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AGRAR FORSCHUNG SCHWEIZ September 2014 | Heft 9 Agroscope | BLW | HAFL | AGRIDEA | ETH Zürich | FiBL Nutztiere Erfahrene Ferkel fördern das Wachstum frisch abgesetzter Ferkel nicht Seite 324 Gesellschaft Wer in der Schweiz Bio-Lebensmittel kauft Seite 338 Pflanzenbau Ergebnisse der Sortenversuche 2011–2013 mit Luzerne Seite 358

Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

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Page 1: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

AGRARFORSCHUNG SCHWEIZ

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Nutztiere Erfahrene Ferkel fördern das Wachstum frisch abgesetzter Ferkel nicht Seite 324

Gesellschaft Wer in der Schweiz Bio-Lebensmittel kauft Seite 338

Pflanzenbau Ergebnisse der Sortenversuche 2011–2013 mit Luzerne Seite 358

Page 2: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

ImpressumAgrarforschung Schweiz / Recherche Agronomique Suisse ist die Zeitschrift der landwirtschaftlichen Forschung von Agroscope und ihren Partnern. Die Zeitschrift erscheint auf Deutsch und Französisch. Sie richtet sich an Fachpersonen aus Forschung, Industrie, Lehre, Beratung und Politik, an kantonale und eidgenös sische Ämter und weitere Fachinteressierte.

HerausgeberinAgroscope

Partnerb Agroscope (Institut für Pflanzenbauwissenschaften IPB;

Institut für Nutztierwissen schaften INT; Institut für Lebensmittelwissenschaften ILM; Institut für Nachhaltigkeits wissenschaften INH), www.agroscope.ch

b Bundesamt für Landwirtschaft BLW, Bern, www.blw.chb Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften HAFL, Zollikofen, www.hafl.chb Beratungszentrale AGRIDEA, Lindau und Lausanne, www.agridea.ch b Eidgenössische Technische Hochschule ETH Zürich,

Departement für Umweltsystemwissenschaften, www.usys.ethz.chb Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL, www.fibl.org

Redaktion Leitung und deutsche RedaktionAndrea Leuenberger-Minger, Agrarforschung Schweiz / Recherche Agronomique Suisse,Agroscope, Postfach 64, 1725 Posieux, Tel. +41 58 466 72 21, Fax +41 58 466 73 00

Französische RedaktionSibylle Willi, Agrarforschung Schweiz / Recherche Agronomique Suisse,Agroscope, Postfach 1012, 1260 Nyon 1, Tel. +41 58 460 41 57

StellvertretungJudith Auer, Agrarforschung Schweiz / Recherche Agronomique Suisse,Agroscope, Postfach 1012, 1260 Nyon 1, Tel. +41 58 460 41 82

E-Mail: [email protected]

Redaktionsteam Vorsitz: Jean-Philippe Mayor (Leiter Corporate Communication Agroscope), Evelyne Fasnacht, Erika Meili und Sibylle Willi (Agroscope), Karin Bovigny-Ackermann (BLW), Beat Huber-Eicher (HAFL), Esther Weiss (AGRIDEA), Brigitte Dorn (ETH Zürich), Thomas Alföldi (FiBL).

AbonnementPreiseZeitschrift: CHF 61.–* (Ausland + CHF 20.– Portokosten), inkl. MWSt. und Versandkosten, Online: CHF 61.–* * reduzierter Tarif siehe: www.agrarforschungschweiz.ch

AdresseNicole Boschung, Agrarforschung Schweiz / Recherche Agronomique Suisse, Agroscope, Postfach 64, 1725 Posieux E-Mail: [email protected], Fax +41 58 466 73 00

AdressänderungenE-Mail: [email protected], Fax +41 31 325 50 58

Internet www.agrarforschungschweiz.chwww.rechercheagronomiquesuisse.ch

ISSN infosISSN 1663-7852 (Print)ISSN 1663-7909 (Internet)Schlüsseltitel: Agrarforschung SchweizAbgekürzter Schlüsseltitel: Agrarforsch. Schweiz

© Copyright Agroscope. Nachdruck von Artikeln gestattet, bei Quellenangabe und Zustellung eines Belegexemplars an die Redaktion.

Erfasst in: Web of Science, CAB Abstracts, AGRIS

323 Editorial

Nutztiere

324 Erfahrene Ferkel fördern das Wachstum frisch abgesetzter Ferkel nicht

Andreas Gutzwiller, Marion Reichenbach und

Edna Hillmann

Nutztiere

330 Zusammensetzung von Fettsäuren in der Tierfütterung – Analysemethoden Silvia Ampuero Kragten, Marius Collomb,

Sébastien Dubois und Peter Stoll

Gesellschaft

338 Wer in der Schweiz Bio-Lebensmittel kauft

Franziska Götze und Ali Ferjani

Agrarwirtschaft

344 Potenziale der Landwirtschaft in der Gotthardregion Andreas Hochuli, Esther Hidber und Mario

Huber

Agrarwirtschaft

352 Vollkostenkalkulationen für Lohnarbeiten

Daniel Hoop, Anja Schwarz und Markus Lips

Pflanzenbau

358 Ergebnisse der Sortenversuche 2011–2013 mit Luzerne

Rainer Frick, Eric Mosimann, Philippe Aebi,

Daniel Suter und Hans -Ueli Hirschi

Pflanzenbau

366 Die Schweizer Pflanzenzüchtung – eine räumliche, zeitliche und thematische Analyse des Umfeldes

Achim Walter, Christoph Grieder, Luisa Last,

Beat Keller, Andreas Hund und Bruno Studer

Kurzbericht

374 Gerstenflugbrand: Sortenanfälligkeit und Bekämpfungsalternativen

Heinz Krebs et al.

Kurzbericht

378 World Café «Wachstum in der Landwirtschaft»

Linda Reissig

382 Porträt

383 Aktuell

387 Veranstaltungen

InhaltSeptember 2014 | Heft 9

Ferkel werden aus wirtschaftlichen Gründen von der Muttersau getrennt, bevor sie von ihr gelernt haben, Trockenfutter zu fres-sen. In einem Fütterungsversuch haben Forschende von Agro-scope und der ETH untersucht, ob diese jungen Ferkel fähig sind, von früher abgesetzten, erfahrenen Jungtieren die Aufnahme von Festfutter zu lernen. (Foto: Gabriela Brändle, Agroscope)

Page 3: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

Editorial

323Agrarforschung Schweiz 5 (9): 323, 2014

Liebe Leserin, lieber Leser

Gesellschaftlich hat die Agrarforschung wieder an Gewicht gewonnen. Die

Menschen essen gerne und Kochen wird zelebriert. Nicht wenige definieren

sich sogar darüber, wie sie essen und einkaufen: «Ich bin ein Veganer», «ich

bin ein regelmässiger Biokunde», «ich kaufe nur bei der Bäuerin auf dem

Wochenmarkt ein», «ich bin gegen Gentechnik» oder «bei mir kommt nur

ein Steak aus Freilandhaltung in die Pfanne». Dem widersprechen allerdings

die zwei Milliarden Franken, welche Schweizer im grenznahen Ausland vor

allem bei Billigdiscountern ausgeben. Ob wir es wollen oder nicht, Konsu-

mentinnen und Konsumenten reden mit, wenn Forschungsprioritäten

gesetzt werden.

Die Gesellschaft erwartet von der Forschung Rezepte, wie die steigende

Weltbevölkerung ernährt werden kann. Leider macht das die Situation auch

nicht einfacher. Denn die Produktionssteigerung ist eigentlich keine Lösung,

da sie die Stabilität des Planeten gefährdet.

Für die Schweizer Agrarforschung ergeben sich daraus aber Chancen.

Sie ist in verschiedenen Disziplinen der Nachhaltigkeit international gut

aufgestellt. Beispiele sind die Bodenökologie, nachhaltige Graslandsys-

teme, biologische Landwirtschaft, artgerechte Wiederkäuerfütterung und

Tierhaltung, ebenso wie Biodiversität, biologischer Pflanzenschutz, Milch-

technologie oder ökonomisch-ökologische Systemmodellierung. Noch im

Aufbau ist die Kompetenz in der wissenschaftlichen Zusammenarbeit mit

Entwicklungsländern.

Die Diskussion in der Forschung ist von den Begriffen «Effizienz» und «Suffi-

zienz» geprägt. Durch Effizienz kann zwar aus weniger mehr gemacht wer-

den. Ohne grundsätzliche Verzichte führen aber Effizienzgewinne zu mehr

Verschwendung an Lebensmitteln. Der Verbrauch endlicher Ressourcen (z.B.

Phosphor oder Erdöl) und die Belastung der Ökosysteme werden damit wei-

ter zunehmen. Suffizienz bedeutet, die zukünftige Knappheit schon heute

zu berücksichtigen. Das tun zum Beispiel die Richtlinien des Biolandbaus mit

den Düngungsvorschriften. Abfälle jeglicher Art müssen vom Feld bis zum

Konsum drastisch reduziert und, wenn sie trotzdem entstehen, mit Hilfe

neuer Aufbereitungsverfahren als hochwertige Rohstoffe in die Landwirt-

schaft zurückgeführt werden. Denn die meisten von der Landwirtschaft

beeinflussten Nachhaltigkeitsparameter wie Biodiversität, Bodenqualität,

agro-genetische Vielfalt, Landschaftsqualität, Wasser- und Luftqualität

sowie bäuerliches Einkommen haben sich trotz UNO-Zielen und Effizienzstei-

gerungen weiter ungebremst verschlechtert.

Die auf einer Million Hektar betriebene Schweizer Landwirtschaft hat

grössere Freiheitsgrade und wird deshalb von EU-Politikern oft als eine Art

Experimentierküche für neue Ideen gesehen. Nutzen wir also die Chance,

den von mehreren internationalen Institutionen geforderten Paradigmen-

wechsel anzugehen, ihn mit den Praktikern schrittweise auszuprobieren und

seine Auswirkungen auf die globale Nachhaltigkeit näher zu analysieren.

Die Agrarforschung muss radikaler denken!

Urs Niggli, Direktor des FiBL

Die grosse Chance der Schweizer Agrarforschung

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324 Agrarforschung Schweiz 5 (9): 324–329, 2014

vorgang am Fressverhalten ihrer Mutter oder anderer

erfahrener Tiere orientieren können. Während dieser

mehrtägigen Lernphase decken sie ihren Nährstoffbe-

darf über das aufgenommene Futter nicht vollständig

und müssen Körperreserven mobilisieren, was sich

negativ auf die Krankheitsresistenz und das Wachs-

tum auswirkt (William 2003). In einem Tierversuch

prüften Agroscope und die ETH Zürich die Frage, ob

die Anwesenheit von Ferkeln, welche früher abgesetzt

worden sind und an die Aufnahme von Festfutter

gewohnt sind, die Futteraufnahme frisch abgesetzter

Ferkel stimuliert.

E i n l e i t u n g

Aus wirtschaftlichen Gründen sollen Sauen pro Jahr

möglichst viele Ferkel aufziehen. Solange Mutter-

sauen regelmässig säugen, zeigen sie jedoch keine

Rausche (Brunst). Damit die Sauen nach dem Abfer-

keln bald wieder trächtig werden, trennt man sie

wenige Wochen nach der Geburt von den Ferkeln ab,

bevor diese gewohnt sind, Festfutter zu fressen. Die

abgesetzten Ferkel müssen lernen, ihren Hunger und

Durst durch die Aufnahme von Festfutter und von

Wasser zu stillen, ohne dass sie sich bei diesem Lern-

Erfahrene Ferkel fördern das Wachstum frisch abgesetzter Ferkel nichtAndreas Gutzwiller1, Marion Reichenbach2 und Edna Hillmann2

1Agroscope, Institut für Nutztierwissenschaften INT, 1725 Posieux, Schweiz2ETH, Institut für Agrarwissenschaften, 8092 Zürich, Schweiz

Auskünfte: Andreas Gutzwiller, E-Mail: [email protected]

Bis zum Alter von vier Wochen decken Saugferkel ihren Energie- und Nährstoffbedarf zu über 80 % über die Sauenmilch. Das Absetzen der vierwöchigen Ferkel entspricht deshalb einem ab-rupten Futterwechsel.

N u t z t i e r e

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Erfahrene Ferkel fördern das Wachstum frisch abgesetzter Ferkel nicht | Nutztiere

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Agrarforschung Schweiz 5 (9): 324–329, 2014

In einem Fütterungsversuch wurde unter­

sucht, ob Ferkel, die schon gelernt hatten,

Trockenfutter zu fressen, frisch abgesetzten

Ferkeln als Vorbild dienen und diese stimu­

lieren, Festfutter aufzunehmen. Die 72 Ferkel

der Versuchsvariante wurden am Tag des

Absetzens im Alter von vier Wochen mit

zwölf eine Woche früher abgesetzten

Ferkeln gemischt, während ihre 72 Wurf­

geschwister der Kontrollvariante nicht mit

früher abgesetzten Ferkeln gemischt wurden.

Die Tierbeobachtungen vom zweiten bis

vierten Versuchstag deuten darauf hin,

dass die Ferkel der Versuchsgruppe häufiger

frassen. Die Versuchstiere litten in der ersten

Versuchswoche häufiger an Durchfall

(35 gegenüber 25 Tieren; P = 0,09) und

wuchsen langsamer (Tageszuwachs 11 g

gegenüber 29 g; P = 0,10) als die Kontroll­

tiere. Der Zuwachs während der gesamten

fünfwöchigen Aufzuchtperiode war in

beiden Verfahren praktisch identisch

(P = 0,90). Die häufigeren Durchfallerkran­

kungen im Versuchsverfahren könnten

sowohl auf eine erhöhte Exposition der

Versuchsgruppe mit Durchfallerregern,

welche von den früher abgesetzten Ferkeln

ausgeschieden wurden, als auch auf die

erhöhte Futteraufnahme bei noch ungenü­

gender Anpassung des Verdauungssystems

zurückzuführen sein.

T i e r e , M a t e r i a l u n d M e t h o d e n

Die Untersuchung wurde bei Agroscope in Posieux mit

144 Ferkeln der Rasse Edelschwein durchgeführt. Von der

zweiten Lebenswoche an erhielten die Saugferkel ein

Ferkelbeifutter und Wühlerde, damit sie sich an die Auf-

nahme von Festfutter gewöhnen konnten. Nach dem

Absetzen wurden die Ferkel in Buchten mit 9,2 m²

Bodenfläche (davon 3,1 m² Metallrost) gehalten, welche

mit einem 90 cm breiten Futtertrog, einer Nippel- und

einer Beckentränke, zwei geheizten Ferkelnestern und

einer Strohraufe ausgestattet waren. Pelletiertes Futter,

Trinkwasser und Stroh standen zur freien Verfügung.

Während der ersten zwei Wochen nach dem Absetzen

wurde ein Ferkel-Starterfutter mit 175 g Rohprotein und

14,6 MJ verdaulicher Energie pro kg und anschliessend

ein Ferkelfutter mit 170 g Rohprotein und 13,9 MJ ver-

daulicher Energie verabreicht.

Der Versuchsaufbau ist schematisch in Tabelle 1 dar-

gestellt. Die 144 im Alter von vier Wochen abgesetzten

Versuchstiere wurden in 72 Paare gleichgeschlechtlicher,

annähernd gleich schwerer Vollgeschwister eingeteilt.

Ein Tier jedes Paares wurde dem Verfahren U (unerfah­

ren), das andere dem Verfahren UE (unerfahren und

erfahren) zugeteilt. Während die Ferkelgruppen U aus-

schliesslich aus frisch abgesetzten Ferkeln bestanden,

wurden im Verfahren UE in jede Bucht zusätzlich zu den

frisch abgesetzten Ferkeln zwei «erfahrene» (E) Ferkel

gebracht, welche eine Woche früher abgesetzt worden

waren und somit schon an den Verzehr von Festfutter

gewohnt waren. Bei den erfahrenen Ferkeln handelte es

sich um die grössten Ferkel verschiedener Würfe, die im

Alter von drei Wochen abgesetzt und mit Festfutter auf-

gezogen wurden, während die restlichen Ferkel vier

Wochen bei der Sau blieben (zweiphasiges Absetzen,

englisch «split weaning»).

Als wichtigstes Kriterium für den postulierten positi-

ven, durch erfahrene Ferkel verursachten Lerneffekt auf

den Futterverzehr diente das Wachstum. Da der Futter-

verzehr pro Gruppe durch die Futteraufnahme der bei-

144 im Alter von 4 Wochen abgesetzte Ferkel aus drei Serien

Einteilung paarweise in die Verfahren U (ausschliesslich unerfahrene Ferkel) und UE (unerfahrene Ferkel gemischt mit erfahrenen Ferkeln)

U (72 Versuchstiere): UE (72 Versuchstiere):

Pro Bucht 8–14 Ver-suchstiere

Pro Bucht 8–14 Versuchstiere plus zusätzlich 2 «erfahrene» Ferkel (E), die eine Woche früher ab-gesetzt worden waren

Tab. 1 | Versuchsaufbau

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Nutztiere | Erfahrene Ferkel fördern das Wachstum frisch abgesetzter Ferkel nicht

326 Agrarforschung Schweiz 5 (9): 324–329, 2014

den zusätzlichen erfahrenen Ferkel in jeder Bucht des

Verfahrens UE beeinflusst wurde, konnte diese Grösse

nicht als Indikator verwendet werden.

Bei den 74 frisch abgesetzten Ferkeln der zweiten

Versuchsserie wurde zusätzlich das Verhalten in der

Umgebung des Futtertrogs beobachtet (Abb. 1). Die

beobachteten Ferkel, welche mit Hilfe von auf den

Rücken geschriebenen Nummern auf Distanz identifi-

ziert werden konnten, wurden am Vormittag des zwei-

ten bis vierten Tages sowie am Nachmittag des zweiten

und dritten Tages beobachtet. Die Beobachtungszeit pro

Bucht betrug zu jedem Beobachtungstermin 40 Minuten.

Dabei wurden drei Beobachtungskategorien notiert:

Fressen = Kopf im Trog während ≥ 10 Sekunden

Futterkontakt = Kopf im Trog während < 10 Sekunden

Trognähe = Kontakt mit Nase oder Maul zum Trog,

Wühlen in unmittelbarer Trognähe oder Versuch, neben

anderen Ferkeln an den Trog zu gelangen.

Die Gewichts- und Zuwachsdaten der beiden Verfah-

ren wurden mit dem gepaarten t-Test verglichen.

R e s u l t a t e u n d D i s k u s s i o n

Die Gewichtsdaten der Ferkel sind in Tabelle 2 aufge-

führt. Obwohl die 72 Ferkel des Verfahrens UE beim

Absetzen 40 g schwerer waren als ihre 72 Geschwister im

Verfahren U, nahmen sie in der ersten Woche nach dem

Absetzen tendenzmässig weniger zu (UE: 11 g pro Tag;

U (72 Tiere) UE (72 Tiere) P

LG Beginn, kg 6,58 ± 1,16 6,62 ± 1,15 0,3

LG Ende 1. Woche, kg 6,78 ± 1,28 6,70 ± 1,40 0,29

LG Ende 5. Woche, kg 14,28 ± 3,94 14,27 ± 4,47 0,98

TZW 1. Woche, g 29 ± 71 11 ± 72 0,10

TZW Absetzen bis Ende 5. Woche, g 220 ± 95 219 ± 104 0,90

Mittelwerte ± Standardabweichungen; P = Irrtumswahrscheinlichkeit

Tab. 2 | Lebendgewicht (LG) und Tageszuwachs (TZW) der Versuchstiere

Abb. 1 | In der zweiten Versuchsserie wurde während den ersten Tagen nach dem Absetzen das Verhalten der mit Nummern auf dem Rücken markierten Ferkel beobachtet. In den Gruppen mit erfahrenen Ferkeln hielten sich die frisch abgesetzten Ferkel häufiger am Futtertrog auf.

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Erfahrene Ferkel fördern das Wachstum frisch abgesetzter Ferkel nicht | Nutztiere

327Agrarforschung Schweiz 5 (9): 324–329, 2014

Die Tatsache, dass die Ferkel des Verfahrens UE in der ers-

ten Woche tendenziell weniger an Gewicht zunahmen,

obwohl sie gemäss Beobachtungen in der zweiten Serie

nach dem Absetzen häufiger beim Fressen beobachtet

wurden, dürfte auf die vermehrt auftretenden Durchfälle

im Verfahren UE während der ersten Woche zurückzu-

führen sein. Wie die Abbildung 3 zeigt, begannen Durch-

fallerkrankungen im Verfahren UE einen Tag früher als

im Verfahren U, und insgesamt erkrankten in der ersten

Woche tendenziell mehr Ferkel UE an Durchfall (35 gegen-

über 25 Ferkel; P = 0,09). Die tendenziell tieferen

Gewichtszunahmen im Verfahren UE während der ersten

Woche dürften auf die reduzierte Futteraufnahme und

auf die geringere Füllung des Magendarmtraktes der an

Durchfall erkrankten Ferkel zurückzuführen sein.

Zwei Gründe kommen für die höhere Durchfallhäu-

figkeit der Ferkel UE in der ersten Woche nach dem

Absetzen in Frage:

1. Der durch die Anwesenheit erfahrener Ferkel

stimulierte Futterverzehr könnte dazu führen, dass die

Ferkel ihren an die Verdauung von Festfutter noch

ungewohnten Verdauungstrakt überladen, was die

Durchfallanfälligkeit erhöht. Aus diesem Grunde

empfehlen Rantzer et al. (1996) und Dirkzwager et al.

(2005), zur Durchfallvermeidung nach dem Absetzen

U: 29 g pro Tag; P = 0,10). Während der gesamten fünf-

wöchigen Versuchsperiode wuchsen die Ferkel beider

Verfahren praktisch gleich rasch (P = 0,90). Die Gewichts-

daten als wichtigstes Kriterium zeigen, dass die Anwe-

senheit erfahrener Ferkel sich nicht positiv, sondern

während der ersten Woche sogar tendenzmässig negativ

auf die Gewichtsentwicklung der frisch abgesetzten Fer-

kel auswirkte.

Die in der zweiten Serie durchgeführten Beobach-

tungen (Abb. 2) deuten darauf hin, dass die Anwesen-

heit erfahrener Ferkel im Verfahren UE die Fressaktivität

der frisch abgesetzten Ferkel steigerte: Am zweiten und

dritten Tag wurde pro 40-minütige Beobachtungszeit

pro Ferkel UE 1,2 mal, pro Ferkel U 0,8 mal Fressaktivität

notiert. Am vierten Tag fiel die Anzahl beobachteter

Fressaktivitäten in beiden Gruppen wider Erwarten ab.

Erhebungen des täglichen Futterverzehrs in der ersten

Woche nach dem Absetzen haben gezeigt, dass die Fut-

teraufnahme im Verlaufe der ersten Tage nach dem

Absetzen kontinuierlich ansteigt (Gutzwiller 2000). Da

bei den Beobachtungen im vorliegenden Versuch weder

die Zeit der Futteraufnahme noch die tatsächlich gefres-

sene Futtermenge erfasst wurde, ist es möglich, dass die

Ferkel am vierten Tag pro Besuch des Futtertrogs mehr

Futter aufnahmen und somit trotz der tieferen Besuchs-

frequenz mehr frassen als an den Vortagen.

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Abb. 2 | Verhalten der 74 Ferkel der zweiten Versuchsserie in der Nähe des Futtertroges. Aktivitäten pro unerfahrenes Ferkel pro Beobach-tungszeit von 40 Minuten.

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Nutztiere | Erfahrene Ferkel fördern das Wachstum frisch abgesetzter Ferkel nicht

Agrarforschung Schweiz 5 (9): 324–329, 2014

die Futteraufnahme der Ferkel in den ersten zwei bis

vier Tagen zu fördern, anschliessend jedoch die

Nährstoffaufnahme zu begrenzen.

2. Da die meisten Durchfälle, die mit massivem Aus-

scheiden von Durchfallerregern einhergehen, gegen

Ende der ersten Woche und in der zweiten Woche

nach dem Absetzen auftreten, ist anzunehmen, dass

die erfahrenen Ferkel bei Versuchsbeginn die Buchten

der Verfahren UE mit Durchfallerregern kontaminier-

ten und damit das Durchfallrisiko der Ferkel des

Verfahrens UE erhöhten.

Die in der vorliegenden Untersuchung beobachtete

erhöhte Fressaktivität unerfahrener Jungtiere infolge

der Anwesenheit erfahrener Gefährten ist sowohl beim

Ferkel als auch beim Kalb beschrieben worden (Morgan

et al. 2001; De Paula Vieira et al., 2012). Im Gegensatz zu

diesen Untersuchungen, wo dieses Verfahren positive

Auswirkungen auf die unerfahrenen Jungtiere hatte,

überwogen im vorliegenden Versuch in der ersten

Woche die negativen Effekte, ohne dass über die

gesamte Ferkelaufzuchtperiode das Wachstum beein-

flusst wurde.

S c h l u s s f o l g e r u n g e n

Der an Agroscope durchgeführte Versuch zeigt, dass

beim Mischen erfahrener mit unerfahrenen Tieren

neben dem potenztiell positiven Lerneffekt auch nega-

tive Auswirkungen wie häufigere Erkrankungen auftre-

ten können. Aus diesem Grunde wird davon abgeraten,

frisch abgesetzte Ferkel mit früher abgesetzten Ferkeln

zu mischen.� n

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Abb. 3 | Durchfallhäufigkeit während der ersten Woche nach dem Absetzen.

Page 9: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

329

Erfahrene Ferkel fördern das Wachstum frisch abgesetzter Ferkel nicht | Nutztiere

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Sum

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Agrarforschung Schweiz 5 (9): 324–329, 2014

Literatur ▪ De Paula Vieira A., von Keyserlingk M. A. G. & Weary D.M., 2012. Pre-sence of older weaned companion influences feeding behavior and im-proves performance of dairy calves before and after weaning from milk. J. Dairy Sci. 95, 3218–3224.

▪ Dirkzwager A., Veldman B. & Bikker P., 2005. A nutritional approach for the prevention of Post Weaning Syndrome in piglets. Anim. Res. 54, 231–236.

▪ Gutzwiller A., 2000. Milch, Schotte und Diätfutter in der Ferkelaufzucht. Agrarforschung 7 (10), 460–465.

▪ Morgan C.A., Lawrence A.B., Chirnside J. & Deans L.A., 2001. Can infor-mation about solid food be transmitted from one piglet to another? Animal Science 73, 471–478.

▪ Rantzer D., Svendsen J. & Weström B., 1996. Effects of a strategic feed restriction on pig performance and health during the post-weaning period. Acta Agric. Scand. Sect. A Animal Sci. 46, 219–226.

▪ William I. H., 2003. Growth of the weaned pig. In: Weaning the pig (Ed. J. R. Pluske, J. Le Dividich, M. W. A. Verstegen). Wageningen Academic Publishers, Wageningen, NL, 17–35.

The presence of experienced piglets

does not promote the growth of newly

weaned piglets

In a feeding trial the hypothesis was

tested that the presence of experi­

enced piglets facilitates the adapta­

tion of newly weaned piglets to solid

food. The 72 four­week­old piglets in

the experimental group were mixed

at weaning with 12 piglets which had

been weaned one week earlier,

whereas their 72 siblings in the

control group were reared in the

absence of experienced piglets.

Observations between the second and

fourth day showed that the experi­

mental piglets displayed eating

behaviour more frequently than the

control piglets. During the first week,

diarrhea prevalence was higher (35 vs.

25 animals; P = 0.09) and daily weight

gain was lower (11 g vs. 29 g; P = 0.10)

in the experimental group than in the

control group. Weight gain during the

whole five­week experimental period

was practically identical (P = 0.90). The

negative effect of the experienced

piglets can possibly be attributed to

their shedding of entero­pathogens

and the increased food intake of the

newly weaned piglets before their

gastrointestinal tract was adapted to

solid feed, thus increasing the diar­

rhea risk in the experimental group.

Key words: weaning, pig, learning,

food intake, diarrhea.

I suinetti già svezzati non stimolano la

crescita dei suinetti appena svezzati

È stato condotto un esperimento di

nutrizione allo scopo di stabilire se

suinetti appena svezzati potevano

essere stimolati a ingerire cibo solido,

seguendo l’esempio di suinetti che

avevano già imparato ad alimentarsi

con foraggio secco. Nel test con il

gruppo sperimentale 72 suinetti di

4 settimane sono stati collocati, dal

primo giorno di svezzamento, con

12 che erano stati svezzati una

settimana prima. Il gruppo di controllo

era costituito da altri 72 suinetti della

stessa figliata che non sono invece

stati uniti a suinetti già svezzati. Dopo

2­4 giorni di osservazione, risultava

che i suinetti del gruppo sperimentale

si alimentavano più frequentemente.

Nella prima settimana essi hanno

sofferto più spesso di dissenteria

(35 contro 25; P = 0.09) e sono cresciuti

meno (crescita giornaliera 11 g contro

29 g; P = 0.10) rispetto agli animali del

gruppo di controllo. La crescita durante

l’intero periodo di allevamento di

cinque settimane è però risultata

praticamente identica (P = 0.90). Gli

episodi più frequenti di dissenteria nei

suinetti del gruppo sperimentale

potrebbero essere riconducibili a una

loro maggiore esposizione ad agenti

patogeni di tale disturbo, causati dalla

presenza dei suinetti svezzati prima, o

a un’eccessiva assunzione di cibo,

mentre il loro sistema digestivo non

era ancora sufficientemente adattato.

Page 10: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

330 Agrarforschung Schweiz 5 (9): 330–337, 2014

Molekularstruktur der Lipide

In chemischer Hinsicht bestehen die Lipide aus einer rei-

chen Vielfalt an Einzelkomponenten. Was ihre Löslich-

keit betrifft, so lassen sich gemäss ihrer Struktur neut-

rale und polare Lipide unterscheiden. A) Die neutralen

Lipide (oder einfachen Lipide) sind die freien Fettsäu-

ren sowie die zur Bildung von Mono-, Di- oder Triglyce-

riden an ein Glycerolmolekül gebundenen Fettsäuren.

Dieser Lipidtyp ist in unpolaren Lösungsmitteln löslich,

wohingegen die polaren (oder komplexen) Lipide in

mehr oder weniger polaren Lösungsmitteln löslich sind.

B) Die polaren Lipide können in Form zweier unter-

schiedlicher Typen vorliegen (Abb 1): Die Phospho­

glyceride sind Lipide, bei welchen eine der Fettsäuren

des Triglycerids durch einen Phosphatester ersetzt

ist (O-Acyl-Bindung). Diese Bestandteile können je nach

Phosphatester (Stickstoffverbindungen mit einge-

schlossen) einen unterschiedlich hohen Komplexitäts-

grad aufweisen. Die Sphingolipide sind Lipide, bei

welchen die Fettsäure an den Stickstoff eines Sphin-

gosinmoleküls (N-Acyl-Bindung) gebunden ist. Das

Sphingosin kann an Zucker (Cerebroside, Ganglioside

usw.) sowie Phosphate usw. gebunden sein. Diese pola-

ren Lipide können auch danach klassiert werden, ob sie

ein Phosphat- oder Zuckermolekül in Form von Phos-

pholipiden oder Glycolipiden enthalten, unabhängig

von vorhandenen O-Acyl- oder N-Acyl-Bindungen mit

der Fettsäure. Die Lipide umfassen zudem noch Deter-

genzien (Salze von Fettsäuren), Isoprenoide (Choleste-

rol, Steroide usw..), Terpene sowie Wachse und andere

Lipide mit zyklischen Fettsäuren. Mit Ausnahme der

Salze von Fettsäuren können die letztgenannten Mole-

küle in der Tierernährung als Energiequelle vernachläs-

sigt werden. Ein Teil davon wird jedoch im RL extrahiert

(Wachse und andere).

Die Bestimmung der Fettsäuren durch GC-FID

(Gaschromatographie mit Flammenionisationsdetektor)

erfolgt über deren Veresterung (im Allgemeinen Methy-

lierung). Dieser Reaktionstyp der Derivatisierung erfolgt

mit einem Katalysator, welcher je nach Lipidtyp entweder

sauer oder basisch ist (Christie 1993, Carrapiso et al. 2000):

E i n l e i t u n g

Historisch gesehen dienen Fette in der Tierernährung

vor allem als Energielieferanten. Das Interesse an der

Zusammensetzung der Fettsubstanzen ist aktuell und

steht insbesondere mit dem potenziellen positiven Ein-

fluss auf die Gesundheit des Menschen in Zusammen-

hang. Ausserdem unterliegt in der Schweiz die techno-

logische Fettqualität des Schlachtkörpers beim Schwein

einer ad-hoc-Klassifikation, welche das Vorkommen

ungesättigter Bindungen in den Fettsäuren berücksich-

tigt (Christen 2014). Diese Klassifikation, welche in den

Schlachthöfen erfolgt, beeinflusst den Schlachtkörper-

preis, so dass bei der Herstellung von Schweinefutter-

mitteln in der Schweiz nicht nur der Fettgehalt (RL) der

Rohstoffe als Energiequelle zu berücksichtigen ist, son-

dern die Futtermittel auch den Empfehlungen betref-

fend PUFA, MUFA und SFA entsprechen müssen. Des-

halb ist eine genaue Analysemethode erforderlich.

Zusammensetzung von Fettsäuren in der Tierfütterung – AnalysemethodenSilvia Ampuero Kragten1, Marius Collomb2, Sébastien Dubois1 und Peter Stoll1

1Agroscope, Institut für Nutztierwissenschaften INT, 1725 Posieux, Schweiz2Ehemaliger wissenschaftlicher Mitarbeiter von Agroscope, 1723 Marly, Schweiz

Auskünfte: Silvia Ampuero Kragten, E-Mail: [email protected]

Schweine lieben fettreiche Futtermittel.

N u t z t i e r e

Page 11: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

Zusammensetzung von Fettsäuren in der Tierfütterung – Analysemethoden | Nutztiere

331

Zusa

mm

enfa

ssu

ng

Agrarforschung Schweiz 5 (9): 330–337, 2014

Die Bedeutung der Analysemethode bei der

Fettsäurenbestimmung in Tierfuttermitteln

ist nicht zu unterschätzen. Wichtig ist sie

insbesondere für die Schweinefütterung, da

in der Schweiz nicht nur der Lipidgehalt,

sondern auch das Fettsäurenprofil benötigt

wird, um eine Ration zu erstellen, mit

welcher eine optimale Fettqualität im

Schlachtkörper des Schweins erzielt wird.

Die Studie zeigt, dass die GC­Methode

(Gaschromatographie) durch in-situ Umeste­

rung genauer und vollständiger ist als die

GC­Methode in zwei Schritten (Fettextrak­

tion und anschliessende Veresterung). Sie ist

auch der empirischen Methode durch

Gravimetrie überlegen, welche in der

Extraktion der löslichen Bestandteile mit

einem vorgegebenen Lösungsmittel besteht.

a) Freie Fettsäure:

R’-CO­OH + CH3-OH H+

R’-CO-OCH3 + H-OH

b) Lipide, bei welchen die Fettsäure durch eine O­Acyl-

Bindung gebunden ist (z.  B.: Triglyceride, Phospholi-

pide):

R’­CO­OR’’ + CH3-OH H+ oder OCH3 R’-CO-OCH3 + R’’-OH

c) Lipide, bei welchen die Fettsäure durch eine N­Acyl

Bindung gebunden ist (z. B.: Sphingolipide, Ceramide

usw.)

R’­CO­NHR’’ + CH3-OH H+

R’-CO-OCH3 + R’’-NH2

Analysemethoden

Der Fettgehalt wird heute häufig noch mit gravimet-

risch-empirischen Methoden wie Soxhlet (AOAC 1980)

und Weibull-Berntrop bestimmt (Rohfett, RL), welche

auf Grundlagen basieren, die im 19. Jahrhundert entwi-

ckelt wurden (Hammond 2001). Das Prinzip dieser

Methoden ist die Lösung der fettlöslichen Substanzen in

einem unpolaren Lösungsmittel, häufig Petrolether,

Hexan usw. Es ist leicht verständlich, dass ein einzelnes

Lösungsmittel mit einer bestimmten Polarität nicht in

der Lage ist, die Lipide unterschiedlicher Polarität voll-

ständig zu lösen. Zudem sind generell die Membranli-

pide (Phospholipide, Glycolipide, Sphingolipide usw.)

Abb. 1 | Klassifikationsschema für häufig vorkommende Lipide.

Fettsäure

Fettsäure

Fettsäure

Fettsäure

Fettsäure FettsäureFettsäure

G

lyce

rol

G

lyce

rol

Zucker Zucker

Sphi

ngos

in

Sp

hing

osin

PO4 ROH PO4

Lipide,

Energiespeicher

Triglyceride

Phospholipide Glycolipide

SphingolipidePhosphoglyceride

Membranlipide

(polar)

PUFA Polyensäuren

(mehrfach ungesättigte Fettsäuren)

MUFA Monoensäuren

(einfach ungesättigte Fettsäuren)

SFA gesättigte Fettsäuren

FT Gesamtfett

RL Rohfett

Page 12: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

Nutztiere | Zusammensetzung von Fettsäuren in der Tierfütterung – Analysemethoden

332 Agrarforschung Schweiz 5 (9): 330–337, 2014

weniger gut in unpolaren Lösungsmitteln wie Hexan

oder Petrolether löslich, und gleichzeitig werden eine

Vielzahl nicht lipider Komponenten (Pigmente, Vita-

mine, Chlorophyll usw.) wie auch Wachse extrahiert.

Werden noch polarere Lösungsmittel, wie z. B. Diethy-

lether verwendet, so werden zusätzlich hydrophyle

Bestandteile (Harnstoff, Hexosen) mitextrahiert (Palm-

quist et al. 2003). Obwohl diese empirischen Metho-

den nur annähernd genau sind, sind sie immer noch

aktuell aufgrund ihrer einfachen Anwendung, aber

auch weil in der Futteroptimierung der RL verwendet

wird.

Der Weg über die Identifizierung/Quantifizierung

verschiedener Fettsäuren, z.  B. über GC-FID, erlaubt

eine rationellere und deskriptivere Analyse des Lipid-

gehaltes. Die vorhergehende vollständige Extraktion

polarer und unpolarer Lipide ist hingegen nicht ein-

fach. Folglich steigt das Interesse an Methoden der in-

situ Umesterung, da sie in einem einzigen Schritt eine

Hydrolyse der Lipide einschliesslich sehr komplexer

Moleküle durchführen und die auf diese Weise freige-

setzten Fettsäuren durch Methylierung verestern (Jen-

kins 2010). Dies geht im Vergleich mit Methoden, die in

zwei Etappen durchgeführt werden, mit weniger stren-

gen Reaktionsbedingungen einher. Zusätzlich werden

die Fettsäuren besser geschützt und die Lösungsmittel-

menge, die Reagenzien und der benötigte Zeitauf-

wand wesentlich reduziert (Carrapiso et al. 2000). Die

hier vorgestellte Methode GC in-situ (GC-IS) entspricht

einer Weiterentwicklung der Methode von Alves et al.

(2008, 2009) und von Palmquist et al. (2003).

Ziel dieses Artikels ist es, die Ergebnisse der Lipidanalysen

von Rohstoffen und Futtermitteln darzustellen und dabei

drei verschiedene Methoden miteinander zu vergleichen:

eine gravimetrische Methode (Weibull-Berntrop), eine GC-

FID-Methode in zwei Schritten (Extraktion und anschlies-

sende Veresterung) und eine GC-FID-Methode mit Umeste-

rung in-situ. Die beiden letzteren ermöglichen zusätzlich zur

Bestimmung der Lipidzusammensetzung die Bestimmung

des Gesamtfettes (FT), wohingegen die erstgenannte

Methode ausschliesslich den RL bestimmt. Gemäss der FDA

(U.S. Food and Drug Administration) wird das FT in Lebens-

mitteln durch die Summe aller extrahierten Fettsäuren in

Form von Triglyceriden bestimmt (Eller 1999). Das FT ist folg-

lich verwendbar wie RL. Im vorliegenden Artikel wird aus-

serdem die Validierung der Methode GC in-situ vorgestellt.

M a t e r i a l u n d M e t h o d e n

Die Proben

Die Vergleichsstudie der Analysemethoden wurde mit

einer Serie von 29 Proben durchgeführt (Abb. 2). Dazu

gehörten die Rohstoffe Weizen, Gerste, Hafer, Mais,

Weizenkeime, Biertreber, Rapskuchen, Sojabohnen und

Sonnenblumenkerne, Alleinfutter für Mastschweine, für

Ferkel, für Sauen sowie Futtersuppen, Pasta-Abfälle und

Alikon (kristallines pflanzliches Fett). Die Genauigkeit

der GC-IS-Methode wurde mit einer zertifizierten Refe-

renzprobe bestimmt: BCR® – 163: Beef-Pork Fat Blend

(IRMM). Die Unsicherheit wurde mit vier Proben

bestimmt, bestehend aus Gerste, zwei Alleinfutter für

Schweine und einer Probe aus Fettgewebe vom Schwein.

Abb. 2 | Einige analysierte Proben. A = Hafer, B = Alikon, C = Gerste, D = Mais, E = Rapskuchen, F = Sojabohnen

A B C

D E F

Page 13: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

Zusammensetzung von Fettsäuren in der Tierfütterung – Analysemethoden | Nutztiere

333Agrarforschung Schweiz 5 (9): 330–337, 2014

N2-Strom (1,15 ml/Min.) injiziert. Die Temperatur des FID-

Detektors liegt bei 250  °C. Das thermische Programm

des Ofens lautet folgendermassen: 1 Min. bei 170  °C,

Erhöhung auf 210 °C bei 2,5°C/Min., anschliessend auf

220 °C mit einer Erhöhung von 0,5 °C/Min., gefolgt von 5

Min. bei 220 °C, erneute Erhöhung auf 250 °C mit 15 °C/

Min. und schlussendlich 6 Min. bei 250 °C.

Die in-situ Umesterungsmethode (GC­IS)

Umesterung: 250 mg Probenmaterial werden mit 0,25

bis 2 ml internem Standard (C19 FAME), 3 bis 6 ml HCl

(5 % in Methanol) und zwischen 0 und 1,75 ml Toluen

(Proportionen wurden angepasst und können je nach

Probentyp variieren) in ein hermetisch schliessendes Tef-

lonrohr gegeben. Das verschlossene Rohr wird während

3 Std. bei 70 °C belassen. Nachdem Umgebungstempera-

tur erreicht ist, wird die Mischung mit 5 bis 8 ml K2CO3

(6 % in H2O) neutralisiert. Nach Beigabe von 2 ml Pentan

wird die Mischung zentrifugiert (5 Min. bei 2500 rpm)

und anschliessend die organische Phase (obere Schicht)

in ein Röhrchen umgefüllt, welches 1 g wasserfreies

Na2SO4 und 0,2 g Aktivkohle enthält. Nach einer Stunde

Ruhen und anschliessendem Zentrifugieren (5 Min. bei

2500 rpm) wird die organische Phase gewonnen und bei

40 °C evaporiert. Aufreinigung mittels SPE: Zum festen

Rückstand wird 1 ml Dichlormethan hinzugefügt. 250 bis

500 ml dieser Lösung werden bei 40 °C evaporiert. Der

Rückstand wird in 100 ml Dichloromethan gegeben und

anschliessend in einer vorkonditionierten SPE-Kartusche

platziert (LiChrolut Si (40–63 mm), Merck 1.02024.0001).

Die FAME-Mischung wird mit 2,5 ml Dichloromethan

eluiert. Die ersten 0,5 ml werden verworfen, da sie Ver-

unreinigungen wie Phytadiene aufweisen könnten

(Alves et al. 2009). Die zwei folgenden Milliliter werden

aufgefangen und bei 40 °C bis zur Trocknung evaporiert.

Der feste Rückstand wird in 1 ml Pentan aufgelöst und in

den GC injiziert. Das GC-System (Agilent 6810) ist mit

einer polaren Säule des Typs SupelcowaxTM 10 (15 m x

0,1 mm, 0,1 mm) ausgestattet. Die Probe wird mit einem

Splitverhältnis von 150 : 1 und einem H2-Strom von 1 ml/

Min. eingespritzt. Die Temperatur des FID-Detektors

liegt bei 250  °C. Das thermische Programm des Ofens

lautet folgendermassen: 0,2 Min. bei 170  °C, anschlies-

send Erhöhung auf 210  °C mit 11  °C/Min., danach auf

220  °C mit 2  °C/Min., 2 Min. bei 220  °C, anschliessend

Erhöhung auf 230 °C mit 50 °C/Min. und Aufrechterhal-

tung von 230 °C während 5 Min.

Für beide GC-Methoden erfolgt die Quantifizierung

jeder FAME mit Hilfe des internen Standards. Die Summe

aller identifizierten FAME, erfasst als Triglyceride (durch

Division durch 0,956), bildet das Gesamtfett (FT), aus-

gedrückt in g/kg TS.

Mit Ausnahme des Fettgewebes wurden alle Proben mit

einer Brabender Messermühle gemahlen (1 mm). Die

Proben mit FT > 15 % wurden mit flüssigem N2 gemah-

len. Die Fettgewebeprobe und die Futtersuppen wurden

lyophilisiert und anschliessend vermahlen. Der Trocken-

substanzgehalt (TS) wurde in allen Proben durch Ofen-

trocknung bei 105 °C während 2 Std. 40 Min. bestimmt

(basierend auf ISO 6496:1999).

Die drei angewendeten Methoden

Die gravimetrische Methode

Gemäss der Weibull-Berntrop-Methode wird die Probe

während 1 Std. mit kochender 10 %iger HCl hydrolysiert.

Nach einer Spülung mit Wasser bis zu einem neutralen

pH-Wert wird die Probe im Mikrowellenofen getrocknet

(30 Min., 300 W). Anschliessend wird die Probe in ein em

Soxtec-System mit Petrolether bei 135  °C während

85  Minuten extrahiert. Der Rückstand (RL) wird nach

der Evaporation des Lösungsmittels gewogen und in g/

kg TS ausgedrückt.

Die GC Methode in 2 Schritten (GC­2E)

Extraktionsschritt: 0,5 bis 50 g Probenmaterial werden

in einen Messbecher gegeben und 1 ml interner Stan-

dard (C13 FAME (Fettsäurenmethylester)) und 60 ml

Dichloromethan  :  Methanol 2  :  1 (v  :  v) hinzugefügt.

Das Ganze wird vermischt und anschliessend während

15 Minuten ruhen gelassen. Die nichtlipiden Bestand-

teile werden durch die Beigabe von 1 ml MgCl2 (2 % in

Wasser) und 20 ml H2O separiert. Sie konzentrieren sich

in der wässrigen Phase, welche sich nach Filtration und

einer Stunde Ruhen bildet. Die organische Phase, wel-

che die Lipide enthält (untere Schicht), wird aufgefan-

gen und anschliessend bei 40 °C und 600–550 mbar eva-

poriert. Der feste Rückstand wird quantitativ in Hexan

gesammelt und das Lösungsmittel erneut evaporiert.

Veresterungsschritt: Bei dieser Etappe werden 2 ml

NaOH (0,5 M in Methanol) zum festen Rückstand hinzu-

gefügt. Das Ganze lässt man 30 Minuten ruhen, bevor

man es 2 Minuten lang kocht (für eine vollständige Ver-

seifung). Anschliessend werden 3 ml BF3 (10 % in Metha-

nol) hinzugefügt und das Ganze nochmals 4 Minuten

lang gekocht. Nach Abkühlung bis auf Umgebungstem-

peratur werden 7 ml NaCl (1,5 % in H2O) und 3 ml Hep-

tan beigegeben. Nach Vermischung und Zentrifugie-

rung (5 Min. bei 3000 rpm) wird 1 ml (filtriertes Aliquot)

der oberen Schicht, welche den Fettsäurenmethylester

(FAME) enthält, direkt in den GC injiziert. Das GC-System

(HP 5890) ist mit einer Kolonne vom Typ SupelcowaxTM

10 (30 m x 0,32 mm, 0,25 mm) ausgestattet. Die Probe

wird mit einem Splitverhältnis von 100 : 1 in einen

Page 14: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

Nutztiere | Zusammensetzung von Fettsäuren in der Tierfütterung – Analysemethoden

334 Agrarforschung Schweiz 5 (9): 330–337, 2014

Die analytische Charakterisierung der GC­IS­Methode

Die Genauigkeit dieser Methode wurde über einen Ver-

gleich mit einer zertifizierten Probe bestimmt unter Ver-

wendung der kombinierten Unsicherheit des zertifizier-

ten Werts und des Messwerts (für 95 % Konfidenzintervall

des zweiseitigen Student-t-Tests).

𝑢𝐺𝐶−𝐼𝑆 ist die Unsicherheit der GC-IS-Methode, 𝑢𝐵𝐶𝑅163 ist

die der zertifizierten Probe und 𝑢∆ die kombinierte

Un sicherheit sd ist die Standardabweichung

und n die Anzahl Messungen).

U∆ = k u∆

k ist der Erweiterungsfaktor (Faktor t des zweiseitigen

Student-Tests für 95 % Konfidenzintervall) und U∆ die

kombinierte erweiterte Unsicherheit.

Für die Bestimmung der Unsicherheit wurden zehn

Replikate von vier verschiedenen Proben während zwei

Monaten von verschiedenen Laboranten, jedoch im

gleichen Labor, analysiert. Die erweiterte Unsicherheit

U wurde in % des Mittelwerts berechnet für 95 % Kon-

fidenzintervall des zweiseitigen Student-t-Tests, mit

𝑢= da die Routineanalyse mit zwei Wiederholun-

gen durchgeführt wurde.

Probe *FT [g/kg TS] SFA [g/kg TS] MUFA [g/kg TS] PUFA [g/kg TS]

GC-IS GC-2E Extraktion GC-IS GC-2E GC-IS GC-2E GC-IS GC-2E

Weizen a 24,0 ± 0,0 15,9 ± 1,1 15,9 ± 1,9 5,9 ± 0,0 3,2 ± 0,2 2,9, ± 0,1 1,8 ± 0,1 14,1 ± 0,0 10,2 ± 0,6

Weizen b 26,1 ± 0,2 14,2 ± 0,7 21,9 ± 1,7 5,6 ± 0,0 2,6 ± 0,1 3,4 ± 0,1 1,8 ± 0,1 15,9 ± 0,1 9,2 ± 0,4

Gerste a 30,9 ± 1,2 21,4 ± 0,5 24,5 ± 0,7 8,3 ± 0,3 4,6 ± 0,1 4,7 ± 0,1 3,2 ± 0,1 15,2 ± 0,7 12,6 ± 0,3

Gerste b 37,5 ± 1,2 18,4 ± 0,5 23,6 ± 2,0 8,7 ± 0,1 4,0 ± 0,1 6,0 ± 0,2 2,9 ± 0,1 21,2 ± 0,9 10,8 ± 0,3

Hafer a 43,1 ± 1,1 35,6 ± 0,4 43,1 ± 0,2 11,3 ± 0,1 7,1 ± 0,0 15,4 ± 0,5 12,4 ± 0,2 14,3 ± 0,5 14,6 ± 0,2

Hafer b 47,3 ± 2,1 42,0 ± 0,5 45,5 ± 2,5 11,8 ± 0,4 8,2 ± 0,1 17,9 ± 0,7 15,7 ± 0,2 15,1 ± 0,9 16,2 ± 0,3

Mais a 59,4 ± 2,2 43,8 ± 0,3 50,1 ± 1,9 8,6 ± 0,2 5,8 ± 0,0 14,0 ± 0,5 10,6 ± 0,1 34,1 ± 1,3 25,5 ± 0,2

Mais b 70,1 ± 3,0 55,2 ± 0,1 51,0 ± 0,9 9,5 ± 0,2 6,9 ± 0,0 19,8 ± 0,9 16,0 ± 0,0 37,7 ± 1,8 29,9 ± 0,1

Pasta a 36,0 ± 1,5 17,2 ± 1,0 29,6 ± 0,0 9,7 ± 0,3 4,6 ± 0,3 9,6 ± 0,4 5,2 ± 0,3 15,0 ± 0,7 6,6 ± 0,4

Pasta b 38,3 ± 0,4 16,5 ± 0,6 30,8 ± 0,4 10,0 ± 0,1 4,2 ± 0,2 9,8 ± 0,1 4,9 ± 0,2 16,0 ± 0,2 6,6 ± 0,2

Futtersuppe a 42,2 ± 0,3 26,8 ± 0,2 34,4 ± 0,6 16,2 ± 0,1 10,9 ± 0,2 12,8 ± 0,2 8,2 ± 0,1 10,8 ± 0,1 6,6 ± 0,0

Futtersuppe b 268,0 ± 4,1 172,8 ± 0,0 273,0 ± 13,3 110,7 ± 1,7 74,2 ± 0,1 89,3 ± 1,2 57,3 ± 0,0 51,1 ± 0,7 33,6 ± 0,1

Schweinemastfutter 24,6 ± 1,1 24,9 ± 0,1 29,0 ± 0,1 6,3 ± 0,2 5,3 ± 0,1 4,4 ± 0,2 4,7 ± 0,1 12,8 ± 0,7 13,8 ± 0,3

Ferkelfutter a 62,6 ± 2,5 46,4 ± 0,5 57,9 ± 0,2 18,1 ± 0,7 12,5 ± 0,1 19,4 ± 0,9 14,5 ± 0,2 21,7 ± 0,8 17,3 ± 0,2

Ferkelfutter b 65,5 ± 0,4 46,5 ± 0,3 59,1 ± 2,9 23,9 ± 0,5 17,3 ± 0,1 20,6 ± 0,1 15,2 ± 0,1 17,1 ± 0,1 12,0 ± 0,0

Sauenfutter a 75,9 ± 1,1 55,5 ± 0,9 61,2 ± 2,2 23,3 ± 0,5 17,8 ± 0,3 26,0 ± 0,4 19,1 ± 0,3 22,2 ± 0,3 16,1 ± 0,2

Sauenfutter b 77,5 ± 0,8 64,8 ± 0,4 66,1 ± 2,2 24,6 ± 0,1 21,2 ± 0,2 23,2 ± 0,2 19,6 ± 0,1 25,2 ± 0,3 21,2 ± 0,1

Weizenkeime a 76,0 ± 4,6 64,0 ± 0,0 67,4 ± 4,2 15,4 ± 0,7 13,3 ± 0,0 11,4 ± 0,8 9,8 ± 0,0 44,9 ± 3,3 38,1 ± 0,0

Weizenkeime b 78,6 ± 0,7 64,6 ± 0,0 n.b. 15,8 ± 0,1 13,2 ± 0,0 12,4 ± 0,1 10,4 ± 0,0 46,6 ± 0,5, 38,1 ± 0,0

Treber a 108,9 ± 0,7 86,1 ± 0,3 101,6 ± 0,7 31,3 ± 0,1 23,1 ± 0,1 14,4 ± 0,1 9,8 ± 0,2 57,9 ± 0,5 49,3 ± 0,3

Treber b 109,1 ± 0,1 86,5 ± 1,3 90,7 ± 2,2 30,1 ± 0,1 23,1 ± 0,3 14,0 ± 0,0 10,1 ± 0,3 58,8 ± 0,2 49,5 ± 0,7

Rapskuchen a 112,6 ± 3,5 109,0 ± 0,1 105,9 ± 1,8 15,7 ± 0,7 15,8 ± 0,1 61,2 ± 1,7 58,5 ± 0,1 30,2 ± 1,0 29,8 ± 0,0

Rapskuchen b 106,8 ± 3,5 102,0 ± 0,5 92,9 ± 1,5 10,8 ± 0,7 9,9 ± 0,0 59,7 ± 1,7 57,3 ± 0,3 30,9 ± 1,0 30,3 ± 0,1

Sojabohnen a 248,7 ± 5,4 250,8 ± 2,0 216,4 ± 1,6 38,1 ± 0,4 39,4 ± 0,0 56,1 ± 1,2 56,3 ± 0,0 142,9 ± 3,7 144,0 ± 1,9

Sojabohnen b 272,9 ± 0,4 258,7 ± 1,2 213,8 ± 1,6 43,0 ± 0,0 41,2 ± 0,3 63,2 ± 0,6 59,0 ± 0,2 154,4 ± 0,3 147,0 ± 0,7

Sonnenblume a 374,8 ± 10,0 357,5 ± 4,7 351,7 ± 24,1 40,2 ± 1,2 38,0 ± 0,5 90,6 ± 1,8 84,5 ± 0,8 225,7 ± 6,2 219,1 ± 3,1

Sonnenblume b 517,7 ± 0,1 511,3 ± 1,1 486,3 ± 27,0 55,6 ± 0,4 54,1 ± 0,2 103,7 ± 0,2 103,3 ± 0,5 333,5 ± 0,3 331,2 ± 0,8

Alikon a 998,1 ± 1,5 1031 ± 4,6 935,9 ± 7,4 947,7 ± 1,1 979,7 ± 4,0 4,7 ± 0,2 4,4 ± 0,3 1,1 ± 0,0 1,4 ± 0,1

Alikon b 1010,1 ± 10,9 1011,6 ± 3,7 n.b. 959,5 ± 10,1 961,0 ± 3,2 4,5 ± 0,3 4,0 ± 0,1 1,1 ± 0,1 1,6 ± 0,2

*FT: Für Extraktion entspricht dies RL.

n.b.: nicht bestimmt.

Tab. 1 | Gehalte (Durchschnitt von 2 Wiederholungen ± sd) in FT (Gesamtfett), SFA (gesättigte Fettsäuren), MUFA (einfach ungesättigte Fett-säuren) und PUFA (mehrfach ungesättigte Fettsäuren) gemäss 3 Methoden: GC-IS (GC-FID In-Situ), GC-2E (GC-FID 2 Schritte) und Extraktion

Page 15: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

Zusammensetzung von Fettsäuren in der Tierfütterung – Analysemethoden | Nutztiere

335Agrarforschung Schweiz 5 (9): 330–337, 2014

Hafer durch die beiden Methoden korrekt bestimmt

(Tab.  2). Die Fraktion der neutralen/polaren Lipide liegt

bei Hafer in der Grössenordnung von 80 bis 90 % mit

>  94 % in Form von Triglyceriden (Banas et al. 2007),

wohingegen diese Fraktion bei den übrigen Getreide

schwächer ausfällt (75 % bei Gerste gemäss Newman et al.

2008). Diese Besonderheit lässt sich auch bei Anwendung

der Extraktionsmethode beobachten. Bei den Futtermit-

teln kann diese Differenz vernachlässigbar sein (1,2 %)

oder im Bereich von 16 bis 29 % liegen. Bei Mischfutter-

mitteln ist dies von deren Zusammensetzung abhängig.

Zudem erleichtert das Vorhandensein von Neutrallipiden

deren Extraktion. Schlussendlich weisen die untersuchten

Proben mit einem FT > 110 g/kg TS wie Rapskuchen, Soja-

bohnen, Sonnenblumenkerne und Alikon nur sehr ge-

ringe Differenzen von 0 bis 5 % auf, da Alikon wie auch

Fettgewebe hauptsächlich aus Triglyceriden besteht

(Doreau et al. 1991, Murphy et al. 1998).

R e s u l t a t e u n d D i s k u s s i o n

Lipidgehalt gemäss drei Analysenmethoden

Tabelle 1 zeigt die Lipidgehalte in 29 unterschiedlichen

Proben, welche jeweils mit drei verschiedenen Analysen-

methoden bestimmt wurden. Jedes Ergebnis ist der Mit-

telwert aus zwei unabhängigen Bestimmungen. Bei den

in dieser Studie verwendeten Proben sind im Allgemei-

nen die mit der GC-IS-Methode bestimmten Gesamtfett-

gehalte höher als bei den beiden anderen Methoden,

wohingegen die GC-2E-Methode häufig zu den tiefsten

Werten führt. Die deutlichsten Unterschiede im Gesamt-

fettgehalt zwischen GC-2E und GC-IS lassen sich bei

Getreide (FT von 24 bis 47 g/kg TS in der Abbildung 3)

und  Getreideprodukten beobachten mit Unterschieden

in Höhe von 30 bis 50 % bei Weizen und Gerste, 10 bis

26 % bei Hafer, Mais, Weizenkeimen und Biertreber. Im

Gegensatz zu anderen Getreiden wurden die PUFA im

-60%

-50%

-40%

-30%

-20%

-10%

0%

10%

20%

0 50 100 150 200 250

Unt

ersc

hied

e im

FT

-60%

-50%

-40%

-30%

-20%

-10%

0%

10%

0 50 100 150 200 250

SFA

(GC-

2E -

GC-

IS)

-60%

-50%

-40%

-30%

-20%

-10%

0%

10%

0 50 100 150 200 250 300

MU

FA (

GC-

2E -

GC-

IS)

FT [g/kg MS]

-60%

-50%

-40%

-30%

-20%

-10%

0%

10%

0 50 100 150 200 250

PUFA

(G

C-2

E - G

C-IS

)

FT [g/kg MS]

FT [g/kg MS]

GC-2E - GC-IS Ext. - GC-IS

FT [g/kg MS]

300 300

300

Abb. 3 | Unterschiede zwischen GC-2E und GC-IS sowie zwischen Extraktion und GC-IS für FT (in % bezogen auf FT gemäss GC-IS) versus FT gemäss GC-IS.

Weizen a Weizen b Gerste a Gerste b Hafer a Hafer b

[g/kg TS] GC-SI GC-2E GC-SI GC-2E GC-SI GC-2E GC-SI GC-2E GC-SI GC-2E GC-SI GC-2E

C16 : 1 t3 5,3 2,4 5,6 2,9 7,6 4,1 8,1 3,6 10,2 6,2 10,7 7,2

C18 : 1 c9 2,9 1,7 2,5 1,7 4,1 3,0 5,4 2,7 14,2 11,4 16,7 14,8

C18 : 2 c9c12 14,8 8,5 13,2 9,4 15,2 11,4 19,8 9,9 13,9 13,9 14,6 15,5

C18 : 3 c9c12c15 1,0 0,7 0,9 0,7 1,2 1,1 1,4 0,8 0,4 0,6 0,4 0,6

Tab. 2 | Mit den Methoden GC-IS und GC-2E in Getreide bestimmte Fettsäuren

Page 16: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

336

Nutztiere | Zusammensetzung von Fettsäuren in der Tierfütterung – Analysemethoden

Agrarforschung Schweiz 5 (9): 330–337, 2014

Der mittels Extraktionsmethode bestimmte Gesamtfett-

gehalt wird in Ölsaatenproben wahrscheinlich aufgrund

einer unvollständigen Extraktion generell unterschätzt

(6 bis 22 %). Auch in Getreide wird das FT unterschätzt

mit Ausnahme von Hafer (0 bis 4 %) unterschätzt

(16 bis 37 %). In Alleinfuttermitteln kann die Extraktions-

methode hingegen zu unter- oder überschätzten Wer-

ten führen.

Genauigkeit und Unsicherheit der GC­IS­Methode

Die GC-IS Bestimmungen korrelieren gut mit den zertifi-

zierten Werten des BCR-163 (Tab. 3). Einzig bei Ölsäure

und bei Linolsäure, C18 : 1 und C18 : 2, überschreitet die

Differenz der Mittelwerte die kombinierte erweiterte

Unsicherheit (∆m > U∆). In diesen Fällen ist jedoch der GC-

IS-Wert grösser als der zertifizierte Wert, was darauf hin-

deutet, dass die GC-IS-Methode vollständiger ist.

Wie in Tabelle 4 ersichtlich, weisen die in den vier

Proben für FT, SFA, MUFA und PUFA berechneten Unsi-

cherheiten Werte von unter 12 % auf.

S c h l u s s f o l g e r u n g e n

Bestimmt man das Gesamtfett sowie die Zusammenset-

zung der Lipide in verschiedenen Rohstoffen und Futter-

mitteln mit der GC-IS-Methode, so erweist sich diese als

genauer als die GC-2E-Methode oder die Extraktion (nur

RL), was bei der Optimierung von Schweinefuttermitteln

einen offensichtlichen Vorteil darstellt. Aber auch die

beiden letztgenannten Methoden können in gewissen

Fällen zu korrekten Ergebnissen führen (Proben, die

hauptsächlich aus Triglyceriden bestehen). Es ist von Vor-

teil, die RL-Analyse mit der GC-IS durch die FT-Analyse zu

ersetzen. n

BCR® - 163: Beef – Pork Fat Blend

% C14 C16 C16 : 1 C18 C18 : 1 C18 : 2 C18 : 3

BCR163

MRC 2,29 25,96 2,58 18,29 38,3 7,05 0,86

U 0,04 0,3 0,16 0,17 0,4 0,17 0,14

n 11 11 11 11 12 11 10

GC-IS

Durchschnitt 2,22 26,23 2,55 18,18 39,51 8 0,76

U 0,08 0,54 0,06 0,16 0,48 0,11 0,02

n 28 28 28 28 28 28 28

∆m0,07 0,27 0,03 0,11 1,21 0,95 0,1

U∆ 0,08 0,59 0,16 0,22 0,59 0,19 0,12

BCR163: Zertifizierte Referenzprobe: BCR® – 163: Beef-Pork Fat Blend (IRMM). MRC: Zertifizierter Wert. U: erweiterte Unsicherheit für 95 % Vertrauensintervall des zweiseitigen

Student-t-Tests. n: Anzahl der Replikate.

Tab. 3 | Genauigkeitsbestimmung der GC-IS Methode durch Vergleich zwischen den Unterschieden der Mittelwerte, Δm, und der kombinier-ten erweiterten Unsicherheit, UΔ (in Absolutwerten)

[g/kg TS] n SFA MUFA PUFA FT

GersteMittelwert 20 6,9 4,5 18,9 31,7

U 7,30 % 11,70 % 11,20 % 10,10 %

Futter aMittelwert 20 10,3 6,6 16 34,5

U 6,30 % 8,50 % 9,40 % 7,70 %

Futter bMittelwert 20 12,4 26,3 31,9 74,3

U 3,50 % 6,90 % 7,70 % 6,40 %

FettgewebeMittelwert 16 348,5 440,8 139,5 973,1

U 1,70 % 3,80 % 3,80 % 2,70 %

Tab. 4 | Unsicherheit (in % des Durchschnitts) der GC-IS-Methode, berechnet für 95 % Vertrauensintervall des zweiseitigen Student-t-Tests

Page 17: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

337

Zusammensetzung von Fettsäuren in der Tierfütterung – Analysemethoden | Nutztiere

Ria

ssu

nto

Sum

mar

y

Agrarforschung Schweiz 5 (9): 330–337, 2014

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▪ Palmquist D. L. & Jenkins T. C., 2003. Challenges with fats and fatty acid methods. J. of Animal Science 81, 3250–3254.

Determination of fatty acid compo­

sition in feed – analytical methods

This paper illustrates the importance of

the analytical method for the determi­

nation of fatty acid composition in

feed. In Switzerland, not only the lipid

content but also the fatty acids profile

are necessary to formulate a ration

that will produce an optimum quality

of fat in the pig carcass. Results of this

study showed that the fatty acid

profile obtained by gas chromatogra­

phy (GC) with in situ transesterification

was more accurate and complete than

that obtained by a GC method in two

steps (fat extraction followed by

esterification) or by a gravimetric

empirical method which employed the

extraction of soluble compounds in a

given solvent.

Key words: FAME, fatty acid composi­

tion, GC­FID trans­esterification, total

fat content.

Composizione di acidi grassi negli

alimenti per animali – metodi di analisi

Il presente articolo illustra l’importanza

del metodo analitico nella determina­

zione della composizione di acidi grassi

negli alimenti per animali. In partico­

lare nell’alimentazione dei suini in cui,

in Svizzera, sono necessari per formu­

lare una razione adatta a fornire una

qualità ottimale di grasso nella

carcassa del suino non solo il tenore in

grasso ma anche il profilo di acidi

grassi. Lo studio mostra che il metodo

GC (cromatografia in fase gassosa)

mediante transesterificazione in situ è

più preciso e completo rispetto al

metodo GC in due fasi (mediante

estrazione dei corpi grassi, poi esterifi­

cazione) e al metodo empirico,

mediante gravimetria, che consiste

nell’estrazione dei composti solubili in

un solvente dato.

Page 18: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

338 Agrarforschung Schweiz 5 (9): 338–343, 2014

Ziel dieser Analyse ist es, die Faktoren, die beim Kauf von

Bio-Lebensmitteln eine Rolle spielen, zu identifizieren

und ihren Einfluss zu messen. Um die Frage zu beant-

worten, welche Faktoren beim Kauf von Bio-Lebensmit-

teln von Bedeutung sind, wurde erstmals seit 2001 ein

Datensatz der Schweizer Haushaltsbudgeterhebung

(HABE) hinsichtlich des Konsums von Bio-Lebensmitteln

analysiert.

M a t e r i a l u n d M e t h o d e n

Datengrundlage

Das Bundesamt für Statistik (BFS) erhebt seit Beginn

der 1990er Jahre Daten zum Einkommen und Konsum

sowie zu den soziodemographischen Charakteristika

von Schweizer Privathaushalten. Seit 2000 wird diese

E i n l e i t u n g

Der Markt für Bio-Lebensmittel ist dynamisch und verän-

dert sich ständig. Aufgrund der steigenden Nachfrage

nach Bio-Lebensmitteln ist die Sortimentbreite und -tiefe

im Bio-Markt in den letzten Jahren stetig gewachsen

(Abb. 1). Die Umsatzentwicklung bestätigt diesen Wachs-

tumstrend (Bio Suisse 2014).

Aktuelle Erkenntnisse zum Verbraucherverhalten

sind einerseits nützlich, da sie Aufschluss über die Kauf-

entscheidungen der Konsumentinnen und Konsumen-

ten geben können. Das Verständnis der Käuferinnen

und Käufer und ihrer Bestimmungsgründe, Bio-Lebens-

mittel zu kaufen, ist andererseits auch die Grundvoraus-

setzung dafür, die (Schweizer) Agrarpolitik passend und

zielführend zu gestalten.

Wer in der Schweiz Bio-Lebensmittel kauft

Franziska Götze und Ali Ferjani

Agroscope, Institut für Nachhaltigkeitswissenschaften INH, 8356 Ettenhausen, Schweiz

Auskünfte: Franziska Götze, E-Mail: [email protected]

G e s e l l s c h a f t

Abb. 1 | Eine grosse Vielfalt an Bio-Produkten findet sich heute nicht nur im Gemüsemarkt, sondern erstreckt sich über die meisten Lebensmittelgruppen. (Foto: Bio Suisse)

Page 19: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

Wer in der Schweiz Bio-Lebensmittel kauft | Gesellschaft

339

Zusa

mm

enfa

ssu

ng

Agrarforschung Schweiz 5 (9): 338–343, 2014

Der Markt für Bio­Lebensmittel hat sich in

den letzten Jahren sehr positiv entwickelt.

Bisher ist jedoch wenig darüber bekannt,

welche Faktoren beim Kauf von Bio­Lebens­

mitteln eine Rolle spielen. Im Rahmen dieser

Analyse wurden Daten von Schweizer

Haushalten hinsichtlich des Bio­Konsums

deskriptiv und ökonometrisch analysiert.

Die Auswertung der Haushaltsdaten bestä­

tigt den Wachstumstrend für Bio­Lebensmit­

tel insgesamt, aber auch für die betrachteten

neun Produktgruppen (Brot und Getreide­

produkte; Fleisch; Fisch; Milchprodukte und

Eier; Speisefette und ­öle; Früchte; Gemüse;

Zucker und Süsswaren; Gewürze und Saucen).

Die beliebtesten Bio­Produkte sind Gemüse,

Milchprodukte und Eier sowie Früchte. Dabei

wächst der Konsum von Bio­Gemüse am

stärksten.

Die ökonometrische Analyse zeigt, dass die

soziodemographische Struktur der Haushalte

die Entscheidung, Bio­Lebensmittel zu

kaufen, beeinflusst. Mit steigendem Einkom­

men steigt auch die Kaufwahrscheinlichkeit

der Haushalte. Auch das Alter der Referenz­

person des Haushalts und das Vorhandensein

von Kindern spielen eine Rolle. Haushalte

ohne Kinder kaufen eher Bio­Lebensmittel

als Haushalte mit Kindern.

Erhebung monatlich durchgeführt. Für die Befragung

werden die Haushalte per Zufallsverfahren ausgewählt.

Etwa 3000 Haushalte pro Jahr nehmen teil. Dabei wird

darauf geachtet, dass die Struktur der Haushalte im

Datensatz die ständige Schweizer Wohnbevölkerung

repräsentativ widerspiegelt. Die teilnehmenden Haus-

halte dokumentieren während des Befragungszeitraums

ihre Ausgaben und ihr Einkommen. Die Teilnahme der

Haushalte an der Befragung beschränkt sich jedoch auf

einen Monat, sodass es sich hierbei nicht um eine Panel-

erhebung, sondern um eine wiederholte Querschnitts-

befragung (repeated cross-section) handelt.

Beschreibung der Stichprobe

Die Haushaltsbudgeterhebung wurde im Jahr 2006

inhaltlich revidiert, daher wurde für diese Analyse eine

Stichprobe für den Sechsjahreszeitraum von 2006 bis

2011 verwendet. Die Stichprobe umfasst insgesamt

19 653 in der Schweiz wohnhafte Privathaushalte, die

sich zu etwa gleichen Teilen auf die sechs Jahre verteilen.

Die Stichprobe beinhaltet zum einen soziodemographi-

sche Variablen, die die Haushalte charakterisieren. Dazu

gehören die Sprach- und Grossregionen sowie die Kan-

tone, in denen sich die Haushalte befinden. Des Weite-

ren sind das Einkommen, die Haushaltsstruktur (Anzahl

der Personen, Anzahl und Alter der Kinder, Angaben zur

Person, die am meisten zum Haushaltseinkommen bei-

trägt [= Referenzperson] usw.) und die Ausstattung mit

Konsumgütern (z.  B. Autos und Fernseher) dokumen-

tiert. In dieser Analyse wird jedoch nur ein Teil der Vari-

ablen der HABE verwendet, der für die Fragestellung

relevant ist. Zum anderen sind die Konsummengen und

Konsumausgaben der Haushalte ausgewiesen. Dazu

gehören neben den Nahrungsmitteln und Getränken

auch alle sonstigen Ausgaben der Haushalte (z. B. für

Wohnen, Energie und Kleidung). Nahrungsmittel und

Getränke werden nach «bio» und «konventionell»

unterschieden. Die Nahrungsmittel werden dabei in

neun Gruppen eingeteilt, die wiederum in einzelne Pro-

dukte differenziert sind (Abb. 2).

Bio­Lebensmittel gewinnen Marktanteile

Die Auswertung des HABE-Datensatzes zeigt eine posi-

tive Entwicklung der Marktanteile von Bio-Lebensmit-

teln für die meisten Produktkategorien (Abb. 2).

Hatten die Bio-Lebensmittel 2006 noch einen Ausga-

benanteil von unter 7 %, so stieg dieser Anteil bis 2011

um mehr als einen Prozentpunkt. Gemessen an den Aus-

gabenanteilen war sowohl 2006 als auch 2011 Gemüse

das beliebteste Bio-Produkt, gefolgt von Milchproduk-

ten und Eiern sowie Früchten. All diese Produktgruppen

konnten im Zeitverlauf Marktanteile gewinnen. Aller-

dings lässt diese Rangfolge keine Rückschlüsse auf die

durchschnittlichen Ausgaben pro Haushalt und Monat

für das entsprechende Bio-Produkt zu. Am meisten

gaben die Haushalte für Bio-Milchprodukte und Bio-Eier

aus (24,33 Fr. pro Haushalt und Monat), danach folgten

Bio-Gemüse (23,39 Fr.) und Bio-Früchte (17,31 Fr.).Bemerkenswert ist, dass diejenigen Haushalte, die

Bio-Milchprodukte und Bio-Eier kauften, im Durchschnitt

auch mehr für die konventionelle Produktvariante aus-

gaben (91,11 Fr. pro Monat) als Haushalte, die keine Bio-

Milchprodukte kauften (87,96  Fr. pro Monat). Für Bio-

Gemüse und Bio-Früchte trifft ebenfalls zu, dass die

Haushalte, die das Bio-Produkt konsumierten, im Durch-

schnitt mehr für das konventionelle Produkt ausgaben.

Die kleinste Veränderung des Marktanteils erzielte

Bio-Fleisch. Hier stieg der Anteil nur geringfügig an (um

weniger als einen Prozentpunkt), allerdings sind in die-

ser Produktgruppe die durchschnittlichen monatlichen

Ausgaben für das konventionelle Produkt höher als in

allen anderen Produktgruppen.

Page 20: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

Gesellschaft | Wer in der Schweiz Bio-Lebensmittel kauft

340 Agrarforschung Schweiz 5 (9): 338–343, 2014

Methodisches Vorgehen

Zur Bestimmung der Faktoren, die relevant für die Kauf-

entscheidung bei Bio-Lebensmitteln sind, wurde ein

binomiales gemischtes Logit-Modell verwendet. Dieses

Modell berücksichtigt neben fixen Effekten (Fixed

Effects), die den Regressionskoeffizienten entsprechen,

auch zufällige Effekte (Random Effects).

Für die Schätzung der Erfolgswahrscheinlichkeit der

abhängigen Variablen wurden die Haushalte zunächst in

Käufer und Nichtkäufer von Bio-Lebensmitteln unter-

schieden. Die abhängige Variable 𝑦𝑖 nimmt den Wert 1

an, wenn der Haushalt mindestens ein Bio-Lebensmittel

im Beobachtungsmonat gekauft hat, andernfalls ist sie

gleich 0.

Die Kaufwahrscheinlichkeit wurde daraufhin mit folgen-

dem Modell geschätzt:

Der Index 𝑖 bezieht sich auf die Anzahl der betrachteten

Haushalte (19 653). Dies bedeutet, dass für jeden Haushalt

die Wahrscheinlichkeit geschätzt wird, dass dieser in

Abhängigkeit von den fixen Effekten 𝑥𝑘𝑖 und zufälligen

Effekten 𝑢𝑖 Bio-Lebensmittel kauft (𝑦𝑖 = 1). Der Index

𝑘 = 1, …, 𝐾 bezeichnet die in der Analyse berücksichtigten

unabhängigen Variablen. 𝜖𝑖 ist der Fehlerterm des Modells.

Die Ergebnisse können als Koeffizienten (𝛽𝑖) oder

Odds Ratios ausgegeben werden. Die Ausgabe der Resul-

tate als Koeffizienten oder Odds Ratios hat dabei jedoch

keinen Einfluss auf die Methodik. Odds Ratios sind Wahr-

scheinlichkeitsverhältnisse und zeigen, inwiefern eine

erklärende Variable die Erfolgswahrscheinlichkeit (𝑦𝑖 = 1)

der zu erklärenden (abhängigen) Variablen beeinflusst

(positiv wie negativ). Sie sind wie folgt definiert:

In dieser Analyse ergibt sich die Odds Ratio (Erfolgswahr-

scheinlichkeit) für die abhängige Variable als Quotient

der Wahrscheinlichkeit (Pr), dass ein Haushalt Bio-Lebens-

mittel kauft (𝑦𝑖 = 1), und der Gegenwahrscheinlichkeit

(Ausgaben für Bio-Lebensmittel = 0). Odds Ratios bieten

im Vergleich zur Ausgabe von Regressionskoeffizienten

den Vorteil, dass sie leichter zu interpretieren sind. Sie

können einen Wert ≥ 0 annehmen. Ist die Odds Ratio

gleich 1, so beeinflusst die unabhängige Variable die

abhängige nicht – weder positiv noch negativ. In diesem

Fall würde die betrachtete unabhängige Variable die

Wahrscheinlichkeit, dass ein Haushalt Bio-Lebensmittel

kauft, weder erhöhen noch senken. Ist sie kleiner als 1,

so sinkt die Kaufwahrscheinlichkeit von Bio-Lebensmit-

teln, wenn die erklärende Variable auf den Haushalt

zutrifft. Beispielsweise würde die Wahrscheinlichkeit,

Bio-Lebensmittel zu kaufen, bei einer Odds Ratio von 0,5

um 50 % sinken, wenn die betrachtete unabhängige

Variable auf den Haushalt zutrifft. Nimmt die Odds Ratio

einen Wert grösser als 1 an, so steigt die Kaufwahr-

Abb. 2 | Entwicklung der Marktanteile verschiedener Kategorien von Bio-Lebensmitteln im Datensatz der Haushaltsbudgeterhebung (HABE 2006–2011), gemessen an den Gesamtausgaben (bio und konventionell). (Quelle: Haushaltsbudgeterhebung (HABE), Bundesamt für Statistik, Neuenburg)

Nahrungsmittelgesamt

Brot, Getreideprodukte

Fleisch Fisch Milch, Käse, Eier Speisefette,-öle

Früchte GemüseZucker, Konfitüren,Honig, Süsswaren

etc.

Saucen, Salz,Gewürze,

Suppen etc.2006 6,54% 6,45% 4,57% 4,29% 9,02% 8,30% 8,52% 9,26% 2,68% 4,67%2007 6,75% 7,19% 4,60% 4,37% 10,55% 9,33% 9,52% 11,13% 3,03% 4,85%2008 7,01% 6,75% 4,82% 5,09% 9,26% 8,38% 8,96% 11,12% 2,61% 4,78%2009 7,39% 6,79% 4,99% 6,43% 9,96% 9,39% 9,68% 11,74% 2,81% 5,13%2010 7,50% 7,15% 4,60% 7,33% 10,11% 9,77% 9,91% 11,63% 2,68% 5,76%2011 8,02% 7,61% 4,91% 6,33% 11,22% 9,56% 10,61% 13,57% 3,07% 5,17%

0%

2%

4%

6%

8%

10%

12%

14%

2008

2006

2007

2009

2010

2011

Quelle: Haushaltsbudgeterhebung (HABE), Bundesamt für Statistik, Neuenburg

Page 21: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

Wer in der Schweiz Bio-Lebensmittel kauft | Gesellschaft

341Agrarforschung Schweiz 5 (9): 338–343, 2014

das Geschlecht der Referenzperson des Haushalts und

eine Dummyvariable für das Vorhandensein von Kindern

im Haushalt in die Analyse einbezogen. Eine genaue

Auflistung der erklärenden Variablen ist in der Ergebnis-

tabelle (Tab. 1) zu finden.

R e s u l t a t e u n d D i s k u s s i o n

Einflussfaktoren des Bio­Konsums

Als Referenzszenario wurde ein Haushalt ohne Kinder in

der italienischsprachigen Schweiz (Sprachregion III) mit

einer männlichen Referenzperson unter 35 Jahren

(Altersklasse I) im Jahr 2006 gewählt, der ein Bruttoein-

kommen von weniger als 4827 Fr. pro Monat zur Verfü-

gung hat (Einkommensklasse I).

Die Modellgüte, gemessen anhand des Bestimmt-

heitsmasses (R2), liegt bei 8,96 % (Tab. 1). Das Bestimmt-

heitsmass zeigt an, wie gut die Regressionsgleichung

die Daten abbildet. Bei der Auswertung von Haushalts-

daten bezüglich des Lebensmittelkonsums ist auch des-

halb ein eher niedriges R2 zu erwarten, weil eine Viel-

zahl von Einflussgrössen eine Rolle bei der

Kaufentscheidung spielen kann. Die Haushaltsbudget-

erhebung dokumentiert mögliche Variablen nur in

einem begrenzten Umfang. Dementsprechend kann

davon ausgegangen werden, dass weitere relevante

Einflussfaktoren nicht als Variablen im Datensatz erfasst

sind. Abgesehen von quantifizierbaren Einflussgrössen,

die gegebenenfalls aufgrund des Aufwands nicht im

Rahmen dieser Haushaltbefragung dokumentiert wur-

den, ist ausserdem in Betracht zu ziehen, dass Faktoren

qualitativer Natur beim Kauf bestimmter Nahrungsmit-

tel bzw. Nahrungsmittelqualitäten wie «bio» von

Bedeutung sind. In Frage kommen z. B. Gesundheits-

und Umweltbewusstsein sowie Tierwohl, wie bereits in

Studien aus anderen Ländern festgestellt wurde

(Zepeda und Nie 2012; Hjelmar 2011; Roitner-Schobes-

berger et al. 2008; Harper und Makatouni 2002). Dazu

sind in der HABE ebenfalls keine Angaben vorhanden,

diese Faktoren können jedoch bei der Konsumentschei-

dung von Bedeutung sein.

In Tabelle  1 sind die Ergebnisse der Schätzung der

Odds Ratios dargestellt. Die Odds Ratios zeigen an,

inwiefern die Kaufwahrscheinlichkeit (bio) im Vergleich

zum oben beschriebenen Referenzhaushalt beeinflusst

wird, wenn die erklärende Variable auf den Haushalt

zutrifft. Die Wahrscheinlichkeit, Bio-Lebensmittel zu

kaufen, steigt demnach mit der Einkommensklasse der

Haushalte. Die Wahrscheinlichkeit ist für Haushalte in

der Einkommensklasse II bereits grösser als in Einkom-

mensklasse I, in der höchsten Einkommensklasse ist sie am

grössten (Tab.  1). Haushalte der Einkommensklasse V

scheinlichkeit (eine Odds Ratio von 2,5 bedeutet z. B.

eine Steigerung der Kaufwahrscheinlichkeit um 150 %).

Als erklärende Einflussgrösse wurde zum einen das Jahr

berücksichtigt, in dem der betreffende Haushalt an der

Haushaltsbudgeterhebung teilgenommen hat. Zum

anderen wurden soziodemographische Merkmale des

Haushalts wie die Sprachregion, die Einkommensklasse,

Unabhängige Variablen:Odds Ratio

(Wahrscheinlich- keitsverhältnis)

P>|z|

Jahr 2007 (ja = 1, andernfalls = 0) 1,060

Jahr 2008 (ja = 1, andernfalls = 0) 1,008

Jahr 2009 (ja = 1, andernfalls = 0) 1,036

Jahr 2010 (ja = 1, andernfalls = 0) 1,174 **

Jahr 2011 (ja = 1, andernfalls = 0) 1,238 ***

Einkommensklasse1 II (4827 – 7024 Fr.) (ja = 1, andernfalls = 0)

1,168 **

Einkommensklasse III (7025 – 9494 Fr.) (ja = 1, andernfalls = 0)

1,278 ***

Einkommensklasse IV (9495 – 12 923 Fr.) (ja = 1, andernfalls = 0)

1,452 ***

Einkommensklasse V (≥ 12 924 Fr.) (ja = 1, andernfalls = 0)

1,673 ***

Sprachregion I (deutsch/rätoromanisch) (ja = 1, anderfalls = 0)

1,495 ***

Sprachregion II (französisch) (ja = 1, anderfalls = 0)

0,730 ***

Frau als Referenzperson2 (ja = 1, anderfalls = 0)

1,585 ***

Kind/er im Haushalt (ja = 1, andernfalls = 0)

0,843 ***

Altersklasse II (35 – 44 Jahre) (ja = 1, andernfalls = 0)

0,926

Altersklasse III (45 – 54 Jahre) (ja = 1, andernfalls = 0)

0,852 **

Altersklasse IV (55 – 64 Jahre) (ja = 1, andernfalls = 0)

0,934

Altersklasse V (65 – 74 Jahre) (ja = 1, andernfalls = 0)

1,138 *

Altersklasse VI (75 Jahre und älter) (ja = 1, andernfalls = 0)

1,246 **

Gesamtausgaben Nahrungsmittel (bio & konv.) in Fr.

1,001 ***

Konsumausgaben gesamt in Fr. 1,000 ***

Signifikanz (P>|z|):

* < 0,05 (signifikant); ** < 0,01 (hoch signifikant); *** < 0,001 (höchst signifikant)1 Das Bruttoeinkommen der Haushalte wurde in 5 Fünftel aufgeteilt (Durchschnitts-

werte über alle Jahre).2 Die Referenzperson ist diejenige Person im Haushalt, die am meisten zum Haus-

haltseinkommen beiträgt.

Bestimmtheitsmass R2 = 0,0896

Referenzvariablen: Jahr 2006, Einkommensklasse I (1. Fünftel < 4827 Fr.), Haushalt

in italienischsprachiger Region in der Schweiz, Mann als Referenzperson, kein Kind

im Haushalt, Altersklasse I (bis 34 Jahre)

Tab. 1 | Schätzwerte der Odds Ratios der binomialen gemischten Logit-Regression für den Einfluss der unabhängigen Variablen auf die Entscheidung der Haushalte, Bio-Lebensmittel zu kaufen

Page 22: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

Gesellschaft | Wer in der Schweiz Bio-Lebensmittel kauft

342 Agrarforschung Schweiz 5 (9): 338–343, 2014

(Bruttoeinkommen ≥ 12 924 Fr. pro Monat) kaufen mit

67,3 % höherer Wahrscheinlichkeit Bio-Lebensmittel als

Haushalte in der niedrigsten Einkommensklasse I

(< 4827 Fr. Bruttoeinkommen pro Monat). Dies erscheint

in Anbetracht der höheren Konsumentenpreise für Bio-

Lebensmittel und des Preisabstands zu konventionellen

Produkten auch plausibel.

Des Weiteren kaufen Haushalte, die sich in der

deutsch- und rätoromanischsprachigen Schweiz befinden,

mit einer um etwa die Hälfte höheren Wahrscheinlichkeit

Bio-Lebensmittel als Haushalte in der italienischsprachi-

gen Region. Die Odds Ratios der Einkommensvariablen

und das im Vergleich zu den anderen Sprachregionen

höhere durchschnittlich verfügbare Einkommen1 (6915 Fr.)

bestätigen dieses Ergebnis. Die Wahrscheinlichkeit, Bio-

Lebensmittel zu kaufen, ist in der französischsprachigen

Schweiz hingegen deutlich geringer als in der italienisch-

und der deutschsprachigen Schweiz.

Tabelle 1 zeigt darüber hinaus unterschiedliche Kauf-

wahrscheinlichkeiten bei verschiedenen Altersklassen der

Referenzperson der Haushalte. Tendenziell gehören

Haushalte mit einer älteren Referenzperson (über 64

Jahre) eher zu den Bio-Käufern als junge Haushalte (mit

einer Referenzperson bis 34 Jahre). Haushalte mit Refe-

renzpersonen mittleren Alters (45 bis 54 Jahre) zeigen die

geringste Wahrscheinlichkeit, Bio-Produkte zu kaufen.

Ihre Wahrscheinlichkeit ist geringer als bei jungen Haus-

halten, wohingegen die Wahrscheinlichkeit von Haushal-

ten mit älteren Referenzpersonen (älter als 64 Jahre) am

grössten ist.

Die höhere Kaufwahrscheinlichkeit älterer Referenz-

personen wird auch durch die niedrige Kaufwahrschein-

lichkeit von Haushalten mit Kindern gestützt. Demnach

ist die Wahrscheinlichkeit Bio-Lebensmittel zu kaufen, bei

Haushalten mit einem oder mehreren Kindern geringer

als bei Haushalten ohne Kinder. Der Einfluss von Kindern

im Haushalt wurde in bisherigen Studien unterschiedlich

geschätzt. Wier et al. (2008) stellten beispielsweise fest,

dass das Vorhandensein von Kindern im Haushalt die

Kaufwahrscheinlichkeit erhöht, wohingegen Zepeda und

Li (2007) eine niedrigere Wahrscheinlichkeit schätzten.

Um den Einfluss von Kindern im Haushalt genauer abzu-

schätzen, müsste diese Variable weiter differenziert wer-

den, da die Höhe der Odds Ratio in Abhängigkeit von der

Anzahl und dem Alter der im Haushalt lebenden Kinder

variieren kann (Wier et al. 2008).

Ist eine Frau die Hauptverdienerin (Referenzperson)

im Haushalt, erhöht dies die Kaufwahrscheinlichkeit um

mehr als die Hälfte im Vergleich zu einer männlichen

Referenzperson. Die Höhe der Gesamtausgaben für

Nahrungsmittel sowie der gesamten Konsumausgaben

beeinflussen die Haushalte in ihrer Entscheidung, Bio-

Lebensmittel zu kaufen jedoch nicht, beziehungsweise

kaum.

S c h l u s s f o l g e r u n g e n

Die Auswertung des Datensatzes aus der Haushaltsbudget-

erhebung (HABE) für die Jahre 2006 bis 2011 hat gezeigt,

dass die Bio-Produkte auf der einen Seite über alle Pro-

duktgruppen betrachtet Marktanteile gewinnen konnten.

Auf der anderen Seite zeigt die Entwicklung der einzelnen

Produktkategorien im Vergleich, dass insbesondere jene

Bio-Produkte Marktanteile gewinnen konnten, die ohne-

hin schon einen hohen Marktanteil hatten (Gemüse,

Milchprodukte und Eier sowie Früchte). Produkte mit klei-

neren Marktanteilen im Beobachtungsjahr 2006 verzeich-

neten niedrigere Wachstumsraten (z. B. Bio-Fleisch).

Des Weiteren konnte festgestellt werden, dass die

soziodemographische Struktur der Haushalte die Ent-

scheidung, Bio-Lebensmittel zu kaufen, signifikant beein-

flusst. So kann davon ausgegangen werden, dass Haus-

halte mit einem höheren Einkommen eher

Bio-Lebensmittel kaufen als Haushalte mit einem niedri-

gen Einkommen. Zudem kaufen insbesondere Haushalte

mit einer Frau als Referenzperson Bio-Lebensmittel. Haus-

halte in der deutschsprachigen Schweiz haben ebenfalls

eine höhere Kaufwahrscheinlichkeit als Haushalte in den

anderen Sprachregionen. Jüngere Haushalte zeigen eine

geringere Tendenz, Bio-Produkte zu kaufen, was einher-

geht mit der geringeren Kaufwahrscheinlichkeit von

Haushalten mit Kindern. Die geringere Kaufwahrschein-

lichkeit trifft in noch stärkerem Ausmass auf Haushalte im

mittleren Alter zu. Ältere Haushalte hingegen kaufen

eher «bio». In Anbetracht des steigenden Anteils älterer

Menschen in der Gesellschaft kann dies eine Chance für

den Bio-Lebensmittelmarkt sein.

Die soziodemographischen Haushaltsmerkmale geben

Aufschluss über die Bestimmungsgründe der Kaufent-

scheidung der Haushalte. Die Aussagekraft des ange-

wandten Modells ist angesichts des eher kleinen R2 jedoch

noch begrenzt. Es muss daher davon ausgegangen wer-

den, dass weitere Einflussfaktoren existieren. Diese gilt es

im nächsten Schritt zu identifizieren und zu testen. Die

Analyse einer so heterogenen Produktkategorie wie der

Bio-Lebensmittel gibt einen ersten Überblick über die

Bestimmungsgründe des Kaufs. Die Betrachtung einzel-

ner Produkte und Produktgruppen kann jedoch noch

genauer Aufschluss über die Konsummuster geben. n1Das durchschnittlich verfügbare Einkommen pro Monat und Haushalt liegt in der französischsprachigen Schweiz bei 6503 Fr., in der italienischsprachigen Schweiz bei 6154 Fr.

Page 23: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

Wer in der Schweiz Bio-Lebensmittel kauft | Gesellschaft

343Agrarforschung Schweiz 5 (9): 338–343, 2014

Ria

ssu

nto

Sum

mar

y

Literatur ▪ Bio Suisse, 2014. Biofläche in der Schweiz wächst um 5000 Hektaren – Biomarkt erstmals über 2 Milliarden Franken. Jahresmedienkonferenz Bio Suisse, Basel, 9. April 2014.

▪ Harper G.C. & Makatouni A., 2010. Consumer perception of organic food production and farm animal welfare. British Food Journal 104 (3), 287–299.

▪ Hjelmar U., 2011. Consumers’ purchase of organic food products. A mat-ter of convenience and reflexive practices. Appetite 56 (2), 336–344.

▪ Wier M., O’Doherty Jensen K., Andersen L.M. & Millock K., 2008. The character of demand in mature organic food markets: Great Britain and Denmark compared. Food Policy 33 (5), 406–421.

▪ Zepeda L. & Li J., 2007. Characteristics of Organic Food Shoppers. Journal of Agricultural and Applied Economics 39 (1), 17–28.

▪ Zepeda L. & Nie C., 2012. What are the odds of being an organic or local food shopper? Multivariate analysis of US food shopper lifestyle seg-ments. Agriculture and Human Values 29 (4), 467–480.

Who buys organic foods in Switzerland?

Over the past years, the Swiss market

for organic foods has grown consider­

ably. However, little is known about

the factors that motivate consumers to

purchase organic food products.

Within the framework of this analysis,

data from Swiss households on the

consumption of organic foods were

analysed descriptively and econometri­

cally. The evaluation of these house­

hold data confirmed the growing trend

for organic foods in general and for

the nine product groups under consid­

eration, namely Bread and Grain

Products; Meat; Fish; Dairy Products

and Eggs; Edible Fats and Oils; Fruit;

Vegetables; Sugar and Confectionery;

and Condiments and Sauces. The most

popular organic products were

vegetables, dairy products and eggs,

and fruit, with the consumption of

organic vegetables showing the

strongest growth.

The econometric analysis showed that

the sociodemographic structure of the

households influenced the decision to

buy organic foods. As income

increased, so did the likelihood that

these households would purchase

organic products. The age of the

reference person of the household and

the presence of children also played a

role, with childless households being

more likely to buy organic foods than

those with children.

Key words: demand for organic food,

demand analysis, household data,

mixed logit model.

Chi compra alimenti biologici in

Svizzera

Negli ultimi anni il mercato degli

alimenti biologici ha mostrato sviluppi

molto positivi. Ad oggi, tuttavia, si sa

poco su quali siano i fattori che

influenzano l’acquisto di prodotti

biologici. Questa analisi ha preso in

esame i dati sul consumo di prodotti

bio da parte delle famiglie svizzere per

trarne conclusioni descrittive ed

econometriche. L'esame di tali dati ha

confermato non solo la tendenza alla

crescita degli alimenti biologici in

generale, ma anche quella delle nove

categorie di prodotti prese in conside­

razione (pane e prodotti a base di

cereali, carne, pesce, latticini e uova,

oli e grassi alimentari, frutta, verdura,

zucchero e dolciumi, spezie e condi­

menti). I cibi biologici preferiti risul­

tano essere le verdure, i latticini e le

uova, ma anche la frutta. Il consumo

di verdure biologiche è quello che

presenta la crescita più marcata.

L’analisi econometrica indica che la

struttura socio­demografica delle

famiglie influenza la decisione di acqui­

stare alimenti biologici. La probabilità

di acquisto è direttamente proporzio­

nale al reddito della famiglia. Influi­

scono anche l’età dei soggetti di

riferimento all’interno delle famiglie e

la presenza di figli. Le famiglie senza

figli sono più propense ad acquistare

cibo biologico rispetto a quelle con

figli.

Page 24: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

344 Agrarforschung Schweiz 5 (9): 344–351, 2014

Im vorliegenden Artikel werden die Resultate der Studie

präsentiert und in Bezug zur vorhandenen Fachliteratur

gesetzt.

In der Literatur sind sich verschiedene Autoren darin

einig, dass die Innovationsfähigkeit und die unterneh-

merischen Kapazitäten der Landwirtschaft einen erheb-

lichen Beitrag zur Entwicklung ländlicher Räume leisten

können. So sind Produktion und Absatz von regionalen

Lebensmittelprodukten gemäss verschiedener Autoren

Teil der regionalen Wertschöpfung ländlicher Regionen.

Die «Regionalisierung der Nahrungssysteme» (Knox und

E i n l e i t u n g

Im Rahmen des Programms San Gottardo 2020 wurde

von der Fachgruppe Agrarwirtschaft der Hochschule für

Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (HAFL)

eine Studie über das Potenzial von regionalen Lebens-

mittel-Spezialitäten und agrotouristischen Dienstleis-

tungen in der Gotthardregion durchgeführt. Der Unter-

suchungsperimeter umfasst den Kanton Uri, die Bezirke

Surselva im Kanton Graubünden und Goms im Kanton

Wallis sowie die Region Bellinzona e Tre Valli im Tessin.

Potenziale der Landwirtschaft in der GotthardregionAndreas Hochuli, Esther Hidber und Mario Huber

Hochschule für Agrar­, Forst­ und Lebensmittelwissenschaften HAFL, 3052 Zollikofen

Auskünfte: Andreas Hochuli, E-Mail: [email protected]

A g r a r w i r t s c h a f t

Abb. 1 | Das Potenzial für regionale Lebensmittel-Spezialitäten aus der Gotthardregion wird als relativ gross eingestuft. (Foto: Caseificio del Gottardo)

Page 25: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

Potenziale der Landwirtschaft in der Gotthardregion | Agrarwirtschaft

345

Zusa

mm

enfa

ssu

ng

Agrarforschung Schweiz 5 (9): 344–351, 2014

Im Kontext mit der Entwicklung ländlicher

Regionen weist die Produktion und Vermark­

tung von regionalen Lebensmittel­Spezialitä­

ten ein erhebliches Potenzial auf. Dies

konnte eine Studie der Hochschule für Agrar­,

Forst­ und Lebensmittelwissenschaften HAFL

für die Gotthardregion aufzeigen. Diese

Erkenntnis kann zudem mittels Fachliteratur

gestützt werden. Bei der Produktion und

dem erfolgreichen Vertrieb regionaler

Lebensmittel­Spezialitäten kommt der

Qualität der Produkte sowie einem glaub­

würdigen Regionallabel eine hohe Bedeu­

tung zu. Ebenso konnte die Studie ein

erhebliches Potenzial für die Optimierung

bestehender und das Auffinden neuer

Absatzkanäle innerhalb und ausserhalb der

Gotthardregion identifizieren. In diesem

Zusammenhang kommt auch agrotouristi­

schen Dienstleistungen eine grosse Bedeu­

tung zu. Ein gut entwickeltes Angebot im

Agrotourismus fördert nicht nur den Absatz

regionaler Lebensmittel­Spezialitäten. Auch

die gesamte touristische Attraktivität, die

regionale Wertschöpfung der Gotthardregion

und das Einkommen von Landwirtschaftsbe­

trieben kann damit gesteigert werden.

Mayer 2009) beinhaltet unter anderem das Element der

Valorisierung von regionalen Lebensmittel-Rohstoffen

zu Lebensmittel-Spezialitäten, was als Massnahme zur

regionalen Entwicklung angesehen werden kann. Pacci-

ani et al. (2001) sehen diese Valorisierung sogar als

Grundlage für die Entwicklung ländlicher Räume (Abb.1).

Darüber hinaus zählt auch die Förderung des ländlichen

Tourismus zu den bedeutendsten Entwicklungsstrate-

gien für ländliche Gebiete (Wilson et al. 2001). Auch in

diesem Fall spielt die Landwirtschaft eine wichtige Rolle,

einerseits zur Erhaltung der Landschaft (als Vorausset-

zung für den ländlichen Tourismus) und anderseits durch

das Angebot von agrotouristischen Dienstleistungen.

Ausgehend von diesen einführenden Überlegungen

soll im Folgenden der Einfluss der Landwirtschaft auf die

Entwicklung ruraler Räume am Beispiel der Gotthardre-

gion aufgezeigt werden.

M e t h o d e

Die empirische Untersuchung erfolgte grösstenteils

mittels Experteninterviews mit Stakeholdern aus der

regionalen Lebensmittelproduktion der Gotthardre-

gion (darunter waren Vertreter der Landwirtschaft,

Nahrungsmittelverarbeitung und von Vertriebskanälen

in der Gotthardregion) und ausgewiesenen Experten für

ländliche Entwicklung. Die Befragung erfolgte teilweise

im persönlichen Gespräch, per Telefon oder schriftlich.

Der Befragungszeitraum umfasste die Monate August

und September 2013. Für diese Studie wurde eine

gemischte Methode mit standardisierten und offenen

Leitfadeninterviews eingesetzt. Hierzu wurden Frage-

bögen zu den Fragekomplexen «Potenziale», «Kosten-

Nutzen», «Probleme und Herausforderungen» sowie

«Bedürfnisse» ausgearbeitet. Entsprechend der Stake-

holder-Gruppen (Produktion, Verarbeitung und Ver-

marktung/Vertrieb und öffentliche Verwaltung) wur-

den unterschiedliche Fragebögen ausgearbeitet. Dies

führte dazu, dass die Anzahl Antworten pro Frage

unterschiedlich ausfiel. Die Auswertung der Erhebung

erfolgte zum einen über Auszählungen der Antworten

zu Fragen mit kategorialen Antwortmöglichkeiten.

Diese Daten wurden grafisch dargestellt und kommen-

tiert beziehungsweise bewertet. Zum anderen wurden

die Antworten aus den offen gestellten Fragen tabella-

risch verdichtet und so in die qualitativen Auswertun-

gen miteinbezogen.

Entsprechend der Methode haben die Aussagen der

Studie einen rein qualitativen respektive indikativen

Charakter. Damit kann keine Repräsentativität der Erhe-

bung und deren Ergebnisse erwartet werden. Dennoch

können die Resultate der Studie einen Beitrag zur Dis-

Page 26: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

Agrarwirtschaft | Potenziale der Landwirtschaft in der Gotthardregion

346 Agrarforschung Schweiz 5 (9): 344–351, 2014

kussion über die Bedeutung regionaler Produktionssys-

teme im Bereich der Nahrungsmittel für die Regional-

entwicklung leisten.

R e s u l t a t e u n d D i s k u s s i o n

Regionale Lebensmittelspezialitäten

Aufgrund der konsultierten Literatur scheint das Markt-

potenzial regionaler Lebensmittel-Spezialitäten vorhan-

den zu sein (Warschung et al. 2013; Henseleit et al. 2007).

Grund für die relativ hohe Nachfrage sind vor allem

sogenannte kognitive (Regional steht für Qualität,

Gesundheit, Frische oder Umweltfreundlichkeit) und

normative (verstanden als moralische Verpflichtung zur

Unterstützung der lokalen Produzenten) Faktoren. Die

Ergebnisse der im Rahmen der vorliegenden Studie

geführten Interviews bestätigen diese Aussagen weitge-

hend. Die Stakeholder sind generell der Meinung, dass

ein grosses Potenzial für regionale Lebensmittel-Spezia-

litäten besteht. Die Gründe für diese Einschätzung aus

Sicht der Befragten liegen bei der zunehmenden Bereit-

schaft der Konsumenten, höhere Preise für qualitativ

hochwertige und regionale Produkte zu bezahlen. Wenn

vor allem dem Tourismus ein hohes Potenzial für den

Absatz von regionalen Produkten zugeschrieben wird,

gilt dies laut der Befragten, nicht immer für die Einwoh-

ner der betroffenen Region. Verschiedene Stakeholder

haben angegeben, dass die lokale Bevölkerung zu wenig

sensibel für den Kauf von regionalen Produkten ist. Pet-

rini (2005; Zitiert in Knox und Mayer 2009) sieht den

Schlüssel der Akzeptanz in der Identität des Konsumen-

ten in den regionalen Produktionsketten: der «Konsum

[ist] die letzte Stufe des Produktionsprozesses […]». Als

Teil des Produktionsprozesses müsse der Kunde wissen,

wo, wie und durch wen das Produkt produziert und ver-

arbeitet wird. Obwohl das Marktvolumen für regionale

Lebensmitteln schwer ermittelbar ist (vor allem auf-

grund der fehlenden genauen Definitionen und Stan-

dards für regionale Produkte), steht fest, dass die «Regi-

onalität» der Produkte ein relevanter Faktor der

Kaufentscheidung geworden ist und dass ein Fehlen von

regionalen Produkten im Verkauf gar als ein Wettbe-

werbsnachteil angesehen wird (Warschung et al. 2013).

Neben dem Tourismus wird auch das Exportpotenzial

von regionalen Lebensmittel-Produkten aus der Gott-

hardregion als hoch eingeschätzt. Generell wird die Mei-

nung vertreten, dass in der restlichen Schweiz (vor allem

in den urbanen Zentren) ein relativ grosses Marktpoten-

zial für regionale Produkte aus der Gotthardregion vor-

handen ist. Weniger positiv eingestellt sind die Stakehol-

der bezüglich der Möglichkeit des Exports von regionalen

Lebensmittel-Spezialitäten in Europäische Grosszentren.

Die Valorisierung von heimischen Erzeugnissen wird in

der Literatur oft als wichtiger Faktor für die regionale

Entwicklung ländlicher Räume angesehen (Knox und

Mayer 2009; Pacciani et al. 2001). Die Wirtschaftsakteure

des regionalen Lebensmittelsektors nehmen durch das

aktive und engagierte Verfolgen des wirtschaftlichen

Eigeninteressens (oft unbewusst) am regionalen Wirt-

schaftskreislauf teil (Ganzert et al. 2004). Ein ideales regi-

onales Lebensmittel-System wird von Clancy und Ruhf

(2010) als ein System beschrieben, in dem so viele Lebens-

mittel wie möglich auf verschiedenen Levels und Skalen

in der Region produziert, verarbeitet, vertrieben und ver-

kauft werden, um den Lebensmittel-Bedürfnissen der

Konsumentinnen und Konsumenten gerecht zu werden.

Damit könne eine grosse Elastizität erlangt, lediglich ein

Minimum an Lebensmitteln importiert und ein wirt-

schaftlicher und sozialer Mehrwert unter den Stakehol-

dern der regionalen Lebensmittel-Wertschöpfungskette

generiert werden. Zudem kann ein regional-organisier-

tes Lebensmittel-System die Nettowertschöpfung der

gesamten regionalen Wirtschaft steigern, Arbeitsplätze

schaffen, die Landschaft erhalten, durch geringeren CO2-

Ausstoss einen Beitrag an den Umweltschutz leisten und

das Sozialkapital einer Region erhöhen (Wiskerke 2009).

In der Gotthardregion wird generell eine grosse

Menge an landwirtschaftlichen Rohstoffen produziert,

aber nur ein geringer Teil davon wird auch in der Region

verarbeitet. Bei der Kuhmilch werden in der Gotthard

region beispielsweise etwa 50 Prozent der Produktion

verarbeitet (Abb. 2). Ähnliches gilt es für die Verarbei-

tung von Rohfleisch zu Fleischprodukten, auch hier wird

in der Gotthardregion etwa 45 Prozent des potenziellen

Rohfleisches verarbeitet. Innerhalb des gesamten

Fleischsortiments gibt es aber grosse Mengenunter-

schiede. Zum Beispiel muss Ziegenfleisch zur Deckung

der Verarbeitungsmengen in die Gotthardregion impor-

tiert werden (123 % des potenziell produzierten Roh-

fleischs wird verarbeitet) während beim Schaf- oder

Kalbfleisch nur ein kleiner Teil davon in der Region ver-

arbeitet wird (je 17,4 %). Da die Verarbeitung der Roh-

stoffe teilweise nicht weit ausserhalb des Untersu-

chungsperimeters erfolgt (was ein Zeichen dafür sein

kann, dass das Verständnis von «Regional» trotzdem

vorhanden ist, aber nicht unbedingt dem Perimeter der

Gotthardregion entspricht), sind diese Informationen

mit Vorsicht zu bewerten. Trotzdem führt diese Tatsache

zur Aussage, dass in der Gotthardregion zurzeit noch

kein optimiertes regionales Lebensmittel-System (laut

der Definition von Clancy und Ruhf 2010) existiert.

Ein wesentlicher Grund für den Export eines grossen

Teils der landwirtschaftlichen Rohstoffe aus der Gott-

hardregion könnten die hohen Produktionskosten für

Page 27: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

Potenziale der Landwirtschaft in der Gotthardregion | Agrarwirtschaft

347Agrarforschung Schweiz 5 (9): 344–351, 2014

ratur wird jedoch über die räumliche Ausstrahlung der

Labels diskutiert. Die Wirkung von regionalen Labels (im

Vergleich zu anderen Labels) ist stark umstritten. Hu et

al. (2012) haben beispielsweise herausgefunden, dass

Produkte, die mit einem nationalen Label versehen sind,

eher gekauft werden als Produkte mit einem regionalen

Label. Gracia et al. (2011) weisen hingegen darauf hin,

dass ein regionales Label Kunden dazu bewegen kann,

einen Mehrpreis für regionale Produkte zu bezahlen. In

der vorliegenden Studie wurde von den befragten Sta-

keholdern der Gotthardregion klar hervorgehoben, dass

ein vertrauenswürdiges Label für die Vermarktung regi-

onaler Lebensmittel-Spezialitäten sehr wichtig sei. Etwa

die Hälfte der Befragten in der Kategorie «Vertrieb» ist

der Meinung, dass sich die Gotthardregion als geeignete

Vermarktungseinheit für ein neues Label eignen würde

(Abb. 3). Als Grund dieser partiellen Unterstützung eines

regionalen Labels für die Gotthardregion könnte die

hypothetische Aussage formuliert werden, dass in der

Region ein zu geringes Bewusstsein für die Gotthardre-

gion existiert, um sich mit einem «Gotthard»-Label iden-

tifizieren zu können. Anders formuliert könnte das Regi-

onalbewusstsein (vgl. folgender Abschnitt) in anderen

Raumeinheiten (z.B. die Kantonale- oder die Bezirkse-

regionale Lebensmittel-Spezialitäten sein. Die meisten

interviewten Stakeholder waren der Meinung, dass

diese in der Gotthardregion «eher hoch» oder «hoch»

seien. Die Produktionskosten sind aber nicht die einzi-

gen Schwierigkeiten, welche von den Stakeholdern

bezüglich der Produktion von Lebensmittel-Spezialitä-

ten genannt wurden. Auch die Kosten für die Vermark-

tung wurden mehrheitlich als hoch bewertet. Ebenso

werden aus Sicht der befragten Stakeholder die Hygie-

nevorschriften und die Saisonalität der Rohstoffproduk-

tion als Hindernis für die regionale Verarbeitung und

Vermarktung genannt.

Die Vertriebskanäle in und ausserhalb der Gott-

hardregion sind den Befragten grossmehrheitlich

bekannt und werden auch genutzt. Einzig die Nutzung

von Internetplattformen für den Vertrieb von regiona-

len Lebensmittel-Spezialitäten scheint eingeschränkt zu

sein. Das Vertriebspotenzial über die Gastronomie wird

von den Stakeholdern als hoch eingestuft. Dies vor allem

wegen dem touristischen Aufkommen in der Gott-

hardregion.

Gemäss der Einschätzung der befragten Stakeholder

spielen Lebensmittel-Labels bei der Vermarktung von

Lebensmittel-Produkten eine wichtige Rolle. In der Lite-

0 10

±

GR

UR

TIVS

6821

4697

2842417

2221

23 526

5706

13 231

3874

2764

10 981

7268

1451265

Potenzielle MengeEffektive Menge

Kuhmilch in Tonnen/Jahr

20 km

Abb. 2 | Verarbeitungspotenzial von Kuhmilch in der Region San Gottardo.

Begriffsdefinition: Potenzielle Menge: Höchstmögliche landwirtschaftliche Primärrohstoffmenge die in der Region zu Qualitätsprodukten verarbeitet werden könnte. Effektive Menge: Statistisch erhobene Primärrohstoffmenge die in der Region verarbeitet wird.Datenquelle: Potenzielle Mengen: Eigene Berechnungen. Effektive Mengen: TSM Treuhand GmbH, Bern. Kartengrundlage: Swisstopo. Erstellt am 26.11.2013, HAFL ©

Page 28: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

Agrarwirtschaft | Potenziale der Landwirtschaft in der Gotthardregion

348 Agrarforschung Schweiz 5 (9): 344–351, 2014

bene) wichtiger sein als in der Gotthardregion (Ganzert

et al. 2004). Hinsichtlich der Vermarktung wird von den

Interviewpartnern insgesamt mehr Unterstützung

erwartet, da die Kosten dafür relativ hoch sind.

In der Untersuchung wurden unter anderem auch

Daten zu den erwarteten Qualitätskriterien für regio-

nale Lebensmittel-Spezialitäten aus der Gotthardregion

(unabhängig von jeglichen Labels) erhoben. Die Stake-

holder der regionalen Lebensmittelproduktion sind klar

der Meinung, dass zur Produktion regionaler Lebensmit-

tel-Spezialitäten die landwirtschaftlichen Rohstoffe

zwingend aus der Region stammen müssen. Hier stellt

sich aber laut Aussagen der Interviewpartner das Prob-

lem der Saisonalität der Lebensmittelrohstoffe. Die kon-

tinuierliche Lieferung der Rohstoffe kann nicht gewähr-

leistet werden. Lediglich ein Verarbeitungsbetrieb gab

0 2 4 6 8 10 12 14 16 18

Neue regionale Lebensmittel-Spezialitäten müssen biszum landw. Produzenten zurückverfolgt werden können

Landw. Rohstoffe für die Produktion regionalerLebensmittel-Spezialitäten müssen zwingend

aus der Region San Gottardo stammen

Bereitschaft regionale Lebensmittel Spezialitäten unterder Dachmarke «San Gottardo» über eigene

Vertriebskanäle zu vermarkten

Bereitschaft regionale Lebensmittel-Spezialitäten unterneu zu definierendem Label über eigene

Vertriebskanäle zu vermarkten

Für die Vermarktung regionaler Lebensmittel-Spezialitäten ist ein vertrauenswürdiges Label

aus Konsumentensicht sehr wichtig

trifft zu

trifft teilweise zu

trifft nicht zu

weiss nicht

Abb. 3 | Vermarktungsmassnahmen und Qualitätskriterien für regionale Lebensmittel-Spezialitäten aus der Gotthardregion.

Abb. 4 | Aus der Kombination zwischen der regionalen Lebensmittelproduktion und des ruralen Tourismussektors ergibt sich eine Win-Win Situation: der Tourismus als zusätzlicher Absatzmarkt für regionale Produkte und regionale Produkte als Stärkung des touristischen Ange-bots. (Foto: ©Valais/Wallis Promotion – Pascal Gertschen)

Page 29: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

Potenziale der Landwirtschaft in der Gotthardregion | Agrarwirtschaft

349Agrarforschung Schweiz 5 (9): 344–351, 2014

Gründe wie der Wunsch, den Betrieb in der Familie zu

behalten oder einem Hobby nachzugehen sind für den

Aufbau eines agrotouristischen Angebots wichtig (Tew

& Barbieri 2012).

Aus guten und richtig positionierten agrotouristi-

schen Dienstleistungen kann ein zusätzlicher Nutzen

für die Landwirtschaft gezogen werden (Abb. 4). Dies

wurde von den befragten Stakeholdern der Gott-

hardregion bestätigt. Die Qualität und die kundenori-

entierte Ausrichtung des Angebots reichen aber nicht

aus. Wichtig seien auch andere Faktoren, wie der per-

sönliche Kontakt zu den Gästen oder auch das touristi-

sche Umfeld (z.B. weitere Attraktionen in der Region).

Für den Aufbau von agrotouristischen Dienstleistungen

sind jedoch oft die gesetzlichen Hürden und der Auf-

wand zu gross. Vor allem die Restriktionen des Raum-

planungsgesetztes, wie auch die Investitionskosten und

der Arbeitsaufwand wurden von den Landwirtschafts-

betrieben (aber auch durch die Vertreter der öffentli-

chen Verwaltung bestätigt) als tendenziell negativ

wahrgenommen (Abb. 5). Wenn aber eine massgebli-

che Unterstützung von Seiten der öffentlichen Hand

oder Dritter gegeben wäre, wären die Betriebe gene-

rell am Aufbau einer agrotouristischen Dienstleistung

interessiert. Und dies nicht nur aus rein finanziellen

Gründen, sondern auch um einen aktiven und berei-

chernden Austausch mit den Touristen und dadurch

eine emotionale Nähe zu den regionalen Produkten zu

schaffen.

an, dass die Rohstoffe für die Produktion von regionalen

Lebensmittel-Spezialitäten kontinuierlich geliefert wer-

den können. Ausserdem wurde als wichtig empfunden,

dass die landwirtschaftlichen Rohstoffe für Produkte aus

der Gotthardregion bis zum Produzenten zurückverfolgt

werden können (Abb. 3). Ein Teil der befragten Akteure

ist der Meinung, dass die Herstellungsprozesse regiona-

ler Lebensmittel-Spezialitäten tendenziell definiert und

standardisiert werden sollten.

Agrotouristische Dienstleistungen

Die Förderung des Tourismussektors gehört zu den

wichtigsten Regionalentwicklungsmassnahmen für

ländliche Gebiete (Wilson et al. 2001). Besonders dem

Agrotourismus wird ein grosses Potenzial für die lokale

Wertschöpfung zugeschrieben. Dies durch eine Erhö-

hung der Beschäftigung, höhere Steuereinnahmen

oder durch die indirekte Förderung lokaler Unterneh-

men, beispielsweise im Detailhandel oder in der Gastro-

nomie. Der Erhalt der ländlichen Kultur und des ländli-

chen Bewusstseins sind zusätzliche positive Effekte, die

der Agrotourismus mit sich bringt. Für das landwirt-

schaftliche Unternehmen bedeutet Agrotourismus eine

Diversifikation im Angebot, was dem Landwirtschafts-

betrieb eine zusätzliche Sicherheit und Flexibilität bie-

tet und oft ein höheres und sichereres Einkommen

ermöglicht. Zudem kann ein agrotouristisches Angebot

im Unternehmen allfällige freie Arbeitskräfte intern

und flexibel aufnehmen. Aber auch nicht-ökonomische

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Der Erlös aus agrotouristischen Angeboten übersteigtdie Betriebskosten

Arbeitsaufwand für Aufbau agrotouristischer

Interesse am Aufbau agrotouristischer Angebote ist hoch

Wir betreiben Agroutourismus oder ähnlicheDienstleistungen

Investitionskosten für Aufbau agrotouristischerAnbebote sind hoch

Hürden Raumplanung für Aufbau agrotouristischerAnbebote sind hoch

trifft zu

trifft teilweise zu

trifft nicht zu

weiss nicht

Abb. 5 | Einschätzung von Kosten und Nutzen (Sicht Landwirtschaftsbetriebe) agrotouristischer Angebote (Anzahl Nennungen).

Page 30: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

350

Agrarwirtschaft | Potenziale der Landwirtschaft in der Gotthardregion

Agrarforschung Schweiz 5 (9): 344–351, 2014

Es besteht indes ein enger Zusammenhang zwischen der

regionalen Lebensmittelproduktion und dem ruralen

Tourismussektor (Boyne et al. 2003). Aus dieser Kombina-

tion ergibt sich eine Win-Win-Situation: der Tourismus

als zusätzlicher Absatzmarkt für regionale Produkte und

regionale Produkte als Stärkung des touristischen Ange-

bots (Sims 2009). Das agrotouristische Angebot soll laut

Tew und Barbieri (2012) auch als Marketingelement zur

Förderung von regionalen Lebensmittel-Spezialitäten

dienen, indem das Bewusstsein der Touristen für das

Positive der regionalen Produkte gefördert wird.

Diese Aussage aus der Literatur wird auch von der

Studie bestätigt. Verschiedene Interviewpartner haben

explizit den Tourismus als grosses Potenzial für den

Absatz von regionalen Produkten erwähnt. Touristen

seien generell auch bereit, einen höheren Preis für regi-

onale Lebensmittel-Spezialitäten zu bezahlen als die

lokale Bevölkerung. Diesbezüglich wurden aber auch

Problemfelder identifiziert. Einerseits wurde die Saiso-

nalität des Tourismus erwähnt, anderseits die schlechten

Abnahmekonditionen der Gastronomie.

S c h l u s s f o l g e r u n g e n

Für die Gotthardregion hat die Studie der Fachgruppe

Agrarwirtschaft der HAFL aufzeigen können, dass ein

relativ grosses Marktpotenzial für regionale Lebensmit-

tel-Spezialitäten vorhanden ist. Aufgrund der Resultate

wurden verschiedene Potenziale identifiziert, insbeson-

dere wurden daraus für folgende Teilbereiche Hand-

lungsempfehlungen abgeleitet: Erstens wird vorgeschla-

gen, dass die Zusammenarbeit entlang der verschiedenen

Wertschöpfungsstufen in der Region optimiert werden

soll. Zweitens sollen mit dem Ziel der Entlastung der

Landwirtschaftsbetriebe die Vertriebs- und Vermark-

tungsstrukturen in der Gotthardregion, aber vor allem

auch über die Region hinaus, besser genutzt und neue

Vertriebskanäle erschlossen werden. Drittens sollen

agrotouristische Dienstleistungen entwickelt werden,

um einerseits die Direktvermarktung von regionalen

Lebensmittel-Spezialitäten zu fördern und andererseits

die touristische Attraktivität der Region und damit auch

das Einkommen der Landwirtschaftsbetriebe verbessern

zu können.� n

Page 31: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

351

Potenziale der Landwirtschaft in der Gotthardregion | Agrarwirtschaft

Ria

ssu

nto

Sum

mar

y

Agrarforschung Schweiz 5 (9): 344–351, 2014

The potential of agriculture in the

Gotthard Region

The production and marketing of

regional speciality foods offers

considerable potential for the develop­

ment of rural areas. This potential was

demonstrated by a study which the

School of Agricultural, Forest and Food

Sciences carried out in the Gotthard

Region and was supported by a review

of the pertinent literature. Results of

the study showed that the quality of

the product and a credible regional

label were important components for

the production and distribution of

regional speciality foods. The study

identified considerable potential for

optimising existing distribution

channels and finding new ones in the

Gotthard Region and elsewhere. In this

context, agritourism services were

found to be of great importance. We

predict that a well­developed range of

agritourism services will promote not

only regional speciality foods but also

the overall attractiveness of the

Gotthard Region to tourists, will add

value to the region, and will increase

the income of agricultural businesses.

Key words: regional food supply chain,

rural development, agricultural

potential.

Potenziale dell’agricoltura nella

regione del Gottardo

Lo sviluppo regionale è legato diretta­

mente alla produzione di prodotti

alimentari regionali. Questa afferma­

zione, che viene confermata da diversi

studi e dalla letteratura specializzata,

rappresenta un importante risultato

scaturito da uno studio sul potenziale

dell’agricoltura nella regione del San

Gottardo. Il potenziale valore aggiunto

generato dal settore alimentare

sembrerebbe essere promettente. Di

particolare importanza è stata definita

la collaborazione tra i vari stakeholder

nelle diverse fasi della catena di

produzione, ad esempio per la defini­

zione di criteri di qualità per prodotti

alimentari regionali. Anche la defini­

zione di nuovi canali per lo smercio dei

prodotti regionali sia all’interno sia

all'esterno della regione del Gottardo è

stata definita importante. Inoltre, il

turismo è identificato come un settore

importante per lo sviluppo della

regione del Gottardo, ad esempio per

lo smercio di prodotti alimentari

regionali, oppure come attività

collaterale per le aziende agricole o

anche per il valore aggiunto generato

in altri settori economici.

Literatur ▪ Boyne S., Hall D. & Williams F., 2003. Policy, Support and Promotion for Food-Related Tourism Initiatives. Journal of Travel & Tourism Marketing 14 (3–4), 131–154.

▪ Clancy K. & Ruhf K., 2010. Is local enough? Some arguments for regional food systems. Choices 25 (1), 123–135.

▪ Ganzert C., Burdick B. & Scherhorn G., 2004. Empathie, Verantwortlich-keit, Gemeinwohl: Versuch über die Selbstbehauptungskräfte der Region. Ergebnisse eines Praxisforschungsprojekts zur Vermarktung regionaler Lebensmittel. Wuppertal papers (142), 1–68.

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▪ Knox P. L. & Mayer H., 2009. Kleinstädte und Nachhaltigkeit. Birkhäuser, Basel. 192 S.

▪ Pacciani A., Belletti G., Marescotti A. & Scaramuzzi S., 2001. The role of typical products in fostering rural development and the effects of regula-tion (EEC) 2081/92. 73th EAAE Seminar, Ancona. 17 S.

▪ Petrini C., 2005. Slow Food Nation: Why Our Food Should Be Good, Clean and Fair. Rizzoli, New York. 192 S.

▪ Sims R., 2009. Food, place and authenticity: local food and the sustaina-ble tourism experience. Journal of Sustainable Tourism 17 (3), 321–336.

▪ Tew C. & Barbieri C., 2012. The perceived benefits of agritourism: The provider’s perspective. Tourism Management 33 (1), 215–224.

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Page 32: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

352 Agrarforschung Schweiz 5 (9): 352–357, 2014

tive Bedeutung für die Betriebe – stieg im gleichen Zeit-

raum von knapp fünf Prozent auf über sechs Prozent an.

Innerhalb der paralandwirtschaftlichen Aktivitäten tra-

gen Direktverkauf und Verarbeitung (inkl. Kelterei) mit

60 % mehr als die Hälfte der Rohleistung bei. Mit 30 %

liegen die Arbeiten für Dritte und die Maschinenvermie-

tung an zweiter Stelle. Bezüglich der Verbreitung auf

den Betrieben ist die Bedeutung gerade umgekehrt.

Während 13 % der Betriebe Direktverkauf oder Verar-

beitung aufweisen, sind drei Viertel in Arbeiten für

Dritte und Maschinenvermietung involviert (Lips und

Schmid 2013). Arbeiten für Dritte werden auch als Lohn-

arbeiten bezeichnet und stellen Dienstleistungen dar,

die von einer qualifizierten Arbeitskraft erbracht wer-

den. Typischerweise werden dazu auch Maschinen oder

Geräte eingesetzt. Angesichts der Verbreitung der Lohn-

arbeit ist deren Rentabilität von besonderem Interesse.

Insbesondere die resultierende Arbeitsverwertung, d.h.

den effektiv realisierten Stundenlohn, gilt es zu ermit-

teln. Da dazu eine Betrachtung auf Betriebszweigebene

notwendig ist, werden für eine Reihe von Fallstudien-

Betrieben Vollkostenkalkulationen für verschiedene

Lohnarbeiten im Bereich Aussenwirtschaft erstellt.

Anschliessend werden die einzelnen Betriebszweigresul-

tate zu Gruppen von typischen Lohnarbeiten aggregiert.

M e t h o d e

Auswahl der untersuchten Betriebe

Ausgehend von den Betrieben der Zentralen Auswer-

tung von Buchhaltungsdaten von Agroscope wurden

Betriebe mit Rohleistungen über Fr. 10 000.– im Bereich

der Arbeiten für Dritte identifiziert. Im Hinblick auf das

Durchführen von Befragungen der Betriebsleitenden

wurde eine Region mit vielen entsprechenden Betrieben

gesucht, wobei der Kanton Aargau resultierte. Über die

beiden Treuhandstellen «Agro-Treuhand Aargau» sowie

«Treuhand und Schätzungen» des Schweizer Bauernver-

bands wurden insgesamt zwölf Betriebe kontaktiert.

Neun von ihnen waren zu einer einzelbetrieblichen

Befragung bereit, wobei acht davon Lohnarbeiten im

Bereich Aussenwirtschaft ausführten.

E i n l e i t u n g

Die Paralandwirtschaft umfasst landwirtschaftliche

Tätigkeiten, die nicht unmittelbar mit der landwirt-

schaftlichen Produktion oder den ökologischen Leistun-

gen zusammenhängen (Hausheer Schnider 2010). Sie hat

in den vergangenen zehn Jahren kontinuierlich an

Bedeutung gewonnen. Betrug im Jahr 2003 die Rohleis-

tung durch Arbeiten für Dritte, Maschinenvermietung,

Direktverkauf und Agrotourismus noch rund Fr. 11 800.–

pro Betrieb, so verdoppelte sie sich bis zum Jahr 2012

beinahe auf rund Fr. 20 600.– (Tab. 1). Der Anteil an der

gesamten Rohleistung des Betriebs – und somit die rela-

Vollkostenkalkulationen für Lohnarbeiten

Daniel Hoop, Anja Schwarz und Markus Lips

Agroscope, Institut für Nachhaltigkeitswissenschaften INH, 8356 Ettenhausen, Schweiz

Auskünfte: Daniel Hoop, E-Mail: [email protected]

A g r a r w i r t s c h a f t

Lohnarbeiten sind verbreitet: Drei Viertel der Betriebe sind in Ar-beiten für Dritte und die Maschinenvermietung involviert. Ein typi-sches Beispiel ist das Ballenpressen. (Foto: Gabriela Brändle, Agro-scope)

Page 33: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

Vollkostenkalkulationen für Lohnarbeiten | Agrarwirtschaft

353

Zusa

mm

enfa

ssu

ng

Agrarforschung Schweiz 5 (9): 352–357, 2014

Auf Basis von acht Betrieben und 30 Betriebs­

zweigbeobachtungen werden für sieben

Gruppen von Lohnarbeiten im Bereich

Aussenwirtschaft wie Pflanzenbau, Trans­

port/Logistik oder Winterdienst die Einnah­

men den Vollkosten gegenübergestellt, um

die Wirtschaftlichkeit zu ermitteln. Mit

Ausnahme des Ballenpressens können für

alle Betriebszweige Arbeitsverwertungen pro

Stunde realisiert werden, die deutlich über

den Opportunitätskosten von Fr. 28.– pro

Stunde liegen, was generell auf eine gute

Rentabilität hinweist. Wichtigste Einflussfak­

toren stellen dabei die Maschinenauslastung

sowie der Anteil von Rüst­ und Wegzeiten an

der gesamten Arbeitszeit dar. Mit Ausnahme

des Mähdrusches kann eine vergleichbare

Kostenstruktur festgestellt werden, wobei

auf die Fixkosten der Maschinen 40 Prozent

und auf die Arbeit sowie übrige variable

Kosten je 30 Prozent entfallen. Obwohl die

untersuchten Maschinen knapp zur Hälfte für

Lohnarbeiten oder Vermietung eingesetzt

werden, werden sie – verglichen mit den

Richtwerten des Maschinenkostenberichts –

nur zu 83 Prozent ausgelastet.

Die Stichprobe weist eine durchschnittliche Rohleistung

von rund Fr. 28 100.– im Bereich der Arbeiten für Dritte

auf (Min. Fr. 10 900.–, Max. Fr. 41 000.–), während der

gesamtschweizerische Mittelwert für das Jahr 2012 bei

rund Fr. 5800.– liegt. Der Anteil der Arbeiten für Dritte

an ihrer gesamten Rohleistung beträgt 8,9 % im Ver-

gleich zu 2,2 % im gesamtschweizerischen Mittel (eigene

Berechnungen auf der Grundlage der Referenzbetriebe).

Durchschnittlich setzen diese Betriebe 0,07 Jahresar-

beitseinheiten dafür ein.

Kosten­/ Leistungsrechnung

Die Befragung der Betriebsleitenden erfolgte mündlich.

Für alle Lohnarbeits-Betriebszweige gaben sie den

Umfang der erbrachten Dienstleistungen mit der Anzahl

Arbeitseinheiten (z.B. Rundballen oder Hektaren) an.

Anhand des durchschnittlich erzielten Ertrags pro

Arbeitseinheit konnte die Rohleistung beziehungsweise

der Umsatz ermittelt werden.

Im Hinblick auf die Vollkostenkalkulation sind die

Arbeitszeit und die Maschinenkosten von Interesse.

Neben der reinen Feldarbeitszeit wurde auch die einge-

setzte Zeit für das Rüsten der Maschine sowie die Anfahrt

(Wegzeit) erfragt, was zusammen mit der Feldarbeitszeit

die gesamte Arbeitszeit ergab. Diese wird mit Opportu-

nitätskosten von Fr. 28.– pro Stunde (Gazzarin und Lips

2013) bewertet. Bei der Kalkulation der Maschinenkos-

ten gilt es, zwischen fixen und variablen Kosten zu

unterscheiden. Die variablen Kosten setzen sich aus den

Kosten für Reparatur und Unterhalt sowie für Treib- und

Schmierstoffe zusammen und beziehen sich auf die

Arbeitseinheit. Die entsprechenden Werte wurden,

sofern sie vom Betriebsleiter nicht genau beziffert wer-

den konnten, aus dem Maschinenkostenbericht (Gazza-

rin und Lips 2013) übernommen. Bei den Fixkosten, die

pro Jahr anfallen, stammen zwei der vier Kostenpositio-

nen ebenfalls aus dem Maschinenkostenbericht: die Ver-

zinsung des gebundenen Kapitals (Zinssatz: 3 %) sowie

die Kosten für Versicherungen und Gebühren. Die

Gebäudekosten wurden entsprechend der Investitions-

summen für Garagen und Remisen bei einer angenom-

menen Abschreibungszeit von 30 Jahren errechnet.

2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012

Rohleistung Paralandwirts. 11 800 13 500 15 200 16 700 16 800 19 100 20 000 20 200 21 900 20 600

% d. gesamten Rohleistung 4,8 4,8 5,7 6,4 6 6,4 6,5 6,8 6,6 6,4

Die Paralandwirtschaft setzt sich aus Arbeiten für Dritte, Maschinenvermietung, Direktvermarktung und Agrotourismus zusammen.

Quelle: Eigene Berechnungen auf der Grundlage der gewichteten Mittelwerte der Referenzbetriebe der Zentralen Auswertung.

Tab. 1 | Entwicklung der mittleren Rohleistung Paralandwirtschaft

Page 34: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

Agrarwirtschaft | Vollkostenkalkulationen für Lohnarbeiten

354 Agrarforschung Schweiz 5 (9): 352–357, 2014

Die Abschreibungsdauer und die daraus resultierenden

jährlichen Abschreibungen jeder Maschine wurden der

effektiven jährlichen Auslastung angepasst. Die Betriebs-

leiter wurden nach der Auslastung der Maschinen

befragt, die sich aus der Nutzung für Arbeiten auf dem

Betrieb, der überbetrieblichen Nutzung bei mehreren

Maschineninhabern sowie der Nutzung für Lohnarbei-

ten und Maschinenvermietungen zusammensetzte.

Unter Beibehaltung der (technischen) Nutzungsdauer

nach Arbeitseinheiten des Maschinenkostenberichts

erfolgte eine Anpassung der Nutzungsdauer in Jahren.

Im Falle einer geringeren Auslastung pro Jahr resultier-

ten eine Verlängerung der Abschreibungsdauer und

somit tiefere Abschreibungen pro Jahr. Bei motorisier-

ten Maschinen (Traktoren und Mähdrescher) und Mäh-

werken wurde die Nutzungsdauer um maximal 50 %

angehoben, bei den übrigen Maschinen um maximal

100 %. Gleichzeitig erfolgte mit der Verlängerung der

Nutzungsdauer nach Jahren eine proportionale Reduk-

tion des Restwerts, womit dem Wertverlust der Maschine

aufgrund des zunehmenden Alters Rechnung getragen

wurde. Bei einer Verlängerung der Nutzungsdauer von

50 % und mehr wurde dementsprechend der Restwert

unabhängig von der Auslastung gleich Null gesetzt.

Falls die jährliche Auslastung der Maschine über dem

Wert des Maschinenkostenberichts lag, wurde die

Abschreibungsdauer entsprechend verkürzt.

Gruppierung der Betriebszweige

Da die Betriebszweige unterschiedliche Arbeitseinheiten

(Stunden, Hektaren, Kleinballen, Rundballen und Fuh-

ren) aufweisen, gilt es eine vergleichbare Bezugsgrösse

zu definieren. Im Hinblick auf den Quervergleich der

Betriebszweige wird dazu die Rohleistung verwendet

(z.B. Maschinenkosten pro Fr. 10 000.– Rohleistung).

Die Betriebszweige werden aufgrund ihrer Ähnlichkeit

in Gruppen gegliedert. Dazu erfolgt eine einfache Addi-

tion der Rohleistungen als auch der Kosten. Implizit

erfolgt damit eine Gewichtung der einzelnen Betriebs-

zweigbeobachtungen nach der Rohleistung, was gewollt

ist und eine Gleichbehandlung von Betriebszweigen mit

unterschiedlichen Rohleistungen verhindert.

R e s u l t a t e

Die insgesamt 30 Vollkostenkalkulationen sind in sieben

Gruppen gegliedert: Ballenpressen (4 Betriebszweige),

Mähdrusch (2), Pflanzenschutz (Ackerbau, Obst- und

Rebbau; 3), Saat (6), Transport/Logistik (5), Winterdienst

(6) und Diverses (4). Transport/Logistik umfasst den

Transport von Kleinballen und Holzschnitzeln sowie

Arbeiten mit dem Teleskoplader. Der Winterdienst bein-

haltet das Schneeräumen und Streuen. Die Restgruppe

Diverses umfasst das Mähen, Maissilieren, Mulcharbei-

ten sowie das Holzhäckseln, wobei jeweils nur eine

Beobachtung vorliegt.

Die befragten Betriebe wiesen zwischen zwei und

sechs Lohnarbeits-Betriebszweige auf. Im Durchschnitt

lagen 3,25 Betriebszweige vor.

In Tabelle 2 sind die Vollkosten jeweils pro Fr. 10 000.–

Rohleistung, der resultierende Gewinn sowie die reali-

sierte Arbeitsverwertung (Stundenlohn) dargestellt.

Letztere ergibt sich, wenn für die Arbeit keine Opportu-

nitätskosten angenommen werden und man stattdessen

Abb. 1 | Beim Mähdrusch sind die Fixkosten höher als bei anderen Lohnarbeiten. Sie machen etwa 55 % der Gesamtkosten aus. (Foto: Christian Gazzarin, Agroscope)

Page 35: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

Vollkostenkalkulationen für Lohnarbeiten | Agrarwirtschaft

355Agrarforschung Schweiz 5 (9): 352–357, 2014

ausmachen. Letztere sind auch die Folge der kleinen

Parzellengrössen.

Beim Mähdrusch ist Vorsicht bei der Ergebnisinter-

pretation angezeigt, da nur zwei Betriebszweige zur

Verfügung standen, die sich zudem stark unterschieden.

Der eine Betrieb mit hoher Auslastung erzielte mit

Fr.  65.– pro Stunde eine ungleich höhere Arbeitsver-

wertung als der zweite Betrieb mit vergleichsweise tie-

fer Auslastung – dieser verdiente lediglich Fr. 15.– pro

Stunde. Im nach Rohleistung gewichteten Schnitt

machen die Fixkosten – zum grössten Teil verursacht

durch hohe Abschreibungen – über die Hälfte der

Gesamtkosten aus (Tab. 2). Wie auch beim Ballenpres-

sen verursachen Rüst- und Wegzeiten rund ein Viertel

der gesamten Arbeitszeit.

Im Bereich des Pflanzenschutzes übernimmt ein

Betriebsleiter zusätzlich zur reinen Feldarbeit auch

unliebsame Arbeiten im Umgang mit den Chemikalien.

Somit wird eine komplette Dienstleistung aus einer

Hand angeboten: Einkauf, Lagerung, Ausbringung und

die aufwändige Entsorgung allfälliger Reste (diese

Arbeiten erscheinen in Tabelle  2 unter der Rubrik

«Anfahrt»). Dies erhöht zwar den Arbeitsaufwand,

den Gewinn (ohne Arbeitskosten) durch die Anzahl

Arbeitsstunden dividiert.

Mit Ausnahme des Ballenpressens weisen alle Grup-

pen eine Arbeitsverwertung von Fr. 37.– pro Stunde oder

mehr aus, was deutlich über den Opportunitätskosten

liegt. Entsprechend ist der Gewinn dieser Gruppen grös-

ser als Null.

Der Kostenanteil der Fixkosten bewegt sich in einem

Bereich zwischen 35 % und 42 %. Die Ausnahme dabei

stellt der Mähdrusch mit 55 % dar. Auf die Arbeit entfällt

ein Kostenanteil zwischen 25 % und 34 %. Wiederum

stellt der Mähdrusch mit rund 13 % die Ausnahme dar.

Das Ballenpressen weist auf Fr. 10 000.– Rohleistung

einen kalkulatorischen Verlust von Fr. 3416.– aus, unter

Annahme der Opportunitätskosten für die Arbeit. Die

effektive Arbeitsverwertung beträgt Fr. 3.– pro Stunde,

wobei es sich dabei um den gewichteten Durchschnitt

aus negativer Arbeitsverwertung beim Kleinballenpres-

sen und aus positiver Arbeitsverwertung beim Rundbal-

lenpressen handelt. Wichtige Gründe für dieses Ergeb-

nis sind die tiefen Auslastungen der Kleinballenpressen

und die Zeit für Rüsten und Anfahrt (Wegzeit), die

zusammen rund ein Viertel der gesamten Arbeitszeit

Ballenpressen MähdruschPflanzen-

schutzSaat Transport Winterdienst Diverse Alle

Anzahl Betriebszweige 4 2 3 6 5 6 4 30

Prozentuale Auslastung** 75 108 90 75 95 65 115 83

Fr. %* Fr. %* Fr. %* Fr. %* Fr. %* Fr. %* Fr. %* Fr. %*

Rohleistung (Erlös) 10 000 10 000 10 000 10 000 10 000 10 000 10 000 10 000

Abschreibungen 3436 25,6 3506 39 2127 27,7 2154 27,8 2125 23,3 1427 24,1 2035 25,7 2351 29,1

Zinskosten 775 5,8 806 9 555 7,2 532 6,9 598 6,6 374 6,3 474 6 574 7,1

Gebäudekosten 604 4,5 323 3,6 101 1,3 191 2,5 574 6,3 84 1,4 157 2 252 3,1

Versicherung & Gebühren 429 3,2 294 3,3 285 3,7 172 2,2 212 2,3 194 3,3 247 3,1 242 3

Fixkosten 5244 39,1 4929 54,8 3069 40 3049 39,4 3510 38,5 2079 35,1 2913 36,8 3420 42,4

Reparaturen und Unterhalt 1892 14,1 1096 12,2 1007 13,1 1243 16 1460 16 570 9,6 1137 14,4 1072 13,3

Treib- & Schmierstoffe 2472 18,4 1841 20,5 973 12,7 1504 19,4 1344 14,7 1286 21,7 1188 15 1490 18,5

Arbeit in AKh 136 40 93 70 100 71 96 75

davon Rüst- und Wegzeiten 35 10 22 9 17 3 9 11

Arbeit in Fr. 3807 28,4 1120 12,5 2618 34,1 1949 25,2 2804 30,8 1990 33,6 2677 33,8 2091 25,9

davon Rüst- und Wegzeiten 986 7,4 292 3,3 620 8,1 251 3,2 473 5,2 95 1,6 260 3,3 314 3,9

Variable Kosten 8172 60,9 4058 45,2 4598 60 4695 60,6 5608 61,5 3846 64,9 5002 63,2 4654 57,6

Totale Kosten 13 416 8986 7667 7745 9118 5925 7914 8073

Gewinn -3416 1014 2333 2255 882 4075 2086 1927

Arbeitsver wertung in Fr./AKh*** 3 53 53 60 37 85 50 54

*Anteil an den Gesamtkosten** Auslastung der involvierten Maschinen im Vergleich zu der im Maschinenkostenbericht angegebenen Auslastung (in Prozent). In verschiedenen Betriebszweigen vorkommende Maschinen werden mehr-

fach berücksichtigt. Der Mittelwert (letzte Spalte) beruht auf ungewichteten Werten, wobei jede Maschine nur einmal berücksichtigt wird.***AKh = Arbeitskraftstunde

Tab. 2 | Vollkostenkalkulationen pro Fr. 10 000.– Rohleistung

Page 36: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

Agrarwirtschaft | Vollkostenkalkulationen für Lohnarbeiten

356 Agrarforschung Schweiz 5 (9): 352–357, 2014

rechtfertigt jedoch auch höhere Preise und ist ein wich-

tiges Verkaufsargument. Die Arbeitsverwertung ist mit

Fr. 53.– pro Stunde attraktiv. Die Kostenstruktur weist

mit 34 % den höchsten Anteil der Arbeit unter allen

untersuchten Gruppen auf.

Die Saat umfasst sowohl Einzelkornsämaschinen als

auch Säkombinationen. Die Kosten struktur und die

Rentabilität sind ähnlich wie bei den Arbeiten im Pflan-

zenschutz. Der Arbeitseinsatz wird mit Fr. 60.– pro

Stunde abgegolten.

Lohnarbeiten im Bereich von Transport und Logistik

erweisen sich als unterschiedlich rentabel, was die

Unterschiede zwischen den fünf betroffenen Betriebe

aufzeigen. Während mit dem Kleinballentransport nur

geringe oder sogar negative Arbeitsverwertungen

resultieren, wird mit dem Einsatz von (Mulden-)Kippern

für den Holzschnitzeltransport deutlich besser verdient.

Dies liegt vor allem an der nicht-landwirtschaftlichen

Kundschaft (Gemeinde und Private), die eine gute Ent-

schädigung bezahlt. Auch der Einsatz des Teleskopla-

ders erfolgt grösstenteils für einen nichtlandwirtschaft-

lichen Kunden (Schreinerei). Die gewichtete

Arbeitsverwertung liegt bei Fr. 37.– pro Stunde.

Mit Fr. 85.– pro Stunde resultiert die höchste Arbeits-

verwertung im Winterdienst (Tab. 2), die damit deutlich

über dem in den Verrechnungsansätzen für Schneeräu-

mungsarbeiten genannten mittleren Ansatz von Fr. 65.–

pro Stunde liegt (Gazzarin 2013). Durch hohe jährliche

Traktorenauslastungen, auch dank des Winterdiensts,

und relativ tiefer Anschaffungskosten für Schneepflug

und Salzstreuer liegen die tatsächlichen Maschinen-

kosten aber gleichzeitig unter den von Gazzarin (2013)

empfohlenen Verrechnungsansätzen für Schneeräum-

arbeiten.

Die Gruppe «Diverses» weist eine ähnliche Kosten-

struktur wie Pflanzenschutz oder Saat auf. Die Arbeits-

verwertung beträgt Fr. 50.– pro Stunde.

Das nach Rohleistung gewichtete Mittel aller 30 Betriebs-

zweigbeobachtungen ergibt eine Arbeitsverwertung

von Fr. 54.– pro Stunde. Es gilt zu beachten, dass bei die-

sem gewichteten Durchschnitt diejenigen Betriebs-

zweigbeobachtungen einen stärkeren Einfluss haben,

die ihre Maschinen besser auslasten, damit auch mehr

Rohleistung erzielen, tiefere Fixkosten pro Arbeitsein-

heit aufweisen und schliesslich höhere Arbeitsverwer-

tungen aufweisen. Das nicht gewichtete Mittel beträgt

rund Fr. 50.– pro Stunde.

Ergänzend zu den Kosten-/Leistungsrechnungen

wurden die verwendeten Maschinen näher betrachtet.

Dabei zeigte sich, dass die mittlere Auslastung der

Maschinen im Vergleich zum Maschinenkostenbericht

bei 83 % liegt. Das bedeutet, dass die Maschinen trotz

überbetrieblichem Maschineneinsatz nicht vollständig

ausgelastet werden, obwohl sie knapp zur Hälfte (49 %)

für Lohnarbeit oder Vermietung eingesetzt werden.

Weiter lässt sich festhalten, dass bezüglich Einsatz-

zweck zwei unterschiedliche Zielsetzungen beobachtet

werden können. Einerseits wurden Maschinen mit dem

Ziel beschafft, Lohnarbeiten auszuführen (z.B. Mähdre-

scher). Entsprechend gering ist der Anteil des Eigenge-

brauchs an der Gesamtauslastung. Andererseits gibt es

Maschinen, die in erster Linie für den Einsatz auf dem

eigenen Betrieb gekauft wurden und bei denen der

überbetriebliche Maschineneinsatz dazu dient, die Aus-

lastung zu erhöhen und somit die Fixkosten pro Arbeits-

einheit zu reduzieren (z.B. Traktor oder Pflug). Der

Anteil des ausserbetrieblichen Einsatzes am gesamten

Einsatz ist folglich bei diesen Maschinen eher tief.

S c h l u s s f o l g e r u n g e n

Die Kosten-/Leistungsrechnungen für die sieben Grup-

pen von Lohnarbeiten weisen auf eine gute Rentabilität

der untersuchten Betriebszweige hin. Mit Ausnahme des

Ballenpressens können für alle anderen Betriebszweige

Arbeitsverwertungen pro Stunde realisiert werden, die

über den verwendeten Opportunitätskosten von Fr. 28.–

pro Stunde liegen. Die beiden wichtigsten Einflussfakto-

ren auf den Verdienst sind dabei die Maschinenauslas-

tung sowie der Anteil der Rüst- und Wegzeiten an der

gesamten Arbeitszeit. Mit Ausnahme des Mähdrusches

zeigt sich eine ähnliche Kostenstruktur, wobei rund 40 %

auf die Fixkosten der Maschinen und je 30 % auf die

Arbeit sowie auf übrige Kosten entfallen. Bei der Inter-

pretation der Ergebnisse sollte jedoch beachtet werden,

dass die errechnete Abschreibungsdauer in vielen Fällen

länger ist als in der Buchhaltung üblich, und die Abschrei-

bungen wahrscheinlich in den wenigsten Fällen mit den-

jenigen in der Buchhaltung übereinstimmen.

Eine weitere Einschränkung ergibt sich aus der eher

geringen Anzahl von acht Fallstudien mit total

30 Betriebszweigen im Bereich Lohnarbeit. Die Untersu-

chung stellt einen ersten Beitrag bezüglich Rentabilität

der Lohnarbeit in der Landwirtschaft dar, erlaubt es hin-

gegen nicht, Schlussfolgerungen für die gesamte Lohn-

arbeit zu ziehen. Dazu wären zahlreichere Fallstudien

sowie der Einbezug von weiteren Lohnarbeitstypen im

Bereich Innenwirtschaft wie Beratungstätigkeit, Klau-

enschneiden sowie Saftpresse und -pasteurisierung not-

wendig. n

Page 37: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

Vollkostenkalkulationen für Lohnarbeiten | Agrarwirtschaft

357Agrarforschung Schweiz 5 (9): 352–357, 2014

Ria

ssu

nto

Sum

mar

y

Full­Cost calculations for contract work

Based on eight farms and 30 observa­

tions of farm enterprises, the revenues

for seven categories of contract

employment in the outdoor­work

sector such as Plant Production,

Transport/Logistics and Winter Road

Clearance are compared to the full

costs in order to determine their

cost­efficiency. Except for bale­press­

ing, labour utilisation (i.e. the resultant

hourly wage) significantly exceeding

the opportunity costs of CHF 28 per

hour can be achieved for all farm

enterprises, which in general indicates

good cost­efficiency. The most impor­

tant influencing factors here are full

utilisation of machinery and the

proportion of total working time

accounted for by set­up and travel

times. With the exception of combine­

harvesting a comparable cost structure

can be identified, with 40 per cent

corresponding to the fixed costs of the

machines and 30 per cent each corre­

sponding to labour and to other

variable costs. Although just under half

of the machines studied are used for

contract work or hired out, they are

only used to 83 per cent capacity

compared to the reference values of

the Machine Costs report.

Key words: agricultural related

activities, machinery, contractor.

Contabilità a costi integrali per i lavori

salariati

Sulla base di otto imprese e di

30 osservazioni di rami aziendali, per

sette gruppi di lavori salariati nell'am­

bito dell'economia esterna (quali

produzione vegetale, trasporti/

logistica o servizio invernale) vengono

contrapposti entrate e costi integrali al

fine di determinare la redditività. A

eccezione della pressatura di balle, per

tutti i rami aziendali è possibile

realizzare retribuzioni orarie netta­

mente superiori al costo opportunità di

fr. 28.–/ora, risultato che indica

generalmente una buona redditività. I

principali fattori che influenzano tale

calcolo sono dati dallo sfruttamento

massimo dei macchinari nonché dalla

percentuale di ore destinate alla

preparazione delle macchine e agli

spostamenti rispetto all'orario di

lavoro complessivo. A eccezione della

mietitrebbiatura, è possibile osservare

una struttura dei costi simile in cui i

costi fissi dei macchinari incidono per il

40 per cento, mentre il lavoro e gli altri

costi variabili per il 30 per cento.

Sebbene poco meno della metà sia

utilizzata per i lavori salariati o per il

noleggio, i macchinari esaminati sono

sfruttati solo all'83 per cento se

paragonati ai valori indicativi del

rapporto sui costi dei macchinari.

Literatur ▪ Hausheer Schnider J., 2010. Wegleitung zum Merkmalskatalog der Zent-ralen Auswertung von Buchhaltungsdaten. Agroscope, Ettenhausen.

▪ Lips M. & Schmid D., 2013. Agrarische Diversifikation aus ökonomischer Sicht: Entwicklung auf den schweizerischen Landwirtschaftsbetrieben. In: Agrarische Diversifikation – rechtliche Aspekte von Agrotourismus bis Energieerzeugung (Hrsg. R. Norer), Tagungsband der 3. Luzerner Agrar-rechtstagung 2012, Schriften zum Recht des ländlichen Raums, Band 7, Dike Verlag, Zürich, 19–29.

▪ Gazzarin Ch. & Lips M., 2013. Maschinenkostenbericht 2013. ART-Bericht Nr. 767, Agroscope, Ettenhausen.

▪ Gazzarin Ch., 2013. Verrechnungsansätze für Schneeräumarbeiten. Agroscope, Ettenhausen. Zugang: http://www.agrartechnik.ch/file/downloads/Schneer%C3%A4umungen13_d.pdf [25.04.2014].

Page 38: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

358 Agrarforschung Schweiz 5 (9): 358–365, 2014

P f l a n z e n b a u

falcata überschneiden. Diese in der Regel violett blühen-

den Luzernesorten haben mehrheitlich die morphologi-

schen Eigenschaften der Sativa-Art behalten, das heisst

einen hohen Wuchs, kräftige Stängel und ausgeprägte

Pfahlwurzeln. Letztere verleiht ihr eine hohe Trocken-

heitstoleranz. Die verhältnismässig gute Frosthärte

wurde ihnen von Medicago falcata vererbt. Neben dem

flämischen Typ gibt es auch den Typ Provence und die

Italienische Luzerne. Die Sorten dieser beiden Typen

haben einen niedrigeren Wuchs, feinere Stängel und lie-

fern geringere Erträge (Nösberger und Opitz von Bober-

feld 1987; Mauries, 1994; Mosimann et al. 1995).

E i n l e i t u n g

Die Luzerne ist weltweit eine der wichtigsten Futter-

pflanzen. Sie umfasst zwei botanische Arten und ihre

Hybride, welche sich ursprünglich von Persien einerseits

über den Mittelmeerraum nach Spanien und Frankreich

(Medicago sativa L.) und anderseits über Südsibirien und

Skandinavien nach Nordeuropa (Medicago falcata L.)

ausgebreitet haben. Die meisten in unseren Breitengra-

den kultivierten Sorten sind vom flämischen Typ, einem

Hybrid, der spontan dort entstanden ist, wo sich die Ver-

breitungsgebiete von Medicago sativa und Medicago

Ergebnisse der Sortenversuche 2011–2013 mit LuzerneRainer Frick1, Eric Mosimann1, Philippe Aebi1, Daniel Suter2 und Hans­Ueli Hirschi2 1Institut für Nutztierwissenschaften INT, Agroscope, 1725 Posieux, Schweiz 2Institut für Nachhaltigkeitswissenschaften INH, Agroscope, 8046 Zürich, Schweiz

Auskünfte: Rainer Frick, E-Mail: [email protected]

Abb. 1 | Die Luzerne erreicht in Tallagen das Stadium der Vollblüte zwischen dem 1. und dem 15. Juni.

Page 39: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

Ergebnisse der Sortenversuche 2011–2013 mit Luzerne | Pflanzenbau

359

Zusa

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ng

Agrarforschung Schweiz 5 (9): 358–365, 2014

In den Jahren 2011 bis 2013 prüfte Agroscope

36 Sorten Luzerne (Medicago sativa L.) in

Sortenversuchen an fünf verschiedenen

Standorten auf ihre Anbaueignung. Die

Saaten erfolgten sowohl in Reinsaat als auch

in Mischung mit Gräsern. Dabei untersuchte

Agroscope folgende Eigenschaften: TS­Ertrag,

Jugendentwicklung, Bestandesgüte, Entwick­

lung im Frühjahr, Standfestigkeit, Konkur­

renzkraft, Ausdauer, Verdaulichkeit, Krank­

heitsresistenz (Blattkrankheiten und

Luzernewelke), Stängelbeschaffenheit und

Anbaueignung für höhere Lagen. Um die

Sorten bewerten und miteinander verglei­

chen zu können, berechneten wir für jede

Sorte einen Indexwert, der dem Durchschnitt

aller erhobenen Parameter entspricht. Vier

Neuzüchtungen (Catera, Eride, Artemis und

Gea) erzielten im Vergleich zum Standard

überdurchschnittliche Ergebnisse und werden

neu in die Liste der empfohlenen Sorten für

Futterpflanzen aufgenommen. Die bisher

empfohlene Sorte Vanda verliert aufgrund

ihrer schlechten Stängelbeschaffenheit ihre

Empfehlung und wird nur noch bis Ende 2016

für die Verwendung in Standardmischungen

verfügbar sein.

Die Luzerne ist in der Schweiz die ertragreichste Futter-

pflanze. Wenn die meisten anderen Futterpflanzenarten

ihr Wachstum wegen Wassermangels bereits eingestellt

haben, liefern leistungsfähige Luzernesorten unter

guten Anbaubedingungen jährliche TS-Erträge von bis

zu 20 Tonnen pro Hektare (Mosimann et al. 2001). In tro-

ckenen und warmen Gebieten, wie beispielsweise ent-

lang des Juras, im Wallis oder in südexponierten Lagen,

kann sie deshalb ihr hohes Ertragspotenzial am besten

ausschöpfen. Bei Nutzung im optimalen Stadium, das

heisst bei Blühbeginn, resultieren sehr hohe Eiweisser-

träge pro Flächeneinheit. Aufgrund der hohen Zellulose-

gehalte bietet die Luzerne in der Fütterung viele Vor-

teile, beispielsweise als Ergänzung zu eher strukturarmen

und energiereichen Futtermitteln (Anwelk silage, Emd,

Mais). Dank der symbiontischen N-Fixierung hinterlässt

sie beträchtliche Mengen an Stickstoff im Boden; zudem

sorgen ihre Pfahlwurzeln für eine gute Bodenstruktur.

Die Luzerne bevorzugt einen durchlässigen, tief-

gründigen, kalkhaltigen und nährstoffreichen Boden.

Staunässe und saure Böden erträgt sie nicht. Eine Saat-

gutimpfung mit Knöllchenbakterien wird empfohlen,

wenn der pH-Wert unter 6,5 liegt oder wenn während

der letzten fünf Jahre keine Luzerne auf dem Grund-

stück angebaut wurde. Zur Sicherung einer genügenden

Ausdauer ist es wichtig, die Luzerne beim dritten Auf-

wuchs abblühen zu lassen und das Mähwerk nicht zu tief

einzustellen (Stoppelhöhe über 8 cm).

Abb. 2 | Sortenversuch mit Luzerne in Reinsaat in Changins im dritten Versuchsjahr.

Page 40: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

Pflanzenbau | Ergebnisse der Sortenversuche 2011–2013 mit Luzerne

360 Agrarforschung Schweiz 5 (9): 358–365, 2014

Da Luzerne-Gras-Mischungen in der botanischen Zusam-

mensetzung stabiler sind als Reinbestände von Luzerne,

werden in der Schweiz Ansaaten von geeigneten

Mischungen mit Luzerne, Weissklee und Gräsern emp-

fohlen (Standardmischungen SM 320, 323 und 325). In

sehr günstigen Lagen für Luzerne können auch einfache

Mischungen wie zum Beispiel Luzerne-Knaulgras oder

Luzerne-Rohrschwingel mit Erfolg gesät werden. Die

Beibehaltung eines ausgewogenen Verhältnisses zwi-

schen der Luzerne und den Gräsern über eine Dauer von

drei Jahren ist in der Praxis nicht immer einfach. Die

Bewirtschaftung des Bestandes (Schnitthäufigkeit und

Düngung) hat dabei einen bedeutenden Einfluss (Suter

et al. 2012b).

M a t e r i a l u n d M e t h o d e n

In den Jahren 2011 bis 2013 prüfte Agroscope an insge-

samt fünf Standorten in vergleichenden Sortenversu-

chen 36 Sorten Luzerne auf ihre Anbaueigenschaften.

Die Saaten erfolgten mit Ausnahme des Standortes in

Bassins im Frühjahr. Die Tabelle 1 macht nähere Anga-

ben über Standorte, Saattermine und Ernteerhebungen.

Die zu prüfenden Sorten säte man in Parzellen von 9 m2

Grösse in Reinkultur und in einfacher Mischung mit

Knaulgras und Bastard-Raigras. Die Reinsaaten erhielten

keinen Stickstoff, die Gemenge wurden nach jedem

Schnitt mit 30 kg N/ha gedüngt. An den Reinbeständen

führten wir Beobachtungen der Jugendentwicklung, der

Bestandesgüte (allgemeiner Eindruck, Bestandesdichte,

Nachwuchsvermögen), der Resistenz gegen Krankheiten

(Blattkrankheiten und Luzernewelke), dem Wiederaus-

trieb im Frühjahr, der Standfestigkeit, der Stängelbe-

schaffenheit, der Anbaueignung für höhere Lagen und

der Ausdauer durch. Die Stängelbeschaffenheit wird im

zweiten und dritten Versuchsjahr jeweils im zweiten

Aufwuchs ermittelt. Dazu wird an jedem Standort und in

jeder Wiederholung pro Parzelle eine Stichprobe von

20 Stängeln gezogen (Schnitthöhe 5 cm). Mit einer Mess-

lehre wird 4 cm oberhalb der Schnittfläche die Stängel-

dicke gemessen. Ein weiteres Kriterium bildet die Ver-

daulichkeit der organischen Substanz (VOS), deren

Werte mit der Nahinfrarot-Reflexionsspektroskopie NIRS

(Norris et al. 1976) ermittelt und mit der Pansensaftme-

thode nach Tilley und Terry (1963) validiert wurden. Das

Pflanzenmaterial dazu stammte aus Stichproben, die am

Standort Ellighausen im ersten, zweiten und dritten Auf-

wuchs des zweiten Versuchsjahres (2012) gezogen wor-

den waren. Die Ermittlung der Konkurrenzkraft erfolgte

Ort Höhe (m ü.M.) SädatumAnzahl Wiederholungen Ertragserhebungen

Reinsaat1) Mischung2) 2012 2013

Changins, VD 430 12/04/2011 3+1* 2 5 5

Oensingen, SO 460 11/04/2011 4 3 4 –

Ellighausen, TG 520 15/04/2011 4 3 4 4

Goumoëns, VD 630 13/04/2011 3 0 5 4

Bassins, VD 840 12/08/2011 3 3 – –*Frühreifeerhebung1)Reinsaaten: 250 g/are Luzerne (Sorte «Robot» als Standard für die Saatmenge)2)Mischungen: 150 g/are Luzerne (Sorte «Robot» als Standard für die Saatmenge)

+ 60 g/are Knaulgras «Prato»

+ 60 g/are Bastard-Raigras «Dorcas»

Tab. 1 | Orte und Daten der im Jahre 2013 abgeschlossenen Sortenversuche mit Luzerne

Abb. 3 | Die durch den Pilz Verticillium alboatrum hervorgerufene Luzernewelke kann im Sommer und Herbst das Wachstum stark beeinträchtigen.

Page 41: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

Ergebnisse der Sortenversuche 2011–2013 mit Luzerne | Pflanzenbau

361Agrarforschung Schweiz 5 (9): 358–365, 2014

Ort Höhe (m ü.M.) SädatumAnzahl Wiederholungen Ertragserhebungen

Reinsaat1) Mischung2) 2012 2013

Changins, VD 430 12/04/2011 3+1* 2 5 5

Oensingen, SO 460 11/04/2011 4 3 4 –

Ellighausen, TG 520 15/04/2011 4 3 4 4

Goumoëns, VD 630 13/04/2011 3 0 5 4

Bassins, VD 840 12/08/2011 3 3 – –*Frühreifeerhebung1)Reinsaaten: 250 g/are Luzerne (Sorte «Robot» als Standard für die Saatmenge)2)Mischungen: 150 g/are Luzerne (Sorte «Robot» als Standard für die Saatmenge)

+ 60 g/are Knaulgras «Prato»

+ 60 g/are Bastard-Raigras «Dorcas»

Nr. Sortenname Antragsteller Frühreife-Index1) Kategorie2)

1 Timbale GIE Grass, FR 61b 1

2 Cannelle R2n, FR 61b 1

3 Fraver Schmidt-Gambazza, FR 62a 1

4 Sanditi Barenbrug, NL 61b 1

5 Robot CRA-FLC, IT 61b 1

6 Vanda SCPV VÚRV, SK 61b 2/3

7 Catera SZ-Steinach, DE 61b 1

8 Eride Continental, IT 61a 1

9 Artemis Barenbrug, NL 61a 1

10 Gea Continental, IT 61a 1

11 Azzurra SIS, IT 61b 3

12 Fleetwood SZ-Steinach, DE 61b 3

13 Voie Lacteé Jouffray-Drillaud, FR 61b 3

14 Frigos Padana, IT 62a 3

15 Galaxie Jouffray-Drillaud, FR 62a 3

16 Sandra Euro Grass, DE 62a 3

17 Rachel Caussade, FR 61a 3

18 Costanza Semfor, IT 61a 3

19 Alexis Barenbrug, NL 61a 3

20 Felicia Jouffray-Drillaud, FR 61b 3

21 Salsa Semences Vertes, FR 61b 3

22 Sovrana Sivam, IT 62a 3

23 Prosementi Bologna fenaco, CH 62a 3

24 Giulia Mediterranea, IT 61b 3

25 Carélite Carneau, FR 61b 3

26 Fusion Schmidt-Gambazza, FR 61b 3

27 Roxana Euro Grass, DE 62a 3

28 Plato Freudenberger, DE 61b 3

29 Minerva fenaco, CH 61b 3

30 Premariacco Mediterranea, IT 62a 3

31 Medoc Jouffray-Drillaud, FR 62a 3

32 Neptune Carneau, FR 61b 3

33 Exquise Caussade, FR 61a 3

34 Madalina Euro Grass, DE 62a 3

35 Fiesta Schmidt-Gambazza, FR 62a 4

36 Kamila NPZ-Lembke, DE 62a 4

Fettschrift bei Sortenname = bisher empfohlene Sorten1) Frühreife-Index:

Die erste Ziffer bezeichnet den Monat, die zweite Ziffer die Dekade; a bezeichnet die erste, b die zweite Hälfte der Dekade. Beispiel: 61a = 01. – 05. Juni2)Kategorieeinteilung der Sorten aufgrund der Ergebnisse aus den Versuchen:

Kategorie 1: In der Schweiz in der «Liste der empfohlenen Sorten von Futterpflanzen» geführt

Kategorie 2/3: Sorte vom 1. Januar 2017 an nicht mehr empfohlen

Kategorie 3: Nicht empfohlen. Zeichnet sich weder durch gute noch durch schlechte Eigenschaften aus

Kategorie 4: Nicht empfohlen. Eignet sich nicht für den Anbau in der Schweiz

Tab. 2 | Herkunft, Frühreife-Index und Kategorieeinteilung der geprüften Sorten von Luzerne

Page 42: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

Pflanzenbau | Ergebnisse der Sortenversuche 2011–2013 mit Luzerne

362 Agrarforschung Schweiz 5 (9): 358–365, 2014

in den Gemengen mit Gräsern. Dazu schätzte man den

prozentualen Anteil der zu prüfenden Luzernesorte am

Gesamtertrag des Gemenges, woraus sich die Note für

die Konkurrenzkraft nach folgender Formel berechnen

lässt:

Konkurrenzkraft = 9 – 0,08 × Ertragsanteil in %.

Phänologische Beobachtungen in separat angelegten

Reinsaaten dienten ausserdem der Bestimmung der

Frühreife der einzelnen Sorten. Diese führte man am

Standort Changins im zweiten und dritten Versuchsjahr

durch.

Für die Bonituren verwendete man eine neunstufige

Notenskala, wobei die Eins die beste und die neun die

schlechteste Note darstellt. Um die Jahreserträge, die

Stängeldicke und die Verdaulichkeit in die gleiche

Bewertung einbeziehen zu können, wurden die erhobe-

nen Werte dieser drei Kriterien einer Varianzanalyse

unterzogen und mit Hilfe statistischer Methoden in

Noten von 1 bis 9 umgerechnet.

R e s u l t a t e

Vergleich der geprüften Sorten

Die Klassierung der 36 geprüften Luzernesorten (Tab. 2)

erfolgt aufgrund der sogenannten Indexwerte, welche

den Durchschnitt aller geprüften Merkmale (Tab. 3)

zusammenfassen und aufgrund derer sich die verschie-

denen Sorten untereinander vergleichen lassen. Je tiefer

der Indexwert ist, desto besser ist die Sorte unter Berück-

sichtigung aller geprüften Eigenschaften. Die je nach

Pflanzenart wichtigsten Kriterien werden zur Berech-

nung des Index doppelt gewichtet. Bei der Luzerne sind

dies der TS-Ertrag, die Güte, die Resistenz gegen die

Luzernewelke und die Stängelbeschaffenheit. Alle übri-

gen Kriterien sind nur einfach gewichtet. Eine neue

Sorte kann empfohlen werden, wenn ihr Index den Mit-

telwert der mit geprüften Standardsorten um mindes-

tens 0,20 Punkte unterschreitet (tieferer Wert = besser).

Eine bis anhin empfohlene Sorte wird aus der Liste der

empfohlenen Sorten von Futterpflanzen gestrichen,

wenn ihr Index denjenigen des Standards um mehr als

0,20 Punkte übertrifft. Ausserdem kann eine Sorte nicht

empfohlen werden, wenn sie in einem einzelnen, wich-

tigen Merkmal den Standard um 1,50 Punkte oder mehr

überschreitet.

Vier Neuzüchtungen schafften den SprungUnter den 30 neu geprüften Sorten weisen deren vier

(Catera, Eride, Artemis und Gea) einen Index auf, der den

Mittelwert der Standardsorten um mehr als 0,2 Punkte

unterschreitet (Tab. 3). Den besten Index aller geprüften

Sorten erzielte die Neuzüchtung Catera, dies vor allem

dank hervorragender Werte für die Standfestigkeit und

die Beschaffenheit der Stängel. Auch bei der VOS ist sie

unter den besten Sorten. Eher mittelmässig sind dagegen

die Ertragsleistung sowie die Wachstumsentwicklung

Abb. 4 | Die dreijährigen Luzerne-Gras-Mischungen liefern auch in Trockenperioden Futter mit hohen Eiweiss- und Rohfasergehalten.

Page 43: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

Ergebnisse der Sortenversuche 2011–2013 mit Luzerne | Pflanzenbau

363Agrarforschung Schweiz 5 (9): 358–365, 2014

Tab. 3 | Sortenprüfung mit Luzerne: Ergebnisse der Ertragserhebungen und Bonitierungen in den Jahren 2011 bis 2013

Nr.

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VOS2)

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Inde

xwer

t

Blat

tkra

nkhe

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Luze

rnew

elke

*

1 Timbale 5,3 3,8 3,4 5,0 5,0 4,9 2,8 2,0 4,7 4,0 3,5 3,7 3,91

2 Cannelle 5,0 3,6 3,3 5,1 4,2 4,7 3,1 1,9 4,3 5,3 4,3 3,9 3,96

3 Fraver 5,0 3,8 4,4 5,6 4,8 5,0 2,8 1,6 4,7 1,3 5,0 4,1 3,97

4 Sanditi 4,9 3,4 3,2 4,7 4,4 4,4 3,0 2,3 4,7 4,4 5,3 3,7 4,00

5 Robot 4,8 2,8 2,7 4,6 3,3 3,8 2,9 1,7 5,3 8,0 6,8 2,9 4,10

6 Vanda 4,8 3,1 3,3 4,8 4,4 4,5 3,2 2,2 4,7 4,5 7,0 3,7 4,19

Mittel (Standard) 5,0 3,4 3,4 5,0 4,4 4,6 2,9 1,9 4,7 4,6 5,3 3,6 4,02

7 Catera 5,4 3,2 3,8 4,9 4,2 5,3 3,1 2,0 4,3 1,9 1,5 3,2 3,44

8 Eride 5,2 3,1 3,5 4,8 3,8 4,5 2,8 1,9 5,3 1,3 5,5 3,2 3,77

9 Artemis 4,7 3,0 3,5 4,6 3,1 4,4 2,6 1,5 5,0 3,5 5,8 3,8 3,78

10 Gea 4,0 2,5 2,8 4,3 3,0 3,6 3,1 2,9 5,7 6,0 5,3 3,0 3,79

11 Azzurra 4,5 2,4 2,8 4,1 3,7 3,7 2,9 2,7 5,3 7,4 5,5 2,4 3,91

12 Fleetwood 6,3 3,5 3,8 5,3 4,4 5,8 3,1 2,5 4,3 3,9 1,8 3,9 3,92

13 Voie Lacteé 4,6 3,3 3,7 4,7 3,8 4,8 2,8 1,6 5,3 4,8 5,0 4,1 3,94

14 Frigos 4,7 2,8 2,5 3,8 3,7 4,1 3,6 2,4 6,0 8,5 4,5 2,6 3,96

15 Galaxie 4,9 3,5 3,8 4,9 4,3 4,6 3,1 1,7 5,0 4,0 5,0 3,7 3,98

16 Sandra 5,7 4,1 4,0 5,0 4,4 5,2 2,6 1,7 5,3 5,8 2,0 4,7 3,99

17 Rachel 5,1 3,6 3,5 4,5 4,2 4,9 2,9 1,8 5,0 4,5 4,8 4,0 4,00

18 Costanza 4,7 2,4 2,3 4,1 3,6 3,2 2,8 2,4 6,7 8,0 6,3 1,9 4,00

19 Alexis 4,6 3,4 3,0 4,4 3,7 4,5 2,8 1,6 5,0 5,3 6,0 4,3 4,01

20 Felicia 4,4 3,9 3,9 4,9 4,8 4,7 2,5 1,7 4,0 4,8 5,0 4,9 4,03

21 Salsa 5,8 3,7 3,6 5,3 4,6 5,1 3,4 2,1 5,0 1,3 5,0 3,7 4,05

22 Sovrana 4,5 2,8 2,7 4,2 3,8 3,7 3,0 2,4 5,7 8,4 5,5 3,3 4,08

23 Prosementi Bologna 4,5 2,9 2,7 4,2 3,8 4,2 3,6 2,4 5,3 7,5 5,8 2,7 4,08

24 Giulia 4,5 3,2 2,8 4,5 3,9 4,2 3,4 2,6 6,3 8,0 4,3 3,3 4,09

25 Carélite 5,8 4,0 3,8 5,4 4,7 5,1 3,3 2,0 5,0 2,9 4,3 4,3 4,14

26 Fusion 5,5 4,2 4,0 5,1 4,6 5,3 2,9 1,6 3,7 4,5 4,5 5,0 4,18

27 Roxana 5,1 3,7 3,6 4,9 4,2 4,9 2,9 1,5 4,7 6,9 5,3 3,8 4,20

28 Plato 5,4 4,0 3,8 5,2 4,5 5,3 3,2 2,0 4,3 4,9 4,5 4,3 4,20

29 Minerva 4,4 3,0 3,2 4,2 3,6 4,1 2,8 2,1 6,3 7,8 6,5 3,3 4,20

30 Premariacco 5,0 3,0 3,2 4,0 3,5 4,2 3,1 2,5 5,7 8,0 6,0 2,8 4,21

31 Medoc 4,7 3,9 3,6 5,2 4,5 5,1 2,9 1,7 5,0 7,5 4,5 4,4 4,23

32 Neptune 5,7 3,7 3,9 5,3 4,6 5,2 3,3 2,0 5,0 3,1 5,5 3,9 4,26

33 Exquise 5,3 3,6 3,6 4,6 4,4 4,8 3,9 2,4 4,3 4,0 6,5 3,4 4,30

34 Madalina 5,6 3,9 3,9 4,8 4,8 5,1 3,1 2,1 4,7 5,5 4,8 4,3 4,31

35 Fiesta 5,2 4,8 6,0 6,0 5,9 5,9 2,6 1,8 3,0 2,0 4,5 6,1 4,37

36 Kamila 5,1 3,5 3,5 4,6 5,0 4,9 3,7 2,3 4,7 5,5 7,5 4,1 4,56

Fettschrift bei Sortenname = bisher empfohlene Sorten

Notenskala: 1 = sehr hoch bzw. gut; 9 = sehr niedrig bzw. schlecht1) Ertragsnoten: Jahresertrag von 4 bis 5 Erhebungen, 2012: 4 Versuchsstandorte, 2013: 3 Versuchsstandorte 2) VOS = Verdauliche organische Substanz: Mittel von 3 Terminen im Jahre 2012, Standort Ellighausen*Hauptmerkmal mit doppelter Gewichtung

Page 44: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

364

Pflanzenbau | Ergebnisse der Sortenversuche 2011–2013 mit Luzerne

Agrarforschung Schweiz 5 (9): 358–365, 2014

nach der Saat und im Frühling. Eride verfügt über eine

gute Ausdauer und eine hervorragende Standfestigkeit,

welche nur von der Standardsorte Fraver in gleicher Qua-

lität erreicht wurde. Eher mittelmässig schneidet Eride im

TS-Ertrag und bei der Verdaulichkeit ab. Die Sorte Arte­

mis, eine weitere interessante Neuzüchtung, überzeugt

einerseits durch eine sehr gute Ausdauer und hohe

Erträge, andererseits durch eine gute Resistenz gegen

Luzernewelke und Blattkrankheiten. Zudem verfügt sie

über eine gute Standfestigkeit. Eride und Artemis haben

sehr ähnliche Eigenschaften. Gea, die vierte Neuzüch-

tung mit Empfehlung, erzielte in vielen Eigenschaften

sehr gute Ergebnisse: TS-Ertrag, Güte, Konkurrenzkraft,

Ausdauer, Jugendentwicklung und Höhentauglichkeit.

Da die Sorte im Frühling sehr schnell wieder austreibt, ist

sie, besonders in Muldenlagen, anfällig auf Frostschäden.

Dagegen schnitt sie hinsichtlich Standfestigkeit, Verdau-

lichkeit und Resistenz gegen Luzernewelke unterdurch-

schnittlich ab. Auch andere Neuzüchtungen zeigten,

obwohl sie die Anforderungen für eine Empfehlung

nicht ganz erfüllen konnten, interessante Ergebnisse. Zu

erwähnen sind beispielsweise die Sorten Azzurra und Fri­

gos, die ähnliche Eigenschaften wie Gea aufweisen, auf-

grund einer schlechten Standfestigkeit die Empfehlung

aber nicht schafften. Voie Lactée überzeugte durch hohe

Erträge und eine hohe Resistenz gegen Luzernewelke,

schnitt aber in den übrigen Kriterien zu wenig gut ab.

Die Sorte Fleetwood schliesslich überzeugte durch eine

sehr gute Stängelbeschaffenheit, wies aber zu geringe

Erträge auf.

Standardsorten: Vanda ab 2017 nicht mehr empfohlen

Betrachtet man die Ergebnisse bezüglich dem Gesamtin-

dex, stellt man fest, dass die geprüften Sorten relativ

wenig voneinander abweichen, liegen doch die erziel-

ten Indexwerte, mit Ausnahme der beiden Neuzüchtun-

gen Fiesta und Kamila, innerhalb einer Spannbreite von

lediglich 0,4 Punkten. Dennoch verliert eine Standard-

sorte, nämlich Vanda, ihre Empfehlung. Zwar erfüllt sie

die Anforderungen hinsichtlich Gesamtindex, weist

jedoch in der Stängelbeschaffenheit mit 7,0 einen Wert

auf, der den Mittelwert der Standardsorten um mehr als

1,5 Punkte übertrifft (Tab. 3). Auch die Sorte Robot ver-

fügt über schlechte Stängeleigenschaften, kann sich

aber diesbezüglich noch knapp behaupten. Robot zeich-

net sich ausserdem durch eine schlechte Standfestigkeit

aus und gehört in dieser Hinsicht zu den schlechtesten

aller geprüften Sorten. In vielen wichtigen Eigenschaf-

ten wie Ertrag, Güte, Konkurrenzkraft, Jugendentwick-

lung und Resistenz gegen Luzernewelke schneidet sie

aber nach wie vor sehr gut ab, weshalb sie trotz nicht

erfüllter Anforderung bei der Standfestigkeit auf der

Liste der empfohlenen Sorten beibehalten wird. Die

Sorte Timbale hat im Vergleich mit Robot eher umge-

kehrte Eigenschaften: mittelmässige Erträge und Aus-

dauer, dafür eine gute Standfestigkeit und feine Stängel.

Mit Ausnahme von Robot verfügen alle sechs Standard-

sorten über sehr gute Verdaulichkeitswerte.

S c h l u s s f o l g e r u n g e n

•• Aus den Ergebnissen der Sortenprüfung mit Luzerne

der Jahre 2011 bis 2013 lassen sich folgende Schlüsse

und Konsequenzen ziehen:

•• Die 36 geprüften Sorten Luzerne lieferten insgesamt

sehr ausgeglichene Ergebnisse. Damit bestätigt sich

der hohe Züchtungsfortschritt dieser für den Kunstfut-

terbau wichtigen Leguminosen-Art.

•• Die grössten Sortenunterschiede bestehen vor allem in

den beiden Eigenschaften Standfestigkeit und

Stängelbeschaffenheit.

•• Die seit 2001 empfohlene Sorte Vanda wird aufgrund

ihrer schlechten Stängelbeschaffenheit von der Liste

der empfohlenen Sorten für Futterpflanzen gestrichen

und verbleibt für den Gebrauch in Standardmischun-

gen nur noch bis Ende 2016 im Handel.

•• Vier Neuzüchtungen, nämlich Catera, Eride, Artemis

und Gea, erfüllen aufgrund ihrer Ergebnisse die

Anforderungen der Sortenprüfung und werden neu in

die Liste der empfohlenen Sorten aufgenommen.

Damit umfasst die Sortenliste aktuell neun empfoh-

lene Sorten von Luzerne (Suter et al., 2012a). Für die

Verwendung in Standardmischungen mit Luzerne

besteht somit ein umfangreiches und vielseitiges

Angebot an hochstehenden Sorten von Luzerne. n

Page 45: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

365

Ergebnisse der Sortenversuche 2011–2013 mit Luzerne | Pflanzenbau

Ria

ssu

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Sum

mar

y

Agrarforschung Schweiz 5 (9): 358–365, 2014

Literatur ▪ Mosimann E., Chalet C., Lehmann J., Schubiger F.X. & Briner H.U., 1995. Es-

sais de variétés de luzerne 1992-1994. Revue Suisse Agric. 27 (2), 107–110. ▪ Mauries M., 1994. La luzerne aujourd’hui. Edition France Agricole, 254 p. ▪ Mosimann E., Bertossa M., Lehmann J. & Briner H.U., 2001. Essais de variétés de luzerne (1998-2000). Revue Suisse Agric. 33 (4), 153–155.

▪ Norris K.H., Barnes R.F., Moore J.E. & Shenk J.S., 1976. Predicting forage quality by infrared reflectance spectroscopy. Journal of Animal Science 43, 889–897.

▪ Nösberger J. & Opitz von Boberfeld W., 1987. Grundfutterproduktion, Verlag Paul Parey, Berlin/Hamburg.

▪ Suter D., Hirschi H.U., Frick R. & Bertossa M., 2012a. Liste der empfohle-nen Sorten von Futterpflanzen 2013–2014. Agrarforschung Schweiz 3 (10), 1–8.

▪ Suter D., Rosenberg E., Mosimann E. & Frick R., 2012b. Standardmischun-gen für den Futterbau: Revision 2013–2016. Agrarforschung Schweiz 3 (10), 1–12.

▪ Tilley J. & Terry R., 1963. A two stage technique for the in vitro digestion of forage crops. Journal of the British Grassland Society 18, 104–111.

Alfalfa variety trials (2011­2013)

From 2011 through 2013, 36 varieties

of alfalfa (Medicago sativa L.) were

examined in comparative variety trials

at five experimental sites. All varieties

were grown in pure stands and in

mixture with gramineous plants. The

parameters assessed were dry matter

yield, juvenile development, regrowth

speed, general impression, stem

thickness, competitive ability, persis­

tence, digestibility of organic matter,

and resistance to leaf diseases and

winter conditions. For each variety, an

index­value based on measurements

and observations of yield was calcu­

lated, allowing an accurate comparison

of the varieties. According to the

results, four new varieties of alfalfa

(Catera, Eride, Artemis and Gea) will be

added to the «List of Recommended

Varieties of Forage Plants». The

previously recommended variety

Vanda was removed from the list,

owing to the bad quality of stem

thickness, but may be used in com­

merce until the end of 2016.

Key words: Medicago sativa L., alfalfa,

variety test, list of recommended

varieties.

Risultati delle prove varietali dell’erba

medica (2011­2013)

Il valore agronomico e culturale delle

36 varietà di erba medica (Medicago

sativa L.) è stato valutato nelle prove

varietali dal 2011 al 2013. Le semine

sono state realizzate in colture pure e

in associazione semplice con due

graminacee. Le seguenti caratteristiche

sono state considerate: rendimento in

materia secca, velocità di attecchi­

mento, impressione generale, sviluppo

primaverile, resistenza alle piogge

intense, capacità di concorrenza,

persistenza, resistenza alle malattie,

grandezza degli steli e attitudine per la

coltura in quota. La classificazione

delle varietà testate è stata effettuata

sulla base del calcolo di un indice

globale ponderante l’insieme dei criteri

sopra elencati. Quattro nuove varietà

(Catera, Eride, Artemis e Gea) hanno

mostrato risultati superiori alla media

e saranno, perciò, iscritte nella «Lista

delle varietà raccomandate». La

precedente varietà raccomandata

Vanda sarà, invece, ritirata dall’assorti­

mento essenzialmente a causa del non

adeguato spessore degli steli; tuttavia

potrà ancora essere commercializzata

fino alla fine del 2016.

Page 46: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

366 Agrarforschung Schweiz 5 (9): 366–373, 2014

P f l a n z e n b a u

relativ stabil (Abb. 1a). Dies ist nicht in allen vergleichba-

ren Ländern der Fall, wie der Blick nach Italien mit stark

abnehmender Bedeutung des dortigen Getreideanbaus

zeigt. Die Schweiz konnte ihren Selbstversorgungsgrad

gerade auch aufgrund des Zuchtfortschrittes in den eige-

nen Weizensorten in den vergangenen Jahrzehnten trotz

des enormen Bevölkerungswachstums bei ca. 60 % brutto

(inklusive der Produktion basierend auf importierten Fut-

termitteln) halten. Der kontinuierliche Rückgang der An-

bauflächen von Wurzel- und Knollenfrüchten (Abb.  1b)

ist vor allem auf eine geringere Nachfrage nach Kartof-

feln, der wichtigsten Art innerhalb dieser Kulturgruppe,

zurückzuführen. Diese geringere Nachfrage basiert zum

einen auf dem rückläufigen Direktverzehr von Kartoffeln,

zum anderen auf der weitgehenden Verdrängung von

Kartoffeln, aber auch Futterrüben, als Futtermittel. Der

Zunahme im Anbau von Ölsaaten und Hülsenfrüchten

(Abb. 1c,d) hingegen liegt kein genereller Anstieg der

Nachfrage zu Grunde, sondern er resultiert entscheidend

aus einer Vielzahl an züchterischen Verbesserungen

wichtiger Arten innerhalb dieser Kulturgruppen. An ers-

E i n l e i t u n g

Dieser Artikel betrachtet das thematische Umfeld der

Pflanzenzüchtung in der Schweiz und er ordnet die

schweizerischen Verhältnisse in den gegenwärtigen und

zukünftig zu erwartenden internationalen Kontext ein.

Er basiert auf einer umfangreicheren Studie, die im Auf-

trag des Bundesamtes für Landwirtschaft (BLW) durch-

geführt wurde und die mit dazu beitragen soll, die

Grundlagen für die Erarbeitung einer Strategie zur

Pflanzenzüchtung in der Schweiz für die kommenden

Jahrzehnte zu schaffen.

Entwicklung der ackerbaulichen Hauptkulturen

Weizen stellt die Grundlage unserer Ernährungskultur

dar. Innerhalb der in der Schweiz angebauten Getreide

nimmt er daher, mit einer Anbaufläche die seit den 1980er

Jahren zwischen 80 000 und 100 000 ha schwankt, eine

überragende Stellung ein. Insgesamt blieb über die ver-

gangenen 50 Jahre hinweg die Anbaufläche von Getreide

in der Schweiz ebenso wie in Frankreich und Deutschland

Die Schweizer Pflanzenzüchtung – eine räumliche, zeitliche und thematische Analyse des UmfeldesAchim Walter, Christoph Grieder, Luisa Last, Beat Keller, Andreas Hund und Bruno Studer

Institut für Agrarwissenschaften, ETH Zürich, CH­8092 Zürich

Auskünfte: Bruno Studer, E-Mail: [email protected]

Feldversuche mit Weizen und Buchweizen an der ETH-Forschungsstation in Lindau-Eschikon.

Page 47: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

Die Schweizer Pflanzenzüchtung – eine räumliche, zeitliche und thematische Analyse des Umfeldes | Pflanzenbau

367

Zusa

mm

enfa

ssu

ng

Agrarforschung Schweiz 5 (9): 366–373, 2014

Das Spektrum nachgefragter Kulturpflanzen

sowie deren Leistungsfähigkeit verändern

sich mit der Zeit. In der Schweiz spielt der

Anbau von Getreide, Spezialkulturen und

Futterpflanzen traditionell eine grosse Rolle.

Die Leistungsfähigkeit dieser Pflanzen unter

den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen,

aber auch unter den Gegebenheiten der

zukünftigen Produktionsbedingungen zu

erhalten, wird von grosser Bedeutung sein.

Eine Fokussierung auf diese Pflanzen alleine

wäre jedoch kurzsichtig und würde der

Schweiz pflanzenbauliche Möglichkeiten

verschliessen, die im Bereich anderer, noch

wenig erforschter Kulturarten einen grossen

Gewinn verschaffen könnten. Die Weiterent­

wicklung von Kulturpflanzen erfolgt durch

den Prozess der Pflanzenzüchtung. Pflanzen­

züchtung nimmt Einfluss auf den Ertrag, die

Qualität sowie auf die Resistenz gegenüber

Krankheiten und Umweltstress. Technische

Entwicklungen in Anbau, Lebensmittel­

verarbeitung und Züchtung beeinflussen

diese Zusammenhänge ebenso wie die

mittlerweile weitgehend globale Vernetzung

des Agro­Food­Sektors. Es ist schwierig

vorherzusagen, wie sich der Bedarf und die

Ausrichtung der Pflanzenzüchtung in der

Schweiz in den kommenden Jahrzehnten

genau entwickeln werden. Der Bund kann

durch gesetzliche Vorgaben und finanzielle

Anreize jedoch markant auf diese Entwick­

lungen einwirken und Prozesse in Gang

bringen, welche die Stellung der Schweiz im

‚Welternährungssystem‘ für die absehbare

Zukunft stärken und die dem Selbstverständ­

nis der Schweiz als einer vorbildlichen und

auf Nachhaltigkeit, Zufriedenheit der

Bevölkerung und wirtschaftlichen Erfolg

orientierten Volkswirtschaft entsprechen.

ter Stelle ist hier die züchterische Entwicklung beim Raps

zu nennen. Durch die Bereitstellung von erucasäure-

freien Sorten (‚0-Raps‘, 1970er Jahre) und die Reduktion

des Glucosinolatgehaltes (‚00-Raps‘, 1980er Jahre) konnte

das bis dato vergleichsweise schlecht geniessbare Öl für

die Humanernährung eingesetzt werden und der Press-

kuchen gewann für die Tierfütterung an Bedeutung. Die

Kühletoleranz von Raps zeichnet ihn für den Anbau in

unseren Breiten beziehungsweise Fruchtfolgen beson-

ders aus – Raps ist die einzige bedeutende Ölsaat, die als

Winterkultur angebaut wird. In Bezug auf die Hülsen-

früchte ist die Entwicklung bei Soja besonders erwäh-

nenswert. Hier kam es in der Schweiz durch grosse

Erfolge der staatlichen Züchtung zur Entwicklung von

sehr früh reifenden Sorten, die in der Schweiz und Nach-

barländern mit vergleichbaren klimatischen Bedingun-

gen erfolgreich angebaut werden können und sowohl

als Öllieferant (Hauptzweck des Sojaanbaus in der

Schweiz) als auch zur Proteinproduktion einen wichtigen

Beitrag leisten können.

Momentane Gewichtung der Kulturen in der Schweiz

Im Konzert der oben genannten vier grossen Kultur-

gruppen spielen die Getreide mit 72 % der mit einjähri-

gen Ackerkulturen bestellten Fläche die wichtigste Rolle

a) c)

d)b)

120

100

8060

100

8060

4020

200

400

600

800

200

400

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1200

1960 1970 1980 1990 2000 2010 1960 1970 1980 1990 2000 2010

1960 1970 1980 1990 2000 20101960 1970 1980 1990 2000 2010

Anba

ufläc

he re

lativ

zu

1961

(%)

Anba

ufläc

he re

lativ

zu

1961

(%)

Jahr Jahr

Getreide Ölsaaten

Wurzeln und Knollen Hülsenfrüchte

Frankreich Deutschland Italien Schweiz

Abb. 1 | Relative Entwicklung der Anbaufläche der Hauptkulturen in der Schweiz, Frankreich, Deutschland und Italien seit 1961 (Hül-senfrüchte Schweiz relativ zu 1973). (Quelle: FAOSTAT 2013)

Page 48: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

Pflanzenbau | Die Schweizer Pflanzenzüchtung – eine räumliche, zeitliche und thematische Analyse des Umfeldes

368 Agrarforschung Schweiz 5 (9): 366–373, 2014

(Abb. 2), gefolgt von den Ölsaaten (13 %), Wurzel- und

Knollenfrüchten (5,5 %) und Hülsenfrüchten (2 %).

Etwas weniger als 8 % werden mit diversen Gemüsen

bebaut. Der Anteil der Getreide bezogen auf die übri-

gen Ackerkulturen ist im globalen Vergleich in der

Schweiz und in Europa deutlich höher. In der Schweiz

stehen den 200 000 Hektaren Ackerland landwirtschaft-

lich genutzte Grünlandflächen von etwas über einer

Million Hektaren gegenüber. Diese Relation von Grün-

land zu Ackerland unterscheidet die Schweiz von den

meisten anderen Nationen. Ebenso ist der Anbau von

sogenannten Spezialkulturen wie Obst (ca. 6500 ha; vor-

wiegend Äpfel) und Wein (15 000 ha) von relativ grosser

Bedeutung. «Exotischere» Kulturen wie Pseudogetreide

(z.B. Buchweizen, <100 ha), Energiepflanzen (z.B. Mis-

canthus, <100 ha) und Medizinal- und Aromapflanzen

(250 ha) spielen momentan keine grosse Rolle, verfügen

aber über ein interessantes Zukunftspotenzial.

Die Wertschöpfung, die durch die oben genannten

unterschiedlichen Kulturgruppen erzielt wird, hängt im

Wesentlichen von den Anbauflächen und vom Wert des

Hauptproduktes ab, das durch die jeweilige Kultur-

gruppe generiert wird (Abb. 3). Im Jahr 2012 lag der

Wert aller in der Schweizer Landwirtschaft produzierten

Getreide (58% / 71% / 72%)

Ölsaaten (23% / 21% / 13%)

Gemüse (4,5% / 3% / 7,5%)

Wurzeln und Knollen (4,5% / 2,5% / 5,5%)

Hülsenfrüchte (6,5% / 2,0% / 2,0%)

Faserkulturen (3,5% / 0,5% / 0%)

Global

1216 Mio.ha

EU-27

80 Mio.ha

Schweiz

0,205 Mio.ha

Abb. 2 | Flächenanteile in Prozent der Hauptkulturen auf globaler Ebene, in der Europäischen Union (EU-27) und in der Schweiz. (Quelle: FAOSTAT 2013)

Wertschöpfung Agrarsektor

998 Mio. CHF

Wertschöpfung Pflanzenproduktion

427 Mio. CHF

Futterpflanzen (10,4% / 24,4%)

Obst und Wein (9,7% / 22,7%)

Sonstige (0,9% / 1,9%)

Tierische Produkte (46,7%)

Dienstleistungen (6,8%)

Nebentätigkeiten (3,7%)

Getreide (3,7% / 8,7%)

Ölsaaten (0,9% / 2,1%)

Gemüse u. Gartenb. (13,9% / 32,6%)

Wurzeln und Knollen (3,2% / 7,4%)

Hülsenfrüchte (0,1% / 0,2%)

Abb. 3 | Die prozentualen Anteile der Hauptkulturen an der Gesamtwertschöpfung im Agrarsektor sowie an der Wertschöpfung, welche durch den Pflanzenbau generiert wird. (Quelle: Bundesamt für Statistik 2014)

Page 49: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

Die Schweizer Pflanzenzüchtung – eine räumliche, zeitliche und thematische Analyse des Umfeldes | Pflanzenbau

369Agrarforschung Schweiz 5 (9): 366–373, 2014

neuem Material, welches in den Kreislauf eingeführt

wird) von neuen Kreuzungen und somit als Basis für die

nächste Runde des Kreislaufes.

Fortschritte in sehr unterschiedlichen technologi-

schen Bereichen – von der Anbautechnik bis hin zur Ver-

arbeitung von Lebensmitteln – bewirken eine dynami-

sche Veränderung von Züchtungszielen. Es gilt in den

kommenden Jahrzehnten vor allem effizientere pflanzli-

che Produktionssysteme für eine nachhaltige Intensivie-

rung der Landwirtschaft zu generieren. Dies erfordert

die Realisierung von Kulturpflanzen, die mit geringeren

Mengen an Düngemitteln, Herbiziden und Bewässerung

einen hohen und relativ sicheren Ertrag erzielen können.

Die absolute Höhe des Ertrages wird in Zukunft in Züch-

tungsprogrammen weniger relevant sein als die Sicher-

heit, in klimatischen Extremsituationen – insbesondere

Hitze, Dürre und Nässe – einen vergleichsweise hohen

Ertrag zu erzielen. Selbstverständlich wird die Resistenz

gegenüber Krankheiten und Schadorganismen nach wie

vor ebenfalls eine herausragende Rolle spielen, zumal

sich das Spektrum von Schädlingen und Krankheitserre-

gern mit dem sich verändernden Klima ebenfalls wan-

deln wird.

Fallbeispiel WeizenIn der Schweiz wird seit langem ein erfolgreiches Pro-

gramm zur Weizenzüchtung betrieben, bei dem Agro-

scope und Delley Samen und Pflanzen AG (DSP) miteinan-

der kooperieren. Dabei wurden mit Hilfe konventioneller

Züchtungsmethoden vor allem hochwertige Sorten ent-

wickelt, aus denen Mehl von hoher Protein- respektive

Backqualität gewonnen wird. Der Weizenanbau im Inland

Waren und Dienstleistungen zu laufenden Preisen

(‚Wertschöpfung‘) bei ~10 Mrd CHF. Auf die Getreide

entfielen davon lediglich ca. 3,7 %, auf Obst und Wein

sowie Futterpflanzen je ca. 10 % und auf die Produkte

des Gemüse und Gartenbaus ca. 14 %. In allen Kultur-

gruppen findet sowohl Anbau nach den Richtlinien der

biologischen Landwirtschaft (ca. 12 %, je nach Kulturart

und Region zwischen 5 % und 18 %) als auch nach den

Richtlinien der guten landwirtschaftlichen Praxis auf der

Basis des gültigen Regelwerks zum Erhalt von Direktzah-

lungen statt.

Weiterentwicklung der Kulturen durch die Pflanzen­

züchtung

Die konsequente Weiterentwicklung und Verbesserung

der oben genannten Kulturpflanzen erfolgt durch die

Pflanzenzüchtung, welche die genetische Verbesserung

im Hinblick auf eine Vielzahl von Merkmalen zum Ziel

hat. Unabhängig von den Merkmalen, der Kulturpflan-

zenart und der angewandten Züchtungsmethodik bleibt

das Grundschema jeweils dasselbe. Ausgehend von der

durch neue Kreuzungen generierten genetischen Varia-

bilität muss der Züchter das Material für seine Gesamt-

heit an Erscheinungsmerkmalen (Phänotyp) und evtl.

auch für seine Erbeigenschaften (Genotyp) charakteri-

sieren (Abb. 4, schwarz). Die erfassten Daten werden

dann mittels statistischer und bioinformatischer Verfah-

ren verarbeitet, um die Pflanzen mit den besten Eigen-

schaften für die nächste Züchtungsphase selektieren zu

können. Die selektierten Pflanzen bilden nach einge-

hender Prüfung entweder direkt in eine neue, verbes-

serte Sorte oder dienen als Eltern (evtl. zusammen mit

Selektion

Variation im Zuchtgarten

Phänotypisierung Genotypisierung

Statistik / Bioinformatik

Neue Sorte

NeuesMaterial

- Doppel Haploide

- Natürliche genetische Variabilität - Mutationszüchtung/TILLING - Somatische Hybridisierung - Gentechnisch Veränderte Organismen

- Marker Assisted Selection - Genomische Selektion

Erweiterung der genetischen Variabilität Beschleunigung der Züchtungsphase Erhöhung des Selektionserfolges

Prüfung

Kreuzung

Abb. 4 | Schematische Darstellung des Züchtungskreislaufes. Die farbigen Felder beschreiben Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung im Züchtungsprozess.

Page 50: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

Pflanzenbau | Die Schweizer Pflanzenzüchtung – eine räumliche, zeitliche und thematische Analyse des Umfeldes

370 Agrarforschung Schweiz 5 (9): 366–373, 2014

basiert zum Grossteil auf diesen Sorten, Saatgut dieser

Sorten wird in nennenswertem Umfang exportiert. Ohne

fortlaufende züchterische Anpassung dieser Sorten wäre

es nicht möglich die Positionierung der Schweiz im

Bereich des Weizens aufrecht zu erhalten. Auch interna-

tional spielt die Züchtung von Weizen eine grosse Rolle.

Hier findet unter Einsatz modernster Züchtungstechno-

logien eine eng vernetzte Zusammenarbeit bei der Wei-

terentwicklung dieser Kulturpflanze statt. Dies kann am

Fallbeispiel der Weizenzüchtung in Deutschland illust-

riert werden: In Deutschland sind 39 Unternehmen in

der Getreidezüchtung tätig (BDP 2013) und 20,2 % der

Zuchtgartenflächen (ohne Futterpflanzen) sind der Wei-

zenzüchtung vorbehalten (Noleppa und von Witzke

2013). Aktuell laufendende Forschungsprojekte beinhal-

ten z.B. die Entwicklung von molekularen Markern für

agronomisch wichtige Eigenschaften in Weizen (2 Pro-

jekte, 3,5 Mio. Euro), Stickstoff-Nachhaltigkeit in Getrei-

den (2 Projekte, 2,0 Mio. Euro), Frosttoleranz (1,1 Mio.

Euro), Hybridweizen (2 Projekte 3,6 Mio. Euro) sowie

Toleranz gegenüber biotischem (3 Projekte, 5,8 Mio.

Euro) und abiotischem Stress (4 Projekte, 3,1 Mio. Euro).1

In diesen Forschungsprogrammen werden insgesamt 6,7

Mio. Euro pro Jahr investiert (über die Gesamtdauer aller

Projekte fast 20 Mio. Euro), wobei es überwiegend um

die Anwendung und Entwicklung moderner Züchtungs-

methoden geht. Neben Firmen beteiligen sich auch

Hochschulen, Landesforschungsanstalten und andere

Forschungspartner an diesen Aktivitäten. Die Gemein-

schaft zur Förderung der privaten deutschen Pflanzen-

züchtung (GFP) hat zudem das Programm «ProWeizen»

gestartet, das im Rahmen der globalen «Wheat Initia-

tive» positioniert ist und die Themen Hybridzüchtung,

molekulare Ertragsphysiologie und Phänotypisierung in

weltweiten Forschungsnetzwerken abdeckt.2 Besonders

ein Durchbruch bei der Hybridzüchtung könnte der Wei-

zenzüchtung international eine neue Dynamik verleihen

(Hund et al. 2014).

Neben den grossen Investitionen der privaten Züch-

tungsunternehmen in Züchtungsforschung und Techno-

logieentwicklung, erfolgt die staatliche Stützung der

1 http://www.pflanzenforschung.de/de/plant-2030/fachinformationen/projektdatenbank (Zugriff am 6.9.2013)

2 http://www.proweizen.de/ (Zugriff am 6. 9.2013)

Züchtungskategorie Nutzung von Züchtungstechniken

Kulturart Klon

züch

tung

Popu

latio

ns-/

Lini

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Hybr

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en

Apom

ixis

Weizen 0,0 2,0 5,0 2,5 0,0 1,8 4,8 0,0 1,5 0,0 5,3 0,0Gerste 0,0 2,0 3,0 2,0 0,0 2,0 6,0 0,0 2,0 0,0 0,0 6,0Roggen 0,0 2,0 2,3 0,3 0,3 1,7 5,0 0,0 0,3 0,0 0,0 6,0Mais 0,0 1,0 2,0 2,7 5,0 2,3 3,3 0,0 2,0 0,0 4,0 6,0

Soja 0,0 2,0 5,5 5,5 5,0 2,0 4,0 0,0 4,0 0,0 3,5 6,0Kichererbsen 0,0 2,0 0,0 1,0 0,0 5,0 5,0 0,0 5,0 0,0 0,0 0,0

Raps 0,0 2,0 2,5 2,5 0,0 2,0 3,5 0,0 3,0 3,0 3,0 6,0Sonnenblume 0,0 0,0 2,0 6,0 0,0 2,0 4,0 0,0 1,0 1,0 5,0 0,0

Kartoffel 2,0 0,0 0,0 0,0 0,0 2,5 6,0 3,0 3,0 2,0 2,5 0,0Zuckerrübe 0,0 0,5 2,0 5,0 5,0 2,0 4,5 3,0 6,0 0,0 5,0 6,0

Apfel 2,0 0,0 0,0 0,0 2,0 3,0 6,0 0,0 3,0 0,0 4,0 0,0

Rotklee 0,0 2,0 1,0 0,0 0,0 3,0 5,0 2,0 5,0 0,0 0,0 0,0Weissklee 0,0 2,0 1,0 0,0 0,0 3,0 5,0 2,0 5,0 0,0 0,0 0,0Raigräser 0,0 2,0 5,0 0,0 0,0 3,0 4,0 2,0 4,0 0,0 6,0 6,0

0 Spielt keine Rolle 1 Nicht mehr/selten in Gebrauch 2 Standardmässig bei kleinen und grossen Firmen 3 Standard bei grossen, wird von kleinen langsam implementiert 4 Nur bei grossen 5 Kurz- bis mittelfristig bei grossen Firmen zu erwarten 6 Erst langfristig zu erwarten

Abb. 5 | Einsatz moderner Züchtungstechnologien in der Pflanzenzüchtung. Die relative Be-deutung einzelner Methoden und Technologien wurde von jeweils acht Experten für die einzel-nen Kulturarten auf einer Skala von 0 bis 6 abgeschätzt (eigene Umfrage).

Page 51: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

Die Schweizer Pflanzenzüchtung – eine räumliche, zeitliche und thematische Analyse des Umfeldes | Pflanzenbau

371Agrarforschung Schweiz 5 (9): 366–373, 2014

logien – von denen nur ein kleiner Teil in den Bereich der

Gentechnik fällt (Abb. 5) – sowie eine enge Zusammen-

arbeit mit internationalen Konsortien unabdingbar sein.

Fallbeispiel Rotklee

In der Schweizer Landwirtschaft spielt die Tierproduk-

tion eine herausragende Rolle, weswegen Futterpflan-

zensysteme von enormer Bedeutung sind. Im Bereich des

Rotklees ist die schweizerische Züchtung von Agroscope

in Kooperation mit DSP im heimischen als auch im Euro-

päischen Futterpflanzenbau sehr gut aufgestellt (Abb. 6).

Die empfohlene Sortenliste 2013/2014 für die Schweiz

wird vor allem von den Sorten der Agroscope/DSP domi-

niert (Agroscope 2013).

Ein wichtiges Zuchtziel ist die Steigerung des Ertra-

ges und der Qualität. Eine hohe Schmackhaftigkeit und

ein hoher Eiweissgehalt stehen hier im Vordergrund,

wobei auch der Ausdauer und der Krankheitsresistenz,

z.B. gegen Fusarium oder Sclerotinia, eine wichtige Rolle

zukommt. Eine bessere Wasser- und Nährstoffeffizienz

helfen Ressourcen effizienter zu nutzen sowie den

Anbau in trockeneren Gebieten zu ermöglichen. Insge-

samt wird die Züchtung solcher Sorten angestrebt, wel-

che an vielen Standorten und unter unterschiedlichen

Stressbedingungen angebaut werden können (DLF-Tri-

folium3).

Züchtung im benachbarten Ausland v.a. über Förder-

und Forschungsprogramme (PLANT 2030, Wheat Initia-

tive, BREEDWHEAT, etc.). Obwohl die Langfristigkeit sol-

cher Förderprogramme naturgemäss nicht gewährleistet

ist, da ihre Existenz stark von politischen Rahmenbedin-

gungen abhängt, sind diese von grosser Bedeutung: Oft

ermöglichen diese grossen Programme die Entwicklung

und Nutzung innovativer und kostenintensiver Techno-

logien für die Pflanzenzüchtung. Diese Technologien

können so auch den mittleren und kleineren Züchtungs-

unternehmen zugänglich gemacht werden und zu deren

Erfolg beitragen. Der Einsatz modernster Technologien

und molekularer Methoden in der Pflanzenzüchtung

hat sehr stark zugenommen, und es ist zu erwarten, dass

der Technologieentwicklung eine Schlüsselrolle in der

zukünftigen Entwicklung der Pflanzenzüchtung

zukommt (Abb. 5).

Auch für die Schweiz wird es in den kommenden

Jahrzehnten von Bedeutung sein, innovative Pflanzen-

züchtung zu fördern, das Bedürfnis der Landwirte nach

einem verlässlichen Einkommen zu decken und gleicher-

massen dem Bedürfnis der Kunden nach qualitativ hoch-

wertigen Nahrungsmitteln entgegenzukommen. Eine

Wertschöpfung kann dann nicht nur durch Anbau der

Kulturen im eigenen Land entstehen, sondern in einem

erheblichen Mass auch durch den Absatz des Saatgutes

und durch den Transfer von Wissen über die Erzeugung

dieses Saatguts ins Ausland. Wenn diese Stellung für

Weizen gehalten werden soll, wird auch in der Schweiz

ein verstärkter Einsatz von modernen Züchtungstechno-3 http://www.dlf.com/R_D/Grass_seeds_Forage_Breeding.aspx (Zugriff am 13.11.2013)

Abb. 6 | Namen der Züchtungs- bzw. Erhaltungseinrichtungen und Anzahl der Rotklee-Sorten, wel-che auf der Liste der CPVO (Community Plant Variety Office) seit 2000 registriert sind. Hinzu kom-men 31 weitere Einrichtungen mit weniger als 3 registrierten Sorten seit dem Jahre 2000.

Agroscope / DSP(CH)

DLF-Trifolium (DK)

Centrum výskumu rastlinnej výroby Pieštany (SK)

Malopolska Hodowla Roslin HBP (PL)

Lantmännen SW Seed AB (SE)

Selgen A.S.(CZ)

Norddeutsche Pflanzenzucht (DE)

Statiunea de Cercetare-Dezvoltare Agricola (RO)

Oseva UNI, a.s. (CZ)

Graminor AS (NO)

LUA Agency Research Institute of Agriculture (LV)

Agrogen (CZ)

Agri-Obtentions (FR)

Institute of Agriculture (LT)

Jõgeva Plant Breeding Institute (EE)

Aberystwyth University (UK)

Anzahl der registrieten Sorten (CPVO, seit 2000)

0 2 4 6 8 10 12 14 16

Page 52: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

372

Pflanzenbau | Die Schweizer Pflanzenzüchtung – eine räumliche, zeitliche und thematische Analyse des Umfeldes

Agrarforschung Schweiz 5 (9): 366–373, 2014

Auch im Bereich der Futterpflanzenzüchtung nutzen

grosse Unternehmen wie z.B. DLF-Trifolium (Dänemark,

weltweiter Marktanteil von bis zu 20 %) heutzutage

sowohl konventionelle als auch DNA-Marker basierte

Züchtungsmethoden. Konventionelle Züchtungsmetho-

den beinhalten Paarkreuzungen und Massenkreuzun-

gen (polycrosses) sowie die phänotypische Selektion

unter Berücksichtigung verschiedener Standorte. Für

den Einsatz von DNA-basierten Analysen werden Single

Nucleotide Polymorphism (SNP) Marker für die Marker-

gestützte Selektion (oder «Marker Assisted Selection»)

angewendet. Besondere Bedeutung hat hier die «Geno-

mische Selektion», welche nicht nur auf einzelnen Mar-

kern basiert, sondern die Gesamtheit der genetischen

Information (in der Regel mehrere 100 000 SNPs) nutzt,

um mittels multivariater Verfahren die (quantitativen)

Merkmale vorherzusagen. Züchtungsmethoden, welche

eine gentechnische Veränderung des Organismus erfor-

dern, werden – obwohl die Technologie etabliert ist –

aus politischen und wirtschaftlichen Gründen von DLF

nicht angewendet.

Nischenkulturen und Vielfalt in der Landwirtschaft

Eine Weiterentwicklung des Züchtungsfortschritts kann

nur mit Einsatz moderner Technologien sowie mit effek-

tiven nationalen und internationalen Kooperationen

gelingen. Dies zeigen die Fallbeispiele Weizen und Rot-

klee; man hätte dies aber ebenso gut am Fallbeispiel

Apfel demonstrieren können, bei dem derzeit unter

Schweizer Beteiligung in internationalen Konsortien z.B. grosse Fortschritte im Hinblick auf Feuerbrandresistenz

erzielt werden. Es wäre jedoch zu kurz gegriffen, für eine

Analyse des staatlichen Engagements in die Züchtungs-

forschung nur Hauptkulturen einzubeziehen. Weltweit

ist ein sich immer ähnlicher werdendes Ernährungsver-

halten der Bevölkerungen verschiedener Länder und

Regionen zu beobachten, das zu einem Verlust der land-

wirtschaftlichen Diversität führt (Khoury et al. 2014). Um

die Resilienz unserer landwirtschaftlichen Systeme zu

gewährleisten oder sogar zu verbessern, wird es daher

notwendig sein, sowohl die züchterische Arbeit an unse-

ren Hauptkulturen zu fördern, als auch eine verstärkte

Nutzung von heutigen Nischenkulturen langfristig zu

fördern, deren züchterische Anpassung an moderne Pro-

duktionsbedingungen Jahrzehnte dauern kann (Stamp

et al. 2012). Vielfältigere Fruchtfolgen, pflanzenbasierte

Proteinproduktion und lokale Produktion ernährungs-

physiologisch besonders wertvoller Pflanzen können nur

dann nachhaltig realisiert werden, wenn Züchtungsan-

strengungen auch in heutige Nischenkulturen, wie etwa

Pseudogetreide, Leguminosen, verschiedene Früchte und

Gemüse oder Medizinal- und Aromapflanzen, einfliessen.

Eine staatliche Investition ist bei diesen Kulturen von

grosser Bedeutung, da für die private Züchtung die Zeit-

räume eines «return on investment» oft zu lang sind.

Staatliche Investitionen in die Züchtung von Nischenkul-

turen können sich jedoch mittelfristig wirtschaftlich loh-

nen (Maredia et al. 2010) und sind im Hinblick auf die

Resilienz unserer landwirtschaftlichen Systeme sowie auf

die Diversität des Handelsportfolios und des Speiseplans

des Konsumenten eine grosse Bereicherung. Die Weiter-

entwicklung von Raps und Soja zeigt, welche ökonomi-

sche Tragweite züchterische Verbesserungen von einst-

mals weniger nachgefragten Kulturen entfalten können.

In der Schweiz entwickelte Sojasorten erfahren derzeit

im Rahmen der Donau-Soja Initiative zur Bereitstellung

von Futtermitteln aus Europa eine gesteigerte Nachfrage.

Kooperationsmodelle in der Pflanzenzüchtung

Durch geeignete Kooperationsmodelle lassen sich natio-

nale und internationale, sowie öffentliche und private

Kräfte bündeln, um die Pflanzenzüchtung wirtschaftlich

noch effizienter und konkurrenzfähiger zu machen.

Offen bleibt jedoch, ob die Zukunft der Pflanzenzüch-

tung, welche verstärkt durch technologischen Fortschritt

geprägt sein wird, nicht flexiblere und ganzheitlichere

Ansätze verlangt. Ansätze, welche Forschung, Technolo-

gieentwicklung und Anwendung, praktische Pflanzen-

züchtung und die Ausbildung in Kompetenzzentren

integrieren. Solche Zentren bieten eine ideale Plattform,

um inter- und transdisziplinäre Programme in der Pflan-

zenzüchtung erfolgreich zu initiieren und die Entwick-

lung neuer Sorten umzusetzen. Erfolgreiche Beispiele

für solche «Zentren» kommen bisher meist aus den

USA4,5. Sie erlauben es, schneller und effizienter auf die

dynamischen Veränderungen des Umfelds (Nachfrage

nach Kulturarten, Zuchtziele, Technologien) zu reagie-

ren. Die kritische Masse an multidisziplinären Experten

in solchen Zentren ist Voraussetzung für Wissensaus-

tauch und Ausbildung, so dass gut ausgebildete künf-

tige Generationen sich den Herausforderungen in der

Pflanzenzüchtung stellen können. n

Dank

Die Autoren danken dem Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) für die finanzielle Unterstützung zur Durchführung der Umfeldanalyse.

4 http://www.plantbreedingcenter.ncsu.edu/index.html5 http://plantbreeding.illinois.edu/

Page 53: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

373

Die Schweizer Pflanzenzüchtung – eine räumliche, zeitliche und thematische Analyse des Umfeldes | Pflanzenbau

Ria

ssu

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Sum

mar

y

Il miglioramento genetico vegetale in Svizzera –

un’ analisi spaziale, temporale e tematica

La varietà di piante coltivate in Svizzera e

l’efficienza che queste hanno in termini agricoli

sta cambiando nel tempo. Tradizionalmente, le

produzioni cerealicole, orticole e foraggiere

hanno giocato un ruolo privilegiato nell’agricol­

tura Svizzera ed è quindi fondamentale mante­

nere la loro produttività viste le future condi­

zioni socioeconomiche e ambientali. Tuttavia,

continuare a focalizzare l’attenzione solo sulle

specie economicamente rilevanti potrebbe

impedire di sfruttare appieno le possibilità che

la riscoperta di colture dimenticate e poco

utilizzate offre alla Svizzera. Il miglioramento

genetico delle piante coltivate è ottenuto

tramite il cosiddetto breeding vegetale. Un

processo di miglioramento genetico innovativo

ed efficiente è determinante al fine di produrre

nuove varietà che si rivelino superiori per

caratteristiche come resa, qualità, resistenza a

malattie e stress ambientali. Miglioramenti

tecnici nel settore agricolo, in quello della

trasformazione dei prodotti alimentari e nel

settore del breeding influenzano in maniera

netta le relazioni tra le possibilità del breeding

vegetale e le caratteristiche ricercate, rendendo

difficili le previsioni sul futuro di tali ricerche in

Svizzera nei prossimi decenni. Tuttavia, il

Governo Svizzero può influenzare notevolmente

le attività di miglioramento genetico vegetale

attraverso adeguamenti strutturali, programmi

di sviluppo e finanziamenti statali al fine di

supportare programmi di breeding per specie

agricole accuratamente selezionate. Tali misure

possono aiutare a migliorare la sostenibilità

ambientale, la soddisfazione dei consumatori e

il successo economico svizzero e porteranno di

conseguenza al rafforzamento del ruolo della

Confederazione all’interno del sistema alimen­

tare mondiale.

Agrarforschung Schweiz 5 (9): 366–373, 2014

Literatur ▪ Agroscope, 2013. Liste der empfohlenen Sorten von Futterpflanzen 2013 – 2014. Forschungsanstalt Agroscope Changins-Wädenswil (ACW) und Forschungsanstalt Agroscope Reckenholz-Tänikon (ART).

▪ BDP (2013) Geschäftsbericht. Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter e.V. (BDP), Bonn, Deutschland.

▪ Hund A., Fossati D., Mascher F. & Stamp P., 2014. Hybridgetreide hat Zu-kunft. Agrarforschung Schweiz, 5 (6),224–241.

▪ Khoury C.K., Bjorkman A.D., Dempewolf H., Ramirez-Villegas J., Guarino L., Jarvis A., Rieseberg L.H., Struik P.C., 2014. Increasing homogeneity in global food supplies and the implications for food security. Proc Natl Acad Sci USA 111 (11), 4001-4006. doi:10.1073/pnas.1313490111.

▪ Maredia M.K., Bernsten R. & Ragasa C., 2010. Returns to public sector plant breeding in the presence of spill-ins and private goods: The case of bean research in Michigan. Agricultural Economics 41 (5), 425–442.

▪ Noleppa S. & von Witzke H., 2013. Die gesellschaftliche Bedeutung der Pflanzenzüchtung in Deutschland. Einfluss auf soziale Wohlfahrt, Ernäh-rungssicherung, Klima- und Ressourcenschutz. HFFA Working Paper 02/2013. Humblodt Forum for Food and Agriculture e.V. (HFFA), Berlin, Deutschland.

▪ Stamp P., Messmer R. & Walter A., 2012. Competitive underutilized crops will depend on the state funding of breeding programmes: An opinion on the example of Europe. Plant Breeding 131 (4): 461–464.

The Swiss plant breeding sector – a spatial,

temporal and thematic analysis

The spectrum of crop species grown within

Switzerland as well as their agricultural

performance is changing over time. Tradition­

ally, cereal, horticultural and forage production

play a major role in Swiss agriculture, and it is

crucial to maintain the productivity of these

crops under future socio­economic and

environmental conditions. However, to focus

on only these economically important crops

might prevent the realisation of beneficial

options that neglected and underutilised crop

species offer for Switzerland. Continuous

improvement of crops is achieved through

plant breeding. Plant breeding is crucial to

producing novel varieties that are superior in

traits such as yield, quality and resistance to

diseases and environmental stresses. Technical

developments in farming, food processing and

breeding affect the relation between plant

breeding possibilities and desired traits — and

so does the global nature of the agro­food

sector. It is difficult to predict how the require­

ments and the focus of Swiss plant breeding

efforts will develop in the coming decades.

Yet, the Swiss Government can influence plant

breeding activities by structural adjustments,

development programmes and state funding

to launch and maintain breeding programmes

for well­chosen crops. Such activities could

help improve sustainability, consumer satisfac­

tion and economic success in Switzerland and

would further strengthen the position of the

country within the world food system.

Key words: crops, plant breeding, plant

production, word food system.

Page 54: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

374 Agrarforschung Schweiz 5 (9): 374–377, 2014

Abgesehen von der Getreidezüchtungsforschung Dar-

zau und Dottenfelderhof wird die Flugbrandanfällig-

keit züchterisch nicht bearbeitet, weil der Flugbrand

mit den systemisch wirkenden Beizmitteln kostengüns-

tig und wirksam reguliert werden kann. Doch das Saat-

gut für den Bio-Anbau muss entsprechend den Bio-

Richtlinien (Bio-Suisse 2014) ohne Einsatz von

chemisch-synthetischen Beizmitteln erzeugt werden.

Dies hatte in den letzten Jahren zur Folge, dass – ins-

besondere bei Gerste – Vermehrungsbestände wegen

zu hohem Flugbrandbesatz (> 5 Brandähren pro 100 m²)

nicht anerkannt wurden.

Sporen des Flugbranderregers Ustilago nuda infizie-

ren die Gerste im Blütenstadium und das daraus gebil-

dete Myzel überlebt im Embryo bis zur Saat. Bis heute

gibt es keine einfach anwendbaren Nachweismethoden

für Flugbrand im Saatgut, so dass ein Saatgutbefall erst

beim Ährenschieben festgestellt werden kann.

Bei befallenem Saatgut bilden die Pflanzen anstelle

gesunder Ähren Brandähren (Abb. 1). Die über den

Wind verbreiteten Brandsporen gelangen auf die blü-

henden Ähren gesunder Pflanzen und infizieren den

Embryo der neuen Kornanlage. Infizierten Körnern ist

die Infektion äusserlich nicht anzusehen, weshalb sie

sich nicht über die Saatgutreinigung entfernen lassen.

Bis jetzt gibt es im Bio-Anbau keine wirksame und

praxisgerechte Saatgutbeizmethode gegen den Flug-

brand. Mit dem biologischen Pseudomonas-Produkt

Cedomon® (Heinonen 2011) oder der physikalischen

Heissluftbehandlung ThermoSeed® (Forsberg 2004) wird

der Flugbrand nicht wirksam reguliert. Die derzeitig ein-

zige wirksame und verträgliche Behandlungsmethode,

um das Myzel im Embryo des Keimlings zu erfassen, ist

die Warmwasserbehandlung – wobei sich diese bis jetzt

in der Praxis nicht etabliert hat. Für die Bio-Saatgutver-

mehrung der Gerste besteht daher dringender Bedarf

nach Sorten mit einer geringen Flugbrandanfälligkeit

und nach einer praxistauglichen Saatgutbehandlung,

die den samenbürtigen Flugbrandbefall effizient kont-

rolliert.

Bis jetzt gibt es im Bio­Anbau keine wirksame und pra­

xisgerechte Saatgutbeizmethode gegen den Flugbrand.

Deshalb hat Agroscope die Flugbrand­Anfälligkeit ver­

schiedener Wintergerstesorten und alternative Saatgut­

behandlungsmethoden geprüft. Neben der Warmwas­

serbehandlung erwiesen sich Anwendungen mit Ethanol

als vielversprechend, obwohl sie die Keimfähigkeit der

behandelten Samen reduzierten.

Gerstenflugbrand: Sortenanfälligkeit und BekämpfungsalternativenHeinz Krebs1, Andreas Kägi1, Irene Bänziger1, Christine Herzog2, Thomas Hebeisen2, Susanne Vogelgsang1 und

Laure Weisskopf1

1Agroscope, Institut für Nachhaltigkeitswissenschaften INH, 8046 Zürich, Schweiz2Agroscope, Institut für Pflanzenbauwissenschaften IPB, 1260 Nyon, Schweiz

Auskünfte: Laure Weisskopf, E-Mail: [email protected]

K u r z b e r i c h t

Abb. 1 | Flugbrandähren im Wintergerstenversuch 2014 in Rüm-lang: Statt einer gesunden Kornanlage werden Brandsporen gebil-det, die mit dem Wind verfrachtet oder vom Regen abgewaschen werden, so dass schliesslich nur noch die aufrecht stehenden Äh-renspindeln zurückbleiben. (Foto: Gabriela Brändle, Agroscope)

Page 55: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

Gerstenflugbrand: Sortenanfälligkeit und Bekämpfungsalternativen | Kurzbericht

375Agrarforschung Schweiz 5 (9): 374–377, 2014

Nachstehend werden Ergebnisse eines Sortenanfällig-

keitsversuchs und Ansätze, den Flugbrand über eine

Saatgutbehandlung zu regulieren, vorgestellt.

Sortenprüfung

Im Jahr 2011 wurden 20 Sorten, die parallel in der Sor-

tenprüfung standen, in Kleinparzellen (7 m²) zwischen

zwei Infektionsbahnen der Sorten Ulla und Express,

beide mit Flugbrand befallen, gesät. Dadurch waren alle

Sorten während der Blüte denselben Infektionsbedin-

gungen ausgesetzt. Das aufbereitete Erntegut dieser

20 Prüfsorten wurde anschliessend im Herbst 2012 unbe-

handelt bzw. mit 40 ml/kg Lebermooser® behandelt in

einem Kleinparzellenversuch mit je drei Wiederholun-

gen ausgesät. Nach dem Ährenschieben im Sommer

2013 wurde der Flugbrandbefall pro Parzelle ermittelt.

Der Sortenanfälligkeitsversuch wurde im Herbst 2013

nochmals angelegt und im Mai 2014 der Flugbrandbefall

überprüft.

Versuche mit verschiedenen Behandlungsmethoden

Beim Produkt Lebermooser® handelt es sich um ein etha-

nolisches Moos-Extrakt (70 % EtOH) mit Wirkung gegen

Gerstenflugbrand (Jahn 2010). In einem weiteren Klein-

parzellenversuch mit der von Flugbrand befallenen Sorte

Ulla wurde die Wirksamkeit der Lebermooser®-Behandlung

(40 ml/kg) mit einer 70-prozentigen Ethanol-Behandlung

(40 ml/kg) und der Warmwasserbehandlung (2 Std. bei

45 °C) verglichen. Die Lebermooser®- und die Ethanol-

Behandlungen wurden in zwei Varianten geprüft: Zum

Einen wurde das behandelte Saatgut unmittelbar nach

der Applikation abgepackt und verschlossen; in einer

anderen Variante blieb das behandelte Saatgut vor dem

Absacken eine Stunde offen stehen.

Im darauf folgenden Jahr (Herbst 2013) wurde in

einem Kleinparzellenversuch mit der Sorte Ulla die Wirk-

samkeit und Verträglichkeit tiefer dosierter Ethanol-

Behandlungen (20 bzw. 30 ml/kg) sowie zweier Ethanol-

Heissluftvarianten 65 °C; 1 bzw. 2 Tage, geprüft – dies im

Vergleich zu einer Wasser- und Ethanol-Dampfbehand-

lung (2 Min. bei 65 °C) sowie zur Warmwasserbehand-

lung (2 Std. bei 45 °C). Bei den beiden Ethanol-Heissluft-

varianten war das Saatgut dem in der Luft angereicherten

Ethanol ausgesetzt.

Bei allen Verfahren der Feldversuche wurde die

Keimfähigkeit des Saatguts untersucht. Dazu wurden

200  Körner zwischen feuchtem Filterpapier ausgelegt

und zuerst fünf Tage bei 10 °C im Dunkeln vorgekühlt,

anschliessend drei Tage bei 20 °C und 8 Stunden Licht

und 16 Stunden Dunkelheit inkubiert. Danach wurde die

Anzahl der gekeimten Körner ermittelt.

Sorte Cassiopee mit geringstem Befall

Bei den Wintergerste-Sortenversuchen resultierten im

Mittel der beiden Versuchsjahre deutliche Unterschiede

in der sortenspezifischen Flugbrandanfälligkeit (Abb. 2).

Die Sorte Cassiopee war mit 0,8 Prozent am wenigsten

befallen, während die Sorte Sandra mit 21,0 Prozent

mit  Abstand den höchsten Befall aufwies. Mit der

Lebermooser®-Behandlung wurde der Flugbrandbefall

0

5

10

15

20

25

Sand

ra

Carava

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KWS Meri

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Cantar

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Henrie

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ia

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0

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116A

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Cassiop

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Flug

bran

dbef

all i

n %

Jahr 2013

Jahr 2014

Abb. 2 | Flugbrand bei der Wintergerste: Sortenanfälligkeitsversuch der Jahre 2013 und 2014. Flugbrandbefall: Mittelwerte aus drei Wiederholungen mit Standardabweichung.

Page 56: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

Kurzbericht | Gerstenflugbrand: Sortenanfälligkeit und Bekämpfungsalternativen

376 Agrarforschung Schweiz 5 (9): 374–377, 2014

über alle Sorten um über 90 Prozent reduziert. Aller-

dings wurde mit der Lebermooser®-Dosierung von 40 ml/kg

die Keimfähigkeit im Mittel aller Sorten von 97 auf

72 Prozent herabgesetzt.

Ethanol hemmt Flugbrand – und Keimfähigkeit

Weitere Flugbrandversuche, die 2013 mit der Sorte Ulla

durchgeführt wurden, und die eine Ethanol-Kontrolle

beinhalteten, zeigten eindeutig, dass sich die sehr gute

Lebermooser®-Wirkung gegen den Flugbrand – nicht

ausschliesslich, aber weitgehend – auf die Ethanol-Kom-

ponente zurückführen lässt (Abb. 3).

Ebenso deutlich war die limitierte Ethanol-Verträg-

lichkeit zu erkennen. Wurde zum Beispiel das Saatgut

unmittelbar nach der Lebermooser®– oder Ethanol-

Behandlung verschlossen abgepackt, so wurde die Keim-

fähigkeit massiv beeinträchtigt. Bemerkenswert bei den

beiden «offenen» Behandlungsvarianten ist die signifi-

Ethanol 70%40 ml/kg geschlossen

Ethanol 70%40 ml/kg offen

Lebermooser®

40 ml/kg geschlossen

Lebermooser®

40 ml/kg offen

Warmwasser45 °C 2h

Unbehandelt

0 3 6 9 12 100 75 50 25

Keimfähigkeit in % Flugbrandbefall in %

A

D

C

E

B

E

Abb. 3 | Behandlungen gegen Gerstenflugbrand im Jahr 2013 bei Wintergerste Ulla. Flugbrandbefall: Mittelwerte aus vier Wiederholungen mit Standardabweichung (unterschiedliche Buchstaben kenn-zeichnen signifikante Verfahrensunterschiede, Duncan-Test, P < 0,05), Keimfähigkeit: Durchschnitt von je 200 untersuchten Körnern.

Ethanol 70%Heissluft 65°C 2 Tage

Ethanol 70%Heissluft 65°C 1 Tag

Ethanol 70% Dampf65°C 2 Minuten

Wasserdampf65°C 2 Minuten

Ethanol 70%30 ml/kg

Ethanol 70%20 ml/kg

Warmwasser45 °C 2h

Unbehandelt

Keimfähigkeit in %

Flugbrandbefall in %

A

A

C

A

C

B

C

A

100 80 60 40 20 0 5 10 15 20

Abb. 4 | Behandlungen gegen Gerstenflugbrand im Jahr 2014 bei Wintergerste Ulla. Flugbrandbefall: Mittelwerte aus vier Wiederholungen mit Standardabweichung (unterschiedliche Buchstaben kenn-zeichnen signifikante Verfahrensunterschiede, Duncan-Test, P < 0,05), Keimfähigkeit: Durchschnitt von je 200 untersuchten Körnern.

Page 57: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

Gerstenflugbrand: Sortenanfälligkeit und Bekämpfungsalternativen | Kurzbericht

377Agrarforschung Schweiz 5 (9): 374–377, 2014

S c h l u s s f o l g e r u n g e n

Mit Ausnahme der Heissluftverfahren zeigten die Etha-

nol-Applikationen eine Wirkung von bis zu 86 Prozent

gegen den Gerstenflugbrand. Damit werden Untersu-

chungsergebnisse eines deutschen Forschungsprojekts

bestätigt, in dem für Ethanol-Behandlungen oder deren

Kombinationen mit Pflanzenauszügen eine reduzie-

rende Wirkung auf Flugbrand nachgewiesen wurden

(Koch 2012).

Die gute Ethanol-Wirkung wird jedoch durch die Saat-

gutverträglichkeit limitiert. Im Gegensatz dazu ist die

Warmwasserbehandlung sehr wirksam und Saatgut-ver-

träglich. Solange diese effiziente Methode ihren Weg

zur Praxis nicht gefunden hat, bieten Ethanol-basie-

rende Verfahren eine mögliche Lösung, den Flugbrand-

befall auf dem Saatgut zu kontrollieren. Die tiefere

Keimfähigkeit bei der Saatgutvermehrung kann durch

eine erhöhte Saatmenge aufgefangen werden.

Wegen der tieferen Wirkungsgrade der Alternativ-

behandlungen im Vergleich zur chemischen Beizung

(70 % statt 95 %) ist die Frage der Flugbrandanfälligkeit

der Sorten umso bedeutender. Bei den Sortenempfeh-

lungen ist daher – insbesondere für den Bio-Gerstenan-

bau – die geringere Flugbrandanfälligkeit als ein wichti-

ges Element mitzuberücksichtigen. n

kant höhere Lebermooser-Wirkung im Vergleich zur

Ethanol-Behandlung, was wahrscheinlich auf die fungi-

zide Wirkung der Moos-Komponenten zurückzuführen

ist, die im Unterschied zu Ethanol, nicht verdampfen.

Ethanol nur in hohen Konzentrationen wirksam

Aufgrund der begrenzten Verträglichkeit wurde im Ver-

suchsjahr 2014 die Ethanol-Dosierung auf 30 bzw. 20 ml/

kg reduziert. Die tieferen Ethanol-Dosierungen waren

dann auch verträglicher (Abb. 4). Die Ethanol-Behand-

lung mit 20 ml/kg war jedoch weniger wirksam gegen

den Flugbrand als die 30 ml/kg Dosierung. Mit 30 ml/kg

Ethanol wurde eine mit der Warmwasserbehandlung

vergleichbare Wirkung erzielt.

Die gut wirksame Ethanol-Dampfbehandlung bei

65 °C während 2 Minuten beeinträchtigte jedoch die

Keimfähigkeit. Demgegenüber waren die Heissluftver-

fahren verträglich, aber gegen den Flugbrand nicht

wirksam, möglicherweise weil die mit Ethanol angerei-

cherte Heissluft nicht bis zum infizierten Embryo vor-

dringt.

Literatur ▪ Bio Suisse, 2014. Richtlinien für die Erzeugung, Verarbeitung und den Handel von Knospe-Produkten, S. 48.

▪ Forsberg G., 2004. Control of Cereal Seed-borne Diseases by Hot Humid Air Seed Treatment. PhD thesis, Swedish University of Agricultural Scien-ces, Uppsala, 49 S.

▪ Heinonen U., 2011. Cereals / Control of leaf diseases. Comparison of seed treatment fungicides on the market in finland in spring barley. Herbici-des, fungicides and insecticides. MTT Agrifood Research Finland, Jokioi-nen, S. 4.

▪ Jahn M., 2010. Saatgutbehandlung im ökologischen Landbau. Julius-Kühn-Institut, Kleinmachnow.

▪ Koch E., 2012, Optimierung von Saatgutbehandlungsmitteln mit Wirkung gegen Flugbrand an Gerste und Weizen (Ustilago nuda, U. tritici) unter Nutzung verbesserter Verfahren zum Nachweis der Erreger. Julius Kühn Institut 2012, S. 38

Page 58: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

378 Agrarforschung Schweiz 5 (9): 378–381, 2014

K u r z b e r i c h t

Zum Internationalen Jahr der bäuerlichen Familienbe-

triebe fand am 24. und 25. April 2014 in Zollikofen (BE)

eine Tagung zum Thema «Wachstum in der Land- und

Ernährungswirtschaft» statt. Organisiert wurde sie von

fünf agrarwissenschaftlichen Fachgesellschaften und

vom Schweizer Verband für Ingenieur-Agronomen und

Lebensmittelingenieure (SVIAL). Zum Abschluss der

Tagung diskutierten Teilnehmerinnen und Teilnehmer

An der Tagung «Wachstum in der Land­ und Ernährungs­

wirtschaft», die im April in Zollikofen stattfand, disku­

tierten Fachleute aus Forschung, Beratung und Praxis im

Rahmen eines World Cafés über Wachstumsstrategien

von Familienbetrieben. Thematisiert wurden insbeson­

dere die Zusammenarbeit von Betrieben, der Einsatz

von Technik und Wissen sowie soziale und emotionale

Aspekte von Betriebsgemeinschaften.

World Café «Wachstum in der Landwirtschaft»

Linda Reissig, Agroscope, Institut für Nachhaltigkeitswissenschaften INH, 8046 Zürich, Schweiz

Auskünfte: Linda Reissig, E-Mail: [email protected]

Die Methode des World Cafés ermöglicht intensive Diskussionen in kleinen Gruppen. (Foto: Michel Roux, SVIAL)

Page 59: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

World Café «Wachstum in der Landwirtschaft» | Kurzbericht

379Agrarforschung Schweiz 5 (9): 378–381, 2014

aus Forschung, Beratung und Praxis im Rahmen eines

World Cafés (siehe Kasten) über die Herausforderun-

gen von Bauernfamilien, die sich zum Ziel gesetzt

haben, ihr Einkommen zu einem bedeutenden Teil über

die Produktion und Vermarktung von Lebensmitteln zu

erwirtschaften. An drei konkreten Betriebsbeispielen

wurden drei mögliche Wachstumsstrategien präsen-

tiert (Tab.1). Zu jedem Betrieb wurden die Themen

«ausserbetrieb liche Rahmenbedingungen», «Technik

und Wissen» sowie «soziale und emotionale Aspekte»

diskutiert. Die wichtigsten Ergebnisse des Austauschs

an den insgesamt neun Tischen sind im Folgenden

zusammengefasst.

Ausserbetriebliche Rahmenbedingungen

Zusammenarbeitsformen stellen eine Möglichkeit des

Betriebswachstums dar, aber nicht sehr viele Betriebe

gehen diesen Weg. Nebst den Rahmenbedingungen auf

staatlicher und gesellschaftlicher Ebene sind nämlich

auch Voraussetzungen wie die Persönlichkeit des Land-

wirts beziehungsweise der Landwirtin wichtig (siehe sozi-

ale und emotionale Aspekte). Denn um solche Projekte

zu verwirklichen, braucht es unternehmerisches Denken,

Innovationsfreude, Risikobereitschaft und Durchhaltewil-

len. Zudem beginnt die Zusammenarbeit in den Köpfen.

Als Haupthindernis wurde denn auch der Individualismus

im bäuerlichen Familienbetrieb identifiziert. Oft wird

daher zu Einkommenserhöhung mit dem Nebenerwerb

ein ausserbetrieblicher Weg gewählt.

Doch eine Zusammenarbeit hat verschiedene Vor-

teile: Mehrere Partner einer Gemeinschaft bringen ein

grösseres Wissen in den Betrieb, so dass Spezialisierun-

gen und Ergänzungen möglich sind. Auch ist eine

gemeinsame Maschine billiger als eine Maschine auf

jedem Betrieb. Zwar muss die Finanzierung gesichert

sein, doch in der Regel sind für Zusammenarbeitspro-

jekte Finanzhilfen nach der Strukturverbesserungsver-

ordnung möglich. Manchmal sind auch Zwischenschritte

erforderlich.

Die Praxispartner haben im World Café die Erwar-

tung geäussert, dass die Agrarpolitik Zusammenarbeits-

formen weder speziell fördern soll, noch behindern darf.

Einschränkungen beim Wachstum sind allenfalls durch

die Belastungsgrenze beziehungsweise Anforderungen

der Raumplanung und Luftreinhalteverordnung zu

erwarten. Das neue Punktesystem zur Beurteilung und

Überwachung der Erosion auf Ackerparzellen stellt

ebenfalls ein Hindernis dar.

Die Flächenmobilität ist mit gesetzlichen Bestimmun-

gen sehr schwierig zu fördern. Das Bundesgesetz über

das bäuerliche Bodenrecht müsste kritisch überprüft

werden, wobei zusätzliche Lockerungen auch negative

Folgen für die produzierende Landwirtschaft haben

können. Sehr hilfreich ist es in jedem Fall, wenn Land-

wirte und Landwirtinnen in den jeweiligen Entschei-

dungsbehörden engagiert sind.

Marktchancen liegen auch bei der Strategie einer

Bündelung der Kräfte. Zwei oder mehrere Partner sind

stärkere Marktpartner, sowohl im Beschaffungs- als auch

im Absatzmarkt. Eine Veränderung, die es in den nach-

gelagerten Sektoren braucht, ist die Verlängerung der

Wertschöpfungskette. Zudem sollten Kreisläufe ge-

schlossen werden. Die Haltung der Konsumentinnen

Mögliche Wachstumsstrategie Beispielbetrieb

A Ressourceneffizienz steigern, z. B. durch Einsatz moderner Technik Betriebsgemeinschaft mit 220 Kühen, kostengünstige Technik

BProduzierte Menge steigern, z. B. durch mehr Fläche

oder höhere Tierbestände3 Betriebe mit insgesamt 260 ha LN, die in einer AG 50 ha Kartoffeln

produzieren, hoch entwickelte Technik

CWertschöpfung steigern, z. B. durch verbesserte Qualität oder

VerarbeitungSchweinezuchtbetrieb mit 220 Muttersauen, Vermarktung mit Label

Tab. 1 | Wachstumsstrategien und Beispielbetriebe

Das World Café

Die Methode des World Cafés wird häufig ein­

gesetzt, um verschiedene Akteure miteinan­

der ins Gespräch zu bringen und zu vernetzen.

Sie ermöglicht intensive Diskussionen in klei­

nen Gruppen. An mehreren Tischen werden

Fragen zum Thema diskutiert. Ein besonderes

Merkmal des World Cafés ist der mehrmalige

Wechsel der Teilnehmenden von Tisch zu Tisch

und die damit verbundene Durchmischung der

Gruppen. Die wichtigsten Beiträge werden

auf Pinnwänden festgehalten (Abb. 1). Am

Ende präsentieren die Gastgeber der Tische

ihre Ergebnisse im Plenum.

Weitere Informationen:

http://www.theworldcafe.com/translations/

Germancafetogo.pdf

Page 60: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

Kurzbericht | World Café «Wachstum in der Landwirtschaft»

380 Agrarforschung Schweiz 5 (9): 378–381, 2014

und Konsumenten bezüglich Grösse wurde kontrovers

diskutiert. Ganz wichtig ist ein fairer Umgang mit allen

Partnern.

Technik und Wissen

Zur Umsetzung des Wachstums sind auch neue Fähig-

keiten und Kenntnisse nötig. Wird die Wertschöpfung

gesteigert, muss der Landwirt im Regelfall erweiterte

Fachkenntnisse erwerben. Wanderjahre vor der Be-

triebsübernahme oder Arbeitskreise können Impulse

und Fachwissen vermitteln. Neue Informationskanäle

(v.a. im Internet) gewinnen stark an Bedeutung. Das

Wachstum bedingt zudem meist zusätzliches Personal.

Dies verlangt vom Betriebsleiter oder der Betriebsleite-

rin Führungskompetenz, Sozialkompetenz, Kommuni-

kationsfähigkeit und Vertrauen in Partner und Mitar-

beiter. Die permanente Bereitschaft, Neues zu lernen,

ist unabdingbar.

Zudem müssen technische Herausforderungen

gemeistert werden. Die verschiedenen Prozesse im

Betrieb werden zunehmend durch Technik und Informa-

tionstechnologie unterstützt. Die Datenvernetzung ist

noch stark verbesserungsfähig. Es fehlt beispielsweise an

einfacher, flexibler Software. Die dazu nötige Technik ist

meist nicht ab Stange verfügbar. Die Bedienung der

modernen Technik erfordert zunehmend sehr gut aus-

gebildete Mitarbeiter, und diese sind rar und teuer. Stell-

vertretungen können unter diesen Voraussetzungen

kaum gewährleistet werden. Der Betrieb wird stärker

von Techniklieferanten abhängig.

Auch an die Beratung und die angewandte Forschung

stellt das Wachstum spezifische Anforderungen. Trotz-

dem sollten die Beratungskräfte eine gute Gesamtüber-

sicht haben und unabhängig sein. Gute und unabhän-

gige Fachberatung ist, so stellte sich in der Diskussion

heraus, Mangelware. Überkantonale oder kulturspezifi-

sche Angebote könnten hier eine Verbesserung bringen

(z.B. Profigruppen). Viel wertvolle Information bringt der

horizontale Wissens- und Erfahrungstransfer zwischen

Betriebsleitern. Die Forschung sollte der Praxis um Jahre

voraus sein und neue Ergebnisse und Erkenntnisse so prä-

sentieren, dass sie wahrgenommen wird. Sie sollte ange-

wandt sein und auf die Bedürfnisse der Schweizer Land-

wirtschaft fokussiert sein.

Abb. 1 | Beispiel einer Ergebnisübersicht des World Cafés. (Foto: Sandra Contzen)

Page 61: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

World Café «Wachstum in der Landwirtschaft» | Kurzbericht

381Agrarforschung Schweiz 5 (9): 378–381, 2014

Das Wachstum mit einer Betriebsgemeinschaft stellt

auch Anforderungen an die Kommunikation und die

Rücksichtnahme unter den Beteiligten, innerhalb der

Betriebe und mit den Partnerbetrieben. Eine offene

Kommunikation ist aber nicht nur wichtig bei Betriebs-

gemeinschaften und auch nicht nur im Hinblick auf

Wachstum, sondern ganz generell, auch familienintern.

Formen der Kommunikation müssen geklärt sein: Wie

und wann kommuniziert man? Gut ist es, einen Plan für

den Krisenfall zu haben: Wo holen wir Hilfe? Das

Bewusstsein für die Bedeutung der Kommunikation

sollte gefördert werden.

Wachstum – keine Frage?

Was bedeutet Wachstum? Wachstum in welcher Dimen-

sion und bis zu welchem Niveau? Diese Fragen liess das

World Café weitgehend aus. Eigenständigkeit und ver-

mehrte Freizeit klangen als weitere Zieldimension neben

ökonomischem Wachstum an. Im Kontext der Tagung –

dem UNO-Jahr der bäuerlichen Familienbetriebe – wäre

sicher die Frage nach möglichen unerwünschten Neben-

wirkungen des Wachstums im sozialen oder ökologi-

schen Bereich interessant gewesen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die auf der

Tagung diskutierten Wachstumsstrategien Betriebe und

deren Familien vor vielschichtige Herausforderungen

stellen. n

Soziale und emotionale Aspekte

Die Gründung einer Betriebsgemeinschaft oder andere

Zusammenarbeitsformen sind aus Sicht der Teilnehmen-

den die einzige Möglichkeit, um zu wachsen und trotz-

dem Lebensqualität zu haben. Aber: Betriebsgemein-

schaften stellen grosse Anforderungen, insbesondere im

sozialen und emotionalen Bereich. Denn die Koopera-

tion von Betrieben ist menschlich sehr anspruchsvoll und

erfordert neben klaren Regelungen auch eine gute

Kommunikationsfähigkeit aller Partner. Zwischen-

menschliche Aspekte sind bei Betriebsgemeinschaften

entscheidend dafür, ob sie funktionieren oder nicht.

Wichtig ist, dass beide Parteien gleichwertige Partner

sind. Es braucht gegenseitiges Vertrauen, Toleranz und

Akzeptanz. Eine Betriebsgemeinschaft ist eine Gemein-

schaft auf Zeit. Vor allem der Generationenwechsel ist

für Betriebsgemeinschaften eine kritische Phase.Die Motivation zu wachsen speist sich aus zahlreichen

Quellen. Einerseits spielt die Freude an der Arbeit eine

grosse Rolle. Anderseits ist eine sehr wichtige Motivation,

Freiräume für sich und die Familie zu schaffen. Aber auch

das Beschreiten neuer Wege wurde genannt. Weiter

wurde diskutiert, dass für einige Landwirte und Landwir-

tinnen Wachstum auch aus Prestigegründen geschieht.

Neid von Nachbarbetrieben, die einem Betrieb nicht gön-

nen, wenn er wächst und Erfolg hat, kann die Motivation

hemmen. Neid scheint allerdings ein regional unter-

schiedlich anzutreffendes Problem zu sein.

Im Rahmen von Wachstum ist die steigende Arbeits-

belastung ein wichtiges Thema. Wenn Landwirte, Land-

wirtinnen und ihre Familien an die Grenzen der Arbeits-

belastung stossen, merkt man das gemäss den

Teilnehmenden an den gleichen Anzeichen wie bei der

nicht-landwirtschaftlichen Bevölkerung: Gereiztheit,

höhere Krankheitsausfälle bei den Angestellten und die

Rückmeldung der Familie, dass es genug sei, sind Indika-

toren. Liegen Freizeit und Ferien nicht mehr drin, sollten

Alarmglocken läuten. Sich den eigenen Grenzen bewusst

zu sein, ist somit sehr wichtig.

Page 62: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

382

P o r t r ä t

Agrarforschung Schweiz 5 (9): 382, 2014

Die Faszination für die Landwirtschaft wurde Beat Reidy

in die Wiege gelegt. Als einziger Sohn einer sechsköpfi-

gen Familie auf einem Bauernhof aufgewachsen, schien

sein Weg vorgezeichnet: Eine Tätigkeit in der Landwirt-

schaftsbranche. Diesen Weg hat er auch eingeschlagen

und arbeitet heute als Dozent für Wiederkäuersysteme

und Futterbau an der Hochschule für Agrar-, Forst- und

Lebensmittelwissenschaften HAFL. Er habe sich aber

nicht von Erwartungen anderer leiten lassen, erklärt er:

«Ich bin stets meinen Interessen gefolgt. Zudem hatte

auch der Zufall immer wieder seine Finger im Spiel.»

Versuchsfeld oder Atelier

Denn es hätte auch anders kommen können. Beat Reidy

zog nach dem Gymnasium verschiedene Optionen für

seine berufliche Laufbahn in Betracht – vom Studium in

Ingenieurwesen bis zur Kunstgewerbeschule. Er entschied

sich für sein grösstes Interesse und das war die Landwirt-

schaft. Dass bei seinem Studium an der ETH Zürich Pflan-

zen und nicht Tiere im Zentrum stehen sollten, war für ihn

von Beginn weg klar: «Ich bin auf einem gemischten

Betrieb mit Saatgutproduktion aufgewachsen. Zwar stand

da die Tierproduktion im Mittelpunkt, trotzdem faszinier-

ten mich Pflanzen vor dem Studium. Sie sind die Primär-

produzenten. Ohne sie läuft gar nichts.»

Von der Forschung in die Privatwirtschaft…

Nach seinem Abschluss bot sich ihm die Möglichkeit, an

der ETH zu dissertieren – eine Chance, die er begeistert

anpackte. Er tauchte in die Grundlagenforschung ein

und vertiefte sich in den Bereichen Graslandwissenschaf-

ten und Ökophysiologie. Mit dem Doktortitel im Gepäck

und nach einem Post Doc am Institut national de la

recherche agronomique (INRA) in Montpellier führte ihn

sein Weg ein erstes Mal an die HAFL. «Die Stelle als wis-

senschaftlicher Mitarbeiter an der HAFL war genau die

richtige zur richtigen Zeit. Sie brachte mich zurück zur

landwirtschaftlichen Produktion und auch wieder näher

an die Praxis.»

Nach fünf Jahren wollte er aber anderswo Erfahrungen

sammeln und sich weiterentwickeln. Bei der Eric Schweizer

AG wie später bei der Calcium Agro AG standen für ihn

Führungsaufgaben und Verkaufszahlen im Mittelpunkt.

… und zurück

Von dieser Zeit in der Privatwirtschaft habe er sehr profi-

tiert, meint er rückblickend. Und doch kehrte er ein paar

Jahre später wieder an die HAFL zurück. «Die Kombina-

tion von Lehre und angewandter Forschung lässt eine

Menge Spielraum für Kreativität und vielseitige Interes-

sen.» Und auch die Praxisnähe der HAFL schätzt Beat

Reidy: «Die Nähe zur Basis war mir immer wichtig. Am

Ende sind es schliesslich die Landwirtinnen und Land-

wirte, die im Zentrum unserer Arbeit stehen sollten.»

Das zeigt sich auch bei der Ausrichtung seiner For-

schungsprojekte. Er und sein Team streben Lösungen für

die Branche an, für eine ressourceneffiziente und wirt-

schaftliche Milchproduktion von Systembetrachtungen

bis zu angewandten futterbaulichen Fragestellungen.

Aktuell untersuchen sie unter anderem die Fütterungs-

praxis von Schweizer Milchproduktionsbetrieben und

analysieren die Ursachen für unterschiedliche Leistun-

gen aus dem Wiesenfutter. Und immer ist Beat Reidy mit

vollem Herzblut dabei.

Matthias Zobrist, Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittel-

wissenschaften HAFL

Beat Reidy: Forschen auf der grünen Wiese

Page 63: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

383

A k t u e l l

Agrarforschung Schweiz 5 (9): 383–387, 2014

Pflanzenzüchtungsstrategie Schweiz

Hochwertige Pflanzensorten sind für eine nachhaltige

und erfolgreiche Land- und Ernährungswirtschaft uner-

lässlich. Damit solche Sorten in der Schweiz langfristig

zur Verfügung stehen, erarbeitet das Bundesamt für

Landwirtschaft (BLW) zusammen mit Fachleuten aus

Forschung, Wirtschaft und interessierten Kreisen eine

Strategie für eine durch den Bund betriebene oder

durch ihn unterstützte Pflanzenzüchtung. Sie soll den

Entscheidungsträgern als Grundlage für die Ausrichtung

der Pflanzenzüchtung dienen. Sie soll Transparenz

schaffen, wofür und nach welchen Kriterien der Bund

öffentliche Mittel für die Pflanzenzüchtung einsetzt.

Dies betrifft nicht nur die eigene Züchtung durch Agro-

scope, sondern auch eventuelle Kooperationen mit

öffentlichen und privaten Partnern im In- und Ausland.

Eine vom BLW im 2013 durchgeführte Erhebung der

aktuellen Pflanzenzüchtung in der Schweiz zeigte, dass

eine öffentliche (Agroscope) und sechs private Organi-

sationen 44 überwiegend kleine Zuchtprogramme bei

40 Pflanzenarten betreiben. Die jährlichen Investitionen

liegen bei etwa zehn Millionen Franken, vier davon

öffentlich und sechs privat finanziert.

Pflanzenzüchtung ist ein langwieriger Prozess, es

wird mit grösseren Zeithorizonten gearbeitet. Damit

verbunden sind zahlreiche Unsicherheiten. Die Züch-

tung muss die zu erwartenden Entwicklungen frühzei-

tig antizipieren. Deshalb ist es wichtig, das zukünftige

Umfeld möglichst gut einschätzen zu können. Das Insti-

tut für Agrarwissenschaften der ETH Zürich hat dazu im

Rahmen der Strategieentwicklung und im Auftrag des

BLW eine Umfeldanalyse erstellt. Die Ergebnisse wer-

den in diesem Heft publiziert (Seite 366). Neben den

wissenschaftlichen Grundlagen sind auch das Wissen,

die Einschätzungen und Bedürfnisse der interessierten

beziehungsweise betroffenen Kreise für die Strategie

sehr wichtig. Deshalb will das BLW sie möglichst gut

einbeziehen. An einem Workshop im November 2013

konnten die interessierten Kreise bereits ihre Sichtwei-

sen einbringen. Das BLW wird am 25. November 2014

(Bern, 14 – 17 Uhr) über den bis dahin vorliegenden

Strategieentwurf informieren. Anschliessend wird die

Möglichkeit bestehen, im Rahmen einer informellen

Anhörung zum Entwurf noch Stellung zu nehmen.

Weitere Informationen über eine Tagung zum Thema

«Zukunft der Pflanzenzüchtung», die 2012 stattfand,

sowie über den oben erwähnten Workshop im Novem-

ber 2013 befinden sich auf der BLW-Website unter «The-

men» > Pflanzensorten, Züchtung, Genressourcen >

Pflanzenzüchtung.

Peter Latus, Bundesamt für Landwirtschaft BLW

Aktuelles

Parzellentechnik kombiniert mit GPS ermöglicht die vermischungsfreie Saat von Klee- und Gras-Einzelreihen bei gleichzeitig reduziertem Personalaufwand in der Futter-pflanzenzüchtung bei Agroscope in Reckenholz (ZH). Die automatische Auslösung des Säens am Parzellenanfang erfolgt dank GPS auf 2,5 cm genau. Exakt gesäte Einzel-reihen ermöglichen die verlässliche Selektion der besten Komponenten von neuen Gras- und Kleesorten. (Foto: Gabriela Brändle, Agroscope)

Page 64: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

384

Aktuell

Agrarforschung Schweiz 5 (9): 383–387, 2014

N e u e P u b l i k a t i o n e n

Agroscope Transfer | Nr. 3

Ein Modellvergleich von Milchproduktionssystemen mit

und ohne automatische Melk- bzw. Fütterungssysteme

erlaubte die Berechnung von Investitionsbedarf, Arbeits-

zeitbedarf, Produktionskosten sowie Einkommen bezo-

gen auf die Arbeit und die Fläche. Automatische Melk-

systeme (AMS) haben insgesamt einen um 6–20 %

höheren Investitionsbedarf und benötigen einen um

10–19 % tieferen Arbeitszeitaufwand. Bei automati-

schen Fütterungssystemen (AFS) liegt der Investitionsbe-

darf insgesamt um 11–20 % höher bei einer Einsparung

der Arbeitszeit um 5 %. Die Kosten unterschiede der

unterschiedlichen Systeme sind bei gleicher Bestands-

grösse relativ gering. Aus Sicht der Arbeitsverwertung

sind AMS-Produktionssysteme bei voller Auslastung

(60–70 Kühe) mit vergleichbaren Referenzsystemen

(Fischgrät- Melkstand, Futtermischwagen) wirtschaftlich

im Vorteil. Allerdings verliert das AMS im Vergleich zum

Referenzsystem mindestens 8 % an Einkommen bei

gut ausgelasteten bzw. 25 % bei schlechter ausgelaste-

ten Anlagen (40 Kühe). Eine Kombination mit Weide-

haltung kann das Ergebnis verbessern. Bei automati-

schen Fütterungs systemen (AFS) liegt die wirtschaftlich

sinnvolle Mindestauslastung deutlich höher. Ob ein Ein-

satz der Systeme sinnvoll ist, hängt von der Auslastung,

vom Milchpreis und auch von den alternativen Einsatz-

möglichkeiten der eigenen Arbeitskraft ab. Je höher der

Milchpreis und je höher die eigene Arbeit bewertet

wird, desto wirtschaftlicher sind Automatisierungsver-

fahren. Umgekehrt führen die damit verbundenen gros-

sen Investitionen zu höheren Risiken, denen insbeson-

dere bei tiefen Milchpreisen mit genügend Liquidität

begegnet werden muss.

Christian Gazzarin, Franz Nydegger und Michael Zähner, Agroscope

ÖkonomieAgroscope Transfer | Nr. 3

Wie wirtschaftlich ist der Roboter?

Kosten und Nutzen von Automatisierungsverfahren in der Milchviehhaltung

März 2014

Autoren

Christian Gazzarin,Franz Nydegger undMichael Zähner

Ein Modellvergleich von Milchproduktions-systemen mit und ohne automatischeMelk- bzw. Fütterungssysteme erlaubtedie Berechnung von Investitionsbedarf,Arbeitszeitbedarf, Produktionskosten so-wie Einkommen bezogen auf die Arbeitund die Fläche. Automatische Melksysteme(AMS) haben insgesamt einen um 6–20%höheren Investitionsbedarf und benötigeneinen um 10–19% tieferen Arbeitszeitauf-wand. Bei automatischen Fütterungssyste-men (AFS) liegt der Investitionsbedarf ins-gesamt um 11–20% höher bei einerEinsparung der Arbeitszeit um 5%.Die Kostenunterschiede der unterschiedli-chen Systeme sind bei gleicher Bestands-grösse relativ gering. Aus Sicht der Arbeits-verwertung sind AMS-Produktionssystemebei voller Auslastung (60–70 Kühe) mit ver-gleichbaren Referenzsystemen (Fischgrät-Melkstand, Futtermischwagen) wirtschaft-lich im Vorteil.

Allerdings verliert das AMS im Vergleichzum Referenzsystem mindestens 8% anEinkommen bei gut ausgelasteten bzw.25% bei schlechter ausgelasteten Anlagen(40 Kühe). Eine Kombination mit Weidehal-tung kann das Ergebnis verbessern. Beiautomatischen Fütterungssystemen (AFS)liegt die wirtschaftlich sinnvolle Mindest-auslastung deutlich höher. Ob ein Einsatzder Systeme sinnvoll ist, hängt von der Aus-lastung, vom Milchpreis und auch von denalternativen Einsatzmöglichkeiten der eige-nen Arbeitskraft ab.Je höher der Milchpreis und je höher dieeigene Arbeit bewertet wird, desto wirt-schaftlicher sind Automatisierungsverfah-ren. Umgekehrt führen die damit verbun-denen grossen Investitionen zu höherenRisiken, denen insbesondere bei tiefenMilchpreisen mit genügend Liquiditätbegegnet werden muss.

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Wie wirtschaftlich ist der Roboter?

Page 65: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

385

Aktuell

Agrarforschung Schweiz 5 (9): 383–387, 2014

Agroscope Transfer | Nr. 25

Euterentzündungen sind die häufigste Erkrankung der

Milchkuh und verursachen der Schweizer Milchwirt-

schaft jährliche Verluste von 130 Mio. CHF. Unter den

krankmachenden Keimen ist Staphylococcus aureus

(Abk. Staph. aureus) einer der häufigsten. Derselbe

Keim verursacht beim Menschen Lebensmittelvergiftun-

gen. Agroscope entwickelte eine neue molekularbiolo-

gische Nachweismethode, die der Landwirtschaft und

der milchverarbeitenden Industrie Vorteile verschaffen

soll. Woher kommt Staphylococcus aureus in der Milch?

Die Milch im Euter einer gesunden Kuh ist keimfrei. Sta-

phylokokken kommen entweder während des Melkens

aus der Umgebung in die Milch (Kontamination) oder

werden von Kühen mit Euterentzündungen ausgeschie-

den (Infektion). Ersteres lässt sich durch sorgfältige Ein-

haltung von Hygienemassnahmen auf dem Betrieb wei-

testgehend vermeiden, während die Kontrolle von

Euterentzündungen bei Kühen eine weitaus grössere

Herausforderung darstellt. Damit es zu einer Euterent-

zündung (Mastitis) kommt, sind stets mehrere Einflüsse

nötig (Faktorenkrankheit). Begünstigend wirken vor

allem ungenügende Melkhygiene und -technik, man-

gelhafte Melkanlage und falsches Melkmanagement.

Diese Faktoren führen letztlich dazu, dass Bakterien sich

ansiedeln und die Mastitis verursachen können, allen

voran der bekannte Keim Staph. aureus.

Renate Boss und Hans Graber, Agroscope

Ersteres lässt sich durch sorgfältige Einhal-tung von Hygienemassnahmen auf demBetrieb weitestgehend vermeiden, wäh-rend die Kontrolle von Euterentzündun-gen bei Kühen eine weitaus grössere Her-ausforderung darstellt. Damit es zu einerEuterentzündung (Mastitis) kommt, sindstets mehrere Einflüsse nötig (Faktoren-krankheit). Begünstigend wirken vor allemungenügende Melkhygiene und -technik,mangelhafte Melkanlage und falschesMelkmanagement. Diese Faktoren führenletztlich dazu, dass Bakterien sich ansie-deln und die Mastitis verursachen können,allen voran der bekannte Keim Staph.aureus.

TiereAgroscope Transfer | Nr. 25

Neuigkeiten zur Diagnostik von Staphylococcusaureus-Euterentzündungen

Mai 2014

Autoren

Renate BossHans Graber

Euterentzündungen sind die häufigsteErkrankung der Milchkuh und verursachender Schweizer Milchwirtschaft jährlicheVerluste von 130 Mio. CHF. Unter denkrankmachenden Keimen ist Staphylococ-cus aureus (Abk. Staph. aureus) einer derhäufigsten. Derselbe Keim verursachtbeim Menschen Lebensmittelvergiftun-gen. Agroscope entwickelte eine neuemolekularbiologische Nachweismethode,die der Landwirtschaft und der milchver-arbeitenden Industrie Vorteile verschaf-fen soll.

Woher kommt Staphylococcusaureus in der Milch?

Die Milch im Euter einer gesunden Kuh istkeimfrei. Staphylokokken kommen entwe-der während des Melkens aus der Umge-bung in die Milch (Kontamination) oderwerden von Kühen mit Euterentzündun-gen ausgeschieden (Infektion).

Rena

teBo

ss,A

gros

cope

Neuigkeiten zur Diagnostik von Staphylococcusaureus­Euterentzündungen

Page 66: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

386

www.agroscope.admin.ch/medienmitteilungen

Aktuell

M e d i e n m i t t e i l u n g e n

www.agroscope.admin.ch/medienmitteilungen

12.08.2014 Première für Schweizer Wiesenrispensorten Mit Sepia und Selista können 2014 zum ersten Mal

Schweizer Zuchtsorten von Wiesenrispengras in den

nationalen Sortenkatalog und gleichzeitig in die Liste

der empfohlenen Sorten von Futterpflanzen eingetra-

gen werden. Dieser Erfolg ist das Resultat einer über

30-jährigen Entwicklungsarbeit von Agroscope an den

Standorten Changins und Reckenholz. Noch braucht es

etwa 5 Jahre Ver-mehrungsaufbau, bis die neuen Sor-

ten den Bedarf des Schweizer Saatgut-marktes decken

können.

29.07.2014 Blattdüngung mit Harnstoff – Einfluss auf ver­wertbaren Stickstoff optimieren Eine Optimierung der Stickstoffversorgung der Rebe ist

sehr wichtig für die Produktion von qualitativ hochste-

hendem Wein. Bei der Sorte Chasselas führt ein Gehalt

von mindestens 200 mg hefeverwertbarem Stickstoff

pro Liter Traubenmost (=Formol-Index 14) zu einem

guten Gärverlauf und fördert die sortentypischen Aro-

men im Wein. Die Blattharnstoffgabe nach beginnen-

der Beerenreife ist eine kurzfristige und effiziente

Massnahme, um die negativen Auswirkungen eines

Stickstoffmangels im Most zu verhindern. Agroscope

erforscht die Verteilmechanismen des Stickstoffs in der

Traube, um die notwendigen Blattharnstoffgaben zu

optimieren.

Agrarforschung Schweiz 5 (9): 383–387, 2014

Aktuelle Forschungsergebnisse

für Beratung und Praxis:

Agrarforschung Schweiz publiziert 10-mal

im Jahr Forschungsergebnisse über

Pflanzenbau, Nutztiere, Agrarwirtschaft,

Landtechnik, Lebensmittel, Umwelt und

Gesellschaft.

Agrarforschung ist auch online verfügbar

unter: www.agrarforschungschweiz.ch

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zösisch. Sie richtet sich an Fachpersonen aus

Forschung, Industrie, Lehre, Beratung

und Politik, an kantonale und eidgenössische

Ämter und an weitere Fachinteressierte.

Agrarforschung Schweiz /RechercheAgronomique Suisse ist die Zeitschrift

der landwirtschaftlichen Forschung von

Agroscope und ihren Partnern. Partner der

Zeitschrift sind das Bundesamt für Landwirt-

schaft,die Hochschule für Agrar-, Forst- und

Lebensmittelwissenschaft HAFL, die Bera-

tungszentralen AGRIDEA, die Eidgenössische

Technische Hochschule ETH Zürich, Departe-

ment für Umweltsystemwissenschaften, das

Forschungsinstitut für biologischen Landbau

FiBL und Agroscope, die gleichzeitig Heraus-

geberin der Zeitschrift ist.

Page 67: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

387

Informationen: www.agroscope.admin.ch/veranstaltungen

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Agroscope Transfer vermittelt Erkenntnisse und Erfah-

rungen von Forschungsarbeiten bei Agroscope in anwen-

dungsorientierter Kurzform an Praxis, Beratung und

Öffentlichkeit. Die einzelnen Ausgaben können im PDF-

Format heruntergeladen werden.

September 2014

11.09.201437. Informationstagung Agrarökonomie AgroscopeAgroscope INH, 8365 Ettenhausen

17.09.2014Journée Semis directAgroscopeAgroscope IPB, Changins

19. – 21.09.2014Equus helveticusGemeinsame Veranstaltung des Schweizerischen Nati-onalgestüts (SNG), des Instituts équestre national Avenches (IENA), des Zuchtverbands CH-Sportpferde (ZVCH) und des Schweizerischen Freibergerverbands (SFV)Avenches

Oktober 2014

1.10.2014Nutztiertagung Agroscope (ehemals ALP­Tagung)Agroscope, Institut für Nutztierwissenschaften (INT)Agroscope INT, 1725 Posieux

November 2014

13.11.2014BioForschungstagung Agroscope – FiBL: Grandes culturesAgroscope, FiBL Changins

18.11.2014Profi­Lait­Forschungstag 2014Profi-Lait, Agroscope, Agridea, HAFLHochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittel- wissenschaften HAFL, Zollikofen BE

V o r s c h a u

Oktober 2014 / Heft 10

Die Kraut- und Knollenfäule ist eine der weltweit bedeutendsten Kartoffelkrankheiten. Forschende von Agroscope untersuchten Bakterien aus der Kartoffelpflanze auf ihr mögliches Hemmpotenzial gegen den Erreger der Kraut- und Knollenfäule für den schweizeri-schen Biokartoffelanbau. (Foto: Carole Parodi, Agroscope)

V o r s c h a u

•• Bakterien aus dem Wurzelbereich hemmen die

Kraut- und Knollenfäule der Kartoffel,

Denise Bönisch et al., Agroscope

•• Support Obst Arbo: Ein Netzwerk für den Betriebs-

vergleich im Obstbau, Esther Bravin et al.,

Agroscope und Agridea

•• Behangsprognose bei Äpfeln, Simon Schweizer et al.,

Agroscope und Hochschule Geisenheim, Deutschland

•• Züchtung feuerbrandrobuster Apfelsorten,

Markus Kellerhals et al., Agroscope und ETH Zürich

•• Diversität arbuskulärer Mykorrhizapilze in Acker-

kulturen bei Direktsaat und Pflug, Claudia Maurer

et al., Fachstelle Bodenschutz des Kantons Bern und

Agroscope

•• Tagfalter- und Widderchenvielfalt im Grünland der

unteren Bergregion, Renate Heinzelmann et al.,

Agroscope

•• Bewässerungsanlagen als Ursache für die Nutzungs-

intensivierung von Grünland im Engadin,

Roman Graf, Vogelwarte Sempach

•• Liste der empfohlenen Sorten von Futterpflanzen

2015–2016, Daniel Suter et al. Agroscope

Agrarforschung Schweiz 5 (9): 383–387, 2014

Page 68: Agrarforschung Schweiz, Heft 9, September 2014

Vom 19. bis 21. September steht Avenches

wieder im Zeichen des Pferdes dank dem

bereits unverzichtbaren Pferdefestival

Equus Helveticus.

Mit dem National FM, dem Schweizer

Sport- und Zuchtfinal der Freiberger, der

Schweizer Meisterschaft der CH-Sport-

pferde, sowie mit Trab- und Galopprennen

werden rund tausend Pferde und 20-mal

mehr Besucher und Besucherinnen in

Avenches erwartet.

www.equus-helveticus.ch

Mittwoch, 1. Oktober 2014

Nutztiertagung Agroscope 2014 (vormals ALP-Tagung)

Für die diesjährige Tagung konnten wir Prof. Dr. Oene Oenemavon der „Wageningen University and Research Center“, gewinnen,der zum Thema „Stickstoffeffizienz der Landwirtschaft in Europa“referieren wird.

Weitere Themen:• N-Effizienz auf Schweizer Landwirtschaftsbetrieben• N-Effizienz bei Milchkühen• LegumePlus: Einfluss bioaktiver Substanzen in Leguminosen aufN-Bilanz bei Milchkühen

• N-Effizienz der Futterproduktion auf der Weide• Gesamtkörperzusammensetzung und N-Bilanz beim Schwein inAbhängigkeit der Protein- und Aminosäuren-Versorgung

Ort:Agroscope, Konferenzsaal, Tioleyre 4, 1725 Posieux

Anmeldung:bis 19.09.14 an AGRIDEA, Kurse, 8315 [email protected]

www.agroscope.ch

ENTWICKLUNGDER LANDWIRTSCHAFT UNDDES LÄNDLICHEN RAUMS