Improvisation enthaltene Idee und die Sichtbarmachung der Lücke mit Hilfe der Improvisation,- Das Szenario um die Improvisation herum und zufällige Faktoren.

Die Improvisation scheint also mehrere Ebenen zu besitzen. So gibt es einen improvisatorischen Moment, in dem der Improvisateur einem unmittelba-ren Bedürfnis gehorcht und ein praktisches Problem durch Improvisation löst, zum Beispiel, in dem er spontan ein fehlendes Werkzeug im Haushalt mittels Zweckentfremdung durch ein anderes Werkzeug ersetzt (Inhaltliche Ebene – Sinn der Improvisation). In diesem Moment wird der Mangel be-zeichnet, der Nutzer hebt sein Bedürfnis – auch für andere sichtbar – hervor, indem er sich einer ungewöhnlichen Lösung bedient, die aus dem Moment heraus geboren ist und mit den verfügbaren Mitteln geschieht. In den Ge-genständen, den Ergebnissen, ist die Improvisation dokumentiert. Für den Nutzer selbst ist diese Zeichenhafte Ebene seiner spontanen Handlung unin-teressant. Ändert man jedoch den Blick auf die spontane Handlung, so findet sich hier auch eine gestalterische Ebene. Ohne es zu wissen oder ohne es zu wollen, wird der Nutzer hier gestalterisch tätig,12 die Improvisation besitzt also schließlich auch eine ästhetische Ebene.

Bezeichnen also Ad hoc und Improvisation das gleiche Phänomen?Auf den ersten Blick gibt es eine Verwandtschaft zwischen den beiden Be-griffen: Improvisation entspringt meist ähnlichen Motivationen wie Ad hoc. Die Ergebnisse von Ad hoc und Improvisation können gleichermaßen provisorisch anmuten. Dennoch bezeichnet Ad hoc eine noch bewusstere Art etwas zu schaffen als die Improvisation. In der Definition Ad hoc = für dieses steckt bereits die Zielgerichtetheit der Handlung oder Lösung. Ad hoc muss jedoch nicht immer bedeuten, dass es um eine Lösung geht, die planlos entsteht und von kurzer Dauer ist. Die Improvisation hingegen ist viel mehr von Zeit beeinflusst als Ad hoc (siehe: Faktoren der spontanen Handlungen im Design – Der Kontext). Auch ihr Zweck ist an eine Situation gebunden. Der Improvisator gehorcht bei der praktischen Improvisation seinem eigenen, direkten Bedürfnis. Das Ergebnis der Improvisation funk-tioniert meist nur in der Situation, in der es entstanden ist. Die Zwecke von Ad hoc können aber den unmittelbaren Bedürfnissen übergeordnet sein. Sie sind bewusst und zielgerichtet. Ad hoc kann deshalb auch konzeptioneller Teil des Designprozesses werden, während die Improvisation immer unge-plant ist. Sie ist das Verlassen des Planes.

12) Brandes, Uta; Stich, Sonja; Wender, Miriam: Design durch Gebrauch, Basel 2009

Ebenen der

Improvisation:

- Inhaltliche Ebene

- Zeichenhafte Ebene

- Ästhetische Ebene

„Ad hoc is that I mana-

ged to make the decision

within clarity,

accuracy, and calmness.

I find the term ad hoc

more adequate than the

term improvisation.“

(Interview mit Jerszy Seymour)

Page 20: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

19

Ad hoc eignet sich genauso wie die Improvisation als Werkzeug im Design; nur sind die Designer als Planer dem Begriff Improvisation weniger zuge-neigt als dem Adhocismus (siehe: Experteninterviews). Mit der Improvisa-tion werden im Design minderkomplexe und vielleicht auch minderwertige Objekte verbunden, während Ad hoc der kluge Umgang mit einer Situation ist und nicht nur einem unmittelbaren praktischen Nutzen zugeordnet wird. Ad hoc ist eine positivere Bezeichnung für eine improvisierte Handlung oder einen improvisierten Gegenstand, Ad hoc kann im Design sogar als Haltung funktionieren und planerisch eingesetzt werden, während die Improvisati-on im Design sehr abhängig von Zufällen ist. Deshalb betrachte ich im Bezug auf das Design Ad hoc als den der Improvisation übergeordneten Begriff.

Page 21: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

20

1. 4 Planung als Gegenteil von Ad hoc und Improvisation

„Für mich ist Improvisation die Realität, während Planung immer ein Ver-such ist, das Ganze vorausschaubar zu machen. Es ist in den seltensten Fällen so, dass unterwegs nichts passiert und sich der Plan nicht ändert.“13

Ad hoc und Improvisation geschehen innerhalb eines Planes. Ohne Plan wä-ren Ad hoc und Improvisation nicht möglich, denn jede Handlung braucht ein System, in dem sie sich entfaltet, und das gilt auch für die spontanen Handlungen. Der Plan ist der Entwurf einer Handlung in die Zukunft – er bezeichnet Möglichkeiten, kann aber die Realität nicht voraussehen. Denn die Realität verhält sich nicht systematisch. Ad hoc und Improvisation schaffen deshalb innerhalb der chaotischen Realität eine Neuordnung – sie sind das Anpassen des Planes an die Realität. „(...), adhocism is the informal course taken within a stricter system (except when it is adopted as an artistic end in itself)“.14

Aus der Sicht desjenigen, der den Plan ausführen muss, lässt ein „guter“ Plan Raum für Interpretation und Intervention, während ein „schlechter“ Plan als striktes System der Realität entrückt ist und in seiner Unflexibilität scheitert, weil er in der Realisierung nicht an unmittelbar auftretende Be-dürfnisse angepasst werden kann.15 Das Voraussehen ist also sowohl Vorteil als auch Nachteil der Planung. Das Voraussehen verhindert Chaos, kann aber auch eine Einschränkung bedeuten. Diese Einschränkende Wirkung der Planung kennen wir vor allem aus der Architektur, die ganz maßgeblich unseren Alltag beeinflussen kann. Wird in der Architektur der Plan zum Selbstzweck, so ist die spätere Umnutzung und die Anpassung des Gebäudes an die Bedürfnisse der Nutzer unmöglich:Für Le Corbusier war der Plan der wichtigste Bestandteil von Architektur, er übertrug Abstraktion und Systematik direkt in die Realität: „Architektur bedeutet für mich: Handeln durch geistige Konstruktion.“16 Das Handeln des Architekten geschieht im Kopf und nicht mit der Hand. Denn „Der Plan ist der Erzeuger“ („Le Plan est le générateur“17). Das bedeutet eine völlige Trennung von Planung, Umsetzung und Nutzung. Diese unter-schiedlichen Ebenen von Architektur werden abstrahiert und voneinander losgelöst betrachtet. Dabei werden nur zum Zeitpunkt der Planung bekannte

13) Interview mit Judith Seng

14) Jencks, Charles (Hg.); Silver, Nathan: Adhocism. The Case For Improvisation, London 1972, S.110

15) Vgl.: Interview mit Judith Seng

16) Le Corbusier, zit. in: Riehl, Martin: Vers une architecture. Das moderne Bauprogramm des Le Corbusier, München 1992, S. 8

17) Ebd. S. 41

Page 22: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

21

Verwendungsmöglichkeiten für ein Gebäude angenommen und darüber hi-naus dem Plan angepasst, so dass die einzelnen Elemente des Planes schlüs-sig ineinandergreifen.So wurde selbst die Form des Menschen (des Nutzers), der in Le Corbusiers Architektur lebt, in seinen Plänen abstrahiert und auf ein Durchschnitts-maß (183 cm) gebracht, dass dem Goldenen Schnitt entsprach. Die „Unités d‘Habitation“, Wohnmaschinen, die im Hinblick auf Effizienz und industri-elle Fertigung entworfen wurden, gehorchen diesen Norm-Maßen. Dieses Vorbild berücksichtigte keine Varianz in die Extreme. Die Umnutzung seiner Gebäude war also vorprogrammiert. Die Bewohner versuchten ihre Wohn-einheiten zu individualisieren, soweit das möglich war. In ihrer Radikalität haben Le Corbusiers Ideen unsere heutige Welt nach-haltig beeinflusst, und das nicht nur im negativen Sinne. Wohnraum war, vor allem nach dem 2. Weltkrieg nicht ausreichend vorhanden. Le Corbusier bot realisierbare Möglichkeiten an, diesem Mangel beizukommen – seine Lösungen haben in ihrer ästhetischen Qualität neue Maßstäbe gesetzt. Die Folgen von Le Corbusiers Planung bestanden allerdings nicht nur in sei-nen eigenen realisierten Projekten, sondern auch darin, dass Generationen von Architekten diese als Vorbild nahmen. Das führte manchmal zu gänzlich künstlich geschaffenen Betonwüsten in europäischen Großstädten. Es entstanden „rip offs“ der von Le Corbusier entworfenen „Unités d‘Habitation, die längst nicht so gut funktionierten, in denen kein sozialer Austausch unter den Bewohnern stattfand und die sozialer Brennpunkt wurden.

Der „Adhocism“ ist also die Antithese zu Le Corbusiers Planung. Jencks und Silver stellen ihre Idee als Gegensatz zu den Prinzipien der Moderne dar. Sie erwähnen immer wieder, wie sehr die Vereinfachung in der Moderne einen Mangel an artikulierten, differenzierten Formen erkennen lässt.18 Aus einer Evolution heraus entstandene Formen entsprechen dem Menschen viel mehr als die trockene Systematik der Moderne. Christopher Dell hingen beschreibt, dass die Improvisation aus dem Plan her-aus entsteht: „Je rigider die Vorschrift für die Behandlung einer Situation ist, desto kleiner ist der Improvisationsspielraum. Wird eine bestimmte Region mit Regeln verdichtet, können Nebenschauplätze entstehen, an denen die Improvisation jenseits der geregelten Praxis weiter wuchert.“19 Improvisa-tion und Planung bedingen einander, der Plan schafft „Nebenschauplätze“, die müssen auch zwangsläufig entstehen, denn der Plan kann nie die ganze Realität abbilden, die aus lauter Nebenschauplätzen besteht. Nach Anderas Dorschel sollte man den Plan auch eher als eine Möglichkeit betrachten, statt als definitive Vorschrift: „Was in der Durchführung hinzu-tritt, ist nur die Wirklichkeit des im Plan als Möglichkeit Entworfenen.“20

18) Vgl.: Jencks, Charles (Hg.); Silver, Nathan: Adhocism. The Case For Improvisation, London 1972, S. 73

19) Dell, Christopher: Prinzip Improvisation, Köln 2002, S. 52

20) Dorschel, Andreas: Gestaltung – zur Ästhetik des Brauchbaren, 2. Auflage, Heidelberg 2003, S.106

Page 23: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

22

Dem Plan kann man also immer wieder neue Pläne hinzufügen. Die Im-provisation ist nichts anderes als eine ständige Modifikation des Planes. Das Planen ist nie zu Ende, denn es gibt in der Realität immer noch etwas hinzuzufügen21 – und Planung und Planänderung laufen nicht geordnet und sukzessiv ab, sondern sie geschehen gleichzeitig.Das strenge Raster Le Corbusiers hingegen vermittelt ein Nacheinander – die Nutzung der in feste Funktionsbereiche gegliederten Räume geschieht aber gleichzeitig. Ein Raum oder ein Design wird vielen Zwecken dienen, die der Planer vielleicht gar nicht voraussieht.

Planung ist also notwendig, damit Ad hoc und Improvisation überhaupt erst entstehen. Aber der Plan ist als Prozess zu sehen, der nie abgeschlossen ist und immer wieder neue Anpassungen benötigt. In der Realität gibt es ein Nebeneinander verschiedenster Faktoren, die ein Plan nicht abbilden kann. Der Plan dient der Abstraktion und der Orientierung, und diese ständige Anpassung des Planes an die Realität und umgekehrt sind der Schlüssel zum Erfolg der spontanen Handlungen. Es braucht ein Gleichgewicht zwischen Planung und Improvisation.

21) Dorschel, Andreas: Gestaltung – zur Ästhetik des Brauchbaren, 2. Auflage, Heidelberg 2003, S.106

Page 24: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll
Page 25: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

Teil 2 Die spontanen Handlungen der Laien

Page 26: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll
Page 27: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll
Page 28: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

27

2. 1 Laien und Profis – Was macht Design professionell?

Die praktische Improvisation findet sich besonders im Alltag bei Werkzeu-gen und Objekten, die wir täglich benutzen und mit denen wir unseren pri-vaten Raum – die Wohnung – gestalten. Hier gibt es zahlreiche Behelfslösungen, Selbstgebasteltes und Umfunkti-oniertes neben den „fertigen“ Produkten. Die Wohnungen der Nutzer sind selten „perfekt“ eingerichtet. Die Gestaltung der Wohnungen ist ein Prozess – sie verändern sich.Der Nutzer wendet Ad hoc und Improvisation besonders häufig in der Frei-zeit an. Hierfür gibt es zahlreiche Beispiele wie Do-It-Yourself oder Non In-tentional Design, die später noch erläutert werden. Im privaten Raum haben sich Gewohnheiten herausgebildet, die für die Disziplin Design interessant sein können: Zum einen sind die Anpassun-gen der Nutzer von Bedeutung für das Design, weil sie ein ganz konkretes Problem bezeichnen (zeichenhafte Ebene der Improvisation) und weil sie kreative Handlungen sind, die sich in manchen Fällen vielleicht in ein Pro-dukt übersetzen lassen. Zum anderen ist es die Denkweise, die spontane Entscheidungsfindung im Moment der Improvisation, die von den Nutzern (unbewusst) angewendet wird und die als Vorbild für die spontan initiierten Prozesse im Design dienen kann.

Die Nutzer finden bisweilen auf eine sehr unbedarfte Art und Weise Lö-sungen für ein praktisches Problem, weil sie bei den Umnutzungen und Zweckentfremdungen ihr eigenes unmittelbares Problem lösen und dabei nicht ein gestalterisches Gesamtkonzept im Blick haben, das den Blick auf das einzelne Problem erschwert. Bei den Improvisationen der Laien und bei den Stegreifschöpfungen der Profis ist gleichermaßen Zeitmangel oder Geld-mangel der Auslöser für die Improvisation. Die Improvisationen im privaten Raum und im professionellen Kontext entstehen aufgrund ähnlicher Mo-tivationen. Wir werden aber später sehen, dass es nicht immer der Mangel sein muss, aus dem heraus Ad hoc entsteht.Da sowohl Nutzer als auch Gestalter Ad hoc und Improvisation anwenden, und die (unbewussten) Gestaltungen der Nutzer, die aus Ad hoc und Impro-visation hervorgehen, manchmal eine ästhetische und funktionale Qualität besitzen, die professioneller Gestaltung nahekommt, stellt sich die Frage, ob in Bezug auf die Improvisation überhaupt noch ein Unterschied zwischen Nutzern und Gestaltern besteht. Worin besteht also die Professionalität von Design im Kontext der Betrachtung von Improvisation?

Der Inhalt der Disziplin Design wird von Nicht-Designern oft als etwas diffus wahrgenommen. Die Verwässerung des Begriffs Design, der in Deutschland

Page 29: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

28

für jegliche „kreative“ Tätigkeit verwendet wird, beeinflusst die Wahrneh-mung der Disziplin: Ein typisches Beispiel ist hier die Bezeichnung „Nagel-design“. Design wirkt als Verkaufsargument und auch Hobbytätigkeiten, die Laien zuhause ausüben sollen, werden zuweilen als Design bezeichnet, um ihnen den Anschein professioneller Gestaltung zu geben.22 Um sich von den Laien abzugrenzen, verwenden die Profis (in Deutschland) deshalb den Begriff „Gestalter“, der in den 50er Jahren aufkam, als die Gute Form propagiert wurde. Ein weiterer Grund für die diffuse Wahrnehmung des Berufes ist der Alltag eines Designers, der davon geprägt ist, dass er sein Tätigkeitsfeld oft wech-selt, sich also von Projekt zu Projekt neu in ein Thema vertiefen muss. Er erlernt dabei den Gebrauch neuer Werkzeuge und eignet sich immer wie-der neue Fähigkeiten an.Schließlich ist die Unschärfe des Berufsfeldes Design aber nicht nur Nach-teil, sondern auch Vorteil der Designer, denn sie erlaubt Freiheiten. Designer können sich mit anderen Disziplinen vernetzen, oder sich gleich auf ganz neuen Feldern betätigen, ohne ihr Berufsfeld ganz zu verlassen. Der Beruf des Designers ist anpassungsfähig – er wird immer neu gestaltet und verändert sich ständig.Der tatsächliche Berufsalltag der Designer unterscheidet sich also durchaus von der allgemeinen Vorstellung von der Tätigkeit der Designer, denn diese sind Profis für Gestaltung und ihr Beruf steht in keinem Zusammenhang zur Hobbybastelei. Selbst dann, wenn im Design improvisiert wird, sind die Überschneidungen mit Hobbytätigkeiten gering.

Ungeplante Handlungen sind (anders als vermutet), abhängig von er-lerntem Wissen und antrainierten Fähigkeiten. „Zwischen Experten und Nichtexperten besteht unvermeidlich eine Ungleichheit des Wissens und der Fertigkeiten.“23 Die Profis improvisieren anders als die Laien, weil sie einen anderen Erfahrungsreichtum besitzen, selbst wenn sich manche Schöpfungen der Laien kaum von den Produkten der Profis unterscheiden, wie zum Beispiel im Fall des begabten Heimwerkers24, so haben die Profis im Design doch andere Methoden, Ziele und Erfahrungen, die sie von den Laien unterscheiden. Ein Unterschied liegt also in der Ausbildung der Designer, der klassische Designberuf hat seine Wurzeln in der Industrialisierung, in der erstmals die Planung von Produkten für die industrielle Produktion notwendig wur-de.25 Hier beginnt die Planung von Produkten für einen Markt, die mittels der neuer Technologien produziert werden können, und die dadurch für viele verfügbar werden.26 Diese neuen Techniken machten die Dinge des Gebrauchs, die einst in Handarbeit und in geringen Stückzahlen gefertigt

22) Vgl.: Erlhoff, Michael; Marshall, Tim (Hg): Wörterbuch Design, Basel 2008, S. 88

23) Sennett, Richard (Hg.): Handwerk, Berlin 2009, S. 331

24) Das sind zum Beispiel Readymade-Designs, die eine Parallele zu den Non Intentional Designs aufweisen. Der ambitionierte Heimwerker kann auch Objekte schaffen, die Designprodukten nicht unähnlich sind.

25) Vgl.: Erlhoff, Michael; Marshall, Tim (Hg): Wörterbuch Design, Basel 2008, S. 88

26) Vgl.: Ebd., S. 89

Page 30: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

29

wurden, zu Massenprodukten.27 Um diesen Produkten eine Identität zu ge-ben, entstanden Marken, die mittels Werbung mit Bedeutung aufgeladen wurden. Die Konsumenten verbinden mit diesen Marken und damit auch mit Markenprodukten einen übergeordneten Nutzen – das Produkt erfüllt nicht mehr nur seine Grundfunktionen, sondern löst darüber hinaus Ge-fühle aus oder dient der Identifikation mit einer Gruppe.28

Ein weiterer wichtiger Unterschied liegt in der Motivation, aus der heraus Improvisation entsteht: Der Laie entwickelt im privaten Raum Dinge für sich selbst, der Profi hingegen arbeitet für einen Markt und entwickelt Produkte für die Fertigung in Serie, 29 mit dem Ziel, dass diese sich verkaufen – der Profi verdient mit Design sein Geld.Es gibt allerdings auch Ausnahmen: Das sind Laien, die sich der Professiona-lität der Designer annähern, indem sie sich ähnliche Werkzeuge aneignen, wie ein Profi sie beherrscht, so kann zum Beispiel jeder, der einen Computer besitzt, sich als Webdesigner betätigen und seine Arbeit in der Freizeit erle-digen und als Dienstleistung über das Internet verkaufen. Laien versuchen sogar mitunter auf ähnlichen Wegen Produkte zu verkau-fen wie die Profis und das Internet bietet eine gute Plattform dafür. Die-sem Phänomen haben sich Holm Friebe und Thomas Ramge mit dem Buch „Marke Eigenbau“30 gewidmet. Sie machen keinen Unterschied zwischen Laien und Profis; jeder kann seine eigene Marke kreieren und Produkte selbst herstellen, um sie zu verkaufen. Die Übergänge zwischen Amateur und Profi sind also fließend: Manche Amateure beherrschen die Vermarktung selbst-gemachter Produkte genauso gut wie ein Profi oder sogar besser.Für die Designer macht es schließlich keinen Sinn mehr, sich abzugrenzen – ihr Expertenstatus wirkt überholt: Denn die Verfügbarkeit von Dingen ist allgegenwärtig und die Konsumenten sind abgehärtet gegen die Mar-ketingstrategien der großen Konzerne. Holm Friebe und Thomas Ramge glauben, dass nach der Massenproduktion wieder eine Ära der Individuali-sierung und der kleinen Produzenten anbrechen wird. Wenn das tatsächlich so ist, dann hat dies auch weitreichende Folgen für die Industriedesigner, die für die Massenproduktion gestalten. Denn diese werden sich, und das tun sie auch schon längst31, auf Feldern betätigen, die jenseits der industriellen Produktion liegen. Die Form der Produktion (selfmade oder industriell) ist also kein Indiz für eine Unterscheidung zwischen Laien und Profis.

Bereits im Lateinischen war ein Profi, ein Professorius,32 jemand, der nicht nur über besonderes Wissen verfügt, sondern dieses Wissen darüber hinaus

27) Vgl.: Friebe, Holm; Ramge, Thomas: Marke Eigenbau, Frankfurt am Main [u.a.] 2008, S. 32

28) Vgl.: Ebd., S. 30 ff.

29) Mit „Serie“ sind hier auch Kleinserien und Limited Editions gemeint.

30) Friebe, Holm; Ramge, Thomas: Marke Eigenbau, Frankfurt am Main [u.a.] 2008.

31) Siehe: Experteninterviews

32) Vgl.: Pertsch, Erich: Langenscheidts großes Schulwörterbuch. Lateinisch – deutsch, 4. Auflage, Berlin 1987, S. 955

Page 31: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

30

an Laien weitergab. Es bestand ein reger Austausch zwischen Lehrern und Schülern. Auch die Lehrer lernten von ihren Schülern (den Laien).Vielleicht können die Profis auch heute von den Laien lernen, indem sie mit-tels Improvisation mit einer ähnlichen Unbedarftheit an komplexe Proble-me herangehen wie die Laien.Das vermuteten auch Jencks und Silver: „(...) sometimes using bizarre me-thods that notoriously prove a lesson later to those with special skill or trai-ning (...).“33 Mittels Ad hoc kann ein Übergang zwischen Laien und Profis, zwischen Designer und Nutzer geschaffen werden.

Es sind meist die ästhetischen Qualitäten der Entwürfe, die die Tätigkeit der Designer von denen der Laien unterscheidet. Diese Qualität zu erreichen, erfordert eine bestimmte Methodik, eine bestimmte Denkweise, die nichts mit den konkreten Werkzeugen für die Realisierung eines Produkts zu tun hat. Jeder hat heute Zugriff auf digitale Geräte oder sogar Rapid-Prototyping- Maschinen. Die Entwurfsprozesse der Profis bringen andere Produkte hervor als die der Amateure. Natürlich gibt es auch hier Ausnahmen.Was man bei www.etsy.com oder www.makezine.com beobachten kann, das sind natürlich beachtenswerte Lösungen, die Anerkennung verdienen und den Strategien der Profis nicht ganz unähnlich sind – aber den Amateu-ren fehlt die Fähigkeit zu entwerfen.34

Der Begriff „Design“ hat seinen Ursprung bereits im Lateinischen. „Desig-nare“ bedeutet soviel wie „bezeichnen“ oder „bestimmen“.35 Damit ist die Tätigkeit der Designer prägnant beschrieben: Entwerfen bedeutet: Ent-scheidungen treffen. Designer bestimmen und bezeichnen Aussehen und Funktion der Dinge. Der mentale Plan einer Sache im Kopf des Entwerfers ist bestimmt und wird immer weiter verfeinert. Die Designer treffen auch Unterscheidungen. Sie variieren einen Entwurf, um aus mehreren Varianten auszuwählen. Die Fähigkeit zu entscheiden, zu unterscheiden und auszu-wählen macht das Professionelle des Designs aus.

Wie wir später sehen werden, müssen diese bewussten Entscheidungen nicht nur innerhalb eines festgesteckten Rahmens passieren, sie können auch spontan, aus der Situation heraus und mittels Intuition getroffen wer-den. Ungeplant ist hier nicht gleichzusetzen mit unprofessionell, da die Pro-fis andere Entwurfsmethoden kennen als die Laien. Profis schöpfen beim Entwerfen aus ihren besonderen Erfahrungen. Die meisten Entscheidungen im Design werden letztlich bei der konkreten Realisierung dieser Projekte getroffen und nicht bei der Vorbereitung eines Planes für deren Realisierung. Deshalb lassen sich diese Entscheidungen im Designprozess nicht immer logisch zurückverfolgen. Sie sind oft auch von Zufällen beeinflusst. Um den Umgang mit Zufällen und Plänen zu lehren, ist die Designausbildung so

33) Jencks, Charles (Hg.); Silver, Nathan: Adhocism. The Case For Improvisation, London 1972, S.111

34) Siehe: Bewusste Gestaltung durch die Laien: Do-It-Yourself (DIY)

35) Vgl.: www.albertmartin.de/latein/, 20.05.2010

Page 32: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

31

gestaltet, dass Design beim Realisieren von Projekten gelehrt wird und nicht nur mittels Theorie.

Jeder Entwurf eines Profis ist also eine Kette von Zufällen innerhalb eines Planes, der sich kontinuierlich ändert. Es werden ständig neue bestimmte Entscheidungen getroffen. Wie können die Designer bewusste Entscheidungen treffen, wenn sie sich mit einer unbekannten Situation konfrontiert sehen? Worin besteht das Laienhafte im Design? Könnten mittels Ad hoc die Grenzen zwischen Laien und Profis, Konsument und Produzent, überwunden werden?

Page 33: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll
Page 34: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

33

2. 2 Unbewusste Gestaltung durch den Nutzer: Non Intentional Design (NID)

Improvisation und Ad hoc sind im Alltag allgegenwärtig. Viele Dinge, die wir irgendwann gekauft haben, benutzen wir anders, als es die Entwick-ler dieser Dinge planten.36 Das können Aneignungen in der Art sein, dass man aus dem Produkt etwas Neues herstellt, indem man es durch „Basteln“ so weit verändert, dass der ursprüngliche Nutzen des Produkts nicht mehr möglich ist. In anderen Fällen können die Umnutzungen aber auch nur vo-rübergehend sein. Meistens handelt es sich um beiläufige Handlungen, die wir kaum wahrnehmen und deren Potential wir oft nicht erkennen. Das Potential besteht in der kreativen Zweckentfremdung der Dinge, denn die Umnutzung von Alltagsprodukten erzeugt bisweilen erfinderische Lösun-gen.

Diese ad hoc Anpassungen der Produkte sind Hinweise auf einen Mangel, den der Nutzer erkennt und den er mit den für ihn gerade verfügbaren Mitteln vorübergehend behebt. Ganz nebenbei und unbewusst wird so der Nutzer selbst zum Gestalter, obwohl es ihm bei der Lösung des Problems gar nicht primär um das Gestalten ging, sondern nur um die Verbesserung seiner Situation.37 Umnutzungen geschehen überall. Es ist also ziemlich wahrscheinlich, viel-leicht sogar selbstverständlich, dass die Produkte des Designs von den Nut-zern eine Aneignung erfahren, oder dass sie zweckentfremdet werden.

Uta Brandes und Michael Erlhoff haben in den 90er Jahren einen Begriff für das Phänomen der Umnutzungen von Alltagsgegenständen entwickelt: „Non Intentional Design (NID) bezeichnet die alltägliche Umgestaltung des Gestalteten durch die Nutzerinnen und Nutzer. Es schafft kein neues Design, es gebraucht nur, ersetzt dadurch aber Altes und erzeugt Neues.“38 In „Design durch Gebrauch. Die Alltägliche Metamorphose der Dinge“39 wur-de das Phänomen NID untersucht und ausgewertet. Zusätzlich gibt es einen Bildband40, in dem Umnutzungen fotografisch dokumentiert sind. In der Forschungsreihe kristallisieren sich drei verschiedene Sorten der NIDs heraus: „Reversible Umnutzung, Irreversible Umnutzung und Ortsverän-

36) Hier sind einfache Massenkonsumgüter gemeint. In den meisten Fällen sind das minderkomplexe Gegenstände wie Behälter, Werkzeuge aus dem Haushalt, Kleidung, und Möbel.

37) Vgl.: Brandes, Uta: „Non Intentional Design“ in: Erlhoff, Michael; Marshall, Tim (Hg): Wörterbuch Design, Basel 2008, S. 292

38) Ebd., S. 291

39) Brandes, Uta; Stich, Sonja; Wender, Miriam: Design durch Gebrauch, Basel 2009.

40) Brandes, Uta; Erlhoff, Michael; Wagner, Ingo: Non Intentional Design, Köln 2006.

Page 35: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

34

derung.“ 41 Dabei wurden nur solche Umnutzun-gen in das Forschungsfeld miteinbezogen, die nicht aus einer unmittelbaren existenziellen Be-drohung heraus entstanden; Mangelgesellschaf-ten gehören demnach nicht dazu, und die Um-nutzungen passieren in Abhängigkeit von einer Produktkultur, die in jedem Land anders ist.

Non Intentional Design kann nur dann entstehen, wenn den umgenutzten Gegenständen und Sys-temen42 ein bestimmter gestalteter Zweck zuge-dacht war, der vom Nutzer uminterpretiert und modifiziert werden kann. Letztlich ist das weithin wichtigste Kriterium für NID, dass die Gestaltung unbewusst geschieht: „(...) der Impuls fehlt, etwas bewusst kreieren zu wollen. Insofern ist NID weder von Gestaltung geprägt noch durchdrungen.“43 NID kann kein neues Design schaffen, denn es fehlt die bewusste Motivation zur Gestaltung im Moment der spon-tanen Handlung. Der Unterschied zwischen Nut-zern und Produzenten sowie zwischen Laien und Profis wird an dieser Stelle besonders deutlich: Die Laien wählen die Improvisation, um ihren eigenen unmittelbaren Bedarf zu decken, wäh-rend die Profis das Mittel der Stegreifschöpfung bewusst einsetzen um zu gestalten.Auch der Begriff Non Intentional Design, der das Wort Design enthält, weist bereits auf eine mög-liche Verwandtschaft der Handlungen von Laien und Profis hin, Findungsprozess und Ästhetik der Resultate von Umnutzungen durch Laien oder Profis können also in manchen Fällen ähnlich sein; NID und Ad hoc im Design sind Ergebnisse des Einsatzes von praktischer Kreativität.

Improvisation und Ad hoc erfordern Abstrakti-onsvermögen und Entscheidungsbereitschaft, das sind Qualitäten, die besonders die Gestalter besitzen.

41) Brandes, Uta: „Non Intentional Design“ in: Erlhoff, Michael; Marshall, Tim (Hg): Wörterbuch Design, Basel 2008, S. 292

42) Aneignung von Systemen: Das können zum Beispiel Fußwege im öffentlichen Raum sein, zwischen denen Trampelpfade als Abkürzung dienen. Die Trampelpfade sind das Non Intentional Design.

43) Brandes, Uta: „Non Intentional Design“ in: Erlhoff, Michael; Marshall, Tim (Hg): Wörterbuch Design, Basel 2008, S. 292

„- Reversible Umnutzung: Ein Objekt wird temporär

oder dauerhaft in einem neuen Kontext genutzt,

wobei jedoch der ursprüngliche Zustand und die

ursprüngliche Funktion nicht zerstört werden

(Marmeladenglas als Stiftbehälter).

- Irreversible Umnutzung: Der neue Gebrauch hinter-

lässt dauerhafte Spuren (Flasche als Kerzenständer);

das Objekt muss für die neue Anwendung dauer-

haft verändert werden (Schraubglas mit durch-

löchertem Deckel als Zuckerstreuer).

- Ortsveränderung: Dinge werden aus ihrem

ursprünglichen Einsatzort herausgelöst (Europaletten

als Bettgestell), oder ein Ort wird zu einem

neuen Zweck umfunktioniert (Partys unter Brücken).“

(Brandes, Uta: „Non Intentional Design“ in: Erlhoff, Michael; Marshall, Tim

(Hg): Wörterbuch Design, Basel 2008, S. 292)

Page 36: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

35

Readymades zum Beispiel besitzen eine ähnliche Ästhetik wie NIDs, weil die Strategie, die hinter den Readymades steckt – die Umnutzung und Aneig-nung von bereits bestehendem – ebenfalls die Strategie des Non Intentional ist. Die Umnutzung der Gegenstände bei NID geschieht allerdings aufgrund von unmittelbaren pragmatischen Motivationen und nicht mit dem Ziel, anhand einer Umnutzungsstrategie zu gestalten oder gar ein reproduzier-bares Produkt zu erzeugen. Im Design werden jedoch abstraktere Konzepte wie Normen und Traditi-onen bewusst wiederverwertet, rekontextualisiert und umgedeutet dies kann auch mit Hilfe von Umnutzungsstrategien geschehen. So werden mit Traditionen besetzte Produkte als Readymades ihrem Kontext enthoben und die Bedeutung des Objekts (auch im historischen Kontext) wird durch die Gestalter bewusst verändert. Die Betrachtung dieser Objekte löst bei denjenigen, die den ursprünglichen Kontext kennen, eine Art Aha-Erlebnis aus. Der Unterschied zwischen Laien und Profis besteht also auch in der Un-kenntnis der Historie der Objekte. Ein Laie könnte eine ähnliche Idee wie ein Profi haben, aber er kann sein „Design“ nicht einordnen. Er weiß nicht, dass ein ähnliches Objekt wie das von ihm Geschaffene bereits ein bekanntes Konzept im Design ist. Für den Zweck seines Non Intentional Designs ist das auch nicht von Interesse. Denn dem Laien geht es um den unmittelbaren Nutzen.

Das Design könnte die Umnutzungsstrategien der Laien professionalisie-ren. Sie könnten als Vorbild für die Gestaltung der Profis dienen, die durch die gezielte Beobachtung des Verhaltens der Nutzer Bedürfnisse erkennen, die sich auch in den Umnutzungen der Nutzer widerspiegeln. Man könnte also vermuten, dass das Design ganz direkt einen kommerziellen Nutzen aus der Beobachtung des Non Intentional Design ziehen kann, indem es die Gestaltungen der Nutzer als Ideen aufgreift. Das ist auch die Annahme von Jane Fulton Suri (IDEO), die in ihrem Bildband „Thoughtless Acts“44 den NIDs ähnliche Phänomene dokumentiert hat. Eine der wichtigsten Strategien der Agentur IDEO im Designprozess ist die gezielte Beobachtung des Verhaltens der Nutzer, bevor ein konkreter Gegen-stand entworfen wird. Diese Beobachtungen helfen, das Problemfeld einzu-grenzen, weil sie alle Rahmenbedingungen einbeziehen (zum Beispiel das Arbeitsumfeld des Nutzers und soziale Komponenten), und aufgrund ihrer jahrelangen Beobachtungen bei IDEO wurde auch Jane Fulton Suri auf das Phänomen NID aufmerksam. Die Eignung der „Thoughtless Acts“45 als Produkt ist in vielen Fällen eher fragwürdig oder auch unnötig. Viel sinnvoller wäre es, die Denkweise, die hinter diesen Konzepten steckt, herauszufiltern. Könnte ein Profi angesichts der vielen Umnutzungen und „Fehlinterpretationen“ seiner Designs eine andere Haltung gegenüber den unvorhersehbaren Entwicklungen im Ent-wurfsprozess einnehmen?

44) Suri, Jane Fulton; IDEO Product Development London: Thoughtless acts?, San Francisco 2005

45) Ebd.

Page 37: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll
Page 38: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

37

2. 3 Temporäre Konstrukte? Die Provisorien

„Provisorisch (...) nur als einstweiliger Notbehelf, nur zur Überbrückung eines noch nicht endgültigen Zustands dienend; nur vorläufig; behelfsmäßig“46

Viele Ad-hoc-Lösungen im Alltag werden als Provisorien oder Notlösungen bezeichnet. Provisorien, damit sind im allgemeinen Sprachgebrauch alle Konstrukte gemeint, die nur vorübergehend sind und eine fertige vollkom-mene Lösung ersetzen.Das Provisorium gilt folglich als Ersatz für etwas Fertiges, dabei kann ein Provisorium auch immaterieller Art sein. Es gibt zum Beispiel auch die „Übergangsregierung“, ein provisorisches Konstrukt in der Politik. Der Begriff Provisorium entstammt dem Lateinischen Wort providere = vorsehen.47 Ein Provisorium ist also für einen bestimmten, klar definier-ten Zweck vorgesehen. An dieser Stelle gibt es eine Überschneidung mit dem Begriff Ad hoc ( Ad hoc = Für dieses). Die Ad-hoc-Lösung aber kann von Dauer sein, während das Provisorium seinen Zweck nur innerhalb des klar definierten, vorgesehenen Zeitraumes erfüllt. Ein bekanntes Beispiel ist der Nylonstrumpf, der den gerissenen Keilriemen ersetzt. Mit dieser Über-brückung kommt man nur bis zur nächsten Werkstatt. Ad-hoc-Lösungen hingegen können sowohl vorübergehende Lösungen als auch dauerhafte Konstrukte sein.Die Bezeichnung „provisorisch“ besitzt jedoch im Gegensatz zu Ad hoc oft eine negativere, den Gegenstand abwertende Konnotation. Das lässt sich vielleicht dadurch erklären, dass Provisorien meist aus dem Mangel, also aus einer unangenehmen Situation heraus, entstehen und mitunter weite-re Probleme aufwerfen (ähnlich wie bei der Improvisation), eben weil das Provisorium nur übergangsweise funktioniert.

Es gibt aber noch weitere Unterschiede zwischen dem Provisorium und zwi-schen Ad hoc bzw. Improvisation: So kann ein Provisorium, anders als die Improvisation, Teil eines Planes sein. Auf Baustellen ist es zum Beispiel üblich, eine noch nicht vollendete Konst-ruktion vorübergehend abzustützen, bis die Bauarbeiten beendet sind und die Stütze entfernt werden kann. Hier dient das Provisorium der Vollendung des Planes und ist auch von vornherein als wichtiges Element des Planes festgelegt worden. Das Provisorium ist dann nicht nur eine Notlösung, son-dern eine Strategie.

46) Drosdowski, Günther: Duden – Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, 2. Auflage, Mannheim, Wien [u.a.] 1996, S. 2646

47) Ebd.

Page 39: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

38

Die Wahrnehmung und Interpretation eines Provisoriums ist subjektiv, da, ähnlich wie bei der Improvisation, die Deutung einer Situation und der Pro-visorien, die darin entstehen, von individuellen Faktoren abhängen. Die Bezeichnung eines Konstrukts als Provisorium hängt auch von dem kul-turellen Kontext ab, in dem sie entstehen. In Mangelgesellschaften haben Provisorien eine andere Bedeutung als in der Wohlstandsgesellschaft.Während das Provisorium in der Mangelgesellschaft eine existenzielle Be-deutung besitzt, kann das Provisorium in der Überflussgesellschaft auch eine besondere, identitätsstiftende Bedeutung haben. Hier dient es nicht nur einem praktischen Nutzen, sondern auch der Abgrenzung von der all-gemeinen Produktkultur.48 Selbst innerhalb der Grenzen einer Kultur ist die Wahrnehmung oft unterschiedlich.

Ein bekanntes Provisorium war die deutsche Verfassung, die nach 1949 in Kraft trat. Sie wurde als provisorisch bezeichnet, da Deutschland die Teilung nicht anerkannte. Sie sollte bis zur Wiedervereinigung offiziell als vorüber-gehend gelten. Tatsächlich war dieses Provisorium sehr dauerhaft und gilt noch heute. Nach der Wiedervereinigung konnte die Verfassung von 1949 schließlich übernommen werden, weil sie sich bewährt hatte: Sie war eine etablierte funktionierende Lösung, die aber bewusst in der Schwebe, im Spannungsfeld zwischen Beständigkeit und Veränderung, zwischen dauerhaft und temporär, belassen wurde. Auch Prototypen aus dem Designprozess befinden sich in diesem Span-nungsfeld. Sie sind Provisorium und funktionsfähiges Objekt zugleich. Sie tragen noch die Handschrift der Designer, sie sind funktionsfähige Objekte, aber keine finalen Produkte. Die Prozesse im Design sind also geprägt von provisorischen Arbeitsumge-bungen und Lösungen:Oft erzeugt das Design bewusst eine provisorische Anmutung seiner Pro-dukte, um der Ästhetik der Dinge, die in etablierten industriellen Prozessen hergestellt wurden, zu entgehen. Gleichzeitig rechtfertigt das Gestaltungs-konzept des Provisoriums auch Ungenauigkeiten, die die handwerkliche Herstellung in der eigenen Werkstatt mit sich bringt. Viele Designer greifen auf eine provisorische Ästhetik zurück, um Produkte überhaupt selbst pro-duzieren zu können.

Die negative Konnotation, die in der Bedeutung Provisorium = Notbehelf steckt, verdeckt das positive Potential des Provisoriums. Denn im weiteren Sinne ist das Provisorium nicht nur als Ersatz für das Geplante zu verstehen, sondern vielmehr als ein Prototyp des Geplanten. Es ist ein Versuch, der Ver-besserungen erlaubt und Raum für Interpretation lässt. Es ist das Erproben des Planes in der Realität. So kann ein Provisorium im Design zum Beispiel ein Modell aus Pappe sein, oder ein neuer Mechanismus, der zunächst ein Provisorium war, das sich dann etablierte.

48) Vgl.: Neumüller, Hanna: Provisorien im Alltag und anhand von IKEA und Tchibo im Kontext von Industrial Design, Diplomarbeit, Linz 2008, S. 20

Page 40: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

39

Oft entstehen Provisorien in einem bestimmten Kontext, sie sind deshalb einzigartig. Hier findet sich das kreative Potential und die individuelle Bedeutung des Provisoriums. Für den Nutzer besitzen sie eine besondere Bedeutung, denn der Nutzer hat das Provisorium selbst errichtet und sich daran gewöhnt. Deshalb werden Provisorien bisweilen aus nostalgischen Gründen erhalten, obwohl die „richtige“ Lösung längst verfügbar ist. Das können Attribute einer Wohnungseinrichtung sein, die aus der Studentenzeit stammen und bewusst bewahrt werden. Das geschieht vielleicht, weil man sich gerne in seine Studentenzeit zurückversetzt oder zumindest ein wenig von dem da-maligen Lebensstil in das „bürgerliche“ Leben hinüberretten will. Oder man möchte dadurch mit dem Rebellischen jenseits der Warenkultur (also die nicht-provisorischen Dinge) kokettieren. 49 Neben der praktischen Funktion besitzt das Provisorium also auch eine in-dividuelle ideologische Funktion.

49) Die Ästhetik, die diesen improvisierten Lösungen innewohnt, wird oft von Designern und Möbelproduzenten für Entwürfe genutzt, die einer unbeschwerten und freien Lebensweise entsprechen sollen, obwohl die Kunden selbst eher sesshaft und angepasst sind.

Page 41: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll
Page 42: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

41

2. 4 Bewusste Gestaltung durch die Laien: Do-It-Yourself (DIY)

„Wir können das materielle Leben humaner gestalten, wenn wir das Her-stellen von Dingen besser verstehen lernen“50

In einer Gesellschaft, die für jedes Problem das passende Produkt bereit-hält, wirkt der Versuch, etwas selbst herzustellen, anstatt passende Dinge zu kaufen, unnötig.Dennoch ist das Basteln ein Massenphänomen geworden. Auf „Strickpar-ties“ treffen sich Hipsters, um Pullover und Handyhüllen zu stricken. Bei www.etsy.com, einer amerikanischen Website, die eine Art eBay für Selbstgemachtes ist, können Verkäufer aus der ganzen Welt ihre Do-It-Your-self-Produkte verkaufen. Wichtig ist, dass das Erzeugnis selbstgemacht ist. Die Fertigung und Verbreitung der Produkte ist ad hoc. Jedes Produkt ist ein Einzelstück. Auch wenn es sich bei den Bastlern um Amateure handelt, so ist die Strömung Do-It-Yourself nichtsdestoweniger relevant für diese Arbeit.

Ad hoc und Improvisation treten im Do-It-Yourself deshalb so häufig auf, weil es sich um praktische Tätigkeiten handelt, die der Laie zum Beispiel in der eignen Wohnung ausführen kann. Das Ergebnis muss keinen Regeln entsprechen, denn die bestimmt der Bastler selbst, das Do-It-Yourself ist also geprägt von Ad hoc und Improvisation. In der Selbstbestimmtheit liegt vielleicht auch der Erfolg von Do-It-Yourself, denn es umfasst eine große Bandbreite von kreativen Tätigkeiten, die es den Bastlern erlaubt, ein Produkt genau so zu gestalten und herzustellen, wie sie selbst es wünschen. Eine ganz pragmatische Motivation für Do-It-Yourself ist die Emanzipation von der Leistung des Profis, die oft teuer ist und manchmal sogar unzurei-chend. Do-It-Yourself-Projekte verlangen vom Bastler Verantwortung für den ge-samten Prozess, von der Auswahl des Materials und der Planung bis hin zur tatsächlichen Umsetzung.Schließlich ist Do-It-Yourself eine soziale Tätigkeit, und so gerät manchmal ein Baumarktbesuch am Samstagmorgen zur Freizeitaktivität der ganzen Familie.

Holm Friebe und Thomas Ramge vertreten in „Marke Eigenbau“ die These, dass das DIY immer mehr an Bedeutung gewinnt, weil es die Möglichkeit bietet, unabhängig zu arbeiten. Sie sehen in der Marke Eigenbau eine Gegen-bewegung zu dem passiven Konsum von Produkten der Großkonzerne.

50) Sennett, Richard (Hg.): Handwerk, Berlin 2009, S. 18

Do-It-Yourself ist ein

Begriff, der in den 50er

Jahren in Großbritannien

entstand. Do-It-Yourself

(dt.: Mach‘ es selbst)

bezeichnet handwerkli-

che oder bastlerische

Tätigkeiten, bei denen

Dinge des Gebrauchs vom

Nutzer selbst herge-

stellt oder repariert

werden. DIY könnte als

Alternative zum Konsum

verstanden werden. DIY

ist aber auch kommerzi-

ell, denn die Werkzeuge

der Bastler werden wie-

derum als Massenprodukt

in Baumärkten angeboten.

Die Punk-Bewegung griff

DIY als Gegenstrategie

zur Lebensweise mit Mas-

senprodukten auf, und es

gibt immer wieder Bewe-

gungen, die sich mit

dem Selbermachen be-

schäftigen.

Bricolage (frz.) = eine

amateurhaft und wenig

sorgfältig ausgeführte

Arbeit.

Page 43: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

42

Marke Eigenbau ist mehr als nur DIY, denn die Protagonisten vertreiben und verkaufen ihre Erzeugnisse selbst und schaffen es so, sich aus der Abhän-gigkeit eines klassischen Arbeitsverhältnisses zu lösen. Sie glauben, dass selbstgemachte Dinge immer mehr an Bedeutung gewinnen werden, weil die Einteilung in Konsumenten und Produzenten überholt ist. Sie befürch-ten, dass die Konzerne mit ihren bürokratischen Strukturen keine guten Arbeitgeber sind für jene, die sich selbst verwirklichen wollen. Die neuen Kleinunternehmer sind hochtechnisiert und verfügen über spe-zialisiertes Wissen, das weit über klassische handwerkliche Fähigkeiten hinausgeht. Für Holm Friebe gehört der Handwerker genauso zur Marke Eigenbau wie der Blogger oder der Dönerbudenbesitzer.51

Ein Gegenargument zu „Marke Eigenbau“ ist, dass Einzelpersonen technolo-gisch hochkomplizierte Produkte wie einen LCD-Screen niemals selbst her-stellen könnten. Großkonzerne sind mit ihren spezialisierten Mitarbeitern in der Lage, Dinge herzustellen, die ein einzelner oder eine kleine Gruppe nicht schaffen würde. Die Einteilung in einzelne Produktionsschritte, die Forschung und Entwicklung, die Konzerne heute mit ihrem Kapital betrei-ben, ist auch ein Vorteil der Industrialisierung. Unser gesamter Lebensstan-dard hat sich dadurch verbessert und die radikale Verkleinerung der Unter-nehmen bis hin zu kleinen Handwerksbetrieben wäre ein Rückschritt.Marke Eigenbau verfolgt sicherlich einen interessanten Ansatz, nur ist es wahrscheinlich die Mischung aus kleinen Betrieben und den Großkonzer-nen, die die Weiterentwicklung von Wirtschaft und Arbeit unterstützt.

Man kann Do-It-Yourself grob in drei Arten von Tätigkeiten einteilen, die unterschiedlich komplex und unterschiedlich kreativ sind:

Reparieren: Hier werden die defekten Produkte der Industrie wieder gebrauchsfähig gemacht. Diese Tätigkeit erfordert Kenntnis des Aufbaus eines Produkts und der genauen Funktionszusammenhänge seiner Bauteile. Denn das Reparieren einer Sache ist nur dann möglich, wenn Zugriff auf Ersatzteile und wenn Informationen über das Produkt vorhanden sind. Deshalb gibt es einen großen Markt für Zeitschriften und Internetseiten, die Anleitungen und Anregungen für DIY-Reparaturen enthalten. Die Seite www.ifixit.com ist ein gutes Beispiel für die weit verbreitete Kultur der Blogs und Webseiten für Reparaturanleitungen im Internet. Hier findet der Nutzer Reparaturanleitungen und Ersatzteile für Apple-Com-puter; die Nutzer werden ermutigt, die Reparatur selbst durchzuführen. Die Betreiber der Seite haben jedes Apple-Produkt genau zerlegt und analy-siert, sodass die Produkte für den Konsumenten keine Black Box mehr dar-stellen und die Funktionsweise der Bauteile verständlich wird. Anhand von Fotos ist auf der Website in kleinen Schritten dokumentiert, wie die Geräte repariert werden können.

51) Vgl.: Friebe, Holm; Ramge, Thomas: Marke Eigenbau, Frankfurt am Main [u.a.] 2008.

Page 44: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

43

Weil die Firma Apple selber mittels ihrer Unternehmenspolitik das Reparie-ren der Produkte durch die Laien unterbindet und dies zum Beispiel durch extrem hohe Kosten für Ersatzteile durchsetzt, kann die Strategie hinter www.ifixit.com als subversiv gelten.

Nachbauen (Make your own ...): Bei dieser Strategie „ahmen“ die Laien Produkte der Industrie nach. Dies kann vielfältige Gründe haben: Eine Kostenersparnis gegenüber dem Preis des industriellen Produkts, den Wunsch, ein Produkt zu verstehen, und der Ehrgeiz, etwas „selbst“ zu machen.Ein gutes Beispiel für die Nachahmung eines verhältnismäßig teuren Pro-dukts ist der selbstgebaute Beamer. Das Prinzip dieses Nachbaus liegt in der einfachen Funktionsweise eines ausgedienten Tageslichtprojektors begrün-det. Ein LCD-Screen wird dort befestigt, wo man früher auf den Tageslicht-projektor eine Folie legte. Der LCD-Screen ist mit einem Rechner verbunden und wird (wie früher die Folie) durchleuchtet. Über den Spiegel des Projek-tors kann das Bild auf die Wand projiziert werden.Hier kommen gleich mehrere Ad-hoc-Prinzipien zum Einsatz: Etwas Altes wird mit etwas Neuem kombiniert und zwei kaputte Geräte werden zu ei-nem neuen Gerät zusammengefügt. Der umgebaute Tageslichtprojektor ist ein physisches Update einer alten Technik. Der „Beamer“ erfüllt zwar alle Kriterien für die Funktion eines Beamers, sieht aber ganz anders aus. Hier geht es nicht darum, die äußere Form eines Produkts nachzuahmen, wie dies zum Beispiel bei Nachbauten teurer Autos der Fall ist.

Noch viel mehr Projekte dieser Art finden sich auf www.makezine.com, der Website des Make Magazines. Die meisten der auf www.makezine.com ver-öffentlichten Projekte erfordern viel technisches Know-How, viele Beiträge sind extrem und skurril. Das Make Magazine bildet die große Reichweite des Do-It-Yourself in den technischen Bereich hinein ab. Hier zeigt sich, dass auch komplexere Objekte Gegenstand der Improvisation sein können.

Selber konzipieren und bauen: Hierfür gibt es zahlreiche Beispiele, die von der gebastelten Perlenkette über das selbstgebaute Kellerregal bis hin zur eigenen Gartenhütte reichen. An dieser Stelle wird das gesamte Produkt selbst „entworfen“. Dabei gehorcht der Entwurf ganz und gar den Bedürfnissen des Bastlers, deshalb muten die Ergebnisse dieser Projekte oft etwas eigenwillig an.Auch wenn der Entwurfsprozess der Laien nicht so ausgeklügelt ist wie die Prozesse der Profis, mangelt es den Bastlern dennoch nicht an Improvisa-tionsvermögen und Erfindergeist. An dieser Stelle finden sich die meisten Parallelen zum Design, denn der eigene Entwurf erfordert eigene Planung.Ein spezielles Phänomen im Do-It-Yourself ist das IKEA-Hacking. Dabei geht es darum, die Möbel des schwedischen Großkonzerns zu individualisieren und den eigenen Bedürfnissen anzupassen. Nicht selten haben die „Hacker“ hierbei einen kritischen Blick auf die Konzernpolitik von IKEA.

Selbstgebauter „Beamer“

Page 45: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

44

Das Umnutzen der Massenmöbel des schwedischen Konzerns liegt nahe, denn sie sind billig und allgegenwärtig. Die Designs sind leicht zugänglich, aber wie beim IKEA-Klassiker, dem Lack-Tisch, suggerieren sie so wenig In-dividualität, dass sie das „Verschönern“, also das Individualisieren durch den Käufer, geradezu herausfordern. Auch das Konzept von IKEA, den Kon-sumenten die Ware selbst zuhause zusammenbauen zu lassen, regt dazu an, die Teile aus dem Karton anders aufzubauen als geplant und dadurch vielleicht sogar einen Mehrwert zu generieren. Viele der auf der Website www.ikeahacking.com dargestellten Projekte dienen jedoch nur der un-mittelbaren Verbesserung einer Wohnsituation. Bei manchen ist aber der Eingriff auf das ursprüngliche Konzept und Ausgangsmaterial so stark, dass ein kritischer Aspekt bleibt.Auch Künstler und Designer haben sich bereits mit dem Thema befasst. So findet man auf der holländischen Seite www.platform21.nl unterschiedliche Hacks, die nach dem Open-Source-Prinzip nachgebaut werden können. Die Ideen der Designer behandeln das Thema IKEA kritisch. Dabei wird oft die schlechte Qualität der Möbel und der Entwürfe angeprangert, aber auch die Produktionsformen, die die niedrigen Preise ermöglichen.

Während also einige Do-It-Yourself-Projekte hohen Erfindergeist fordern (selbstgebauter Beamer) und von Kreativität geprägt sind, verbleiben an-dere in der Nachahmung. Die Bastler nutzen eine Vielzahl von Blogs und Webseiten, um sich über Ide-en und Materialien auszutauschen und zu informieren. Blogs wie der des Make-Magazines, in denen „Technik-Hacks“ beschrieben werden, entsprechen durchaus einem Ideal der „Ad-Hoc-Mentalität“52, die Charles Jencks in „Adhocism“ beschreibt. Diese Haltung hat ihren Ursprung nicht nur im Heimwerkertum als reproduzierender Tätigkeit sondern auch im Heimwerkertum als entwickelnder Tätigkeit, die sogar subversiv sein kann. Die Strategien der Prosumenten, die in den Internetportalen doku-mentiert sind, gewinnen an Nähe zum Design. Den Maßstäben des Designs können die Arbeiten der Laien jedoch nicht immer gerecht werden. So ist in den Produkten der Laien eine gewisse Un-kenntnis der Historie offensichtlich, oftmals wird zitiert und wiederholt, ohne den Kontext zu kennen. Auch formale Kriterien wie Proportionen und Farbigkeit werden vernachläs-sigt, manchmal auch der praktische Nutzen. Genau diese Unbekümmertheit macht aber das Sympathische der Ästhetik von Do-It-Yourself aus.

Nicht alle DIY-Produkte sind ad hoc, denn manche Projekte wie das Nähen eines Kleides nach einem Schnittmuster oder das Bauen eines Puppenhauses anhand eines Planes sind wiederholbar und geplant. Sie entstehen aus dem Kontext des Hobbybastlertums heraus, hinter dem sich ein ganzer Indust-riezweig verbirgt. Dabei wird das Basteln zum Akt des Konsums. Verwendet werden vorgefertigte Materialien und etablierte Techniken.

52) Vgl.: „The Spirit of Adhocism“, Jencks, Charles (Hg.); Silver, Nathan: Adhocism. The Case For Improvisation, London 1972, S. 12

Prosument (engl.: Pro-

sumer) = Produzent und

Konsument. Nach Alvin

Toffler sind das Verbrau-

cher, die das, was sie

konsumieren, auch her-

stellen.

„TRASIGT HJÄRTA“,

IKEA-Hack von Eric Morel.

Unkenntnis der Historie:

Selbstgemachte Produkte

bei etsy.com

Page 46: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

45

Ad hoc sind hier oft nur die Improvisationen am Rande, die zur Fertigstellung des Projekts beitragen.

Schließlich gibt es bei allen Spielarten von Do-It-Yourself Momente von Ad hoc und Improvisation; das „Basteln“ geschieht zuhause, ohne die erprobten und etablierten Produktionstechniken der Industrie. Der „laienhafte“ Um-gang mit Material und Konzeption ist geprägt von Ad hoc und Improvisation. Do-It-Yourself erfordert Umnutzung und Aneignung von bereits Bestehen-dem. Do-It-Yourself füllt Nischen, die Projekte sind für eine bestimmte Situ-ation, aus einem bestimmten Kontext heraus, gemacht worden. Das Do-It-Yourself füllt die Nischen jedoch nicht mit den Methoden des De-signs, sondern mit den Mitteln des Bastlers. Das Selbermachen erspart die Kosten und Umstände, einen Experten zu be-auftragen. So kann DIY ein Ersatz für die Leistung des Profis sein, ist also in sich bereits eine Improvisation, eine Ersatzhandlung für die Handlung des Profis. Der Unterschied zum Design besteht darin, dass es sich hier nicht um Gestal-tung innerhalb eines Designprozesses handelt. Die Hobbywerker gestalten zwar bewusst, die Ergebnisse sind aber keine Designprodukte,53 auch wenn sich viele der Do-It-Yourselfler mit dem Design identifizieren.

53) Vgl.: Brandes, Uta: „Non Intentional Design“ in: Erlhoff, Michael; Marshall, Tim (Hg): Wörterbuch Design, Basel 2008, S. 292

Page 47: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll
Page 48: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

47

2. 5 Ad-hoc-Strategien in der Architektur

Meistens beginnt die Umnutzung eines Gebäudes bereits am Tag seiner Er-öffnung. Die Planung eines Gebäudes ist nicht mit dessen Fertigstellung beendet, denn Architektur ist nicht mobil und überdauert mehr Zeit als ein Produkt. Die Nutzer haben vielleicht Bedürfnisse, die ein Architekt kaum erahnen kann. Dabei werden Gebäude den jeweiligen, sich verändernden Zwecken angepasst und meistens geschieht diese Anpassung ad hoc, aus dem Moment heraus.Deshalb ermöglicht gute Architektur andere Nutzungsmöglichkeiten; gute Architektur ist ein offenes System, dass später hinzugefügte Elemente zu-lässt und trotzdem noch funktioniert. Denn der Architekt ist nur der erste Planer in einer Reihe von Entscheidungs-trägern, die über das Gebäude bestimmen. Nach Fertigstellung eines Ge-bäudes sind die weiteren Planer auch die Nutzer, die Politik sowie andere Architekten. Die Umnutzung und Anpassung von Gebäuden und ganzen Stadtvierteln ist also ein wichtiges Thema in der Architektur und in der Stadtplanung. So mussten sich zum Beispiel eine Reihe von Politikern, Architekten, Pla-nern und Kulturbeauftragten lange mit der Frage beschäftigen, wie das Ruhrgebiet als einstiges Zentrum des Bergbaus zu einem Kulturstandort werden kann, nachdem die Zechen geschlossen wurden (Beispiel: Zeche Zollverein).Es gibt viele solcher Beispiele, deshalb soll hier kurz auf ein paar typische Umnutzungsstrategien von Nutzern und Planern eingegangen werden:

Informelle Architektur:In südlichen Ländern entstehen aufgrund des Wohnungsmangels in den Großstädten, der auch mit der Landflucht zusammenhängt, ganze Stadtteile auf offiziell nicht bebaubaren Flächen. Die Bezeichnungen für diese proviso-rischen illegalen Siedlungen sind von Land zu Land unterschiedlich: Favela (Südamerika), Slum (Europa) und Township (Südafrika). Das Informelle Bauen geschieht ad hoc, denn der Mangel an Wohnraum in den südlichen Metropolen ist extrem. Die Städte müssen sich immer weiter ausdehnen. Auch die Bauweise der Häuser selbst ist ad hoc, denn vor allem anfangs werden vorgefundene und gesammelte Materialien benutzt. Das Ergebnis ist dann die oft romantisierte Favela-Ästhetik.Angefangen mit einfachen Wellblechhütten werden die provisorischen Ge-bäude in Selbstbauweise immer weiter verbessert.54 Parallel dazu verbessert sich auch die Infrastruktur, die anfangs auf das Minimum begrenzt ist.55

54) Vgl.: Ribbeck, Eckhart: Die informelle Moderne, Heidelberg 2002. S. 12

55) Vgl.: Ebd.

Page 49: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

48

In den informellen Siedlungen wohnen bereits mehrere Generationen, sie sind teilweise von den geplanten Teilen einer Stadt kaum zu unterschei-den. Anfangs chaotisch anmutend, werden die spontan errichteten Slums später zu einem festen Bestandteil der Städte, so finden die Siedler Lösungen für die fehlenden Planungskonzepte der Entscheidungsträger in den Metropolen. Die Situation in den irregulären Siedlungen ist dennoch oftmals prekär, die Kriminalität ist hoch und manche Gegenden sind stark von Naturkatastro-phen betroffen. Die provisorische Bauweise der Häuser gereicht den Bewoh-nern zum Nachteil, und die Gebiete werden, weil sie informell entstanden sind, von der Politik vernachlässigt.

Squatting: Squatter eignen sich leerstehende Gebäude an, indem sie diese „besetzen“ also ad hoc in das leerstehende Haus einziehen. Das widerspricht den Inte-ressen der Besitzer, die das Gebäude abreißen wollen und für die der Leer-stand günstiger ist.Die Squatter hingegen prangern den Leerstand der dem Verfall preisgegebe-nen Gebäude an, sie verfolgen mit dem Akt der Besetzung politische Gründe und haben oft selbst ein zu geringes Einkommen, um eine Wohnung (in ähnlicher Lage) zu mieten. Das Squatting ist subversiv, denn es gilt (oft) als illegal und unterläuft unmittelbar bestehende Planungen. Hartnäckige Squatter erreichen bei den Besitzern eine Duldung oder bekommen sogar irgendwann offizielle Mietverträge.In Deutschland war das Squatting vor allem in den 1970er bis 1990er Jahren verbreitet. Infolge der flächendeckenden Sanierungspolitik in den 70er Jah-ren gab es in Westberlin viele Hausbesetzungen, weil durch den Abriss alter Gebäude die Nachfrage nach günstigen Wohnungen stark anstieg. Gewalt-same Räumungen der Altbauten durch die Polizei waren die Folge. Heute ist das Squatting eher eine Ausnahme, es geschieht nicht mehr so sehr aus einer existenziellen Bedrohung heraus, sondern ist vornehmlich eine politische Aktion, die Aufsehen erregen soll.In den Niederlanden hingegen wird das Squatting immer noch praktiziert und ist gesetzlich geregelt. Nach einem Jahr Leerstand kann man ein Gebäu-de offiziell besetzen und es ist komplizierter, die Squatter wieder zu vertrei-ben, als sie zu akzeptieren. Die Legalisierung des Squatting hat in den Niederlanden Unternehmen hervorgebracht, die damit beauftragt werden, sogenannte Anti-Squats zu organisieren. Sie werden von den Besitzern der Gebäude beauftragt, Mieter für wenig Geld in die abrissbedürftigen Häuser einziehen zu lassen, um zu verhindern, dass Squatter sie besetzen.Das Beispiel aus den Niederlanden zeigt, wie eine einst subversive Strategie sich etablieren konnte und so auch ein Problem, nämlich die ungerechte Ver-teilung von Wohnraum in einem Land, in dem der Platz ohnehin begrenzt ist, entschärft wurde.

Besetztes Haus in

Stuttgart, 2005

Page 50: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

49

Der Nutzer als Planer: Kann man über DIY den Nutzer in die Planung und Umnutzung des Wohnraumes einbeziehen? Für diese Frage gibt es mehrere Ansätze in der Ar-chitektur- und Planungstheorie: Lucius Burckhardts ganzheitlicher Ansatz in der Stadtplanung sieht vor, dass die Planung nicht nur am Reißbrett geschieht, sondern an den Be-darf der Menschen angepasst ist. Deshalb sieht Lucius Burckhardt im Do-It-Your-self-Hausbau das Potential, die Nutzer ihren Wohnraum selbst zu planen zu lassen. Sie können unabhängig von Baufirmen, Architekten und Po-litik ihre Häuser und Wohnungen renovieren oder ganz selbst bauen und sich so von den etablierten Strukturen im Baugewerbe emanzipieren. Das soll dazu führen, dass die Nutzer ihren Wohn-raum später pfleglich behandeln, weil er ihren Bedürfnissen entspricht und durch ihre eigene Arbeit entstanden ist. Lucius Burckhardt bezieht diese Idee vor allem auf das Problem von Sozialwohnungen, die von den Bewohnern „verwohnt“ werden, weil kein Anreiz besteht, sie zu renovieren. Gleichzeitig lohnt sich eine Investition auch für die Hauseigentümer nicht, denn die Mieten sind niedrig.

Die Gruppe Archigram hat sich bereits in den 70er Jahren mit dem gleichen Problem auseinanderge-setzt und Bausätze für Ergänzungen konzipiert, die vom Nutzer ad hoc zu einem bestehendem Gebäude hinzugefügt werden können, um das Gebäude neuen Bedürfnissen anzupassen und zu renovieren.56 Durch das Hinzufügen von raum-schiffartigen Blasen, Sonnensegeln und Erkern, die an der Fassade auskragen, wird zusätzlicher Raum gewonnen.Die Ästhetik dieser Elemente ist jedoch eine ganz andere als die Ästhetik der bei Häuslebauern be-liebten Wintergärten. Denn Archigram versuch-ten mit ihren Konzepten nicht, den Stil des jewei-ligen Hauses aufzunehmen oder nachzuahmen,

56) Vgl.: Archigram Archival Project, www.archigram.westminster.ac.uk, 14. 08. 2010).

Konzept für die Ad-hoc-Modifikation eines bestehenden

Gebäudes mit Fertigbauteilen. Das offensichtlich her-

untergekommene Gebäude kann mit Hilfe der Fertigtei-

le wieder bewohnbar gemacht werden. Archigram, 1972.

(Vgl.: Archigram Archival Project, www.archigram.westminster.ac.uk,

14. 08. 2010)

Page 51: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

50

sondern fügten eigene Elemente hinzu, die ganz offensichtlich anders als das ursprüngliche Gebäude aussahen. So wird Altes und Bekanntes mit Neuem verknüpft und ein differenziertes Bild der Fassade entsteht.

Die Architekturutopie von Archigram ist heute in der Realität angekom-men. Wintergärten, Carports und Balkone sind ein typisches Beispiel für ad hoc hinzugefügte Räume durch die Laien. Natürlich kommen diese in ihrer Baumarktästhetik dem Konzept von Archigram nicht nahe, aber sie entsprechen der gleichen Idee, nämlich eine Anpassung als Nutzer selbst vorzunehmen.Besonders offensichtlich sind die Anpassungen bei Reihenhaussiedlungen, denn hier gleicht jedes Haus dem anderen. Während die ursprüngliche Kon-tur mancher Gebäude kaum noch erkennbar ist, scheint bei anderen Ge-bäuden die Architektur „intakt“. Wenn auch die Ästhetik dieser Anbauten und Umnutzungen durch die Laien meist nicht den Kriterien der Gestalter standhält, so handelt es sich doch um Phänomene, die es bei der Planung dieser Gebäude zu berücksichtigen gilt.

Die obigen Beispiele zeigen, dass Bewohner sich mittels Ad hoc und Impro-visation immer wieder als Architekten und Planer betätigen. Sie agieren jenseits der etablierten Strukturen und scheuen sich nicht, die Aneignung bestehender Räume auch als politisches Mittel einzusetzen. Mit ihren Um-nutzungsstrategien machen sie die Entscheidungsträger auf wirksame Art und Weise auf Probleme aufmerksam.Gleichzeitig tragen sie zur Vielfalt im urbanen Raum bei: Nicht selten bieten besetzte Häuser Räume für kulturelle Aktivitäten.

Page 52: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll
Page 53: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

Teil 3 Die spontanen Handlungen der Profis

Page 54: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll
Page 55: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll
Page 56: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

55

3. 1 Einleitung

Ad hoc und Improvisation finden sich in allen Lebensbereichen. Sie sind all-gegenwärtig, aber das eigentliche Forschungsfeld dieser Arbeit konzentriert sich auf das Design, weil die Designer besonders viel improvisieren. Im Alltag finden sich die spontanen Handlungen zwar in ähnlicher Form bei den Laien, denn auch sie finden Umnutzungs- und Aneignungsstrategien, die durchaus ein kreatives Potenzial besitzen.Trotzdem unterscheiden sich die spontanen Handlungen der Laien von de-nen der Profis.

Die Laien betreiben Gestaltung sowohl bewusst (DIY) als auch unbewusst (NID). Bei ihren Stegreifschöpfungen handelt es sich jedoch nicht um pro-fessionelle Gestaltung. Denn die Gestaltung der Laien geschieht entweder zufällig und unbeab-sichtigt, oder es handelt sich, wie beim Do-It-Yourself, um einen Versuch, zu gestalten, der aber aufgrund der Unkenntnis von Methoden und Historie der Disziplin nicht gelingt. Das Konzept des Non Intentional Designs schließt als Strategie der Laien Wiederholungen nicht aus, während die Profis auch beim Ad-hoc-Gestalten versuchen, durch professionelle Methoden Neues zu schaffen. Dennoch soll den Ergebnissen der spontanen Handlungen der Laien das At-tribut „Gestaltung“ nicht ganz abgesprochen werden, handelt es sich doch um Strategien, die dem Design ähneln.

Die Gestaltung des Prozesses macht die Disziplin Design professionell, denn die Entscheidungen der Gestalter werden im Prozess sichtbar und nachvoll-ziehbar (siehe: Laien und Profis – Was macht Design professionell?). Modelle und Zeichnungen sind eine Möglichkeit, diese Entscheidungen zu dokumentieren und zu transportieren, gleichzeitig wird auch der Kontext, in dem Gestaltung stattfindet, geplant und bewusst gestaltet.In der Kunst gibt es Strategien, die den Methoden der Designer ähneln. Ein Beispiel hierfür ist das Readymade, eine in der Kunst entwickelte Vorgehens-weise, die auch von Designern verwendet wird. Die Ad-hoc-Phänomene in den anderen Bereichen besitzen also Analogien zum Design. Strömungen wie Dadaismus oder Do-It-Yourself beeinflussen das Design, ihre Konzepte dienen den Gestaltern als Vorbild.

Wie viel Improvisation geschieht im Design tatsächlich?Können die spontanen, kreativen Handlungen aus dem Alltag im Design vielleicht sogar als Methode eingesetzt werden?Und welche Strategien verfolgen die Designer im Einzelnen?

„All creations are in-

itially ad hoc combi-

nations of past sub-

systems; nothing can be

created out of nothing“

(Jencks, Charles (Hg.); Silver,

Nathan: Adhocism. The Case For

Improvisation, London 1972, S. 39)

Page 57: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

56

3. 2 Ad hoc als Designmethode?

Im Design bietet jedes Projekt neue Herausforderungen. Die „Probleme“ im Design sind meistens unterschiedlich, sie wiederholen sich selten. Das De-sign ist eine Disziplin ohne festes Regelwerk, es gibt keine allgemeingültigen Forschungsmethoden, denn die Designforschung steckt noch in den Kinder-schuhen57 und es gibt keine festen Vorgaben für das Entwerfen.

Um Fragestellungen im Design zu begegnen, werden manchmal „Kreativi-tätstechniken“ wie Brainstorming, Mindmapping und Synektik benutzt. Diese „Kreativitätstechniken“ können keine Ideen erzeugen, sie sind eher eine Ansammlung unterschiedlicher Strategien, die helfen, ein Problem zu definieren oder Ideen zu dokumentieren. In der Gruppe angewendet, können sie manchmal sogar dazu beitragen, flachere Hierarchien zu schaffen.Das Anwenden der immer gleichen Strategie auf verschiedene Entwürfe ist meist nicht erfolgreich, denn die Strategien im Design werden den jeweili-gen Fragestellungen angepasst. Ad hoc und Improvisation setzen sich aus vielen verschiedenen Substrategi-en zusammen, denn die Anpassung an eine Situation erfolgt immer wieder neu. Deshalb lassen sich Ad hoc und Improvisation kaum einer Methode unterordnen. Jede Ad-hoc-Strategie ist unterschiedlich, Ad hoc im Design umfasst deshalb viele unterschiedliche Methoden. So ist es auch nicht die Vorgehensweise oder die Methodik, die die spontanen Phänomene im De-sign verbindet, sondern die Denkweise.58

Ad hoc und Improvisation lassen sich also nicht planen. Der Kontext, in dem Prozesse im Design stattfinden, kann aber geplant sein und bewusst beein-flusst werden. Teil dieses Kontexts sind der (physische) Arbeitsplatz, das (immaterielle) persönliche Netzwerk und der Zeitrahmen für ein Projekt.Innerhalb dieses Kontexts kann ein Spielraum für Ad hoc und Improvisation geschaffen werden, indem er bewusst mit eingeplant wird. Oft nimmt sich die Improvisation jedoch diesen Spielraum – und das geschieht meist dann, wenn die Zeit knapp wird.

Ad hoc ist im Gestaltungsprozess ohnehin unvermeidlich, denn alle Ent-würfe entstehen durch eine Kette von Entscheidungen, die sowohl spontan-intuitiv als auch analytisch-strategisch getroffen werden. Manche dieser Entscheidungen mögen zufällig und improvisiert erscheinen. Das Auswählen aus einer Fülle von Möglichkeiten innerhalb eines kurzen Zeitraumes ge-schieht jedoch nicht zufällig, sondern äußerst gezielt – ad hoc:

57) Vgl.: Brandes, Uta; Stich, Sonja; Wender, Miriam: Design durch Gebrauch, Basel 2009, S. 4

58) Um diese Denkweise näher zu untersuchen, und um herauszufinden, inwiefern Ad hoc eine Methode sein könnte, habe ich Experteninterviews durchgeführt. Die Denkweise ist: Handeln, nicht zögern, nicht lange hinterfragen. Die Möglichkeiten nutzen, die sich anbieten.

„I think, it can be

a starting point, as

a part of your con-

cept.“ (Kiki van Eijk)

„Ad hoc and improvisati-

on are now very relevant

in urban planning and in

architecture. What can

be also interesting

about improvisation –

and about ad hoc is,

that this making of

things is quite impor-

tant.“ (Jerszy Seymour)

„Es ist insofern eine

Methode, als dass man

lernt, mit dem Unvor-

hersehbaren umgehen zu

können. Das ist sicher-

lich für jeden sinnvoll,

nicht nur für Designer.“

(Judith Seng)

Page 58: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

57

Ad hoc im Design ist eine professionalisierte Form der Improvisation, denn Ad hoc erweitert die Improvisation um eine strategische, analytische Kom-ponente. Diese bewussten Handlungen geschehen in einem bestimmten Moment und mit einem bestimmten Ziel.

Es gibt eine Fülle von Stegreifschöpfungen im Design; ad hoc sind aber nur jene, die für einen bestimmten Zweck, spontan und aus der Situation heraus entstanden sind. „Richtig“ ad hoc sind die spontanen Handlungen, bei denen der Zweck von vornherein definiert wurde.

Bereits Charles Jencks und Nathan Silver stellten die besonderen Eigenschaf-ten für den Adhocismus fest, der stark an die jeweilige Situation gebun-den zu sein scheint. „(...) Basically it involves using an available system or dealing with an existing situation in a new way to solve a problem quickly and efficiently. It is a method of creation relying particulary on resources which are already at hand.“59 Bei Jencks und Silver basieren die Ad-hoc-Lösungen ganz konkret auf der Kombination und Wiederverwertung von bereits existierenden Gegenstän-den. Sie sind die Ressourcen, aus denen sich der Gestalter oder Improvisateur bedient. „By combining diverse subsystems ad hoc, the designer shows what their previous history was, why they were put together and how they work. (...) Meaningful articulation is the goal of adhocism. Opposed to purism and exclusivist design it accepts everyone as an architect and all modes of com-munication, whether based on nature or culture.“60 Ad hoc ist demokratisch, denn Jencks und Silver unterscheiden nicht zwischen Designern und Nut-zern. Der Adhocismus akzeptiert jeden als Gestalter.

Nathan Silver unterscheidet zwischen einem „practical adhocism“ und ei-nem „intentional adhocism“.61 Dabei ist der praktische Adhocismus etwa gleichzusetzen mit dem Phänomen Non Intentional Design und der Impro-visation im Alltag. Sie entspringen einem unmittelbaren Mangel.Der intentionale Adhocismus hingegen geschieht im Hinblick auf mittelbare Bedürfnisse und Ziele, die mit einem Konzept oder Plan verbunden sind. Der intentionale Adhocismus ist dann nicht nur „Mittel zum Zweck“, son-dern Teil des Gesamtkonzepts. Im Design kann man laut Jencks und Silver nur die Produkte als „richtig“ ad hoc bezeichnen, bei denen sowohl Entstehungsprozess als auch finales Produkt ad hoc sind.

Ad hoc im Design ist mehr als nur die bloße Rekombination von Vorgefun-denem: Es werden auch Materialien und Formen verwendet, die neu sind.

59) Jencks, Charles (Hg.); Silver, Nathan: Adhocism. The Case For Improvisation, London 1972, S. 9

60) Ebd., S. 73

61) Vgl.: Ebd., S. 110

Um aus der Fülle von

Ad-hoc-Phänomenen im

Designprozess signifikan-

te Beispiele auszuwäh-

len, wurden innerhalb

der Begriffsdefinition

Auswahl-„Kriterien“

für Ad hoc gesucht:

Ad hoc =

1. Für dieses, für

diesen Zweck gemacht,

2. Spontan, aus der

Situation heraus,

aus dem Stegreif,

(Vgl.: Drosdowski, Günther:

Duden - Das große Wörterbuch

der deutschen Sprache, 2. Auflage,

Mannheim, Wien [u.a.], S.116)

Als zusätzliches Krite-

rium wird für Ad hoc im

Design noch hinzugefügt:

3. Etwas Bekanntes zu

etwas Neuem umdeuten,

improvisieren im wei-

testen Sinne, aus dem

Bekannten schöpfen.

Page 59: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

58

Es gibt Ad-hoc-Materialien und Techniken, die es erlauben, Dinge ad hoc – vor Ort – herzustellen und es gibt neue Materialien, die als Verbindungs-element für vorgefundene Einzelteile funktionieren. Ganze Entwurfsprozesse im Design geschehen ad hoc und die Entwürfe wer-den von Nutzern ad hoc verwendet. Die Analyse der Situation, in der das Produkt genutzt wird, führt zu Ad-hoc-Entwürfen, denn der Entwurf bezieht sich auf den speziellen Kontext, in dem er auch verwendet wird.Ad hoc wird im Design auf professioneller Ebene angewendet: Auf dem Weg zum fertigen Produkt werden Teilprobleme durch gezieltes Pfuschen beho-ben. Und mittels Ad hoc können komplexe Zusammenhänge in Designpro-jekten bearbeitet werden. Der gesamte Designprozess ist also ein ständiger Wechsel zwischen Ad hoc und Planung:

Y Initialzündungen, Auslöser, Anfänge..., Ideen im Design passieren ad hoc oder werden im passenden Moment aus der Schublade geholt.Die Konzepte im Design sind ad hoc, denn der Entwicklungsprozess im De-sign ist geprägt von spontanen Entscheidungen und spontanen Handlun-gen. Design basiert auf Intuition, mit der diese Entscheidungen getroffen werden: Judith Seng macht diese „Auslöser“ zu einem Bestandteil ihrer Ar-beit. Sie schreibt in der Publikation „Design Reaktor Berlin“ wie mittels Ad hoc (oder Improvisation) Prozesse initiiert werden können. Und wie wichtig es ist, dann die Kette von Zufällen und Entscheidungen im Prozess auszunut-zen, um schließlich ein Produkt oder ein Konzept zu erstellen.62 Judith Seng begreift den Prozess nicht als das Wirken einer Einzelperson, für sie sind viele Personen beteiligt. Auch das Netzwerk, in dem diese Prozesse passieren, spielt eine wichtige Rolle für Ihre Arbeit.

Y Die Darstellung der Konzepte im Design geschieht ad hoc. Um Ideen für sich und für andere kommunizierbar zu machen, werden Modelle, Zeich-nungen oder Prototypen gemacht. Sie sollen das Konzept vermitteln, lassen aber noch Raum für Interpretation. Sie entstehen vor Ort, mit den verfügbaren Materialien und wirken deshalb oft improvisiert. Denn die Darstellung ist immer nur eine Annäherung an das „fertige“ und „Vollkommene“. Modelle markieren den jeweiligen Stand des Projekts – es gibt eine Evolution, eine Weiterentwicklung des Entwurfs, die an den Modellen ablesbar ist. Mithilfe dreidimensionaler Skizzen werden Dinge aus der Situation heraus entwickelt. Diese Ad-hoc-Vorgehensweise determiniert auch die spätere, „fertige“ Form.

Bei dem Projekt „Cut And Paste“ von Kiki van Eijk bestimmte das Modell das endgültige Design. Aus einem Fundus von vielen Skizzen wurden eini-ge Ideen ausgewählt und auf Basis dieser Handzeichnungen wurden dann ohne Umwege sofort Modelle gefertigt.

62) Vgl.: Universität der Künste Berlin: Design-Reaktor Berlin, „Ingredienzen der Produktgestaltung“ Seng, Judith, Berlin 2008, S. 6 ff.

Kiki van Eijk, „Cut and

Paste“, Prototypen (2010)

Kiki van Eijk,

„Cut and Paste“,

1:10 Modelle (2010)

Page 60: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

59

Die Entscheidungen wurden bei der Erstellung, beim Modellbau, mit Hilfe von Intuition getroffen. Schließlich wurde ein Farbcode für die Entwürfe festgelegt. Für Kiki van Eijk ist die Intuition ein wichtiger Bestandteil ihrer Arbeit. Der Anfang ist hier eine Skizze. Sie wird schnell ins Modell übertragen, so bleibt auch im Modell noch die Sprache der Skizze enthalten. Schließlich dienten die Modelle als Vorlage für die Prototypen, die in ihrer Ausführung und in ihren Details ganz den skizzenhaften Darstellungen entsprachen. In diesem Projekt ist Ad hoc eine Darstellungsmethode, aber auch eine Entwurfsmethode.

Die Reproduktion der Produkte durch die Designer geschieht ad hoc.In handwerklichen Prozessen und mit digitalen Maschinen können Desig-ner ihre Entwürfe in der eigenen Werkstatt ad hoc, je nach Bedarf, herstel-len und von dort aus vertreiben. Dabei imitieren sie nicht nur industrielle Techniken, sie entwickeln auch neue Strategien. Sie benutzen Ad-hoc-Materialien, um Kleinserien selbst herzustellen und zu verkaufen. Solche Materialien und die erforderlichen Geräte sind typischer-weise leicht zu beschaffen und der maschinelle Aufwand zur Bearbeitung ist gering. Manchmal werden sogar gar keine Maschinen benötigt und der aufwendige Formenbau (Teil des industriellen Prozesses) fällt weg.Auch Maschinen, die auf Basis digitaler Daten ein fertiges Teil ausspucken, sind ad hoc. Sie können mit geringerem Aufwand betrieben werden und vor Ort auf Nachfrage produzieren.63

Die Umnutzung, Neuanordnung und Rekontextualisierung von bereits exis-tierenden Objekten vermischt sich mit der Anwendung lokaler, altherge-brachter Produktionstechniken und digitaler Technologie.Auch im industriellen Kontext werden bereits existierende Komponen-ten umgenutzt oder wiederverwertet: „The fact that much design activity comprises of choosing from catalogues of existing components, rather than shaping them anew, is often overlooked. (...) While not implying a make-do-and-mend-approach, this activity is nonetheless improvisation of a sort.“64

Ein Beispiel für die Ad-hoc-Produktion in der eignen Werkstatt ist das Studio von Jerszy Seymour. Jerszy Seymour produziert für den Preis von 200 Euro einen Stuhl, den er in seiner Werkstatt herstellt und von dort aus vertreibt. Dafür hat er ein Verfahren gefunden, mit dem sich beliebige Einzelteile aus den unterschiedlichsten Materialien verbinden lassen. Ein wachsartiger Kunststoff funktioniert als „Knotenpunkt“. Damit können beliebige Objekte verbunden werden und dabei muss man weder genau arbeiten noch spezi-elle Maschinen verwenden. Der „Wachs“ lässt sich direkt mit den Händen formen, er kann bunt einge-färbt werden und härtet schnell aus. Auf seiner Website stellt Jerszy Sey-

63) Vgl.: Interview mit Hermann Weizenegger

64) Parsons, Tim: Thinking: objects. contemporary approaches to product design. Lausanne 2009, S. 39

„Open-Source-Poly-

capralactone-Wax“

Page 61: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

60

mour Informationen für die Verarbeitung des Materials nach dem Open-Source-Prinzip bereit, auch Amateure können mitmachen.65

Y Schließlich erfahren die Produkte des Designs und die Prozesse des Designs eine Aneignung durch die Nutzer. Die Konsumenten verändern Kontext und Funktion der Dinge. Sie entwickeln spontan, aus der Situation heraus, eigene Produkte aus den Dingen, die sie vorfinden. Der intelligente Konsument ist ein Prosument. Er nimmt die Dinge nicht, wie sie sind, sondern macht sie so, wie er sie will. Die Laien ahmen beim Do-It-Yourself Designprodukte nach. Bekannte Readymades werden von den Nutzern nachgebaut. Als Baumate-rial dienen Produkte, die zum Beispiel bei IKEA verkauft werden.

Der Adhocismus ist fester Bestandteil des Repertoires der Gestalter. Zahl-reiche Ansätze in der Designgeschichte entsprechen Ad-hoc-Strategien wie Rekombinieren, Collagieren, Zitieren und Ergänzen. Ende der 1970er Jahre hinterfragte das „Studio Alchimia“ die Errungenschaf-ten der Moderne. Die Neuinterpretation des Bauhaus-Klassikers „Wassily Chair“ von Alessandro Mendini entspricht einer von Jencks und Silver be-schriebenen Ad-hoc-Methodik. Hier entsteht durch Collagieren und Re-kon-textualisieren eine Variante eines bekannten Stuhls. Mendini manipulierte den Klassiker durch das Hinzufügen dekorativer, formalistischer Elemente: Der ursprüngliche Entwurf war eigentlich das Ergebnis konsequenter formaler Reduktion, während Mendini eine Art Ca-mouflage-Muster hinzufügte, was dem Entwurf einen ironischen Unterton gibt.Die Idee, einen bereits existierenden, etablierten Designgegenstand zu ver-wenden, anstatt einen „neuen“ Entwurf zu machen, basiert auf der die An-nahme, dass alles bereits „entworfen“ ist, dass es also nach der Moderne keine neuen, besseren Entwürfe geben kann. Das Verwenden von Lamina-toberflächen mit spielerisch-bunten Mustern war zum Beispiel ein typisches Verfahren des Radical Designs. Eine Oberfläche, die zunächst als Ersatz für „echte“ Holzoberflächen gedacht war, wurde im Radical Design reinterpre-tiert. Heute sind, 30 Jahre nach „Memphis“ und „Studio Alchimia“, Formen wie das „Bacterio“-Muster längst selbstverständlicher Teil des Mainstreams ge-worden. Das Material darf durchaus „künstlich“ erscheinen. Hier zeigt sich ein wichtiges Potenzial von Ad hoc im Design, denn eine eta-blierte, alltägliche Vorgehensweise wird durch Aneignung zu einem neuen Entwurf umgedeutet, der neue Entwurf wird dann Teil unserer Alltagskul-tur.

Und ebendiese einstmalig neuen Formen werden wiederum ad hoc von jun-gen Gestaltern wie Maarten Baas benutzt und neu gedeutet.

65) Vgl.: Interview mit Jerszy Seymour

„IKEA-Hack“ des Blog-

gers Aurélien Antoine

„Dear Ingo“ von Ron

Gilad für moooi (2005)

„Wassili Chair“, Redesign

von Alessandro Mendini,

(1978)

Page 62: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

61

Maarten Baas verbrennt Designklassiker und macht die Reste mit Epoxydharz haltbar und wieder funktionsfähig. Er benutzt bei seiner An-eignungsstrategie unter anderem Entwürfe, die aus der Moderne und aus der Postmoderne stam-men.Auch ein verkohltes „Carlton“-Regal von Ettore Sottsass, die Ikone des Radical Designs, ist Teil seiner „Smoke Kollektion“. Der spontane Akt des In-Brand-Setzens eines Mö-bels ist nicht nur aufgrund der „Performance“ ad hoc, sondern auch, weil hier Bekanntes modifi-ziert wird. Dieser Ansatz ermöglicht eine andere Lesart der Klassiker. Das Designzitat kann eine Diskussionsgrundlage schaffen. Diese Form der Aneignung stellt eine bereits etablierte Ästhetik im Design infrage.

1984 gab es in Berlin eine Ausstellung mit dem Titel „Kaufhaus des Ostens“. In der Ausstellung verkauften Designstudenten der HdK Produkte, die aus gefundenen Fertig- und Halbfertigpro-dukten zusammengesetzt waren. Diese Ready-mades waren Ergebnisse aus einem zweiwöchi-gen Workshop, der unter der Leitung von Andreas Brandolini, Joachim Stanitzek und Jasper Morri-son an der stattfand. Die Studenten sollten Möbel und Haushaltsgeräte für einen imaginären Laden entwerfen und dabei Waren verwenden, die sie in Baumärkten und Warenhäusern finden.66 Teil des Konzepts war, die Produkte der Industrie in einen neuen Kontext zu setzen, mit den eige-nen Möglichkeiten zu arbeiten und sich gleichzei-tig den „Ausstoß“ der Industrie anzueignen. Ent-standen sind eine Reihe von Produkten, die neue Funktionen und Formen ergründen – mit einem subversiven Hintergedanken: „Die Groß-Industrie ist das Betätigungsfeld für den Industrie-Designer. Doch die Industrie braucht kaum noch Designer. Also kann sich der Designer nicht betätigen – so einfach ist das.

66) Vgl.: Albus, Volker; Borngräber, Christian: Design-Bilanz, Köln 1992, S. 40 f.

„Smoke Furniture“, Maarten Baas (2002)

„Fruchtschale“ Axel Stumpf, 1984

für das „Kaufhaus des Ostens“

(Quelle: DESIGNBILANZ, Neues Deutsches Design der 80er Jahre,

Volker Albus und Christian Borngräber, 1992)

Page 63: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

62

Das KAUFHAUS DES OSTENS geht eine neue, aufregende Liaison mit der In-dustrie ein. Wir gebrauchen, verwerten und verdauen das, was sie sowieso ausstößt.“67

Diesen Umnutzungsstrategien im Sinne der Theorie des „Adhocism“ liegen drei Substrategien zugrunde, die Marcel Duchamps Idee vom Readymade entlehnt sind: Recyceln – Umnutzen – Re-Kontextualisieren. Nur funktio-nieren diese Objekte nicht als Kunst, sondern als Gebrauchsobjekte. Am Rande geht es hier auch um die umweltschonende Wiederverwertung von Industrieprodukten.

Anfang der 90er Jahre formierte sich in den Niederlanden das Designerkol-lektiv „Droog“, das den formalistischen Entwürfen aus der Postmoderne einfache, von einem pragmatischen Designverständnis geprägte Entwürfe entgegensetzte. Einigen bekannten Droog-Entwürfen liegen Konzepte zugrunde, die den Aneignungsstrategien der Laien ähneln. So vereint zum Beispiel der Leuch-tenentwurf „Milkbottle Lamp“ von Tejo Remy gleich mehrere Ad-hoc-Prin-zipien. Die Idee dieses Readymades basiert auf der Umnutzung eines einfa-chen, überall verfügbaren Gegenstandes und auf der Wiederholung einer bekannten Form (der Milchflasche). Dabei eignet sich eben diese typische Form besonders gut für die Umnutzung, weil die Öffnung gerade groß genug ist für das Leuchtmittel. Es entsteht ein Lüster, ein Objekt mit höherer Komplexität als die Milch-flasche, die aber als „Ursprungsmaterial“ noch erkennbar ist. Das banale Massenprodukt Milchflasche, das sonst eigentlich „nur“ eine Verpackung ist, gewinnt in dieser Anwendung eine andere Bedeutung.

Der „Ex -Designer“ Martí Guixé schlägt eine Brücke zwischen Konsumenten und Designern:Er vertraut mit seinen Entwürfen auf die Kreativität des Nutzers, indem er ein offenes Design schafft. Ad hoc ist bei den Entwürfen Guixés als Teil des Gebrauchs vorgesehen. Er liefert Vorschläge für den Gebrauch. Die Nutzer formen das Objekt jedoch nach eigenem Gutdünken. So kann sich der Bilderrahmen „Do Frame“ je nach Bedarf der Dimension des Objekts anpassen und klebt auf jedem Untergrund. An dieser Stelle wird die Rolle des Gestalters hinterfragt, denn die letztliche Entscheidung über das Produkt bleibt dem Nutzer überlassen. Martí Guixé designt so viel wie nötig und so wenig wie möglich.68

Es gibt also beim Ad-hoc-Entwerfen die unterschiedlichsten Herangehens-weisen: Von der Umnutzung einfacher Alltagsobjekte über das Umdeuten von Designklassikern bis hin zu offenen Gestaltung der Objekte, an der sich schließlich auch der Nutzer beteiligen kann.

67) Stumpf, Axel: „Das Kaufhaus des Ostens stellt sich vor“, zit. in Borka, Max: Nullpunkt. Nieuwe German Gestaltung, Bielefeld 2009, S. 118

68) Vgl.: Borka, Max: Nullpunkt. Nieuwe German Gestaltung, Bielefeld 2009, S. 57

„Milk Bottle Lamp“,

Tejo Remy (1991)

„Do Frame“,

Martí Guixé (2000),

Bei diesem Entwurf gibt

es einen partizipativen

Ansatz, denn der Nutzer

vollendet den Entwurf.

Page 64: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

63

Kann Ad hoc eine Methode im Design sein?

Jerszy Seymour Das hängt von der Definition von Ad hoc ab und von der

Definition von Design. In der Lage zu sein, mit der Situ-

ation umzugehen, in der man sich befindet, ist nicht so

sehr eine Methode, eher eine Haltung. Das interessante

ist das Machen. Das kann für jeden interessant sein-

Machen vs. Konsumieren.

Richard Hutten Alles kann ein Werkzeug sein. Improvisation kann man

trainieren. Sich mit Situationen konfrontieren. Ent-

scheidungen aus dem Moment heraus treffen ist eine

Form von Ad hoc.

Hermann Weizenegger Improvisation als Vehikel für Improvisation. Ad hoc

als Aufforderung für die Konsumenten, etwas zu tun

oder weiterzuentwickeln. Das Ding nicht als geschlos-

sene Einheit sehen.

Judith Seng Ad hoc ist eine Art, sich den Hindernissen zu stellen,

mit deren Hilfe man eine Designaufgabe entwickelt. Es

ist im weitesten Sinne eine Kreativitätsmethode. Bei

Ad hoc gibt es auch den Ansatz des Partizipativen, die

Übergabe des Designs an den Kunden findet früher statt.

Es geht darum, Tools zu entwickeln, die eine offene

Arbeitsweise ermöglichen.

Kiki van Eijk,

Joost van Bleiswijk

Kiki: Beim Machen entscheiden. Improvisation als Anfang

und Inspirationsquelle.

------

Joost: Man muss viele Skills haben und Selbstverständ-

nis.

Tassilo von Grolman -

Philipp Haffmans Jeder hat seine eignen Methoden.

Und bei der Teamarbeit ist es wichtig, dass man diese

Methoden zusammenbringt.

Oliver Schübbe Ich glaube, das funktioniert. Man könnte ad hoc (vor

Ort, mit Restmaterial) arbeiten und die Ergebnisse dann

wieder auf den Markt bringen.

Page 65: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

64

Anhand der verschiedenen Herangehensweisen der Designger kann man keine Konstante feststellen, es gibt keine immergleiche Strategie, die es er-laubt, Ad hoc planmäßig zu initiieren. Denn die Ideen basieren jeweils auf einem bestimmten, gefundenen Gegenstand oder auf einem bestimmten, einmaligen Kontext. Weil Ad hoc also immer wieder neu erfunden wird, ist es vermutlich die Denkweise in einer bestimmten Situation, die Ad hoc auslösen kann. Diese Denkweise, die man natürlich schwer erforschen kann, wurde in Experteninterviews näher untersucht. Autorendesigner wurden zu ihrer Arbeit, zur Improvisation und zu anderen Faktoren befragt, die wesentliche Rahmenbedingungen für Ad hoc bilden: Was passiert genau im Moment der spontanen Handlung? Kann auch Geplantes ad hoc sein?

Eine Frage in den Interviews bezog sich auf die Methodik von Ad hoc. Ein pa-radoxes Thema, aber die Designer hatten interessante Ansätze: Die Ad-hoc-Denkweise lässt sich trainieren, indem man sich immer wieder mit neuen Situationen konfrontiert, so beschrieb es Richard Hutten.69 Dabei muss man offen sein für Veränderungen, dem Zufall Raum geben und das Potenzial der Improvisation erkennen. Denn Ad hoc kann nur entstehen, wenn man auch Freiräume schafft, die Ad hoc zulassen.70 Die Improvisation kann als Vehikel für Improvisation dienen, dabei vollen-det der Nutzer das Design71. Weiterhin kann die Improvisation am Anfang eines Projektes helfen, Raum für Interpretation zu schaffen und mittels Ad hoc kann man sich seiner Vorstellung von einem Objekt (zum Beispiel im Modellbau) annähern.72 Ad hoc kann sogar der Erschließung neuer Nischen auf dem Markt dienen – der Designer kreiert sich seinen eigenen Kunden, er sucht und formt seinen Produzenten.73

Der gemeinsame Nenner aller Strategien ist der Kontext, in dem Ad hoc stattfindet. Das Finden, Bezeichnen und Verändern dieses Kontexts kann man als „Me-thode“ bezeichnen – der Kontext beeinflusst Ad hoc, und die eigene Denk-weise und Haltung sind Teil dieses Kontexts. Kann die Manipulation des Kontexts Ad hoc initiieren? Und erzeugt Ad hoc nicht auch immer wieder einen neuen Kontext?

69) Vgl.: Interview mit Richard Hutten

70) Vgl.: Interview mit Judith Seng

71) Vgl.: Interview mit Hermann Weizenegger

72) Vgl.: Interview mit Kiki van Eijk

73) Vgl.: Interview mit Oliver Schübbe

„People are creati-

ve by nature. How Can

we (designers) crea-

te the tools or the

platforms from which

people can operate?“

(Vgl. Jane Fulton Suri zit. in

Hustwit, Gary: Objectified, DVD,

England 2009)

Page 66: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

65

3. 3 Ad hoc und Computer

„All das, was wir früher in der Werkstatt gemacht haben, nimmt dir heute der Computer ab. Insofern kann man am Computer sehr gut improvisieren. Du kannst immer wieder verändern.“74

Mit Computern sind an dieser Stelle eine ganze Familie von Werkzeugen und Maschinen gemeint, die im Design eingesetzt werden. Ihr Einfluss hat die Arbeit der Gestalter in den letzten Jahrzehnten entscheidend verändert. Die gesamte Entwicklung von Produkten wurde beschleunigt.

Personal Computer sind eigentlich eine Toolbox, die eine große Anzahl von unterschiedlichen Werkzeugen enthalten.75 Diese Instrumente können ver-schiedene Programme sein, die ganz konkret beim Entwickeln einer Form helfen, oder das Internet, das eine unendliche Sammlung von Informationen und Kommunikationsmöglichkeiten ist. Computer bieten die Möglichkeit, die Arbeit zu archivieren, die so überall verfügbar und überall kommunizier-bar ist. Mit nur einem Gerät kann der Designer Tätigkeiten erlernen und aus-führen, die früher Spezialisten vorbehalten waren. Früher erforderten diese Techniken viele Werkzeuge und besondere handwerkliche Kenntnisse.

Der Einsatz dieser universellen Toolbox im Design hat aber auch Tücken. Das beschreibt Richard Sennet in „Handwerk“. Er stellt den Konflikt dar, der zwischen digitaler Planung und realer Ausführung entsteht, es entsteht ein Konflikt zwischen realer Räumlichkeit und virtueller Realität. Denn CAD-Programme verleiten dazu, in der Planungsphase die Realität auszublenden. Das Rendering als Darstellung wird zum Produkt.76 Die Realität sieht auch hier anders aus als die Planung. Nur suggerieren Ren-derings eine falsche, hyperrealistische Realität. Sie sind an die Stelle von Handzeichnungen getreten, die mehr Raum für Interpretation ließen. Richard Sennet kritisiert das Vertrauen in die Räum-lichkeit digitaler Darstellungen: „Das größte Dilemma, vor dem der neu-zeitliche Künstler-Handwerker steht, ist die Maschine. Ist sie ein segensrei-ches Werkzeug oder ein Feind, wenn sie die Arbeit der menschlichen Hand ersetzt?“77

Auch der niederländische Designer Joost van Bleiswijk sagt, dass er die Handzeichnung gegenüber der digitalen Darstellung bevorzugt: „Some peo-ple only work with 3D-programs, and I just took the old drawing board again

74) Interview mit Tassilo von Grolman

75) Vgl.: Interview mit Jerszy Seymour

76) Vgl.: Sennett, Richard (Hg.): Handwerk, Berlin 2009, S. 58 ff.

77) Ebd., S. 113

Page 67: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

66

because I started to hate only working with the computer. You can make little models instead of making a 3D-print. You can just make the thing. It‘s more in a process of making, and drawing and sketching...“

Die Darstellung von dreidimensionalen Objekten mit Hilfe von CAD-Pro-grammen ist trotzdem hilfreich, denn sie ermöglicht das Erzeugen immer komplexerer Formen. Darstellungen sind aber nur ein Zwischenschritt zur tatsächlichen physischen Umsetzung des Entwurfs. Und so entsteht oft ein Missverständnis: Man „baut“78 nicht im CAD-Programm, es handelt sich eher um eine detaillierte Zeichnung.

Das Zeichnen am Rechner hat noch einen weiteren Vorteil, der auch gleich-zeitig ein Nachteil sein kann: Die einzelnen Schritte kann man immer wie-der rückgängig machen und die Dimension eines Objekts kann beliebig verändert werden. Beim Zeichnen mit der Hand hingegen legt man sich früh fest und ist gezwungen, in einem bestimmten Maßstab zu zeichnen. Der Bildschirm als Zeichenoberfläche zeigt nur einen Ausschnitt oder eine verkleinerte Version des Objekts. Das Zeichnen am Rechner ist indirekter als das Zeichnen mit der Hand. Phy-sisch erfassbar wird die Zeichnung frühestens, wenn man sie ausdruckt oder plottet. Das physisch Erfassbare und die Uneindeutigkeit der Skizze machen das Zeichnen mit der Hand zu einem typischen Ad-hoc-Werkzeug. Das Zeich-nen mit dem Computer hingegen ist durch die unendliche Widerrufbarkeit der Entscheidungen (Rückgängig-Taste) niemals ganz eindeutig und erst die physische Umsetzung im Modell definiert das am Computer Gezeichnete.Judith Seng beschrieb, dass man einen Sprung, einen ständigen Wechsel zwischen digital und analog schaffen muss, wenn man Computer sinnvoll einsetzt. Für Judith Seng ist der Rechner ein Planungstool, während das tat-sächliche Realisieren von Entwürfen in der Werkstatt (oder in den Werkstät-ten der Industrie) geschieht. Dabei werden wichtige Entscheidungen für den Entwurf ad hoc getroffen, die dann in den digitalen Plan mit einfließen.

Computer und 3D-Programme sind in Bezug auf Ad hoc und Improvisation nur eines unter vielen Werkzeugen. Sie werden als Mittel zum Zweck genau dann eingesetzt, wenn man sie braucht, so wie eine Säge.79 Natürlich muss man sein Werkzeug beherrschen, um damit ad hoc entwer-fen zu können. Und auch der Computer kann scheinbar ein „Eigenleben“ entwickeln und so zur Barriere zwischen dem Geplanten und dem, was tat-sächlich entsteht, werden.

Das Entwerfen mit Hilfe von CAD hat also zwei Seiten: Die unendlichen Gestaltungsmöglichkeiten einerseits, andererseits die fehlenden Anreize für Ad hoc, weil die Grenzen, die dem Entwerfer bei der physischen Umset-

78) „Bauen“: das ist die gängige Bezeichnung der Designer, wenn sie das Zeichnen mit Hilfe von CAD- Programmen meinen.

79) Vgl. Interview mit Philipp Haffmans

Page 68: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

67

zung im Modell oder beim Zeichnen mit der Hand vom Material vorgegeben werden, fehlen. Wenn man bestimmte Programme für Ad hoc einsetzt, so muss man sie richtig gut beherrschen, um spontan zu sein. Die wichtigste Fertigkeit aber ist, den ständigen Wechsel zwischen digitalem und analogem Entwerfen zu beherrschen.

Digitale Geräte ermöglichen eine dezentralisierte Produktion. Die Produk-tion von Konsumgütern geschieht heute längst nicht mehr in Europa. Sie wird im großen Maßstab von wenigen Konzernen bestimmt, die Erzeug-nisse dieser Konzerne sind auf der ganzen Welt verfügbar.80 Die Gegenbe-wegung zu dieser Form von Produktion und Konsum ist die Produktion vor Ort, die Produkte werden von Einzelpersonen hergestellt und gleichzeitig vor Ort vertrieben. Holm Friebe und Thomas Ramge sehen in der „Marke Eigenbau“ 81 eine Strategie zur dezentralisierten Produktion von Konsumgü-tern. Und die „Marke Eigenbau“ bekommt nicht zuletzt durch eine Vernet-zung der Individuen, die durch das Internet ermöglicht wird, immer mehr Anhänger (vgl. auch DIY). Auch Charles Jencks und Nathan Silver ahnten, dass der technologische Fortschritt die zentralisierte Produktion von Gü-tern irgendwann überholen wird und die individuelle Fertigung wieder an Bedeutung gewinnt:„The electronic techniques will allow decentralized design and consumption based on individual desire“82

Im Design ist der Trend zur Eigenproduktion offensichtlich. Die Herstellung kann wieder ad hoc vor Ort und nach Bedarf geschehen. Eine wichtige Vor-aussetzung für die effektive Produktion vor Ort sind digitale Maschinen wie CNC-Fräsen, Rapid Prototyping-Geräte und Lasercutter. Mit diesen Maschi-nen können, mit technischem Verständnis und relativ geringen Investiti-onskosten, Produkte von hoher Qualität hergestellt werden.83 Der einst investitionsaufwendige Formenbau fällt ganz weg, denn die Ma-schine sägt, fräst und bohrt hochpräzise auf Basis digitaler Daten aus den CAD-Programmen. Im Lasersinterverfahren können organische Formen, sozusagen aus dem „Nichts“ entstehen. Die digitalen Daten, die die Grundlage für das Rapid Prototyping bilden, können ad hoc je nach Bedarf modifiziert werden. Und die Werkstätten der Designer verwandeln sich zu einer Mischung aus hochtechnisierten Labors und traditionellen Handwerksbetrieben.

Hermann Weizenegger lieferte mit dem Sinterchair, den er zusammen mit Oliver Vogt entwickelt hat, ein gutes Beispiel für die Anwendbarkeit dieser Maschinen (siehe Interview mit Hermann Weizenegger).

80) Vgl.: Friebe, Holm; Ramge, Thomas: Marke Eigenbau, Frankfurt am Main [u.a.] 2008, S. 13

81) Ebd.

82) Jencks, Charles (Hg.); Silver, Nathan: Adhocism. The Case For Improvisation, London 1972, S. 55

83) Vgl.: Friebe, Holm; Ramge, Thomas: Marke Eigenbau, Frankfurt am Main [u.a.] 2008, S. 125

Page 69: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

68

Er vermischt auch jetzt in seinen aktuellen Projekten traditionelle Fertigkei-ten mit neuen Techniken: „Digital Couture“ ist ein Projekt, dass mehrere Ent-würfe umfasst, die mittels Lasercutting hergestellt werden, die aber gleich-zeitig aus traditionellen Materialien wie Seide, Papier und Holz bestehen (siehe Interview mit Hermann Weizenegger). Das Lasercutting ermöglicht Einzelanfertigungen ohne großen Handwerklichen Aufwand. Auf diese Art und Weise lassen sich komplexe Formen realisieren, die sonst nur in Handar-beit hergestellt werden könnten, oder vielleicht gar nicht denkbar wären.

Konsequenterweise können Rapid-Prototyping-Maschinen Klone ihrer Selbst bilden: Auf reprap.org kann man nach dem Open-Source-Prinzip Da-ten für Bauteile eines Einfachen 3D-Druckers („Darwin“) herunterladen und mit einem ähnlichen Drucker herstellen, zum Selbstkostenpreis.84

Die sich selbst reproduzierende Maschine war von jeher Teil von Zukunftsu-topien. In den „Sterntagebüchern“, einem Klassiker der Science-Fiction-Li-teratur aus den 60er Jahren, zeichnete Stanislaw Lem ein düsteres Bild von Maschinen, die ein Eigenleben besitzen und ganze Planeten bevölkern.85 Heute erlaubt das in die Realität umgesetzte Konzept eine beinahe vollkom-mene Unabhängigkeit von der Industrie. Nicht einmal die Maschine selbst, die der Ad-hoc-Produktion dient, muss käuflich erworben werden. Natürlich ist das Rapid Prototyping immer noch limitiert auf bestimmte Materialien und Beschränkungen in den räumlichen Dimensionen, man kann ihren Einfluss auf das Design aber bereits spüren.

Neben den digitalen Programmen und Werkzeugen spielt auch die Vernet-zung der Computer eine wichtige Rolle beim improvisatorischen Entwerfen. Das Internet hat unsere Kommunikationspraktiken revolutioniert. Es bietet neue Wege des Marketings und des Vertriebs, denn es basiert auf fast schon anarchischen Prinzipien: Jeder kann publizieren, was er will. Dabei ist, besonders für die Designer, die Möglichkeit der Vermarktung ih-rer Produkte ohne die Abhängigkeit von klassischen Medien entscheidend. Dazu kann der Vertrieb über das Internet organisiert werden und die De-signer können Kleinserien, die ad hoc produziert werden, auf der ganzen Welt verkaufen.So spielt das Internet und die schiere Masse an Informationen über Mate-rialen, Produkte und Preise im Entwurfsprozess eine wichtige Rolle. Vieles, was früher telefonisch und vor Ort erst gesucht werden musste, wird nun auffindbar.Auch der Adhocismus, den Jencks und Silver beschreiben, basiert auf dem Umnutzen von bereits existierenden Produkten der Industrie. Ad hoc erfor-dert das Auffinden von „Material“, das sich zur Umnutzung eignet. Ein Einwand von Charles Jencks gegenüber der Effizienz des Entwerfens mit vorgefundenen Materialien war deshalb der Mangel an Informationen über Produkte, die in den 70er Jahren nur über Kataloge auffindbar und unzurei-

84) Vgl.: www.reprap.org, 20. 08. 2010

85) Vgl.: Lem, Stanislaw: „Die Waschmaschinen Tragödie“ Sterntagebücher, Frankfurt am Main 2009, S. 407

Page 70: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

69

chend beschrieben waren. Die für die Umnutzung wichtigen Informationen, wie ein Bild oder Materialangaben, fehlten, zudem konnte kein Katalog alle auf dem Markt existierenden Dinge archivieren.86

Das Finden von Objekten, die sich für Ad-hoc-Designs eignen, basiert letzlich auf dem Suchen von speziellen Formen und nicht auf der Suche nach den Produkten von vornherein zugeordneten Funktionen. Beim Improvisieren muss man die Dinge in der Vorstellung in einen anderen Kontext setzen und ahnen, was eine Sache sein kann, nicht, was sie bereits ist. Die Suche nach ebendiesen Formen hielt Jencks für entmutigend und langwierig. Deshalb formulierte Jencks eine uns heute sehr vertraut vorkommende Lö-sung: „Clearly what is needed is a resource-full computer” within every pro-duct down on microfilm (...) an information stockpile full of cross-referenced data, (...)“87 Charles Jencks visioniert über eine Datenbank, die alle Güter der Zivilisation archiviert, darstellt und die gleichzeitig eine Art Suchfunktion besitzt. Er beschreibt ein Netzwerk, das es dem Nutzer ermöglicht, eine Be-schreibung oder Zeichnung seines Problems in ein System einzuspeisen. Das System findet dann Produkte und Informationen, die der gesuchten Form und dem Problem entsprechen. Jencks Idee ist eine Vorwegnahme der heutigen Suchmaschinen, die zurzeit nur einen kleinen Schritt davon entfernt sind, auch auf Bildern Formen zu identifizieren.So ist heute ist Jencks Vision durch Google allgegenwärtig geworden und die Suche nach Gegenständen und Informationen hat sich durch das Internet immer weiter verbessert, mit Hilfe generativer Prozesse können sogar un-terschiedlichste Varianten von Kompositionen und Formen erzeugt werden. Dennoch muss der Mensch immer noch selbst auswählen, welche Parameter er in diese Prozesse eingespeist.

Digitales und analoges Entwerfen bedingen einander, sie stehen in einem ähnlichen Verhältnis zueinander wie Ad hoc und Planung. Hier muss der Designer nicht nur Entscheidungen im Entwurf treffen, sondern auch aus verschiedenen Werkzeugen auswählen. Dabei ist eine Voraussetzung für das Ad-hoc-Entwerfen mit dem Rechner, dass man sein Werkzeug richtig beherrscht. Eine weitere wichtige Fertigkeit ist der spontane Wechsel zwi-schen den Arbeitsumgebungen, also der Wechsel zwischen digitalen und analogen Darstellungsmethoden.

Eine digitale Peripherie ermöglicht in der Werkstatt Formen der Ad-hoc-Produktion auf Nachfrage, also Entwürfe, die nur einem bestimmten Zweck dienen.

86) Jencks, Charles (Hg.); Silver, Nathan: Adhocism. The Case For Improvisation, London 1972, S. 63

87) Ebd.

Analog – Digital:

Aus der Abwickung eines

Körpers erstelltes

Modell. Die Form wurde

zunächst am Rechner ge-

zeichnet, und dann

ad hoc – mit Schere

und Papier – in die

Realität übertragen.

Page 71: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

70

Das Marketing und der Vertrieb können vom Designer selbst über das Inter-net organisiert werden und letztlich erleichtern Suchmaschinen das Auffin-den von Produkten, die sich für Zweckentfremdungen eignen.

Page 72: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

71

Erlaubt das Arbeiten mit dem Computer

Improvisation?

Jerszy Seymour Der Computer ist ein Werkzeug wie jedes andere

auch. Ad hoc und Improvisation geschehen im Kopf,

das Werkzeug dafür spielt keine Rolle. Vielleicht

ist es die Vielzahl an elektronischen Geräten, die

uns in ein Netzwerk einbindet, das uns blockiert.

Richard Hutten Am Rechner wird immer irgendwie improvisiert. Alles

ist ein Werkzeug. Man kann mit allem improvisieren.

Hermann Weizenegger Schnell über den Computer eine Form zu gene-

rieren, ist ad hoc. Es gibt keinen Unterschied

zwischen Cutter und Papier und dem Computer,

mit beidem ist spontanes Entwerfen möglich.

Ein schnelles Hand-Kopf Verhältnis ist immer

notwendig, auch bei der Arbeit am Rechner.

Judith Seng Man muss den Computer als Werkzeug betrachten,

wie einen Bleistift, dann kann man damit spon-

tan arbeiten. Der Computer vertuscht oft Wi-

derstände, deshalb muss man einen ständigen Di-

alog führen zwischen analog und digital.

Kiki van Eijk,

Joost van Bleiswijk

Kiki: Nicht so sehr wie das Arbeiten „mit der Hand“.

Die Arbeit am Computer ist nicht inspirierend.

---------

Joost: Nein, der Computer kann ein prak-

tisches Werkzeug sein, aber in der Werk-

statt sehe ich sofort, was passiert.

Tassilo von Grolman Man kann mit dem Computer sehr gut improvisieren,

denn mit dem Computer bist du schnell.

Philipp Haffmans Ja, denn der Computer ist genauso ein Werk-

zeug wie ein Hammer oder eine Feile.

Oliver Schübbe Vielleicht, in meiner Arbeit aber nicht. Ich

muss mit dem Material direkt arbeiten.

Page 73: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

72

3. 4 Faktoren der spontanen Handlungen im Design – Der Kontext

Der Kontext, in dem Ad hoc und Improvisation geschehen, setzt sich aus drei Faktoren zusammen. Diese drei Faktoren sind die Zeit, die für die spontane Handlung zur Verfügung steht, der Ort, an dem sie stattfindet und die Per-son, die sie ausführt. Die drei Faktoren sind nicht losgelöst voneinander zu betrachten, denn sie können sich gegenseitig beeinflussen. So ist die Person beeinflusst von den äußeren Faktoren Zeit und Ort, sie kann aber zum Beispiel den Ort bestim-men.

Die ZeitJede Entscheidung über eine Handlung ist ein Entwurf in die Zukunft, und jede Handlung ist in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verortet. Im-provisation und Ad hoc sind Handlungen, bei denen der Faktor Zeit beson-ders signifikant ist, denn Improvisation und Ad hoc sind, gemäß des allge-meinen Verständnisses der Begriffe, eher von kurzer Dauer.

Der Begriff „Zeit“ ist Teil unserer Aufteilung der Welt in Raum und Zeit, wir erfahren die Welt als einen gerichteten Prozess, der dem objektiven Verlauf zeitlichen Geschehens unterliegt.88 Die Zeit lässt sich nicht wiederholen, sie fließt ständig weiter, und wir können sie nicht beeinflussen, dabei gibt es immer einen Punkt in der Zeit, den wir als Gegenwart bezeichnen.

Die Zeit lässt sich beschreiben, aber nicht erklären, und wir können die Zeit mit Hilfe von bestimmten Werkzeugen messen, denn wir haben im Verlauf unserer Geschichte verschiedene Formen der Zeiteinteilung entwickelt, die sich an den Jahreszeiten oder unserem Glauben orientieren. Die Zeit als physikalische, messbare Größe wird in den Naturwissenschaf-ten untersucht; nach der Relativitätstheorie ist die Zeit keine feste, absolute Größe, sondern abhängig von physikalischen Bezugssystemen. Jedes physikalische System hat demnach seine eigene Zeit und bei dem Wechsel zwischen zwei Bezugssystemen verändert sich die Zeit. Das ermög-licht theoretisch das Reisen in der Zeit.89

Gleichzeitig erleben wir die Zeit subjektiv. Sie kann „wie im Fluge“ vergehen oder sich „unendlich ausdehnen“.90

88) Brockhaus-Enzyklopädie,19. Auflage, Mannheim 1996, S. 470

89) Ebd., S. 472 und www.wikipedia.org „Relativitätstheorie“, 25.06.2010

90) Ebd.

Page 74: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

73

In der Psychologie ist diese Wahrnehmung von Zeit oder auch das Zeitgefühl Gegenstand der Forschung. Die Zeitwahrnehmung des Menschen entspricht nicht zwangsläufig der gemessenen Zeit, die Wahrnehmung der Zeit ist mit dem Erlebten verbunden. So empfindet der Mensch durchaus eine Zeitdeh-nung und Zeitraffung, je nachdem, wie intensiv die erlebten Inhalte einer Zeitperiode sind. Darüber hinaus wird in der Psychologie die Wahrnehmung der Gleichzeitigkeit, die mit dem Erleben mittels unserer Sinnesorgane und der Verarbeitung dieser Eindrücke zusammenhängt, untersucht. Diese Gleichzeitigkeit kam auch in den Experteninterviews zur Sprache, als die Idee von der Parallelität von Spontanität und Planung auftauchte (siehe Interview mit Judith Seng).

In Bezug auf Ad hoc und Improvisation gibt es also zwei wichtige Formen der Zeit: die erlebte Zeit und die Zeit als physikalische Größe. Die Zeit als physika-lische Größe lässt sich nicht beeinflussen, während die erlebte Zeit durchaus beeinflussbar ist. Die Zeit als physikalische Größe bildet den äußeren Rah-men für Ad hoc und Improvisation. Das Gefühl, die Zeit auch im Moment der Improvisation beeinflussen zu können, steht in Abhängigkeit zu der stetig voranschreitenden physikalischen Konstante Zeit. Diese subjektiv erlebte Zeit ist eine der inneren Motivationen für Improvi-sation und Ad hoc im Design: In der Wahrnehmung der Person vergeht die Zeit im Moment der Improvisation oft schneller als in der „Realität“.

Die Definition von Ad hoc im allgemeinen Sprachgebrauch nimmt bereits Bezug auf die Verortung der spontanen Handlung in der Zeit und auf die Geschwindigkeit der Handlung selbst, doch Ad hoc steht nicht nur in Ab-hängigkeit zur Zeit. Ad hoc kann die erlebte Zeit beeinflussen, indem sie planerisch mit der Zeit (als physikalische Konstante) umgeht.Dabei spielt die Zielgerichtetheit von Ad hoc eine wichtige Rolle, denn ein klar definiertes Ziel ermöglicht den sinnvollen Umgang mit der Zeit. Ad hoc macht sich den Zeitdruck zunutze, während die Improvisation als Reaktion auf den Zeitdruck in der Desorganisation verbleibt.Und eine Aneignung der Zeit kann mithilfe des Schaffens von Zeiträumen innerhalb des Planes geschehen, das sind Leerräume, in denen spontane Handlungen möglich sind. Die erlebte Zeit kann als Antriebsmittel wirken, um konzentriert und zielge-richtet mittels Ad hoc Projekte im Design zu verfolgen. So kann der subjektiv empfundene Zeitmangel dazu führen, dass man bewusst und ad hoc unor-thodoxe neue Lösungen findet. Der Designer Richard Hutten bekräftigte, dass die Zeit (oder der Zeitmangel) in seinen Projekten eine wichtige Rolle spielt. Denn schnelle und gleichzeitig gute Entscheidungen, die ein Projekt vorantreiben, werden meistens unter Zeitdruck getroffen.

Page 75: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

74

Besonders die Improvisation als Ersatzhandlung geschieht unter Zeitdruck. Die Improvisation scheint der „Willkür“ von Zeit unterworfen zu sein und bleibt eine Reaktion auf einen Mangel an Zeit. Ad hoc hingegen nutzt diesen Zeitmangel aus, er kann als Motor für die spontane Handlung wirken. Ad hoc arbeitet mit der subjektiv erlebten Zeit und scheint, im Gegensatz zur Improvisation, weniger der Willkür der Zeit ausgeliefert zu sein.

Der Ort„(...) Wir sind damals Anfang der 90er Jahre auf den Flohmärkten in Ber-lin herumgestreunt und haben dort unser Mobiliar und unsere Werkzeuge zusammengesucht.“91

Auf der Suche nach Lösungen für ein spezielles Problem wird der Improvi-sateur von seiner direkten Umgebung beeinflusst. Er filtert und abstrahiert, was er sieht („Inspiration“). Die Eindrücke der Umgebung und die dort verfügbaren Ressourcen fließen in Ad hoc und Improvisation mit ein. Das kann sowohl bewusst als auch unbewusst geschehen. Dabei sind es zum einen die konkreten Gegenstän-de, die sich in dem Raum befinden, aber auch die Atmosphäre (zum Beispiel Ruhe oder Lärm) des jeweiligen Raumes, die die spontanen Handlungen beeinflussen: „It‘s also good to isolate yourself sometimes, from the people you work with for example. To go maybe for one week or a day in the middle of nowhere.“92

Der Ort, an dem sich der Designer zum Zeitpunkt der spontanen Handlung befindet, kann auch überhaupt erst zum Auslöser für die spontane Hand-lung werden. Dies ist der Fall, wenn ganz konkret ein Mangel an einem bestimmten Material besteht. Das betrifft nicht nur den Raum (zum Bei-spiel das Büro oder die Werkstatt), in dem entworfen wird, sondern auch die Stadt, in der man sich befindet, und die dort vorhandenen Ressourcen. So werden im Entwurfsprozess oft Lösungen für praktische Probleme gewählt, die unmittelbar verfügbar sind. Das kann der Sekundenkleber sein, der zwei Teile miteinander verbindet, weil die passende Schraube fehlte. Oder der Mechanismus eines Geräts, das in der Werkstatt herumlag und der Teil eines Prototyps wird. Der Faktor Ort beeinflusst also maßgeblich die physische Umsetzung eines Entwurfs und die Ad-hoc-Lösungen und Improvisationen, die im Prozess am Arbeitsplatz gefunden werden.

Für Hermann Weizenegger gibt es einen Arbeitsplatz, der typische Ad-hoc-Werkzeuge enthält:„Wenn man einen Ad-hoc-Arbeitsplatz hat, wo man schnell Zugriff hat auf einen Cutter, Karton, Kleber usw., also Zugriff auf wenige Mittel hat, dann ist das auch ein gutes Setup. Du schneidest etwas zu und – Zack.“

91) Interview mit Philipp Haffmans

92) Interview mit Kiki van Eijk und Joost van Bleiswijk

Page 76: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

75

Der Arbeitsplatz ist das Setup für Ad hoc und Improvisation, das sich beein-flussen lässt. Über die Gestaltung des Arbeitsplatzes lassen sich Ad hoc und Improvisation steuern. Dabei ist es nicht nur das Werkzeug, das wichtig ist für das Setup, sondern auch die Flexibilität und Offenheit der Situation insgesamt. Judith Seng sagte dazu: „Bei mir ist es so, dass ich Phasen habe, in denen ist meine Arbeit wie ein Bürojob, da könnte ich eigentlich einen Schreibtisch haben, mit einem Computer und ein bisschen Platz drum herum. Dann gibt es auch wieder Phasen, wo ich alles komplett beiseite räume und es aussieht wie in einer Werkstatt. Das heißt, ich brauche also tatsächlich ein Umfeld, das sehr flexibel ist oder einen Raum, der so groß ist, dass man unterschied-liche Bereiche hat.“Die Flexibilität innerhalb des Ortes ermöglicht es, je nach Situation, zwi-schen den Handlungen und Entscheidungen zu wechseln. Der Raum sollte in seinen Möglichkeiten dieser Offenheit entsprechen.

Person (Haltung)„I think, you have to become skilled. And that‘s with everything. It‘s being really aware of what you are doing, having a confidence in that, whatever you do, it will turn out ok.“93

Die ungeplanten Handlungen im Design entstehen oft durch ein Ungleich-gewicht zwischen Planung und Realität, das meistens dann zutage tritt, wenn wir versuchen, unsere Pläne zu realisieren. In diesem Fall sind Ad hoc und Improvisation Ersatzhandlungen, die wir anwenden, um dieses Gleichgewicht wiederherzustellen.

Teil des Kontexts ist der Plan, das System, das man sich als äußeren Rahmen für Projekte schafft. Dieses System kann dann ad hoc verändert werden, der Plan wird angepasst. Die Lösungen, die wir während der Realisierung eines Planes finden, sind oft das Ergebnis von spontanen Entscheidungen und der Erfolg der sponta-nen Entscheidungen wird bestimmt von der Art und Weise, wie mit dem Ungleichgewicht zwischen Planung und Realität umgegangen wird.Ad hoc und Improvisation sind demnach innere Handlungen, die mit Ent-scheidungsfähigkeit zusammenhängen. Nur die Ausführung einer spon-tanen Handlung geschieht in der Werkstatt, in der Realität. Die Entschei-dungen während der spontanen Handlungen passieren im Kopf. Und Ad hoc und Improvisation sind das Ergebnis eines „schnellen Hand-Kopf-Verhältnisses.“ 94

Die Persönlichkeit des Improvisateurs bestimmt letzlich sein Vermögen, schnell zu handeln und zu denken.

93) Interview mit Kiki van Eijk und Joost van Bleiswijk

94) Interview mit Hermann Weizenegger

Freiraum:

„(...)Berlin war dafür

nämlich ein interes-

santer Startpunkt, weil

es nach der Wende eine

Stadt des Umbruchs war

und es einerseits den

Status einer Großstadt

hat und gleichzeitig

aber Raum bietet, um

solche Dinge (die Grün-

dung einer Firma) über-

haupt zu ermöglichen.“

(Philipp Haffmans)

Page 77: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

76

Laut Jerszy Seymour ist der Mut eine Eigenschaft der Persönlichkeit, die beim spontanen Entwerfen zum Tragen kommt. Mut ist die Bereitschaft, sich ohne Angst auf die Unvorhersehbarkeit der Situation einzulassen und Entscheidungen rechtzeitig zu fällen: „My first response to a situation is ok, because I‘m not scared. What would make the thing stupid is the fear and the panic.“95

Panisches und zögerliches Handeln machen spontane Handlungen unkon-trollierbar. Die Situation (zum Beispiel die erlebte Zeit) lässt sich nicht mehr beeinflussen, das eigentliche Ziel einer Handlung verschwindet aus dem Blickfeld. Die Panik sorgt für unmittelbare Lösungen, die ein Teilproblem losgelöst von seinem Kontext behandeln und die deshalb nicht funktionie-ren können (Kurzschlusshandlung). Hinzu kommt, dass die Panik paralysieren kann – dann gibt es überhaupt keine Lösung, weder eine geplante noch eine improvisierte Lösung.

Die Ad-hoc-Lösung aber steht in einem größeren, mittelbaren Kontext, der auch im Moment der spontanen Handlung nicht vernachlässigt wird:Sinnvolle spontane Handlungen nutzen die unmittelbare Situation und berücksichtigen dabei das Gesamtkonzept, indem das Problem abstrahiert betrachtet wird.Die abstrahierte Betrachtungsweise einer Situation trägt dazu bei, ihre Kom-plexität zu überblicken, weil unwichtige Teilprobleme ignoriert werden. Dabei muss die Situation im Moment der spontanen Handlung besonders schnell erfasst werden, sodass mittels Ad hoc und Improvisation wieder ein Gleichgewicht zwischen Planung und Realität hergestellt werden kann.Beim spontanen Entwerfen werden mögliche Lösungen (das können kon-krete Gegenstände sein aber auch Worte und Gedanken) aus anderen Pers-pektiven und in einem anderen (Gebrauchs-) Kontext gesehen. Aneignungsstrategien, wie sie zum Beispiel beim Readymade wirksam wer-den und wie sie im Alltag bei den Laien eingesetzt werden, setzen voraus, dass der Improvisateur in der Lage ist, sich den Gegenstand in einem neuen Kontext vorzustellen. Das Abstraktionsvermögen ist zudem bei der Suche von Nischen und neuen Feldern im Design wichtig. So konnte Judith Seng zum Beispiel die Arbeits-prozesse der Glasmanufaktur Meisenthal in Frankreich nutzen, indem sie sie von Außen betrachtete, losgelöst vom konkreten Produkt.96

Innerhalb der Experteninterviews fiel ein interessanter Aspekt in Bezug auf die persönliche Haltung der Designer gegenüber der spontanen Arbeits-weise auf: Die Designer wurden gefragt, wie sie ihre eigene Spontanität einschätzen und ob sie ihr Handeln eher als analytisch-strategisch (geplant) bezeichnen würden oder als spontan und improvisiert. Jeder der befragten Designer beantwortete ohne längeres Nachdenken diese Frage mit „beides“.

95) Interview mit Jerszy Seymour

96) Vgl.: Interview mit Judith Seng

Page 78: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

77

Tatsächlich sind also Strategie und Intuition, Planung und Improvisation gleichermaßen wichtig für die Entscheidungen im Design.Bei den spontanen Handlungen ist planerisches Denken notwendig – das nur schneller und flexibler stattfindet als bei der strikten Organisation. „I observe the situation – which is for example the space I make my design for, and at the same time, I follow my intuition. I design spontaneously – but with knowledge.“97 Die Intuition als wichtiger Teil der spontanen Hand-lung ist ein Rückgriff auf individuelle Erfahrungen und auf die Analyse des Problems. Die Beobachtung der Situation, für die entworfen wird, und das bereits Er-lebte bestimmen die spontanen Entscheidungen.

Schließlich braucht es ein ideales Zusammenspiel der drei Faktoren (Zeit, Raum und Person), um eine gute Situation zum Entwickeln von Ideen (und Ad hoc und Improvisation) zu schaffen. So beschrieben die befragten Designer die Frage nach der Situation, in der sie am besten entwerfen (und improvisieren) können, mit „Ruhe“. Manche fahren in den Urlaub (Kiki und Joost), um neue Ideen und Konzepte zu ent-wickeln, die dann im Alltag ausgearbeitet werden. Richard Hutten entwirft nachts am Küchentisch und nicht in seinem Büro. Jerszy Seymour sieht sei-nen selbst geschaffenen Kontext als Fluss, für ihn gehen die Entwürfe in-einander über und seine Arbeit ist ein Gesamtprozess, der sich entwickelt: „When you ask me: What is a good situation to have ideas? Then I have to say: The river for me, because that is the construct I created for myself to work in.“

Das Bild einer idealen Situation für die gelungene Improvisation (innere Ruhe, Zeit und der Ort) beim Entwerfen widerspricht eigentlich der Situati-on, die man vorfindet, wenn man spontan entwirft und improvisiert. Denn Ad hoc und Improvisation passieren besonders oft aufgrund von Bedürfnis-sen, die innerhalb einer weniger idealen Situation entstehen. Einerseits kann die Situation bewirken, dass die Umsetzung eines Projekts „wie geplant“ verläuft, andererseits können die Faktoren zur Improvisation beitragen, indem sie einen Mangel oder ein Bedürfnis erzeugen. Die Desig-ner verändern deshalb ihren Kontext je nach Bedarf.

Flexible Räume und Pläne, die physische Verfügbarkeit von Werkzeug und zusätzliche Zeiträume lassen das Handeln außerhalb des Planes zu. Momente der Gefasstheit helfen, Ad-hoc-Entscheidungen zu treffen, wenn die Situation es erfordert. Ad hoc lässt sich also mittels der Veränderung des Kontexts provozieren.

97) Interview mit Richard Hutten

Page 79: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

78

Was ist für dich ein guter Kontext, um zu entwerfen?

Jerszy Seymour Ich habe mir meinen eigenen Kontext geschaf-

fen, der sich immer weiterentwickelt. Für mich

ist alles im Fluss. Der Fluss ist meine Meta-

pher für diesen selbstgeschaffenen Kontext.

Richard Hutten Ruhe und Konzentration. Nachts am Küchentisch.

Hermann Weizenegger Ein ad hoc Arbeitsplatz mit Zugriff auf we-

nige Mittel ist ein gutes Setup. Du schnei-

dest etwas zu – und Zack.

Judith Seng Ein Flexibles Umfeld, und ein Netzwerk. Der

schnelle Wechsel in den Projekten und zwi-

schen den Projekten muss möglich sein.

Kiki van Eijk,

Joost van Bleiswijk

Kiki: Ruhe – Manchmal Isolation.

Joost: Genauso.

Tassilo von Grolman Egal wo ich auch bin, der Entwurf findet ja in

meinem Kopf statt. Da kommt es auf die Er-

lebnisse an, die man vorher hatte.

Philipp Haffmans Berlin, in Berlin hat man Freiräume.

Oliver Schübbe Das Arbeiten mit dem Material selbst, di-

rekt vor Ort aus dem, was man vorfindet.

Page 80: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

79

3. 5 Motivationen

Experteninterviews gaben darüber Aufschluss, dass nicht nur auf Defini-tionsebene ein Unterschied zwischen Ad hoc und Improvisation im Design besteht, sondern auch in der Realität. Motivationen für die Ersatzhandlung Improvisation sind meistens unmit-telbare Bedürfnisse. Die Improvisation entsteht aus dem Mangel heraus, das Ergebnis der Improvisation ist deshalb direkt an die Situation gebunden, in der die Improvisation stattfindet. Einem Gesamtkonzept kann sich die Improvisation nur schwer unterordnen, denn sie muss, damit sie innerhalb eines Gesamtkonzepts funktioniert, wei-ter verfeinert werden. Ist aber das improvisatorische Handeln Konzept eines Entwurfs, so kann man die Improvisation als Kunstfertigkeit betrachten, die zur Strategie wird. Meistens jedoch verbleibt die Improvisation im Lösen praktischer Probleme, die im Laufe eines geplanten Prozesses auftreten.Ad hoc hingegen ist als der Improvisation übergeordnete Strategie zu ver-stehen. Denn die Ad-hoc-Lösung dient einem bestimmten Zweck, der im Vor-hinein definiert wurde. Dabei ist die Dauer der Handlung nicht immer aus-schlaggebend. Ad-hoc-Lösungen müssen nicht immer spontan entstehen, denn ad hoc können auch längerfristige Handlungen und Lösungen sein, die sich auf eine bestimmte Situation beziehen. Das Suchen einer Nische und das dafür extra geschaffene Produkt sind ad hoc – aber nicht improvisiert. Denn Ad hoc ist das kluge, zielgerichtete und spontane Handeln.Jencks und Silver unterscheiden ebenfalls zwischen einem praktischen Ad-hocismus (Improvisation) und einem intentionalen Adhocismus, bei dem übergeordnete Ziele verfolgt werden: „(...) practical Adhocism refers to ad hoc means, intentional adhocism refers to ad hoc ends.“98

Deshalb muss auch bei den Motivationen, die zu Ad hoc und Improvisation im Design führen, zwischen unmittelbaren Zielen und übergeordneten Zie-len unterschieden werden.

Im Zuge der Experteninterviews wurde festgestellt, dass die Ziele der spon-tanen Handlungen zunächst der unmittelbaren Situation entsprechen, in der sie stattfinden.Motivationen sind meist alltägliche Mängel wie der erlebte Zeitdruck, feh-lende Ressourcen (Materialmangel) oder eine konzeptionelle Krise, die das Bedürfnis zur Improvisation auslösen: „Improvisation ist für mich eine Art Ersatzhandlung. Wenn du einen Mes-sestand machst, dann musst du am Schluss improvisieren, weil: Der Nagel geht nicht durch die Wand.“99

98) Jencks, Charles (Hg.); Silver, Nathan: Adhocism. The Case For Improvisation, London 1972, S. 110

99) Interview mit Hermann Weizenegger

„Improvisation ist

absoluter Bestandteil,

besonders wenn man sich

der Realisierung von

Projekten nähert.“

(Judith Seng)

„(...)men need to mani-

pulate and form their

local environment to

sustain their identity

and sanity.“

(Jencks, Charles (Hg.); Silver,

Nathan: Adhocism. The Case For

Improvisation, London 1972, S. 23)

Page 81: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

80

Die Improvisation ist also eine praktische Fähigkeit und die befragten Desi-gner brachten den Begriff der Improvisation mit ganz pragmatischen Mo-tivationen in Verbindung.Das sind Probleme, die oft am Ende eines Projekts, bei der physischen Rea-lisierung einer Idee, auftauchen. In der Werkstatt oder beim Aufbau einer Ausstellung werden Pläne in der Realität und außerhalb des virtuellen Rau-mes erprobt. Der Plan als fiktives Konstrukt erfordert in der Realität immer Veränderungen und mittels Improvisation wird der Plan an die Realität angepasst.Die Improvisation ist also eine im Design alltägliche Strategie, die durch-aus bewusst angewendet wird: „Der Aneignungsprozess des Improvisierens nutzt die zufällige Kombination von Vorhandenem, teilweise auch von Un-passendem als Anstoß für einen kreativen Prozess.“100

Dabei ist es der im Designprozess der gegebene Kontext, der die Motivatio-nen schafft, die zur Improvisation führen.Das Ziel, die unmittelbare Situation zu verändern, ist eine typische Moti-vation für die Improvisation: „At first,(...) one can be drawn to adhocism for many reasons: pearhaps only for the opportunities offered by flexible, contingent responses to life experiences (...), for the realization that approxi-mate means may fully satisfy a purpose (using a ruler as a shoehorn); for the creative advantages of linking familiar elements that modify and change each other until the result is an innovative whole (...); or even through la-ziness (...)“ 101

Die Befragungen zeigten, dass sogar bereits am Anfang des Designprozesses Lücken im Plan belassen werden, um das kreative Potenzial der Improvisati-on beim Entwerfen einzelner Produkte auszunutzen. Die „Unschärfe“ eines Planes erzeugt Improvisation und Improvisation erzeugt neue Ergebnisse, die von der Norm abweichen: „You don‘t need to stick to a plan forever. Im-provisation, for me, is almost the same as Freedom.“102

Jerszy Seymour erzählte, wie er sich die Verbindung von Improvisation und Zeitdruck zunutze machte, indem er Studenten die Aufgabe stellte, bei ei-nem Workshop alle fünf Sekunden eine Entscheidung über den Entwurf zu treffen. So sollten die Studenten trainieren, keine Angst vor schnellen Entscheidungen haben, und diese aber trotzdem aus dem Moment heraus klug abzuwägen. Denn der Mangel an Zeit ist bei fast allen Designprojekten signifikant und hebelt oft die Möglichkeiten anderer Faktoren aus. Fasst man die Improvisation als kreative Strategie auf und nicht nur als Er-satzhandlung, so kann der Mangel zum Motor für schnelle Entscheidungen werden.103

100) Richard, Birgit; Ruhl, Alexander: Konsumguerilla, Frankfurt am Main 2008, S.64

101) Jencks, Charles (Hg.); Silver, Nathan: Adhocism. The Case For Improvisation, London 1972, S. 105

102) Interview mit Kiki van Eijk

103) Vgl.: Interview mit Richard Hutten

Page 82: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

81

Ein Ziel von Ad hoc im Design ist es, Entwürfe zu schaffen, die besonders sind und sich von der Masse abheben. Ad hoc als Konzept dient der Unterschei-dung von anderen Konzepten und der Kontext der spontanen Handlung, den jeder Gestalter sich selbst schafft, macht einen Teil dieser Unterscheidung aus. Die Ad-hoc-Designs unterscheiden sich von anderen Entwürfen, denn sie erzählen eine neue Geschichte. Viele Designer versuchen, innerhalb ihrer Arbeit eine Story zu erzählen, die den Rahmen für verschiedene Entwürfe bildet. Ad hoc kann Teil dieses Er-zählstranges sein, der sich als roter Faden durch die verschiedenen Projekte zieht. Im Fall des Designers Oliver Schübbe ist diese Geschichte das Material, das er verwendet. Sein Materialfundus, aus dem er schöpft, sind gebrauchte Reste, die auf dem Recyclinghof landen. Die Materialien werden dann ad hoc rekombiniert, sie erhalten eine neue Bedeutung. Die praxisbezogene, improvisierte Art der Herstellung ist nur eine Konsequenz seiner Ziele: Er will bewusst darauf aufmerksam machen, dass auch Weggeworfenes einen Wert besitzen kann. Seinen Entwürfen kann man ansehen, dass gebrauchte Ad-hoc-Materialien verwendet wurden: „Ich versuche da dem Möbel einen Charakter zu geben, eine Geschichte zu entlocken und das auch als Marketing-Aspekt zu sehen.“ 104

Ad hoc im Design kann also Teil der Positionierung des Designers sein. Oliver Schübbe unterläuft klassische Strukturen, indem er die Abfälle der Möbelindustrie recycelt.Er zeigt eine Alternative zum Arbeiten mit konventionellen Materialien. Durch das Recyceln der Reste einer Industrie, die keine Konzepte für die Verwertung ihres Mülls hat, kann er sich unabhängig von dieser Industrie machen. Denn er schafft Produkte, die außerhalb der Massenproduktion von Möbeln entstehen.

Das das Ziel, selbstständig und ohne etablierte Strukturen und Hierarchien arbeiten zu können, ist eine weitere wichtige Motivation für Ad hoc, denn Ad hoc wird hier zur Ermächtigungsstrategie:„Intentional adhocism (...) has a quality of freedom because of its liberation from the usual commitment to restricted rules“ 105

Die Möglichkeit, Dinge in Masse herzustellen, hatte am Anfang des indus-triellen Zeitalters eine Demokratisierung der Güter zur Folge. Heute gerät diese Form der Fertigung zum Nachteil. Die Produkte der Industrie sind im Überfluss vorhanden, wir bekommen die Folgen des Überflusses zu spüren, denn zugunsten niedriger Preise wird an der Qualität gespart. Der Verfall der Dinge vollzieht sich immer schneller und für den Umgang mit den Res-ten der Produktion, mit den überflüssigen und kaputten Gegenständen, hat die Industrie wenig Konzepte.106

104) Interview mit Oliver Schübbe

105) Jencks, Charles (Hg.); Silver, Nathan: Adhocism. The Case For Improvisation, London 1972, S. 113

106) Vgl.: Interview mit Oliver Schübbe

Regal „Frank“,

Oliver Schübbe (2007).

Das Regal besteht aus

zu einzelnen Regalmo-

dulen zusammengefügten

Spanplattenresten.

Die Gebrauchsspuren sind

auf den Spanplatten noch

sichtbar, denn das Regal

besteht ganz und gar aus

Recyclingmaterialien.

Page 83: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

82

Früher stand die Marke als Verkaufsargument für die Qualität der Ware, heute hinterfragen die Konsumenten dieses Konzept, denn die Marken existieren mittlerweile losgelöst vom eigentli-chen Produkt. Die Nutzer suchen nach Gütern, die nicht in Mas-se gefertigt wurden, und sie versuchen, sich aus einer Ad-hoc-Kombination von verschiedenen Produkten ihre eigene (Wohn-) Identität zusam-menzubasteln (siehe: Do-It-Yourself).

Viele Designer sehen deshalb in der Zusammenar-beit mit großen Konzernen keine Möglichkeiten, sich ihre eigene Identität als Gestalter aufzubau-en. Wenn sie einen Job in der Industrie bekom-men, finden sie sich viel zu oft als kleines Rädchen im Getriebe eines Konzerns wieder. Sie produzie-ren ihre Produkte deshalb selbst. So machen sie sich unabhängig von der Industrie und schaffen gleichzeitig Produkte, die individuell sind, weil sie in einer kleineren Stückzahl für eine bestimm-te Klientel hergestellt werden. Die individuelle Produktion wird vom Designer selbst bestimmt, denn er passt sie seinen eigenen Bedürfnissen an. Ad hoc im Design kann dieser Herstellung von Produkten außerhalb des industriellen Kontexts dienen: Die Umnutzung und Aneignung von Mas-sengütern ist dabei nur eine von vielen Möglich-keiten für die Gestalter, Produkte wieder selbst zu realisieren und auf den Markt zu bringen.Mittels neuer Techniken (CAD, Rapid Prototyping, CNC-Fräsen, Lasercutting) wird eine neue Form von Handwerk möglich, wobei der Designer zu-gleich Planer und Produzent ist. In seiner eigenen Werkstatt kann er auf Nachfrage, also ad hoc, pro-duzieren. Gleichzeitig werden die Prozesse der Industrie nicht nur durch neue Prozesse ersetzt, sie werden auch nachgeahmt. So werden zum Beispiel selbst-gebaute Rotationsgussmaschinen eingesetzt, um Gussteile herzustellen, wie sie sonst nur die In-dustrie liefert.

Im Design gibt es also eine Rückbesinnung auf das traditionelle handwerkliche Arbeiten. Zwar

„The modern society basically makes everything into

a set of rules and stops people from having the

ability to take basic decisions. We are so used to

the „medical society“ where everything is pa-

ckaged, save and okay, that we loose the response.“

(Jerszy Seymour)

Aus Fahrradteilen und einem Akkuschrauber ad

hoc zusammengesetzte Rotationsgussmaschine.

Page 84: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

83

waren Designer immer schon auch Handwerker, sie setzten ihre handwerkli-chen Fähigkeiten aber hauptsächlich dazu ein, ihre Entwürfe als Prototypen zu erproben.Jetzt werden ganze Kleinserien in den Werkstätten der Designer herge-stellt. Planung und Umsetzung geschehen im Prozess nicht mehr getrennt vonei-nander, sondern gleichzeitig. Der Gestalter vereint die Vorteile von gleich zwei Berufen in seiner Tätigkeit: Die Befriedigung des handwerklichen Schaffens,107 das unmittelbare Ergebnisse hervorbringt, und die Kompetenz des Planers, der Entscheidungen trifft. Richard Sennet beschreibt in „Handwerk“, wie die Rückbesinnung auf tra-ditionelle Fertigkeiten wieder Gegenstände hervorbringen kann, die „gut“ sind, die also sowohl im Gebrauch gut funktionieren als auch in unserer Gesellschaft.108 Dabei fasst Sennet den Begriff „Handwerk“ weiter. Für ihn gehören auch Spezialisten, wie Zahnärzte und Programmierer, zur Kategorie der Hand-werker. Die Motivation des Handwerkers besteht darin, Qualität zu schaffen: „Ausdrücke wie ‚handwerkliche Fertigkeiten‘ (...) verweisen auf ein dauer-haftes menschliches Grundbestreben: den Wunsch, eine Arbeit um ihrer selbst willen gut zu machen.“109

Auch Ad hoc und Improvisation besitzen Qualitäten. Diese Qualitäten sind die Abweichungen von der Norm, die ein improvisiertes Objekt zu einem in-dividualisierten Gegenstand machen. Die Qualität liegt in der Unterscheid-barkeit der Ergebnisse. Kratzer und ungewöhnliche Materialien erzählen eine Geschichte. Dabei spielt die handwerkliche Verarbeitung der Materi-alien eine wichtige Rolle, und Ad hoc und Improvisation ermöglichen es, auf Nachfrage Produkte in der eigenen Werkstatt herzustellen. Denn den für „perfekte“ Ergebnisse notwendigen Maschinenpark der Industrie kann sich kein Designer leisten.

Die Formen der Eigenproduktion sind fast vollkommen losgelöst von der In-dustrie (wenn man von der Verwendung von zugekauften von Materialien, wie Möbelbeschlägen, absieht, die Produkte dieser Industrie sind).So vermischen sich die Formen der postindustriellen Produktionsweisen in den Designstudios. Moderne Techniken werden mit traditionellem Hand-werk ad hoc kombiniert, so entstehen neue differenzierte Formen.

Ad hoc und Improvisation sind das Gegenteil reproduzierender Tätigkeiten, sie entsprechen keinen Vorgaben und Plänen. Der Improvisateur agiert im Moment der spontanen Handlung selbstbestimmt – er muss entscheiden, wie er die Situation nutzt. Die spontanen Handlungen bringen naturgemäß

107) Sennett, Richard (Hg.): Handwerk, Berlin 2009, S. 19

108) Ebd.,S. 18

109) Ebd, S. 19

„Die Rückbesinnung auf

eine handwerkliche Pro-

duktion in kleinen Ein-

heiten bot für sie sel-

ber (...) das Potenzial,

auch gewisse Gewinnein-

bußen gegen Selbstbe-

stimmung und Spaß am Ar-

beitsplatz aufzurechnen“

(Richard, Birgit; Ruhl, Alexander:

Konsumguerilla, Frankfurt am

Main 2008, S. 60)

Page 85: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

84

schnelle Ergebnisse hervor, darin liegt die Effizienz der spontanen Hand-lung. Ad hoc und Improvisation sind nicht langwierig. Sie bringen kurzfristige und deshalb gute Ergebnisse hervor. Schnelle Er-folgserlebnisse halten den Spaß an der Arbeit aufrecht.Reproduzierende Tätigkeiten dagegen sind fremdbestimmt. So kann zum Beispiel der Fließbandarbeiter keine Verantwortung für ein Gesamtsystem tragen, weil seine Tätigkeit auf einen kleinen Ausschnitt aus dem System begrenzt ist.110 Wenn die Arbeit also aus einem Arbeitsschritt besteht, der sich immer wiederholt, so wird die Arbeit unglaublich langweilig, und die Fließbandarbeit aus dem Fordismus ist die Spitze der reproduzierenden Tä-tigkeiten. Hier ist Improvisation undenkbar.Der Designer dagegen handelt nach seinem eigenen Plan, den er jederzeit ändern kann. Er kann selbst bestimmen, ob er improvisieren wird oder nach Plan arbeitet. Er muss das Risiko der Improvisation selbst tragen und der Er-folg ist manchmal ungewiss, aber seine Arbeit ist dadurch auch interessant und kurzweilig: „If everything would be very analytical and with a strategy, it would be a bit boring.“ 111

Letztendlich dient die Arbeit nicht nur dem Broterwerb, sie dient in unserer Gesellschaft auch dem Zeitvertreib, sie soll helfen, den Tag sinnvoll zu ge-stalten. So ist ein Problem der Arbeitslosigkeit in Deutschland nicht nur, dass das Einkommen der auf staatliche Unterstützung angewiesenen Menschen unter die Armutsgrenze fällt, sondern dass sie sich nutzlos fühlen und keiner sinnvollen Tätigkeit nachgehen können. Sie haben keinen Spaß an der im Übermaß vorhandenen „Freizeit“. Die sinnvolle Gestaltung des Arbeitslebens geht mit dem Wunsch des Hand-werkers einher, die Arbeit „um ihrer selbst willen gut zu machen“ 112. Dabei spielt der Spaß an der Arbeit eine wichtige Rolle.

Das Qualitätsbewusstsein muss im Moment der Improvisation nicht unbe-dingt eine Einschränkung erfahren, denn die Improvisation bringt keine schlechten Ergebnisse hervor, sondern andere, als geplant waren. So kann der Handwerker im Moment der Improvisation gleichzeitig seinem Quali-tätsbewusstsein und dem Plan gerecht werden. Er kann einen Abgabeter-min einhalten und mittels Ad hoc und Improvisation das von ihm selbst ge-wünschte Ergebnis erzielen. Seinem eigenen Qualitätsbewusstsein gerecht werden zu können und dafür Verantwortung zu haben, trägt zur Freude an der Arbeit bei.

Neben Selbstbestimmung, Spaß und Unterscheidung, kann ein weiteres Ziel von Ad hoc und Improvisation das Unterlaufen etablierter Strukturen sein. Richard Sennet beschreibt, wie die Improvisation bereits in der Antike der Subversion diente:

110) Friebe, Holm; Ramge, Thomas: Marke Eigenbau, Frankfurt am Main [u.a.] 2008, S. 45

111) Interview mit Kiki van Eijk und Joost van Bleiswijk

112) Sennett, Richard (Hg.): Handwerk, Berlin 2009, S. 19

Page 86: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

85

Die Handwerker im alten Rom standen in der Hierarchie weit unten, sie wa-ren Planern und Aufsehern untergeordnet. Diese bestimmten, aufgrund der klaren Trennung von Planung und praktischer Ausführung, wie sie im Alten Rom üblich war, die letztendliche Ausführung der Arbeiten bis ins Detail.So waren die Kompetenzen der Handwerker klar definiert. Sie mussten rein reproduzierende Tätigkeiten leisten. Eine Änderung des Planes vor Ort, beim Machen, kam einem Verstoß gegen die Regeln gleich und wurde hart be-straft.Momente, in denen Improvisation unvermeidbar wurde, gaben den Hand-werkern jedoch die Gelegenheit, eigene Entscheidungen zu treffen: 113 „Den-noch fanden die Handwerker Wege, ihre Spuren in ihrer Arbeit zu hinterlas-sen. Man musste viele formale »Fehler« begehen, wenn man Häuser, Straßen und Abwasserkanäle so bauen wollte, dass sie tatsächlich ihre Funktion erfüllten. Korrektur und Anpassung gehörten unverzichtbar zum Denken der manuell Arbeitenden, und dieses Denken war gefährlich, da viele Zunft-meister solche notwendigen Abänderungen als Insubordination verstanden. Manche Formen von Improvisation waren einfach deshalb unerlässlich, weil viele Sklaven aus fernen Ländern kamen und die römischen Vorbilder nicht kannten.“ 114

Richard Sennet verdeutlicht hier einen wichtigen Aspekt von Ad hoc und Improvisation: Die Subversion mittels Ad hoc und Improvisation dient der Wahrung der Identität des Arbeiters. Denn die römischen Arbeiter waren Sklaven, die in vollkommener Abhängigkeit zu ihren Aufsehern standen. Bei der Improvisation verletzt der Arbeiter jedoch die Regeln, er fällt Ent-scheidungen im Moment der Improvisation selbst, er sorgt damit für das Gelingen des Planes.

Im Design ist die Subversion eine weniger gewagte Strategie als in der Anti-ke, trotzdem ist das Design immer auch auf die kommerzielle und etablierte Form der Verwertung seiner Produkte angewiesen. Das gilt auch für die improvisierten Produkte der Designer, die mit Ad hoc und Improvisation versuchen, sich von den konventionellen Produktions-formen der Industrie abzuheben. Oliver Schübbes Strategie, die Abfälle der Massenproduktion von Möbeln zu recyceln und damit vielleicht irgendwann sogar in Konkurrenz zu Konzer-nen wie IKEA treten zu können, kann als subversiv gelten. Denn der Verkauf von Recyclingmöbeln dient nicht nur dem Broterwerb – er will auch zeigen, dass das Vorgehen der Konzerne falsch ist. „Wir verkaufen ja auch Regale in Berlin und bringen die dann nicht alle zwei Monate mit dem LKW hin, sondern machen uns wirklich an die Sperrmüll-haufen in Berlin, an die Müllentsorger, und produzieren eben vor Ort. Sich ein bisschen als Parasit benehmen und selbst die neue Produktion aufbauen, regional.“115

113) Vgl.: Ebd. S. 181 ff.

114) Ebd. S. 182

115) Interview mit Oliver Schübbe

Page 87: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

86

Selbst in dem Moment, in dem das Produkt eine kommerzielle Verwertung erfährt, es also nicht mehr als subversiv im engeren Sinne gelten kann, bleibt die Subversion vorrangiges Ziel von Schüb-bes Ad-hoc-Strategie in Entwurf und Produkti-on. Produkte, die zum Beispiel über ein etabliertes System wie Galerien vertrieben werden, können durchaus aus Konzepten heraus entstehen, die mit Subversion kokettieren.

Ein anderes Beispiel für mit Hilfe von Ad-hoc-Strategien geschaffene, subversive Entwürfe sind die Mikroarchitekturen der Hippiekommune „Drop City“.Drop City wurde Ende der 60er Jahre in Südcolora-do von Kunststudenten gegründet. Nachdem die Gründer der Kommune ein Stück Land gekauft hatten, errichteten sie dort kleinere „Hütten“ aus gefundenen Materialien (Wohlstandsmüll). Sie wollten versuchen, außerhalb der Konsum-gesellschaft und im Einklang mit der Natur zu leben.116

Diese Form der Architektur und das Ad-hoc-Wie-derverwerten von Zivilisationsschrott als Baumaterial ist subversiv. Denn die Bewohner von Drop City führten ein Leben außerhalb jeg-licher etablierter Strukturen.Und Ad hoc und Improvisation sind typische Stra-tegien, um ebendiese Strukturen zu umgehen.Sowohl der Akt des Recycelns von Wohlstands-müll als auch die Planung der Gebäude vor Ort sind ad hoc.Dabei gleicht die Architektur nur in Bezug auf die Materialwahl den Favelas, also informell entstan-denen Siedlungen. Die Bauweise der „Domes“ ist inspiriert von Buckminster Fullers geodätischen Kuppeln. Die Kommunarden hatten zuvor eine Vorlesung des Architekten gehört und eigneten sich seine Theorien kurzerhand an. Neben der Funktion als Behausung verdeutlichte die Archi-tektur auch die Einstellung der Gruppe, nicht an der Konsumgesellschaft teilhaben zu wollen.

116) Vgl.: http://arkinetblog.wordpress.com/2010/04/15/drop-city/, 20. 08. 2010

„Drop City“, Hippiekommune, 1960er Jahre.

Von Buckminster Fuller inspirierte Ad-hoc-

Architektur.

Page 88: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

87

Dabei ist es die Unterteilung in einzelne kleine Segmente, die die Struktur so anpassungsfähig und für eine Ad-hoc-Bauweise aus Restmaterialien ge-eignet macht. Das bei Buckminster Fuller entlehnte Design erlaubt es, mit einem gerin-gen Materialaufwand und mit niedrigem Energieverbrauch ein Volumen zu erzeugen.

Fassen wir also zusammen: Die Motivationen für Ad hoc und Improvisa-tion sind vielfältig und sie unterscheiden sich gar nicht so sehr von den Motivationen der Laien. Es gibt unmittelbare Bedürfnisse, die auch für die Laien oft im Vordergrund stehen. Und Ad hoc dient konzeptionellen, den unmittelbaren Bedürfnissen übergeordneten Zielen. Ad hoc kann der Produktion in der eigenen Werkstatt dienen. Die Produkte, die in Handarbeit in den Studios gefertigt werden, sollen sich von den Pro-dukten aus der Massenproduktion unterscheiden. Die Designer machen sich deshalb eine improvisierte Ästhetik zunutze, um unterscheidbare Produkte zu schaffen. Ad-hoc-Produktionstechniken, die oft mit einem geringen Zeitaufwand ver-bunden sind, kommen der Eigenproduktion entgegen. Die Unterscheidbar-keit der individualisierten der Produkte ist auch für die Nutzer von Belang, die die improvisierte Ästhetik schätzen, denn auch sie wollen sich von der Masse abheben.So kann in kleinen Einheiten zu Preisen produziert werden, die gegenüber dem Nutzer, gerade weil es sich um Einzelstücke handelt, noch vertretbar sind (siehe Interview mit Jerszy Seymour). Die Arbeit im Studio macht Spaß, weil spontanes Einwickeln und Herstellen abwechslungsreich ist und sich analoge und digitale Tätigkeiten abwech-seln. Der Designer kann an jeder Stelle der Produktion eingreifen und Än-derungen vornehmen, weil er selbst der Produzent ist.Ad hoc kann aber auch bei im seriellen Rahmen produzierten Produkten neue Ergebnisse hervorbringen. Ein Beispiel dafür ist das Projekt von Judith Seng mit der Glasmanufaktur in Meisenthal. Hier diente Ad hoc der Ver-änderung der Produktionsprozesse in der Glasherstellung (siehe Interview mit Judith Seng). Ad hoc im Design dient also nicht nur der Behebung eines Mangels, sondern auch dem Ziel der Unterscheidung.

Page 89: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

88

3. 6 Provisorische Designs? Die Ästhetik der improvisierten Lösungen im Design

„Warum sollte man noch den 10-millionsten Stuhl entwerfen, ist dazu nicht eigentlich alles gesagt? Für mich liegt das Interesse eher – gerade im Bereich des Recyclings – beim Thema Ästhetik der Fehler.“ 117

Ad hoc und Improvisation bringen die vielfältigsten Entwürfe hervor. Die Strategien, die hinter den einzelnen Produkten stecken, sind von Entwurf zu Entwurf verschieden.Dennoch besitzen alle Ad-hoc-Designs etwas Gemeinsames: Die Kombina-tion von Restmaterial und die Wiederverwertung bereits existierender Ent-würfe erscheinen oft zufällig. Die Produkte wirken „unfertig“ und scheinbar nicht ganz zu Ende gedacht, also nicht „perfekt“. Dieser äußere Eindruck ist jedoch falsch, denn Ad hoc im Design nutzt die Ästhetik der improvisierten Lösungen bewusst aus. Die provisorische Art der Verbindung, die inhomogene Oberfläche oder die Zweckentfremdung eines Materials machen die ästhetische Qualität der Ad-hoc-Designs aus. Die „Schönheit“ dieser Objekte liegt also nicht in der Perfektion der hand-werklichen Ausführung begründet. Wie kann ein improvisiertes Objekt dennoch gut sein?Es gibt einen Konflikt zwischen dem allgemeinen Anspruch an einen gu-ten, vielleicht sogar perfekten Entwurf und der Ästhetik der Improvisation. Dieser Anspruch beruht auf allgemeinen Kriterien wie der technischen Re-produzierbarkeit des Objekts, funktionalen Aspekten, einer angenehmen Oberfläche und schließlich auf dem Kriterium der „Guten Form“. Ein Beispiel, das in den Gesprächen mit Autorendesignern im Hinblick auf Perfektion immer wieder auftauchte, sind die Entwürfe von Charles und Ray Eames oder Arne Jacobsen, also Klassikern der Designgeschichte.

„(...) Dinge, die einem so ganz selbstverständlich im Alltag begegnen, die sich so zurücknehmen, sind auf eine Art sehr charmant. Es gibt Produkte, die sind formal so reduziert, die sind konsumierbar und gängig. Das sind so gute Produkte, die müssen in der Masse auftreten. Es tut nicht weh, aber es ist schön.- Das ist dann auch etwas Negatives, wenn man sagt, es passt sich an? Klar, das ist dann einfach anpassungsfähig. Aber andererseits suggeriert das wirklich große Serie.

117) Interview mit Oliver Schübbe

Page 90: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

„This Chair“, Richard

Hutten (2004), Formstudie

für die Sitzschale des

eigentlichen Stuhls.

Page 91: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

90

Es gab die Tolomeo, eine Aluminiumleuchte aus den 80ern, die wurde si-cher auch schon millionenfach verkauft. Als die auf den Markt war, dachte ich: Wow, was für ein gutes Produkt. Ich neige dazu, dass ich die Klassiker favorisiere, denn da ist nicht viel dran, das passt in jeden Kontext und hat trotzdem eine ganz elegante Formensprache.“ 118

Die Qualität vieler Klassiker liegt also vor allem in ihrer technischen Repro-duzierbarkeit und in der Konsumierbarkeit, da sie anpassungsfähig sind, sowohl formal als auch funktional gesehen. Wenn man nun mit Perfektion eine vollkommene äußere Form und dabei auch gleichzeitig Funktionalität verbindet, so verkörpern Designklassiker die allgemeine Vorstellung von Perfektion.

Jedes Produkt bleibt jedoch eine Annäherung an eine fiktive Vorstellung von Vollkommenheit. 119 Denn Produkte können niemals ganz perfekt sein. Somit ist jedes Produkt ein Provisorium im weitesten Sinne.Es gibt an dieser Stelle eine Analogie zur Geometrie: Mittels der Kreiszahl Pi versuchen Mathematiker seit der Antike, den Umfang des Kreises zu be-schreiben. Um Näherungen für Pi zu gewinnen, wurde der Kreis in immer kleinere messbare Segmente unterteilt.Der Kreis wird oft mit einer vollkommenen Form gleichgesetzt, mit einem Ideal, das es in der Natur so nicht gibt. Denn die Realität ist chaotisch und niemals vollkommen – es herrscht Entropie. Und hier genau entsteht eine Diskrepanz zwischen Vorstellung und Reali-tät. „(...) ein Wunsch nach Perfektion, der kulturell sehr stark eingeschrieben ist. Auch der Wunsch nach so einem „Fertigsein“, dass die Dinge gut sind, dass sie richtig sind, dass sie wohlüberlegt sind und das ein Thema beendet ist. Auf der anderen Seite hat man den Alltag, der einfach nie zu Ende ist, es ist nie die perfekte Lösung, es sind immer nur Hilfsmittel und Werkzeuge.“ 120

Eine Annäherung an Perfektion (mittels industrieller Produktion, hand-werklicher Genauigkeit und ausgeklügelten Proportionen, ausgeklügelter Funktionszusammenhänge eines Objekts) kann als eine der wichtigen He-rausforderungen im Design betrachtet werden.

Perfektion bezeichnet nicht nur die äußere Hülle eines Gegenstandes, son-dern auch die Funktion des Gegenstandes. Andreas Dorschel beschreibt in „Die Ästhetik des Brauchbaren“, wie sehr der Grundsatz der Moderne „Form Follows Function“ die Ästhetik von Dingen des Gebrauchs vereinfacht:„Weder ist die Form einfach durch die Funktion determiniert, noch folgt sie logisch aus ihr; die Zusammenhänge sind verwickelter.“ 121

118) Interview mit Hermann Weizenegger

119) Vgl.: Interview mit Richard Hutten, Kiki van Eijk und Joost van Bleiswijk

120) Interview mit Judith Seng

121) Dorschel, Andreas: Gestaltung – zur Ästhetik des Brauchbaren, 2. Auflage, Heidelberg 2003, S. 7

Page 92: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

91

Auch bei Ad-hoc-Entwürfen sind die Zusammenhänge verwickelter. Wie sehr folgt hier die Form der Funktion? Oder sind bei den improvisierten De-signs formale Kriterien zu vernachlässigen?Denn bei den Ersatzhandlungen, deren primäres Ziel der Umgang mit dem Mangel ist, ist das unmittelbare Ziel nicht, eine Form zu schaffen. Denn der Nutzen der Improvisation ist ganz pragmatischer Natur: „Nach Louis Sullivan, einem der Gründungsväter den modernen Funktionalismus, ist das Verhältnis zwischen Funktion und Form durch den Modus der Notwen-digkeit determiniert.“ 122 Im Moment der Notwendigkeit, im Moment der Improvisation, entsteht ein völlig neues Verhältnis zwischen der äußeren Form und der Funktion eines Gegenstands.Die (teilweise unbewusst und zufällig gewählte) Form des improvisierten Objekts ist in einem bestimmten Moment sinnvoll, später erwartet man je-doch etwas „Ausgereifteres“. Die unmittelbare Funktion des Gegenstandes steht im Vordergrund, die Improvisation muss funktionieren. Dieser Prag-matismus bildet sich auch an der Form des Gegenstandes ab. Die äußere Form von Ad-hoc-Designs wird durch das Machen, durch den Kontext, be-stimmt. Zudem kann die improvisierte Ästhetik des Objekts zum Konzept werden. Hier ist die Anti-Form gewollt. Denn Ad-hoc-Designs, denen sekundäre Mo-tivationen wie Ermächtigungsstrategien und Unterscheidung zugrunde liegen (siehe: Motivationen), besitzen eine Ästhetik, die zwar improvisato-risch wirkt. Diese Ästhetik entsteht aber aus dem Bedürfnis heraus, etwas zu schaffen, dass sich von den gängigen Formen unterscheidet. So kann die Form des improvisierten Gegenstandes durchaus der Funktion folgen. Nur besteht die Funktion oder der Zweck des improvisierten Objekts in mehr als in der bloßen Benutzbarkeit.123

Judith Seng sagte, was das sympathische und damit auch ein weiterer Zweck der Ästhetik der improvisierten Dinge ist: Der Nutzer findet sich in den Pro-dukten wieder, weil er selbst auch nicht ganz perfekt ist. Er kann sich die imperfekten Dinge leichter aneignen und dieser Prozess geht mit dem Ge-brauch aller Dinge einher. Die Anmutung der ad hoc produzierten Produkte des Designs vermittelt diese Möglichkeit der Aneignung. Die Gestaltung ist nicht abgeschlossen, der Nutzer kann sich beteiligen. Die Ästhetik der improvisierten Objekte liegt in ihrer Individualität, sie er-zählen eine Geschichte. Das kann die Oberfläche sein, die Kratzer aufweist, aber auch die Geschichte ihrer Herstellung aus Restmaterialien. Diese Geschichte macht die Ästhetik dieser Objekte aus und ist gleichzeitig deren Existenzberechtigung.

122) Ebd. S. 24

123) Dorschel, Andreas: Gestaltung – zur Ästhetik des Brauchbaren, 2. Auflage, Heidelberg 2003, S. 9

Page 93: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

92

„Das Möbel hat mit seiner Geschichte eine Berechtigung zu existieren. Dieser Hintergrund erhöht dann auch die Lebenszeit des Objekts immens.“ 124 Der Nutzer identifiziert sich mit dem Objekt, es kann unabhängig von Moden und anderen Tendenzen existieren. Es hat nicht nur einen Gebrauchswert, sondern auch einen individuellen Wert für den Nutzer.

Perfektion ist etwas sehr Persönliches: Es gibt keine allgemeingültige De-finition der Perfektion.125 Perfektion und Imperfektion sind abhängig von dem Kontext, in dem das Produkt entsteht: „Entsteht die Unvollkommenheit aus einer Situation heraus, in der man das Vollkommene nicht geschafft hat? Oder ist es, weil es ein Bedürfnis ist, das Ding so zu gestalten, dass es nicht wirkt wie vollkommen?“ 126 Im industriellen Kontext bedeutet Perfektion etwas anderes als bei Pro-dukten, die in einem Zusammenhang entstehen, der handwerklich ist, und Kleinserien können durchaus bestimmte Merkmale aufweisen, die man nicht mit einer Perfektion assoziiert, die dem industriellen Kontext ent-spricht.Jerszy Seymour kam zu dem Schluss, dass die Dinge, mit denen wir Perfek-tion assoziieren, den Maßstäben entsprechen, die wir uns durch eine indus-trielle Fertigungsstrategie geschaffen haben. Diese Maßstäbe bilden Seh-gewohnheiten aus, mit denen wir alle Dinge vergleichen. Die Effizienz der „Modernistischen Maschine“ bestimmt unser Verhältnis zur Perfektion.127 Der „modernistischen Maschine“ verdanken wir sehr genaue Vorgaben, die sich in den technischen Grenzen der massenhaften Reproduzierbarkeit von Gütern bewegen. „The prophets of the first machine age placed great emphasis on standardiza-tion, anonymity and the repitition of „perfect“ forms“ 128 Gleichzeitig haben diese Vorgaben aber auch eine Demokratisierung der Güter zur Folge. Dieser Demokratisierung verdanken wir es, dass jeder sich diese Güter leisten kann. Darüber hinaus ermöglichen sie erst die Umnutzung von Gebrauchsgegen-ständen, denn diese sind nun allseits verfügbar.

Im Fall der Modelle (Oder auch Prototypen) aus dem Designprozess ist die Ad-hoc-Ästhetik signifikant. Solche Mock-Ups kann man als provisorische Darstellungen einer Idee sehen, sie bezeichnen den jeweiligen Stand des Ent-wurfs, werden aber weiter verbessert und verändern sich noch. Sie dienen dazu, sich einer bestimmten Vorstellung von einem Produkt anzunähern.Mock-Ups entstehen ad hoc, aus einem bestimmten Kontext heraus und mittels Improvisation. Das Mock up wird spontan gemacht und ist erkennbar eine noch unfertige Darstellung eines Produkts, es wirkt deshalb häufig skizzenartig. Das Modell

124) Interview mit Oliver Schübbe

125) Vgl.: Interview mit Kiki van Eijk und Joost van Bleiswijk

126) Interview mit Hermann Weizenegger

127) Vgl.: Interview mit Jerszy Seymour.

128) Jencks, Charles (Hg.); Silver, Nathan: Adhocism. The Case For Improvisation, London 1972, S. 55

Page 94: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

93

lässt noch Raum für Interpretation. Die Verfahren, mittels derer der Desig-ner Modelle herstellt, sind ziemlich direkt. Bauen und Entwurf geschehen zugleich. Die im Modellbau gängige „Ungenauigkeit“ als Methode schafft Übergänge, die der Abstraktion der Komplexität des finalen Entwurfs dienen. So werden Teilprobleme im Prozess schrittweise beseitigt. Und manche Improvisatio-nen aus dem Prozess werden als etablierte, funktionierende Lösung, Teil der produzierten Version.Design entsteht auch beim Machen und der Entscheidungsprozess im Design ist eine Art Evolution.Diese Evolution, die an den Modellen ablesbar ist, und die den Modellen eigene Tendenz zur Unvollkommenheit, zum Vorübergehenden, machen die Ästhetik der Modelle aus dem Designprozess aus.

Diese Ästhetik benutzt der Designer Jerszy Seymour. Er verwendet für seine Produkte Materialien, denen per se etwas Vorübergehendes anhaftet. So ist der „Workshop Chair“, den er in seiner eigenen Werkstatt produziert, aus einem wachsartigen Kunststoff gemacht, der die Teile des Stuhls scheinbar provisorisch verbindet. Der Wachs wird ad hoc mit den Händen geformt, die Art und Weise, wie der Stuhl produziert wird, ist auch am Ergebnis noch sichtbar. So ist jeder Stuhl ein Prototyp und ein Einzelstück.

Die formale Aussage von etwas Improvisiertem ist also schließlich: So wur-de es gemacht und es wurde so gemacht, weil es in dem Moment sinnvoll war. Diese Ästhetik des Vorübergehenden der improvisierten Produkte, die Möglichkeiten der Aneignung für den Nutzer und die Unterschiede von Oberfläche, Material und Verbindungen innerhalb einer Serie unterschei-den sie von anderen Produkten. Der bewusste Bruch mit den bestehenden ästhetischen Kriterien wird von den Gestaltern genutzt, denn so entstehen neue Formen.

Page 95: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

94

- Was ist Perfektion/ Unvollkommenheit? Magst du Unvollkommenheit?

Jerszy Seymour Das, was wir unter Perfektion verstehen,

hängt mit den Maßstäben zusammen, die

wir uns durch die industriellen Techniken

gesetzt haben. Die maschinelle Reproduk-

tion ist der Maßstab dieser Techniken.

Die Perfektion hängt mit Pla-

nung zusammen, mit System.

Natürlich sollten wir Imperfekti-

on akzeptieren. Es wird niemals ein

vollkommenes Produkt geben, weil

auch der Mensch nicht vollkommen

ist. Der Glaube, dass es möglich sei,

so ein perfektes Produkt zu ma-

chen, ist das Problem von Design.

Die Perfektion meiner Produkte

liegt in der Befreiung von die-

ser modernistischen Systematik.

Richard Hutten Ich weiß nicht, was Perfekti-

on ist. Auch improvisierte Objek-

te können für mich perfekt sein.

Imperfektion kann perfekt sein. Hand-

gemachte Dinge können Ungenauigkeiten

besitzen, die für mich perfekt sind.

Hermann Weizenegger Perfektion: formale Reduktion, makel-

los, anpassungsfähig, konsumierbar und

gängig. Dinge auf den Punkt bringen unter

Einbeziehung der ganzen Technologie und

Produktion eines Produkt. ->große Serie

Entsteht Unvollkommenheit aus ei-

ner Situation heraus, in der man das

Vollkommene nicht geschafft hat?

Es gibt immer wieder Sachen, die

formal in jeden Kontext passen, die

ich richtig gut finde. Sie suggerie-

ren große Serie. Es tut nicht weh,

aber es ist schön- anpassungsfähig.

Widerspenstige Dinge können char-

mant sein, es kommt auf den Kontext

an, in dem sie präsentiert werden.

Industrie und Masse vs. Galerie

Judith Seng Ideal vs. Realität:

Der Wunsch nach Perfektion ist kul-

turell eingeschrieben. Der All-

tag ist dreckig und chaotisch.

Es gibt immer nur Annäherungen an

die perfekte Lösung. Denn jedes Pro-

dukt löst ein neues Problem aus.

Es hängt von dem Produkt ab. Im

Wohnbereich ist Imperfektion sym-

pathisch und Perfektion einschüch-

ternd. „Glatte“ Oberflächen wirken dem

Alltag enthoben. -> Kontextabhängig,

Technische Perfektion vs. zer-

störte Landschaften

Kiki und Joost Kiki: Perfekt ist, wenn eine Sa-

che so wird, wie ich sie geplant

habe. Ich bestimme selbst, was per-

fekt ist. Imperfektion ist, wenn

man sein Ziel nicht erreicht.

---------

Joost: Perfektion gibt es nicht. Man

kann alles verbessern. Imperfektion ist,

wenn man einer Sache ansieht, dass sie

hätte besser gemacht werden können.

Kiki: Ich mag Handgemachtes, Un-

regelmäßigkeiten sind ein Zei-

chen dafür, dass eine Sache

mit der Hand gemacht wurde.

---------

Joost: Es kommt darauf an, ob die

Imperfektion kontrollierbar bleibt.

Page 96: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

95

- Was ist Perfektion/ Unvollkommenheit? Magst du Unvollkommenheit?

Tassilo von Grolman Unvollkommenheit ist für mich,

wenn sich ein Produkt nicht

mehr selbst erklären lässt.

Und Perfekt ist, wenn Dinge sich

selbst erklären, sie auch in einem

neuen Kontext noch funktionieren.

Es gibt immer nur annä-

hernd perfekte Produkte.

Auch improvisierte, unvollkomme-

ne Dinge können einen Charme be-

sitzen. Handzeichnungen zum Bei-

spiel im Vergleich zu Renderings.

Phillip Haffmans In der Perfektion liegt Langeweile.

Und perfekt kann etwas auch dann sein,

wenn es nicht den Regeln entspricht.

Ja, denn Imperfektion be-

deutet auch Vielfalt.

Oliver Schübbe Möbelklassiker sind perfekt, zum The-

ma „Stuhl“ ist schon alles gesagt.

Mein Thema ist: Ästhetik der Fehler.

Fehler erzählen eine Geschichte und

schaffen einen individuellen Wert.

Page 97: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

96

3. 7 Negatives Potential von Ad hoc und Improvisation

In den bisherigen Kapiteln, in denen Überlegungen und Untersuchungen zu Kontext, Entstehungsweise und zu Zielen von Ad hoc und Improvisation im Design dargestellt wurden, zeigte sich, dass Ad hoc und Improvisation sinnvolle und produktive Handlungen sind. Sie können aus den verschiedensten Motivationen heraus entstehen und sie bringen vielfältige Formen von Produkten hervor. Die Bandbreite der Ad-hoc-Entwürfe variiert zwischen pragmatischen Entwürfen, die ein ganz konkretes Problem lösen, und zwischen konzeptionell- konsumkritischen Designs, die gängige Produktionsmethoden wie die Massenproduktion hin-terfragen.Ad hoc und Improvisation enthalten aber immer auch eine negative Kom-ponente, die sich bereits im ersten Teil dieser Arbeit andeutete. So kann die Improvisation als Notlösung missverstanden werden und in einem neuen Kontext nicht mehr funktionieren.

Die Improvisation dient oft der Bewältigung einer Krise. Diese Krisen ent-stehen meistens bei der praktischen Umsetzung von Design aber auch auf konzeptioneller Ebene. Das Scheitern der Improvisation liegt meistens da-ran, dass sie nicht den Erwartungen entspricht, die innerhalb des Plans an ein Ergebnis gestellt werden. Das negative Potenzial der Improvisation liegt also darin, dass der Moment der Improvisation an sich als Krise empfunden wird, eben weil hier der Plan nicht greift. Auch ist der Erfolg dieser Handlungen unvorhersehbar. Die Im-provisation wird als experimenteller Eingriff in den Plan verstanden.

Innerhalb der Definition der beiden Begriffe in Bezug auf das Design konnte festgestellt werden, dass Ad hoc auch in der Praxis als eine spontane und trotzdem zielgerichtete Handlung verstanden wird. Der Begriff Improvisa-tion ruft jedoch neben den positiven kreativen Aspekten (im Design anders als in der Musik) auch Assoziationen mit Chaos und Scheitern hervor. Dabei scheint die Improvisation dem Provisorium nahe zu sein und wird oft als wahllose Ersatzhandlung definiert, die einem Experiment nahekommt, dessen Ausgang ungewiss ist, das durchaus scheitern kann.129

Die Untersuchung der spontanen Handlungen im professionellen Kontext der Autorendesigner zeigte, dass ein negatives Potenzial bei der praktischen Improvisation etwas ausgeprägter zu sein scheint als bei Ad hoc:

129) Vgl.: Interview mit Hermann Weizenegger

Page 98: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

97

„Wenn du einen Messestand machst, dann musst du am Schluss improvisie-ren, weil: Der Nagel geht nicht durch die Wand. Also klebe ich Gaffa-Band drauf und hänge da das Ding dran. Es war anders geplant und es musste improvisiert werden. Das kann kreativ sein, ist aber fast ein bisschen ne-gativ. Deshalb mag man Ad hoc lieber, weil da hat man nie das Gefühl, das wäre improvisiert(...)“ 130

Durch die persönliche Erfahrung mit unvorhergesehenen Ereignissen und Mängeln in der Qualität von Produkten entstehen negative Sentiments in Bezug auf die Improvisation. Denn improvisiert wird dann, wenn man es anders nicht geschafft hat. Ad hoc hingegen ist eine weniger zufällige weil zielgerichtete Handlung, die zwar spontan abläuft und durchaus auch vom Mangel beeinflusst sein kann, aber dennoch auf gezielter Überlegung beruht. Sowohl Ad hoc als auch Improvisation können scheitern.

Bereits Charles Jencks stellte fest, dass die negative Bedeutung und die Vor-urteile gegenüber den spontanen Handlungen durchaus ihre Berechtigung haben: „The objection to such ad hoc amalgams of competing cultures, styles and theories is that it is indecisive, arbitrary and confused. These are in certain cases the weakness of adhocism (...)“ 131

Die Kritik an Ad hoc und Improvisation könnte tatsächlich sein, dass ihre Ergebnisse unordentlich und beliebig wirken und sie nicht einer bestimm-ten etablierten Vorstellung von Ordnung entsprechen. Denn Ordnung dient der Orientierung. Die Abstraktion von komplexen Zusammenhängen, wie sie mit Hilfe von bestimmten Schemata in der Naturwissenschaft geschieht, ist notwendig, um unsere Welt für uns beschreibbar und erfassbar zu ma-chen. Das Bedürfnis nach Ordnung Systematik ist grundsätzlich. Man kann es nicht einfach ignorieren. Eine Ordnung kann im Zuge einer spontanen Handlung gestört werden. Scheitert die Improvisation, so verliert der Ge-genstand seine Funktion, sein Sinn ist nicht mehr gegeben. Das geschieht entweder, weil er formal nicht mehr funktioniert oder weil der Gebrauch eines improvisierten Gegenstandes ganz konkret die Ordnung in unserem unmittelbaren Umfeld, der Wohnung, stört (Provisorium).

Eine bestimmte Form der Ordnung, die wir im Design häufig als Maßstab voraussetzen, wurde in dem Interview mit Jerszy Seymour beschrieben, der bewusst mit den gängigen Maßstäben bricht. Diese Maßstäbe sind zum Beispiel die Perfektion der Oberfläche eines Produkts oder die Reproduzier-barkeit eines Objekts. Die Reproduzierbarkeit eines Objekts wird von den Maschinen bestimmt, die es herstellen. Mit den Händen geformte Produkte,

130) Interview mit Hermann Weizenegger

131) Jencks, Charles (Hg.); Silver, Nathan: Adhocism. The Case For Improvisation, London 1972, S. 29

Page 99: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

98

so wie Jerszy Seymour sie in seiner eigenen Werkstatt herstellt, wären im industriellen Kontext undenkbar.Weil Jerszy Seymour sich andere Maßstäbe für seine Produkte setzt, gelten bei ihm auch andere Kriterien für das Scheitern.Denn die eigenen Kriterien sind es letztendlich, die bestimmen, ob man seine Arbeit und damit auch die Improvisation, die aus dieser Arbeit heraus entsteht, als gescheitert empfindet.Kiki van Eijk betonte in ihrem Interview, dass sie eigene Kriterien für ihre Projekte genau definiert, unabhängig davon, ob improvisiert wird oder nicht. „If it gets imperfect, it means that you didn‘t reach what you wanted to reach.“132

Es ist also zu einem großen Teil die eigene Haltung oder Erwartung, die be-stimmt, ob Ad hoc und Improvisation als erfolglos betrachtet werden.

Nicht nur der Designer selbst setzt Kriterien für die Beurteilung seiner Ge-staltung fest. Auch der Kontext, in dem ein Projekt präsentiert und schließ-lich auch genutzt wird, setzt Maßstäbe für die Beurteilung des Ergebnisses der spontanen Handlung. An dieser Stelle besteht wieder ein Unterschied zwischen Massenprodukt und Einzelstück:„Es ist ein großer Unterschied, ob ein Stuhl unvollkommen bei Vitra in Serie geht, oder ob der Stuhl in einer Galerie steht. Da ist dann einfach der Kontext ganz wichtig. In dem einen Zusammenhang funktioniert es, und in dem ist Unvollkommenheit willkommen, in dem anderen Zusammenhang ist es eher negativ.“ 133

Die Ungenauigkeiten, die während der Planung eines Massenprodukts durch Improvisation entstehen, vervielfältigen sich in der Produktion. Diese Re-produktion von „Fehlern“ hat bei in Serie produzierten Produkten ein ganz anderes Gewicht als bei Einzelstücken. Denn beim Einzelstück erwartet man Fehler gewissermaßen – sie sind der Beweis für dessen Einmaligkeit.In Serie produzierte Fehler sind indes keine willkommenen Abweichungen von der Norm – sie sind der Beweis für eine mangelhafte Planung des Pro-dukts. Die Fehler verschlimmern sich im Gebrauch und das in Masse gefer-tigte Produkt muss dem Verschleiß in vielen verschiedenen Haushalten stand-halten, und wie wir wissen, haben die Nutzer die unterschiedlichsten Formen des Gebrauchs von Produkten entwickelt (Aneignungsstrategien, NID).

Ad hoc und Improvisation setzen eine zielgerichtete Fokussierung auf ein Problem voraus, damit sie gelingen. Die pragmatische Herangehensweise bei der improvisatorischen Handlung und die Fokussierung auf ein Teil-problem können der Improvisation trotzdem auch zum Nachteil gereichen. Wird ein Problem zu isoliert betrachtet, bleibt die spontane Handlung eine punktuelle Ersatzhandlung, die kein umfassendes Konzept darstellt:

132) Interview mit Kiki van Eijk

133) Interview mit Hermann Weizenegger

Page 100: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

99

„In schwer überschaubaren Situationen neigen wir dazu, uns in kleinere überschaubare Probleme zu verbeißen“ 134

Die Behebung eines Problems mit Hilfe von Improvisation löst vielleicht ein nächstes signifikantes Problem aus, denn „Der Alltag ist nie zuende, es ist nie die perfekte Lösung, es sind immer nur Hilfsmittel und Werkzeuge, ein Produkt löst ein anderes Problem aus“ 135

Solange Teilprobleme in ihrem Gesamtkontext gesehen werden, kann das Lösen dieser einzelnen Probleme mittels Ad hoc und Improvisation ord-nungsstiftend wirken, weil man nicht lange bei einem einzelnen Problem verweilt und das Wesentliche nicht aus dem Blickfeld gerät.Ad hoc und Improvisation können also im Fall von komplexen Problemen im Entwurf helfen, sich dem Ergebnis schrittweise anzunähern, ohne dabei zu viel Zeit zu verlieren.

Bei der Improvisation liegen also die negativen und positiven Faktoren dicht beieinander. Die Bewertung dieser Faktoren ist subjektiv und hängt von der Erwartung an ein Produkt oder ein Konzept ab. Diese Erwartung ist be-gründet von dem Kontext, in dem das Produkt seinen Zweck erfüllt. Denn der Kontext, in dem ein Produkt benutzt wird, bestimmt auch die Maßstäbe, anhand derer ein Produkt bewertet wird. Ad hoc und Improvisation sind letztlich Handlungen, die auf schnellen, zielgerichteten Entscheidungen beruhen, so beschrieben es Jerszy Seymour und Richard Hutten.Ad hoc und Improvisation sind schließlich Handlungen, die sich ständig an einer Grenze zwischen Ordnung und Chaos, zwischen Anarchie und Pla-nung, bewegen. Denn auch die spontanen Handlungen geschehen innerhalb eines Rasters und gelingen dann, wenn man schnell Entscheidungen trifft, die sinnvoll sind. Ad hoc und Improvisation sind also ein Balanceakt zwi-schen Ordnung und Entropie, der auch scheitern kann.

134) brandeins: Wir rechnen mit allem, Jg. 10. Jahrgang, H. 10, Hamburg 2008, S. 127

135) Interview mit Judith Seng

Page 101: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

100

3. 8 Experteninterviews

Die Improvisation ist die Realität des Entwurfsprozesses. Jeder wendet Ad hoc an und plant gleichzeitig immer wieder neu. Improvisation und Ad hoc haben für jeden unterschiedliche Bedeutungen. Sie speisen sich aus per-sönlichen Erfahrungen und dem Kontext, in dem Projekte im Design ent-stehen. Die Strategien von Ad hoc und Improvisation werden der jeweiligen Situ-ation angepasst, sie sind nicht übertragbar. Es gibt keine festgeschriebene „Methode“ der Improvisation, es gibt nur individuelles Wissen, aus dem heraus sich die Entscheidungen im Moment der Improvisation formieren. Ad hoc im Design heißt, aus der Situation heraus zu entscheiden. Weil Ad hoc und Improvisation auf individuellem Wissen beruhen, wurden für diese Arbeit Interviews mit Autorendesignern geführt. Anhand ihrer Projekte sind die Improvisationen dieser Experten dokumentiert und sie können Aus-kunft darüber geben, ob und wie sie tatsächlich im Alltag improvisieren.

Die Gespräche werden aufgezeichnet. Sie sind aus dem persönlichen Ge-spräch heraus entstanden. Die Eingrenzung des Forschungsfeldes auf die Gruppe der Autorendesigner wurde deshalb vorgenommen, weil sie eine be-sondere Art von Gestalter repräsentieren. Sie bilden eine homogene Gruppe von Gestaltern. Auch wenn die Projekte, an denen sie arbeiten, unterschied-lich sind und zwischen systemisch-industriell und künstlerisch rangieren. so sind der Kontext und das Netzwerk, bis hin zu der Organisation in den Büros im Einzelnen von der Struktur her ähnlich.

Die befragten Designer repräsentieren die Berufsgruppe „selbstständiger Designer“. Die Aussagen, die sie über Design und Ad hoc machen, besitzen nicht nur eine Relevanz für andere selbstständige Designer, sondern auch ganz allgemein für die gesamte Disziplin.

Die Autorendesigner sind Unternehmer und Designer zugleich, meistens haben sie nicht mehr als zehn Angestellte und Praktikanten, mit denen sie zusammenarbeiten. Sie sind am gesamten Entstehungsprozess der Produkte beteiligt, teilweise sogar bis hin zum Vertrieb der Produkte und deren Ver-marktung. Sie müssen alle Entscheidungen selbst treffen. Sie bestimmen, wo und für wen sie arbeiten, und sie bestimmen, wer in ihrem Team ist.Die Designer, die befragt wurden, sind bereits seit längerem erfolgreich im Geschäft. Das heißt, sie kennen auch die Unwägbarkeiten des Alltags beson-ders gut. Vielleicht sind sie an manchen Stellen sogar schon gescheitert. Die meisten von ihnen leben und arbeiten in Deutschland. Es stammen aber nicht alle von hier. Alle haben ein Grundkonzept und eine Haltung entwi-ckelt, aus der ihre Projekte hervorgehen, diese Haltung beeinflusst ihre spon-

Page 102: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

101

tanen Entscheidungen, die sie treffen, ohne Hierarchien zu berücksichtigen, wie sie vielen Unternehmen anzutreffen sind. Gerade weil sie alle Entscheidungen bewusst selbst treffen und mittels dieser Entscheidungen auch ganz direkt ihr Einkommen und ihren Erfolg sichern, haben sie sich bereits über den Umgang mit den ungeplanten Pro-zessen im Design Gedanken gemacht. Sie wissen genau, an welchen Stellen Improvisation notwenig ist. Es wurden trotz der ganz unterschiedlichen Projekte und Entwurfsmetho-den auch Übereinstimmungen gefunden, die sich bei allen wiederholten, auch Übereinstimmungen, mit die überraschend waren. Manche Gespräche warfen sogar Fragen auf, die Felder beleuchten, die teilweise weit in der Zukunft liegen.

Was ist improvisiert? Wie ist die Haltung zu Improvisation? Wie entstanden die Projekte? Was sind die Werkzeuge der Designer? War da Ad hoc und Im-provisation im Spiel? Wie könnte man an diesem offenen Entwurfsprozess auch die Konsumenten beteiligen? Was kann Ad hoc noch sein? Bedeutet improvisiert gleichzeitig unvollkommen? Was ist unvollkommen und was perfekt?

Page 103: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

Richard Hutten Improvisation is making fast decisions while being in a process.

Page 104: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

103

Richard Hutten (* 1967) ist einer der bekanntesten niederländischen Desig-ner und gehört mit zu der ersten Generation von Designern, die für Droog arbeiteten. Nachdem er 1991 seinen Abschluss an der Dutch Design Acada-my in Eindhoven machte, bekam er mit seinem eigenen Studio schnell in-ternationale Aufmerksamkeit. Es befindet sich in Rotterdam, dort arbeitet er mit einem wechselnden Team und zwei festen Angestellten an seinen Entwürfen.

Zu seinen ersten Arbeiten gehört die „No Sign Of Design“-Möbelserie, eine Reihe von archetypischen Möbeln, die bis vor kurzem in Handarbeit in seiner Werkstatt gefertigt wurden und nun von der holländischen Firma Ngispen hergestellt werden. Neben Editionen wie „Table-upon-Table“ und „S(h)it on it“ – eine Bank in Hakenkreuzform – macht Richard Hutten auch Industrieprodukte, von denen das wohl bekannteste die „Domoor“-Tasse ist. Immer wieder gestaltet Richard Hutten auch Innenräume. Sein neuestes Innenraumprojekt sind Studentenarbeitsplätze für die Universität Delft.

Richard Hutten arbeitet für Kunden wie die holländische TNT Post, Moooi, I+I Milan, Ngispen, die Universität Delft und Droog. Seine Arbeiten wurden weltweit in Museen und Galerien ausgestellt. Einige seiner Arbeiten sind Teil der ständigen Sammlungen dieser Museen, darunter das Stedelijk Mu-seum in Amsterdam, das Vitra Design Museum in Weil am Rhein und das Museum of Modern Art in San Francisco. Richard Hutten bestreitet immer wieder Einzelausstellungen. Im Jahr 2010 gab es eine Retrospektive seiner Arbeiten im Design Museum in Gent („18 Years of Playing“). Richard Huttens Konzept ist das des „Playing Man“, er begreift den Prozess des Entwerfens als Spiel; der Umgang mit den Produkten soll Spaß machen.

Annika Frye: One of your latest designs – the Playing with Tradition carpet – is based on a really ad hoc way of creating a pattern. Did the idea for the carpet appear ad hoc or was it a long process?Richard Hutten: It was more a long process of thinking than an ad hoc-idea. I bought a Persian carpet and I loved it, I just wanted to do something with it, and I had many ideas for it. But an idea is just an idea – it‘s worth nothing. Then, Emmanuel Babled approached me to do a carpet for I+I, and I said: I don‘t know this company – but I have an idea to do something with my traditional carpet. And that was the opportunity to realize my idea. It was quick done, finding some patterns, do some tests, I remember that I made the drawings between Christmas and New Year, in April, the carpet was in Milan – and it was a different carpet.

So it was a long process of thinking and the making of it was fast?The idea was somewhere in my head, and then all of a sudden I had to make it – it went really fast.

Page 105: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

104

What do you think is a good place or situation for having ideas? Is there a special place?There is no special place – but I need rest, I must be able to concentrate. That can be at night, at the kitchen table or while I‘m driving my car – that‘s why I never listen to the radio, so then, I can think. When I‘m here in the studio, it‘s very hard to design. Of course, you can make decisions during the process. But I don‘t get my ideas in the studio.

What does Improvisation mean to you?It‘s making decisions while being in a process. Last week, I went to the glassblowing company Royal Leerdam. We were reconstructing the whole studio, so we were very busy. All of a sudden, I had to do this glassblowing project, and the day before, we were thinking about it to find an Idea. The night before, I kept working on it. The next morning when we went to Leerdam, we made the first drawings. While being in the workshop, and making some tests, we saw what was happening in the process – You have to decide instantly how for example the shape will be like – there is no other way. Its not like: „Oh, let‘s have another coffee and think about it.“ They are making it, and then things go wrong, or good or whatever you want to call it – but you have to react spontaneously, immediately, at the moment.

I think Improvisation is also needed when there is time pressure. When you have plenty of time, you don‘t push things forward, because there is no need. But when you have to do it on the spot and there is really a need to finish things, things go faster and you also improvise. When I improvise in the design process, it‘s very often linked to the physical making of the objects. Then there is a real need for Improvisation.

Do you think that digital technologies enable us to improvise?When you are behind the computer, you always improvise somehow. You mentioned the carpet „Playing with tradition“, where you also worked on – there we just improvised to get some patterns. So, it‘s also possible with the computer – but there is no „real“ material, no physical law that determines the function of what you are drawing – it‘s only on the screen. That‘s more try and error than really improvising.

What do you think about perfection? Do you like imperfection?Improvised objects can also be perfect. But I don‘t know what perfection is. Of course, I make objects which look very rough and you can see that it‘s handmade and its not made like – on the millimetre – they look imperfect and improvised, but for me, the result is perfect. The rotation moulded things we do have sharp edges or not a super finished glossy surface. The fact that there is irregularity makes them look impro-vised, but also different from other things. So, imperfection can be perfect.

„Playing with Tradition“,

Richard Hutten (2009)

Page 106: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

105

Do you think improvisation can be done on purpose? Can ad hoc be a tool for designers?Everything is a tool. For me, design is a game. And like in any other game, you have to improvise. Let‘s say you play soccer and the ball is approaching. Then you cannot think, „oh what shall I do?“ You have to react on the spot and decide what to do. Of course, you can train that, and you can train impro-visation. Making decisions very fast is a form of improvisation, it‘s deciding what to do with the situation you are facing.

Do you work more analytical or more spontaneous? With a strategy or in an immediate way?I do both. I work a lot with intuition, and I work a lot with analysis. I observe the situation – which is for example the space I make my design for, and at the same time, I follow my intuition. I design spontaneously – but with knowledge.

Thank you, Richard!

Page 107: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

Oliver SchübbeImprovisation ist, auf unkonventionelle Art zu einem Ziel zu kommen.

Page 108: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

107

Oliver Schübbe (* 1973) lebt und arbeitet in Herford. Nach seinem Studium der Innenarchitektur in Berlin gründete er mit Oliver Schreve in Herford im Jahr 2000 das Designbüro OS2, dessen kommerzielle Arbeiten vor allem im Bereich Interior Design zu anzusiedeln sind. Seine Möbelentwürfe waren auf zahlreichen nationalen und internationalen Ausstellungen zu sehen.

Schübbes Arbeiten für die Recyclingbörse Herford bestehen komplett aus wiederverwerteten Materialien. Der Werkstattbetrieb beschäftigt unter anderem Langzeitarbeitslose und setzt ganz auf Nachhaltigkeit. Unter dem Projekttitel „ReDesign“ entwirft Schübbe Möbel, die in der Holzwerkstatt der Börse produziert und hauptsächlich lokal vertrieben werden. Eines der Pro-dukte ist das Regal „Frank“ aus alten Spanplatten. Für den Sessel „Pixelstar“ werden Polster aus diversen alten Bezugstoffen neu zusammengewürfelt. Für die ZDF-Produktion „Das Schrott-Hotel“, in der in Rekordzeit mit Sperr-müll ein Avantgarde-Hotel ausgestattet werden sollte, fungierte Schübbe als der Experte und Designer im Team. Außerdem ist er Jurymitglied des vom Marta Herford ausgerichteten Recycling Designpreises.

Was bedeutet für dich der Begriff Improvisation?Improvisation heißt für mich, auf unkonventionelle Art zu einem Ziel zu kommen. Lediglich mit den Mitteln, die mir gerade in diesem Moment zur Verfügung stehen. Ohne größere strategische Planung, ohne einen riesigen Fertigungsapparat, bei dem ich mir die Frage stellen muss: Was habe ich für Maschinen? Welche Materialien kann ich verwenden? Wie kann ich es perfektionieren? Improvisation heißt, dass man sich davon komplett lösen kann.

Glauben Sie, dass das Entwerfen mit dem Computer spontanes Entwickeln oder Improvisieren erlaubt? Oder nutzen sie überhaupt CAD für Ihre Entwürfe?Es werden schon einige Entwürfe am Rechner gezeichnet, das ist aber meis-tens schon der nächste Schritt. Da wir immer zuerst vom Material ausge-hen – gerade im Bereich Recycling – ist für uns Zeichnen und Rendern am Computer nicht der Kern der Sache. Aber ich glaube schon, dass man den Computer beim Entwerfen nutzen kann, gerade wenn man viel mit orga-nischen Formen arbeitet. Zum Beispiel Designer, wie Karim Rashid, wo ich manchmal denke, da kommen die Entwürfe tatsächlich nur aus dem Rech-ner und das Material hat der Gestalter erst mal nicht vor Augen. Hinterher wird geschaut: Was für ein Produkt wird es? Welches Material wird verwen-det? Mit welcher Firma kann das Konzept realisiert werden? Wie wird die Vergütung geregelt? Aber ich glaube, dass das wirklich nur einen ganz geringen Teil der Designer, die freiberuflich arbeiten, betrifft. Konstantin Grcic zum Beispiel hat gute Kontakte zu BASF und die Möglichkeit, mit dieser Firma zwei Jahre an einem Stuhl zu arbeiten. Oder Phillipe Starck, der mit Kartell Möbel entwickelt. Der „normale“ Designer hat einfach nicht die Möglichkeit, überhaupt mit so einer Hightech-Fertigung zu arbeiten.

Page 109: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

108

Es macht sehr viel Spaß, mit dem Computer drei-dimensional zu entwerfen. Aber die Möglichkeit, das auf meinen Hauptschwerpunkt Recycling zu beziehen, ist leider begrenzt.

Ihr verkauft das Regal „Frank“, das am Markt ziem-lich erfolgreich ist, und viele Presseberichte erhält. Ist bei der Entstehung viel improvisiert worden, ist es ad hoc entstanden? Oder war der Entwurfspro-zess eher strategisch?Der Ursprung des Regals ist ad hoc passiert. Wir haben eine Sperrmüllmulde umgedreht und waren direkt beim Material, konnten es greifen, anfassen und haben Dinge aufeinander gebaut. Die Formensprache hat sich dann aber strategisch entwickelt. Das heißt, man geht eher analytisch vom Material aus: Was haben wir für Grundma-ße? Wie verhält sich das Material?Aber eben diese Strategie, zu so einer Modulari-tät zu kommen, macht nachher das Produkt so erfolgreich und ist dann auch die Berechtigung, die es am Markt hat.

Würdest du sagen, dass du eher analytisch und strategisch oder eher spontan arbeitest?Am liebsten arbeite ich spontan. Gerade in Work-shops, wo man sehr viel Erfahrungsaustausch hat. Trotzdem muss man bei Produktentwürfen auch strategisch vorgehen und der Faktor Zeit spielt natürlich eine Rolle. Ich beschäftige mich dann damit, was es am Markt bereits gibt. Was sind vergleichbare Produkte in puncto Ergonomie und Material? Die Erfolgversprechenderen Produkte aus dem Pool der eigenen Entwürfe sind auf jeden Fall die analytischen, die auch eine Strategie im Hintergrund haben.

Glaubst du, dass Ad hoc im Design eine Strategie sein kann?Ich glaube, dass das bestimmt funktioniert. Wir arbeiten auch gerade an verschiedenen Strategi-en, bei denen das Thema Ad hoc im Vordergrund steht. Wie zum Beispiel bei Küchenentwürfen. Wir bekommen hier immer sehr viele Einbaukü-chen, bei denen irgendetwas fehlt. Teilweise sind nur noch Möbelfragmente übrig. Daraus könnte man ein komplettes System entstehen lassen, das

„Pixelstar“, Sofa aus Recyclingmaterialien,

Oliver Schübbe (2009)

Page 110: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

109

vielleicht sogar einem Küchenhersteller Konkurrenz machen könnte. Wir wissen so viel über die Konstruktion dahinter, dass man damit auch sehr gut Ad hoc arbeiten kann und die Ergebnisse dann wieder auf den Markt bringt.

Also die maßgeschneiderte Küche aber eben hergestellt aus Recyclingmateri-al?Genau darum geht es!

Das ist ein sehr interessantes Beispiel für Ad hoc, denn es bedeutet per Defi-nition auch „für dieses“. Also genau für diesen einen Zweck. Die Varianz der Lösungen ist ja auch gerade bei Küchen sehr groß, da jede Küche durch die umgebende Architektur zwangsläufig anders ist. Genau an dieser Stelle hat es auch sehr viel Sinn, so zu arbeiten. Und dann werden auch die Chancen am Markt wesentlich verbessert.

Um noch mal auf das Regal zurückzukommen: Du hast in deinem Vortrag auch erwähnt, dass es Teil des Konzepts ist, dass die Oberfläche eben nicht perfekt ist, da das Material recycelt ist und damit auch eine Geschichte erzählt. Was wäre für dich ein perfektes Produkt oder was bedeutet für dich Perfektion bei Produkten?Arne Jacobsen und Verner Panton sind zwei Namen, bei denen ich eine ge-wisse Produktperfektion sehe. Oder Charles und Ray Eames, die einige der absoluten Möbelklassiker entworfen haben. Da ist formal nichts mehr hin-zuzufügen. Wahrscheinlich ist das Thema Stühle genau das richtige, um über Perfektion zu sprechen. Warum sollte man noch den zehnmillionsten Stuhl entwerfen, dazu ist eigentlich alles gesagt? Für mich liegt das Interesse eher – gerade im Bereich des Recyclings – beim Thema Ästhetik der Fehler. Ich versuche da dem Möbel einen Charakter zu geben, eine Geschichte zu entlocken und das auch als Marketing-Aspekt zu sehen. Das kann man dann durchaus auch nach vorne stellen und sagen: Dieses Möbel hat mit seiner Geschichte eine Berechtigung zu existieren. Dieser Hintergrund erhöht dann auch die Lebenszeit des Objekts immens.

Also siehst du Unvollkommenheit eher positiv an dieser Stelle?Ich finde das sehr spannend! Diese Imperfektion ist auch etwas, woran der Blick hängen bleibt. So wie mit dem Regal „Frank“. Jeder, der es in der Wohnung stehen hat, er-zählt seinen Besuchern die Geschichte dazu. Dieses Teil gehörte mal zum Schrank, jenes war mal ein Schreibtisch und jetzt ist alles hier vereint in einem Möbel und eben nicht in der Müllverbrennungsanlage.Wir verkaufen ja auch Regale in Berlin und bringen die dann nicht alle zwei Monate mit dem LKW nach Berlin, sondern machen uns wirklich an die Sperrmüllhaufen in Berlin, an die Müllentsorger und produzieren vor Ort. Sich ein bisschen als Parasit benehmen und selbst die neue Produktion auf-bauen, regional, keine großen Transportwege und auf schnellstmöglichem

Page 111: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

110

Weg wieder in die Haushalte. Dass man da einfach mal andere Ansatzpunkte hat. Das ist noch ein sehr langer Weg, aber da wird noch einiges passieren.

Gab es denn schon mal ein Projekt, an das du dich ganz besonders erinnerst, weil dort viel improvisiert wurde, wo irgendwelche Notlösungen gefunden wurden?Das aktuellste Projekt, was ja auch gerade noch im Fernsehen bei ZDF Neo läuft, heißt „das Schrotthotel“. Da wurde extrem viel improvisiert. Dort sind wir sehr motiviert in das Projekt hineingegangen, aber das Budget wurde dann sehr stark gekürzt. Auch zwischenmenschlich war nicht immer alles so einfach und letztendlich muss man sagen, dass das Endergebnis sehr unbefriedigend war. Klar im Fernsehen ist ja alles noch einmal eine ganz andere Sache, da geht es um andere Interessen. Es geht viel stärker um vi-suelle Inhalte, da will man Bilder sehen und alles, was dahintersteht. Ob der Schrank zwei Monate hält, das interessiert die Leute vom Fernsehen in dem Moment eben nicht. Aber wir haben da schon sehr viel improvisieren müssen und waren danach auch wirklich fix und fertig. Am Ende waren wir dann ganz froh, als das Filmteam irgendwann abgereist ist. Leider kommen die eigene Arbeit und die Ideen, die man da reingesteckt hat, nicht immer so rüber, wie man das gerne möchte. Vielleicht waren es gute Bilder, aber es hat leider mit dem Anspruch nicht funktioniert.

Also ist die Improvisation in dem Fall gescheitert?Würde ich so sagen. Wir waren unzufrieden mit der ganzen Sache. Ich habe die Thematik als spannend empfunden, gerade in einem Hotel mit Gebrauchsspuren zu arbeiten, mit Second-Hand und der Geschichte. Das konnte man leider in dem Fernsehbeitrag nicht so realisieren.

Vielen Dank!

Page 112: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll
Page 113: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

Philipp Haffmans Improvisation ist, am Objekt zu experimentieren. Trial and Error.

Page 114: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

113

Philipp Haffmans (*1968) lebt und arbeitet in Berlin. Der gebürtige Bonner ist Mitgründer und Head of Design beim Brillenhersteller Mykita.

Haffmans studierte 1992 bis 2002 an der UdK Berlin Produktdesign und lern-te dort Harald Gottschling kennen, mit dem er bereits 1996 das Brillenlabel ic! Berlin gründete. Das Duo entwarf Brillen mit schraubenlosen Gelenken aus Edelstahlblech, die den Brillenmarkt revolutionierten. Auf der Suche nach neuen gestalterischen Möglichkeiten stiegen beide 2003 bei ic! aus und gründeten 2004 mit Moritz Krüger und Philipp Haffmans Bruder Da-niel als Geschäftsführer die Firma Mykita, die seit ihrem ersten schnellen Erfolg stetig wächst und deren Produkte weltweit vertrieben werden. Die innovativen Produkte im Premiumsegment beschränken sich nicht mehr auf das Material Stahlblech. Auch Kunststoffe werden verarbeitet und in der Manufaktur in Berlin Mitte zu Brillen gemacht, mittlerweile ein Betrieb mit über 100 Mitarbeitern. Haffmans hat mit Mykita diverse Designpreise wie den iF Award, Red Dot Design Award und Good Design Japan gewonnen und ist nominiert für den Gründerpreis der Bundesrepublik Deutschland.

Glaubst du, dass man am Computer entwerfen und dabei improvisieren kann?Ja, das glaube ich auf jeden Fall. Der Computer ist genauso ein Werkzeug wie ein Hammer oder eine Feile. Wenn man an einem Stück Holz oder etwas Materiellem arbeitet, kommt man beim Machen auf gute Ideen. Zumindest geht mir das so, dass ich mir etwas vorstellen will und es dann mit realen Werkzeugen dreidimensional wird. Für mich hat sich der Computer auch zum Werkzeug entwickelt. Mein Part-ner Harald und ich arbeiten hauptsächlich mit 2D, zu 3D haben wir oder zumindest ich es nicht mehr heraufgeschafft, das gab es noch nicht, als ich studiert habe. Wir haben Mitarbeiter, die da sehr firm sind, und das Tool beherrschen, als wäre es ein dreidimensionales Objekt. Wenn man soweit ist, kann man spie-lerisch damit umgehen. Das mache ich mit meinem 2D auch. Es gibt dabei immer wieder Zufallskomponenten, genauso wie im realen Modelling.

Ihr habt ja, nachdem ihr ic! Berlin verlassen habt, eine neue Firma gegründet. Wurde in dieser Anfangsphase auch improvisiert?Bereits bei unserer ersten Gründung haben wir improvisiert. Das war vielleicht noch improvisatorischer, weil wir direkt aus dem Studi-um irgendwie angefangen haben. Zu einer Gründung gehören viele Dinge, zum Beispiel das Einrichten eines Arbeitsraums. Wir sind damals, Anfang der neunziger Jahre, auf den Flohmärkten in Berlin herumgestreunt und haben dort unser Mobiliar und unsere Werkzeuge zusammengesucht. Sehr viele Dinge begleiten uns auch bis heute. Dieses Schwerlastregal von Dexmann zum Beispiel, dieses graue ist die Ur-form des Schwerlastregals, das irgendwann in den Dreißigern entwickelt wurde. Wir haben es auf dem Flohmarkt gefunden. Die Alliierten hatten

Page 115: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

114

es zurückgelassen, als sie abgehauen sind aus Deutschland, und es befand sich in den Bestän-den der britischen Armee. Wir haben es ausei-nander gebaut und unsere Büromöbel damit gemacht, weil wir auch diese Industrieästhetik sehr mochten, und das war etwas, dass uns im-mer begeistert hat. Weil wir auch immer wieder umziehen mussten oder Räume umgestalten mussten, war es ideal, denn es war modular und ließ sich an jegliche Si-tuation anpassen. Und später dann, als wir unseren ersten Shop er-öffnet haben, 2007, wurde das dann auch noch Element der Inneneinrichtung.Das war auch immer Thema bei uns, dass man die Dinge aus dem Kontext herausnimmt und irgend-wo anders wieder hereinstellt. Genauso wie diese Flugzeugtrolleys und Kästen, die sind auch ständiger Begleiter über Jahre gewe-sen sind. Es sind tolle Mittel zur Einrichtung oder auch als privates Möbel. Man kann es hin- und herziehen, diese Bewegung in den Dingen war immer sehr interessant für uns. Was das Finden eines neuen Brillengelenks an-geht, das war immer Trial and Error und da wird viel improvisiert und gekuckt, allein um über-haupt die Werkzeuge herzustellen und dieses, was wir uns da ausgedacht haben, umzuformen. Damals haben wir uns Werkzeugstahl gekauft und uns an die Fräse gesetzt und dann hat man ein bisschen probiert. Natürlich gab es auch eine technische Zeichnung, aber viel hat auch mit Tri-al and Error und Ausprobieren zu tun.

Was beinhaltet das Wort Improvisation?Im Grunde habe ich es vorher schon ein bisschen angedeutet, es ist, am Objekt Dinge auszuprobie-ren und dabei auf neue Lösungen zu kommen. Wenn man so in die Geschichte schaut, geht es vielen so, einige haben zehn Jahre in ihrer Kam-mer verbracht, um irgendetwas herauszufinden. Dazu gehört noch ein anderer Aspekt, nämlich so etwas wie ein Protegé, ein Geldgeber, der einem auch diesen Raum ermöglicht.

„Alois“, Sonnenbrille Mykita (2009)

Page 116: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

115

Berlin war dafür ein interessanter Startpunkt, weil es eine Stadt des Um-bruchs nach der Wende war, und Raum bot, um solche Dinge überhaupt zu ermöglichen. Was ein guter Kontext ist, um improvisatorisch zu arbeiten? In Berlin war es so, dass viel leer stand und man sich eigentlich aussuchen konnte, wo man billig mieten wollte. Mitten im Zentrum, und das ist ja eigentlich das Entscheidende daran, dass man nicht irgendwo raus in die Peripherie muss, um preiswert irgendwo zu sein. In der Kita, unserem ersten Objekt, haben wir 3,50 Euro warm pro Quadrat-meter bezahlt. Das waren Sonderkonditionen für Objekte, die früher dem Staat gehörten, von der Treuhand verwaltet wurden und die keiner so recht haben wollte, weil sie nicht so richtig nutzbar waren. In unserem Fall war es eine ehemalige Kita und das war dann erstmal nach der Trennung wieder ein Neuanfang. Dann haben wir diesen Ort, die Kita, gefunden und konnten uns dort ausbreiten. Zunächst haben wir vier Räu-me gemietet und die anderen untervermietet. Die wurden dann sukzessive erobert, als wir weiter gewachsen sind.

Arbeitest du eher analytisch und strategisch oder spontan und aus der Situa-tion heraus? Ich arbeite eher spontan und aus der Situation heraus. Natürlich gibt es immer Planungen und gewisse Regeln und das Gesetz des Marktes, dem wir natürlich auch unterliegen. Wenn es eine besondere Brille gibt, die ich schon lange im Kopf habe, dann wird erst mal losgelegt und ausprobiert. Dann liegt die Brille auf dem Tisch und man schaut an, ob sie auch in diese Kollektion hineinpasst oder nicht. Wenn wir 20 Brillen pro Messe realisieren, dann haben wir ungefähr 200 bis 250 Prototypen, die dahinterstehen. Die 20 realisierten Modelle sind die Essenz von vielen Gesprächen, von „wieder in die Schublade legen“, verges-sen und wieder herausholen.

Gibt es irgendein Designprodukt, das du als vollkommen makellos und perfekt betrachtest?Es gibt viele Dinge, die im Laufe der Zeit zu Klassiker werden. Fast immer liegt ein zeitlicher Abstand, also zwei Dekaden oder so, dazwi-schen. Das Problem am Klassiker ist, dass er eine soziale Stellung erreicht hat und als Statussymbol benutzt wird. Und obwohl ich es schön und vielleicht auch perfekt finde, würde ich es mir nicht anschaffen, weil es zu stark aufgeladen ist mit sozialem Prestige. Genau wie der Porsche 911. Als Reüssierter kann man sich den leisten, den „stellt man sich halt hin“. So ist es vielleicht auch mit einem Stuhl oder ir-gendwelchen Lampen. Das ist dann nicht mehr meins, weil es schon einen zu starken allgemeinen Wert hat.

Page 117: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

116

Findest du, dass Produkte auch unvollkommen sein können? Ja, ich glaube, daran mangelt vielleicht auch vieles. Die Frage ist, wie definiert man Vollkommenheit? In der Perfektion liegt die Langeweile. Und etwas mit Ecken und Kanten ist durchaus das inter-essantere.Gerade im Automobildesign schielen die Leute immer sehr nach dem End-consumer und sagen: „Wir müssen es dem recht machen, ansonsten kauft es keiner“. Also wird analysiert bis zum Abwinken und dabei kommt der kleinste ge-meinsame Nenner heraus. Damit wird die große Langeweile kreiert.Es gibt eben wenig Originelles. Es fehlen Dinge, bei denen man sagen wür-de: „Das spricht mich jetzt an, weil es gerade eben etwas unperfektes hat oder eben nicht dem „Aero“ oder der Crashtestnorm in hundertprozentiger Weise entspricht.“ Daran mangelt es vielleicht auch dem heutigen Design: Es entscheiden einfach zu viele Leute mit. So können die Dinge nicht impulsiv geschehen, wie das noch in den siebziger Jahren möglich war, wo die Ap-parate der Analyse und der Marktforschung nicht so ausgefeilt waren wie jetzt. Da wurden Dinge einfach durchgesetzt. Und Designer hatten einen stärkeren Stellenwert. Das kann man zum Beispiel an Daytona und seinem Designstudio sehen. Ihnen wurde geglaubt, da war nicht noch die Marke-tingabteilung, die gesagt hat: „Nee das geht jetzt aber nicht.“

Und Vielfalt bedeutet für dich, dass Dinge nicht unbedingt immer perfekt sind?Ja, Vielfalt und Unvollkommenheit im Sinne von: Es muss nicht immer den Regeln entsprechen. Sicherheitsnormen zum Beispiel haben heute einen riesigen Stellenwert. Die beeinflussen das Design sehr stark. Das Automo-bildesign sähe anders aus, wenn die Safetydiskussion nicht so stark im Vor-dergrund stehen würde. Oder wenn man Sicherheitsfragen anders lösen könnte.Diese Gesellschaft verändert sich gerade in Richtung Angst und Sicherheit: Bloß kein Risiko eingehen.

Kann Improvisation oder Ad hoc eine Taktik im Design sein? Ich denke, dass es eine sehr persönliche Sache ist. Und wenn man in einem Team arbeitet, dann hat der eine vielleicht Qualitäten, die der andere nicht hat. Das bestimmt dann die Qualität des Endproduktes.

Der Entwurfsprozess hängt also davon hab, wer daran beteiligt ist, und lässt sich auch nicht planen? Wir leben hier in einer relativ speziellen Welt des Designs. Eine Brille inter-agiert immer sehr stark mit dem Gesicht. Es gibt unheimlich viel Trial and Error. Bei uns macht eine Differenz von einem zehntel Millimeter schon eine an-dere Brille. Wir müssen so lange probieren, bis wir die Richtige haben.

Page 118: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

117

Wenn also der Entwurf nicht sitzt, dann müssen wir noch mal ausschneiden, noch mal kucken. Wir müssen uns in mehreren Versuchen an die richtige Shape herantasten. Und das kann man überhaupt nicht planen. Der etwas freiere Bereich ist sicherlich der Modebereich. Denn dort geht es nicht so sehr um die Interaktion der Brille mit dem Gesicht, sondern um das Objekt „Brille“ als solches. Es gibt also Entwürfe, an denen man lange feilt, um eine Harmonie zwischen Brille und Träger zu schaffen. Und dann gibt es andere, wo Disharmonie herrschen darf und man mit der Gesetzgebung der Harmonie nachlässiger sein kann. Da kommt dann wieder etwas Interessantes und Neues heraus, was aller-dings in der Regel kein Massenprodukt ist, sondern eher etwas, das die Per-sönlichkeit unterstützt. Womit man sich verkleiden kann, was absurd ist und was Aufmerksamkeit erregt, weil es eben anders ist. Und es hat auch einen anderen Kontext. Es geht ja diesmal nicht darum, die Menschen in ihren Alltagsbedürfnissen zu versorgen, sondern darum, Aufmerksamkeit zu erregen und sich zu verkleiden.

Vielen Dank!

Page 119: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

Jerszy Seymour Ad hoc means acting fast, but with sharp mental accuracy.

Page 120: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

119

Jerszy Seymour (*1968) lebt und arbeitet in Berlin, er kommt ursprünglich aus Kanada und wuchs in London auf. Zunächst studierte er Ingenieurswis-senschaften an der South Bank Polytechnic in London, dann studierte er von 1991 bis 1993 Industriedesign am Royal College of Art. Mit seinem Studio war Jerszy Seymour von 1999 bis 2004 in Mailand ansäs-sig. Dort realisierte er Projekte wie „Tape“ und „Scum“. Neben Projekten, die in das Feld der Kunst hineinreichen, hat er auch industrielle Produkte für Firmen wie Magis und Moulinex entwickelt. Seine Arbeiten und Editionen wurden in verschiedenen Design Museen und Galerien ausgestellt, unter anderem im Vitra Design Museum in Basel und Berlin, in der Galerie Kreo in Paris. Jerszy Seymour hat bereits am Royal College of Art, an der Domus Acadamy in Mailand, am ECAL in Lausanne und an der HFG in Karlsruhe gelehrt. Er hat auch mehrere Vitra Workshops in Boisbuchet geleitet. Im Mo-ment ist er Gastprofessor an der HBK Saar.

Den Kern seiner Arbeit bilden experimentelle Projekte, oft in Zusammen-arbeit mit Museen und im Rahmen verschiedener Workshops. Dabei ist ein Schwerpunkt der Umgang mit dem Material Polyurethanschaum („Scum“), den er in Reinform verwendet. Mit dem sich aufblähenden Material reali-siert Seymour riesige Installationen („Brussels Brain“), aber auch kleinere Objekte wie eine Leuchte, deren Schirm mit Schaum überzogen ist. Im Rah-men einer Vitra Edition („New Order“, 2007) hat er einen Plastikgartenstuhl mit blauem Schaum gepolstert und zusätzlich manipuliert, indem er Gelen-ke an den Armlehnen und eine Kopfstütze hinzugefügt hat. Ein weiterer Teil seiner Arbeit sind Möbel aus einem Kunststoff aus Kartof-felmehl, den er selbst entwickelt hat und der in Schlieren über Formen aus Sand gegossen wird. So entstehen, mittels Überlagerung, unterschiedliche Formen von Möbeln mit zufälliger Struktur, die aus einem ökologisch sinn-vollem Material bestehen:„Can we find a way to make a sustainable self running system, a place where design and the objects it produces can have meaning and value? A way of living that is dignified to the individual and caring to the world? Do you care too? The discussion begins from here.“136

Jerszy Seymour beschäftigen nicht nur Fragen nach der Nachhaltigkeit sei-ner Produkte, sein Ansatz ist ganzheitlicher Art. Er sieht seine Arbeit als Griff in die Zukunft unserer globalisierten, medialisierten Gesellschaft. Er beschäftigt sich mit den grundsätzlichsten Fragen unserer Existenz und hierbei geht er zurück zu den ursprünglichen Motivationen für unsere Handlungen. Dazu gehört die Frage nach Selbstbestimmung und Überle-ben, die Frage nach der Notwenigkeit von Konsum an sich und die Frage nach dem Anfang der kreativen Handlungen des Menschen. („and then it becomes the beginning“) Nachdem ihn die Themen Schaum, Imperfektion, Dreck und Zufall beschäftigten, ist nun der Prozess, der sich im stetigen Fluss

136) www.jerszyseymour.com

Page 121: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

120

befindet und sich kontinuierlich weiterentwi-ckelt, ein wichtiger Teil seiner Arbeit („the Meta-phor of the river“). Viele seine Arbeiten weisen durch die Konzepti-on und den Umgang mit dem Material ein ganz neues Formenrepertoire auf, das jenseits der in-dustriellen Fertigungsmethoden liegt.

Coalition of Amateurs – die Vereinigung der Ama-teure – berührt nicht nur das Thema Laien und Profis, sondern auch die Frage der Selbstermächti-gung, das Thema der postindustriellen Produkti-on und, aus meiner Sicht, auch das Thema Ad hoc und Improvisation.Ad hoc ist das Projekt vor allem deshalb, weil es in einem bestimmten Kontext entstand, inner-halb eines Versuchsaufbaus, den sich der Desig-ner selbst geschaffen hat, um aus dieser Situati-on heraus spontan entwickeln zu können. Jerszy Seymour verwendet Materialien und Formen, die es ihm erlauben, Objekte selbst vor Ort und auf Nachfrage zu reproduzieren.

What do improvisation/ad hoc mean to you?These two words are already loaded with certain pasts. In 68‘ there was situationism; if we think about improvisation and ad hoc in design history, there was for example the „Neue Deutsche Welle“ in the 80s and their exhibition „Kaufhaus des Os-tens“. The movement was not really considered. They were poking fun at the establishment, but now, I would say, that‘s a little bit over. So what do ad hoc and Situationism have to do with now? I think today ad hoc in design is something else. It‘s really a strategy for the future.Ad hoc and improvisation are now relevant in ur-ban planning and architecture.

Improvisation and ad hoc was always about: We could make a table, so we‘ve got a table. And my work has always not been about „making a table“, but it‘s about how we can make it. And what that making does, and what that mo-ment where you are able to decide how you are going to make it like means. Psychologically it‘s about this moment of the decision.

„Coalition of Amateurs“ MUDAM Luxemburg, 2009

Die Objekte sind aus unterschiedlichen Materiali-

en und Objekten zusammengesetzt. Die Verbindung ist

eine Art Wachs, der erwärmt werden kann und eine

zähe, bunte Knetmasse ergibt. Die Knetmasse wird mit

den bloßen Händen verarbeitet, deshalb ist die-

se Form der Herstellung ein direktes und schnelles

Verfahren. Farben, Materialien und bereits bestehen-

de Objekte können ad hoc verbunden werden. Jerszy

Seymour stellt Werkstoff und Bezugsquelle auf seiner

Website bereit, so kann jeder selber tätig werden.

„Coalition of Amateurs“ ist ein Open-Source Projekt.

„Being There“, Jerszy Seymour „River Workshop“

in der Villa Noialles, 2009

Page 122: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

121

In fact, what is interesting about improvisation and what is interesting with ad hoc, is actually the simplage of the action – saying something which is easy to make „like that“ – and it‘s enough. It doesn‘t have to be injection moulded, for example. I don‘t like the ad hoc of the 80s, because ad hoc can be much more: It means dealing with the situation. You are somewhere, and it means making quite accurate things from what is available around. You can make it fast, but with sharp mental accuracy. Something improvised is making something I need, or I can‘t have. The im-provisation, these words have the association to not really consideration. The great thing about it is that we don‘t need to produce anything. What you need to know is how to move yourself in decisions. Ad hoc is that I managed to make the decision within clarity, accuracy, and calmness. I find the term ad hoc more adequate than the term improvisation.

Was there a project where ad hoc and improvisation were significant?I just did a project with students, which was about landing in the world naked. You land with nothing and you have to deal with your world. With one group, I really pushed them towards a project where you have to make a decision every five seconds. The modern society basically makes everything into a set of rules and stops people having the ability to take basic decisions. We are so used to the „me-dical society“ where everything is packed, save and okay, that we loose the response. My first response to a situation is ok, because of this first feeling, because I‘m not scared. What would make the thing stupid are the fear and the panic. What makes it interesting is figuring out how to accept that mo-ment. In the first place it‘s about making the decision, and then the situation will be okay.

Another project was the „Coalition of Amateurs“-project at Mudam in Lux-embourg. The planning was to act without planning, which is the most free position a human being can be in. It is possible that that freedom was that moment until we, the human species, became domesticated, and we became domesticated quite quickly, just because it was a bit easier to survive. That‘s almost like Nietzsches Superman – it was a hypothetical status. As an opposite to the other side of the society which was completely rigid and planned.

And there it comes back to the farming point where we have this decision about: Do we all want to be hunters or farmers? I would rather be a hunter than a farmer, because of the liberty. You just go out without nothing; when you need a shelter, when you need some food – you just get that. That‘s the freedom that people must have. Looking at the society we live in right now, we are all farmers, so we have to deal with being farmers.

Page 123: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

122

So you would say the hunter is more the ad hoc kind of person?Yes, absolutely. Maybe the hunter gets attacked by a bear. He has to decide very quickly, and he starts to run. And even then you start to have a few thoughts. It‘s very exhausting. Maybe he easily starts thinking: „I just plant some trees so that I don‘t have to walk so far and run that much to find food.“

What is a good context to have ideas? There is for sure some context. Some of the amateur exhibitions for example, they actually were planned, because things of that scale have to be planned. As much as the idea was for them to be as little planned as possible. If I look at my projects anyway, there is a flow and a growth, which in a way is the situation I created for myself to work in. So, when you start working on a project, the point is: Where do I start? Do I start with a pretty shape or can I understand the production process? I can also start with disparate informa-tion and points of views all over the place. Gradually, you manage to form that into something that makes sense.In my case, what I found as my context is the metaphor of a river – and that was the project in the villa Noailles in Hyéres („Being there“). It was a com-plete metaphor about the past, the present and future. It‘s a big diagram that always talks about what future projects will be. They go off in all different directions and in all different possibilities. When you ask me: „What is a good situation to have ideas?“ Then I have to say: the river for me, because that is the construct I created for myself to work in.

What would you consider a perfect product? Do you think we should accept imperfection?Of course, we should accept imperfection, because if there would be a per-fect human being, there would be a perfect product, and as we know, there will never be a perfect human being. This has always been the problem of design‘s short history and its connection to modernism and industrializa-tion – that we think we can make the perfect product, that this should be important. In contrast, we are asked to be very efficient with materials. I played with the idea of imperfection in my own work, but now, for me, it is more the Idea of the river.The perfection of the product relates to modernist production, which is a very efficient machine. And the perfection of the Amateur Chair is in what I would call the modern-Modern. It‘s perfection is in something completely eliberated from this modernist machine. We are now at the point to produce it for 40 euros, so you get it for 200 euros, which is an appropriate price. Also, I see no difference between working with machines and working by hand, you can put soul into both things. I‘ve done days where, in the morning, I was with glassblowers in Venice, with only 2000 euros technique, and in the afternoon I was in a very big shed with the most complicated injection moulding machine.

Page 124: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

123

In a way, the perfect is looking rather for the system and the planning than for the anarchy, and a system considered without any humour is not inte-resting.

Do you think that computers enable us, the designers, to improvise?As much as any other tool. I‘m not against the computer or for it, because you can‘t improvise with a hammer or a drill either. Improvisation does not so much happen with a tool, it happens in your head. If I do something that needs the computer, I just use it. I wonder about our connectivity, more than about computers. I wonder about the effect of connective products like mobiles etc. Maybe it even blocks us from improvising, because of this whole net around us, which actually means to have less freedom.

Do you work analytical or more immediate and spontaneous?Both. There is a part where it‘s just working with a strategy and then there is parts where I just think that something is right. Sometimes I‘m trying to work out why you feel that something is right. But the feeling ends up being the right thing.

Do you think ad hoc can be tool?It depends on how you define ad hoc. And it depends on what you mean by design. I think it is more a tool in mind rather than in design. Let‘s say not using ad hoc, but being able to deal with the moment and the situation is not so much a tool as an attitude, it is a way of thinking.

Ad hoc still is life and its approach to life, Its more more about deliberation of the human mentality and decide whether we have a chair or a table. Pro-bably it might work very well in the continuation of modern production. There is no argument against what ad hoc was in the eighties, and I even had discussions with Rolf Fehlbaum about what this is. Basically the objects never worked very well, because they end up costing more than a project that has been planned from the beginning. What can be also interesting about improvisation – and about ad hoc is, that this making of things is quite important. But not only for the designers, of course, but for everybody. The making is actually more important than the consuming.

Thank you!

Page 125: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

Hermann Weizenegger Ad hoc ist die Visualisierung einer Idee, aus dem Stand heraus. Improvisieren und Experimentieren.

Page 126: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

125

Hermann Weizenegger (*1963) lebt in Berlin. Neben der Arbeit im eigenen Studio in Kreuzberg (Atelier HAW) lehrt er als Professor für Industriedesign an der FH Potsdam.Hermann Weizenegger studierte an der UDK in Berlin Industriedesign und arbeitete als freier Designer bei der Produkt Entwicklung Roericht in Ulm, wo er Oliver Vogt kennenlernte. Gemeinsam machten sie sich selbststän-dig. Das erste Projekt von Vogt und Weizenegger, die „Blaupause“ (1993), war bereits sehr konzeptionell: Anstelle von fertigen Möbeln wurden Pläne verkauft. Die Möbel mussten von den Konsumenten selbst gebaut werden. Darauf folgten weitere Projekte wie die „Imaginäre Manufaktur“, die „Fabrik der Zukunft“ (eine Zusammenarbeit mit der Berliner Blindenanstalt), und der „Sinterchair“, ein Stuhl, der maßgeschneidert im Lasersinterverfahren hergestellt wird. V+W sind auch maßgeblich an der Konzeption des Berliner Designmais beteiligt gewesen. Aufgrund ihrer Arbeiten, die sich nicht nur mit dem einzelnen Produkt, sondern auch mit dem Kontext und dem Sys-tem, in das ein Produkt eingebettet ist, beschäftigen, genießen beide einen weltweiten Ruf als Designer.

Ihre Arbeiten befinden sich in den ständigen Sammlungen vieler Museen, darunter das Vitra Design Museum in Basel, das Martha Herford und die neue Sammlung in der Pinakothek der Moderne in München. Im Martha Herford hatten sie zuletzt eine große Einzelausstellung, die ihre Themen und Konzepte in einen Zusammenhang brachte, die „V+W Designmatrix“. Mit ihren Konzepten und Produkten haben V+W zahlreiche Preise gewonnen. Sie haben mit kleineren Unternehmen und internationalen Firmen zusam-mengearbeitet, darunter Mandarina Duck, Möve, Nike, Rosenthal, Thonet, Authentics, Smart und Sigg. Nach 15 Jahren gemeinsamer Zusammenarbeit hat sich das Duo getrennt. Nun operieren beide auf eigenen Feldern.

Mit seinem neuen Studio hat Hermann Weizenegger neue eigene Projekte realisiert. Eines davon ist „Digital Couture“. Hierbei wird ein Grundkörper in Schichten zerlegt, die dann aus Textilien oder Papier ausgelagert werden. Aufgefädelt oder übereinandergelegt finden die Einzelteile zurück zur drei-dimensionalen Form. So können Objekte wie Haute Couture hergestellt wer-den, ohne den aufwendigen Prozess einer industriellen Fertigung. Hermann Weizenegger verbindet traditionelles Handwerk mit digitalen Techniken und gelangt darüber zu komplexen organischen Formen.

War bei der Entwicklung des Sinterchair Improvisation im Spiel?Nein, der Sinterchair war ein richtiges Produktentwicklungsprojekt, fast ein klassischer Produktentwurf. Das Spannende daran war aber, dass wir schon vorab ein Projekt gemacht haben, in der Galerie Schipper und Chrome. Dort haben wir viel experimentiert, und zwar innerhalb eines Szenarios, das wir in der Galerie aufgebaut haben. Die Ausstellung wurde mit leeren Regalen eröffnet und dort haben wir mit einem Wachsdrucker gearbeitet, der uns physische Modelle machte, die dann nach und nach die Regale füllten.

Page 127: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

126

Innerhalb von vier Wochen haben wir aus der Ma-schine herausgeholt, was herauszuholen war. Den Wachsdrucker haben wir wirklich als 3D-Drucker im Designprozess verwendet. Dabei haben wir ein Projekt für Rosenthal realisiert: die Units.

In der Phase des Sinterchair-Projekts (2002) war die Improvisation oder das Experiment eher gering, denn wir mussten innerhalb von sechs Wochen ein Konzept für den Messeauftritt in Frankfurt bei der Ambiente entwickeln. Die Aus-stellung innerhalb dieser Messe war ein relativ aufwendiges Ausstellungsdesign inklusive der Entwicklung eines Produkts. Das sollte live in der Ausstellung mit einer Lasersintermaschine produziert werden. Da war ein wahnsinniger Zeitdruck. Plant man so eine Ausstellung, die auch mit Investitionen verbunden ist, entsteht eine große Erwartungshaltung, die Leute wollen Ergebnisse sehen.Heute würde ich sagen, man hätte mit dieser Ma-schine, hätte man nicht die Ausstellung so sehr im Fokus gehabt, mit mehr Versuchen entwickeln können. Man hätte die Möglichkeiten des Verfah-rens mehr ausschöpfen, weiter ausholen, mehr spinnen können, um dann zum Schluss einen Stuhl zu entwickeln. Ich würde sagen, deshalb ist der Sinterchair auf eine bestimmte Art klassisch-konventionell und kann trotz allem nur mittels der Lasersintertech-nologie hergestellt werden.Das Experiment war unser Konzept, die „Fab-rik der Zukunft“ („Liquefaction of Form“). Und die Übertragung dieses Konzepts auf die Ge-sellschaft, das ist eigentlich so ein bisschen von Frithjof Bergmann inspiriert: Wie wird sich die Gesellschaft verändern? Und wie werden sich Produkte verändern? Wie wird Produktion wieder nachvollziehbar? Wie findet Produktion wieder in der Community statt?

Aber das ist dann doch ad hoc, wenn man innerhalb eines kurzen Zeitrahmens genau für diesen einen Messeauftritt einen Stuhl entwickelt. Der dann vor Ort hergestellt wird ...?Das finde ich nicht. Das Konzept hatte einen gu-ten theoretischen Background. Das Produkt an

„Sinterchair“, Vogt und Weizenegger, 2002.

Die Lasersintertechnologie wurde bis 2002 nur von

der Luft- und Raumfahrtindustrie genutzt. Vogt und

Weizenegger haben den ersten Stuhl in diesem Ver-

fahren hergestellt. Der Sinterchair kann auf Wunsch

angepasst werden, er entsteht direkt in der Maschi-

ne. Durch diese Art der Fertigung fallen Kosten für

Lagerung, Werkzeugbau, Maschinen und Vertrieb weg.

Der Sinterchair und sein Konzept öffnen ein völlig

neues Feld: Konsumenten, die zu Produzenten werden,

Designer, die ohne Industrie wieder selbst und

vor Ort produzieren.

Page 128: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

127

sich war eine konventionelle Entwicklung, die in einem sehr kurzen Rah-men passiert ist, aber für mich ist das nicht ad hoc.

Glaubst du, dass das Entwerfen mit dem Computer Ad hoc erlaubt?Ja, auf alle Fälle. Aus meiner Sicht ist der Computer ein schnelles gestalteri-sches Werkzeug genauso wie ein Karton und ein Cutter. Es gibt da zwei Ebenen. Die eine ist die physische Ebene, wie ich, relativ schnell – aus dem Stand heraus – und das meinst du wahrscheinlich. Ich nehme Papier, das ich mehr oder weniger falte, und dann habe ich sofort ein Objekt, über das ich kommuniziere. Die andere Ebene ist der Computer, mit dem man auch Dinge aus dem Stand heraus sichtbar macht. Schnell über den Computer eine Form zu generieren, ist ad hoc. Bist du da schnell, dann bist du ad hoc.

Gab es denn ein Projekt, bei dem du viel improvisiert hast?Ja, wenn ich mein aktuelles Projekt betrachte, Digital Couture, da haben wir wahnsinnig viel improvisiert. Die Improvisation und das schnelle Hand-Kopf-Verhältnis entstehen, wenn das Material die Form der Leuchte verändert: Seide hat zum Beispiel eine ganz andere Konsistenz als Yupopapier. Ich musste relativ viel improvisie-ren, da ich nie wusste, wie das Material reagieren wird, wie sich der Fal-tenwurf verändert, wenn ich die Teile zusammenfüge. Ich konnte es nicht einmal vorahnen. Ich musste also mit der Situation umgehen. Denn wenn du ein Material benutzt, das ein Eigenleben hat, entsteht etwas Neues. Was mit dem Mate-rial passiert, muss ich analysieren und übertragen, eventuell sogar in eine neue Form. Ich finde das Beobachten und das Lernen aus den Dingen an dieser Stelle ganz wichtig. Das Weiterentwickeln ist das Spannende: mehr oder weniger Falten? Denn bei Holz oder Metall weiß ich, dass ich genau die Form bekomme, die ich mit dem Computer konstruiere. Ich weiß, wie das Ding rauskommt, da ändert sich physisch nichts. Wenn das Material aber ein Eigenleben besitzt, dann muss ich darauf reagieren und das Textil ist wunderbar dafür.

Was beinhalten für dich die Begriffe Improvisation und Ad hoc?Improvisation ist für mich eine Art Ersatzhandlung. Wenn du einen Mes-sestand machst, dann musst du am Schluss improvisieren, weil: Der Nagel geht nicht durch die Wand. Also klebe ich Gaffa-Band drauf und hänge da das Ding dran. Es war anders geplant und es musste improvisiert werden. Das kann kreativ sein, ist aber fast ein bisschen negativ. Deshalb mag man Ad hoc lieber, weil man nie das Gefühl hat, das wäre im-provisiert, sondern aus dem Stand heraus, spontan gemacht. Ad hoc ist für mich, etwas sichtbar zu machen, aus dem Stand heraus und in einer relativ schnellen Zeit. Tagelang niederkomplexe Objekte zu machen, ist für mich nicht ad hoc.

Page 129: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

128

Was ist für dich ein guter Kontext, um zu entwerfen, um Ideen zu entwik-keln?Ich glaube, eine gute Situation ist, wenn man ein offenes, inspirierendes Umfeld hat. Für mich ist es schwierig, in einem kleinen Kämmerchen ab-geschlossen von Allem zu designen. Ich brauche relativ großen Bewegungs-auslauf. Ich kann super gestalten, wenn ich hier bin. Drei Stunden und dann gehe ich ins Schwimmbad und kraule 1000 Meter und während ich kraule, mache ich schon wieder zehn Entwürfe. Dann komme ich wieder zurück und mache weiter. Ich glaube, das ist ein gutes Setup. Hat man einen Ad-hoc-Arbeitsplatz, mit schnellem Zugriff auf einen Cutter, Karton, Kleber usw., also wenige Mittel, ist das auch ein gutes Setup. Du schneidest etwas zu – und Zack.

Arbeitest du analytisch-strategisch oder eher spontan?Beides. Spontan sind Dinge, die im Prozess entstehen, die ein Abfallprodukt meiner Strategie sind, die nebenbei entstehen. Ich baue einen sehr strengen konzeptionellen Rahmen um das, was ich mache. Und versuche, das narrativ – eine Geschichtenerzählung sozusagen – als Gesamtpaket zu schnüren. In dem Paket gibt es einzelne Aspekte, die spannend sind. Digital Couture ist ein Anfang, aber jetzt arbeite ich gerade an „Hotel Dresden“ und das nächste heißt „Crafts by Robots“. Es geht nicht um ein Produkt, es geht um eine Story, die ich anhand von Produkten erzähle.

Gibt es eine Sache, die du als makellos und fertig bezeichnen würdest?Es gibt Produkte, die sind formal so reduziert, ohne Ecken und Kanten – zwar nicht glatt, aber konsumierbar und gängig. Das sind so gute Produkte, die müssen in der Masse auftreten. Es gab die Tolomeo, eine Aluminiumleuchte aus den 80ern, die wurde sicher auch schon millionenfach verkauft. Als die auf den Markt kam, dachte ich: Wow, was für ein gutes Produkt. Ich mag auch den 7er von Arne Jacobsen unheimlich gerne. Ich neige dazu, die Klassiker zu favorisieren. Da ist nicht viel dran, das passt formal in jeden Kontext und hat trotzdem eine ganz elegante Formensprache. Es tut nicht weh, aber es ist schön.

Das ist dann auch etwas Negatives, wenn man sagt, es passt sich an? Klar, das ist dann einfach anpassungsfähig. Aber andererseits suggeriert das wirklich große Serie. Meine Leuchte ist so speziell, dass es gar nicht mehr eine große Serie sein kann. Dinge, die einem ganz selbstverständlich im Alltag begegnen, die sich so zurücknehmen, sind auf eine Art auch sehr charmant. Andererseits mag ich genauso die widerspenstigen Dinge, die sich ein bisschen quer stellen und dadurch mehr Charakter erzeugen.

Was bedeutet Perfektion für dich?Perfektion bedeutet nicht unbedingt glatt zu sein. Perfektion heißt für mich, an Dingen lange gestaltet zu haben, sie auf den Punkt gebracht zu haben. Perfektion beinhaltet die gesamte Produktion, die Technologie des Teils. Ich

Page 130: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

129

halte es für eine große Qualität im Design, so ein makelloses Produkt zu machen und habe sehr viel Ehrfurcht vor Gestaltern, die das schaffen.

Findest du Unvollkommenheit bei Produkten gut?Ich finde, das kann man nicht so pauschal sagen. Man muss schauen, wo Produkte präsentiert werden. In welchem Kontext sie entstehen. Es ist ein großer Unterschied, ob ein Stuhl unvollkommen bei Vitra in Serie geht oder ob er in einer Galerie steht. In dem einen Zusammenhang funktioniert es und in dem ist Unvollkommenheit willkommen, in dem anderen Zusam-menhang ist es eher negativ. Da muss man auch fragen: Entsteht die Unvollkommenheit aus einer Situ-ation heraus, in der man das Vollkommene nicht geschafft hat? Oder ist es, weil es ein Bedürfnis ist, das Ding so zu gestalten, dass es nicht wirkt wie vollkommen?

Können Improvisation und Ad hoc im Design eine Taktik sein?Taktik? Das müsste man ausprobieren. In bestimmten Situationen kann das schon funktionieren, das ist immer im Zusammenhang von was, wie und wo? Ich könnte mir vorstellen, wenn ich ein Spielzeug mache, dann könnte Improvisation eine Art Vehikel sein. Es könnte eine Methode sein, oder „so setze ich das ein“ und das fordert geradezu auf, dich als Konsument mit einzubringen. Das Thema Prosumenten hatte wir ja auch bei der Blaupause. Das Produkt entsteht „in den Händen der Konsumenten“ und da gab es eine Improvisation innerhalb unseres Planes, weil die Hölzer nämlich mit Nägeln und Stiften zusammengebaut wurden, was eigentlich eher improvisiert war, als das es nach Schreinertechnik gemacht wurde. Die Leute improvisieren beim Heimwerken im Zuhause viel mehr.

Ich glaube, es könnte Dinge geben, die so gestaltet sind, dass die Improvisati-on sozusagen eine Message ist oder eine Aufforderung ist für die Konsumen-ten, etwas zu tun, oder weiterzuentwickeln. Das Ding nicht als geschlossene Einheit zu sehen.

Vielen Dank!

Page 131: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

Kiki van Eijk und Joost van Bleiswijk Improvisation has to do with inspiration. And improvising is deciding what to do next.

Page 132: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

131

Kiki van Eijk (*1978) und Joost van Bleiswijk (*1976) leben und arbeiten zu-sammen in Eindhoven in den Niederlanden. Oftmals bestreiten sie Ausstel-lungen gemeinsam oder arbeiten für gemeinsame Kunden oder Galerien. Beide haben an der Dutch Design Acadamy in Eindhoven studiert sind be-reits seit zehn Jahren selbstständig. Sie gehören der neuen jüngeren Gene-ration des „Dutch Design“ an.

Kiki arbeitet mit den unterschiedlichsten Materialien wie Glas oder Holz und Metall bis hin zu Textilien. Ein wichtiger Teil ihrer Kollektion sind jedoch Objekte aus Keramik, die „Soft Series“, die sie selbst herstellt und vertreibt. Hier sind die organischen Formen aus Textil nur ein Zwischenschritt zum eigentlichen Material Keramik. Die holländische Firma Moooi produziert die „Soft Clock“ in Serie. Kiki entwickelt immer wieder neue Vorgehensweisen, mit Materialien und Formen umzugehen, die oft ungewöhnlich und über-raschend sind.Kiki produziert limitierte Editionen. Viele ihrer Inspirationen entstammen ihren Reisen. Abgesehen von den Materialien, die sie für ihre Arbeit verwen-det, beschäftigen sie die Themen Tradition und Häuslichkeit, Bescheidenheit und gleichzeitig Luxus im Einfachen.

Joost Van Bleiswijk stellt seine eigene Möbelkollektion her und vertreibt die-se von Eindhoven aus. Er arbeitet vor allem mit Materialien wie dem hoch-glanzpolierten Stahl, den er für die „No Screw-No Glue“-Serie verwendet. Er fertigt Möbel aus Flächen, die nach einem Steckprinzip zusammengesetzt sind. Darüber hinaus macht er auch Objekte aus Keramik oder Glas. Ihn interessieren Gegensätze wie Geometrie und Chaos, Perfektion und Imper-fektion oder Tradition und Moderne. Seine Möbel und Objekte werden, in unterschiedlichen Ausstellungen gezeigt und von Galerien und Privatleuten gekauft.Kiki und Joost orientieren sich an klassischen und teilweise längst verges-senen Formen der vorindustriellen Produktion, die sie dann in den gegen-wärtigen Kontext übertragen. Die Entwürfe von Joost und Kiki bleiben so lesbar, tragen aber die jeweils eigene Handschrift der Designer.

Kiki, in your work, you also use very direct techniques. The concept of the „soft series“ is using a soft material as a starting point to randomize the shape of the final ceramic object.Did you improvise when you started designing the soft series/soft clock?

Kiki: I made my first soft clock on a Sunday afternoon, it was a present for a friend. So in the beginning it was just improvising.Joost: It was supposed to be a cover for a teapot, to keep the tea warm.K: I made it and I saw, that the thing is more interesting as a clock, but I thought it needed another layer. So I casted it in plaster to make it out of ce-ramics. I just tried it, and it worked. I made a whole series of it, and developed it. The clock itself is based on a very simple shape, you draw the front view,

Page 133: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

132

add some depth, and then you have a shape that is three-dimensional. But the other objects, like the teapot, there you have to make a real pattern. So I developed this language and form in order to be able to make it out of tex-tile. The shape has to be simple, with the wrinkles and the fabric it already gets really organic and random. I like it not too perfect, because that‘s the charm of the object.

What would you consider a perfect product or should we accept imperfec-tion? K: For me, it depends on what your definition of perfection is. For me, perfect is, if something turns out according to my ideas. My goal can be that the shape of the object is not geometrical or symmetrical. Other people would maybe call a symmetrical shape „perfect“. For me, perfect is when it comes out the way you considered in the beginning. If it gets imperfect, it means that you didn‘t reach what you wanted to reach. When you define imperfec-tion as something, which is still pure and not too much directed, then – ok, but that again depends on how you define perfection for yourself.

J: Perfection, in Dutch is „volmaakt“, it means that really nothing is wrong. I think, perfection doesn‘t exist, because you can always improve things somehow. If you make a glass bowl for example – what would be perfect about it? Is the surface perfect, because there are no bubbles inside or is the shape of the object perfect in a geometrical way? On the other hand, the object might not be perfect because there is no soul in it. If you make it really personal – with imperfections in a way of scrat-ches and so on, you have another layer of imperfection. So everything is imperfect in a way.If you play with imperfection, it‘s also important to control it. Imperfection for me is when you see that the thing could have been done better. Incon-trollable imperfection is just happening. I think it‘s more a question to ask the people about coincidence. And how you can control the coincidence and how you can control the things that happen with materials.

K: Maybe you can consider some things as perfect. That depends on what you think about „wrong“. For me, an object is perfect when the shape is nice. And when there are some irregularities in it, so that you can see that it‘s made by hand.When you do glassblowing for example, a lot of times you see slides in the glass. But that‘s nice. J: It can be nice, but it also depends on the glassblower you are working with.K: So, perfection is something really personal. There is not the one, general definition for it.J: And it has to do with soul.

„Soft Clock“, Kiki

van Eijk, (2002)

„ No Screw No Glue

– Candelabrum“,

Joost van Bleiswijk (2008)

Page 134: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

133

Joost, do you improvise in your work?J: I improvise a lot. Many people think, that I design mainly with the compu-ter because it‘s very square and precise, and because the pieces are laser-cut in the end. In fact, what I do, is more about the Idea. When I make the „No Screw No Glue-objects“ I have to think about how they are put together in the end. So, in my head, there is this little movie of all the separate pieces. That‘s sort of planning also.

What does improvisation mean to you (the term)?J: The chest for the Zuiderzee Museum, we started to make it here in the workshop and in the end, we found out, that it was not possible. We had to find a different solution. And we had to make a lot of decisions, so it was about fast thinking and making quick decisions.Improvising is like: Let‘s do that. I think it‘s not really controllable. „Now I’m gonna improvise.“ That‘s not possible, because if you make something on the spot, you don‘t necessarily follow improvisation. You only improvise, when your original plan doesn‘t work, so you have to rethink it. Improvising is deciding what to do next.

K: No, You can also start with a very basic plan, like we did for the „Cut & Paste“-project. We didn‘t decide about the construction by making technical drawings, we decided by making the models. We didn‘t change the original plan, because we didn‘t have the plan yet. J: So you do call that improvisation, do you?K: Yeah, because you start, and then you see: „Oh I can also do it like this“, and then you change it. It‘s a process. I like to have a kind of basic idea and just see where it goes. You don‘t need to stick to a plan forever. Improvisation is almost the same as Freedom. J: While working in the Workshop you can also change everything, you do. You see immediately what‘s happening instead of drawing it very precise and giving it to some other company. It‘s more important to see what‘s hap-pening

Do you think that computers enable us to improvise?K: Not as much as by hand. I think, they are a very good tool. But I would never get inspired by something that I draw in the computer.J: I also think, no. K: „Pepacura“ is a handy tool, it helps to decide about the shape of the ob-ject, but it does not inspire me to make a new form. For me, Improvisation has to do with inspiration. You get inspired by making things. And for me, I don‘t really get inspired while working with the computer, because you don‘t make things in real.

Do you think that ad hoc and improvisation can be a tool? Can we maybe do it on purpose?K: Yes, I think so.J: I don‘t know. As a tool?

Page 135: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

134

Yes, as a kind of systematic approach.J: Why not? Maybe you can choose from a variety of things you use as tools. Some people only work with 3D-programs, and I just took the old drawing board again, because I started to hate to only work with the computer. You can make little models instead of a 3D-print. It‘s more in a process of making and drawing and sketching... K: I think, Improvisation can be a starting point, as a part of your concept.J: But then, it would be a bit dogmatic. K: The word tool for me is more like a jigsaw. Something you just use to reach a certain result.J: It‘s more a method. And the fact that we call the computer a tool, is that we only use it if we need it: for technical drawings. Because when you need to have something laser-cut or to make something in Prepacura you need the computer to generate variations of shapes and models.K: On the other hand, there are different ways to use a tool. You can also say: Sketching by hand is a tool to make yourself more free and thinking.

Kiki, do you work more analytical, with a strategy or in a more immediate and spontaneous way?K: I think, it‘s mixed and depends on the project. If I work for a specific cli-ent or brand, then it‘s a mix. I do a lot of research and analyze what I see by writing it down on paper and I make a story out of it, which determines my concept. It happens spontaneously, because I just let myself inspire by eve-rything I see. At a certain point, I start to analyze my own output. J: Of course you need some kind of strategy, but it‘s more about the general planning. I think I just do what I feel doing. It‘s more improvisation than planning. K: That‘s why we do several projects at the same time. You can‘t get stocked in the process. If you get stocked, you can always go to the other subject. It makes you a bit more freer, I think.J: Of course, whenever someone asks you to design something, it is already in your head. You don‘t have to sketch and make the final shape all day long – really sort of „arrgh“ – I have to get this finished. It is somewhere in your head and you don‘t need to be in a rush. Sometimes you also need a deadline. But I think it is good to have ten ideas and ten different projects in your head and slowly let it simmer to something good.

What do you think is a good context to develop Ideas?K: I think it‘s good to have time, so you don‘t feel in a rush. And it‘s also good to isolate yourself sometimes. To go maybe for one week or a day in the middle of nowhere. Wherever you feel comfortable and where you feel quiet. You need a kind of rest around you. J: For me, it‘s exactly the same.

Thank you!

Page 136: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll
Page 137: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

Tassilo von GrolmanImprovisation ist einfach ein kreativer Prozess.

Page 138: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

137

Tassilo von Grolman (*1942) lebt und arbeitet in Oberursel im Taunus. Er ist gelernter Maschinenschlosser und studierte Maschinenbau in Berlin und Produktdesign an der Werkkunstschule Kassel. Seit 1975 leitet er sein eigenes Designbüro, zunächst in Frankfurt dann in Oberursel.

Von Grolman ist vor allem für seine Entwürfe im Bereich Tischkultur und Küche bekannt. Seine erfolgreichsten Produkte haben Klassikerstatus: Die Isolierkanne Achat für Alfi und die Teekanne für Mono sind in namhaften Designsammlungen vertreten. Dementsprechend lang ist die Liste seiner Designpreise: vom Red Dot Award und Design Plus bis hin zum Good Design Award des Chicago Athenaeum. Er ist auch in der Lehre tätig. Als Gastdozent und Gastprofessor wurde er bereits nach Darmstadt, Lissabon, Nürnberg, Hangzhou (China) und Kassel gerufen.

Von Grolman engagiert sich schon seit einiger Zeit auch verbandspolitisch für Designer. Er ist Gründer (1989) und Ehrenvorsitzender des Deutschen Designer Clubs DDC und seit 2003 Vorsitzender des Design Zentrums Hessen (heute Hessen Design). Für mehr Fairness in Designwettbewerben gründete er mit anderen Designern und Anwälten 2006 FIDIUS e.V.

Haben sie in ihrer Arbeit improvisiert? Gab es Situationen, in denen sie ad hoc Entscheidungen getroffen haben?Natürlich. Diese Improvisation, wie du das nennst, nenne ich einen kreati-ven Prozess. Das ist jener Prozess, der abläuft, wenn ich nach einer neuen Lösung suche.Du stehst fürchterlich unter Druck und hast übermorgen die Präsentation. Ich gehe abends schlafen, wache morgens zwischen vier und fünf auf und habe in diesem Halbschlaf die besten Einfälle. Das heißt, das Gehirn arbeitet in der Zeit so intensiv und so toll, dass ich da auch meistens die Lösungen herbekomme. Finden sie, der Designprozess an sich ist Improvisation?Die sogenannte Improvisation sehe ich bei uns Professionellen als kreativen Prozess. Das heißt, wenn ich eine Aufgabe habe, dann beschäftige ich mich damit. Dann kommt noch der Aspekt, einfach ist am schwersten, das heißt zu reduzieren. Je mehr du weglassen kannst, desto besser wird die Sache. Das Entscheidende ist, es entsteht aus diesen Produkten Alltagskultur. Des-wegen ist es so wichtig, Designgeschichte zu kennen. Und in meinen Augen ist es auch wichtig, Vorbilder zu haben. Mein Vorbild, warum ich überhaupt Designer geworden bin, war Dieter Rams, zu dem ich heute ein gutes Ver-hältnis habe. (...) Er propagiert ja auch: „Weniger aber besser.“ Mein Spruch ist: „Einfach ist am schwersten.“

Was ist denn für sie ein perfektes Produkt? Gibt es das überhaupt?Also dieses Produkt (die Schreibmaschine Valentine), das war zu seiner Zeit ein perfektes Produkt. Rein mechanisch. Es erklärt sich von selber. Und das

Page 139: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

138

ist bei vielen Produkten sehr schwer. Es gibt heute Produkte, die erklären sich nicht von selber, ganz einfach, weil vieles anders geworden ist, weil vie-les eben elektronisch läuft.

Was ist für sie Perfektion und was ist Unvollkom-menheit?Unvollkommenheit ist für mich, wenn sich ein Produkt nicht mehr selbst erklären lässt. Mit den neusten Softwareprogrammen kann man nicht gleich umgehen, das muss man erlernen.

Glauben sie, dass man mit dem Computer impro-visieren kann?Wenn ich am Computer arbeite, kann ich ver-schiedene Größen angeben und mir das Ergebnis gleich dreidimensional anschauen. Dann sehe ich, ob es gut ist. Das kannst du sehr schnell sehen, viel schneller, als wenn du ein Modell baust, es ist einfach direk-ter. Der Computer ist heute ein Werkzeug. All das, was wir früher in der Werkstatt gemacht haben, nimmt dir heute der Computer ab. Insofern kann man am Computer sehr gut improvisieren. Du kannst immer wieder verändern.

Wie ist die Kanne entstanden? Wie sind sie auf die Idee gekommen?Rosenthal hatte zu einem Teeabend eingeladen und ich sollte über die Gestaltung der Teekanne sprechen. Es waren Leute da, die über Tee eine ganze Menge wussten. Aufgrund der Kritik an anderen Kannen habe ich mir gedacht: Man muss doch darüber nachdenken, wie sich Tee entwi-ckelt und entfaltet. Und da ist die Idee eigentlich schon spontan gekommen. Ich bin nach Hause gegangen und habe gesagt: Ich will eine Teekan-ne haben, die ich überall hinstellen kann, wenn sie heiß ist, das heißt, sie muss ein Gestell haben. Und dieses Gestell kannte ich schon durch die Me-lior Sieb Stempelkanne. 1970 ist die neu auf den Markt gekommen. Und dann bin ich nach Hause gegangen und habe das noch in dieser Nacht ge-zeichnet, so ist das entstanden.

„Filio“, Teekanne, Tassilo von Grolman (1989)

Page 140: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

139

Arbeiten sie eher analytisch-strategisch und planen den Prozess sehr genau oder arbeiten sie eher spontan, ad hoc?Sowohl als auch. Analytisch gehe ich natürlich vor. Ich muss die Produkte analysieren, die auf dem Markt sind, wenn ich ein Neues Produkt mache. Es gibt Dinge, die vom technischen Fortschritt eingeholt wurden. Aber der technische Fortschritt bietet dir auch etwas: Er bietet dir neue Materialien, deswegen kannst du neu gestalten. Das ist ganz wichtig. Da ich 35 Jahre selbstständig bin, kann ich heute ein Produkt in einem Drittel der Zeit machen, die ich früher dafür gebraucht hätte. In meinen gesamten Produkten, die langlebig sind, gibt es immer Innovationen, auch wenn sie manchmal nur klein sind.

Finden sie, dass improvisierte Dinge eine Ästhetik besitzen?Natürlich. Wir haben ja vorhin über Zeichnungen gesprochen. Wenn du eine schnelle Zeichnung machst, hat das ja auch seinen Charme. Und das ist, was heute oftmals bei den Computerrenderings fehlt. Das Tolle an den Rende-rings ist aber, dass es schon wie ein Foto des fertigen Produkts aussieht und dass es sehr schnell und exakt kommuniziert werden kann.Design ist immer ein kreativer Prozess, kein improvisierter. Natürlich hat es auch etwas mit Improvisation zu tun. Ich wehre mich aber dagegen, dass das immer so ist. Improvisation ist immer nur ein kurzer Teilbereich, der dann gelöst sein muss. Das muss sich dann etablieren.

Was ist eine gute Umgebung, in der sie Ideen bekommen?Das ist beim Segeln, in der Natur, beim Reisen und wenn man sich mit guter Architektur umgibt. Wenn ich aber arbeite, ist es vollkommen egal wo. Wo ich auch bin, es findet ja in meinem Kopf statt. Da kommt es auf die Erleb-nisse an, die man vorher hatte.

Das perfekte Produkt, gibt es das überhaupt?Es gibt immer nur die annähernd perfekten Produkte, wo du sagst, das ist eigentlich so gut, das kann man nicht besser machen. Es gibt aber auch Pro-dukte, zum Beispiel ein Champagnerglas von 1836, das auch heute noch toll aussieht. Die sind, so wie sie sind, perfekt. Die kann man nur verändern, nicht verbessern.

Vielen Dank!

Page 141: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

Judith SengAd hoc lässt sich bewusst initiieren.

Page 142: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

141

Judith Seng (*1974) lebt und arbeitet in Berlin. Sie betreibt dort seit 2005 ihr eigenes Studio.Judith Seng studierte Produkt- und Prozessdesign an der UDK Berlin. Wäh-rend des Studiums arbeitete sie bereits für Ronan und Erwan Boroullec in Paris und für die Imaginäre Manufaktur in Berlin. Judith Seng lehrte bereits an der UDK in Berlin, an der Kunsthochschule Kassel und an der Hogeschool in Gent und zuletzt an der d-school in Potsdam.

Ihre Arbeiten wurden unter anderem im Museum für angewandte Kunst in Köln, im Carousel du Louvre in Paris, im Art Centre in Seoul, im MARTa Her-ford im Tokyo Art Museum, im MOMA in Berlin, im Kunstgewerbemuseum in Berlin und im Museum der Dinge in Berlin ausgestellt. Ihre Arbeiten sind Teil der Kollektion von Industreal, FNAC (Fonds National d‘Art Contemporain), Memphis s.r.l. und CIAV Meisenthal.Sie macht Auftragsarbeiten für Unternehmen wie IDEO, den Rat für Formge-bung, Trendbüro Hamburg, die Messe Frankfurt und RNBS* Berlin.Darüber hinaus produziert Judith Seng Teile ihrer Kollektion in ihrem eige-nen Studio in Berlin, darunter auch den Hocker „Trift“, ein Holzblock, des-sen hochglanzlackierte Oberfläche in eine rohe Holzoberfläche übergeht. Das Holz arbeitet, es können Risse im Lack entstehen und die Geometrie des Hockers ändert sich. Der Hocker „Trift“ ist ein gutes Beispiel für eine Mög-lichkeit des Umgangs mit der Fragestellung zur Perfektion und der Ästhetik von Dingen, die nicht den klassischen Kriterien von „perfekten“ Produkten entsprechen.

Was ist für dich Improvisation?Die Frage ist, wie man Improvisation fasst. Denn irgendwann ist alles impro-visiert. In jedem Projekt geht man einen Schritt nach vorne, dann muss man wieder auf eine neue Situation reagieren. Insofern kann der ganze Prozess als Improvisation bezeichnet werden. Design ist ein dauerndes mit den Umständen arbeiten und darauf reagie-ren. Wie Wohnungen aussehen zum Beispiel, das ist ja ein ständiges Improvisie-ren. Das ist eigentlich auch sehr spannend, weil die Leute sich dann die Din-ge selber aneignen. Und die Nutzer finden dann Lösungen, die vielleicht viel praktikabler sind als irgendwelche geplanten durchgestalteten Sachen.

In dem Projekt „Design Reaktor Berlin“ haben wir uns auch mit Improvisa-tion beschäftigt. Wir haben vor allem versucht, dem Thema etwas Positives abzugewinnen.Anders als bei der Planung, die immer alles vorbestimmt, sodass man ver-sucht, die Realität der Planung anzupassen oder zumindest im Nachhinein so zu tun, als ob alles nach Plan lief. Wir haben gemerkt, dass unglaublich viele Chancen entstehen, wenn man den Prozess etwas offener lässt. Wenn man auch unvorhergesehenen Dingen Raum lässt.

Page 143: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

142

Die Musik zum Beispiel hat einen ganz positiven Ansatz, die bewertet Im-provisation ganz anders. Für mich ist Improvisation die Realität, während Planung immer ein Versuch ist, das Ganze vorausschaubar zu machen. Es ist in den seltensten Fällen so, dass unterwegs nichts passiert und sich der Plan nicht ändert. Ich finde das eigentlich auch sehr sinnvoll, weil durch das Gehen und die Bewegung manche Dinge erst sichtbar werden, verständlich werden. Da die Offenheit zu haben, darauf zu reagieren, ist eine große Qua-lität. Ich denke, es ist spannend, Formate zu finden, greifbare Formate, die helfen, sich auf so einen Prozess einzulassen.

Bei meinen Objekten ist die Improvisation relativ wichtig, denn das Ma-terial hat besondere Eigenheiten. Wir haben viele Materialtests gemacht. Es ist auch immer wieder eine Überraschung, weil sich jedes Holz anders verhält und man dann darauf eingehen muss. Das Holz arbeitet, und nach fünf Wochen sieht es anders aus. Es ist auch Teil des Entwurfs, dass es sich verändert und dass man sich überraschen lassen muss. Das ist anders als bei Entwürfen, bei denen es eine konkrete Zeichnung gibt und die wird dann umgesetzt – wo es absehbar ist, dass sich die Zeichnung in 1:1 umsetzen lässt.Glaubst du, dass man am Computer auch improvisieren kann?Bis zu einem gewissen Grad schon, wenn man Computer als Werkzeug be-trachtet. Wenn ich am Rechner zeichne, dann entwickle ich ja. Es ist wie beim Zeichen mit dem Bleistift. Den Computer muss ich beherrschen, genauso wie ich den Bleistift beherrsche.Ich glaube, an dieser Stelle kommt es auf die Arbeitsweise an. Es funktio-niert, wenn es einen Sprung von analog zu digital gibt: Also planerisches Aufarbeiten am Rechner – Verfassen und Dokumentieren – und dann wie-der in die Realität ins Material zurück springen. Führt man diesen Dialog zwischen analog und digital, dann ist der Computer als Werkzeug einfach nützlich.Gleichzeitig vertuscht der Computer viel. Widerstände, die man hat, wenn man direkt mit dem Material arbeitet oder direkt mit Menschen. Solche Wi-derstände kann ein Computer nicht simulieren. Insofern entzieht man sich beim Arbeiten am Rechner bestimmten Widerständen. Dafür gibt es dann andere Widerstände, ein Programm, dass man nicht beherrscht, oder der Computer macht „was er will“. Im Endeffekt muss man auch dann komplett improvisieren können, wenn man mit dem Computer arbeitet.

Hat es bei dir Projekte gegeben, bei denen es einen Moment gab, wo du spontan handeln oder improvisieren musstest?Da gibt es Tausende von Situationen. Bei konkreten Entwürfen ist es so, je experimenteller man mit Materialien umgeht, umso stärker ist man dem „Zufall“ ausgesetzt. So war es auch bei dem Tisch, da hatte ich eine bestimm-te Art der Oberflächenvorbehandlung zu machen und habe gemerkt, dass es einfach nicht funktioniert, und dann musste ich komplett umsatteln und am Freitagabend kurz vor Ladenschluss noch irgendwie Materialien mit

Page 144: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

143

dem Kurier herkriegen, damit ich das noch irgendwie da aufpressen kann, damit es zum Termin fertig wird.Ich habe zuletzt Sachen aus Wachs gemacht, das ist auch ein komplett ei-gensinniges Material.Ich habe den ganzen Formenbau vorher geplant und sogar in einem anderen Maßstab ein Modell der Form gemacht, dann habe ich es in 1:1 gebaut und die ganze Form fiel auseinander. Dann muss man sehr schnell reagieren und sich, weil auch Zeitdruck dabei ist, etwas anderes überlegen. Improvisation ist also absoluter Bestandteil, besonders wenn man sich der Realisierung von Projekten nähert.Ich mache einige Projekte, die eher planerisch sind, die Studiencharakter haben. In dem Moment kann man sich das alles schön zurechtdrehen. Da stimmt die Realität erstmal, im Virtuellen, im Gedachten. Je weiter man in die Umsetzung geht, umso mehr muss man damit rechnen, dass im Pro-zess etwas anders läuft. Und natürlich hat ein Tischler, der ständig mit Holz umgeht, weniger Überraschungsmomente als ich, die immer wieder mit anderen Materialien arbeitet.

Was ist für dich ein guter Kontext, um zu arbeiten und zu improvisieren?Bei mir ist es so, dass ich Phasen habe, in denen ist meine Arbeit wie ein Bürojob, da könnte ich eigentlich einen Schreibtisch haben mit einem Com-puter und ein bisschen Platz drum herum. Dann gibt es auch wieder Phasen, wo ich alles komplett beiseite räume, und es aussieht wie in einer Werkstatt. Ich brauche also ein Umfeld, das sehr flexibel ist. Von sehr digital bis hin wirklich zur Umsetzung, zum Machen und Experimentieren. Ich glaube, dieser schnelle Wechsel, sowohl in den Projekten als auch zwischen unter-schiedlichen Projekten, der muss möglich sein, das ist wichtig für mich. Und dann muss man natürlich ein großes Netzwerk haben an Leuten, die man im entsprechenden Moment anrufen kann. Wenn die Oberfläche zum Beispiel gerade Thema ist, dann braucht man einen Experten, der einen dazu beraten kann. Das Netzwerk kann auch ruhig international sein, das muss jetzt nicht unbedingt alles hier sein, in Berlin. Bei der Gestaltung des eigenen Arbeitsprozesses ist es wichtig, Formate oder Arbeitsweisen zu finden, die ein freies Arbeiten ermöglichen, in größeren Gruppen, in offenen Prozessen – also eine Schritt-für-Schritt-Planung, die das offene Arbeiten bestmöglich unterstützt. Ich denke, dass es da noch viel Potenzial gibt. Es geht darum, Tools zu entwickeln, die so eine offene Ar-beitsweise ermöglichen.

Könnte Ad hoc eine Methode sein? Ich denke, es gibt ja momentan ein großes Interesse für das Thema, weil man merkt, dass die Planbarkeit relativ ist, dass man sich viel schönredet. Es ist insofern eine Methode, als das man lernt, mit dem Unvorhersehba-ren umgehen zu können. Das ist sicherlich für jeden sinnvoll, nicht nur für Designer.In Bezug auf die Produktgestaltung würde ich es so sehen, dass Ad hoc eine Art ist, sich den Hindernissen zu stellen, anhand derer man eine Design-

Page 145: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

144

aufgabe entwickelt, insofern kann man es im weitesten Sinne als Kreativi-tätsmethode bezeichnen. Ich sehe bei deiner Definition von Ad hoc teilweise den Ansatz des Partizi-pativen. Zum Beispiel, dass die Übergabe des Designs, des Entwurfs an den Nutzer und an den Kontext einfach früher stattfindet oder paralleler statt-findet. Der Nutzer könnte miteinbezogen werden, indem man ihm Pläne vorgibt, und der er das Möbel selbst nach diesem Plan herstellt. Es ist schon ein interessantes Thema, die Improvisation, weil es auch die Rolle des De-signers noch mal infrage stellt. Die Partizipation des Nutzers geschieht ja sowieso, die ist auch schwer zu planen. Die Erfahrung macht man oft bei Innenraumprojekten, wo man schön plant, wie die Abläufe dort sein sollen. Wenn man gut ansetzt, dann beschäftigt man sich vorher möglichst mit den Abläufen, wie sie in der Realität sind, und nicht mit denen, die schön wären. Darüber kann man sich mit jedem Architekten unterhalten, dass man am Besten am Tag der Eröffnung die Fotos macht, weil es in der letztendlichen Nutzung einfach komplett anders aussieht als es geplant war. Gutes Design rechnet damit und geht darauf ein und schlechtes Design ärgert sich, weil dem Design quasi reingepfuscht wird.

Was bedeutet Perfektion/Unvollkommenheit für dich?Ich finde es fast schon unheimlich, wenn Leute perfekte Wohnungen haben, dann frage ich mich: Wo und wann leben die? Ich erlebe mein Leben anders, weil die Entropie ganz stark ist, es ist immer wieder Chaos, man muss im-mer wieder neu sortieren und alles zusammenbringen. Gleichzeitig sehe ich einen Wunsch nach Perfektion, der kulturell sehr stark eingeschrieben ist. Auch der Wunsch nach so einem „Fertigsein“, dass die Dinge gut sind, dass sie richtig sind, dass sie wohlüberlegt sind und dass ein Thema beendet ist. Der Alltag hingegen ist nie zu Ende, es ist nie die perfekte Lösung, es sind immer nur Hilfsmittel und Werkzeuge, ein neues Produkt löst ein anderes, neues Problem aus.

Ich war jetzt gerade in Südafrika, in einer ländlichen Gegend, wir haben dort für ein Projekt recherchiert, da hat man ganz stark mit komplexen Zu-sammenhängen zu tun, wir haben die Frage der Lebensmittelversorgung in einer ländlichen Region bearbeitet. Wenn man dann sagt, man verbessert die Lebensmittelindustrie auf dem Land, dann verursacht man ein neues Problem, weil man die Taxi-Unternehmen kaputt macht. Eine Lösung eröff-net auch oft neue Fragen. Und ich sehe diese unvollkommenen Lösungen gar nicht so negativ, es ist einfach alles im Fluss.

Was ich bei meinen Objekten so ganz konkret auf ästhetischer Ebene inte-ressant finde, ist, dass es einen Clash gibt von der technischen Perfektion – also glatte Oberflächen, die scheinbar unanfällig sind, die nicht zeigen, was dahinter ist, die dem Alltag enthoben scheinen. Auf der anderen Seite gibt es eine zunehmende Ästhetik von Zerstörung. Also von überfluteten Landschaften, von zusammengebrochenen Häusern. Das ist ja eine Ästhe-

Page 146: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

145

tik, die durch die Medienübertragung omnipräsent ist. Diese ganzen Bilder sind sehr stark und ich finde den Kontrast spannend, dass da so eine eigene Art von Ästhetik entsteht, die aber fast nicht ertragen werden kann. Es geht nicht darum, das zu ästhetisieren, aber diese Dinge sind nun mal auch da. Da wird dieser unkontrollierbare Part sichtbar.

Findest du Unvollkommenheit gut (bei Produkten)?Ja, ich glaube schon. Ich weiß aber nicht, ob man das so pauschal sagen kann. Wenn ich einen Akkuschrauber habe, der einen Wackelkontakt hat, ist das natürlich extrem nervig. Bei irgendwelchen lebensrettenden Produkten ist Unvollkommenheit auch nicht besonders erstrebenswert.

Bei Dingen aus dem Wohnumfeld finde ich unvollkommene Dinge sympa-thischer, weil sie anknüpfungsfähiger sind. Man kann sie weiterdenken, denn wenn etwas perfekt ist, dann schüchtert das ein. Man kann zum Bei-spiel manche Stühle nicht übereinanderstapeln, weil man Angst hat, man könnte sie beschädigen. Wenn die Stühle aber sowieso schon ein paar Krat-zer haben, dann stapelt man gerne drauflos und man kann sogar eine Leiter oder ein Regal damit bauen.Perfekte Menschen sind auch ein bisschen schwierig, da ist es schwer, in Kontakt zu kommen. Sobald da ein paar Macken sichtbar werden, Stärken und Schwächen, ist es einfacher.

Arbeitest du analytisch-strategisch oder eher spontan?Beides. Vielleicht laufen Planung und spontanes Entwickeln sogar parallel ab. Ich mache unterschiedliche Projekte. Unter anderem Projekte, in denen man sehr analytisch arbeitet und strategisch denkt. Aber ich mache das nicht als Sozialwissenschaftlerin, sondern als Designerin. Insofern kann ich sagen, dass ein ganz großer Teil Intuition dabei ist und auch ein großer Teil Sub-jektivität. Das sind Dinge, die kann man als spontan beschreiben, das sind Impulse, die man entwickelt. Für uns ist die Freiheit von den wissenschaft-lichen Zwängen wichtig, das sind ja strenge Kriterien, die etwas für gut oder schlecht befinden, die wir einfach weglassen, weil die Berücksichtigung aller dieser Kriterien nicht zum Ziel führt. Ich würde aber sagen, dass die Sozialwissenschaftler auch subjektiv und mit Intuition arbeiten, aber sie haben die Pflicht, ihre Arbeit auf eine analytische und wissenschaftliche Ebene zu stellen.

Ich finde es gut, wie die Sozialwissenschaftler die Fähigkeit entwickeln, das analytische und strategische Vermögen im Sinne intuitiver Erkenntnisse und subjektiver Interessen auf eine Art Metaebene zu stellen und zu verste-hen: Was ist das eigentlich, was mich daran interessiert? Es also analysieren zu können, es benennen zu können und Strategien zu entwickeln, wie man das weitertreiben kann. Ich finde es durchaus sinnvoll, wenn man das ver-balisieren kann, niederschreiben kann, es kommuniziert. Es ist genauso wichtig, komplett intuitiv und spontan arbeiten zu können. Ich persönlich

Page 147: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

146

mag dieses Wechselspiel, das ist wirklich auch eine Fähigkeit, die zur Diszi-plin Design ganz gut passen kann. Das Analytisch-Strategische hat einen Dienstleistungscharakter, man kann es besser „auf Maß“ bringen und so verpacken, dass man es auch verkau-fen kann. Diesem Intuitiven, Spontanen, Subjektiven sind dann wiederum wertvolle Einsichten und gute Ideen zu verdanken. Das ist dann wieder wie bei dem digital-analogen Arbeiten, dass das Wechselspiel eine wichtige Fä-higkeit ist.

Vielen Dank!

Auch in einem weiteren Projekt von Judith Seng ist Ad hoc ein wichtiger Bestandteil.Gemeinsam mit Alex Walder hat sie ein Projekt mit dem Glasforschungszen-trum CIAV Meisenthal in Frankreich realisiert, bei dem es nicht nur um die

Page 148: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

147

traditionelle Fertigung der Glasprodukte geht, sondern auch darum, diejeni-gen, die das Produkt realisieren, in den Gestaltungsprozess einzubinden. Das Glasforschungszentrum Meisenthal bewahrt die lange Tradition der Glasbläserei in der Region und arbeitet mit internationalen Designern zu-sammen, um die Produkte auf ein zeitgenössisches Niveau von Gestaltung zu heben, das auch ökonomisch sinnvoll ist. Die Kollektion von Christbaum-kugeln, die jedes Jahr um einige Entwürfe erweitert wird, ist die Spezialität des Glasforschungszentrums. Von Oktober bis Dezember werden die Kugeln produziert, in der restlichen Zeit des Jahres wird geforscht.

Judith Seng: „(...) Das Glasbläserhandwerk ist handwerklich sehr stark an den Menschen gebunden: Es gibt Glasbläser, die haben die Fähigkeit, aufgrund ihres Körpers und ihres Wissens, eine bestimmtes Volumen zu blasen, und andere ha-ben dieses Wissen und diese Fähigkeit nicht. Deshalb ist die Weitergabe dieser Fähigkeiten sehr wichtig. Das Wissen muss von Person zu Person weitergegeben werden, weil sich es nicht niederschreiben und dann erlernen lässt.“

Ausgehend von der Tatsache, dass bei der Fertigung von Glasprodukten auf hohem Niveau 70 Prozent Ausschuss entstehen, die entweder 2. Wahl sind oder ganz unverkäuflich bleiben, haben die Designer ein Konzept für eine Kollektion von Christbaumkugeln, Schalen und Gläsern entwickelt. Die Un-regelmäßigkeiten, die bei der Produktion passieren, werden nicht als Makel gesehen, sondern als Besonderheit, denn das Dekor auf den Produkten spielt mit diesen Unregelmäßigkeiten. So wird zum Beispiel auf Trinkgläsern eine Luftblase mittels einer kleinen Kerbe markiert. Es wird eine formale Verbindung zwischen unterschiedlichen Objekten geschaffen. Die Christ-baumkugeln der Kollektion sind mit Sternen versehen, die aus Luftblasen und unterschiedlich langen Linien entstehen, andere Kugeln erhalten einen olivenförmigen Schliff an der Stelle, wo Fehler auftauchen. Weil die Luftbla-sen zufällig auftreten, entscheiden die Graveure, welches Dekor sie wählen und wie sie es im Einzelnen umsetzen:

Judith Seng: „(...) Der Graveur kommt in die Situation, dass er das Dekor finali-sieren muss. Das war für sie dort ein spannendes Projekt, weil die Graveure oft in eine Art Trott reinkommen, denn sie kriegen oft ein fertiges Bild vorgesetzt, und das müssen sie hundertmal machen. Dabei geht es aber nicht so sehr um das sich selbst Einbringen, sondern um handwerkliches Können. Unser Design hingegen ist darauf ausgelegt, im Herstellungsprozess die Produzenten akti-ver einzubinden. Anstatt finale Zeichnungen eines Motivs zu machen, haben wir ein „Programm“ geschrieben, bei dem wir die Parameter für den Graveur festgelegt haben. Der Graveur muss sich innerhalb unserer Vorgaben für ein Dekor entscheiden, je nachdem, was er vorfindet. So müssen zum Beispiel mindestens zwei Radien über der Hälfte der Kugel verlaufen, und dann sollen sie sich einmal kreuzen usw. Wir geben einfach Anleitungen, was wichtig ist, damit das Dekor span-nend wird und trotzdem nicht losgelöst ist von unserer Gestaltung.

Page 149: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

148

Wir haben das Programm genannt, weil das auch das Prinzip von diesen Ent-würfen aufgreift, die mit Scripting zu tun haben, wo es feste Parameter gibt, in denen sich das Design dann verändert – mit einem gewissen Zufallsgenerator, aber auf eine komplett analoge Art und Weise. Das heißt, wir selber wissen noch nicht, was dabei rauskommt. Die Graveure müssen schließlich die Inter-pretation leisten.“

Dieses Projekt ist auf gleich mehreren Ebenen ad hoc (aber nicht gleichzeitig improvisiert):

- Auf konzeptioneller Ebene, weil das Konzept mit den Gegebenheiten um-geht und das benutzt, was die Situation bietet. Diese Art der Konzeption setzt eine Analyse der Herstellungsprozesse und der verschiedenen Faktoren dieser Prozesse voraus. Mit den vor Ort bestehenden Faktoren wird dann gearbeitet. Die traditionelle Technik wird mit einem unkonventionellen Vor-gehen verschmolzen. Bereits existierende Entwürfe können weiterbenutzt werden; den bestehenden Formen wird etwas Neues hinzugefügt. Die Struktur des Unternehmens wird in den Entwurfsprozess einbezogen. Die Menschen, die in dem Betrieb arbeiten, werden Teil des Gestaltungs-prozesses.

- Die physische Umsetzung der Entwürfe ist ad hoc, denn es wird mittels der unvorhersehbaren Faktoren, also mit den Unregelmäßigkeiten im Material, gestaltet. Der Handwerker trifft spontane intuitive Entscheidungen. Er be-stimmt, welche Kugel welches Dekor bekommt und kann ad hoc aufgrund der durch Fehler entstandenen Faktoren entscheiden. Somit ist auch das Design, also das Dekor der Produkte, ad hoc, weil es nicht aus einem durch-geplanten Ablauf heraus entsteht.So geschieht die Gestaltung ganz nebenbei, bei der Gestaltung des Prozesses, durch den Umgang mit Unvorhersehbarkeiten (die Lufteinschlüsse im Glas) und durch die Produzenten, die Glasbläser.

Page 150: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll
Page 151: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

150

Ana

lyse

und

Sy

stem

intu

itv

und

spon

tan

Joost van

Bleiswijk

Kiki

van Eijk

Phili

pp

Haffman

s

Tassilo

von Grolman

Richard

Hutten

Jerszy

Seymour

Oliv

erSc

hübbe

Her

man

nWei

zenegge

r

Judi

thSe

ng

Positionen der Autorendesigner

Auf Basis der Interviews wurden die Positionen der Designer zu den Fragestellungen dieser Arbeit eingeordnet:

- Analyse und System vs. Intuitiv und Spontan- Improvisation ist präzise Entscheidungen treffen vs. Improvisation ist Zufall und Experiment- Masse vs. Einzelstück- Perfektion vs. Ästhetik der Fehler- Digitale Werkzeuge vs. Handwerk- Planung vs. Improvisation

Dabei handelt es sich nicht um fixe Haltungen, es gibt auch Schnittbereiche, und man kann die Designer nicht pauschal als „Planer“ oder „Im-provisateure“ einordnen. Tatsächlich gibt es aber innerhalb der befragten Gruppe eine „Tendenz“ hin zum Improvisatorischen. Die blauen Flächen verdeutlichen, wo sich die Meinungen bündeln, wo also mehrere Designer ähnliche Aussagen ge-troffen haben.Drei weitere in den Zeichnungen vermerkte Po-sitionen sind die Bücher „Handwerk“(Richard Sennet), „Adhocism“ (Charles Jencks und Nathan Silver) und „Marke Eigenbau“ (Holm Fiebe und Thomas Ramge).

Page 152: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

151

Impr

ovis

atio

n is

t Zuf

all u

nd

Expe

rim

ent.

Impr

ovis

atio

n is

t prä

zise

Ent

-sc

heid

unge

n tr

effe

n.Oliver

Schübbe

Kiki

van Eijk

Richard

Hutten

„Adhocism“

Jerszy

Seymour

Joost

van Bleiswijk

Judi

thSe

ng

Phili

pp

Haffman

s

Her

man

nWei

zenegge

r

Tassilo von

Grolman

Page 153: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

152

Einz

elst

ück

Mas

se

Tassilo

von Grolman

Joost

van Bleiswijk

Philipp

Haffmans

Hermann

Weizenegger

Oliver

Schübbe

Rich

ard

Hutte

n

„Marke

Eigenbau“

„Han

dwer

k“ Kiki

van Eijk

„Adhocism“

Jerszy

Seymour

Judi

thSe

ng

Page 154: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

153

Äst

heti

k de

r Feh

ler

Perf

ekti

on

Tassilo

von Grolman

Joost

van Bleiswijk

Her

man

nWei

zenegge

rRichard

Hutten

Oliver

Schübbe

Judi

thSe

ng

Phili

pp

Haffman

s

Kiki

van Eijk

„Ad

hoci

sm“

Jerszy

Seymour

„Han

dwer

k“

Page 155: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

154

Han

dwer

kD

igit

ale

Wer

kzeu

ge

Tassilo

von Grolman

Rich

ard

Hutte

n

Oliver

Schübbe

Kiki

van Eijk

Joost van

Bleiswijk

Philipp

Haffmans

Her

man

nWei

zenegge

r

Judi

thSe

ng

„Mar

keEi

genba

u“

Jers

zySe

ymour

„Han

dwer

k“

Page 156: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

155

Impr

ovis

atio

nPl

anun

g

Page 157: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

156

Resumé

Ad hoc und Improvisation finden sich in allen Lebensbereichen. Sie sind spontane, alltägliche und selbstverständliche Handlungen, die wir oft unbe-wusst anwenden. Die Improvisation bringt neue, überraschende Ergebnisse hervor, denn sie geschieht außerhalb eines Planes.Die Improvisation als Ersatzhandlung bei praktischen Problemen dient hin-gegen meist der Überbrückung eines unmittelbaren Mangels , die „richtige“ Lösung folgt später. Als spontane Reaktion auf den Mangel nutzt sie die in der jeweiligen Situa-tion direkt verfügbaren Ressourcen, der Mangel wird bei der Improvisation deshalb oft nur unzureichend und vor allem nur vorübergehend behoben. In den spontanen Lösungen von Alltagsproblemen steckt dennoch ein Poten-tial. Sie erfüllen ihren Zweck zwar anders als eine geplante Lösung, tragen aber maßgeblich dazu bei, dass ein Plan oder ein System funktioniert. Die im Moment der Improvisation entstehenden Lösungen sind neu und zudem un-erwartet, die Improvisation kann deshalb auch als kreative Strategie gelten.So wenden die Gestalter Ad hoc und Improvisation ganz selbstverständlich an, um auf die sich ständig ändernden Bedingungen in ihrem Arbeitsalltag einzugehen. Sie stehen der Improvisation offen gegenüber, als Umgang mit einem Mangel oder einem Problem sind Ad hoc und Improvisation deshalb im Design etablierte Strategien. Sie sind die Realität des Entwurfsprozesses, denn das Design ist als entwickelnde Tätigkeit darauf angewiesen, sich im-mer wieder neuen Problemen zu stellen.

Zwischen den beiden spontanen Handlungen Ad hoc und Improvisation besteht ein Definitionsunterschied. Mit der Improvisation werden im Design minderkomplexe und vielleicht auch minderwertige Objekte verbunden. Die Improvisation gilt zwar als kreative Handlung, bleibt aber dennoch eine Ersatzhandlung. Ad hoc hingegen findet auf konzeptioneller Ebene statt, Ad hoc geht über das Lösen unmittelbarer praktischer Probleme hinaus. Denn Ad hoc ist eine bewusste, zielgerichtete Handlung, die auf Entscheidungs-fähigkeit beruht, und Entscheidungen im Design werden ad hoc aufgrund von Wissen, Analyse und anhand der eigenen Intuition getroffen. Sie speisen sich aus dem bereits Erlebten, sie sind ein Rückgriff auf indivi-duelle Erfahrungen. Ad hoc ist eine präzise Denkleistung („sharp mental accuracy“), die als entwerferische Strategie und sogar als Haltung im Design funktionieren kann.

Im Gegensatz zur Improvisation, die abhängig von Zufällen ist, kann Ad hoc im Zuge der Analyse einer bestimmten Situation sogar planerisch eingesetzt werden. Die Ad hoc Lösung dient einem bestimmten Zweck, der im Vorn-herein definiert wurde, die Improvisation hingegen verbleibt beim Lösen praktischer Probleme.

Page 158: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

157

Ad hoc im Design ist eine professionalisierte Form der Improvisation, denn Ad hoc erweitert die Improvisation um eine strategische, analytische Kom-ponente. Ad hoc geschieht in einem bestimmten Moment und mit einem bestimmten Ziel.

Auch die Laien wenden Ad hoc und Improvisation im Alltag an, ihre Hand-lungen unterscheiden sich jedoch von denen der Profis. Denn die Profis ver-folgen bei der spontanen Handlung andere Ziele als die Laien. Sie gestal-ten bewusst, während die Gestaltung der Laien im Moment der spontanen Handlung eher zufällig und nebenbei entsteht (NID). Die Improvisationen der Laien sind eine Reaktionen auf einen unmittelbaren Mangel, während die Profis mit der spontanen Handlung übergeordnete Ziele wie ein Konzept verfolgen.Auch solche Improvisationen der Laien, wie sie im Zuge bewusster Gestal-tungen bei Tätigkeiten wie dem Do-It-Yourself passieren, bringen andere Ergebnisse hervor. Denn die Profis haben ein anderes Wissen als die Laien. Ad hoc und Improvisation greifen auf individuelle Erfahrungen zurück. Die Fähigkeit zu entscheiden und zu unterscheiden macht die Professionalität von Ad hoc und Improvisation im Design aus.

Ad hoc im Design folgt keiner bestimmten Systematik. Man kann Ad hoc deshalb nicht als Kreativitätsmethode im klassischen Sinne verstehen. Ad hoc und Improvisation setzen sich aus vielen verschiedenen Substrategien zusammen, sie entstehen in Abhängigkeit eines bestimmten Kontexts. Da-bei passen sie ihre Strategie dem jeweiligen Kontext immer wieder neu an, über den Kontext kann die spontane Handlung auch provoziert werden. So kann das Finden, Bezeichnen und Verändern eines Kontexts als Methode von Ad hoc gelten:Der Arbeitsplatz ist das Setup für Ad hoc und Improvisation, das sich beein-flussen lässt, und die Person, die improvisiert, bewegt sich in diesem Setup, sie ist Teil des Kontexts.Das Beobachten der Situation kann als analytischer Prozess der spontanen Handlung vorausgehen. Der Improvisateur muss diese Situation abstrahiert betrachten und schnelle Entscheidungen treffen können.Auch ein Plan kann Teil des Kontexts sein, in dem Ad hoc und Improvisation stattfinden. Denn Planung ist der Rahmen der Improvisation, Planung und Improvisation bedingen einander. Der Plan selbst ist als Prozess zu sehen, der immer wieder neue Anpassungen erfordert. Das bewusste Belassen von Freiräumen innerhalb des Planes kann Ad hoc ermöglichen.

Ad hoc und Improvisation sind immer auch ein Balanceakt zwischen Ord-nung und Entropie: Die Improvisation kann scheitern, denn die spontane Handlung ist ein Experiment – sie verweigert sich der Erprobung. Zudem wird das Gelingen der Improvisation von dem Kontext bestimmt, in dem das Produkt der Improvisation genutzt oder präsentiert wird. So ist die industri-elle Massenfertigung ein anderer Kontext mit anderen Anforderungen als

Page 159: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

158

die Fertigung eines Einzelstücks. Dieser Kontext bestimmt die Maßtäbe, an-hand derer das Gelingen der von Ad hoc und Improvisation beurteilt wird.

Schließlich ist es auch die Wahl der Werkzeuge, die die spontane Handlung beeinflusst. Ad hoc akzeptiert jedes Werkzeug, nur kommt es auf die richtige Kombination der Werkzeuge an. Auch Computer können Instrument von Ad hoc und Improvisation sein. Der Wechsel zwischen den analogen und den digitalen Werkzeugen ist hierbei der Schlüssel zur gelungenen Impro-visation.

Ad hoc ist im Design nicht nur eine Entwurfsmethode, sondern auch eine Produktionsmethode. Digitale Techniken werden in den Werkstätten der Designer mit traditionellem Handwerk ad hoc kombiniert, so entstehen neue Entwürfe und differenzierte Formen. Die Designer nutzen das Werkzeug der Improvisation, um sich von der Massenproduktion abzugrenzen, sie kom-binieren dabei verschiedene Formen der postindustriellen Produktion. Sie wollen selbstbestimmt agieren. Und die Improvisation ist ein Mittel, um mit den in der eigenen Werkstatt zur Verfügung stehenden Werkzeugen gebrauchsfähige Produkte zu schaffen. Dabei erzählen diese Produkte oft auch noch die Geschichte ihrer Fertigung.

Die postindustrielle Produktionsweise mittels Ad hoc kann Teil der Posi-tionierung des Gestalters sein. Dabei kann auch das Finden einer eigenen bestimmten (Produktions-) Nische ad hoc sein. Aus dieser Nische gehen wiederum Produkte hervor, die neu sind. Sie konnten nur in diesem einen Bestimmten Kontext geschaffen werden. Ad hoc und Improvisation sind die ständige Anpassung und Veränderung eines Planes. Sie sind das Gegenteil eintöniger, reproduzierender Tätigkei-ten.

Die Produkte von Ad hoc und Improvisation besitzen besondere ästhetische Qualitäten. Es sind die Abweichungen von der Norm (Kratzer), die die ästhe-tische Qualität der improvisierten Objekte ausmachen. So entsprechen die Improvisierten Lösungen oft nicht den etablierten ästhetischen Kriterien. Ein Bruch mit der Norm wird von den Gestaltern bewusst genutzt und als Methode zur Erzeugung neuer, anderer Formen eingesetzt. Die Improvisierte Ästhetik des Objekts kann zum Konzept werden, die Anti-Form ist gewollt.Die ad hoc produzierten Objekte sind individualisierte Gegenstände, sie ha-ben für den Nutzer mehr als nur einen Gebrauchswert. Sie sind nicht perfekt und glatt, und diese Unvollkommenheit ermöglicht es dem Nutzer, sich in den Produkten wiederzufinden. Er kann sich das Produkt leichter aneignen, ihm selbst ad hoc etwas hinzufügen. Der Entwurf ist keine geschlossene Einheit mehr, er erlaubt Partizipation.

Page 160: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

159

AusblickDas Potential der spontanen Handlungen als Entwurfs- und Entwicklungs-methode wurde in dieser Analyse längst nicht ausgeschöpft.So wäre noch zu untersuchen, wie neben den Autorendesignern auch andere Designer, die in anderen Unternehmensstrukturen arbeiten (zum Beispiel in Konzernen), Ad hoc und Improvisation anwenden.Wichtiger Bestandteil der Improvisation im Design ist auch die Kultur, in der sie entsteht, denn was als Norm oder als etablierte Strategie gilt, wird je nach Mentalität unterschiedlich bewertet. Wie beeinflusst die Kultur die Improvisation? Welche Normen gelten in den unterschiedlichen Kulturen in Bezug auf die spontanen Handlungen? Improvisieren Frauen anders als Männer? Und kann man Ad hoc als Methode auf andere Bereiche übertragen, zum Beispiel auf das Qualitätsmanagement oder auf die Prozessgestaltung? Könnten ganze Produktionszweige ad hoc sein? Kann Ad hoc vielleicht sogar eine lokale, umweltfreundliche Produktion ermöglichen?

Page 161: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

Anhang

Page 162: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll
Page 163: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

162

LiteraturverzeichnisAlbus, Volker; Borngräber, Christian: Design-Bilanz, Köln 1992.

Bibliographisches Institut Wien: Meyers Großes Konversationslexikon, Leipzig und Wien 1906, Band 9

Borka, Max: Nullpunkt. Nieuwe German Gestaltung, Bielefeld 2009.

brandeins: Wir rechnen mit allem, Jg. 10. Jahrgang, H. 10, Hamburg 2008.

Brandes, Uta; Erlhoff, Michael; Wagner, Ingo: Non Intentional Design, Köln 2006.

Brandes, Uta; Stich, Sonja; Wender, Miriam: Design durch Gebrauch, Basel 2009.

Brockhaus-Enzyklopädie,19. Auflage, Mannheim 1996.

Burckhardt, Lucius: Wer plant die Planung?, Berlin 2004.

Dell, Christopher: Prinzip Improvisation, Köln 2002.

Dorschel, Andreas: Gestaltung – zur Ästhetik des Brauchbaren, 2. Auflage, Heidelberg 2003.

Drosdowski, Günther: Duden – Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, 2. Auflage, Mannheim, Wien [u.a.] 1996.

Erlhoff, Michael; Marshall, Tim (Hg): Wörterbuch Design, Basel 2008.

Friebe, Holm; Ramge, Thomas: Marke Eigenbau, Frankfurt am Main [u.a.] 2008.

Friedberg, M. Paul: Do it yourself playgrounds, London 1976.

Haug, Wolfgang Fritz: Kritik der Warenästhetik, Frankfurt am Main 2009.

Hustwit, Gary: Objectified, DVD, England 2009.

Jencks, Charles (Hg.); Silver, Nathan: Adhocism. The Case For Improvisation, London 1972.

Krings, Hermann; Baumgartner, Hans Michael; Wild, Christoph: Handbuch Philosophischer Grundbegriffe, München 1974.

Lem, Stanislaw: Sterntagebücher, Frankfurt am Main 2009.

Neumüller, Hanna: Provisorien im Alltag und anhand von IKEA und Tchibo im Kontext von Industrial Design, Diplomarbeit, Linz 2008.

Parsons, Tim : Thinking: objects. contemporary approaches to product design. Lausanne 2009

Pertsch, Erich: Langenscheidts großes Schulwörterbuch. Lateinisch - deutsch, 4. Auflage, Berlin 1987.

Ribbeck, Eckhart: Die informelle Moderne, Heidelberg 2002.

Richard, Birgit; Ruhl, Alexander: Konsumguerilla, Frankfurt am Main 2008.

Riehl, Martin: Vers une architecture. Das moderne Bauprogramm des Le Corbusier, München 1992.

Sennett, Richard (Hg.): Handwerk, Berlin 2009.

Suri, Jane Fulton; Ideo Product Development London: Thoughtless acts?, San Francisco 2005.

Universität der Künste Berlin: Design-Reaktor Berlin, Berlin 2008.

Page 164: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

163

Alle weiteren Medien

Baudrillard, Jean; Garzuly, Joseph: Das System der Dinge. Über unser Verhältnis zu den alltäglichen Gegenständen. Frankfurt/Main, 2007.

Borngräber, Christian: Berliner Wege – Prototypen der Designwerkstatt. Berlin, 1988.

Burckhardt, Lucius: Design ist unsichtbar. Ostfildern, 1995.

Certeau, Michel de: Kunst des Handelns. Berlin, 1988.

Düllo, Thomas; Liebl, Franz: Cultural hackingKunst des strategischen Handelns. Wien, 2005.

Esposito, Elena: Die Verbindlichkeit des Vorübergehenden. Paradoxien der Mode. Frankfurt am Main, 2004.

Fezer, Jesko; Heyden, Mathias: Hier entsteht. Strategien partizipativer Architektur und räumlicher Aneignung, Berlin 2007.

Flusser, Vilém: Dinge und Undinge. Phänomenologische Skizzen. München, 2006.

Hennessey, James; Papanek, Victor: Nomadic furniture-2. New York, 1975.

Hirdina, Heinz: Am Ende ist alles Design. Texte zum Design 1971 – 2004. Berlin, 2008.

Huizinga, Johan: Homo ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel. 20. Aufl. Reinbek bei Hamburg, 2006.

Kelley, Tom; Littman, Jonathan: Das IDEO-Innovationsbuch. wie Unternehmen auf neue Ideen kommen. München, 2002.

Ramakers, Renny; Bakker, Gijs: Droog design. spirit of the nineties. Rotterdam, 1998

Ramakers, Renny; Bakker, Gijs: Simply Droog. 10 + 3 years of creating innovation and discussion. Rotterdam, 2006.

Sato, Kazuko: Alchimia. Italienisches Design der Gegenwart. Berlin, 1988.

Schiller, Friedrich: Über die ästhetische Erziehung des Menschen. In einer Reihe von Briefen. Mit den Augustenburger Briefen. Stuttgart, Reclam 2006.

Terstiege, Gerrit: The making of design. Vom Modell zum fertigen Produkt. Basel, 2009.

Page 165: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

164

BildnachweisSeitenfüllende Bilder

Deckblatt: „Adhocsita“, mit Modellbaumaterialien gebastelter Schriftzug (Foto: Annika Frye)

S. 3: Arbeitsplatz im Flur, Kunsthochschule Kassel, 2010

S. 13: Eingrenzung des Forschungsfeldes

S. 28: Hockermodell, Klebeband und Pappe

S. 36: Kabeltrommeln an der Außenfassade eines Gebäudes, Trapani, Italien 2010,

S. 40: Provisorische Küche in der Kunsthochschule Kassel, 2008

S. 44: „Raketen-Installation“ bei der Makers Faire 2010, (Foto: David Shulman, www.makezine.com, 21.05.2010)

S. 50: Ad hoc angepasste Architektur, Tokio 2008 (Foto: Patrick Müller)

S. 58: Provisorische Gussform für ein Modell aus Epoxydharz, Studio Richard Hutten, Rotterdam 2009,

S. 93: Sitzmaschine für den „This Chair“, von Richard Hutten in der Ausstellung „Prophets and Penitens“ des DAMn Magazine,

Mailänder Möbelmesse 2009, (Foto: Aiko Telgen)

S. 106: Layers collection at Inside Design in Lloyd Hotel Amsterdam, Studio Richard Hutten, 2009, (Foto: Richard Hutten)

S. 110: Verkaufsraum für gebrauchte Möbel, Recyclingbörse Herford, 2009

S. 116: Arbeitsplatz des Designers Philip Haffmans, Berlin 2010

S. 122: „Workshop Chair“, Jerszy Seymour (2009), im Studio von Jerszy Seymour, Berlin 2010,

S. 128: „Swirl“ und „Loop“, Prototypen, Hermann Weizenegger 2009

S. 134: Arbeitsplatz in der Werkstatt der Designerin Kiki van Eijk, 2009

S. 140: Besprechungstisch im Büro von Tassilo Von Grolman, Oberursel 2010 mit Thermoskanne „Big Mama“, Tassilo von Grolman 1993,

S. 144: „Trift“, Hocker, Judith Seng (2009), im Studio von Judith Seng, Berlin 2010

S. 154 – S. 159: Positionen der Autorendesigner

Bilder in der Marginalspalte

S. 47 Abb. 1, 2: Selbstgebauter Beamer, www.retrointerfacing.com, 22.08.2010

S. 48 Abb. 1: „TRASIGT HJÄRTA“, IKEA-Hack von Eric Morel, www.platform21.nl, 22. 08. 2010

S. 48 Abb. 1, 2: Selbstgemachte Möbel bei www. etsy.com, 10. 08. 2010

S. 52: Besetztes Haus in Stuttgart, www.wikipedia.de, 10. 08. 2010

S. 53 Abb. 1, 2, 3: „Addhox“, Modulares System für Anbauten an bestehende Häuser, Archigram (1972), archigram.westminster.ac.uk, 20. 08. 2010

S. 62 Abb. 1: „Cut and Paste“, Kiki van Eijk (2010)

S. 62 Abb. 2: Modelle, „Cut and Paste“, Kiki van Eijk (2009)

S. 63: „Open Source Amateur Wax“, Jerszy Seymour, www.jerszyseymour.com

S. 64 Abb. 1: „IKEA-Hack“ des Bloggers Aurélien Antoine, www.ilpleut.be,15. 08. 2010

S. 64 Abb. 2: „Dear Ingo“ von Ron Gilad für moooi (2005) www.unicahom.com, 22.08.2010

S. 64 Abb. 3: „Wassili Chair“, Redesign von Alessandro Mendini,1978, www.icollector.com, 22.08.2010

S. 65 Abb. 1, 2, 3: „Smoke Furniture“, Maarten Baas (2002), www.maartenbaas.com, 10. 08. 2010

S. 65 Abb. 4: „Fruchtschale“ Axel Stumpf (1984), Scan aus DESIGNBILANZ, Neues Deutsches Design der 80er Jahre, Volker Albus

und Christian Borngräber, 1992

S. 66 Abb. 1: „Milk Bottle Lamp“, Tejo Remy (1991), www.droog.com, 22.08.2010

S. 66 Abb. 2: „Do Frame“, Martí Guixé (2000), www.droog.com, 22.08.2010

S. 73: „Apothekerspot“, Modell, Kiki van Eijk (2009) (Foto: Femke Roefs)

Page 166: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

165

S. 85: „Frank“, Regal, Oliver Schübbe (2007), www. recyclingboerse.org, 22.08.2010

S. 86 Abb. 1, 2: „Rotational Moulding DIY Machine“, www.designboom.com, 08.03.2009

S. 90 Abb. 1, 2: „Drop City“, Hippiekommune, 1960er Jahre, www.arkinetblog.wordpress.com, 10.08.2010

S. 108: „Playing With Tradition“, Teppich, Richard Hutten (2009) (Foto: I+I Milan)

S. 112: „Pixelstar“, Sofa, Oliver Schübbe (2009), www.recyclingboerse.org, 20.08.2010

S. 118: „Alois“, Sonnenbrille, Mykita (2009), www.sunglassesavenue.com, 24.08.2010

S. 124 Abb.1: „Being There“, Jerszy Seymour „River Workshop“ in der Villa Noialles, Hyères (2009), www.jerszyseymour.com, 22.08.2010

S. 124 Abb. 2: „Coalition of Amateurs“, Jerszy Seymour MUDAM Luxemburg (2009), www.jerszyseymour.com, 22.08.2010

S. 130: „Sinterchair“, Vogt und Weizenegger (2002), www.flickr.com, 10.06.2010

S. 136 Abb. 1: „Soft Clock“, Kiki van Eijk (2002), www.kikiworld.nl, 20.06.2010

S. 136 Abb. 2: „ No Screw No Glue-Candelabrum“, Joost van Bleiswijk (2008), www.joostvanbleiswijk.com, 20.06.2010

S. 142: „Filio“, Tekanne, Tassilo von Grolman (1989), www.tassiovongrolman.de, 20.08.2010

Page 167: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll
Page 168: Adhocsita - ANNIKA FRYE · Annika Frye Kunsthochschule Kassel Produkt Design Schwerpunkt: Industriedesign Prüfer: Prof. Dr. Uta Brandes Prof. Oliver Vogt Dipl. des. Sandra Groll

„Ad hoc means acting fast, but with sharp mental accuracy.“