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Ältere Menschen und Alkohol Prof. Dr. Siegfried Weyerer Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim 50. Fachkonferenz der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen Forum 205: Gesellschaft im Wandel- “neue“ Zielgruppen der Suchthilfe 8. bis 10. November 2010 in Essen

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Ältere Menschen und Alkohol

Prof. Dr. Siegfried WeyererZentralinstitut für Seelische Gesundheit

Mannheim

50. Fachkonferenz der

Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen

Forum 205: Gesellschaft im Wandel-

“neue“ Zielgruppen der Suchthilfe

8. bis 10. November 2010 in Essen

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Sucht im höheren Alter

Der schwedische Arzt Magnus Huss, der

erstmalig 1849 den Begriff des Alkoholismus

prägte, war der Meinung, dass es äußerst

selten sei, einem über 60-jährigen Alkoholiker

zu begegnen.

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Sucht im höheren Alter

• Lange Zeit wenig thematisiert• Quantitativ bedeutsame Zielgruppen

Tabak

Alkohol

Psychopharmaka (vor allem Benzodiazepine)

Illegale Drogen (epidemiologisch noch geringe Bedeutung)

• Alte, vor allem hochaltrige Menschen werden häufig aus epidemiologischen Studien ausgeschlossenNeue epidemiologische Ergebnisse aus Deutschland: - ältere Menschen in Privathaushalten und- in Altenpflegeheimen

• Forschungsstand und mögliche künftige Forschungsfelder

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Sucht im höheren AlterPublikationen (Auswahl)

Sonderheft „Riskanter Alkoholkonsum im höheren Lebensalter“

Zeitschrift SUCHT 2009

Sonderheft „Sucht im Alter“

Zeitschrift Suchttherapie 2009

Sonderheft „Sucht im Alter“

Zeitschrift für Gerontopsychologie& -psychiatrie

2006

Unabhängig im Alter. Suchtprobleme sind lösbar

Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V.

2006

Alkohol und Medikamente, Missbrauch und Abhängigkeit im Alter. Lambertus: Freiburg

Havemann-Reinecke U, Weyerer S, Fleischmann H (Hrsg.)

1998

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European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction (2008)

• The number of older people with substance use problems or requiring treatment for a substance use disorder is estimated to more than double between 2001 and 2020.

• This is partly due to the size of the baby-boom cohort (born between 1946 and 1964) and the higher rate of substance use among this group.

• Alcohol related dementia: a 21st-century silent epidemic (Gupta and Warner 2008).

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Was die Lebenserwartung der Deutschen beeinflusstAngaben für 50-Jährige in Jahren

Quelle: Demographische Forschung aus erster Hand, 3/2008

+3,1+1,9Wohnort Baden-Württemberg

-2,7-0,6Wohnort Mecklenburg-Vorpommern

0-4,9Allein lebend

-7,2-9,1Niedrige Bildung

-9,3-9,8Geschieden

-7,4-12,4Bluthochdruck

-14,3-12,6Arbeitslos

-16,2-17,7Unzufrieden mit eigener Gesundheit

-21,4-20,8Diabetes mellitus

-18,2-22,0Starker Tabakkonsum

-16,2-23,1Starker Alkoholkonsum

MännerFrauenEinflussfaktor

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Alkoholkonsum im höheren Alter(Allgemeinbevölkerung)

Bei über 60-Jährigen:• Regelmäßiger Alkoholkonsum: mindestens 50% (Mann et

al. 2003)• Riskanter Alkoholkonsum (Bühringer et al. 2000):

15,4% (gesamt)26,9% (Männer)

7,7% (Frauen)• Alkoholmissbrauch: 10-20% (Männer)

1-10% (Frauen)• Alkoholabhängigkeit: 2-3% (Männer)

0,5-1% (Frauen)

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Limitationen der Studien zu Alkoholproblemen im höheren Lebensalter

• Unterschiedliche Operationalisierungen: Grenzwerte, Bezugszeiträume, Altersgrenzen

• Retrospektive Selbstauskunft (Menge, Frequenz)• Positiv selektierte Studienpopulationen

Unterrepräsentiert sind häufig:- Körperlich und kognitiv Beeinträchtigte- Obdachlose- Ältere in stationären Einrichtungen (vor allem

Pflegeheime)

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Problem der Diagnose süchtigen Verhaltens im Alter

• Kriterien betonen die Folgen der Sucht, die bei älteren Menschen häufig anders sind als bei jüngeren Menschen

• Verminderung sozialer, beruflicher oder Freizeitaktivitäten können altersbedingt und nicht Folge der Sucht sein

• Körperliche und psychische Symptome (z. B. Tremor der Hände oder Schlafstörungen) können fälschlicherweise für Entzugssymptome gehalten werden

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Ältere Menschen

• fallen seltener durch Alkoholkonsum und dessen Folgeerscheinungen auf: sie werden weniger als jüngere Menschen in ihrem sozialen Umfeld (Arbeitsplatz, Straßenverkehr, Familie) wahrgenommen

• suchen bei Alkoholproblemen seltener professionelle Hilfe auf: Scham und Schuldgefühle sind sehr stark ausgeprägt

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Häufigkeit (%) riskanten Alkoholkonsums(Frauen: >20g, >0,5 l Bier; Männer: >30g)

in Deutschland (Bühringer et al. 2000)

0

5

10

15

20

25

30

35

40

30-39 40-49 50-59 >59

Männer

Frauen

Gesamt

27

15

8

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Gründe für den Rückgangvon Alkoholmissbrauch/-abhängigkeit

im höheren Alter

• Wegen der um ein Vielfaches höheren Mortalitätsrate von Alkoholikern erreichen nur relativ wenige ein höheres Lebensalter In Deutschland 2005: Durchschnittliches Sterbealter der an alkoholbedingten Erkrankungen Verstorbenen: 58,4 Jahre; bei allen Todesursachen: 76,4 Jahre (Rübenach, 2007)

• Altersbedingte Veränderungen des Stoffwechsels führen zu einer Abnahme der Alkoholtoleranz

• Im höheren Alter häufiger auftretende gesundheitliche Beschwerdenführen zu einer Reduktion des Alkoholkonsums („Sick quitter effect“)

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Untergruppender Alkoholabhängigkeit im Alter

GutMäßigTherapiechancen

SeltenHäufigIntoxikationstage

NegativPositivFamilienanamnese

KonstantHäufig wechselndWohnsitz

StabilInstabilPersönlichkeit

Ein DrittelZwei Drittel Häufigkeit

60 Jahre und älterUnter 60 Jahren Alter

Später Beginn

(Late onset)

Früher Beginn

(Early onset)

Merkmal

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Psychosoziale und gesundheitliche Risikofaktorenfür Alkoholprobleme im höheren Alter

• Verlust des sozialen Netzwerks (Pensionierung, Tod des Partners)

• Finanzielle Einbußen

• Körperliche Erkrankungen, Schmerzen

• Einschränkung der Alltagsaktivitäten (Mobilität)

• Psychische Erkrankungen (Schlafstörungen, Depression, Angst)

• Gleichzeitige Einnahme von psychotropenMedikamenten (Bundesgesundheitssurvey 1998; Du et al., 2008)

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Klassifikationen von riskantem Alkoholkonsum

Zusätzlich zu Mengenangaben: Verwendung von Screeninginstrumenten

SMAST-G (Short Michigan Alcoholism Screening Test-Geriatric; deutsche Version: Lieb et al. 2008)

AUDIT (Alcohol Use Disorders Identification Test; deutsche Version: Rumpf et al. 2001)

Unterschiedliche Definitionen von Standarddrinks

z. B. Australien: 10g; Japan: 20g

NIAAA (1995), The American Geriatrics Society (2003)

65-jährige und ältere Männer und Frauen:

>1 drink (15g) pro Tag

>7 drinks pro Woche

>3 drinks bei einem Trinkanlass

British Medical Association (1995): gesunde Erwachsene

Frauen: >20g (0,5 l Bier; 0,2-0,25 l Wein)

Männer: >30g

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AUDIT-C (Bush et al., 1998): Summenwert: 0 bis 12Nietrinker: 0;Moderate Trinker: 1-3 (Frauen); 1-4 (Männer)Risikokonsum: 4+ (Frauen); 5+ (Männer)

Nie

Weniger als 1mal im Monat

Etwa 1mal im Monat

Etwa 1mal in der Woche

Täglich oder fast täglich

0

1

2

3

4

Wie oft trinken Sie 6 oder mehr alkoholische Getränke bei einer Gelegenheit? (Hinweis: Mit einer Gelegenheit ist z. B. ein Discobesuch, ein Besuch bei Freunden oder das Bier zum Fernsehen gemeint)

1 bis 2 alkoholische Getränke

3 bis 4 alkoholische Getränke

5 bis 6 alkoholische Getränke

7 bis 9 alkoholische Getränke

10 und mehr alkoholische Getränke

0

1

2

3

4

Wenn Sie alkoholische Getränke zu sich nehmen, wie viel trinken Sie dann normalerweise an einem solchen Tag? (Hinweis: ein alkoholisches Getränk entspricht einer 0,33l Bierflasche, einem Glas Wein oder Sekt, einem doppelten Schnaps oder einer Flasche Alcopops)

Nie

1 mal pro Monat oder weniger

2-4mal pro Monat

2-3mal pro Woche

4+ pro Woche

0

1

2

3

4

Wie oft nehmen Sie ein alkoholisches Getränk zu sich?

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Empfehlungen des Wissenschaftlichen Kuratoriums der DHS zu Grenzwerten für den Konsum alkoholischer Getränke

(Seitz und Bühringer 2008)

• Risikoarme Schwellendosis im Umgang mit Alkohol beim gesunden Menschen ohne zusätzliches genetisches oder erworbenes Risiko:Männer: 24 g Alkohol pro Tag

Frauen: 12 g Alkohol pro Tag

• Auch bei dieser Dosis: mindestens zwei alkoholfreie Tage pro Woche

• Alkohol sollte komplett gemieden werden:am Arbeitsplatz, bei der Bedienung von Maschinen,

im Straßenverkehr, beim Sport,

in der Schwangerschaft und während der Laktation

nach der Behandlung einer Alkoholabhängigkeit

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International Journal of Geriatric Psychiatry 24, 1376-1385

At-risk alcohol drinking in primary care patientsaged 75 years and older.

Weyerer S, Schäufele M, Eifflaender-Gorfer S, Köhler L, Maier W, Haller F, Cvetanovska-Pllashiniku G, Pentzek M, Fuchs A, van den Bussche H, Zimmermann T, Eisele M, Bickel H, Mösch E, Wiese B, Angermeyer MC, Riedel-Heller SG; for the German AgeCoDe Studygroup (2009)Further members of the German AgeCoDe Study group.—Heinz‐Harald Abholz, Cadja Bachmann, Wolfgang Blank, Michaela Buchwald, Mirjam Colditz, Moritz Daerr, Frank Jessen, Sven Heinrich, Hanna Kaduszkiewicz, Teresa Kaufeler, Hans‐Helmut König, Tobias Luck, Melanie Luppa, Manfred Mayer, Julia Olbrich,Heinz‐Peter Romberg, Anja Rudolph, Melanie Sauder, Britta Schürmann, Michael Wagner, Jochen Werle, Anja Wollny. (German Study on Ageing, Cognition, Dementia in Primary Care Patients)..

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Hamburg

Düsseldorf

TU München

Bonn

ZI Mannheim

(Zentrale)

Bremen Hannover

Biometrie, Gesundheitsökonomie

Rekrutierungszentren

Bundesweite Studie: Eingeschlossene Zentren

Leipzig

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AgeCoDe-Studie: Alkoholkonsum bei 75-jährigen und älteren Hausarztpatienten in Deutschland nach

Geschlecht (Weyerer et al. 2009)

2.1171.1073.224Untersuchte Hausarztpatienten

3,612,16,5Riskant

(>20/30g pro Tag)

34,061,343,5Mäßig

62,426,650,1Abstinent

Frauen

%

Männer

%

Gesamt

%

Alkoholkonsum

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Riskanter Alkoholkonsum (Männer: >30g; Frauen: >20g) bei 75-jährigen und älteren Hausarztpatienten (N=3.224)

in Deutschland nach Alter(Weyerer et al. 2009)

0

1

2

3

4

5

6

7

8

75-79 80-84 85 und älter

7,6

5,5

2,9

%

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Vergleich riskanter Alkoholkonsum gegenübergeringem/mäßigem Alkoholkonsum

bei Hausarztpatienten (75+) in Deutschland(Weyerer et al. 2009)

2.2 (1.41-3.48)***

1

Rauchen: Ja

Nein

2.1 (1.07-4.18)*

1

Lebererkrankung: Ja

Nein

1

1.9 (1.34-2.72)***

Geschlecht: Frauen

Männer

Odds Ratio (adjust.)

(95% CI)Variable

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Alkoholkonsum und Rauchen bei Hausarztpatienten (75+) in Deutschland

(Weyerer et al. 2009)

Häufiger bei Depressiven

Häufiger bei nicht

Depressiven

Depression

Häufiger bei Alleinlebenden

Häufiger bei nicht Alleinlebenden

Lebenssituation

Kein UnterschiedHäufiger bei höherer Bildung

Bildung

AbnahmeAbnahmeAlter

Kein UnterschiedHäufiger bei MännernGeschlecht

Rauchen

7,5%

Alkoholkonsum

50,0%

Merkmal

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Alkoholkonsum und Rauchen

Welcher Zusammenhang bestehtmit

demenziellen Erkrankungen ?

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Alcohol, dementia and cognitive decline in the elderly: a systematic review (Peters et al., 2008)

Einschlusskriterien:

Prospektive Längsschnittstudien bei 65-Jährigen und Älteren

Bestimmung der Inzidenz (Demenz/kognitive Verschlechterung)

Ergebnisse von 23 Studien:

Demenz (alle Formen): RR: 0.63; 95%CI: 0.53-0.75

Alzheimer Demenz: RR: 0.75; 95%CI: 0.44-0.74

Vaskuläre Demenz: RR: 0.82; 95%CI: 0.50-1.35

Kognitive Verschlechterung: RR: 0.89; 95%CI: 0.67-1.17

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Der Zusammenhang zwischen Rauchen und Demenz

Almeida et al. (2002): Übersicht von

21 Fall-Kontroll Studien ergab, dass Rauchen das Demenzrisiko vermindert (Odds ratio = 0.74; 95%CI: 0.66-0.84)

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Smoking as a risk factor for dementia and cognitive decline:A meta-analysis of prospective studies (Anstey et al. 2007)

Zunahme

β -0.07

95%CI: -0.11,-0.03

Zunahme

β -0.13

95%CI: -0.18,-0.08

Kognitive Verschlechterung

Kein signifikanter Unterschied

RR 1.27

95%CI: 1.02-1.60

Inzidente Demenz

(alle Formen)

Kein signifikanter Unterschied

RR 1.78

95%CI: 1.28-2.47

Inzidente

VaskuläreDemenz

RR 1.70

95%CI: 1.25-2.31

RR 1.79

95% CI: 1.43-2.23

Inzidente

Alzheimer Demenz

Aktuelle Raucher versus frühere Raucher

Aktuelle Raucher versus Nichtraucher

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Zusammenhang von Alkoholkonsum und Rauchen mitinzidenter Demenz in Deutschland

(Weyerer et al. 2010)adjustiert nach Geschlecht, Alter, Lebenssituation, Bildung, IADL-

Einschränkung, somatische Komorbidität, Depression, ApoE4, MCI

1

1.05 (0.59-1.85)ns

1

1.05 (0.62-1.75)nsRauchen Nein

Ja

1

0.68 (0.49-0.94)*

1

0.63 (0.47-0.83)**Alkoholkonsum Nein

Ja

Adjustierte OR (95% CI)

Univariate OR

(95% CI)

Variable

(Baseline)

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Cataldo JK, Prochaska JJ, Glanz SA (2010)Cigarette smoking is a risk factor for Alzheimer´s Disease:

an analysis controlling for tobacco industry affiliation

Journal of Alzheimer´s Disease 19 (2), 465-480

Pooled Odds Ratios

Cohort Studies14 without tobacco-affiliated authors: 1.45 (95% CI: 1.16-1.80)

3 with tobacco-affiliated authors: 0.60 (95% CI: 0.27-1.32)

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2,25 Millionen Pflegebedürftigein Deutschland (Ende 2007)(Statistisches Bundesamt 2009)

zu Hause versorgt:

1,541 Mill. (68%)in Heimen versorgt:

709.000 (32%)

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Pflegebedürftige in Deutschlandin Heimen versorgt

540000

560000

580000

600000

620000

640000

660000

680000

700000

720000

2001 2003 2005 2007

604.000

640.000

677.000

709.000

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Schneekloth und Wahl (Hrsg.)

Pflegebedarf und Versorgungssituation bei älteren Menschen in Heimen.

Kohlhammer Verlag: Stuttgart 2009

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Alkoholkonsum (letzte 4 Wochen) und Alkoholdiagnosen (ICD 10; F10) in 58 deutschen Altenpflegeheimen(Schäufele, Weyerer, Hendlmeier, Köhler 2009)

5,8

(0-30,6)

2,6

(0-11,1)

17,2

(0-50,0)Alkoholdiagnosen(Range in den Einrichtungen)

82,5

17,2

0,3

85,4

14,4

0,2

72,0

27,1

0,8

AlkoholkonsumAbstinent

Moderat

Riskant (>20/30g pro Tag)

Gesamt

(N=4.476)

%

Frauen

(N=3.488)

%

Männer

(N=988)

%

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Alkoholdiagnosen in der Pflegedokumentation

0,8%Sonstige psychische und Verhaltensstörung durch Alkohol (F10.8 und F10.9)

12,7%Alkoholdemenz (F10.7)

38,2%Amnestische Syndrom, Korsakowsyndrom (F10.6)

1,2%Psychotische Störung durch Alkohol (F10.5)

1,6%Entzugssyndrom (auch mit Delir) (F10.3 und F10.4)

6,9%Abhängigkeitssyndrom durch Alkohol (F10.2)

64,1%Schädlicher Gebrauch von Alkohol (F10.1)

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Merkmale der Heimbewohnermit und ohne Alkoholdiagnose

ns67,7 68,7Demenzsyndrom %

(laut Pflegepersonal)

<.00152,7 63,1Pflegestufe % 2 und 3

<.00152,9 84,6 Besuche von außerhalb %

<.00150,6 20,1Familienstand % ledig/geschied.

<.00170,4 83,9Alter (in Jahren)

pAlkoholdiagnose

Ja Nein

Merkmal

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Neuropsychiatrische Symptome bei Bewohnernmit und ohne Alkoholdiagnose

ns11,3 12,7Halluzination %

<.00111.3 4,5Hochstimmung/Euphorie %

ns12,1 10,9Abweichendes motorisches Verhalten %

<.0112,2 19,8Angst %

ns14,4 17,7Appetit/Essverhalten %

ns16,3 18,9Schlafstörung %

ns21,2 17,3Wahnvorstellung %

<.0121,4 14,1Enthemmung %

ns25,0 25,3Apathie %

<.00127,6 39,0Depression %

<.00141,2 30,1Agitiertheit/Aggression %

<.00149,8 31,5Reizbarkeit/Labilität %

<.0116,0 12,7 NPI-Gesamtscore M

pAlkoholdiagnose

Ja Nein

NPI-Symptome

(Neuropsychiatrisches Inventar-Q)

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Wirksamkeit von Interventionen bei älteren Menschen mit Alkoholproblemen

(Rumpf et al. 2009)

Kurzinterventionen (maximal drei 60-minütige Sitzungen)• Im Bereich der primärmedizinischen Versorgung• Ziel: Reduzierung des Alkoholkonsums• Besonders wirksam bei Personen mit einem riskanten Alkoholkonsum

Suchtspezifische Behandlungsmaßnahmen• Gleich große oder höhere Erfolgsquoten bei älteren Menschen• Ältere Teilnehmer von Therapieprogrammen weisen oft Merkmale

(z.B. seltener komorbide Drogenproblematik, Probleme mit dem Gesetz, familiäre Konflikte) auf, die die Wahrscheinlichkeit eines Therapieerfolgs erhöhen

Altersspezifische Anpassung von Behandlungsmaßnahmen erscheint sinnvoll

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Forschungsbedarf

• Prospektive Bevölkerungsstudien bei älteren Menschen, in denen Häufigkeit, Verlauf, Risiken und Folgen von Alkoholkrankheiten (differenziert nach frühem und spätem Beginn) untersucht werden

• Untersuchungen zur Identifikation von älteren alkoholkranken Patienten(Hausarztsetting, Krankenhaus, Altenpflegeheimen) Einbettung von Alkoholscreenings in allgemeine Anamnese (im Kontext von Fragen nach Ernährung. Bewegung, Kaffeekonsum)Gezielte Fragen nach Folgeschäden (z. B. Stürze, kognitive Störungen); alkoholspezifische Gesundheitsstörungen und Erscheinungsbild

• Schulung des Pflegepersonals in ambulanten und stationären Einrichtungen der Altenhilfe im Umgang mit Alkoholproblemen älterer Menschen

• Vernetzung Pflegeforschung und Suchtforschung• Identifikation riskanten Alkoholkonsums unterhalb klinisch-diagnostischer

Schwellen: Psychosoziale Interventionen und Therapiestudien

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Künftige Entwicklung in Deutschland

• Demographische Entwicklung:

Anstieg der 65-Jährigen und Älteren:

2000: 13,7 Millionen; 2030: 21,6 Millionen

• Kohorteneffekt: Hoher Substanzgebrauch der Babyboom-Generation nach 1950

• Möglicher Anstieg des durchschnittlichen Sterbealters der an alkoholbedingten Erkrankungen Verstorbenen:

1980: 53,1 Jahre (Männer: 52,7; Frauen: 54,2)

2005: 58,4 Jahre (Männer: 58,1; Frauen: 59,5)

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