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Agrarreformen / „Bauernbefreiung“

Agrarreformen / Bauernbefreiung. Einordnung des Themas Das Aufbrechen des aus dem Mittelalter tradierten Agrarsystems wird oft mit der Bauernbefreiung

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Agrarreformen / „Bauernbefreiung“

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Einordnung des Themas

• Das Aufbrechen des aus dem Mittelalter tradierten Agrarsystems wird oft mit der „Bauernbefreiung“ identifiziert

• Im Folgenden wird dieses Aufbrechen als langfristiger Veränderungsprozess aufgefasst– mit weit reichenden Folgen für die

Ressourcennutzung

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Land- und forstwirtschaftliche Ressourcennutzung und

Bevölkerungsveränderungen

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Grundproblem traditioneller Agrarsysteme

• Veränderung von land- und forstwirtschaftlicher Ressourcennutzung in Abhängigkeit der Bevölkerungsveränderungen

• Spielraum der Ressourcennutzung begrenzt Bevölkerungswachstum– in traditionelle Agrargesellschaften ohne

Möglichkeiten zur massiven Einfuhr von Nahrungsmitteln

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Zyklen von Bevölkerungswachstum und

Änderungen der Ressourcennutzung

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Entwicklungszyklen 1

Ausdehnungsphase

• vom Früh- zum Hochmittelalter– Bevölkerungszunahme– Ausdehnung der Ressourcennutzung– im Ergebnis: instabile Gesamtsituation

• Grenzen des Nahrungs- und Rohstoffversorgung

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Entwicklungszyklen 2

Kontraktionsphase

• Klimawandel und Pest im Spätmittelalter

– massive Bevölkerungsverluste

– Reduktion und Änderung der Ressourcennutzung

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Entwicklungszyklen 3

Erneute Folge von Ausdehnungs- und Kontraktionsphasen:

• Bevölkerungswachstum im “langen 16. Jahrhundert“

• Bevölkerungskontraktion durch 30jährigen Krieg und Pest 1618-1648

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Entwicklungszyklen 4

• Wachstumsperioden – nur im Ergebnis gleich– in der konkreten Entwicklung jeweils unterschiedlich

• z. B. Entwicklung von Grund- und Gutsherrschaft• auch immer wieder durch kleinere und größere Krisen

unterbrochen

• Kontraktionsperioden– ebenfalls nur im Ergebnis ähnlich– ganz verschiedene Anlässe und Ursachen

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Unausweichliche Entwicklungen?

Ungeschehene Geschichte:

Frage:

Was wäre passiert, wenn das Bevölkerungswachstum nicht unterbrochen worden wäre?

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Unausweichliche Entwicklungen?

Antworten:• gänzlich andere Arten der

gesellschaftlichen Entwicklung hätten Platz greifen müssen

• andere als die eingetretenen gesellschaftlichen Katastrophen hätten eine Begrenzung des Bevölkerungs-wachstums oder Reduktion der Bevölkerung herbeigeführt

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Unausweichliche Entwicklungen?

Begründung:

• „Tragfähigkeit“ der Bevölkerung hing noch in erster Linie von der Ertragskraft der Landwirtschaft ab

• Ertragskraft der Landwirtschaft eine Folge– vom Umfang der Nutzfläche – nur in Grenzen Intensivierung der Produktion

• durch Vermehrung der Zahl der Arbeitskräfte

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Start in einen Entwicklungszyklus von 1650 bis 1800?

von Wachstum und Schrumpfung der Bevölkerung?

• Wachstum:– deutliche Bevölkerungszunahme in der

zweiten Hälfte des 17. und im 18. Jahrhundert• über Ausgleich der vorausgegangene

Bevölkerungsverluste hinaus

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Herausforderungen der agrarischen Ressourcennutzung 1

• Bevölkerungsanstieg– 1650: 10 – 12 Mio.– 1700: 15 Mio.– 1800: 23 – 25 Mio.

– Ergebnis auch der ersten „demographischen Transition“ in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts

• überraschender Beginn des Rückgang der Sterblichkeit in Europa

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Herausforderungen der agrarischen Ressourcennutzung 2

• und nun?

• Neue Gesellschaftskatastrophe oder Veränderung der land- und forstwirtschaftlichen Ressourcennutzung sowie der gesellschaftlichen Wirtschafts- und Lebensbedingungen?

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Die tradierten Agrarverhältnisse

Ein regionales Beispiel

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Unterfinning

Ein Dorf in Bayern und seine Ressourcennutzung um 1720

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Literatur

• Beck, Rainer (1993): Unterfinning. Ländliche Welt vor Anbruch der Moderne, München

667 Seiten

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Material

Wie ist eine solche Untersuchung möglich?

• 1721 ordnete der bayrische Kurfürst eine umfangreiche Steuerbeschreibung an– das Ausgangsmaterial der Untersuchung– ist ein Indiz für eine veränderte Welt

• der (frühneuzeitliche) Staat greift nach den Bürgern

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Lage von Unterfinning

• 50 km westlich von München

• 10 km westlich des nördlichen Amersees

• 11 km östlich von Landberg

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Rahmenbedingungen der Agrarproduktion

Natürliche Bedingungen des Dorfes• Lage 600 – 650 m über NN• Klima

– eher etwas kälter als das vergleichbare Regionalklima von heute

• hohe jährliche Niederschläge von fast 1000 mm

• landwirtschaftlich nutzbare Zeitraum: von April bis Ende September

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Agrarproduktion

• im Zentrum stand der Getreidebau

• keine besonders guten Verhältnisse für die Getreideproduktion– um 1720 ein Verhältnis von Saat zur Ernte

von 1:3 oder 1:4 (Körnerverhältnis bei Winterroggen)

• heute Verhältnisse von 1:25 und mehr

– spätere Entwicklung: „Vergrünlandung“ • nach Verbesserung der Verkehrsanbindung

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Dorfbevölkerung

• im Dorf lebten 54 Familien – davon 51Hausinhaber mit Pfarrer– drei „Inwohner“

• insgesamt etwa 200 – 250 Einwohner

• zum Vergleich:– Amtstadt Landsberg 3000– Residenzstadt München unter 30 000

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Das Dorf 1

• im Ortskern steht die Kirche mit dem Kirchhof

• um die Kirche liegen alle größeren landwirtschaftlichen Betriebe, die Gastwirtschaft und die Schmiede

• es gibt eine Getreide- und Ölmühle mit angeschlossener mechanischer Säge

• über das Dorf teilende Bäche führt nur in einem Fall eine Fußgängerbrücke

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Das Dorf 2

• Trinkwasserversorgung aus ca. 20 Grundwasserbrunnen – größere Höfe hatten ihre eigenen Brunnen– andere Familien Gemeinschaftsbrunnen

• Waschen der Wäsche an den Bächen• alle Häuser bis auf Kirche, Kapelle und

Mühle waren aus Holz– Übergang zum Steinbau erst ab dem frühen

19. Jahrhundert

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Das Dorf 3

• Höfe unterschiedlicher Größe:– Wohnhaus mit angebautem Stall– z. T. Nebengebäuden (Schuppen, Backhaus)– Gärten (meist mit einigen Bäumen bepflanzt)

• vornehmlich als „Gasgärten“ benutzt – wegen Bedeutung der Viehhaltung

• Kräuter wurden in erster Linie in einem Kräuter-Garten der Gemeinde gezogen

• die Höfe waren mit Zäunen voneinander abgegrenzt

• Dorf und Feld waren zwei eindeutig von einander getrennte Bereiche (Etter)

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Modell der alten europäischen Dorfflur

Das Kreis-Modell der Flurnutzung• ohne Berücksichtigung natürlicher Bedingungen

• Getreideflächen umgeben als Ring unmittelbar das Dorf

• Wiesen und Weide schließen sich an– gehen in Wald über

• den äußersten Ring der Gemeindeflächen bildet der Wald

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Reale Struktur der Flur 1

• Ackerfläche des Dorfes (165 ha) ist in drei etwa gleich große Felder (Zelgen) eingeteilt

• mit insgesamt 350 individuell zu rechenbare Äcker (Parzellen)

• die Parzellen in den Feldern– liegen in einer ausgesprochenen Gemengelage – sind durch Grasstreifen oder „Anwender“ getrennt – sind zumeist als Langstreifen angelegt– z. T. nur über die Flächen der Feldnachbarn

erreichbar

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Reale Struktur der Flur 2

• Weideland (ca. 240 ha) befand sich vollständig in Einzelbesitz– Einzelflächen nur durch ein ausgeklügeltes

System von Überfahrts- und Viehtriebsrechten zu erreichen

• dörflicher Allmendewald („Schweingruben“)

• herrschaftlicher Forst

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Organisation der Bewirtschaftung 1

• Wechsel der Bewirtschaftung der Felder in einen endlos gleich bleibenden Zyklus– Winter-, Sommerung, Brache– Anbau weitgehend fest gelegt.

• Winterfeld: Dinkel und Rogen• Sommerfeld: Hafer und Gerste

• konkrete Bewirtschaftung verlangte aber aufwendige Synchronisation– Terminfestlegungen für die verschiedenen

Feldarbeiten in Abhängigkeit von Witterungsschwankungen

• z. B. Termine für Aussaat, Ernte oder das Entfernen der Zäune

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Organisation der Bewirtschaftung 2

• individuelle Nutzung der einzelnen Ackerparzellen im dörflichem Rahmen– durch gemeinsame Termine für Feldarbeiten,

Aussaat und Ernte

• nach der Ernte kollektive Nutzung der Ackerflächen durch Viehherden

• Grünland: vor dem 4.Mai und ab dem 4 Juli individuell als Wiese genutzt

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Viehhaltung 1

• getrennte Herden für Rinder u. Pferde, eine gemeinsame für Schweine, Schafe und Gänse– bezahlte Hirten

• vor dem Mai- und nach dem Juli-Termin stand Grünland den Viehherden offen

• während der „Sperre“ des Weide- und Ackerlandes Überleben des Viehs nur möglich durch Waldweide im Gemeinde- und z. T. im herrschaftlichen Wald

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Viehhaltung 2

• Beschickung der Herde– jedes „Haus“ durfte soviel Vieh mit in die

Herde geben, wie durch den Winter gebracht worden war

– Bezahlung der Hirten individuell nach Zahl der Tiere

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Wald 1

• die vielfältigste Ressource der Dorfes

• Allmendewald– Teilhabe:

• jeder Haushalter erhielt gleiche Menge Holz, Gleichheit bei der Sammlung von Eicheln und Bucheckern

• bei der Viehnutzung keine Gleichheit– unterschiedliche Viehzahl in den Herden– Schweinemast gegen Entgelt

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Wald 2

• herrschaftlicher Forst: Rechte der Einwohner von Unterfinning– Jahrholz (Brennholz) für jedes Haus (drei Klafter = 9,5

m³)– Holz für Hausbau

• i. d. R. gegen Entgelt

• Wald - nicht nur Forst - sondern auch sonstige Bäume Gegenstand ständiger Auseinandersetzungen– landesherrliche Festlegungen gegen regionale oder lokale

Gewohnheiten

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Grundzüge der Landbewirtschaftung

• Grundbesitz kein unumschränktes Nutzungsrecht sondern nur ein beschränktes – auf bestimmte Zeiträume – innerhalb sozialer Normen

• Recht der Dorfarmen auf Sammlung der liegen gebliebenen Ähren nach der Ernte

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Selbstversorgung 1

• Getreidebedarf der Dorfbevölkerung ca. 430 – 475 dz

• Erzeugung von Nahrungsgetreide im Dorfes: in normalen Jahren 415 – 477 dz

• Ergebnis: rechnerisch war Getreidebedarf des Dorfes in normalen Jahren gerade zu decken– d. h. ohne Abgaben und Marktverkäufe

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Selbstversorgung 2

Mindestgröße der Landwirtschaft für eine Selbstversorgung

• bei einer dreiköpfigen Familie: 5 ha• bei „Normalfamilie“ und zwei Pferde ab 10 ha

• Bedeutung der Viehhaltung für die Selbstversorgung:– erst ab Besitz von ca. 2 ha findet sich auch Ackerland

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Ungleichheit des Bodenbesitzes

• 21 Häuser mit mehr als 5 ha Fläche– davon 3 mit 45 – 54 ha– weitere 5 zwischen 18 - 33 ha

• 12 Häuser zwischen 1 und 5 ha Fläche

• 11 Häuser zischen 0,1 bis 1 ha Fläche

• 10 Häuser ohne jeden Grundbesitz

• 65 % der privaten Flächen in den Händen von 8 Besitzern über 15 ha

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Dorfmarkt mit Getreide

• großer Teil der Haushalte des Dorfes war auf den Zukauf von Getreide angewiesen – Ankauf beim Pfarrer oder auch bei Bauern

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Bauerndorf ?

• von den 54 Häusern des Dorfes sind nur 16 als Bauern zu bezeichnen

– „Bauer“: Besitzer eines Hofes• der nicht mehr ausschließlich durch die Arbeit der

Familie zu bewirtschaften ist– über Gesindearbeitskräfte verfügt

• der landwirtschaftliche Überschüsse produziert

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Gewerbe im Dorf14 Gewerbetreibende mit 16 Gewerben

• 2 Schneider• 1 Schuster• 1 Säge• 1 Zimmermann• 1 Kistler• 1 Schmied

• 1 Müller• 2 Bäcker• 1 Wirt• 1 Händler• 4 Weber

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Andere Ressourcen des Dorfes 2

Einkommen aus den Gewerbetätigkeiten

• Müller, Wirt, Schmied– hohe Einkommen und z. T auch großer

Grundbesitz

• andere, insbesondere Weber – Beschäftigung reichte nur für einen kleinen

Teil des Jahres • sehr geringes Gewerbe- und z. T. kein

Landwirtschaftseinkommen

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Lebensformen jenseits von Handwerk und Gewerbe

• Tagelöhner– Tagelohn war eine „seltene und begehrte

Beute“

• „Kraxelhuber“– Hausierer u. a. mit „geistlicher Ware“

• Almosenempfänger: 15 % aller Haushalte

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Einkommensmöglichkeiten

• Zusatzeinkommen für Bauern mit Pferdegespannen:– Fuhrunternehmen

• auf der Straße von München nach Landsberg waren täglich 30,40 und mehr Fuhrwerke unterwegs

• auch Zusatzanspannung für bestimmte Wegstrecken

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Hauptprobleme der Agrarproduktion

• „Auszehrung“ des Bodens

• Verunkrautung der Flächen

• Geringer Feldaufgang

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Das Modell der Grundherrschaft

• dem Grundherrn gehörte– die Gesamtflur und die Höfe im Dorf– ein landwirtschaftlicher Betrieb vollständig mit

Haus und Flächen

• die Bauern waren einem Grundherrn Abgaben schuldig

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Die Realität der Grundherrschaft in Unterfinning

• dem „Flickenteppich“ der Grundstücke entsprach ein „Fleckenteppich“ der Grundherrschaften– Grundherr des Betriebes war oft nicht Grundherr aller

Flächen – eventuell Spielräume für die Landwirte

• „walzende Grundstücke“– Grundstücke, die einem anderen Grundherrn als dem

des Hofes oder auch keinem Grundeigentümer gehörten

• konnten verkauft oder getauscht, ohne dass der Grundherr des Hofes davon Kenntnis bekam

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Staat als „neuer Spieler“

• vornehmlich in der Rolle als Steuereintreiber– Staat beanspruchte zunehmend und

ausschließlich den ersten Zugriff

• schätzte Leistungsfähigkeit eines Betriebs als Ganzes ein

• Steuerleistungen zusätzlich zu Abgaben• „Konkurrenz“ zwischen Abgaben und

Steuern

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Stabilität des System der Bewirtschaftung 1

Stabilität des

• Verhältnisses von Acker- zu Grünland– durch die wirtschaftliche Koppelung von

Viehhaltung und Getreidebau• „Weiden begrenzen Korn“ (Dünger)

– durch die Festlegungen der Abgaben des Grundherrn

• höhere Abgaben auf Ackerland• kein Interesse Acker- in Weideland umzuwandeln

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Stabilität des System der Bewirtschaftung 2

• Großbauern mit viel Fläche haben genügend Ackerflächen– wenig Interesse am Umbruch von Weideland

• Chancen der Veränderung der Flächennutzung durch einzelne Betriebe gering

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Stabilität des System der Bewirtschaftung 3

• Beseitigung der Flurzersplitterung– Zusammenführung des Grundbesitzes im

Interesse der Grundherrn• Vielzahl der Grundherrn macht Aufgabe schwierig• Neuvermessung wäre sehr teuer

• Chancen der Flurzusammenführung und Herauslösung aus dem Flursystem durch einzelne Betriebe kaum gegeben

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Ende des Beispiels Unterfinning

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Feudale Belastungen der Landwirtschaft

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Feudale Belastungen

• Belastungen der Betriebe durch das Feudalsystems waren höchst unterschiedlich– nicht nur zwischen Grund- und Gutsherrschaft– sondern auch in innerhalb der jeweiligen

Herrschaftsformen– sowie vielfach zwischen einzelnen Orten /

Betrieben

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Feudale Belastungen: ein Beispiel aus Niederbayern

Erbe eines Betriebs in Emming (Niederbayern) 1780

• Das „Gut“:– 6 ha Acker– ¾ ha gute Wiesen– 3 ha Wald– „Dreiviertelbauer“

• Teil der Mittelschicht des Dorfes

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Feudale Belastungen: ein Beispiel aus Niederbayern

• um das Erbe des Vater anzutreten, musste der Sohn für den Erhalt des „Erbrechtsbriefs“ zahlen– Besitzwechselabgaben an den Grundherren

• dort üblicherweise 7,5% des Werts = 45 Gulden

• Jährliche Abgaben– „Große Zehnt“: 17 % des Reinertrages– sonstige Geldzahlungen waren nach Inflation „leicht“

• knapp 2 Gulden (3% des Betriebswerts)

– weitere Naturalabgaben: 2,5 Scheffel (ca. 560 -650 l) Getreide und eine festgelegte Menge Flachs

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Feudale Belastungen: ein Beispiel aus der Niederlausitz

• Vollbauer– 5,5 ha Garten– 1,25 ha Weiden– Nutzungsrechte an der 40 ha großen

Gemeindeweide– festgesetzte Grenzen der Großviehhaltung

• 16 Kühe für Bauern• 10 Kühe für Kossäten• 4 Kühe für Büdner

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Feudale Belastungen: ein Beispiel aus der Niederlausitz

Jährliche Abgaben des Vollbauern 1765:

• 100 Gulden

Frondienste: der entscheidende Unterschied

• täglich mit der Hand

• im Frühjahr und Herbst je eine Woche mit Gespann– Kossäten und Büdner hatten Fronde in

anderen Umfängen zu leisten

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Feudale Belastungen: ein Beispiel aus der Niederlausitz

• Kinderzwangsdienst– jede Familie des Dorfes hatte ihre Kinder

sobald sie aus der Schule waren, bei der Herrschaft dienen zu lassen

• „so lange es der Herrschaft gefällt“

• Mühlenbann– alles Mehl der Bauern musste bei der

Herrschaftsmühle gemahlen werden

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Extremfall der Leibeigenschaft

1744 Angebot in einer Königsberger Zeitung• Koch

– der gut kochen könne– im Garten gut Bescheid wisse

• Ehefrau– die gut weben könne

• drei Töchter im Alter 9,12,13 Jahre– alle zu Diensten brauchbar

• für zusammen 400 Gulden abzugeben!

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Extremfall der Leibeigenschaft

• weiterer Mann (in der Lehre bei Förster)– für 100 Gulden abzugeben

• Anbieter und Zensor erhielten einen Verweis des Landesherrn– es war nicht erlaubt, Untertanen außerhalb

der Güter öffentlich zum Kauf anzubieten• öffentlicher Handel mit Menschen ist verboten

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Soziale Ungleichheit innerhalb der Herrschaft

Beispiele:

Dorf Groß Mellen

• „teilen“ sich 1718 fünf Adelige– sie besaßen

• 8 Bauern• 7 Bauern• 4 Bauern• 3 Bauern• 3 Bauern

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Soziale Ungleichheit innerhalb der Herrschaft

– vom Ertrag solcher Besitzungen war auch für die „Herren“ kein „standesgemäßes Leben“ möglich

– Bemühungen um „Flurbereinigung“ mehrerer „Rittersitze“ in einem Dorf 1800 noch nicht überall abgeschlossen

1780 Familie von Bülow besaß 73 Dörfer– in mehrerer Familienlinien

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Herrschaft über Land und Menschen

• im Rahmen der Grundherrschaft besaßen relativ wenige Familien des Adels zusammen riesige Mengen Land– dem zentralen Produktionsfaktor einer

Agrargesellschaft

• Verfügung über Land war die Grundlage der Macht des Adels in Preußen

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Feudalbelastungen

• Feudalquote:– rechnerische Vergleichgröße aller Lasten

• nur vereinfachender Anhaltspunkt

– im Westen pro Flächeneinheit höher als im Osten

– aber Einkommen der Bauern im Westen höher

• wegen höherer Erträge• wegen höherer Preise

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Feudalbelastungen

• bäuerliche Einkommen waren unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten nur Restgröße– keine nennenswerten Mittel für Investitionen

• Naturalabgaben in Form festgelegter Produkte tragen zur Zementierung der Anbausstruktur bei

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Soziale Folgen der Gutherrschaft

Georg Friedrich Knapp zur Leibeigenschaft in Ostdeutschland:

„Und so bleibt der Bauer immer und ewig auf der selben Stufe, verworren in sich, finster, grob, knechtisch, nur dem Vogt gehorchend, ein unglückliches Mittelding zwischen Lasttier und Mensch“

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Die Grundfrage der Entwicklung

• Land- und forstwirtschaftliches Ressourcennutzungssystem des 18. Jahrhunderts hat allen Problemen zum Trotz über Jahrhunderte Bestand gehabt!– es war nachhaltig

• Welche Prozesse leiten die grundsätzliches Veränderung dieses Nutzungs- und Herrschaftssystems ein?

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Der lange Aufbruch in die „Moderne“

Soziale und wirtschaftliche Prozesse im 18. Jahrhundert

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Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse

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Herausbildung der Landesherrschaft

• untergräbt die gesellschaftliche Funktion der Grundherrn– Landesherrn oft gleichzeitig der größte Grundherr

• verschärft Interessenwidersprüche von Landes- zu Grundherrn

• Verändertes Politikverständnis der landesherrschaft– Maßnahmen zur aktiven Wirtschaftslenkung / -

förderung

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Herausbildung der Landesherrschaft

Entwicklung des (frühneuzeitlichen) Staats / Länder

• eigene Interessen des Staats– Erhöhung der Einnahmen

• Steuern• Export

• eigene Verwaltung

• stehendes Heer

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Verändertes Staatsverständnis

(4) Staatliche Maßnahmen

• Theorie des Merkantilismus – Ziel: Steigerung des Reichtums und der

Macht des Staats• Erhöhung der Edelmetallvorräte

– Handelsbilanzüberschuss– niedrige Löhne und hohe Arbeitsproduktivität

• Interesse an Bevölkerungswachstum– aktive Bevölkerungspolitik

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Ausdehnung der agrarischen Flächen

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Staat als Akteur

• Erweiterung der Agrarflächen durch groß angelegt Meliorationen– Oder- und Wartebruch, Donauries

• bei gleichzeitig verstärktem Schutz der Wälder– auch als Reaktion auf städtische Holznachfrage

• Unterstützung der Proto-Industrialisierung „auf dem Land“– Politikwechsel: weg von der Behinderung des

Entstehens unterbäuerlicher Schichten

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Entwicklungen in der Landwirtschaft

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Die gesellschaftliche Herausforderung

Das Bevölkerungswachstum:– selbst in normalen Zeiten konnten sich Teile

der wachsende Bevölkerung auf dem Land kaum ernähren

• seine Ernährung

• seine Erwerbsmöglichkeiten

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Entwicklungen in der Landwirtschaft

• Fortbestehender feudaler Rahmen der Agrarproduktion

• Vielzahl von regional unterschiedlichen Ausgestaltungsversuchungen und erfolgten Anpassungen

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Beispiele für Entwicklungen in der Landwirtschaft

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Besömmerung der Brache

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Besömmerung der Brache

Anbau auf Brachflächen von • Leguminosen (Hülsenfrüchtler)

– Erbsen, Bohnen– in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts um

Göttingen die wichtigsten Früchte des Brachfelds

• Lein (Flachs) • allmählicher Anbau von Klee oder weiterer

Futterkräuter

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Besömmerung der Brache

• Besömmerung setzt voraus– Absprachen innerhalb der Dorfgemeinschaft– Veränderung der Viehhaltungs- / Weidepraxis

• teilweiser Übergang zur Stallhaltung

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Der Anbau neuer Pflanzenarten

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Beispiel: Tabak im Raum Göttingen

• Tabakanbau durch Kloster Weende ab 1751

• Versuche von Seiten der Herrschaft Tabakanbau auf Brachflächen 1769 durchzusetzen– wegen seiner im Vergleich zum Flachs

besseren Bodenwirkungen– Ablehnung durch die Bauern wegen

Unkenntnis der Pflanze

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Einführung der Kartoffel

Pflanze mit hohem Ernährungspotential

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Loblied auf die Kartoffel

„Warum die Rose besingen, Aristokrat! Besing die demokratische Kartoffel, die das Volk nährt!

Heinrich Heine

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Der lange Einführungsprozess

• Kulturpflanze der Inkas

• von den Spaniern um 1565 nach Europa gelang

• um 1573 wertvoller Teil des Reiseproviants der spanischen Schiffe – gegen Skorbut

• Sir Franzis Drake brachte Kartoffel 1581 nach England

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Der lange Einführungsprozess

• in der ersten Hälft des 17. Jahrhunderts bereits wichtigstes Grundnahungsmittel in Irland

In Deutschland:

• Anbau während des 30jährigen Kriegs der großflächigen Anbau in Westfalen und Niedersachsen erfolglos propagiert

• 1651 Zierpflanze im Berliner Lustgarten

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Der lange Einführungsprozess

• um 1710 kam landwirtschaftliche Anbau von Kartoffeln in Oberfranken und Oberpfalz auf

• 1734 erste Kochrezepte in einem Kochbuch in Franken

• Bemühungen zur Einführung der Kartoffel in Preußen durch König Friedrich Wilhelm I. bleiben erfolglos

• Friedrich II, der Große, setzte Bemühungen fort

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Befehl zum Anbau der Kartoffel

Befehl von Friedrich II, König von Preußen

• Befehl gibt detaillierte Anweisungen zur Bodenbearbeitung, Düngung, Pflege und Lagerung der Kartoffeln

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Der lange Einführungsprozess

• erst nach der großen Hungersnot 1771/1772 setzte der Siegeszug der Kartoffel in Preußen ein

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Proto-Industrialisierung

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Protoindustrialisierung

• gewerbliche Produktion von Massenwaren für den Weltmarkt vor Beginn der Industrialisierung– frühneuzeitliche Massenfertigung vor allem

von Textilen

• in ländlichen Gebieten durch „ländliche Hausindustrie“

• Verbreitete regionale Entwicklungen in Europa

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Voraussetzungen der Protoindustrialisierung

• Entwicklung einer Nachfrage nach Massengütern– Verzicht auf Eigenproduktion

• Günstige Verkehrslage für den Absatz der Produkte – auch in vor allem nach Übersee (Kolonien)

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Voraussetzungen der Protoindustrialisierung

• Sicherstellung der Nahrungsversorgung– durch Zugang zu Land– durch Entwicklung regionaler Getreidemärkte

zur Versorgung spezialisierter ländlicher Heimgewerbelandschaften

• soziale Differenzierung der ländlichen Bevölkerung als Voraussetzung und Folge

• Häusler in Sachsen 1550 3,4 %• 1750 30,4 %

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Voraussetzungen der Protoindustrialisierung

• Entfaltungsspielraum für eine ländliche Hausindustrie– Ländliche Heimindustrie überwiegend in

Gebieten mit Grundherrschaft

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Ländliche Textilproduktion

• Faserpflanzen Flachs (z. T. auch Hanf) als Rohstoff der Textilherstellung– traditionelle Anbaupflanzen

• Ausdehnung des Anbaus von Faserpflanzen– Anbau ist deutlich arbeitsintensiver als der

von Getreide

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Folgen der ländlichen Textilkonjunktur

• Anbau von Färberpflanzen– Waid für blau– Krapp für rot

• regionale Spezialisierung der Ressourcennutzung

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Problem der Heimproduktion

• Sicherung einer gleich bleibende Qualität– Standardisierungsversuche mit öffentlichen

Schau- und Prüfanstalten: Leggen

• keine Vermarktung nach standardisierten Angeboten– z. B. Bestellung nach Musterbüchern

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Protoindustrialisierung und Globalisierung

• Beispiel Raum Minden-Lippe:ein Sprung der Globalisierung – Samen des Flachses aus dem Baltikum– Anbau und Weben in den westfälischen

Territorien Preußens– Absatz auf dem Weltmarkt (Übersee)– große Bedeutung für den preußischen Staat

• „Spinnerländchen“

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Protoindustrialisierung und Globalisierung

– Versuche des preußischen Staats nach den napoleonischen Kriegen und Veränderungen des Weltmarkt diese Heimindustrie wieder zu beleben

hatten nur geringen Erfolg• Johann Nepomuk von Schwerz: Reise durch

Westfalen (derselbe. „Beschreibung der Landwirtschaft in Westfalen“ 1836)

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Leinenproduktion in Laichingen (Württemberg)

Beispiel für Entwicklung der Leinenproduktion in einem

heimindustriellen Gewerbedorf

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Beispiel Laichingen

Literatur:

Medick, Hans (1996): Weben und Überleben in Laichingen 1650 – 1900.

Veröffentlichungen des Max-Plank-Instituts für Geschichte, Nr. 126, Göttingen

708 Seiten

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Beispiel Laichingen

• viele allgemeine Zuschreibungen an das ländliche Gewerbe treffen hier nicht zu

• Weber aus L. sind Teil des Banns der Weberzunft bzw. Handelskompanie von Urach

• letztlich konnte sich das ländliche Gewerbe aber durchsetzen– nahe Grenze zu Bayern, Vorderösterreich und

Reichsstadt Ulm erwies sich als hilfreich

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Beispiel Laichingen

• Absatz / Zugang zu internationalen Märkten: die Entwicklungsvoraussetzung– im benachbarten Ausland siedelten sich

Händler aus der Schweiz und Italien an– Export des Leinens nach Südeuropa und

Lateinamerika– Monopol der Uracher Leinen Company diente

der Kanalisation dieses Absatzes zugunsten bestimmter Handelspfade und Personen

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Beispiel Laichingen

– Verbindung mit Landwirtschaft für Entwicklung in L. entscheidend

• Wachstum und Ausdehnung der Leinenproduktion noch als diese im Zentralort Urach bereits rückläufig ist

– Einkommenskrise vieler Weber– „Überfüllung des Handwerks“

– Verbindung wichtig • zur Rohstoffgewinnung• in erster Linie aber zur Absicherung des

Lebensunterhalts der Weber

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Beispiel Laichingen

Struktur des Ortes:• 1722

– Haushalte 211– Leineweber 73 (34,5 %)– Bekleidungsgewerbe 11 (5,2 %)

• 1797– Haushalte 364– Leineweber 226 (62,1 %)– Bekleidungsgewerbe 17 (3,3 %)

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Beispiel Laichingen

• 1824– Haushalte 401– Leineweber 221 (55,1 %)– Bekleidungsgewerbe 17 (4,2 %)

• große soziale Unterschiede zwischen den Webern– relativ gut stand, wer zwei Berufe hatte

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Beispiel Laichingen

• Voraussetzung zur Sicherung der Einkommenssituation– zwei Webstühle– Beschäftigung eines Gesellen

• auch der Lehrer und der Hilfslehrer des Dorfes (Vater und Sohn) arbeiteten als Weber– Lehrereinkommen reichte nicht zum Überleben aus

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Beispiel Laichingen

• Wirtschaftliche Situation in Abhängigkeit vom Lebenslauf– junger Webermeister:

• Aufbau des Betriebs, geringes Einkommen

– Weber im mittleren Alter (40-55)• „Blüte“ des Arbeitslebens, größte Einkommen

– alter Webermeister• nachlassende Kräfte, häufig problematische

Einkommensverhältnisse

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Beispiel Laichingen

Beispiele für soziale Unterschiede zwischen Webern:

• Betrieb 1: – 1722:– 2 Webstühle (1722)

• geschätzter Verdienst: 100 Gulden/Jahr

– 1751• Haus- und Grundbesitz 1641 Gulden• rund 10 ha Land• drei Kühe, ein Pferd usw.

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Beispiel Laichingen

• Betrieb 2: Zugewanderter Weber – 1722

• Beginn seins Berufslebens• nur einen Webstuhl• „Beisitzer“ (Häusler)

– 1751 (Tod des Webers)• Vermögen von 322 Gulden• fast ausschließlich in Form eines „halben Hauses“

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Beispiel Laichingen

• Betrieb 3 (Typ Kleiner Besitzer):– 1726 gegründeter Haushalt

• 25 Gulden gewerbliches Steuervermögen:– „gut gehender Leineweberbetrieb“

– 1743 Tod des Hausherrn• Besitz: Haus, Scheune, Hofraite• Krautgarten u. kl. Krautacker• 1 ha Ackerland zum Anbau von Getreide und

Flachs (kleinerer Teil)

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Beispiel Laichingen

• „Reagrarisierung“ der Erwerbsstruktur des Dorfes– Folge der Krise der Leineweberei im ersten

Drittel des 19. Jahrhunderts – aber nur für einen kleinen Teil der Weber eine

reale Möglichkeit

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Ende des Beispiels

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Entwicklungen in den Gebieten der Gutsherrschaft

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Zwischen Marktchancen und Beharrung

• Entwicklungen regional wie von Gutsherrschaft zu Gutsherrschaft sehr unterschiedlich

• Ausrichtung preußischer Güter auf die Getreidenachfrage in Westeuropa– Export von Getreide vor allem nach den

britischen Inseln

• Aufbau ländlicher Industrien– Brennereien, Ziegeleien, Molkereien

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Zwischen Marktchancen und Beharrung

• z. T. auch Ersatz von Frondiensten durch Lohnarbeit– Gründe

• schlechten Produktivität der Fronarbeit• hoher Kontrollaufwand

– wer kontrolliert die Kontrolleure

• Senkung des Aufwands zur Unterstützung der Bauern bei Notfällen

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Das englische Vorbild

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Englische Agrarentwicklung

„Agrarrevolution des 17./18. Jahrhunderts“

• Agrartechnische und -organisatorische Entwicklungen

• um 1650 Einführung der intensiven niederländischen Agrarkultur in England– Voraussetzung für die Industrielle Revolution

in England

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Englische Agrarentwicklung

• in Verbindung mit dem Aufstieg Englands zur Weltmacht

• als Alternative zu kontinentaleuropäischen Verhältnissen von größer Bedeutung

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Englische Agrarentwicklung

• Technologietransfer– z. B. Fruchtwechselwirtschaft

• Systematischer Anbau verschiedener Pflanzen– Fruchtfolge– Verzicht auf Brache

• Verbesserungen auf allen Gebieten– Verhältnis Aussaat – Ernte: 1:8

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Technische Neuerungen als Beispiele für die Dynamik Charakter der englischen

Entwicklung

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Öffentliche Agrardebatten in Deutschland

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Agrarentwicklung zentrales Thema der Zeit

• Verbesserung der Produktion genießt hohe öffentliche Aufmerksamkeit– englische Agrarentwicklung als Vorbild

• Verbesserung der Lebensverhältnisse in den Gebieten der Gutsherrschaft

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Die Verhältnisse in England als Vorbild

• Forderungen nach Übergang zu einem anderen Ressourcennutzungssystem– andere Fruchtfolgen– andere Produktionsorientierungen

• Veränderungen setzen aber eine Veränderung der Agrarverfassungen voraus– Veränderung der Grundherrschafts- und der

Gutsverfassung

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Allmenden / Gemeinheiten

• in Reformdebatte als besonderes Problem für die Produktionsentwicklung identifiziert

„Ein jeder macht Gebrauch davon, so oft er sich laben will, aber keiner nimmt sich ihrer an„ Johann Christian Bergen

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Allmenden / Gemeinheiten

• Situation der Allmenden aber regional sehr unterschiedlich– Nutzungsbegrenzungen– sehr verschiedene Nutzungsformen

• reale Nutzungen lasen heute eine generell negative Beurteilung wie durch Zeitgenossen nicht mehr zu!– Allmendeentwicklungen sind ein derzeitiger

Forschungsschwerpunkt in der Fachwissenschaft

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Erste Versuche und Maßnahmen zur Reform des Agrarsystem

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Vereinödungen und Separationen

• Vereinödung im Oberschwaben/Allgäu– auf freiwilliger Basis ab 1550– 1791 Vereinödungsverordnung – 1770 bis 1820 450 Verfahren mit 30.000 ha

und 1000 Aussiedlungen

• 1765 Separationsverordnung in Preußen

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Struktur der Erwerbstätigkeit um 1800

Vgl. Ausdruck Tabelle

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„Bauernbefreiung“

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Agrarreformen 1

• trotz frühen Beginns – ab 1760 Entfeudalisierung in Schleswig-

Holstein durch die dänische Krone• Aufhebung der Leibeigenschaft 1785

– 1781 Aufhebung der Leibeigenschaft durch Joseph II. in Österreich-Ungarn

– 1783 Markgraf zu Baden

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Agrarreformen 2

Die Macht und Drohung des Beispiels:

• in den französischen Rheinlande 1797/8 Aufhebung aller feudalrechtlichen Bindungen ohne Entschädigung

• in Preußen durchgreifend erst nach der „nationalen Katastrophe“

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Preußische Agrarreformen 1

„Stein-Hardenbergschen Reformen“

• Edikt vom 9. Oktober 1807– Aufhebung der Erbuntertänigkeit– Gewerbefreiheit – Herstellung der Freiheit des Eigentums– aber Feudallasten nicht berührt

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Preußische Agrarreformen 2

• „Regulierungsedikt“ von 14.September 1811– Überführung von zum Gutshof gehörenden

nicht „eigentümlich verliehenen“ Betrieben in das Eigentum der Bauern

• Landabtretungen von ⅓ bis ½ der Betriebe

– bis 1834 ca. 95 % aller Regulierung abgewickelt

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Preußische Agrarreformen 3

• Vielzahl von weiteren Gesetzen und Verordnungen– Edikt zur Ablösung der Lasten und Dienste

14.09.1811– Gemeinheitsteilungsordnung 7.06 1821– abschließendes Ablösungs- und

Regulierungsedikt 2.03.1851

• Abschluss der Ablösungen erst in der zweiten Hälfte des 19.jahrhunderts

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Umsetzung der Agrarreformen

• ein Jahrzehnte langer Prozess– z. T. über das gesamte 19. Jahrhundert

• vielschichtiger Prozess– Rahmenbedingungen zur Lösung des Verhältnisses

Bauern – Grund oder Gutsherrn• zeitlich und inhaltlich unterschiedliche Erfassung von

Bauerngruppen– Bauernhöfe mit oder ohne Spanndienste

– Aushandlungsprozesse zwischen den Bauern• Aufteilung der Allmende

• große fundamentale regionale Unterschiede

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Das Grundprinzip der Eigentumsübertragung am Boden

• bisheriges Recht als Ausgangspunkt– Geteiltes Eigentum an Boden

• Obereigentum: Grundherrn• Nutzungsrecht: Bauern

• Übertragung durch reale Teilung der Flächen– Landabtretungen an den Gutsherrn

• Umfang der Landabtretungen differenziert nach Erbrechten

• Übertragung durch Entschädigungszahlungen– der Weg in den Grundherrschaftsgebieten

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Ergebnisse der Agrarreformen

• Aufhebung der persönlichen Bindungen und des Gesindezwangsdienstes– Herstellung der Freizügigkeit

• erfolgt in Mecklenburg erst 1820

• Umwandlung der Dienst und naturalen Abgaben in Geldleistungen– kapitalisierte Ablösung gemeinsam mit

anderen monetären Abgaben

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Ergebnisse der Agrarreformen

• Verleihung des Eigentum an Grund und Boden

• nach skizziertem Muster

– in Folge von Bodenaneignung durch Gutsherrn Verlust von

• 30 000 – 40 000 Bauernhöfe• 70 000 – 80 000 nicht spannfähige Hofstellen

• Auflösung der Gemeinheiten– dort wo dies Dorfgenossenschaft beschloss

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Ergebnisse der Agrarreformen

• Landesherrlichen Befugnisse des Adels– etwa Polizeigewalt der Gutsherrn– Aufhebungsprozess in Schritten über das

ganze Jahrhundert• Z. B. Polizeigewalt in Preußen 1872• Aufhebung der selbstständigen Gutsbezirke erst

1927– Gutsherr Ortsvorsteher (Bürgermeister)

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Folgen der Agrarreformen

In Verbindung mit

• Separierungen der Gemeinheiten (Allmenden)

• Auflösung des Flurzwangs

Herstellung der Freiheit der Verfügung über die Ressourcen

als Voraussetzung einer Verbesserung

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Folgen der Agrarreformen

• Zusammenlegungen (Flurbereinigungen) als Folge der Aufhebung des Flurzwang und Separierungen– große Investitionen in den Wegebau

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Folgen der Agrarreformen

• gravierende soziale Veränderungen• in der Dorfbevölkerung

– tendenzielle Benachteiligung ärmerer Gruppen

• landarmer Haushalte

• Beschleunigung der Entstehung der „Landarbeiterklasse“

• massive Vermögensübertragungen an die ehemaligen Grundherrn

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Folgen der Agrarreformen

• Verfestigung der dualen Agrarstruktur in Deutschland– im Westen bäuerliche Landwirtschaft in

unterschiedlichen Ausprägungen– in „Ostelbien“ Grußgrundbesitz

• in der Hand von adeligen und zunehmend bürgerlichen Besitzern aber unter der agrarpolitischen „Führung“ von Adeligen

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Auswirkungen auf die Ressourcennutzung

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Ressourcennutzung zwischen Tradition und Neuerungen

• ein rascher und genereller Übergang der Bauern zu einer Fruchtwechselwirtschaft erfolgte nicht– langsamer Prozess mit großen regionalen

Unterschieden• Ein grundsätzlicher Wechsel war angesichts des Charakters

der Agrarreformen auch kam zu erwarten

• aber Ausbau der Viehwirtschaft• Regional: Aufnahme des Zuckerrübenanbaus

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Einführung des Zuckerrübenanbaus

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Zucker aus Zuckerrohr

• Verwendung in China 10 000 v. Chr.

• Anpflanzung von Zuckerrohr am Mittelmeer im Mittelalter

• 1319 erstmals Zucker in England– Luxus- und Medizinartikel in geringen Mengen

• 1432 erste Zuckerrohrplantage auf Madeira

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Zucker aus Zuckerrohr

• ab 1650 Zucker von den atlantischen und karibischen Inseln als verbreitetes Konsumgut in Europa– Beginn Ablösung des Honigs als

Süßungsmittel

• Produktion in den Kolonie auf Basis von Sklaven– allein 15 – 20 Mio. Sklaven für

Zuckerproduktion

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Zucker aus Zuckerrohr

• Kontinental- bzw. Seesperre im Krieg von Napoleon gegen England um 1800 Ausfall der Einfuhrmöglichkeiten

• ab 1806 Aufbau einer inländischen Zuckerproduktion auf Basis von Zuckerrüben

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Zucker aus Zuckerrüben

• Entdeckung de Zuckers in Rüben durch den Berliner Apotheker Andreas Sigismund Markgraf

• Franz Karl Achhard 1799 Untersuchungen zur Gewinnung von Zucker aus Runkelrüben und praktische Ausführungen

• 1811/12 Staatsfabriken zur Gewinnung von Zucker aus Rüben– Ersatz des Rohrzuckers

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Zucker aus Zuckerrüben

• mit Ende der Kontinentalsperre Zusammenbruch der Rübenzuckerproduktion

• 1834 Wiederbeginn der Zuckerrübenanbaus und der Zuckerproduktion

• Ursache: Einführung von Zöllen durch den Deutschen Zollverein auf Rohrzucker

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Zucker aus Zuckerrüben

• Ausbau des Schutzsystems über verschiedene Stufen und Maßnahmen zu einer umfassenden Zuckermarktpolitik– Kontingentierung

• ab 1885 fast völlige Substitution des preiswerteren Rohrzuckers durch Rübenzucker– Gewinner: Teile der Landwirtschaft in Eurpa– Verlierer?

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Zucker aus Zuckerrüben

• Anbau sehr arbeitsintensiv– z. T. im 19. und zu Beginn des 20.

Jahrhunderts Einsatz von Wanderarbeiter aus Polen

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Zuckerpolitik

• Zuckerrübenanbau in Europa eine Folge der agrarpolitischer Maßnahmen

• Aktuell: in der EU möglicherweise grundsätzlicher Bruch mit dieser agrarpolitischen Tradition

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Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts 1

Trotz neuer institutioneller Möglichkeiten zur Sicherung der Ernährung Verschärfung der Situation

• weitere Bevölkerungsvermehrung• Zusammenbruch des ländlichen

Textilkonjunktur– Aufkommen industrieller Konkurrenz

• Prekäre Lebensverhältnisse für weite Teile der Bevölkerung

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Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts 2

• Anstieg der Agrarpreise• Langsame Veränderung der

Agrarproduktion– Anteil der Brache

• 1800 25 %• 1850/55 11,3 %

– Anteil der Kartoffeln• 1800 1,5 %• 1850/55 9,4 %

– Anstieg der Erträge um 10 – 20 %

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Agrarentwicklung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts

• gute Agrarkonjunktur– Veränderung der Preis-Lohnverhältnisse

zugunsten der Agrarprodukte

• große Ernte- und Hungerkrisen– 1817/18– 1845 – 49 (Kartoffelfäule)

• in Irland 1, 5 Mio. Tote

• generell äußerst prekäre Situation der Nahrungssicherung und -versorgung

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Hungerkatastrophe von 1846/47 1

• Ursache „Schlechtes Wetter“ in weiten Teilen Europas– daher Ertragsdepressionen– im Spessart gepflanzte Kartoffeln wurden nicht einmal

mehr geerntet

• prekäre Lebenssituationen verschärfen sich vollends

• Regierungen blieben weitgehend untätig– weiter Getreideexporte von Preußen nach England– hohe Ausfuhrzölle von Preußen gegenüber

Frankreich (kein wichtiger Käufer von Getreide)

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Hungerkatastrophe von 1846/472

• die marktorientierte Landwirtschaft profitierte vom höheren Preisniveau

• fehlende Kaufkraft als Hungerursache

• Hungersnot ging in die Revolution von 1848 über

• war aber trotz einiger Hungerunruhen nicht ihr Anlass

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Pauperismus

• ein grundsätzliches Gesellschaftsproblem ohne sich abzeichnende Lösung über Generationen

• Pauperismus– große Bevölkerungsteile können sich selbst

durch anstrengenste Arbeit nur notdürftig ernähren

– haben keine sicheren Erwerbsmöglichkeiten – sind ohne jede Aussicht auf Verbesserung

ihrer Situation und ohne Hoffnung

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Beispiel einer prekären Lebenssituation

• Bericht von Friedrich List 1844 aus Süddeutschland

Über dem Tisch einer Hütte war ein Hering mit einem Faden an der Decke befestigt, dieser Hering wurde von den Kartoffel essenden Personen jeweils weiter gereicht und an den Kartoffeln gerieben, um diesen wenigstens etwas Geschmack zu geben!

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Literatur 1

• Abel, Wilhelm (1962): Geschichte der deutschen Landwirtschaft vom frühen Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert, Stuttgart

• Achilles, Walter (1993). Deutsche Agrargeschichte im Zeitalter der Reformen und der Industrialisierung, Stuttgart

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Literatur 2

• Dipper, Christof (1990): Deutsche Geschichte 1648 – 1789, Frankfurt, M.

• Gömmel, Rainer (1998): Die Entwicklung der Wirtschaft im Zeitalter des Merkantilismus 1620 – 1800. Enzyklopädie Deutscher Geschichte, Bd. 46, München

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Literatur 3

• Henning, Friedrich-Wilhelm (1979): Landwirtschaft und ländliche Gesellschaft in Deutschland, Bd. 1: 800 – 1750, Bd. 2 1750 bis 1976Paderborn u. a. O.

• Herrmann, Klaus (1985): Pflügen, Säen, Ernten. Landarbeit und Landtechnik in der Geschichte, Deutsches Museum, Kulturgeschichte der Naturwissenschaften und der Technik, Reinbek

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Literatur 4

• Reininghaus, Wilfried (1990): Gewerbe in der frühen Neuzeit. Enzyklopädie Deutscher Geschichte, Bd. 3, München

• Rösener, Werner (1993): Die Bauern in der europäischen Geschichte, München

• Trossbach; Werner (1993): Bauern 1648 – 1806. Enzyklopädie Deutscher Geschichte, Bd. 19, München

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Literatur 5

• Zirfas, Jörg u. Goffin, Bettina (Hg.) (1998): Kartoffel. Eine kleine kulinarische Anthologie, Stuttgart

• Paulinyi, Akos u. Troitzsch, Ulrich (1997): Mechanisierung und Maschinisierung1600 bis 1840. Propyläen Technikgeschichte, hrsg. von König, W., Bd. 3

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Literatur 6

• Prass, Rainer (1997): Reformprogramm und bäuerliche Interessen. Die Auflösung der traditionellen Gemeindeökonomie im südlichen Niedersachsen 1750 – 1883. Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 132, Göttingen

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Literatur 7

• Hobhouse, Henry ( 1992): Fünf Pflanzen veränderten die Welt. Chinarinde, Zucker, Tee, Baumwolle, Kartoffel, München

• Körber-Grohne, Udelgard (1987): Nutzpflanzen in Deutschland. Kulturgeschichte und Biologie, Stuttgart

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Literatur

• Schlumbohm, Jürgen (1997): Lebensläufe, Familien, Höfe. Die Bauern und Heuerleute des Osnabrückischen Kirchspiel Belm in der proto-industrieller Zeit 1650 – 1850. Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 110, Göttingen

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Literatur

• Trossbach, Werner (2003): Gutsherrschaft und Gutswirtschaft zwischen Elbe und Oder: Asymmetrische Agrarsysteme in wechselnden Perspektiven. In: Prass, R. u. a. (Hg:): Ländliche Gesellschaften und Deutschland und Frankreich, 18 – 19. Jahrhundert, Göttingen, S. 31 - 51

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Literatur

• Baar, L. u. a. (2000): Gemeinheitsteilungen in Europa. Die Privatisierungen der kollektiven Nutzung des Bodens im 18. und. 19. jahrhundert. Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte 2000/2