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 Ä rztenetze als regionale Zusammenschlüsse von Ärzten zur Optimierung der beruflichen und wirtschaftlichen Situation sind nicht erst ein Phänomen unserer Zeit. Der Zusammen- schluss aus wirtschaftlichen Gründen lässt sich zwar erst seit zwei Jahrzehnten beobachten. Viel länger gab es jedoch schon ärztli- che Kreise und andere Vereine, Ärzteorchester und Ärztereisen. Das wirtschaftliche Interesse blieb im Hintergrund. Schließlich war auch der einzelne Arzt ein selbstständiger Unternehmer. Jetzt aber zeigt sich, dass immer mehr Ärzte den scheinbaren Gegen- satz von freiem Beruf und somit eigenständigem Handeln und Netzwerken auflösen. Zahl der Ärztenetze verdreifacht Die Zahl der in Netzen organisierten Ärzte hat sich innerhalb weniger Jahre verdreifacht: Haben sich 2002 in Deutschland noch etwa 10.000 niedergelassene Ärzte in 200 Netzen zusammenge- schlossen, so sind es nach einer Erhebung aus dem Jahr 2009 bereits 400 Netze mit rund 30.000 Medizinern (Versorgungsfor- schung 2009, S. 25). Zwar wird es die Einzelpraxen auch in Zukunft noch geben, jedoch verliert die ambulante Versorgung ohne moderne Kooperationsstrukturen ihre Wettbewerbsfähigkeit, da die Zuteilung finanzieller Mittel aus Kollektivverträgen abnimmt (Ärztliche Praxis 2006). Die Kollektivverträge zwischen den Kas- Ärztenetze – Wie die Pharmabranche reagieren sollte Die Entwicklung von Ärztenetzen in Deutschland verläuft in den letzten Jahren rasant. Bereits 25 % der niedergelassenen Ärzte waren im Jahr 2010 in einem Netzwerk organisiert. Pharmahersteller widmen sich diesem Trend – ohne bisher jedoch die riesigen Chancen für ein gleichermaßen effektives wie effi- zientes Pharmamarketing ausreichend zu nutzen. Der Aufbau guter Beziehungen zu Ärztenetzen ent- scheidet in Zukunft über den Erfolg und das langfristige Überleben vieler Pharmaunternehmen. FRANK HUBER | JOHANNES VOGEL | SYBILLE FALKE Foto: © Alex Slobodkin/istock.com ÄRZTE ALS KUNDEN ÄRZTE ALS KUNDEN 42 Marketing Review St. Gallen 6 | 2011

Ärztenetze – Wie die Pharmabranche reagieren sollte

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 Ärztenetze als regionale Zusammenschlüsse von Ärzten zur Optimierung der beruflichen und wirtschaftlichen Situation sind nicht erst ein Phänomen unserer Zeit. Der Zusammen-

schluss aus wirtschaftlichen Gründen lässt sich zwar erst seit zwei Jahrzehnten beobachten. Viel länger gab es jedoch schon ärztli-che Kreise und andere Vereine, Ärzteorchester und Ärztereisen. Das wirtschaftliche Interesse blieb im Hintergrund. Schließlich war auch der einzelne Arzt ein selbstständiger Unternehmer. Jetzt aber zeigt sich, dass immer mehr Ärzte den scheinbaren Gegen-satz von freiem Beruf und somit eigenständigem Handeln und Netzwerken auflösen.

Zahl der Ärztenetze verdreifacht

Die Zahl der in Netzen organisierten Ärzte hat sich innerhalb weniger Jahre verdreifacht: Haben sich 2002 in Deutschland noch etwa 10.000 niedergelassene Ärzte in 200 Netzen zusammenge-schlossen, so sind es nach einer Erhebung aus dem Jahr 2009 bereits 400 Netze mit rund 30.000 Medizinern (Versorgungsfor-schung 2009, S. 25). Zwar wird es die Einzelpraxen auch in Zukunft noch geben, jedoch verliert die ambulante Versorgung ohne moderne Kooperationsstrukturen ihre Wettbewerbsfähigkeit, da die Zuteilung finanzieller Mittel aus Kollektivverträgen abnimmt (Ärztliche Praxis 2006). Die Kollektivverträge zwischen den Kas-

Ärztenetze – Wie die Pharmabranche reagieren sollteDie Entwicklung von Ärztenetzen in Deutschland verläuft in den letzten Jahren rasant. Bereits 25 % der niedergelassenen Ärzte waren im Jahr 2010 in einem Netzwerk organisiert. Pharmahersteller widmen sich diesem Trend – ohne bisher jedoch die riesigen Chancen für ein gleichermaßen effektives wie effi-zientes Pharmamarketing ausreichend zu nutzen. Der Aufbau guter Beziehungen zu Ärztenetzen ent-scheidet in Zukunft über den Erfolg und das langfristige Überleben vieler Pharmaunternehmen.

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senärztlichen Vereinigungen auf der einen Seite und den Kranken-kassenverbänden auf der anderen Seite regelten in der Vergangen-heit fast ausschließlich, wie viel Geld für die ambulante Versorgung zur Verfügung steht. Diese Ausschließlichkeit verliert sich durch die inzwischen bestehende Vielzahl von Verträgen, die individuell zwischen Kostenträgern und Ärztevertretern geschlossen werden.

Zieldimensionen bei Ärztenetzen

Die Gründe für den Zusammenschluss der Ärzte sind sehr vielfäl-tig. Es lassen sich in den meisten Ärztenetzen jedoch vier grund-legende Zieldimensionen beobachten: Qualitätseffekte, ökonomi-sche Effekte, strukturelle Effekte und Marketingeffekte (in Anleh-nung an Knöppler 2009, S. 259).

Zieldimension 1: QualitätseffekteDie Qualitätseffekte beschreiben die Verbesserung der Behand-lungsqualität, bspw. durch die Vorgabe von Versorgungsstandards oder die Vermeidung von Doppeluntersuchungen.

Zieldimension 2: Ökonomische Effekte Ökonomische Effekte ergeben sich aus einer Erhöhung der Ein-nahmen durch neue oder effizientere Behandlungsangebote und der Senkung von Kosten, z.B. durch Verbundeinkäufe.

Zieldimension 3: Strukturelle EffekteVorteile durch strukturelle Effekte entstehen daraus, dass der ein-zelne Arzt nicht mehr alleine auftritt, sondern als Teil eines gro-ßen Netzwerks. Dies verstärkt die Position gegenüber Verhand-

lungspartnern und hilft, Managementkompetenzen gemeinsam zu nutzen.

Zieldimension 4: Marketingeffekte Marketingeffekte schließlich umfassen eine optimierte Außendar-stellung und die interne Kommunikation.

Die Entwicklung der Ärztenetze stellt auch die Pharmaindust-rie vor neue Herausforderungen. Pharmahersteller stehen mehre-ren Zielgruppen gegenüber, bisher vor allem Ärzten, Apothekern, Krankenkassen und Patienten (Dichtl/Thiess 1989, S. 384). Durch die Veränderung der Rahmenbedingungen ist es für Pharmaun-ternehmen immer weniger effektiv, einzelne Ärzte zu kontaktie-ren. Die Entscheidungs- und Wahlfreiheit einzeln agierender Ärzte hinsichtlich der Medikamentenauswahl nimmt kontinuierlich ab. Heute gelingt es vielmehr den zusammengeschlossenen Ärzten, wirtschaftlich interessante Verträge abzuschließen. Die Pharma-branche muss dringend einen adäquaten Umgang mit Ärztenet-zen erlernen. Wie schwierig dies ist, zeigt die derzeitige Diskussion in den Medien über die vermeintliche oder tatsächliche unlautere Beeinflussung der Netzwerk-Ärzte durch die Pharmakonzerne.

Ärztenetze verstehen und daraus lernen

Daher hat eine Studie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz untersucht, was Ärztenetze für die Mitglieder besonders wertvoll macht und was die Pharmaindustrie daraus lernen kann, um eine effektive, aber auch verantwortungsbewusste Zusammenarbeit mit den Netzen zu gewährleisten. Bundesweit haben 15 Netze und über 60 einzelne Ärzte an der kausalanalytischen Studie teilgenommen.

Abb. 1 Zieldimensionen von Ärztenetzen

■ Erhöhung der Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität durch Vorgabe von Versorgungsstandards ■ Vermeidung von Doppeluntersuchungen

Qualitäts -effekte

■ Verbesserung der Einnahmensituation der Ärzte ■ Realisierung von Skalen- und Verbundeffekten

Ökonomische Effekte

■ Ausweitung von Marktmacht über Größe des Netzwerkes ■ Bündelung von Managementkompetenzen ■ Verstärkte Zuweisung innerhalb des Netzes

Strukturelle Effekte

■ Verbesserte Positionierung und Außenwirkung durch Markenbildung ■ Verbessertes internes Marketing ■ Gewinnung neuer Patienten

Marketing-effekte

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Das validierte Modell umfasst die vier Bereiche ■ Behandlungsqualität, ■ Ökonomie, ■ Struktur sowie ■ Marketing

und erklärt die qualitativen und – noch wichtiger – die quantitati-ven Effekte auf den Nutzen des Netzes für den einzelnen Arzt. Die Ergebnisse zeigen ein eindeutiges Bild: Die Marketingeffekte und die ökonomischen Effekte der Ärztenetze sind von herausragen-der Bedeutung. Die Qualitätseffekte und die strukturellen Effekte besitzen ebenfalls einen wichtigen Stellenwert in den Kooperatio-nen. Mit 34 % (bezogen auf die Summe aller Effekte) ist die vom Netz ausgehende Marketingwirkung enorm und die wichtigste Zielsetzung des Netzzusammenschlusses.

Ökonomischer Nutzen durch Erlössteigerungen

Als ähnlich grundlegend zeigt sich der ökonomische Nutzen durch Erlössteigerungen und Kosteneinsparungen (32 %). Nur etwa halb so wichtig ist hingegen die Verbesserung der Behandlungsqualität (18 %). Die beteiligten Ärzte verspüren zwar eine Steigerung des Behandlungserfolgs, sehen aber offensichtlich auch ohne Netzwerk die hohe Qualität der Versorgung nicht ernsthaft gefährdet. Einen vergleichbaren Stellenwert nehmen mit 16 % die strukturellen Effekte ein. Verschärft sich die Situation auf dem Gesundheits-markt weiter, ist jedoch von einer Zunahme der Bedeutung der strukturellen Netzwerkeffekte auszugehen, da die Ärzte ihre Position als Einzelkämpfer in Zukunft immer schwerer behaupten können. Insgesamt erweisen sich die hier untersuchten Effekte als entscheidende Faktoren. Sie erklären 72 % des Nutzens von Ärzte-netzen – ein sehr guter Wert, der die hohe Güte der durchgeführ-ten Studie belegt.

Pharmamarketing an neue Gegebenheiten anpassen

Die Studienergebnisse zeigen vielfältige Handlungsoptionen für das Pharmamarketing auf. Ein frühzeitiger, auf die Bedürfnisse der jeweiligen Ärztenetze angepasster Einstieg in die Netzwerkbear-beitung ist dabei die Grundvoraussetzung. Sie sichert den Pharmaunternehmen künftig dauerhafte Partnerschaften. Jeder der vier Netzeffekte bildet den Ausgangspunkt für Empfehlungen, die speziell an diese Zielsetzung der Ärzte anknüpfen. Auf diese Weise ist sichergestellt, dass die Empfehlungen einen für den Arzt wichtigen Effekt adressieren und damit die größtmögliche Wirk-samkeit aufweisen. Einige der Handlungsoptionen beschränken sich jedoch nicht nur auf den zugeordneten Effekt, sondern haben weitere Auswirkungen auf die übrigen Effekte.

Die vier grundlegenden Handlungsempfehlungen lauten: ■ Behandlungserfolge fördern (Qualitätseffekte), ■ Preis- und Vertragsverhandlungen optimieren (ökonomische

Effekte), ■ Netzstrukturen stärken (strukturelle Effekte) und ■ Marketing des Ärztenetzes unterstützen (Marketingeffekte).

Behandlungserfolge fördern: Verbesserung des Prozess- und Qualitätsmanagements von Ärztenetzen Pharmaunternehmen können die Netzwerke dabei unterstützen, administrative Qualitäts- sowie Behandlungsstandards und -leit-linien zu entwerfen und einzuführen. Die Netzärzte können die Standards im Rahmen von Schulungen erlernen, die das Pharmaunternehmen anbietet. Die Standardisierung von Vorge-hensweisen erhöht die Qualität und ermöglicht es den Ärzten, sich auf wesentliche Dinge zu konzentrieren (Ortmann/Schnelle 2000, S. 216). Ferner lässt sich dadurch ein Teil der Behandlungsaufga-ben auf nichtärztliches Personal übertragen und damit Zeit und Behandlungskosten einsparen. Die hierfür notwendige Weiterbil-

Abb. 2 Bedeutung der Zieldimensionen

Nutzender Ärzte

Qualitäts -effekte

Ökonomische Effekte

Strukturelle Effekte

Marketing-effekte

18 %

16 %

32 %

34 %(R2: 72 %)

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dung von medizinischem Personal kann ein weiteres mögliches Angebot der Pharmahersteller sein. Das Personal nimmt als „Case Manager“ die Schnittstelle zwischen Arzt und Patient ein. Die Organisation der Behandlungsabläufe durch die Case Manager erhöht die Behandlungsqualität und spart Kosten, die durch fal-sche Behandlungsstrukturen entstehen. Alternativ hat das phar-mazeutische Unternehmen die Möglichkeit, eigene Mitarbeiter in die Arztpraxen zu entsenden, die z.B. als Ernährungsassistent innerhalb des Netzwerks agieren können.

Angebot von Patientenschulungen Patientenschulungen sollten den Umgang mit der Krankheit und vor allem der Medikation umfassen. Tipps für das alltägliche Leben sowie Adressen für Selbsthilfegruppen usw. geben den Patienten neue Hoffnung und fördern die Adhärenz. Die steigende Adhärenz wirkt sich wiederum positiv auf die Kostenersparnis aus. Gerade chronisch erkrankte Patienten mit lebenslanger Behandlungsdauer profitieren von den Schulungen. Pharmaunternehmen könnten eine Organisationsunterstützung bspw. durch Veranstaltungschecklisten anbieten und damit die Durchführung erleichtern.

Unterstützung bei der Datenerfassung Pharmaunternehmen könnten Programme zur Patientendatener-fassung zur Verfügung stellen. Dies hat vielfältige Vorteile. Zum einen steigert der systematische Datenaustausch die Behandlungs-qualität innerhalb des Netzwerks. Ein Datenerfassungssystem, auf das alle Ärzte für ihre Patienten einen autorisierten Zugriff haben, kann unnötige Doppeluntersuchungen vermeiden. Die Datener-fassung hilft zudem, die steigenden Dokumentationspflichten von Seiten des Gesetzgebers leichter zu erfüllen. Zusätzlich kann die Kontrolle der Patienten die Adhärenz fördern, was sinkende Behandlungslaufzeiten und damit Kostenreduktionen zur Folge hat. Ein direkter Austausch von Daten mit den Krankenkassen ist in Zukunft denkbar, derzeit gibt es noch datenschutzrechtliche Hürden. Durch eine zu erwartende Veränderung der Rechtslage wären detailliertere Analysen der Behandlungskosten von Patien-ten und somit der Nachweis von Einsparungen möglich. Dadurch kann sich die Verhandlungsposition gegenüber den Krankenkas-sen weiter verbessern und somit zusätzlich einen ökonomischen Nutzen bieten (Meißner 2011, A 886).

Einführung moderner Interventionsmöglichkeiten Möglich sind bspw. Applikationen für Smartphones, SMS, Kom-bination aus regelmäßigen Anrufen und Mailings. Der Arzt kann

so direkten Einfluss auf die Patienten-Adhärenz und die Arznei-mitteltherapie nehmen. Die Industrie kann die Ärztenetze bei der Nutzenevaluation und der Umsetzung der Interventionsmöglich-keiten unterstützen.

Garantieren von Behandlungserfolgen Das Pharmaunternehmen garantiert einen schnellen, wirksamen Erfolg seiner Medikamente. Die effektive Wirkung verringert Behandlungskosten. Positive Assoziationen mit dem Produktna-men bzw. der Pharmamarke übertragen sich auf die Wahrnehmung des Ärztenetzes. Netzwerke, die einen Exklusivvertrag mit einem Pharmaunternehmen abschließen, können daraus Vorteile für ihre Patientenbindung sowie die Patientenzufriedenheit ziehen.

Preis- und Vertragsverhandlungen optimieren: Abschluss von ExklusivverträgenPharmaunternehmen können sich in die Selektivverträge zwischen Krankenkasse und Leistungserbringern (Ärztenetzen) einbringen. Durch die Vertragsbindung ist bei entsprechendem Krankheits-bild die Abgabe eines bestimmten Markenpräparats garantiert. Im Gegenzug gewährt der Hersteller dem Netzwerk günstige Kondi-tionen und etabliert sich als kostengünstige Alternative zu ver-gleichbaren Arzneiprodukten. Der Abschluss von Exklusivverträ-gen setzt jedoch eine breite Produktpalette voraus (Gerardy et al. 2010, S. 87).

Unterstützung beim Abschluss von SelektivverträgenDie Selektivvertragsverhandlung stellt heute viele Ärztenetze vor große Probleme. Bislang war die Honorarverteilung der Kranken-kassen nahezu ausschließlich über die Kassenärztliche Vereinigung geregelt. Wichtigstes politisches Ziel ist derzeit die gesetzliche Anerkennung der Ärztenetze als Leistungserbringer. Zurzeit kön-nen Netze nicht direkt Partner bei Verträgen zur integrierten Ver-sorgung (IV) sein. Meist schließen deshalb einzelne Ärzte stellver-tretend für das Netz die IV-Verträge ab (Meißner 2011, A 886). Pharmaunternehmen könnten den Netzen durch eine Rechtsbe-ratung bei der Ausgestaltung und Formulierung der Verträge hel-fen und die Ärzte in ihrer Funktion als Vertragspartner unterstüt-zen. Dabei sollte die Pharmaberatung vor allem auch die Bewah-rung der Behandlungsflexibilität im Rahmen der Selektivverträge unterstützen, da in zukünftigen Selektivverträgen die Sanktionie-rung für das Nichteinhalten bestimmter Behandlungsstrukturen stetig zunimmt (Purucker et al. 2009, S. 38). Durch die beschrie-bene Zusammenarbeit können sich Pharmaunternehmen als kom-petente Partner des Ärztenetzes etablieren.

Preisoptimierung für das NetzwerkDer Preis gilt als ein wesentliches Marketinginstrument zur Kosten-reduktion. Die Rabattpolitik gibt den Unternehmen die Chance, ab einer bestimmten Absatzmenge Rabatte auf ihre Produkte zu geben. Im Netzwerk erreichen die Ärzte gemeinsam ein höheres Absatz-niveau als der einzelne Arzt und profitieren leichter von Rabatten, bspw. für Medikamente oder medizinischen Praxisbedarf.

» Vorteile durch strukturelle Effekte entstehen daraus, dass der einzelne

Arzt nicht mehr alleine auftritt, son dern als Teil eines großen Netzwerks. «

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Einrichtung einer Patienten-HotlineEine Hotline trägt ebenfalls zur Kostenreduktion bei. Sie ist für ein gesamtes Netzwerk gültig und verfügt über die notwendigen Daten der Patienten (Name, Adresse, Hausarzt usw.). Patienten können über die Hotline ihre Arzttermine vereinbaren, Fragen zu bestimmten Krankheitsverläufen und Einnahmeverordnun-gen stellen oder sich direkt mit ihrem Arzt verbinden lassen. Dies führt zu einer Entlastung und ggf. Einsparung von medizini-schem Hilfspersonal. Ärztenetze sind derzeit noch häufig mit der professionellen Organisation von derartigen ärzteübergreifenden Dienstleistungen überfordert. Deshalb können Pharmaunterneh-men auch hier eine professionelle Hilfestellung bei der Organisa-tion anbieten.

Netzstrukturen stärken: Key Account Management für Ärztenetze Schnelle Hilfe bei akuten Fragen und angemessene Präsenz sind Voraussetzung für die beratende Funktion der Pharmaunter-nehmen. Um dies zu gewährleisten, ist jedem Netzwerk ein Key Account Manager zuzuordnen. Einzelne – teilweise uner-wünschte – Arztbesuche sind nicht mehr notwendig. Die Schwie-rigkeit für das Pharmamarketing liegt darin, einen gelungenen

Wandel von der Bearbeitung jedes einzelnen Arztes zu der Bear-beitung eines ganzen Netzwerks zu finden. Mit steigendem Rei-fegrad der Netzwerke übernehmen zunehmend fachfremde Per-sonen die Funktion des Netz-Managers, die neben der medizini-schen auch Managementkompetenz vorweisen. Der Außendienst erhält daher zukünftig neben Anfragen zu Produktinformatio-nen, Wirkstoffen und verschiedenen Einsatzmöglichkeiten immer öfter auch Fragen in Bezug auf Kosteneffizienz und the-rapeutischen Fortschritt (Trilling 2008, S. 237).

VeranstaltungssupportPharmaunternehmen können den äußeren Rahmen für Veranstal-tungen sowie teilweise oder komplett die Organisation stellen und der Netzwerkleitung unterstützend zur Seite stehen. Diesen Ser-vice dürfen die Pharmaunternehmen aus rechtlichen Gründen nur gegen eine Gegenleistung anbieten.

Marketing des Ärztenetzes unterstützen: Kommunikationsunterstützung außerhalb des Netzwerkes Die Möglichkeiten des Pharmaherstellers, ein Netzwerk bei der Außendarstellung zu unterstützen, sind vielfältig und reichen von einem Buch über eine Website bis hin zu gemeinsamer Öffentlich-

Abb. 3 Handlungsempfehlungen für die Pharmabranche

■ Verbesserung des Prozess- und Qualitätsmanagements von Ärztenetzen ■ Angebot von Patientenschulungen ■ Unterstützung bei der Datenerfassung ■ Einführung moderner Interventionsmöglichkeiten ■ Garantieren von Behandlungserfolgen

Qualitäts effekte:

Behandlungserfolge fördern

■ Abschluss von Exklusivverträgen ■ Unterstützung beim Abschluss von Selektivverträgen ■ Preisoptimierung für das Netzwerk ■ Einrichtung einer Patienten-Hotline

Ökonomische Effekte:

Preis- und Vertrags-verhandlungen

optimieren

■ Key Account Management für Ärztenetze ■ Veranstaltungssupport

Strukturelle Effekte:

Netzstrukturen stärken

■ Kommunikationsunterstützung außerhalb des Netzwerkes ■ Kommunikationsunterstützung innerhalb des Netzwerkes

Marketingeffekte:

Marketing des Ärzte-netzes unterstützen

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keitsarbeit. Patienten können sich dadurch besser orientieren und informieren. Eine netzinterne Wartezimmerzeitschrift, die regel-mäßig (z.B. einmal pro Quartal) erscheint, kann über die aktuel-len Forschungsergebnisse und Entwicklungen im Gesundheitssek-tor informieren. Alternativ zur Wartezimmerzeitschrift ist auch ein Mailing denkbar.

Kommunikationsunterstützung innerhalb des Netzwerkes Fachgruppenspezifische, dialogorientierte Fortbildungsveranstal-tungen, Weiterbildungsseminare und ähnliche Veranstaltungen stoßen auf großes Interesse der Ärzte. Um den im Netzwerk Akti-ven einen Mehrwert zu bieten, sollten die Veranstaltungen The-men wie beispielsweise Kosteneinsparungsseminare, Schulungen zum Umgang mit Datenerfassungssystemen oder Veranstaltungen zum Thema „konfliktfreie Kommunikation in Netzwerken“ bein-halten. Auch Erfahrungskreise ausschließlich für Netzwerkmana-ger erscheinen sehr hilfreich. Dadurch wird das Bedürfnis der Ärzte nach detaillierten Informationen und Weiterbildung befrie-digt. Durch das Angebot von Seminaren und Kongressen hat das Pharmaunternehmen die Möglichkeit, unter Wahrung rechtlicher und politischer Vorgaben aktiv auf den Informationsverarbei-tungsprozess der Ärzte einzuwirken. Die pharmazeutische Kom-munikationspolitik hat somit eine sowohl aktivierende als auch informierende Funktion.

Entwicklungen der Zukunft beobachten

Neben den zahlreichen Möglichkeiten für das Pharmamarketing sind auch Einschränkungen zu berücksichtigen. Juristische Vorga-ben grenzen die Kooperation der Hersteller mit den Ärztenetzen klar ein. Darüber hinaus sollten die Pharmaunternehmen aber auch hoch sensibilisiert bzgl. der Wahrnehmung ihrer Aktivitäten in Zusammenhang mit Ärztenetzen in den Medien und der Öffent-lichkeit sein. Schnell drängt sich bei oberflächlicher Betrachtung der Eindruck einer moralisch verwerflichen Einflussnahme auf die Ärzte auf. Diesen zumeist ungerechtfertigten Anschein sollten die Pharmakonzerne unbedingt vermeiden, um Schaden von ihren Marken abzuwenden.

Fazit

In Zukunft kommt kein Pharmaunternehmen mehr an den Ärz-tenetzen vorbei. Bereits jetzt sind ca. 25 % aller niedergelassenen Ärzte in Deutschland Mitglied eines Netzwerks. Die Chancen, die sich daraus für die Pharmabranche ergeben, sind immens. Die Bearbeitung der Ärztenetze kann dem Pharmamarketing zu bis-her ungeahnter Effektivität, also äußerst hoher Wirksamkeit der Maßnahmen, und Effizienz, nämlich einer deutlich verbesserten Kostenrelation, verhelfen. Das Pharmamarketing entwickelt sich immer mehr zu einer serviceorientierten Dienstleistung. Pharmaunternehmen sollten dem Ärztenetz als Institution und

seinen Mitgliedern als Partner in jeder Situation zur Seite stehen und eine offene Zusammenarbeit sowie Kommunikation entwi-ckeln. Dabei steht selbstverständlich auch weiterhin der Vertrau-ensaufbau der Ärzte in das Produkt und das pharmazeutische Unternehmen im Vordergrund.

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Versorgungsforschung (2009): Status: Ärztenetze in Deutschland, Ausgabe 02/09, S. 25-29.

Die Autoren

Univ.-Prof. Dr. Frank HuberInhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Betriebswirt-schaftslehre und Marketing I an der Johannes Guten-berg-Universität Mainz, Direktor des Center of Mar-ket-Oriented Product and Production Management (CMPP) an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz sowie Partner der Strategie- und Managementbera-tung 2hm & Associates GmbH in MainzE-Mail: [email protected]

Dr. Johannes VogelBerater im Frankfurter Büro von McKinsey & Com-panyE-Mail: [email protected]

Dipl.-Vw. Sybille FalkeLeitung HealthCare Division 2hm GmbH & AssociatesE-Mail: [email protected]

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