60
www.asg-goe.de www.asg-goe.de www.asg-goe.de www.asg-goe.de www.asg-goe.de H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft Grüne Gentechnik Exkursionen der ASG- Frühjahrstagung

Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

www.asg-goe.dewww.asg-goe.dewww.asg-goe.dewww.asg-goe.dewww.asg-goe.de

H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004

A g r a r s o z i a l e G e s e l l s c h a f t e . V .

Menschen mit Behinderungin der Landwirtschaft

Grüne GentechnikExkursionen der ASG-Frühjahrstagung

Page 2: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Ein Jahr nach den Luxemburger Reformbeschlüssen der EU-Agrarminister steht das zukünftige Systemder Agrarförderung in Deutschland fest. Prämienzahlungen an die Landwirte werden ab 2005 von der Pro-duktion entkoppelt und an Auflagen in den Bereichen Umwelt, Tierschutz, Lebensmittel- und Futtermittelsi-cherheit geknüpft. Des Weiteren wird ein bestimmter Prozentsatz der Prämien für Zwecke der ländlichenEntwicklung (Modulation) einbehalten.

Diese neuen agrarpolitischen Rahmenbedingungen stellen die Landwirtschaft und die ländliche Entwick-lung vor neue Herausforderungen. Marktbedingungen werden zukünftig stärker auf die Produktion und dieLandnutzung einwirken. In der ländlichen Entwicklung muss die Förderpolitik den neuen Rahmenbedingun-gen angepasst werden. Nicht zuletzt wird danach zu fragen sein, ob die neuen Ziele der Agrarförderung zueiner Stärkung der gesellschaftlichen Akzeptanz der Agrarförderung beitragen können.

Neue Herausforderungen stellen sich für die Landwirtschaft auch in der Agrarsozialpolitik. Der Strukturwan-del in der Landwirtschaft und steigende öffentliche Ausgaben für die agrarsozialen Sicherungssystemeverstärken hier den Reformdruck.

Mit unserer Herbsttagung wollen wir eine Standortbestimmung nach der EU-Agrarreform für die Land-wirtschaft und die ländlichen Räume vornehmen. Unsere Herbsttagung ist auch in diesem Jahr mit derMitgliederversammlung verknüpft. Im Rahmen der Mitgliederversammlung finden Neuwahlen zu unseremVorstand sowie Ergänzungswahlen zum Kuratorium statt.

Wir laden Sie herzlich ein, mit uns zu diskutieren und freuen uns auf ihre Teilnahme.

ASG-Herbsttagung 18./19. November 2004ASG-Herbsttagung 18./19. November 2004ASG-Herbsttagung 18./19. November 2004ASG-Herbsttagung 18./19. November 2004ASG-Herbsttagung 18./19. November 2004

Standortbestimmungnach der EU-Agrarreform

Nähere Informationen und Anmeldung bei:Nähere Informationen und Anmeldung bei:Nähere Informationen und Anmeldung bei:Nähere Informationen und Anmeldung bei:Nähere Informationen und Anmeldung bei:Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Tagungsort:Postfach 1144 Clarion Hotel37001 Göttingen Kasseler Landstr. 45Tel.: 0551 / 4 97 09 - 0 37081 GöttingenFax: 0551 / 4 97 09 - 16, E-Mail: [email protected]: www.asg-goe.de

Tagungsgebühr:Mit Ohne

Abendessen AbendessenASG-Mitglieder 37,-- Euro 24,-- Euro

Nichtmitglieder 47,-- Euro 34,-- Euro

Studenten/-innen 16,-- Euro* kostenlos

* Auf Einladung der Postbank können 20 Studenten/-innen kostenlos am Abendessen teilnehmen. DieBerücksichtigung erfolgt nach der Reihenfolge der Anmeldungen. Bitte Studienbescheinigung vorlegen (Kopie).

Page 3: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Freitag, 19. November 2004

VORTRAGSTAGUNG8.30 bis13.00 Uhr Reform der EU-Agrarpolitik:

… Auswirkungen und Herausforderungen für die LandwirtschaftProf. Dr. Stefan TANGERMANNDirektor für Ernährung, Landwirtschaft und Fischerei, OECD, Paris

… Auswirkungen und Herausforderungen für die MilchwirtschaftPeter CORNELIUSVorsitzender der Landesvereinigung der Milchwirtschaft, Niedersachsen e.V., Oldenburg

… Welche Chancen ergeben sich für die ländliche Entwicklung?Ignaz KNÖBLAbteilungsleiter, Lebensministerium, Sektion II, Wien/Österreich

... Finanzpolitische BetrachtungenMinR Andreas HERMESBundesministerium der Finanzen, Referat Finanzfragen der EU-Agrarpolitik, Berlin

13.00 Uhr Ende der Veranstaltung

Pr

og

ra

mm

Donnerstag, 18. November 2004

13.30 bis16.00 Uhr Foren und Exkursion (parallel)

Forum 1: Agrarsoziale Sicherungssysteme

Impulsvorträge:

Iris COMDÜR, Stellv. Bundesvorsitzende Bund der Deutschen Landjugend,Berlin

MR Klaus LEHLE, Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaft, Berlin

Forum 2: Die polnische Landwirtschaft; ein neuer Markt oder eine neue Konkurrenz? Ergebnisse einer ASG-Fachtagung in Polen

Exkursion: Rittergut Besenhausen• • • • • Umnutzung von Gebäuden ••••• Handweberei ••••• Hofcafe ••••• Wohnungen••••• Ausstellungen/Veranstaltungen ••••• Schilfkläranlage ••••• Holzschnitzelheizung••••• Eigene Stromerzeugung

16.30 Uhr MITGLIEDERVERSAMMLUNG

18.00 Uhr FESTVORTRAG

19.00 Uhr Gemeinsames Abendessen

Page 4: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

1 ASG-Herbsttagung 18. und 19. November 20043 Exkursionen der ASG-Frühjahrstagung in Chemnitz

15 Neues von der agrarpolitischen Bühne

17 Der Türkei eine Perspektive

18 Landwirtschaftliche Familienberatungen und Sorgentelefone19 Kirchlicher Dienst für Landwirtschaft und ländlichen Raum21 Das Bild der Landwirtschaft in Werbeanzeigen der Fachpresse22 Bauernstolz – gibt es das noch?25 Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft31 Tagung: Arbeit mit behinderten Menschen32 Grüne Gentechnik36 Noch Ausbildungsplätze in grünen Berufen frei

37 Speiseöl aus Raps – eine gesunde Alternative

40 MELANIE: Neue Wege der Dorfentwicklung im Saarland44 Systemische Kommunikation in regionalen Entwicklungsprozessen

48 Auswirkungen der EU-Wasserrahmenrichtlinie

52 Gedenkkolloquium für Prof. Dr. Dr. h.c. Wilhelm ABEL52 Fachtagung „Menschen als Maß aller Dinge: Mentalität, Motivation,

Mitwirkung“52 Ausstellung „Estnische Liebe“

53 Ulrike Schellberg gestorben53 Friedlinde Gurr-Hirsch neue Staatssekretärin im Ministerium für Er-

nährung und Ländlichen Raum, Baden-Württemberg53 Volker Sklenar weiterhin Minister, Christian Juckenack neuer

Staatssekretär im Ministerium für Landwirtschaft, Naturschutz und Umwelt, Thüringen

54 Adelheid Lindemann-Meyer zu Rahden 80 Jahre

54 Herausforderungen für die Agrarfinanzierung im Strukturwandel - Ansätze für Landwirte, Banken, Berater und Politik

55 Von der Idee zum Markt – Marketing für den Landtourismus56 Nebenerwerbslandwirtschaft56 Agrar-Umweltpolitik im Transformationsprozess, das Beispiel Polen

InhaltInhalt

Ländlicher Raum

Fotos Titelseite: M. Busch, A. Buxbaum/Greenpeace, C. Kutzner, O. Schmidt

Landwirtschaft

Agrarpolitik

ASG

Ernährung

Nachhaltigkeit

EU-Erweiterung

Termine

Personalien

Für Sie gelesen

Page 5: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

Ländlicher Raum Juli/August 2004 3

Exkursion A: Landwirtschaft und Schaffung vonArbeitsplätzen in Westsachsen

Optimismus überwiegt

Mit einer großen Vielfalt Fri-scher Weidensdorfer Kartof-

felprodukte konnten die Exkursi-onsteilnehmer/-innen in Begleitungvon Amtsleiter Dieter LORBER,Staatliches Amt für Landwirt-schaft, Zwickau, und GeorgGERSCH, Staatliches Amt fürLändliche Entwicklung, Oberlung-witz, bei der Friweika e.G. naheGlauchau Bekanntschaft machen.Das Unternehmen hat in den ver-gangenen 14 Jahren eine erstaun-liche Entwicklung vom zwischen-betrieblichen Kartoffellager zummodernen Kartoffelveredlungsbe-trieb vollzogen. Hierzu musstenerhebliche Investitionen in mo-dernste Lager- und Verarbeitungs-anlagen getätigt werden. Der Jah-resumsatz stieg von 7 Mio. •(1990) auf 38 Mio. • (2003). DasUnternehmen konnte seine 100Arbeitsplätze, die vor der Wendevorhanden waren, auf 250 Arbeits-plätze aufstocken. Mit einem kürz-

lich begonnenen Investitionsvorha-ben in Höhe von 17,8 Mio. • wer-den eine Kapazitätserweiterung imBereich Convenience-Produkteund die Schaffung weiterer 50 Ar-beitsplätze angestrebt. Darüber hi-naus sichert Friweika die Auftrags-lage und Arbeitsplätze bei den 18vertraglich verbundenen landwirt-schaftlichen Betrieben mit einerKartoffelanbaufläche von ca.1 200 ha. Die Produktpalette um-fasst ca. 70 Artikel und reicht vonSpeisekartoffeln über Schälkartof-feln und Garkartoffeln bis hin zuKloßteigen, Schupfnudeln, Sala-ten, Gratins usw. Großhandel,Großküchen und Gaststätten wer-den mit eigenen Fahrzeugen be-liefert, wobei besonderer Wert aufdie hervorragende Produktqualität(Qualitätsmanagement zertifiziertnach DIN EN 9002) und einen gu-ten Kundenservice gelegt wird.

Nicht 365 Tage im Jahr ar-beiten

Kaum 2 km vomBetrieb Friweikaentfernt befindetsich der Wiederein-richtungsbetrieb vonWerner & KarstenULBRICHT. DerMilchviehbetrieb(Herdbuchzucht)verfügt über 172 halandwirtschaftlicheNutzfläche, von de-nen 32 ha Eigentumsind. 1991 wurde einneuer Kaltstall mitVollspaltenbodenund Hochliegeboxenfür 130 Milchküheund Nachzucht (260

Tiere) gebaut. Die durchschnittli-che Milchleistung beträgt ca.9 500 kg. Die Milch wird an dieVogtland-Molkerei in Plauen ab-gegeben. Neben 55 ha Winterwei-zen werden 12 ha Wintergerste,31 ha Silomais, 18 ha Winterrapssowie 10 ha Luzerne-Gras ange-baut. 36 ha sind Dauergrünlandund 10 ha Stilllegungsfläche.

Vater und Sohn Ulbricht sind Ge-sellschafter in der GbR, ein wei-terer Sohn und ein Lehrling sindangestellt. „Wir haben eine guteBesetzung, schließlich wollen wirnicht 365 Tage im Jahr nur arbei-ten“ sagt Werner Ulbricht bevor erauf Probleme eingeht. Über-schwemmungen und Trockenheithätten den Landwirten das Lebenschwer gemacht und so hättensich die Kosten stärker entwickeltals die Gewinne. Besorgt äußertsich der Betriebsleiter über die ge-genwärtigen Milchpreise: „Selbstein Preis von 30 Ct pro Liter wärefür uns zu wenig, um davon lebenzu können“. Viele Landwirte, von

ASG

Kaltstall mit Vollspaltenboden und Hochliegeboxen für 130Milchkühe

Betriebsleiter Arnulf KERN stellt dieProduktpalette der Friweika e.G. vor.

Fot

os: M

. Bus

ch

Exkursionen der ASG-Frühjahrstagung in Chemnitz

Page 6: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

4 Juli/August 2004 Ländlicher Raum

denen er Land pachtet, wollen ihm den Boden lieber ver-kaufen. Familie Ulbricht hat schon vor zwei Jahren 27 hagekauft und würde auch weitere Flächen kaufen. Es istaber sehr schwer einen Kredit zu bekommen. Bei derletzten Kreditanfrage hätten sie über ein Jahr warten müs-sen, bis der Kredit genehmigt worden sei, klagt der Sohnund ergänzt, dass immer mehr Betriebe von Holländerngekauft würden, was gleichzeitig zu höheren Pachtprei-sen führe. Trotz vieler Schwierigkeiten bleibt Familie Ul-bricht optimistisch und plant neue Investitionen.

Optimismus trotz schlechter Zahlungsmoral

Am Waldhufendorf Langenbernsdorf mit seinen 120Vierseithöfen wird der Wandel des ehemals stark land-wirtschaftlich geprägten Ortes deutlich. Das mit Mittelnder Dorferneuerung renovierte Dorf erreichte im Dorfwett-bewerb den zweiten Platz und weist zahlreiche Umnut-zungen der überwiegend unter Denkmalschutz stehen-den Bausubstanz auf.

Familie HÄBER gründete 1991 auf dem rückübereig-neten Hofgrundstück eine eigene Gerüstbaufirma. Hierzuwurden die von einer ehemaligen LPG zuvor genutztenStallgebäude gekauft, umgebaut und als Lager- und Re-paraturhalle mit Büro eingerichtet. Heute beschäftigt derBetrieb zehn Personen und an Aufträgen mangelt es trotzFlaute in der Baubranche nicht, da sich der Betrieb ehermittleren und kleineren Aufträgen zuwendet. Problema-tisch sei die schlechte Zahlungsmoral der Auftraggeber– noch immer müsse die Familie auf Geld aus dem ver-gangenen Jahr warten, weil die Kunden nicht in der Lageseien zu zahlen, klagt Frau Häber. Die Zukunft sieht sieoptimistisch: „Es ist die Jugend da, die baut. Es ist imDorf nicht so, dass jeder in die alten Bundesländer geht,wir wollen auch hier etwas schaffen.“

Reittourismus und mobile Schmiede

Für Gerlinde STUDE in Langenbernsdorf ist die Vor-stellung, keine Arbeit zu haben, fremd. Sieben Tage inder Woche ist sie auf ihrem Hof tätig. Sie hat Landwirt-schaft studiert und in diesem Beruf zehn Jahre lang ge-arbeitet. Ihr Mann Karl Stude hat 1989 zum Hufschmiedumgeschult und arbeitet in diesem Beruf. Er betreibt einemobile Schmiede und beschlägt die Pferde der näherenUmgebung, wo in letzter Zeit zehn neue Reiterhöfe ent-standen sind.

Auch der eigene Hof wurde inzwischen zum Pferde-,Reit- und Pensionsbetrieb mit Gastronomie und Gäste-zimmern schrittweise ausgebaut. Frau Stude hat bei derEinrichtung Wert auf Qualität gelegt. Jedes Zimmer istliebevoll und individuell eingerichtet: neben einem Enten-zimmer gibt es ein Kuh-, Schweine-, Mäuse-, Schaf- undein Kornzimmer. Ihre gastronomischen Einrichtungen sindnur nach Vereinbarung geöffnet – drei Räume bieten guteMöglichkeiten zum Feiern. Viele Gäste schließen nocheinen Kurzurlaub an die Feier an. Die Gäste kommenaus ganz Deutschland. Spezielle Angebote gibt es fürSchulklassen und Eltern mit Kindern, denn „wenn es den

Bauen für die Zukunft

Service für Pferdebesitzer

Verkauf von Einkellerungskartoffeln im Herbst

Page 7: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

Ländlicher Raum Juli/August 2004 5

Kindern gefällt, dann kommenauch die Eltern gern“, sagt FrauStude und hofft auf den Erfolg ih-rer Werbung.

Neben 19 eigenen Pferden wer-den 2 Pensionspferde gehalten.12 ha Fläche (davon 8 ha Grün-land) dienen der Versorgung derTiere. Nach und nach fanden achtFestangestellte inklusive Reitleh-rerin und bis zu zehn geringfügigBeschäftigte auf dem Hof Arbeit.Das umfangreiche Reitwegenetz,der Reit- und Fahrverein und derPferdezuchtverein lassen den Ortzu einem beliebten sächsischenPferdedorf mit guten Aussichtenfür die Zukunft werden. Es gibt vielzu tun und das nächste Bauzielist bei Studes schon fest gelegt:eine Reithalle für die Wintersaison.

Reittourismus undDirektvermarktung

Die Agrargenossenschaft Gos-persgrün e.G. versucht sichebenfalls im Reittourismus(38 Pferde, davon 10 eigene) zuetablieren. 2001 wurde ein leerste-hender Rinderstall durch den Ein-

bau von Pferdeboxen einer Umnut-zung zugeführt. Mit Bewegungs-halle, Reitplatz, Koppeln und Reit-wegen sowie gastronomischenRäumlichkeiten sollen neue Ver-dienstmöglichkeiten erschlossenwerden. Gleichwohl machenAckerbau und Viehzucht mit2 500 ha und 4,3 Mio. kg Milchpro Jahr immer noch den größtenTeil der Betriebseinnahmen aus.Inzwischen kamen die Direktver-marktung von Kartoffeln (Anbau auf70 ha) und ein kleiner Landhandelsowie der Verkauf von Fisch hin-zu. Die Direktvermarktung begann1992 mit dem Verkauf von Einkel-lerungskartoffeln – zunächst nurin der Stadt. Inzwischen werdenim Herbst etwa 500 t Einkelle-rungskartoffeln verkauft. Viele Kun-den kommen auf den Hof, ein Teilder Kartoffeln wird zu den Kundengeliefert, ein weiterer Teil an Lä-den und eine Schälküche verkauft.Der Rest wird eingelagert und imHofladen angeboten.

Seit 2003 werden auch Erdbee-ren angebaut. Die Selbstpflückan-lage hat sich mit ihren 3,5 ha sehrgut entwickelt und ist zu einer wei-

teren Einnahmequelle geworden.15 % betragen mittlerweile dieEinnahmen aus der Direktvermark-tung – Tendenz weiter steigend –sagt Thomas HÜBNER, Betriebs-leiter der Genossenschaft. SeinBetrieb muss sich ständig nachneuen Einkommensmöglichkeitenumschauen, um die 61 Arbeits-kräfte beschäftigen zu können.Die Fleischerei mit Partyserviceund eine SB-Gaststätte wurdenbereits ausgegründet. Von denzahlreichen Gebäuden des Betrie-bes wurden einige an Gewerbe-betriebe verpachtet. „Durch denKauf von Grund und Boden, aufdem die Produktionsgebäude ste-hen, konnte in den vergangen Jah-ren für den Betrieb eine gewisseSicherheit geschaffen werden, sodass alle Gebäude und Anlagenauf eigenem Grund und Bodenstehen“ führt Hübner aus. Die Di-rektvermarktung soll ausgebautwerden, durch Unternehmensfusi-onen und die Zupachtung von Flä-chen soll der Betrieb weiter wach-sen, um mittelfristig unabhängigervon Fördermitteln zu werden.

Exkursion B: Bergbaufolgenutzung und ländliche Entwicklung im Chem-nitzer Land und Südraum Leipzig

Umnutzung von Gebäuden und LandschaftenDass nicht nur Gebäude, son-

dern ganze Landschaften einerneuen Nutzung zugeführt werdenkönnen, erfuhren die Teilnehmer/-innen der Exkursion B, die vonChristian MÜLLER, StaatlichesAmt für Ländliche NeuordnungOberlungwitz, begleitet wurde.

Kompetenzzentrum fürDenkmalschutz und ande-re Umnutzungen

Der zwischen 1830 und 1850erbaute Bauern- und DenkmalhofSchlagwitz steht auf dem Gelän-de eines ehemaligen Ritterguts.

1998 erwarb ihn die Stadt Walden-burg mit Gemeindegeldern fürumgerechnet 100 000 • und be-gann mit dem Umbau der starkeinsturzgefährdeten Gebäude, er-läuterte Bernd POHLERS, Bürger-meister von Waldenburg. Für dieRestaurierung werden voraussicht-lich etwa 3 Mio. • aus öffentlichenMitteln benötigt. Sie soll 2005abgeschlossen sein.

Bereits jetzt wird der ehemaligeHof vom BerufsförderungswerkBau Sachsen e.V., das ein Ge-bäude gepachtet hat, als „Kom-petenzzentrum Denkmalschutz“

genutzt. Hier bietet das Ausbil-dungszentrum Glauchau Block-unterricht für Lehrlinge des Re-stauratorhandwerks sowie berufs-begleitende Zusatzausbildungenfür Gesellen (Fachhandwerker fürRestauratorarbeiten) und Meister(Restauratoren im Handwerk) an.Die Zusatzausbildungen dauern jenach Fachrichtung ein halbes oderein Jahr.

Neben den Werkstätten undUnterrichtsräumen sollen auf demnach Gesichtspunkten des Denk-malschutzes sanierten Hof eineGaststätte mit Pensionszimmern,

bu

Page 8: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

6 Juli/August 2004 Ländlicher Raum

Die umgebaute Kirche wird heute als Kulturzentrumgenutzt

Fot

o: O

. Sch

mid

t

eine Wohnung für die Betreiber derGaststätte sowie ein Raum für dieOrtsfeuerwehr untergebracht wer-den.

Vom Gotteshaus zumKulturzentrum

Bis 1965 gab es in der klassi-zistisch erbauten Kirche Frankennoch Gottesdienste – so Bürger-meister Pohlers, der die Exkursi-onsgruppe auch in den Walden-burger Ortsteil Franken begleite-te. Nach dem Einsturz des Dach-stuhls im Jahr 1991 wurde derDachstuhl der Kirche erneuert undmit einer Notbedachung versehen.Da sich die Landeskirche nicht inder Lage sah, die Sanierung zuübernehmen, ging die Kirche 1995durch Erbbaurecht in kommuna-les Eigentum über und wurde einJahr später entweiht.

Mit der Erarbeitung eines Nut-zungskonzepts befasste sich der1996 gegründete Förderverein „Kir-che Franken e.V.“. Das Konzepthatte zum Ziel, das Denkmalwieder herzustellen, moderne ar-chitektonische Ideen zu verwirkli-chen und das mittlere Muldentaldurch die Schaffung eines Kultur-zentrums ökonomisch und kultu-rell zu vitalisieren. Die Gesamt-kosten des Umbaus beliefen sichauf ca. 1,9 Mio. •. Etwa 300 000 •wurden aus Mitteln der Denkmal-pflege des RegierungspräsidiumsChemnitz abgedeckt.

Nach umfangreichen Instandset-zungs- und Restaurierungsarbei-ten konnte das Kulturzentrum imMai 2000 eröffnet werden. Die um-genutzte Kirche, in der 150 Sitz-plätze zur Verfügung stehen, wirdheute als Schul- und Ausbildungs-zentrum für Lehrgänge, Work-

shops sowie verschieden-steVeransta l tungen,bspw. Familienfeiern, ge-nutzt. 2003 haben beiknapp 100 Veranstaltun-gen 4 700 Gäste das Kul-turzentrum aufgesuchtund damit gezeigt, dassdas Konzept angenom-men wird.

Neues Leben inehemaliger Braun-kohletagebauregion

Alle Häuser stehen un-ter Denkmalschutz, freutsich Dr. GabrielaLANTZSCH, Bürgermeis-terin aus Großpösna.Dass dies nicht immer sowar, wird den Teilnehmern/-innen der Exkursion an-hand ihrer drastischenSchilderungen deutlich.Die Menschen des zuGroßpösna gehörendenDorfes Dreiskau-Muckernseien im Zuge des Braun-kohletagebaus in den1980er Jahren größten-teils umgesiedelt und dasDorf beinahe zerstört wor-den. Erst als sich die ver-

bliebenen 52 Einwohner/-innen ve-hement für die Erhaltung ihresDorfes engagierten, wurde Dreis-kau-Muckern unter Denkmal-schutz gestellt und eine Studie zuden Möglichkeiten des Wiederauf-baus und der Wiederbelebung er-arbeitet. Durch die Aufnahme indas Sächsische Dorfentwick-lungsprogramm im Jahr 1994 so-wie durch das „AktionsprogrammLändlicher Raum, Dorfentwick-lung, Land- und Forstwirtschaft inBraunkohlelandschaften“ erhieltDreiskau-Muckern umfassendeUnterstützung beim Wiederaufbau.So wurde das Dorf mit Hilfe vonFördermitteln und des persönli-chen Engagements von Dorfbe-wohnern/-innen und Politikern/-innen wieder aufgebaut. Da die Im-mobilienpreise relativ niedrig la-gen, fanden zahlreiche Häuserund Gehöfte neue Eigentümer.Besonderer Ansporn für die Ein-wohner/-innen von Dreiskau-Mu-ckern war die Beteiligung amEXPO-Projekt Dorf 2000. Heuteleben im alten Ortskern von Dreis-kau-Muckern wieder 430 Einwoh-ner/-innen, darüber hinaus ist einNeubaugebiet entstanden. 24 Fir-men, v. a. Kleinunternehmen, bie-ten 38 Arbeitsplätze. Die Arbeits-losenquote in Dreiskau-Muckernliegt bei unter 3 %. Ein Wieder-einrichter betreibt einen Pferde-zuchtbetrieb. Es würden dringendReitwege benötigt, betont die Bür-germeisterin angesichts der Tat-sache, dass im Ort auf zehn Ein-wohner/-innen ein Pferd komme.

Während der eindrucksvollenFührung wurde deutlich, dass diepositive Entwicklung des Ortesnicht unerheblich mit dem persön-lichen Engagement sowie derKompetenz und Begeisterungsfä-higkeit ihrer Bürgermeisterin zu-sammen hängt.

Sensibilisierung von Kin-dern für die Natur in ehe-maligem Rittergut

Die Gebäude des ehemaligenRitterguts in Dreiskau-Muckernwurden seit 1950 von einer LPG

Page 9: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

Ländlicher Raum Juli/August 2004 7

Fot

o: O

. Sch

mid

t

als Wirtschaftsgebäude genutzt. Als das Dorf demBraunkohletagebau weichen sollte, wurden die Gebäu-de nicht mehr gebraucht und verfielen. Mit dem Be-schluss zum Erhalt des Dorfes 1993 begann die Revi-talisierung des Ritterguts. Auf dem Komplex entstan-den mit Hilfe von Fördermitteln und mit Unterstützungder Gemeindeverwaltung, des Ortschaftsrates und derDorfsanierungsgesellschaft ein Technologiezentrum,ein Wohnhaus, eine Mehrzweckhalle, ein Kindergar-ten sowie das im Juni 2001 eröffnete ökologische Land-wirtschaftsschulheim.

Ziel des Landwirtschaftsschulheims sei es, erläu-tert die Leiterin Anita HERTEL, Kindern und Jugendli-chen Kenntnisse über die Zusammenhänge von Na-tur, Landschaft und Landwirtschaft zu vermitteln undzu ökologischem Handeln anzuregen. Vorwiegend kä-men Kinder der Klassen 1 bis 4. Träger des Landwirt-schaftsschulheims ist der Verein „Schola Oekologica– Sozio-Ökologisches Zentrum e.V.“, der im Rahmenseiner Projekte mit Landwirtschaftsbetrieben, Trägernder Weiterbildung und Dozent/-innen für Kinder- undErwachsenenbildung zusammen arbeitet. Das Hausverfügt über 57 Übernachtungsplätze und ist behin-dertengerecht ausgestattet.

Von der Tagebaulandschaft zum„NeuseenL@nd“

Neben der Gebäudeumnutzung wurde während derExkursion ein Beispiel für die Bergbaufolgenutzungvon Landschaften vorgestellt. In der ehemaligen Braun-kohletagebauregion südlich von Leipzig entsteht dasErholungsgebiet NeuseenL@nd mit 17 kleinen undgroßen Seen. Insgesamt sollen 135 Tagebaurestlö-cher in Seen verwandelt werden. Das Wasser für dieFlutung der ehemaligen Tagebaue stammt aus Grund-und Sümpfungswasser noch aktiver Tagebaue und wirdseit 1998 eingeleitet.

Der Cospudener See wurde im Jahr 2000 im Rah-men des EXPO-Projekts „Landschaftsnutzung – Land-schaftspflege: Vom Kontrast zum Konsens“ als einerder ersten eröffnet. Karin FRANKE, Lausitzer und Mit-teldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH(LMBV), die für die Sanierung der still gelegten Tage-baue verantwortlich ist, berichtete von 70 neuen Ar-beitsplätzen, die in Cospuden in den Bereichen Gas-tronomie, Wassersport und Freizeit entstanden sei-en. Der Cospudener See gehört seit seiner Fertigstel-lung den Städten Leipzig, Markkleeberg und Zwen-kau. Die Pier 1 GmbH betreibt dort einen Segelhafenund Strandpavillons und übernimmt das Marketing unddas Veranstaltungsmanagement.

Angesichts des Sees und seiner Freizeit- und Erho-lungsmöglichkeiten fiel es schwer sich vorzustellen,dass dort vor nicht allzu langer Zeit noch eine vomTagebau dominierte Landschaft mit riesigen Tagebau-restlöchern und Abraumhalden zu finden war.

Fot

o: M

. Bus

ch

Im Bauern- und Denkmalhof wird im Restauratorhandwerk aus-und weitergebildet

Im ökologischen Landwirtschaftsschulheim sollen Kinder für dieNatur sensibilisiert werden

Der Segelhafen am neu entstandenen Copudener See

Fot

o: M

. Bus

ch

os

Page 10: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

8 Juli/August 2004 Ländlicher Raum

Exkursion C: Land- und Regionalentwicklung an der Mulde

Innovative Ideen nach der Flut

Die Auswirkungen der Abwan-derung junger Menschen, vor

allem von Frauen, aus der Regionsollen bis zum Jahr 2020 zu ei-nem Bevölkerungsrückgang von13,7 % gegenüber 2001 führen,erläuterte Dr. Angela KUNZ, Staat-liches Amt für Ländliche Neuord-nung, Wurzen, die die ExkursionC begleitete. Bereits jetzt stündenviele Wohnungen leer, was zu ei-ner Senkung der Mietpreise undsomit zu einer Schwächung derohnehin geringen Wirtschaftskraftführe.

Dorfentwicklung durchneue Tourismus- undBildungsangebote

Die Gemeinde Sornzig-Ablaßhat durch den Rückgang von Land-wirtschaft und Bergbau starkeökonomische Einbrüche erlebt, sodass die Arbeitslosigkeit bei ca.18 % liegt. Durch Abwanderunghabe sich die Bevölkerungszahlbereits halbiert, erklärte Bürger-meister Volkmar WINKLER. Vie-le zu DDR-Zeiten erbaute, meistunattraktive Wohnblöcke stündenleer, die unter der sozialistischenRegierung vernachlässigten Vier-seithöfe seien wegen ihresschlechten Zustandes nicht mehrin landwirtschaftliche Nutzung zubringen, obwohl das zugehörigeLand oft über 80 Bodenpunkteaufweise. Auch die infrastrukturel-len Auswirkungen der Abwande-rung – wie die Schließung vonPost, Grundschule und Sparkas-se – seien nicht zu übersehen. DieHoffnung, von der Autobahnnähezu profitieren, habe sich nicht er-füllt. Das Gewerbegebiet sei nurzu knapp einem Viertel ausgelas-tet. Jetzt gelte es neue Ideen zuentwickeln, so der engagierte Bür-germeister.

Hilfe erfährt die Gemeinde durchdas sächsische Dorfentwicklungs-

programm. In Kooperation mit derNachbargemeinde wurde ein tou-ristisches Konzept entwickelt.Großes Potenzial wird in der At-traktivität der flussreichen Mittel-gebirgslandschaft gesehen, beider es sich um das größte Obst-anbaugebiet Sachsens handelt.Um die Schönheiten der Apfelblü-te hervorzuheben, ist ein alljährli-ches Blütenfest eingeführt wor-den.

Das Tourismuskonzept umfasstauch den Ausbau der Schmalspur-bahnstrecken in der Region undder Feldbahnschauanlage Glos-sen, die Eisenbahnfans aus allerWelt anlocken soll. Der sehr akti-ve Trägerverein dieser Anlage hatbereits 15 Lokomotiven sowie100 Anhänger und Loren erworbenund plant für Oktober 2004 ein in-ternationales Treffen der Feldbahn-freunde.

Neben dieser „ErlebnisweltBahn“ ist auch an den Schwer-punkt Motocross gedacht um dieehemaligen Bergbauhalden effek-tiv nutzen zu können. Darüber hi-naus gibt es Überlegungen, Ab-baugebiete zu fluten, damit Bade-seen entstehen.

Das Tourismuskonzept, das miteiner breiten Bürgerbeteiligungentwickelt worden ist, wird zzt.auf seine Wirtschaftlichkeit ge-prüft. Ein Problem bei der Umset-zung sind die finanziellen Eigen-anteile, die die Gemeinde aufbrin-gen muss um Fördermittel in An-spruch nehmen zu können.

Ein positives Beispiel von Um-nutzungen in der Gemeinde zeigtdas Kloster Marienthal, das zueinem Europäischen Bildungszen-trum ausgebaut wurde. Hier wer-den der internationale Jugendaus-tausch und die Qualifizierung Ju-gendlicher gefördert. Aber auch fürandere Altersgruppen bietet das

Kloster Bildungsangebote undschafft dabei den Spagat zwi-schen der Nutzung moderner Me-dien und dem klösterlich-ruhigenAmbiente.

Obstland Sachsen –eine Erfolgsgeschichtemit Potenzial

Die aus einer LPG hervorgegan-gene Obstland Dürrweitzschen AGvermarktet inzwischen Obst miteinem Anbauvolumen von 2500 haund plant in Zukunft den Einstiegin die Vermarktung von biologischerzeugtem Obst auf ca. 100 ha.Das Obst, hauptsächlich Äpfel,aber auch Birnen und verschiede-ne Beerenarten, wird vor Ort sor-tiert, verpackt und anschließendan Lebensmittelketten geliefert.Darüber hinaus produziert das Un-ternehmen Saft, der in der Regionvermarktet wird. Der vielseitigeKonzern, der als AG ehemaligerGenossenschaftsbauern gegrün-det worden sei, habe seit 199160 Mio. • investiert und erwirt-schafte einen jährlichen Umsatzvon bis zu 30 Mio. •, erklärte derGeschäftsführer Gerd KALBITZ.Kleine Umsatzrückgänge, die sichvor allem auf den Personalbesatzausgewirkt hätten, habe es Mitteder 1990er Jahre gegeben. Wäh-rend die LPG vor der Wende noch1 000 Menschen einen Arbeits-platz geboten hätte, sei die Zahlder Arbeitsplätze inzwischen auf400 gesunken. Starke Einbrüchehabe es auch durch die Jahrtau-sendflut im Sommer 2002 gege-ben, welche die Kelterei des Un-ternehmens unter Wasser gesetzthabe. Von der finanziellen Belas-tung des Wiederaufbaus müssesich die Obstland DürrweitzschenAG noch immer erholen. Er rech-ne jedoch damit, dass sie baldwieder schwarze Zahlen schreibenwerde, so Kalbitz.

Page 11: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

Ländlicher Raum Juli/August 2004 9

Besonders stolz ist Kalbitz auf die Zahl der Lehrlin-ge, die von 12 im Jahr 1995 auf derzeit 42 gestiegensei. Seinen Nachwuchs müsse sich ein solches Un-ternehmen selbst ziehen, erklärte er, bedauerte abergleichzeitig, dass die Motivation vieler Jugendlicherzu wünschen übrig lasse und dass es besonders fürFührungspositionen schwierig sei Nachwuchs zu fin-den. Das Engagement in der Region sei ihm wichtig,deshalb habe das Unternehmen auch den VereinObstland e.V. gegründet, der zur touristischen Ver-marktung der Region beitragen solle. Natürlich seisein Interesse als Unternehmer vor allem darin be-gründet, bei einer steigenden Zahl von Touristen zu-sätzliche Absatzmärkte aufzubauen. Große Hoffnunghatte Kalbitz auf die Ausrichtung der Olympiade 2012in Leipzig gesetzt, die einen notwendigen Aufschwungin der Region mit sich bringen sollte.

Integration durch Engagement

1988 gründeten Absolvent/-innen der Kunstakade-mie Dresden auf einem Dreiseithof das KünstlergutPrösitz. Die Integration in das Dorf Prösitz ist denBewohnern/-innen des Künstlerguts ein wichtigesAnliegen, erläuterte Ute HARTWIG-SCHULZ, eine derGründerinnen. Sie hätten sich mit der Geschichte desDorfes auseinander gesetzt und dabei entdeckt, mitwelchen hohen ästhetischen Ansprüchen dort gebautworden sei. An zentralen Punkten stünden oftbesonders schöne Bauten.

Ein besonderes Vorhaben der Akademie ist die Ver-gabe von Stipendien an Künstlerinnen mit Kleinkin-dern aus aller Welt. Diese können auf dem Künstler-gut einen Monat lang ein Projekt bearbeiten, wäh-rend ihre Kinder betreut werden. Die Werke der Sti-pendiatinnen werden in Wanderausstellungen präsen-tiert, lassen sich allerdings meistens nur schwer ver-kaufen. Dagegen haben die Bewohner/-innen desKünstlerguts vermehrt die Möglichkeit Projekte imDorf und in der Region zu gestalten. Beispielhaft zeigtedie Künstlerin den Exkursionteilnehmern den Dorf-platz, den sie mit Ziegeln als regional vorherrschen-dem Baumaterial gestaltet hätten. Dabei wurde – ineinem Sozialprojekt mit jugendlichen Strafgefange-nen – ein runder Platz angelegt, der interessanteEchowirkungen zeige, wenn man von der Mitte ausspreche. Weitere künstlerische Projekte seien im Zu-sammenhang mit dem an der Autobahn zu errichten-den Schutzwall geplant.

Hürden auf dem Weg der Dorfentwicklung

Die Auswirkungen der unvorstellbaren Wassermas-sen im August 2002 wurden in der Gemeinde Bo-ckelwitz deutlich, wo Bürgermeister Michael HECKELbei einem Dorfrundgang Häuser zeigte, an denen dasWasser oberhalb der Erdgeschossfenster deutlicheMarkierungslinien hinterlassen hatte. Der Wiederauf-bau von zerstörten Straßen und Brücken habe bereits

Die Äpfel werden automtisch nach Farbe und Größe sortiertF

oto:

C. B

usch

Der runde Dorfplatz mit Echowirkungen soll zur Kommunikationanregen

Fot

o: C

. Bus

ch

Die Flutschäden in Bochelwitz sind deutlich zu sehen

Fot

o: M

. Bus

ch

Page 12: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

10 Juli/August 2004 Ländlicher Raum

Exkursion D: Landwirtschaft, Tourismus und ländliche Entwicklung imErzgebirge

Die vielseitige SchnitzerregionVielfältige Nischenproduk-tion der Agrargenossen-schaft e.G. Großrückers-walde

Die Agrargenossenschaft e.G.Großrückerswalde bewirtschaftetca. 900 ha Acker- und Grünland.Als außergewöhnlich ist die Zu-sammensetzung der Tierarten aufdem Betrieb zu bezeichnen: Ne-ben Milchkühen, Mastbullen undJungrindern (zusammen ca. 570)werden etwa 200 Milch- und Melk-ziegen, 30 Bisons sowie 30 StückDamwild und 100 Kaninchen ge-halten. Um den Bisons den Stressvor dem Schlachten zu ersparenund eine gute Fleischqualität zuerhalten, werden diese mit einerEinzelabschussgenehmigung di-rekt auf der Weide geschossen.Unter Berücksichtigung der natur-räumlichen Besonderheiten derRegion und des Landtourismussucht der Betrieb nach immer neu-en Nischenproduktionen. So wirdbeispielsweise der konventionelleAckerbau durch den handarbeits-intensiven Anbau von Gewürzenund Kräutern nach ökologischenRichtlinien auf knapp 1 ha ergänzt.Die tierischen Produkte werden inder eigenen Schlachterei, Metz-gerei und Käserei verarbeitet. EinGroßteil der landwirtschaftlichenErzeugnisse wird im hofeigenenLaden, in zwei Filialen, auf Bau-ernmärkten sowie von einem Ver-kaufsfahrzeug aus vermarktet.

300 Schürfstellen, während sichdie landwirtschaftlichen Tätigkei-ten auf sog. „Kleinhäuslewirtschaf-ten“ beschränkten. Zahlreiche Hal-den, das Schaubergwerg „ZumTiefen Molchner Stolln“ oder der„Grüne Graben“, ein künstlicherWasserweg aus dem 17. Jahrhun-dert, bezeugen die früheren berg-baulichen Aktivitäten.

Aus dem früheren Bergbaudorfhatte sich im 20. Jahrhundert einnicht unbedeutender Industrie-standort entwickelt. Vor der politi-schen Wende waren ca. 1 000Personen in diesem Sektor be-schäftigt. Heute beträgt die Zahlder industriellen Arbeitsplätze 280.

Eine 1990 stillgelegte und zurUmnutzung aufwendig sanierte In-dustrieanlage beherbergt das „Kre-ativzentrum Böttcherfabrik“. Aufmehreren Etagen der ehemaligenHolzwerkzeugfabrik können histo-rische Maschinenbautechnik, altelandwirtschaftliche Geräte,H0-Modelleisenbahnen, Minerali-en sowie Gemälde eines ausDörnthal stammenden Künstlersbesichtigt werden. Auch ein Pup-penmuseum mit Puppen- und Bä-renklinik ist dort untergebracht.

Das Lebenswerk von GottfriedREICHEL, eines 77-jährigen orts-ansässigen Holzschnitzers, wirdin der Galerie „Die Hütte“ ausge-stellt. Reichel greift überwiegendchristliche Motive auf, erinnert aber

große Fortschritte gemacht. Auchein höherer Deichbau sei geplant,so Heckel, wenngleich dadurch ei-nigen flussnahen Wohnungen derbisherige Ausblick versperrt wür-de. Die Situation in der Gemein-de sei sehr schwierig. So sei die cb

Umnutzung eines dorfbildprägen-den Vierseithofs als Handwerker-hof geplant gewesen, der die Ar-beit mit alten Techniken und Tou-rismusangebote miteinander ver-binden sollte. Aufgrund von Ein-wendungen der Denkmalbehörde

und fehlender Fördermittel hättedieser Plan vorerst zurückgestelltwerden müssen. Trotz aller Wid-rigkeiten gelte es laut Heckel je-doch stets neue Ideen zu entwi-ckeln.

Darüber hinaus beliefert die Ge-nossenschaft Gaststätten, Fach-geschäfte sowie den Großhandel.Ein zusätzliches Betätigungsfeldist die Holzverarbeitung.

Eine weitere Besonderheit ist,dass zu der Genossenschaft einsog. landwirtschaftlicher Integra-tionsbetrieb (LIB) gehört, derzunächst eigenständig geführtwurde. Hier wurden zwischen1998 und 2001 im Rahmen einesModellprojektes Arbeitsplätze fürbenachteiligte Menschen geschaf-fen. Während in der ersten Pro-jektphase die Qualifizierung undBeschäftigung langzeitarbeitsloserFrauen in Kooperation mit demArbeitsamt im Vordergrund stand,erfolgte in der zweiten Phase dieIntegration schwer behinderterMenschen. Heute stellen benach-teiligte Menschen knapp die Hälf-te der 46-köpfigen Belegschaft, 11von ihnen sind schwer behindert.In der Landwirtschaft arbeiten 21Personen, in der Verarbeitung,Vermarktung und Verwaltung 25Angestellte.

Staatlich anerkannter Er-holungsort Pobershau

Der etwa 2 000 Einwohner/-innenzählende Ort liegt im MittlerenErzgebirgskreis zwischen denFlussläufen der Schwarzen undRoten Pockau. Pobershau wurdeim Zuge des Erzabbaus angelegtund besaß um 1500 mehr als

Page 13: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

Ländlicher Raum Juli/August 2004 11

Ziegenmelkstand in der Agrargenossenschaft Großrückerswalde

auch an das durch den Zweiten Weltkrieg entstandeneLeid. Neben der Sammlung, die mehr als 300 Figurenumfasst, befindet sich ein Gemeindesaal in dem 1997erbauten Gebäude. Sowohl die Errichtung der „Hütte“als auch die des Kreativzentrums Böttcherfabrik wurdedurch LEADER II gefördert.

Nach 1990 dehnte sich das Dienstleistungsangebotin Pobershau im touristischen Bereich aus. Die Land-schaft mit ihren tief eingeschnittenen Tälern sowie dieWintersportmöglichkeiten trugen dazu bei, dass in Po-bershau 37 Beherbergungsbetriebe mit insgesamt 870Gästebetten entstehen konnten.

In den Jahren 1999 und 2002 entstanden erheblicheSachschäden, als die Rote Pockau infolge extremerNiederschläge über die Ufer trat. 1999 riss die Schlamm-lawine drei Häuser teilweise mit sich. Hiervon ist heuteaufgrund des hohen Arbeitseinsatzes der Einwohner/-innen so gut wie nichts mehr zu sehen.

Erzgebirgische Bergbauagentur„Bergkgeschrey“ in Zöblitz

Bereits die Räumlichkeiten der Agentur vermitteln ei-nen nachhaltigen Eindruck von der Arbeit der Bergleutein den vergangenen Jahrhunderten. Geräte wie Geleuch-te, Bohrgezähe oder Grubentelefone, historische Berg-mannstrachten und schillernde Mineralien werden in derAgentur gesammelt und ausgestellt. Der Vertrieb vonMineralien und bergbaulichen Souvenirs erfolgt nicht nurin der Agentur, sondern auch auf Mineralienbörsen, Mes-sen, Bergbautagen oder sonstigen Veranstaltungen.

Darüber hinaus erfolgt die Organisation von geführtenMineraliensuchen in ehemaligen Bergrevieren des Erz-gebirges. Ein beliebtes Ziel ist z. B. der Serpentin-Stein-bruch unweit von Zöblitz. In den Sommermonaten fin-den Untertagebefahrungen einer 1999 neu eröffneten,unmittelbar neben den Geschäftsräumen der Bergbau-agentur liegenden Silbererzgrube, die bis zum Ende des19. Jahrhunderts betrieben wurde, statt.

Auch bei der Erzgebirgischen Bergbauagentur han-delt es sich um ein LEADER II-Projekt. Die zunächstals Verein geführte Agentur ist seit sechs Jahren einprivater Gewerbebetrieb; der Geschäftsführer Hans-JörgRICHTER war jahrelang im Kalkwerk Lengefeld tätig undbezeichnet sich selbst als „Bergbau-Enthusiasten“.

Altenwohnanlage in denkmalgeschütztemGebäude

Seit 1998 dient das unter Denkmalschutz stehendeWohnhaus des ehemaligen Erbgerichtshofes in Dörn-thal als Altenwohnanlage. Das Gebäude wurde bis zurWendezeit als Lehrlingswohnheim der LPG genutzt undstand nach 1990 leer.

Durch den Umbau zu einer Einrichtung für betreutesWohnen entstanden zwölf alten- und behindertengerech-

Fot

os: M

. Bus

ch

Figuren aus dem Lebenswerk von Gottfried Reichel

Erzgebirgische Bergbauagentur „Bergkgeschrey“

Page 14: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

12 Juli/August 2004 Ländlicher Raum

Pflanzenkläranlage vor der Altenwohnanlage in Dörnthal

Das Leinöl wird durch eine mit Leingewebe undPapier bespannte Filterpresse gefiltert

te Wohnungen mit jeweils 40 bis55 m2. Der Mieterkreis setzt sichaus Menschen im Rentenalterbzw. behinderten jüngeren Perso-nen zusammen, die einen entspre-chenden Wohnberechtigungs-schein vorlegen, und besteht ge-genwärtig mehrheitlich aus älte-ren Dörnthalerinnen.

Bestandteil des Mietvertrages istein Rahmenbetreuungsvertrag miteinem monatlichen Pflichtteil von7,50 • pro Person für bestimmteGemeinschaftsleistungen. Übereinen individuell zu vergütendenWahlteil können Leistungen wieKrankenpflege oder Essensbring-dienst in Anspruch genommenwerden.

Da der Erbgerichtshof im Ein-zugsgebiet einer Trinkwasser-schutzzone liegt, verfügt dasWohnhaus über eine autarkeWasserver- und -entsorgung mitBrunnen, Wasseraufbereitung undPflanzenkläranlage.

FamilienbetriebDörnthaler Ölmühle

In der Dörnthaler Ölmühle erfolgtseit 350 Jahren die Herstellung von

kaltgepresstem Leinöl. Sie wareine von elf Mühlen, die im16. Jahrhundert am Dorfbach er-richtet wurden. 1934 erwarb Gus-tav Braun die Mühle, moderni-sierte sie und baute eine florie-rende Produktion auf. Nachdem Zweiten Weltkrieg trotztesein Sohn dem großen Mühlen-sterben und führte weitere Mo-dernisierungsmaßnahmendurch. Der Handwerksbetriebblieb während der DDR-Zeit inprivater Hand und produzierteunterschiedliche Speiseöle so-wie Rohöl für die Farbenindus-trie. Seit 20 Jahren führt ChristlBRAUN, eine Enkelin von Gus-tav Braun, die Mühle. Sie be-schäftigt zwei Angestellte sowieeinen Lehrling.

Aufgrund der verändertenMarktsituation nach der Wen-de stellt kaltgepresstes Leinölneben im Kleinstverfahren er-zeugten Ölen, u. a. aus Kürbis-kernen, heute das Hauptpro-dukt des Betriebes dar.

Um Missverständnisse zu ver-meiden, wird der Begriff „kalt-gepresst“ in Fachkreisen durch

ce fa

„schonend gepresst“ ersetzt,weil auch dieses Verfahrennicht ohne die Erwärmung derim sog. Walzenstuhl aufge-quetschten Leinsaat aus-kommt. Bei der schonendenPressung beträgt die Austritts-temperatur des Öls aus demPflanzenmaterial gepresst40° C, weil es ohne Erwärmungnicht ausfließen würde.

Durch seinen außergewöhn-lich hohen Anteil an mehrfachungesättigten Fettsäuren be-sitzt Leinöl vorzügliche Ernäh-rungseigenschaften. Es wirktblutverdünnend, lindert Hauter-krankungen und beugt Osteo-porose (Knochenerweichung)vor. In der Dörnthaler Mühlewerden jede Woche 10 000 kgkanadischen Leins zu 4 000 Li-ter Speiseleinöl verarbeitet, dasgrößtenteils unter verschiede-nen Markennamen in den Han-del kommt. Ca. 15 % des Spei-

seöls werden direkt vermarktet.

Page 15: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

Ländlicher Raum Juli/August 2004 13

Abschlussexkursion: Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen imVogtland

Tradition und Kreativität überzeugen

Die Abschlussexkursion derFrühjahrstagung führte in das

Vogtland im Südwesten Sach-sens. Das sächsische Vogtlandist, von kleineren Grenzänderun-gen abgesehen, seit über 400 Jah-ren ein fest umrissenes Gebiet miteiner Fläche von fast 1 400 km2,das sich durch eine Landschaft mitweitläufigen Waldgebieten aus-zeichnet. Die Pflege alten Brauch-tums und vor allem die vogtländi-sche Mundart haben dazu beige-tragen, dass sich die regionaleEinheit des Vogtlandes, das sichauf Gebiete von Bayern, Böhmen,Sachsen und Thüringen erstreckt,über die Jahrhunderte erhalten hat.

Armin DÖHLER und MichaelECKL, Staatliches Amt für Land-wirtschaft mit Fachschule fürLandwirtschaft, sowie GeorgGERSCH, Staatliches Amt fürLändliche Neuordnung Oberlung-witz, begleiteten die Exkursions-gruppe.

Freizeitpark größterArbeitgeber

Als Arnfried VÖLKEL nach derWende arbeitslos war, beschlosser, einen lang gehegten Plan um-zusetzen. Da er schon zu DDR-Zeiten eine Forellenzucht als Fa-milienbetrieb geführt hatte, bauteer 1991 auf dieser Grundlage einFischlokal, den Forellenhof, auf.Aus der Gaststätte erwuchs fünfJahre später der größte Freizeit-park Sachsens, beginnend miteinem Märchenwald, in dem zwölfMärchen der Gebrüder Grimm anverschiedenen Stationen aufKnopfdruck erzählt werden. Seit-dem ist der Freizeitpark kontinu-ierlich erweitert worden und hatheute eine Gesamtfläche von33 ha einschließlich Ausgleichs-und Parkplatzflächen sowie 45 haGrünland. Er verfügt über eine dergrößten Wildwasserbahnen

Deutschlands, eine Westernstadt,ein Schaubergwerk und einenSchaubauernhof, ein Dino- und einMärchenland, zahlreiche Fahrge-schäfte und vieles mehr. Die Gast-stätte Forellenhof sowie ein Fisch-geschäft mit Räucherei bestehennach wie vor. Außerdem stehenÜbernachtungsgästen eine Pensi-on und ein Heuhotel zur Verfü-gung. Zur Landwirtschaft gehörendie Fischzucht, Dam- und Rotwild,Bisons und Pferde.

Die wirtschaftliche Situation seinicht einfach, erläutert Geschäfts-führer Lutz MÜLLER. Als Gründenennt er die allgemeine Kaufzu-rückhaltung sowie das schlechteWetter. Angestrebt werde, dasMarketing dahin gehend auszu-weiten, dass auch Gäste ausTschechien angelockt würden.Außerdem hätte der Betrieb an-gefangen, im Bereich TourismusKooperationen zu bilden. Mandürfe nicht stehen bleiben undmüsse immer etwas Neues bie-ten, um konkurrenzfähig zu blei-ben.

2003 besuchten 250 000 Men-schen den Freizeitpark Plohn.Sehr positiv sei, so Müller, dassdie Dorfbewohner/-innen, die Ge-meinde und der Landkreis hinterdem Projekt stünden. Der Betriebbeschäftige 40 feste Arbeitskräftesowie bis zu 100 Saisonarbeiter/-innen aus dem Ort und der Um-gebung und bilde Köche und Re-staurantfachleute aus. Damit seider Freizeitpark Plohn einer dergrößten Arbeitgeber der Region.

Dorfentwicklung inLengenfeld

Auf der Fahrt durch Lengenfelderläuterte Arnfried TIEPMAR, Bau-amtsleiter der Gemeinde Lengen-feld, Maßnahmen der Dorfentwick-lung und des Denkmalschutzes in

den verschiedenen Ortsteilen vonLengenfeld. Lengenfeld hatinsgesamt 8 400 Einwohner/-innen, verteilt auf sechs Ortstei-le, von denen Waldkirchen dergrößte ist.

Im Rahmen der Dorfentwicklungvon Waldkirchen wurden verschie-dene Maßnahmen umgesetzt, diezuvor von einer Kommission alsZiele des Dorfkonzepts formuliertworden waren. Dazu gehören derAusbau des Friedhofsweges, dieVerbesserung der dörflichen Ge-staltung und der Verkehrsverhält-nisse sowie ein Buswendeplatz,die Erstellung eines Kriegerdenk-mals, eines Sportlerheims sowieder Umbau eines ehemaligen„Konsum“-Geschäfts zu einemBürgerhaus und die Außensanie-rung des Feuerwehrhauses. AlleMaßnahmen wurden mit 75- bis80 %-iger Unterstützung des Am-tes für Ländliche Neuordnung(ALN) durchgeführt.

Im Ortsteil Irfersgrün wurde einehemaliges Rittergut mit finanzi-ellen Mitteln der Denkmalschutz-behörde zu einer Gaststätte mitPension umgebaut. Zum Betriebgehören der historische Ritterkel-ler, ein Kaminzimmer, ein Restau-rant, ein Biergarten, sechs Einzel-und sechs Doppelzimmer sowieeine Jugendherberge mit 30 Bet-ten. Hinzu kommen Tagungsräu-me und ein großer Saal, in demdie Exkursionsteilnehmer/-innensehr gut verpflegt wurden.

Spitzenprodukte mitTradition

Die Firma C.R. Wittmann Nachf.hat ihren Sitz in Brockau, einemOrtsteil von Netzschkau. Der Orthabe jährlich einen Bevölkerungs-zuwachs von 20 Einwohnern/-innen, erzählt Arnfried DIETZ, Ge-

Page 16: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

14 Juli/August 2004 Ländlicher Raum

Spitzenherstellung mit modernen Stickmaschinen

schäftsführer der Spitzenmanufaktur, nicht ohneStolz. In seinem Betrieb finden derzeit 50 Perso-nen Arbeit. Er habe vor, die Firma noch zu erwei-tern.

Das traditionsreiche Unternehmen C.R. Wittmann– Plauener Spitzen und Gardinen wurde 1924 ge-gründet, allerdings nicht an seinem heutigen Sitz.1960 beschäftigte der VEB Plauener Spitze an ver-schiedenen Standorten 11 000 Arbeitskräfte. Dietztrat 1978 als Stickmeister in das Unternehmen ein.Nach der Wende kaufte er die alte Stickerei inBrockau für 740 000 •.

Es gebe eine harte Konkurrenz v. a. aus Chinaund der Türkei, berichtete Dietz. Sein Konzept seidaher, keine Billigware zu produzieren, sondern sichnach den Kundenwünschen zu richten. Durch mo-dernste Stickmaschinen ist das Unternehmen in derLage, auch mit Industriekunden zusammen zu ar-beiten und Gardinen in Großserie anzufertigen,Lohnstickaufträge auszuführen sowie Gardinen undMaßkonfektion nach individuellen Bedürfnissen zuproduzieren. Der Schwerpunkt liege auf konfektio-nierten Gardinen und Heimtextilien. Neben der Pro-duktion und dem Verkauf von Spitzenstickerei ar-beitet die Firma mit Reiseunternehmen zusammen,um die Besonderheiten und die Tradition der Plau-ener Spitzenproduktion touristisch zu vermarkten.Etwa 3 500 Besucher/-innen kommen im Jahr, diemeisten sind über 50 Jahre alt, weil die Vorliebe fürSpitze offensichtlich besonders in diesem Alter zufinden ist.

Dietz legt Wert darauf, dass seine Mitarbeiter/-innen auch eigene Ideen einbringen. In seinem Be-trieb werde nach Stundenlohn, nicht nach Leistungs-lohn bezahlt. Mit Leidenschaft für die Plauener Spit-zenproduktion betont er, wie wichtig ihm sei, dasHandwerk an die Jugend weiterzugeben.

Größte Ziegelsteinbrücke der Welt

Als touristisches Highlight wurde die zwischenNetzschkau und Mylau gelegene Göltzschtalbrü-cke besichtigt, die das Tal der Göltzsch auf einerLänge von 574 m und in einer Höhe von 78 m über-spannt. Damit ist die 1851 fertiggestellte Ziegel-steinbrücke die größte der Welt. 26 Mio. Ziegelwurden in vier Etagen mit 81 Bögen vermauert. IhrKonstrukteur war Prof. Andreas SCHUBERT.

Um das Bauwerk den Anforderungen des heuti-gen Bahnverkehrs anzupassen, waren nur wenigeInstandhaltungsarbeiten erforderlich. Damit wird dasBerechnungsmodell ihres Konstrukteurs in Bezugauf Stabilität und Langlebigkeit der Brücke auch 150Jahre nach Inbetriebnahme eindrucksvoll unter Be-weis gestellt. os

Die Göltzschtalbrücke, größte Ziegelsteinbrücke der Welt

Die Westernstadt im Freizeitpark PlohnF

otos

: M. B

usch

Page 17: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

Ländlicher Raum Juli/August 2004 15

Agrarpolitik

Neues von der agrarpolitischen Bühne:

(Agrar-)Sommer –fast alles Friede, Freude, Eierkuchen?

beleuchtet von Rainer Münch

Noch nie in ihrer bislang gutdreijährigen Amtszeit dürfte

BundeslandwirtschaftsministerinRenate Künast ähnlich entspanntund mit sich und der Agrarweltzufrieden in die wohlverdienteSommerpause gegangen seinwie anno 2004. Die so genanntenLuxemburger Beschlüsse zur Re-form der gemeinsamen Agrarpoli-tik, die im letzten Sommer dieohnehin erhitzten Gemüter be-wegt hatten, weitgehend nach ih-ren Vorstellungen umgesetzt, mitder Novelle des Gentechnikgeset-zes den Geist zwar nicht wiederin die Flasche gesperrt, ihm aberzumindest einen Aufenthalt auf der„Insel Deutschland“ gehörig ver-miest. – Mit einigem politischenGeschick hat die Ministerin die di-cken Brocken aus dem Weg ge-räumt, so dass frau sich in dennächsten Monaten mit den „dickenKindern“ einem neuen „Schwer-punkt“ zuwenden kann.

Umsetzung der Agrar-reform noch unklar

Nur Friede-Freude-Eierkuchen inder Agrarpolitik der Bundesregie-rung, die gute Nachrichten derzeitwahrlich nötig hat? Nicht ganz, wiebei genauerem Hinsehen zu er-kennen ist. Beispiel Agrarreform:Zwar sind die Grundzüge klar,weitgehend offen ist jedoch, wieder „Paradigmenwechsel“ in derPrämiengewährung im Detail prak-tisch umgesetzt werden soll.Bislang liegt erst eine der drei er-forderlichen Rechtsverordnungenvor. Die Cross-Compliance-Verord-nung droht infolge des Vermitt-lungsverfahrens erheblich in Ver-zug zu geraten. Gut möglich, dass

der Bundesrat im September weit-reichende Änderungen verlangtund die Regierung sich gezwun-gen sieht, einen neuen Entwurfvorzulegen, der dann – erst kurzvor Weihnachten – verabschiedetwerden könnte. Dass die Vorschrif-ten zur Einhaltung der Standardsdann bereits zwei Wochen spätervon den Landwirten eingehaltenwerden müssten, wenn sie nichtAbzüge oder gar den Verlust vonPrämien riskieren wollen, dürftealles andere als Begeisterung aus-lösen.

Auch die beiden anderen Verord-nungen bergen einigen Zündstoff.Im Mittelpunkt der Verordnungüber die Gewährung einer Betriebs-prämie soll die Regelung von Här-tefällen im Rahmen des beschlos-senen Kombimodells stehen. DasEU-Recht schreibt vor, dass Land-wirte in bestimmten Fällen Zah-lungsansprüche aus der nationa-len Reserve erhalten müssen,wenn sie andernfalls leer ausge-hen würden. Zwar schränkt dasKombimodell per se die Zahl dermöglichen Härtefälle vonvornherein ein, weil für den über-wiegenden Teil der Prämien diezum 1. Januar 2005 bewirtschaf-teten Flächen maßgeblich sind.Dennoch enthält eine wie auchimmer geartete Härtefallregelungein erhebliches Konfliktpotenzial,frei nach dem Motto „Wieso derund nicht ich?“. Die Einführung derMilchquotenregelung lässt grü-ßen. Auch für Neueinsteiger in dieLandwirtschaft (die soll es nochgeben!) muss eine Lösung gefun-den werden.

Angepasst werden müssenschließlich auch die Vorschriften

des Integrierten Verwaltungs- undKontrollsystems um die Abwick-lung der künftigen Prämienzahlun-gen zu gewährleisten. Ob dies zurZufriedenheit aller und vor allemrechtzeitig gelingt, ist keineswegsausgemacht. Nicht ausgeschlos-sen, dass es zu Verzögerungenoder gar einer größeren Auszah-lungslücke kommt.

EU-Kritik an Gentechnik-gesetz und Schweine-haltungsrichtlinie

Auch der weitere Fortgang derGentechniknovelle könnte sich fürdie Bundesregierung schwierigergestalten als gedacht. Bisherkonnten die Regierenden in Ber-lin dem zu erwartenden Wider-stand in Form eines Einspruchsvom unionsdominierten Bundesratgegen das nicht zustimmungs-pflichtige Gesetz überaus gelas-sen entgegensehen. Nicht ganzso leicht wird möglicherweise dieKritik der EU-Kommission zurück-zuweisen sein. Nach einer erstenPrüfung haben die Brüsseler Be-amten kaum ein gutes Haar andem deutschen Gesetzentwurfgelassen. Im Kern werfen sie derBundesregierung vor, mit ihremGesetz EU-Grundsätze zum Um-gang mit gentechnisch veränder-ten Organismen (GVO) zu unter-laufen. Vor allem die Bestimmun-gen zur Koexistenz zwischenGVO- und gentechnikfreiem An-bau sowie zur gesamtschuldneri-schen Haftung für GVO-Nutzerverstoßen nach Auffassung derKommission eindeutig gegen eu-ropäisches Recht. Allerdingsbleibt in dem „blauen Brief“ uner-

Page 18: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

16 Juli/August 2004 Ländlicher Raum

wähnt, dass die Kommissionselbst in diesen Fragen es nichtvermocht hatte, klare Vorgaben zumachen und sich etwa bei derKoexistenz lediglich auf vage Leit-linien einigen konnte.

Trotzdem, die deutsche Ver-handlungsposition dürfte sichkeineswegs verbessern, wennerst einmal die bisherige dänischeLandwirtschaftsministerin MariannFischer Boel ihr Amt als neue EU-Agrarkommissarin angetreten hat.Unter Federführung von Frau Fi-scher Boel hat Dänemark ein we-sentlich gentechnikfreundlicheresGesetz beschlossen, das demdeutschen diametral entgegen-steht. Kernpunkt ist ein Haftungs-fonds, aus dem Schäden durchGVO-Verunreinigungen beglichenwerden sollen. Gespeist werdensoll der Fonds im Wesentlichenaus Beiträgen der Gentechniknut-zer. Die Opposition wird die däni-sche Karte im bevorstehendenVermittlungsverfahren mit Sicher-heit spielen ...

Auch an der Tierhaltung könntesich neuer agrarpolitischer Streitentzünden. Der noch vor wenigenWochen an dieser Stelle als „Frie-den von Osnabrück“ gefeierte Kom-promiss zur Hennenhaltung er-weist sich als zumindest brüchig.Dem Vernehmen nach tut sich dieeingesetzte Arbeitsgruppe, die die„Kleinvoliere“ in konkrete Vor-schriften fassen soll, überausschwer. Schon wird in unionsge-führten Ländern ernsthaft erwo-gen, eine Änderung der Hennen-haltungsverordnung erneut mit derSchweinehaltungsverordnung zuverknüpfen, wie dies bereits imletzten Jahr versucht wurde.Bekanntlich ist die Umsetzung derSchweinehaltungsrichtlinie der EUin Deutschland längst überfällig.Die Kommission hat bereits einVerfahren gegen die Bundesregie-rung eingeleitet, es drohen Straf-zahlungen in Millionenhöhe. Vorallem der Finanzminister dürfte

davon nicht begeistert sein.

WTO Einigung

Gute Nachrichten kamen wäh-rend der Sommerpause aus Genf.Nach einem fünftägigen Verhand-lungsmarathon einigten sich die147 Mitgliedstaaten der WTOEnde Juli auf Eckpunkte für einAgrarabkommen. Das wichtigsteErgebnis aus europäischer Sichtist, dass die im Juni 2003 be-schlossene Reform der gemeinsa-men Agrarpolitik durch die Be-schlüsse nicht in Frage gestelltwird. Die EU hat sowohl die For-derungen hinsichtlich eines Ab-baus der internen Stützung bereitsweitgehend erfüllt als auch ihreentkoppelten Prämien durch An-erkennung der so genannten„Green Box“-Zahlungen absichernkönnen. Allerdings soll die „GreenBox“, die überwiegend Maßnah-men zur Finanzierung von Agrar-umweltvorhaben umfasst, einerÜberprüfung unterzogen werden,wobei jedoch ausdrücklich „nichthandelsbezogene Anliegen“ be-rücksichtigt werden sollen. Dazuzählen nach dem Verständnis derEU Umwelt- und Naturschutz,aber auch Lebensmittelsicherheit,Tierschutz sowie soziale Belangeder Beschäftigten. Im Einzelnenwurde in dem Rahmenabkommenvereinbart, die interne Stützungebenso wie den Außenschutz fürAgrarerzeugnisse nach einem„Bänderansatz“ zu kürzen. Dabeiwerden hohe Beihilfen und Import-zölle stärker reduziert als niedri-ge. Sämtliche Exportfördermaß-nahmen sollen parallel bis zu ei-nem hoch auszuhandelnden End-datum vollständig abgebaut wer-den. Diese Vorgabe gilt damit nichtnur für klassische Exportsubven-tionen, wie sie die EU nach wievor einsetzt, sondern auch für In-strumente wie Exportkredite undExportversicherungssysteme, wiesie etwa die USA nutzen. Nah-rungsmittelhilfe darf künftig nurnoch dann bereit gestellt werden,

wenn ausgeschlossen ist, dasssie zur Überschussbeseitigungmissbraucht wird. Die Details derRahmenvereinbarung sollenmöglichst bis Ende 2005 geklärtwerden.

Hinweis an dieMännerwelt

Zum Schluss noch ein Hinweisin eigener, männlicher Sache. HatMann kaum den mit der Wendevon Karl-Heinz Funke (Mann, Bau-er, rustikal) zu Renate Künast(Frau, grün, aus der Stadt) hervor-gerufenen „Kulturschock“ geglaubtüberwunden zu haben, bahnt sichneues Ungemach zu Mannes Las-ten an. An die Stelle vom gestan-denen Tiroler Mannsbild als EU-Agrarkommissar tritt Mariann Fi-scher Boel. Auch in Deutschlandist der Siegeszug der Frauen wiees scheint und Mann hoffen durf-te keineswegs zu Ende undwomöglich nicht mehr aufzuhal-ten. Waltraud Wolff setzte sich vorder Sommerpause in einer frakti-onsinternen Kampfabstimmunggegen Wilhelm Priesmeier alsNachfolgerin des verstorbenenMatthias Weisheit als Agrarspre-cherin der SPD-Bundestagsfrak-tion durch. Selbst in der CSU istMann nicht mehr sicher. Als Nach-folger für den ins Europaparlamentabgewanderten Albert Deß wurdenicht etwa mit Max Straubinger einechter Mannskerl gewählt, son-dern Marlene Mortler, ihres Zei-chens stellvertretende Landesbäu-erin in Bayern. Mann bräuchtesich nicht zu große Sorgen zumachen, wären nicht bei den Grü-nen mit Ulrike Höfken als agrar-politische Sprecherin, bei der FDPmit Christel Happach-Kasan alsSprecherin für ländliche Räumeund in der Fraktionsführung derUnion mit Gerda Hasselfeldt Frau-en am Werk, die die Agrarpolitkzumindest mitbestimmen. Fehltebloß noch, dass der Bauernver-band ... Herr Sonnleitner, bleibenSie standhaft!

Page 19: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

Ländlicher Raum Juli/August 2004 17

Der Türkei eine Perspektive

Die EU kann die Tür nicht einfach zuschlagen!Christel Hoffmann*

Erweiterung Grundzur Freude

Es gibt viele Vorbehalte gegen-über der EU-Erweiterung, die sicham 1. Mai vollzogen hat: Gewinntdie Europäische Union oder über-wiegen die Nachteile? – Bei allenÄngsten: Die europäische Integra-tion hat nach dem Zweiten Welt-krieg in den Staaten Westeuropaszu einer einzigartigen Phase desFriedens und des Wohlstandsgeführt. Ausgeschlossen von die-ser Entwicklung waren die Staa-ten Mittel- und Osteuropas. IhreAufnahme in die EU verkörpert dieÜberwindung des „Eisernen Vor-hangs“ und des „Kalten Krieges“.Es kann auch keinen Zweifel ge-ben: Nur eine große und starkeEuropäische Union ist den Zu-kunftsaufgaben im Zeichen derGlobalisierung gewachsen. Euro-päische Einzelinteressen führennur dazu, sich selbst überflüssigzu machen. Europa bildet abermit fast 450 Mio. Menschen denweltweit größten Binnenmarkt undhat damit auch weltpolitisch Ge-wicht.

Eine Perspektive fürdie Türkei

Zu den Beitrittskandidaten zurEU zählt auch die Türkei. Der ehe-malige Bundeskanzler HelmutKohl hatte da noch nicht die Spureines Zweifels: „ ... ich habe in derDebatte auf zweierlei hingewie-sen, nämlich erstens darauf, dasswir, die Bundesrepublik Deutsch-land, sehr damit einverstandensind, dass die Türkei in der Pers-pektive der Zukunft eine Chance

hat, der Europäischen Union bei-zutreten ... “ (Helmut Kohl zumAbschluss des Sondergipfels desEuropäischen Rats in Luxemburgam 21. November 1997).

1999 wurde die Türkei beim Eu-ropäischen Rat in Helsinki alsbeitrittswilliges Land anerkannt.Das bedeutet: Auf der Grundlagederselben Kriterien, die auch fürdie übrigen beitrittswilligen Ländergelten, soll die Türkei Mitglied derUnion werden. 2001 schloss dieEuropäische Union mit der Türkeieine Beitrittspartnerschaft, die imDezember 2002 beim Europäi-schen Rat in Kopenhagen bekräf-tigt wurde. Außerdem vereinbarteder Rat in Kopenhagen, dass imDezember 2004 auf der Grundla-ge eines Berichts und der Emp-fehlungen der Kommission dieBeitrittsverhandlungen zu eröffnenseien – sofern die Türkei die (vorallem politischen) Kriterien vonKopenhagen erfüllen wird:

• das politische Kriterium (stabileInstitutionen als Garantie fürRechtsstaatlichkeit, Menschen-rechte und den Schutz von Min-derheiten)

• das wirtschaftliche Kriterium(eine funktionierende Marktwirt-schaft)

• die Fähigkeit, das EU-Recht zuübernehmen

Verhandlungsbeginn be-deutet nicht Beitritt

Zu Beginn des Jahres 2005 wer-den unter bestimmten KriterienBeitrittsverhandlungen aufgenom-

men. Das heißt, der möglicheBeitritt der Türkei vollzieht sichnicht als Automatismus. (Auch dieBeitrittsländer dieser Erweite-rungsrunde haben eine über zehn-jährige Zeit der Vorbereitung mitvielen Anstrengungen absolviertund noch einige Arbeit zu bewälti-gen.)

Die Werte, auf die sich der Kon-vents-Entwurf in der Menschen-rechts-Charta bezieht, sind unteil-bar. Es sind die Werte der Aufklä-rung, die sich in ihrem Ursprungaus dem christlichen Menschen-bild ableiten. Ein Beitritt der Tür-kei zur Europäischen Union - obin 10 oder 20 Jahren – bedeutetauch die Versöhnung der Werteeines islamisch geprägten Landesmit laizistischem Staatsaufbau mitden Werten der Aufklärung. Auchdas ist eine historische Chance,vor allem vor dem Hintergrund desislamischen Fundamentalismus.Hier gilt es, die Fortschritte zuwürdigen, die in Richtung Demo-kratie, Achtung der Menschen-und Minderheitenrechte gemachtwurden. Gerade unter der amtie-renden islamistischen Regierungist die Entwicklung vielverspre-chend.

Es kommt hinzu: Ein laizisti-scher Staat Türkei mit einer posi-tiven demokratischen Entwicklungkann Modellcharakter für die De-mokratisierung der islamischenWelt gewinnen. Umgekehrt: Wirdder Türkei die Tür vor der Nasezugeschlagen, werden sich dieje-nigen in den arabischen Staatenbestätigt fühlen, die „dem Wes-ten“ nur mit Gewalt glauben be-gegnen zu können.

EU-Erweiterung

* Christel Hoffmann, MdL Hessen, Mitglied im Vorstand der Agrarsozialen Gesellschaft e.V.

Page 20: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

18 Juli/August 2004 Ländlicher Raum

Landwirtschaft

Landwirtschaftliche Familienberatungen und Sorgentelefone:

Hilfe bei Strukturwandel

Anlässlich ihres 10-jährigen Jubiläums hatte Familie&Betrieb-Ländliche Famili-enberatung (F&B-LFB) in Treysa die Bundesarbeitsgemeinschaft der landwirt-schaftlichen Familienberatungen und Sorgentelefone (BAG) zu ihrer Jahrestagungnach Hessen eingeladen. Vom 23. bis 25. Juni 2004 trafen sich Berater/-innen zurFachtagung „Kompetenzbereiche Ländlicher Familienberatung“ sowie zur Mit-gliederversammlung.

Fachtagung „Kompetenz-bereiche LändlicherFamilienberatung“

Im Rahmen einer von Dr. ElkeDÜRßEN, RegierungspräsidiumHessen und Beirat F&B-LFB,moderierten Podiumsdiskussionwies Prof. Dr. Hans GOLDBRUN-NER, Universität Duisburg-Essenund BAG-Mitglied, darauf hin,dass Wandlungen und Verände-rungen in der Landwirtschaft aufder einen Seite meist nicht ohneVerluste auf der anderen Seite zuerreichen seien. Die Landwirt-schaftlichen Familienberatungenund Sorgentelefone würden helfen,die Trauerarbeit, die auch bei derAufgabe von Werten und Traditio-nen notwendig sei, zu bewältigenund verloren gegangene Wertewieder zum Vorschein kommen

zu lassen. Sie hätten bei ihrer Be-ratungsarbeit eine Vorreiterrolle ein-genommen und verbänden diebetriebliche mit der menschlichen/familiären Ebene.

Bischof Dr. Martin HEIN, Evan-gelische Kirche von Kurhessen-Waldeck, erläuterte am BeispielKurhessens, dass die Menschenin der Landwirtschaft in dem sehrkleinteiligen Kirchengebiet mitdurchschnittlich ca. 600 Gemein-degliedern lange Zeit Übermittlervon Traditionen gewesen seien.Wenn landwirtschaftliche Betrie-be diese Aufgaben nicht mehrübernehmen könnten, könne dielandwirtschaftliche Familienbera-tung persönlichkeitsstärkend wir-ken. Er befürwortete darüber hin-aus ein möglichst enges Pfarrstel-lennetz. Die Präsenz eines Pfar-

rers oder einer Pfarrerin vor Ortkönne seiner Ansicht nach dazubeitragen, Konflikte – insbeson-dere auch in landwirtschaftlichenMehrgenerationenhaushalten –frühzeitig zu erkennen und zu lö-sen.

Auf ein häufiges Generationen-problem wies Elisabeth SCHULT-ZE, Vizepräsidentin des Landfrau-enverbandes Hessen und BeiratF&B-LFB, hin: während für die äl-teren Generationen vielfach alleindie praktische Arbeit auf dem Be-trieb zähle, müssten sich jungeLandwirte und Landwirtinnen einbreites Wissen aneignen und ei-nen Großteil ihrer Arbeitszeit mitdem Ausfüllen von Anträgen ver-bringen. Für diese Verlagerung derSchwerpunkte sei bei der älterenGeneration häufig nicht das not-

Prof. Dr. Hans Goldbrunner, Elisabeth Schultze, Dr. Elke Dürßen, Ingeborg Bechstedt, Bischof Dr. MartinHein, Wolfgang Reimer

Fot

o: H

. Koc

h

Page 21: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

Ländlicher Raum Juli/August 2004 19

wendige Verständnis vorhanden,wodurch es zu Konflikten zwi-schen den Generationen komme.

Ingeborg BECHSTEDT, BAGHandwerk und Kirche in der EKDund Beirat der Handwerkerarbeitder EKKW, erläuterte, dass dieSituation in Handwerkerfamilienähnlich wie in landwirtschaftlichenFamilien sei. Deshalb habe sichdas Handwerk der landwirtschaft-lichen Familienberatung in Hessenangeschlossen.

Wolfgang REIMER, Bundesmi-nisterium für Verbraucherschutz,Ernährung und Landwirtschaft,bewertete die Arbeit der landwirt-schaftlichen Familienberatungenund Sorgentelefone sehr positiv.

Er wies darauf hin, dass es zwargelungen sei, die Förderung derLandwirtschaft in der EU bis 2012zu sichern und dies auch im Rah-men der WTO-Verhandlungendurchzusetzen, dass er die Mög-lichkeiten der finanziellen Förde-rung der BAG aus Bundesmittelnjedoch als schwierig betrachte.Allein 70 % des Agrarhaushalteswürden in die LandwirtschaftlicheSozialversicherung fließen und derSpielraum für die weiteren Ausga-ben sei gering. Als wichtig seheer an, die Landwirtschaft enger andie Gesellschaft anzubinden. Sosollte jeder und jedem bewusstsein, dass sie/er mit seinen Aus-gaben entscheide, welche Art derlandwirtschaftlichen Produktion –

die konventionelle, ökologischeoder regionale – sie/er fördere.

Gesamter Vorstandwieder gewählt

Bei den Vorstandswahlen wur-de Hartmut SCHNEIDER, F&B-LFB, Treysa, als Vorsitzender derBAG und Fritz KRODER, Land-wirtschaftliche Familienberatungder Erzdiözese Bamberg, Eber-mannstadt, als sein Stellvertreterwieder gewählt. Angelika SIGEL,Landwirtschaftliche Familienbera-tung des Evangelischen Bauern-werks in Württemberg e.V., Wal-denburg-Hohebuch, wurde eben-falls als Mitglied des Vorstandesbestätigt. f a

Anlässlich der offiziellen Amtseinsetzung als EKD-Ratsbeauftragter für agrarso-ziale Fragen verfasste Dr. Clemens Dirscherl ein Grundsatzpapier, aus dem wireinen Teil abdrucken, der sich speziell mit Fragen der ländlichen Räume beschäf-tigt.

Kirchlicher Dienst für Landwirtschaftund ländlichen Raum

Dr. Clemens Dirscherl*

Betrachtung gesellschaft-licher Themen aus ländli-cher Perspektive

Noch nie in der Menschheitsge-schichte gab es derartig rasanteStrukturumbrüche wie durch dentechnischen Fortschritt der letz-ten Jahrzehnte. Die fortschreiten-den Rationalisierungs-, Konzent-rations-, Automatisierungs-, Digi-talisierungs- und Globalisierungs-prozesse haben das menschlicheLebensumfeld in Beruf, Familieund Freizeit umfassend verändert.Insbesondere in der dörflichenLebenswelt werden solche Verän-derungen, welche den individuel-len Bezugspunkt aus dem loka-len und regionalen Beziehungsge-

flecht herauslösen und in einenweltumspannenden Kontext stel-len, als bedrohlich empfunden: tra-ditionelle Rollenleitbilder, Berufe,Normen, Werte und Bräuche wer-den in Frage gestellt. Was sindnun die originär „ländlichen“ Fra-gen, mit denen sich die kirchlichenDienste auf dem Lande befassen?Es sind zunächst die allgemeinengesellschaftspolitischen Themen,welche aus ländlicher Perspekti-ve wahrgenommen, diskutiert undübertragen werden:

• die „gender Perspektive“, alsoGeschlechtsrollenleitbilder imländlichen Raum, insbesondereauch in der Landwirtschaft, wosich die klassische Bäuerinnen-rolle aufgelöst hat,

• der demographische Wandel,der insbesondere für die ländli-chen Räume eine große Heraus-forderung darstellt aufgrund desteilweise dramatischen Abwan-derungsprozesses, welcher zurEntleerung einzelner ländlicherRegionen führt und die grund-sätzliche Frage nach der Le-bensfähigkeit bestimmter Margi-nalstandorte stellen lässt (z. B.in Mecklenburg-Vorpommern,Brandenburg, aber auch in Bay-ern oder im Rheinland),

• die Lebensperspektiven der Ju-gendlichen, insbesondere hin-sichtlich ihrer Ausbildungs-, Be-schäftigungs- und Freizeitbedürf-nisse sowie die Arbeitsplatzsi-cherung,

* Dr. Clemens Dirscherl, Vorsitzender des Ausschusses Dienste auf dem Lande in der EKD (ADL) und EKD-Ratsbeauftragter für agrarsoziale Fragen, Waldenburg-Hohebuch

Page 22: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

20 Juli/August 2004 Ländlicher Raum

• der technische Fortschritt, derzu Veränderungen im landwirt-schaftlichen und gesamten länd-lichen Lebensumfeld führt. Of-fenheit für Innovationen kannnicht einfach übergestülpt wer-den, sondern erfordert in der je-weiligen dörflichen und persön-lichen Identität Vorbereitung, umfür den Einzelnen Perspektiveneines neuen Weges zu ebnenund ihn in der Gewissheit ge-meinsamer Verantwortung geh-bar zu machen.

• die infrastrukturelle Gesund-heitsversorgung der älteren Be-völkerung, insbesondere derPflegebedürftigen,

• die Frage der Heimatverortung fürdie ländlichen Räume, die sichnicht nur an der folkloristischenBrauchtumspflege ausrichtet,sondern auch zur Belebung re-gional gewachsener Identitätenbeiträgt.

Darüber hinaus gibt es spezifi-sche Themen, die vorwiegend nurden ländlichen Raum betreffen. Dasind zunächst die Fragen derLandwirtschaft und der in ihr be-schäftigten Menschen:

• Welche Grundprobleme und Zu-kunftschancen gibt es für dieregionale Landwirtschaft vor Ort?

• Welche besonderen Herausfor-derungen stellen sich für dieLandwirtschaft angesichts derzunehmenden Liberalisierungs-tendenzen der internationalenAgrarwirtschaft bei den Tierhal-tungsformen aufgrund tier-ethi-scher Anfragen, bei einzelnenBewirtschaftungsweisen auf-grund umwelt-, wirtschafts- undtechnik-ethischer Anfragen?

• Welche Bedeutung bzw. Werthat die Landwirtschaft ganzgrundsätzlich für eine Gesell-schaft, die sich zunehmend dennaturräumlichen Besonderheitenund aufgrund ihres Lebensstilsund ihrer Ernährungsweise dem„täglich Brot“ entfremdet hat.

Die kirchlichen Dienste auf demLande haben eine wichtige Funk-tion als Nahtstelle der Vermittlungzwischen industriekulturellenWahrnehmungen und agrarkultu-rellen Gegebenheiten. Sie neh-men also eine wichtige Brücken-funktion wahr für Transformations-und Wahrnehmungsprozesse vonder Traditionalität zur Moderne:

• Wo stehen Traditionsbrüche an?

• Wie können diese abgemildertwerden?

• Wie kann Innovationserfordernisbehutsam und verantwortlich mitden Menschen im ländlichenRaum entwickelt und umgesetztwerden?

Schließlich weist der ländlicheRaum bis heute noch eine Beson-derheit der sozialen Nähe, Über-schaubarkeit und – bei allen Mo-dernisierungsprozessen – auchnoch regionaler Identität auf, wasfür den kirchlichen Gemeindebe-zug unverzichtbar ist. Damit kanndie Kirche im Dorf einen wichtigenBeitrag für die soziale Lebensqua-lität leisten hinsichtlich des Mit-einanders von Alt- und Neubürgernmit ihren unterschiedlichen Inter-essenslagen, Meinungen undGewohnheiten.

Kirchlicher Dienst auf demLande als Dialog-Plattform

Kirchlicher Dienst auf dem Lan-de versteht sich nicht als konkre-te Handlungsanweisung für diePlanungsgrundlage infrastrukturel-ler Maßnahmen einer ländlichenRaumordnungspolitik. DerMensch als Betroffener soll imMittelpunkt stehen: ihn in Pro-blemlagen und bei Veränderungenzu begleiten, ihm beizustehen, inKonfliktfällen zu vermitteln. Dazugehört durchaus auch, sich beistrittigen aktuellen Fragestellun-gen wie zu bestimmten Tierhal-tungsformen (z. B. Legehennen-verordnung) dem Regelwerk derWelthandelsorganisation WTOoder der Zukunft der europäischenZuckermarktordnung zu Wort zu

melden. Anstelle schneller Pa-tentlösungen in Form kirchenpoli-tischer Verlautbarungen und For-derungskataloge ist es Aufgabeder kirchlichen Dienste auf demLande, unterschiedliche Positio-nen zu hinterfragen, Abwägungendes Für und Wider vorzunehmenund sich in die jeweilige Betroffe-nen-Perspektive zu versetzen. DerKDL bietet sich damit als Dialog-Plattform an, um zu einer argu-mentativen Auseinander-Setzungzwischen Wider-Streitern beizutra-gen.

Dazu gehört auch, in nicht-länd-liche Bereiche der Kirchen be-stimmte Themen hineinzutragen,um die Wertigkeit von Landwirt-schaft und ländlichem Raum auseinem lebensweltlichen Schöp-fungsbezug heraus zu vermitteln.Damit ist der KDL für die Bildungs-arbeit bei verschiedenen Fachthe-men qualifiziert und steht zudemmit seiner ethischen Kompetenzin der Diskussion mit Entschei-dungsträgern im vorpolitischenFeld.

Begleitung der Menschenbei allen Lebensfragen

Voraussetzung für solch ein Ar-beitsverständnis ist der Vertrau-ensbezug zur ländlichen Bevölke-rung. Dazu ist eine Grundsolidari-tät mit ihren Lebensverhältnissenunverzichtbar. Wer die ländlicheBevölkerung kennt, weiß um ihrbesonderes Misstrauen gegenü-ber äußeren Einflüssen,insbesondere externen klugenRatschlägen. Daher arbeitet derKDL in langfristiger Perspektive,da ein Vertrauensverhältnis sicherst durch gegenseitiges Kennenund gemeinsame Erfahrungen ein-stellt. Es geht um einen lebens-begleitenden Ansatz. Landwirt-schaft besteht eben nicht nur ausAgrarpolitik oder Produktionstech-nik in Stall, Betrieb und auf demFeld. Das existentielle Funda-ment, auf dem der Bauer alsMensch Sinnorientierung und Ziel-vorgabe für die eigene Lebensge-staltung erhält, braucht noch et-

Page 23: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

Ländlicher Raum Juli/August 2004 21

was anderes: die christliche Glau-bensperspektive als Mittelpunktder gesamten Lebensorientierungin Familie und Beruf. Leben undGlauben sollen nicht getrenntvoneinander verlaufen. Neben derfachlichen Qualifikation geht esum Lebensfragen

• des Miteinanders von Alt undJung, Frau und Mann, Altbürgerund Neubürger im Dorf,

• der eigenen Einstellung zurSchöpfung, zu den Tieren, zurArbeit, zum „täglich Brot“,

• nicht zuletzt werden die Grund-lagen eines landwirtschaftlichenSelbstverständnisses gelegt:einer besonderen Berufs- oderUnternehmensethik.

Das ist mühselig, zeitaufwändigund oftmals auch nervenaufrei-bend. Andererseits beinhaltet die-ser besondere Vertrauensansatzauch eine Fülle von Entwicklungs-potenzialen, welche auch für dieGewinnung von Ehrenamt unver-zichtbar ist und für den KDL einebesondere Form der Verlässlich-keit bedeuten kann.

Einseitige wirtschaftlich-techni-sche Sichtweisen oder naturro-mantische Verklärungen sinddabei durch eine sozial-ethischeAbwägung zu ergänzen. GrüneGentechnik, Tierhaltung, gesundeErnährung – das sind konkreteThemen, die bei einer agrarkultu-rell entfremdeten industriegesell-schaftlichen Bevölkerung imSpannungsfeld von Bebauen undBewahren der Schöpfung neu ent-faltet werden müssen – auch inVerantwortung für die betroffenenMenschen.

Das Bild der Landwirtschaftin Werbeanzeigen der Fachpresse

Studierende der Universität Göttingen, Institut für Rurale Entwicklung, untersuch-ten Werbeanzeigen der „top agrar“ der Jahrgänge 1992 und 2002 auf Verände-rungen. Sie fanden heraus, dass sich sowohl die Themen als auch die Personen,mit denen für ein Produkt geworben wird, 2002 gegenüber 1992 gewandelt ha-ben. Darüber hinaus werben Frauen 2002 zwar häufiger für landwirtschaftlicheProdukte als 1992, nach wie vor dominiert jedoch das Bild des männlichen, tech-nikbegeisterten Landwirts.

Bei der Analyse zeigte sich,dass sich die Relevanz von

Bildern von 1992 bis 2002 ver-stärkt hat. Waren früher noch30 % der Werbeanzeigenschwarzweiß, sind dieseinzwischen durchgängig farbig. ImGegensatz zu 1992, als kontras-tierende Farbdarstellungen bevor-zugt wurden, sind heutzutage har-monische Farbnuancen gefragt.Dabei dominieren nach wie vor dieWerbeanzeigen für Landtechnikund Betriebsmittel im Pflanzen-bau, während die Tierhaltung eineuntergeordnete Rolle spielt. DerInhalt der Werbeanzeigen folgtdem landwirtschaftlichen Saison-verlauf. So werden im Winter, wenndie Landwirte mehr Zeit haben, sichGedanken über Investitionen zumachen, vor allem Maschinenbeworben. Anfang des Jahres undim Frühjahr stehen Pflanzen-

schutz- und Düngemittel im Vor-dergrund. Während bei ersterensachliche Infor-mationen vermit-telt werden, istdie Betriebsmit-telwerbung krea-tiver gewordenum bei der Viel-falt der ProdukteAufmerksamkeitzu wecken.

Bilder bezie-hen verstärktlandwirt-schaftsfrem-de Elementeein

Die Werbungöffnet sich imJahr 2002 verstärkt Themen au-ßerhalb der Landwirtschaft. 1992

dominieren Bilder, in deren Mittel-punkt das Produkt steht, umge-

ben von ländli-cher Idylle oderMenschen beider Arbeit. DieAbbi ldungensind naturge-treu oder wer-den mittels Co-mics vernied-licht. 2002 ent-fernen sich dieBildinhalte vonder landwirt-schaf t l i chenPraxis. Nachwie vor werdenzwar gesundePflanzenteileund wogendeGetreidefelder

bevorzugt, es zeigen sich jedochverstärkt Computeranimationen

Fot

o: I.

Fah

ning

Frauen in der landwirtschaftlichenWerbung

Page 24: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

22 Juli/August 2004 Ländlicher Raum

und verfremdete Fotos. Dabei istdie Zunahme landwirtschaftsfrem-der Elemente aus Kultur, Sport,Erotik und Exotik auffällig. Auchfällt auf, dass der Umweltschutz– ein wichtiger Faktor im Jahr1992 – fast völlig aus der Werbungverschwunden ist.

Frauen haben Einzug indie Werbung gehalten

Die Darstellung von Menschenin der landwirtschaftlichen Wer-bung hat sich zwischen 1992 und2000 gewandelt. 1992 ist das klas-sische Bild des Landwirts mitLatzhose, kariertem Hemd und

Schiebermütze üblich. Er wird beider Arbeit oder im Fachgesprächmit einem Kollegen gezeigt. Die-se Darstellungen werden zuneh-mend ergänzt durch Männer alsSportler oder Kraftprotze. Auch die1992 noch verbreitete Darstellungdes Vater-Sohn-Verbundes, diedas Leitbild der Tradition mit Zu-kunft vermitteln sollte, ist im Ver-schwinden begriffen. Stattdessenhaben Frauen Einzug in die Wer-bung gehalten. Nach wie vor tre-ten sie jedoch eher selten undnicht als Landwirtinnen auf.Einerseits werden sie als eroti-scher Blickfang genutzt,andererseits stehen sie für die

Moderne, indem sie Landwirteberaten oder deren Kaufentscheidapplaudierend zustimmen.

Das Abbilden von Familienbetrie-ben kommt 1992 kaum vor und ist2002 ganz verschwunden.Besonders eng ist nach wie vordie Verbindung von Mann undMaschine. Gerade die attraktiveDarstellung von Maschinen machtdeutlich, dass die Werbung in derlandwirtschaftlichen Presse fürMänner gemacht wird. Frauen alslandwirtschaftliche Unternehmerin-nen haben noch keinen Nieder-schlag in der Fachwerbung gefun-den.

Bauernstolz – gibt es das noch?

Bäuerliche Berufsidentität imSpiegel der Gesellschaft

Dr. Andrea Beste*

Wie war das früher ...?

Am Anfang war das Dorf, wel-ches – laut Brockhaus – „haupt-sächlich aus Bauernhöfen“ be-stand. Ja bestand, denn heuteweiß jedes Kind, dass man inDörfern kaum noch Bauernhöfe fin-det. Aber hier soll es nicht umDörfer gehen, sondern um dieBerufsgruppe, die wirtschaftlichund sozial prägend den Dörfernihren ländlichen – eben bäuerli-chen – Charakter gab1: Die Bau-ern. Ihr Ansehen und sozialer Ein-fluss waren groß, ja fast allumfas-send. Die Feste im Dorf waren jah-reszeitlich geprägt und hingen engmit den bäuerlichen Tätigkeiten(Säen, Ernten, Schlachten) zu-sammen. Besitz von Boden undVieh war Basis gesellschaftlicherAnerkennung. Bauern hatten Er-fahrung mit Boden und Klima, mit

Fruchtfolgen, dem Umgang mitTieren und der Technik. Sie wa-ren gewöhnt Verantwortung für vie-le Menschen zu tragen. Sie wa-ren wichtigster wirtschaftlicherFaktor, gaben Aufträge an dasHandwerk; für sie wurde gebaut,geschmiedet, gewagnert – ihreProdukte waren die Rohstoffe fürMetzger, Bäcker, Käser und ver-sorgten die regionalen Märkte undnächstgelegenen Städte.

Noch bis in die 50er Jahre desletzten Jahrhunderts war die Di-rektvermarktung in den Städtengang und gäbe2. Das Feed-Back,welches sie von der Gesellschaftbekamen, setzte sich aus derAchtung vor ihrem Erfahrungs-schatz, ihrer sozialen und politi-schen Stellung (oft Bürgermeisteroder Gemeinderat im ländlichenRaum) und der Qualität ihrer Pro-

* Dr. Andrea Beste, Büro für Bodenschutz und Ökologische Agrarkultur, Mainz, Tel.: 06131/639901, E-Mail:[email protected], Homepage: www.gesunde-erde.net

Stolzer Bauer oder traditionsverhafteterUreinwohner?

Fot

o: M

. Bus

ch

Page 25: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

Ländlicher Raum Juli/August 2004 23

dukte zusammen. Sicher wurdenBauern auch damals von vielenStädtern und Akademikern unterVerkennung ihres umfassendenNatur- und Berufswissens alsdumm und dreckig tituliert, aberdies focht den durchaus empfun-denen Berufsstolz nicht an. Herz-liche Vorurteile gab es auf beidenSeiten von „Stadt“ und „Land“(„Studierte Gimpel im Seidenhös-chen“ war andersherum gleichbe-deutend mit „abgehoben“, „nichtwirklich lebenstüchtig“).

... und heute?

Heute wabert ein anderes Bild –oder besser gesagt, wabern an-dere Bilder – von Bauern durch dieGesellschaft, die Politik, die Me-dien. Wabernde Bilder – weil esso viele konkrete, direkte Erfah-rungen mit Bauern, die ein diffe-renzierteres Bild erzeugen könn-ten, für die meisten Politiker, Jour-nalisten und Verbraucher nichtgibt. Die Bilder reichen vom etwasrückständigen, ländlichen Urein-wohner, traditionsverhaftet und vonder High-Tech-Gesellschaft abge-koppelt, über den modernen,marktorientierten, strategisch kal-kulierenden Großunternehmer mitautomatisiertem Fütterungscom-puter, satellitengesteuertemSchlepper und wissenschaftlichlaboriertem Techno-Saatgut bishin zu dem von Subventionszah-lungen und Agrarchemieweishei-ten abhängigen, dauerklagendenRohstoff-Produzenten. Das Imagedes Tierquälers und Giftspritzerskommt – vor allem bei den letzt-genannten Gruppen – noch hin-zu3. So unterschiedlich diese Bil-der, die durchaus auch von Bau-ernvertretern mitgeprägt wurden,auch sind, sie haben eins gemein-sam: Sie zeigen einen getriebe-nen Berufsstand – keinen stolzen.Bauern sind heute in der Defensi-ve4 und solange sie – aus welchenGründen auch immer – noch kei-ne Möglichkeit hatten, in denKreis der Ökobauern einzutreten,der heute (ob der Nachhaltigkeitdieser Wirtschaftsweise zuRecht5) in weiten Kreisen ökolo-

gische und ethische Absolutiongenießt, müssen sie sich perma-nent für ihre Subventionen, für ihreProduktionsweise, für ihre Rück-ständigkeit (wachse oder weiche!)oder ihre Naturferne und fabrik-ähnliche Produktion entschuldi-gen. Das gesellschaftliche Anse-hen ist extrem niedrig6. Nichtumsonst haben Jungbauern Pro-bleme bei der Partnersuche („Wie,du bist selbstständig? – Toll!Machst du IT? – Och, Eier undTiere – ach so ...“7). Einzig undallein die Werbung auf Schinken-verpackungen, Eierkartons, aufMilchtüten und in Fernsehspotsmacht uns weiß, dass die Land-wirtschaft eine einzige Idylle ist,mit glücklichen Tieren und verant-wortungsbewussten, naturverbun-denen Bauern! 8

Viele zerren am „multi-funktionalen“ Bauern ...

Die Wissenschaftler, die Wirt-schaftsberater, die Politiker, dieLebensmittelproduzenten, dieHändler (meist sind sie alle Städ-ter) wissen, was sie von den Bau-ern wollen: Höchsterträge, Ratio-nalisierung, globale Wettbewerbs-fähigkeit – und die Anti-Matsch-Tomate, topfit für Transport undVerarbeitung. Und dann kommennoch die Gemeinden, die wollenBauland für Siedlungen und Ge-werbegebiete oder offenes Landfür Landschaftspflege, Kaltluftre-servoirs, Trinkwasserschutzgebie-te oder Naherholung und die Na-turschützer, die wollen die kultur-landschaftstypische Streuobst-und die seltene Feuchtwiese9.Dies läuft auf eine Funktionalisie-rung der landwirtschaftlichen Ar-beit hinaus, die den Charakter die-ser Arbeit total verkennt. Landwirt-schaft funktioniert eben nicht alsfordistisches Modell: billige Mas-se am Fließband10 – und sie funk-tioniert auch nicht als quasi staat-lich angestellte Landschaftspfle-ge11.

Von einem Wachstumsparadig-ma zum Schneller, Höher, Weitererzogen, den politischen Rahmen-

bedingungen sowie dem globali-sierten Markt scheinbar ausgelie-fert, am finanziellen Subventions-tropf hängend und von einemwachsenden Anspruch an Um-weltverträglichkeit und Lebensmit-telqualität – bisher ohne monetä-re Anerkennung – in die Enge ge-trieben, sind Bauern heute betrof-fen von einer sozial-ökonomischenEntwicklung und stehen am Pran-ger für eine ökologische Entwick-lung, die ihr eigener Berufsstandüberwiegend nicht selber zu ver-antworten hat. Ihr ursprünglich„ganzheitlicher“ Beruf wird jeweilsaus Interessentensicht funktions-bringend zerlegt. Umso erstaunli-cher scheint es – zumindest inDeutschland – wie sehr an diesemZustand festgehalten wird, gera-de von Seiten vieler Bauern undderen Vertreter.

Die Vorstellung, den Beruf desBauern oder Landwirts wieder mitfreiem, eigenverantwortlichem Ar-beiten in und mit der Natur zu ver-binden, mit Bodenständigkeit,Stolz, Erfahrenheit und Selbst-ständigkeit in einer gesundenAgrarlandschaft, mit Qualitätspro-dukten, die fair entlohnt werden,diese Vorstellung hat als Leitbildbisher – außer im Ökolandbau –keine Lobby, obwohl sie dasWunschbild vieler Landwirte ist12.Aber gerade wenn die gewachse-ne Sensibilität der Gemeinden undVerbraucher eine gesunde Land-schaft und gesunde Nahrungsmit-tel nachfragt, dann ergibt sichdaraus die Chance der Bauern,dieser Nachfrage zu begegnen –mit der Forderung nach gerech-ten Preisen und stabilen Rahmen-bedingungen für eine nachhaltige,regionalverbundene Landwirt-schaft.13

Wenn das Denken dieRichtung wechselt ...

Inzwischen gibt es viele Beispie-le für erfolgreiche Projekte derRegionalentwicklung, in denen(nicht nur Öko-)Bauern mit derregionalen Vermarktung ihrer Pro-dukte maßgeblich beteiligt waren

Page 26: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

24 Juli/August 2004 Ländlicher Raum

und nach Anschubphasen undvernetzt mit der Entwicklung vonTourismus und Handwerk zu ei-nem wirtschaftlichen Pfeiler derjeweiligen Regionen gewordensind14. Hierfür war es nötig, dieteilweise reduzierte (Selbst-)Sicht-weise der Landwirtschaft alshauptsächlich rohstoffproduzie-rend zu überwinden und sichwieder mit Verarbeitung, Vermark-tung und Kundenkommunikationzu befassen. Das Zugpferd dabeisind die Bauern. Sie werden kre-ativ, um sich mit ihrem Berufwieder wohl zu fühlen oder weil sieschlicht anders nicht weiter wis-sen. Hier liegt sicher sehr vielPotenzial, welches noch gewecktwerden kann. Jedoch: ohne exter-ne Hilfe, finanzielle und politischeUnterstützung sowie Beratung istdas kaum möglich. Die Bauernallein können nicht die Kartoffelnfür eine jahrelange verfehlte Agrar-politik früherer Regierungen aus

dem Feuer holen. Es wäre wün-schenswert, für die Ziele einerinsgesamt nachhaltigen Landwirt-schaft eine Politik zu machen, diedie sozialen Aspekte einer Agrar-wende nicht vernachlässigt und„Ökos“ und „Nichtökos“ nichtgegeneinander ausspielt15.

Die Frage bleibt, ...

... warum die ökologisch, sozialund langfristig auch ökonomischnegativen Auswirkungen desFließbandmodells der globalen,regional abgekoppelten, technik-,energie- und chemieintensivenMassenproduktion mit hohen ge-sellschaftlichen Folgekosten16, 17

nicht auch der Lebensmittelwirt-schaft vorgehalten werden (sieheKasten)?

... warum ein Berufsstand, zudessen Fähigkeiten es gehört,naturwissenschaftliches, betriebs-

wirtschaftliches und technischesExpertenwissen vernetzt, bedarfs-gerecht und praktisch anzuwen-den, Mitarbeiter zu führen undsowohl auf wechselnde Natur- alsauch Marktbedingungen flexibelzu reagieren, warum ein Berufs-stand, der also die Berufe Gärt-ner, Gemüsebauer, Tierzüchter,Kfz-Mechaniker, Meteorologe, Bi-ologe, Betriebsmanager, Personal-leiter u.v.m. oft in einer Personvereint – vereinen muss, warumdieser Berufsstand selbst häufigkeinen Stolz (mehr) ausstrahlt(und mit Stolz ist hier nicht dieDLG-Zielvorgabe „Manager vonGroßbetrieben, der nach betriebs-wirtschaftlicher Strategie mit Port-folioanalysen, Marktorientierung,Kostenführerschaft, optimalerSpezialisierung auf die Kernkom-petenz und Allianzenbildung dieBetriebe führt“18 im besten Diplom-Betriebswirt-Lehrbuch-Jargon ge-meint)?

... warum einem solch vielfäl-tigen und anspruchsvollen Be-rufsstand aufgrund der ihm in-newohnenden Kompetenzen inund für unsere Gesellschaftkein höheres Ansehen – undEinkommen zuerkannt wird?

... warum dem Verbraucher,der alles „öko“ und gleichzeitig„billig“ haben möchte, nicht klargemacht wird, dass das sonicht geht?

Literatur

1 DIRSCHERL, C.: Das Dorf imWandel. www.hohebuch.de/Pressearchiv

2 IPSEN, D. (1995): Das Verhält-nis von Stadt und Land im histo-rischen Wandel. In: THOMAS, F.et al. (Hrsg.): Kommunen entde-cken die Landwirtschaft, Ökolo-gische Konzepte 94, Bad Dürk-heim

3 DIRSCHERL, C. (2003): Die„Agrarwende“-Debatte. In: Derkritische Agrarbericht 2003, ABLBauernblatt Verlag, Rheda-Wie-denbrück

4 BÜHLER, J. (1995): Wider die(Selbst-)Marginalisierung derBauern und Bäuerinnen. Erfah-

rungen aus einem Selbsthilfe-projekt. In: Der kritische Agrarbe-richt 1995, ABL Bauernblatt Ver-lag, Rheda-Wiedenbrück

5 z. B.: BESTE, A. (2000): Ökologi-scher Landbau – wie funktio-niert er und was kann er leis-ten? In: SPIEß-WALLBAUM/ZEPF/BOCKELMANN (Hrsg.)Ökologischer Landbau und regi-onale Vermarktungsstrategien –eine Chance für Klimaschutzund Beschäftigung. Arbeitspa-pier 26, Hans Böckler Stiftung,Düsseldorf, undSTOLZE, M. et al. (2000): TheEnvironmental Impacts of Orga-nic Farming in Europe = Econo-mics and Policy Vol. 6, Stuttgart-Hohenheim

6 KORTE, S. (1995): AgrarBündnisin eigener Sache. In: Der kriti-sche Agrarbericht 1995, ABLBauernblatt Verlag, Rheda-Wie-denbrück

7 Beitrag „Ländlicher Ehenot-stand“ in der Sendung „37Grad“, 23.04.2003, www.zdf.de

8 BESTE, A. (2000): GesundesLeben, erfüllte Arbeit, faires Tei-len. In: BOESER/SCHÖRNER/WOLTERS (Hrsg.): Kinder desWohlstands – Auf der Suchenach neuer Lebensqualität. Ver-lag für akademische Schriften,Frankfurt

9 THOMAS, F. (1995): Rückbesin-nung aufs Land? Hintergründeund Ziele einer neuen Agrarpoli-tik der Kommunen. In: THOMAS,

„Wenn heute in Norddeutschland Schweine gemästet werden, mit aus Südbrasi-lien importiertem Sojaschrot, für dessen Plantagenwirtschaft die letzten subtropi-schen Regenwälder am Uruguay und Paraná gerodet wurden und Hunderttausendedurch diese Politik entwurzelte Menschen jetzt den tropischen Regenwald amAmazonas brandroden, wenn die geschlachteten Schweine dann per LKW überdie Alpen nach Süditalien transportiert werden, damit dort Salami Italiano gemachtwird, die wieder zurück über die Alpen nach Nordeuropa transportiert wird, dannsieht die Technokratie darin nicht etwa hirnverbrannten Wahnsinn, nein, für sie istdas Fortschritt.“

José A. Lutzenberger, in einem Vortrag 1995

Page 27: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

Ländlicher Raum Juli/August 2004 25

F. et al. (Hrsg.): Kommunen ent-decken die Landwirtschaft, Öko-logische Konzepte 94, BadDürkheim

10 BUSSE, T. (2001): Sauen enMasse. Ein Bauer in der Defen-sive. Unter: www.zeit.de/2001/04/Wirtschaft/200101_reportage.html

11 wie z. B. von Herta Däubler-Gmelin nahe gelegt in: „Öffentli-che Zahlungen an die Landwirt-schaft gerechtfertigt“. Interviewmit Herta Däubler-Gmelin. In:Ländlicher Raum, H. 01, 2004

12 Mitteilungen von konventionellwirtschaftenden Landwirten andie Autorin in vielen Seminaren

13 BRINK, A. (1995): Städte undLandwirtschaft am Beispiel derAgrarpolitik der Stadt Hannover.

In: THOMAS, F. et al. (Hrsg.):Kommunen entdecken dieLandwirtschaft, ÖkologischeKonzepte 94, Bad Dürkheim

14 u. a. in: THOMAS, F. et al.(Hrsg.): Kommunen entdeckendie Landwirtschaft, ÖkologischeKonzepte 94, Bad Dürkheim undDVL (Deutscher Verband fürLandschaftspflege) (Hrsg.)(1998): Verzeichnis der Regio-nal-Initiativen, 230 Beispiele zurnachhaltigen Entwicklung, oderunter www.reginet.de und KULL-MAN, A. (2004): ÖkologischerLandbau und nachhaltige Ent-wicklung, Strategien, Erfolge,Probleme, Handlungs- und For-schungsbedarf, ifls, Frankfurt/M.

15 Ein Lichtblick: Das Aktionspro-gramm Bäuerliche Landwirt-

schaft. Unter www.friedrich-ostendorff.de/rsvgn/rs_dok/0,,41983,00.htm, und in: Der kri-tische Agrarbericht 2003, ABLBauernblatt Verlag, Rheda-Wie-denbrück

16 WEIBEL, H. und Fleischer, G.(1998): Kosten und Nutzen deschemischen Pflanzenschutzesaus gesamtwirtschaftlicherSicht. WissenschaftsverlagVauk, Kiel

17 BESTE, A. (1999): Ernährungs-sicherung durch ökologischeund sozialverträgliche Boden-nutzung. In: „Ökologie & Land-bau“, H. 112, Bad Dürkheim

18 BAUER, J. (2003): Vortrag, DLG-Wintertagung 2003, www.dlg.org

Landwirtschaft als Beschäftigungsfeld fürMenschen mit Behinderung

Martina Carl*

Im Rahmen einer Diplomarbeitam Fachbereich Sozialwesen

der Universität Kassel wurden dieBedeutung und die Funktionen vonlandwirtschaftlicher Arbeit für Men-schen mit geistiger und seelischerBehinderung untersucht. Beson-dere Beachtung wurde hierbei so-wohl den therapeutischen Wir-kungsweisen und Potenzialen alsauch den Schwierigkeiten undGrenzen von sog. „grünen“ Be-schäftigungsbereichen wie Land-und Gartenbau geschenkt.

Die Diplomarbeit will aufzeigen,wo die Chancen und wo die Po-tenziale der landwirtschaftlichenArbeit mit Behinderten liegen. Esstehen dabei vor allem folgendeFragen im Mittelpunkt:

- Wie wirkt die landwirtschaftlicheund gartenbauliche Arbeit auf denMenschen, insbesondere aufden geistig und seelisch behin-derten Menschen?

- Wo liegen die Grenzen der land-wirtschaftlichen und gartenbau-lichen Arbeit mit geistig und see-lisch Behinderten; welcheSchwierigkeiten und Problemsi-tuationen können auftreten undmit welchen Maßnahmen kannman ihnen entgegentreten?

Begriffserklärungen

Als geistig behindert gelten Per-sonen, deren Lernverhalten we-sentlich hinter der auf das Lebens-alter bezogenen Erwartung zu-rückbleibt und durch ein andau-erndes Vorherrschen des an-schauend-vollziehenden Aufleh-nens, Verarbeitens und Spei-cherns von Lerninhalten und eineKonzentration des Lernfeldes aufdirekte Bedürfnisbefriedigung ge-kennzeichnet ist.

Die Ursachen einer geistigenBehinderung sind organischerNatur. Vorrangig sind dies Schä-

digungen des Gehirns und Chro-mosomenaberrationen (Abwei-chungen der Chromosomenan-zahl) sowie Infekte oder Vergiftun-gen der Mutter während derSchwangerschaft. Außerdemkann eine geistige Behinderungauch im Zusammenhang mit psy-chischen Störungen wie frühkind-licher Schizophrenie oder Autis-mus gesehen werden sowie durchEinflüsse der Umwelt verursachtsein (HENSLE 2000, S. 131 ff.).

Kennzeichnend für eine psychi-sche Behinderung ist ein breitesSpektrum von Einschränkungenim sozio-emotionalen sowie kog-nitiven Funktionsbereich. Dieskönnen insbesondere Funktions-einbußen in Antrieb, Motivation,Interesse, Ausdauer, Belastbar-keit, Selbsthilfepotenzial, Selbst-vertrauen, Kritikfähigkeit, Ent-scheidungskraft sowie auch inWahrnehmung, Konzentrationund Merkfähigkeit sein. Nicht ein-

* Martina Carl, Universität Kassel, Fachbereich 04 Sozialwesen. Betreuer: Prof. Dr. Ewald Rumpf. Nähere Aus-künfte zur Diplomarbeit unter: [email protected]

Page 28: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

26 Juli/August 2004 Ländlicher Raum

geschränkt ist in der Regel dasintellektuelle Leistungspotenzialdes psychisch Behinderten. Kenn-zeichnend für eine psychischeErkrankung ist außerdem, dassdiese in Phasen verläuft und nurschwer vorhersehbaren Schwan-kungen unterliegt. Die Fähigkeitdes Betroffenen, Einsicht in sei-ne Krankheitssituation zu habenund diese beurteilen zu können,ist oftmals erheblich einge-schränkt und die erforderlichentherapeutischen Maßnahmen be-nötigen meist mehr Zeit als beianderen Behinderungsarten (Bun-

viele Kontakte geknüpft werdenkönnen. Außerdem bestimmt Ar-beit den gesellschaftlichen Statussowie die Identität eines Men-schen und verschafft ein Gefühlvon persönlichem Erfolg und Si-cherheit durch die gelungene Be-wältigung von äußeren Anforderun-gen und die Erfüllung der Erwar-tungen anderer (SONNENTAG1991).

Diese Funktionen und Wirkungs-weisen von Arbeit gelten auch fürMenschen mit Behinderung. DasVerrichten einer Arbeit oder Be-

Aufgabenbereiche kann ein Leis-tungsfähigkeits- und Selbstwert-gefühl aufgebaut werden und eineemotionale Ausgeglichenheit undZufriedenheit bei dem Beschäftig-ten erreicht werden. Durch dieständige Zusammenarbeit mit an-deren Beschäftigten sowie Betreu-ern können am Arbeitsplatz wich-tige Kontakte geknüpft werden undein Gemeinschafts- und Zugehö-rigkeitsgefühl erlebt werden(AERNOUT 1992).

In Abhängigkeit von der Behin-derungsart und Behinderungs-schwere sowie auch der Krank-heitsgeschichte und den berufli-chen Vorerfahrungen der/des Be-treuten kommen für Menschen mitgeistiger und seelischer Behinde-rung verschiedene Möglichkeitenin Betracht, einer regelmäßigenBeschäftigung nachzugehen. Diessind vor allem die Beschäftigungin Werkstätten für behinderte Men-schen (WfbM), Firmen für psy-chisch Kranke, Arbeitsbereiche inDorf- und Lebensgemeinschaftensowie auch vereinzelt Betriebe aufdem allgemeinen Arbeitsmarkt.

Anforderungen an Arbeits-plätze für Menschen mitBehinderung in der Land-wirtschaft

Um dem Menschen mit Behin-derung bei seiner Beschäftigungin der Landwirtschaft nicht zuschaden, sondern zur Weiterent-wicklung seiner Fähigkeiten bei-zutragen, müssen bestimmte An-forderungen an den jeweiligen Ar-beitsplatz erfüllt sein:

Grundsätzlich sollte der Arbeits-platz von dem Betreuten gewolltsein. Der gewählte Arbeitsplatzsollte Gelegenheit geben, währenddes gemeinsamen Arbeitens mitanderen in Kontakt zu kommen.Das Eingehen einer persönlichenBeziehung zu anderen Mitarbei-tern/-innen kann für den geistigoder seelisch Behinderten einewichtige Möglichkeit sein, die Per-sönlichkeit positiv zu entfalten.Durch die Anpassung des Arbeits-

Fot

o: C

. Kut

zner

Das Verrichten einer Arbeit oder Beschäftigung kann wesentlich dazu beitragen,dass Menschen mit einer Behinderung ein Leben führen können, welches sonormal wie möglich verläuft

desvereinigung Lebenshilfe fürMenschen mit geistiger Behinde-rung e.V. 2002).

Die Bedeutung von Arbeit für denMenschen wird von verschiedenentheoretischen Positionen ähnlichgroß eingeschätzt. JAHODA(1985) beschreibt bei seinen Aus-führungen fünf Strukturmerkmalevon Arbeit. Demnach hat organi-sierte Arbeit eine Zeitstruktur, dersich der Beschäftigte nicht entzie-hen kann und die sein Zeiterlebenstrukturiert. Arbeit erweitert densozialen Horizont des Arbeitendenund lässt ihn seine soziale Exis-tenz erleben, da am Arbeitsplatz

schäftigung kann wesentlich dazubeitragen, dass Menschen mit ei-ner Behinderung ein Leben führenkönnen, welches so normal wiemöglich verläuft. Durch eine denpersönlichen Neigungen entspre-chende Tätigkeit wird dem Be-schäftigten Normalität vermittelt,indem ihm Akzeptanz und Aner-kennung zuteil wird.

Arbeit bringt dem Menschen mitBehinderung einen täglichen Le-bensrhythmus und bietet die Mög-lichkeit, Fähigkeiten und Fertigkei-ten zu entwickeln und immerwieder neu auszubauen. Durchdas Wahrnehmen eigenständiger

Page 29: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

Ländlicher Raum Juli/August 2004 27

platzes an die Fähigkeiten der/desBetreuten sowie die Interaktion mitanderen Menschen hat die Arbeiteine entwickelnde und stabilisie-rende Funktion. Unter der Beach-tung von Prinzipien der Anschau-lichkeit und des Sinnzusammen-hangs sollten die verschiedenenArbeitsvorgänge miteinander ver-knüpft werden und dem arbeiten-den Menschen auf diese Weisedas eigene Können sowie derWeg zum Endprodukt kognitiv er-fahrbar gemacht werden. Geradein der Landwirtschaft wird diesäußerst erfolgreich praktiziert, in-dem es den Betreuten ständigmöglich ist, das Gedeihen vonPflanzen, das Reifen von Früch-ten und das Wachsen von Kälbernoder anderen Nutztieren zu verfol-gen. Wichtig ist außerdem dieWertschätzung, die Menschenmit geistiger oder seelischer Be-hinderung durch ihre Arbeit erfah-ren. Dies kann geschehen, indemdie/der Beschäftigte in die Ver-marktungsmöglichkeiten der Pro-dukte einbezogen wird und bei derArbeit im betriebsinternen Hofla-den Kontakt zu Kunden pflegenund Lob an der Qualität der er-zeugten Produkte erfahren kann(AGÖL/ Ev. LandjugendakademieAltenkirchen 1994).

Damit Arbeit für den geistig undseelisch Behinderten einen reha-bilitativen und persönlichkeitsför-dernden Charakter hat, sollten fol-gende Kriterien erfüllt sein:

• es müssen Entscheidungsspiel-räume bei der Arbeit gegebensein, die jedoch nicht zu großsein dürfen,

• die Arbeit muss eine gewisseVariabilität aufweisen,

• die Arbeitsaufgaben müssenmindestens Handlungsniveauhaben,

• die Arbeitsanforderungen müs-sen klar und überschaubar sein,

• generell müssen die Anforderun-gen den individuellen Vorausset-zungen angepasst sein.

Um Überforderungen entgegenzu wirken, sollten bei der Arbeits-gestaltung die individuellen Bewäl-tigungsmöglichkeiten des Betreu-ten berücksichtigt werden undbelastende Faktoren wie Zeit-druck, mangelnde emotionaleUnterstützung, fehlende Rück-zugsmöglichkeiten, Arbeitsumge-bungsbelastungen und unange-messene Arbeitszeiten vermiedenwerden (SONNENTAG 1991).

Therapeutische Aspektedes Land- und Gartenbaus

Arbeiten in Land- und Gartenbaueignen sich in besonderer Weisefür die Förderung geistig und see-lisch Behinderter und unterschei-den sich in verschiedener Hinsichtvon der in geschlossenen Räumenstattfindenden Industriearbeit. InLand- und Gartenbau sind dieSinnzusammenhänge für die Be-schäftigten meist einfacher zu er-kennen. Den behinderten Mitarbei-tern/-innen fällt es leicht, einen un-mittelbaren Bezug zu ihrer Arbeitherzustellen und sich damit zuidentifizieren.

Dem ausgeprägten Bewegungs-bedürfnis vieler Beschäftigterkommt die Auslastung durch kör-perliche Arbeiten entgegen. Ver-einzelt gelten Betreute als beson-ders aggressiv und sind für einenindustriellen Arbeitsbereich nichttragbar. Nach einem Wechsel ineinen der sog. „grünen Arbeitsbe-reiche“ werden solche Beschäftig-te oftmals zu wichtigen Leistungs-trägern. Besonders wichtig für denMenschen mit Behinderung sinddie natürlichen Regelmäßigkeiten,die bei der Arbeit im Land- undGartenbau erlebt werden. Sowohldie Tierhaltung als auch der An-bau und die Ernte von Pflanzenerfordern regelmäßige und immerwiederkehrende Arbeiten. Derüberwiegende Aufenthalt im Frei-en lässt sie den Wechsel von Ta-ges- und Jahreszeiten als etwasElementares erleben und die Zeitwird für die Beschäftigten begreif-bar als Wachstums-, Reife- undErntezeit.

• Feld- und Gartenarbeit

Unter Feldarbeit ist die landwirt-schaftliche Pflanzenproduktion aufGrünland oder Acker zu verstehen(Gras, Futterrüben, Getreide etc.).Der Begriff Gartenarbeit umfasstdie gartenbauliche Produktion wieden Anbau von Schnittblumen,Stauden, Gemüse, Kräutern, Pil-zen, Obst und Beeren sowie diegartenbaulichen Dienstleistungen(Landschaftspflege, Floristik undFriedhofsgärtnerei). Bei der För-derung der behinderten Mitarbei-ter/-innen kann mit den entspre-chend anfallenden Arbeiten auf dievorhandenen Eignungen und Nei-gungen eingegangen werden. Sobieten der Zierpflanzen- und Ge-müsebau die Möglichkeit sozia-le, kognitive, methodische undpsychomotorische Kompetenzender unterschiedlichsten Intensitätzu fördern (AGÖL 2000).

Die bei der Arbeit in der Naturgewonnenen Erfahrungen könnengenutzt werden, um sich selbstnäher zu kommen und sich dereigenen Natur vertraut zu machen.Die Arbeit auf dem Feld und imGarten bringt den Klienten durchdie lebendige Auseinandersetzungmit den Pflanzen in Kontakt mitseinen eigenen Fähigkeiten zuWachstum und Veränderung. Vorallem Menschen mit seelischerBehinderung haben Probleme mitBeziehungen. Therapeutisch an-gewandte Feld- und Gartenarbeitgeht davon aus, dass ein bezie-hungsgestörter Mensch in gewis-ser Weise „entwurzelt“ ist. DurchOrientierung an und Arbeit in derNatur können Ruhe, Zufriedenheitund Motivation gefördert und dieBeschäftigung mit den eigenenUnzulänglichkeiten verringert wer-den. Gartenarbeit ermöglicht esden Betreuten, sich auf etwasanderes als nur sich selbst zukonzentrieren. Bei den vielfältigenArbeitsmöglichkeiten können diebestehenden gesunden „Anteile“und Fähigkeiten bestens beobach-tet werden. Es werden persönli-che Entwicklungen angeregt. Ent-wicklungsdefizite werden nachge-

Page 30: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

28 Juli/August 2004 Ländlicher Raum

holt und das Neugelernte wirdlangsam in die Persönlichkeit in-tegriert.

Die Feld- und Gartenarbeit isteingebettet in ein eindeutiges, inder Natur vorgegebenes Hand-lungsschema. Dass Pflanzen re-gelmäßig gegossen werden müs-sen und aufmerksamer Pflegebedürfen, ist für die Betreutenleicht einsehbar und nachzuvoll-ziehen. Solche Erlebnisse ma-chen den Aufforderungscharaktervon Feld- und Gartenarbeit deut-lich und dienen als Motivations-hilfe.

• Arbeit mit Nutztieren

Genauso wie die Arbeit mitPflanzen und Erde kann auch dieBeschäftigung mit Tieren einenheilenden Einfluss auf den Men-schen haben. Der Anblick einesTieres oder der Hautkontakt beimStreicheln kann beim MenschenReaktionen und Gefühle der Zu-neigung auslösen. Bei der Be-schäftigung Behinderter kann derTierkontakt als wichtige Grundla-ge für die therapeutische Arbeitgenutzt werden. Der Umgang mitTieren macht es den Betreutenmöglich, verschiedene Verhaltens-weisen zu erproben. Durch Ver-sorgung und Pflege eines Tiereswird das Selbstvertrauen gestärkt,Verantwortung sowie Rollenver-ständnis bezüglich des eigenenArbeitsbereiches erprobt. Die Ar-beit mit Nutztieren dient den Men-schen mit Behinderung dazu, Zu-sammenhänge in der Nahrungs-kette besser begreifen und einereale Vorstellung über die Herkunftvon Lebensmitteln gewinnen zukönnen (AGÖL/ Ev. Landjugend-akademie Altenkirchen 1994).

Hinsichtlich der therapeutischenAspekte von Tieren können diepsychologischen, physischen undsozialen Wirkungen auf den Men-schen unterschieden werden. Zuden psychologischen Wirkungengehört die Förderung eines positi-ven Selbstbildes. Die Versorgungeines Tieres kann dazu beitragen,das eigene Leben zu strukturie-ren und den Aufbau eines festen

Tagesablaufes zu ermöglichen.Die Betreuten erfahren im Umgangmit dem Tier Ermutigung und Be-geisterung für das eigene Handelnund werden außerdem zu Pünkt-lichkeit, Ordnung und Selbstdis-ziplin erzogen.

Die Sensibilisierung für die eige-nen Ressourcen sowie die Kon-trolle über sich selbst und dieUmwelt werden gefördert. BeimTierkontakt wird das emotionaleWohlbefinden des Betreuten po-sitiv beeinflusst. Er erfährt Zuwen-dung, Bestätigung, Trost undspontane Zuneigung. So ermög-licht es ein Nutztier dem Behin-derten, Körperkontakt zu erleben,Distanzen abzubauen und Näheherzustellen. Die vielfältigen Lern-erfahrungen im Zusammenhangmit Tieren und Tierhaltung tragenzu kognitiver Anregung und Akti-vierung bei.

Anhand von physiologischenReaktionen beim Menschen kannnachgewiesen werden, dass Tie-re dem Menschen ein Gefühl vonGeborgenheit und Vertrautheit ver-mitteln. Schon die reine Präsenzeines Tieres kann beruhigend aufden Menschen wirken. Bei regel-mäßigem Umgang mit einem Tierwerden Herzfrequenz und Blut-druck gesenkt sowie der Kreislaufstabilisiert.

Eine wichtige soziale Wirkungvon Tieren auf den Menschen istdie Aufhebung von Einsamkeit undIsolation. Durch die Nähe einesTieres wirkt ein Mensch offenbarzugänglicher und in diesem Zu-sammenhang fördern Tiere auchden sozialen Kontakt zu anderenMenschen. Dabei dient das Tierals Kommunikationshilfe, als eineArt Vermittler beim Aufbau vonsozialen Kontakten (GREIFFEN-HAGEN 1991, OTTERSTEDT2001).

Probleme und Grenzender Beschäftigung vonBehinderten in der Land-wirtschaft

Trotz aller positiven und thera-peutisch sinnvollen Aspekte des

Land- und Gartenbaus mit geistigund seelisch Behinderten, könnenbei der praktischen Arbeit in ei-nem solchen Beschäftigungsbe-reich auch diverse Schwierigkei-ten auftreten.

Bei der Arbeit mit Behindertenin Land- und Gartenbau solleneinerseits die Beschäftigten indi-viduell betreut und deren Persön-lichkeit gefördert werden,andererseits existieren gewissebetriebswirtschaftliche Zwänge,die beachtet werden müssen. DerKonflikt zwischen Produktion undPädagogik wird hier deutlich. Einevöllige Rationalisierung und Me-chanisierung der Betriebe wirdnicht angestrebt, da gerade ma-nuelle Arbeit diverse Beschäfti-gungsmöglichkeiten für die unter-schiedlich qualifizierten Mitarbei-ter/-innen bietet. Allerdings gilt es,betriebswirtschaftliche Standardszu beachten und termingerechteAuftragsarbeiten fertig zu stellen.Das wirtschaftliche Ergebnis unddie leistbare pädagogische Arbeitwerden in hohem Masse durch Artund Schwere der vorhandenenBehinderungen bestimmt. Auf-grund des wirtschaftlichen Druckssehen sich viele Gruppenleiter/-innen gezwungen, die besondersleistungsfähigen Menschen mitBehinderung in ihrem jeweiligenArbeitsbereich zu halten, was diebetriebsinterne Konkurrenz ver-stärkt und zu Konflikten unter denBetreuten führt. Um einer heilpä-dagogischen Betreuung gerechtzu werden und gleichzeitig wirt-schaftlich arbeiten zu können,wäre die Zusammensetzung derArbeitsgruppen gemäß der Leis-tungsfähigkeit und dem sozialenVerhalten der Betreuten wün-schenswert. Für besonders kom-plexe Arbeiten (z. B. Melken) soll-te überlegt werden, Fachkräfteanzustellen. Monotone und beiden Behinderten weniger beliebteArbeiten könnten vollständig me-chanisiert werden, damit die Ar-beitsmotivation bei den Betreutengesteigert werden kann. Die Ge-gensätze zwischen Pädagogikund arbeitswirtschaftlichen Erfor-

Page 31: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

Ländlicher Raum Juli/August 2004 29

dernissen können vor allem dannüberwunden werden, wenn dieBetreuer von dem Sinn und Wertder verrichteten Arbeiten überzeugtsind und dies den behindertenMitarbeitern/-innen auch vermittelnkönnen. Die Wertschätzung dergeleisteten Arbeit sowie die damitverbundenen Hochgefühle überden eigenen Erfolg sind wichtigeErfahrungen für die Betreuten, dieeine konstante und zufriedenstel-lende Beschäftigung gewährleis-ten (AGÖL/Ev. Landjugendakade-mie Altenkirchen 1994).

Geregelte Arbeitszeiten sind inBetrieben des Land- und Garten-baus kaum zu realisieren. DieVersorgung und Pflege der land-wirtschaftlichen Nutztiere ist aucham Wochenende und in Ferien-zeiten unabdingbar, was zu Über-anspruchungen der behindertenMitarbeiter/-innen führen kann.Wetterabhängige Saisonarbeitenmit „Arbeitsspitzen“ können vorallem im Hochsommer nicht ver-mieden werden. Um einerseits ei-nen optimalen Betriebsablauf zugewährleisten und andererseitsden Bedürfnissen der Betreutengerecht zu werden, kann in einemsog. Schichtdienstverfahren gear-beitet werden. Dabei arbeiten zweiGruppen im Wechsel an Vormit-tagen bzw. Nachmittagen. Auf die-se Weise wird eine Wochenar-beitszeit von 36 Stunden nichtüberschritten und den Behinder-ten ist weiterhin die Teilnahme anFreizeitaktivitäten in Wohnbereichund sozialem Umfeld möglich.Sonder- und Mehrarbeit am Wo-chenende wird mit einer zusätzli-chen Vergütung oder alternativdurch Freizeitausgleich entlohnt.

Relativ unbeliebte Beschäfti-gungsbereiche wie Melken – unddas damit verbundene frühe Auf-stehen – können zu ausgespro-chen verantwortungsvollen Positi-onen erklärt werden, indem denBetreuten die Wichtigkeit undNotwendigkeit der verrichteten Ar-beit vermittelt wird (AGÖL/Ev.Landjugendakademie Altenkirchen1994).

Viele pädagogische Mitarbeiter/-innen nennen den als zu engempfundenen Betreuungsschlüs-sel von 1:12 als große Schwierig-keit bei der Arbeit mit Behinder-ten in Landwirtschaft und Garten-bau. Die Weitläufigkeit der zu be-wirtschaftenden Fläche lässtkaum zu, auf alle Betreuten indi-viduell einzugehen. Eine Verände-rungsmöglichkeit diesbezüglichwäre die individuelle Festlegungdes Betreuungs-schlüssels für denjeweiligen Werk-stattbereich. Somitwürde sich der Be-treuungsschlüsselin einem Bereichmit geringerem Be-t reuungsbedar f(z. B. Montage) zu-gunsten des land-wirtschaftlichen undgartenbaulichen Ar-beitsbereiches ver-schlechtern. Sol-che Änderungendes Betreuungs-schlüssels sind mitdem Träger der Ein-richtung auszuhan-deln (AGÖL/Ev.Landjugendakade-mie Altenkirchen1994).

Viele Einrichtun-gen mit landwirt-schaftlichem undgartenbaulichemArbeitsbereich fürbehinderte Menschen stehen vordem Problem, qualifiziertes Be-treuungspersonal zu finden, wel-ches den unterschiedlichen Anfor-derungen eines solchen Beschäf-tigungsfeldes entspricht. Gruppen-oder Betriebsleiter sollten u. a.Führungsqualitäten, pädagogi-sche Fähigkeiten, Fähigkeit zurTeamarbeit, soziales Engage-ment, gute Produktkenntnisse undbetriebswirtschaftliches Wissenvorweisen können. Die Diskre-panz zwischen diesen Anforderun-gen an die Position des Betriebs-leiters einerseits und dessen fi-nanzieller Entlohnungandererseits wird auch als „Be-

triebsleiterproblem“ bezeichnet(HERMANOWSKI 1992).

Ein weiteres Problem aus demBereich des pädagogischen Per-sonals ist die mangelnde Kommu-nikation mit anderen Arbeitsberei-chen der Einrichtung. Organisa-torische Absprachen zwischendem Sozialen Dienst oder Wohn-bereich und dem Werkstattbe-reich finden oftmals entweder gar

nicht oder nur unzureichend statt.Lösungsansätze für dieses Pro-blem könnten regelmäßige Zu-sammenkünfte für das gesamtePersonal sowie gegenseitige Hos-pitationen in den verschiedenenArbeitsbereichen sein (AGÖL/Ev.Landjugendakademie Altenkirchen1994).

Die Art und der Aufwand derBetreuung kann bei psychischBehinderten anders sein als beigeistig Behinderten. So erfordernpsychisch Behinderte einen höhe-ren Betreuungsaufwand und füh-len sich schneller überfordert alsgeistig Behinderte. PsychischBehinderte lehnen eine Zusam-

Beim Tierkontakt wird das emotionaleWohlbefinden des Betreuten positiv beeinflusst

Fot

o: M

. Car

l

Page 32: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

30 Juli/August 2004 Ländlicher Raum

menarbeit mit geistig Behindertenhäufig ab, weisen höhere Fehlzei-ten auf und zeigen schlechterebzw. schwankendere Arbeitsleis-tungen als geistig Behinderte. Einerster Lösungsansatz für dieseProblemsituation besteht im Auf-bau einer eigenen Werkstatt fürpsychisch Behinderte bzw. einerseparaten Abteilung innerhalb derWerkstatt (SONNENTAG 1991).

Der Umgang mit landwirtschaft-lichen Nutztieren birgt einige Ge-fahren und das Risiko einer Krank-heitsübertragung oder einer Ver-letzung. Verletzungen wie Krat-zen, Beißen, Treten oder Umren-nen von Menschen durch Tierekönnen durch nicht artgerechtgehaltene und folglich aggressivund unberechenbar gewordeneTiere verursacht werden. Über dieAusdrucksformen und die Anste-ckungsgefahr von Tollwut solltenalle Beschäftigte ausreichend auf-geklärt werden. Um Wurmparasi-ten zu verhindern, ist es wichtig,ausreichende hygienische Maß-nahmen zu treffen. Unzureichendgereinigte Futternäpfe und Tierbe-hausungen beeinträchtigen dieGesundheit des Tieres wie desMenschen gleichermaßen(AGÖL/Ev. LandjugendakademieAltenkirchen 1994).

Durch die Abhängigkeit vonWetter und Jahreszeiten kann esschwierig sein, den Beschäftigtenin Land- und Gartenbau ganzjäh-rig eine sinnvolle Arbeit zu bieten.Bei der Gestaltung der Produkti-onsbereiche ist darauf zu achten,dass genügend Schwerpunktevorhanden sind, die auch im Win-ter konstante Arbeiten ermögli-chen. Eine Konstanz an Beschäf-tigung zu jeder Jahreszeit kannerreicht werden durch Viehhaltung(tägliches Füttern und Misten),Kartoffelschälbetriebe sowie Ver-packungsbereiche (HERMA-NOWSKI 1992).

Befragungsergebnisse

In sechs Behinderten-Einrich-tungen mit landwirtschaftlichemoder gartenbaulichem Arbeitsbe-

reich in Nordhessen wurden Ein-richtungs- und Werkstattleitern/-innen zur Bedeutung und Funkti-on von Arbeit sowie zu Chancenund Problemen von Menschen mitgeistiger und seelischer Behinde-rung in der Landwirtschaft befragt

Jede der interviewten Personennennt den bewussten Umgang mitPflanzen, Tieren und Erde einentherapeutisch sehr wertvollen As-pekt der Behindertenarbeit inLand- und Gartenbau. Durch dieabwechslungsreichen, der Jahres-zeit entsprechenden Arbeiten wirdbei den Menschen mit Behinde-rung das Interesse für natürlicheKreisläufe geweckt. Drei der inter-viewten Betreuungspersonen be-tonen in diesem Zusammenhangdie Ganzheitlichkeit, die beim Er-leben jahreszeitlicher Zyklen undbeim Umgang mit den Elementenerreicht wird.

Auch die Wirkungsweisen undFunktionen von landwirtschaftli-cher und gartenbaulicher Arbeit mitBehinderten betreffend bestehtweitestgehend Einigkeit bei denBefragten: Durch die Wertschät-zung der eigenen Arbeit wird dasSelbstwertgefühl des Beschäftig-ten gestärkt und verborgene Res-sourcen werden geweckt. DasSchaffen individueller Betätigungs-felder für alle behinderten Mitarbei-ter/-innen fördert die Eigenständig-keit, das Verantwortungsbewusst-sein sowie die Arbeitsmotivation.Bei der Arbeit in der Natur findetfür die Betreuten eine unmittelba-re Visualisierung der Arbeitser-gebnisse statt, was helfen kann,die Sinnhaftigkeit der eigenen Ar-beit begreifen zu lernen. Außer-dem können bei Arbeiten in Land-und Gartenbau Geduld und Aus-dauer erprobt sowie eine bessereZugänglichkeit der Betreuten ge-fördert werden.

Die sozialen Beziehungen inner-halb der Arbeitsgemeinschaft wer-den für Menschen mit Behinde-rung als sehr wichtig eingeschätzt.Die Kommunikation am Arbeits-platz und das gegenseitigeaufeinander Angewiesensein för-

dere die Fähigkeit zu Gemein-schaftsarbeit und den Erwerb vonsozialer Kompetenz.

Bei den von den Interviewtengenannten Problemen und Gren-zen des Land- und Gartenbaus mitBehinderten unterscheiden sichdie Angaben vor allem nach denvorhandenen Arbeitsbereichen inden Institutionen. Einigkeit bestehtinsbesondere darüber, dass derKonflikt zwischen Pädagogik undWirtschaftlichkeit zu den dring-lichsten Problemen zählt. AusZeitgründen ist eine individuelleBetreuung der Beschäftigten nichtimmer möglich. Dieses Problemergibt sich vor allem zu saisonalbedingten Spitzenzeiten und beiTermindruck durch Auftragsarbei-ten. In diesem Zusammenhangwird von nahezu allen befragtenPersonen der in Land- und Gar-tenbau übliche und als unange-messen bezeichnete Betreuungs-schlüssel von 1:12 kritisiert. DieDoppelfunktion von Pädagoge undlandwirtschaftlicher oder garten-baulicher Fachkraft wird von denbetreuenden Personen als belas-tend empfunden und durch denMangel an qualifiziertem Personalnoch verstärkt.

Als Grenzbereiche bei der Be-schäftigung Behinderter in Land-und Gartenbau gelten ausgepräg-te Tendenzen zu Aggressivität beiden Betreuten sowie starke psy-chische Instabilitäten und Ge-mütsschwankungen der seelischbehinderten Menschen.

Bei Einrichtungen mit Viehhal-tung nennen die Befragten dasProblem der Wochenendarbeit,welche oftmals als äußerst unat-traktiv bei den Betreuten gilt.

Der Standort des landwirtschaft-lichen oder gartenbaulichen Be-triebes kann problematisch sein,wenn die Lage zu abgeschiedenist. Wie am Beispiel mehrerer Ein-richtungen deutlich wird, kann eineschlechte Verkehrsanbindung dieDirektvermarktung erzeugter Pro-dukte schwierig machen und au-ßerdem die Anfahrt von Betreuern

Page 33: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

Ländlicher Raum Juli/August 2004 31

und Betreuten zum Arbeitsplatzerschweren.

Auf einem der besuchten land-wirtschaftlichen Betriebe ist dieBesonderheit gegeben, dass diepädagogischen Betreuer desGutshofes auch vor Ort wohnen.In diesem Zusammenhang nenntdie dort befragte Person das Pro-blem der bei vielen Pädagogennicht vorhandenen Abgrenzungs-kompetenz. Die hohe Mitarbeiter-fluktuation ist ein Hinweis für dasBestehen dieser Problematik.

Die durchgeführte Befragungzeigt, dass die bereits in dentheoretischen Grundlagen erarbei-teten Bedeutungsaspekte undFunktionen von Arbeit sowie dietherapeutischen Wirkungsweisendes Land- und Gartenbaus bestä-tigt werden können.

Insgesamt kann aus den Inter-views der Schluss gezogen wer-den, dass landwirtschaftliche Ar-beit für Menschen mit geistigerund seelischer Behinderung geeig-neter ist als industrielle Arbeit.Gerade die durch landwirtschaftli-che Arbeit ermöglichte Tages-strukturierung kann den Betreutenzu Selbstständigkeit und der Er-füllung eigener Aufgaben verhelfen.

Tagung: „Arbeit mit behinderten Menschen“vom 3. bis 5. November 2004 in Altenkirchen

Die Möglichkeiten sinnvoller undvielfältiger Beschäftigung sowiedie körperliche Betätigung fördernsowohl geistige als auch motori-sche Fähigkeiten des Betreuten.Die Eignung landwirtschaftlicherArbeiten für einen Menschen mitBehinderung wird außerdem durchden offensichtlichen Nutzen dereigenen Arbeit beim Umgang mitTieren und Pflanzen sowie derErzeugung gesunder Lebensmit-tel bestätigt.

Literatur

Aernout, J.R.(1992): Arbeitstherapie– eine praxisorientierte Einführung,Weinheim/Basel

Arbeitsgemeinschaft ÖkologischerLandbau (AGÖL) und EvangelischeLandjugendakademie Altenkirchen(Hrsg.) (1994): Land- und Garten-bau mit Behinderten, Stiftung Öko-logie und Landbau (SÖL), Bad Dürk-heim

Arbeitsgemeinschaft ÖkologischerLandbau (AGÖL) (Hrsg.) (2000):Leitfaden Ökologischer Landbau inWerkstätten für Behinderte, Frank-furt/Main

Bundesvereinigung Lebenshilfe fürMenschen mit geistiger Behinde-rung e.V. (2002): WfB Handbuch, 10.Auflage, Marburg

Greiffenhagen, S. (1991): Tiere alsTherapie – Neue Wege in Erziehungund Heilung, München

Hermanowski, R. (1992): Ökologi-scher Land- und Gartenbau mit Be-hinderten, Schrift Nr. 350 des Kura-toriums für Technik und Bauwesenin der Landwirtschaft e.V., Darm-stadt

Hensle, U./Vernooij, M. (2000): Ein-führung in die Arbeit mit behinder-ten Menschen, 6. Auflage, Wiebels-heim

Jahoda, M. (1985): Die sozialpsy-chologische Bedeutung von Arbeitund Arbeitslosigkeit, in: Sonnentag,S. (1991): Arbeit und Persönlich-keitsentwicklung bei geistig undpsychisch Behinderten – Eine em-pirische Untersuchung zur Arbeits-situation in Werkstätten für Behin-derte, Europäische Hochschul-schriften, Bd. 345, Frankfurt/ Main

Otterstedt, C. (2001): Tiere als the-rapeutische Begleiter – Gesundheitund Lebensfreude durch Tiere –eine praktische Anleitung, Stuttgart

Sonnentag, S. (1991): Arbeit undPersönlichkeitsentwicklung beigeistig und psychisch Behinderten– eine empirische Untersuchung zurArbeitssituation in Werkstätten fürBehinderte, Europäische Hoch-schulschriften, Bd. 345, Frankfurt/Main

Seit zehn Jahren gibt es bundes-weite Seminare und eine Zusam-menarbeit der Werkstätten mitbehinderten Menschen in derLandwirtschaft und im Gartenbau.Aus Anlass dieses Jubiläums sollnoch einmal verdeutlicht werden,welche einmalige Chance die Ar-beit mit Behinderten in der Land-wirtschaft bietet und wie die inter-nationale Zusammenarbeit in die-sem Arbeitsfeld gestaltet werdenkann.

Mitarbeiter/-innen von Werkstättenmit behinderten Arbeitnehmern/

-innen in der Landwirtschaft undim Gartenbau aus Österreich, derSchweiz und Deutschland treffensich um Impulse für das „Tages-geschäft“ zu erhalten und ihre Zu-sammenarbeit zu konkretisieren.Im Rahmen einer „kulinarischen“Reise stellen sich Einrichtungenmit ihren Produkten vor. Besich-tigt wird die Saatgutinitiative Bin-genheim, in der Ökosaatgut mitbehinderten Menschen erzeugtund verpackt wird.

Veranstalter sind die Evangeli-sche Landjugendakademie Alten-

kirchen, das FiBL Deutschland,die Zukunftsstiftung Landwirtschaftund die Bundesarbeitsgemein-schaft Werkstätten für behinderteMenschen.

Weitere Informationen unter:

Evangelische Landjugendakade-mie, Claudia Leihbrock,Tel: 02681/9516-17 oder

FiBL, Dr. Robert Hermanowski,www.gruene-werkstatt.de,Tel: 069/71 37 699-9

Page 34: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

32 Juli/August 2004 Ländlicher Raum

Grüne Gentechnik

Die neue Haftungsregelegung im jüngst verabschiedeten Gentechnik-Gesetz wirdvon Kritiker/-innen der Grünen Gentechnik begrüßt. Die Diskussion um den Nut-zen dieser Technik ist aber noch nicht beendet. Dabei stellt sich die Frage, wel-che Motive die Vertreter/-innen verschiedener Standpunkte haben und wer imEndeffekt wirklich von der Grünen Gentechnik profitiert.

Die Weichen für die Nutzungder Grünen Gentechnik in

Deutschland werden auf europäi-scher Ebene gestellt. Nachdembereits seit 18. April 2004 dieKennzeichnungspflicht gilt, dräng-te die Umset-

zung der EU-Richtlinie 2001/18/EG zur Frei-setzung gentechnisch veränderterOrganismen (GVO). Ein wichtigerAspekt für die Landwirtschaft wirdin Zukunft der europäische Be-schluss zum Saatgut sein, derfestsetzt, bis zu welchem Grad esmit GVO verunreinigt sein darf.Bisher gilt hier ein Reinheitsgebot.Die Europäische Kommissionplant jedoch im Herbst 2004 eineVerordnung zu erlassen, mit derVerunreinigungen möglich werden.

Kennzeichnungspflichtsoll Verbrauchern/-innendie Wahl erleichtern

Futter- und Lebensmittel, die mitGVO hergestellt wurden, sind nachder neuen Kennzeichnungspflichtmit einem entsprechenden Auf-druck zu versehen, auch wenn die-se im Endprodukt selbst nichtnachzuweisen sind. Dies gilt auchfür Produkte, die normalerweisekeine Zutatenliste haben, z. B.Speisen im Restaurant oder Pro-dukte auf dem Markt.

Wenn gentechnisch veränderteOrganismen unbeabsichtigt odertechnisch unvermeidbar in ein Pro-dukt gelangt sind, muss diesesnicht entsprechend gekennzeich-net sein, sofern der Anteil den

Schwellen-wert von0,9 % un-terschrei-tet. AuchProduktevon Tieren,deren Fut-ter GVOe n t h ä l t ,m ü s s e nnicht ge-kennzeich-net sein.

Das gilt ebenfalls für den Einsatzdes gentechnisch veränderten En-zyms Chymosin als Labersatz inder Käseherstellung. Eine Kenn-zeichnungspflicht für diese Pro-dukte darf nach EU-Recht von denMitgliedstaaten national nicht vor-geschrieben werden.

Eine verschärfte Kennzeich-nungspflicht gilt, wenn Lebensmit-tel einen abweichenden Nährwertaufweisen oder Auswirkungen aufdie menschliche Gesundheit zei-gen können, bspw. bei der Nut-zung von Stoffen, die Allergienauslösen können. Auch ethischeGründe spielen hier eine Rolle,wenn z. B. tierische Gene auf einpflanzliches Lebensmittel übertra-gen werden. Auf diese neuen Ei-genschaften muss gesondert hin-gewiesen werden. Bei einem Ver-stoß gegen die Kennzeichnungs-pflicht sieht der Gesetzgeber hoheStrafen vor, die bis zu 50 000 EURumfassen können. Die Kennzeich-nungspflicht geht vielen Verbän-den noch nicht weit genug. Ver-

braucherschutzinitiativen und dieUmweltorganisation Greenpeaceergänzen diese Informationendurch Broschüren, in denen u. a.auf Produkte hingewiesen wird, dienicht gemäß der EU-Verordnunggekennzeichnet sein müssen,aber dennoch unter Einsatz vonGVO hergestellt wurden.

Freisetzungsrichtlinie sollKoexistenz sichern

Die EU-Richtlinie 2001/18/EG(Freisetzungsrichtlinie) sieht dieSicherung der Koexistenz ver-schiedener Anbauverfahren sowiedie Rückverfolgbarkeit des Pro-duktionsprozesses von Lebens-oder Futtermitteln mit gentech-nisch veränderten Inhaltsstoffenvor. Anbauflächen müssen öffent-lich aufgelistet sein und vom je-weiligen Saatgutunternehmen be-obachtet werden um eventuelleSchäden zu verhindern. Hier giltdas Prinzip „better safe than sor-ry“. Ein marktbegleitendes Moni-toring soll es möglich machen, dieEntstehung des Endproduktesrückzuverfolgen. Die Freiset-zungs-Richtlinie hätte eigentlichbis 2002 in nationales Recht um-gewandelt werden sollen, verzö-gerte sich aber in Deutschlandnicht zuletzt aufgrund intensiverAuseinandersetzungen zwischenKoalition und Opposition .

Umfassende Haftungsre-gelungen erschweren An-bau

In dem Entwurf für das entspre-chende Gentechnik-Gesetz inDeutschland sah Bundesverbrau-cherschutzministerin RenateKÜNAST umfassende Haftungs-regelungen vor, die gewährleisten

Page 35: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

Ländlicher Raum Juli/August 2004 33

sollten, dass anliegende Feldernicht mit gentechnisch veränder-ten Organismen verunreinigt wür-den. CDU und CSU machten ge-meinsam mit dem Bauernverbandden Vorschlag, Haftungsansprü-che, die zudem einem Verursach-er zuzuweisen sein müssten, auseinem Fonds zu zahlen, der ausMitteln der Saatgutindustrie undvom Staat finanziert werden soll-te. Künast lehnte diesen Vor-schlag als Subventionierung derGrünen Gentechnik ab und nutz-te die Möglichkeiten der EU-Richt-linie weidlich aus. Nachdem ihrerster Entwurf zum Gentechnik-Gesetz vom Bundesrat abgelehntwurde, teilte sie ihn in der Formauf, dass die wesentlichen Be-stimmungen ohne die Zustim-mung des Bundesrats durch dierot-grüne Mehrheit im Bundestagdurchgesetzt werden konnten. ImGegensatz zum ersten Entwurfsoll nun bspw. durch Bundes-,nicht durch Länderbehörden derAnbau transgener Pflanzen regis-triert und öffentlich zugänglichgemacht werden. Begründet wur-de diese Vorgehensweise, die aufheftige Kritik der Union stieß, da-mit, dass eine schleichende Ver-unreinigung der Landwirtschaft inDeutschland durch GVO vermie-den werden sollte.

Der Anbau gentechnisch verän-derter Organismen wird durch dasneue Gesetz erheblich erschwert.Folgende Maßnahmen sollen derSicherung der Koexistenz gelten:

Haftungsregelung

Ein Landwirt, der GVO anbaut,muss gesamtschuldnerisch haf-ten, wenn die Felder seines Nach-barn nachweisbar (auch bereitsunter dem europäischen Schwel-lenwert von 0,9 %) mit Samentransgener Pflanzen verunreinigtsind. Kommen mehrere Anbauerfür die Verunreinigung in Frage,haften sie gemeinsam. Diese Re-legung kann sehr teuer werden,vor allem wenn ein biologischerBetrieb, der nach den Richtlinienseines Anbauverbands gentech-nikfreie Produkte garantiert, betrof-fen ist und die Verunreinigung bis

hin zur Betriebsaufgabe führt. Ent-sprechend haben es Versicherun-gen bislang abgelehnt, dieses Ri-siko zu tragen.

Produktinformationspflicht

Saatgutfirmen, die GVO in denHandel bringen, sind nun verpflich-tet, in einer Art „Beipackzettel“darzulegen, wie die Verunreini-gung angrenzender Felder vermie-den werden kann. Bei fehlerhaftenProduktinformationen machen siesich haftbar.

Standortregister

Ein bundesweit geführtes Stand-ortregister soll flurstückgenau dar-stellen, wo GVO angebaut wer-den. Die Informationen diesesRegisters müssen öffentlich zu-gängig sein. Die Daten müssenbis zu 15 Jahren aufbewahrt wer-den.

Schutz ökologisch sensiblerGebiete

Im Bundesnaturschutzgesetzwird eine Ergänzung eingefügt, diees Naturschutzbehörden ermög-licht einzugreifen, wenn GVO inökologisch sensiblen Gebietenangebaut werden sollen.

Benehmensregelung

Das Bundesamt für Naturschutz(BfN), das Robert-Koch-Institut(RKI) und das Bundesamt für Ver-braucherschutz und Lebensmittel-sicherheit (BVL) sind bei Inver-kehrbringen und Freisetzungenvon GVO zu beteiligen. Bei einemDissens zwischen den beteiligtenBehörden kann das Bundesver-braucherschutzministerium durchAnweisung Klarheit schaffen.

Gute fachliche Praxis

Das Gentechnikgesetz legt fest,dass Landwirte, die GVO anbau-en, Mindestabstände zu anderenFeldern einhalten und durch Sor-tenwahl, Durchwuchsbekämpfungsowie Nutzung natürlicher Pollen-barrieren dafür Sorge tragen müs-sen, dass eine Verunreinigungvermieden wird.

Abwehrregelung

Selbst nach Erteilung einer An-baugenehmigung kann der Anbauvon GVO untersagt werden, wennGrund zu der Annahme besteht,dass hiervon eine Gefahr für diemenschliche Gesundheit oder dieUmwelt ausgeht.

Bauernverbände zeigenweites Meinungsspektrum

In der Reaktion auf die Verab-schiedung des novellierten Gen-technik-Gesetzes bemängelte derDeutsche Bauernverband (DBV),dass mit der Neuregelung der An-bau transgener Pflanzen durch dieHaftungsregelung gleichsam un-möglich gemacht worden sei. Da-mit werde dem Prinzip der Koe-xistenz widersprochen, weil unterdiesen Umständen von dem Ein-satz von GVO abzuraten sei. ImGrunde sei mit dem neuen Gesetzder Ausstieg aus der Grünen Gen-technik beschlossen. Der Ent-scheid der Bundesregierung seiparteipolitisch geprägt und habekeine Lösung auf breiter gesell-schaftlicher Basis gezeigt.

Die Arbeitsgemeinschaft Bäuer-liche Landwirtschaft (ABL) – auchals alternativer Bauernverbandbezeichnet – begrüßte hingegendas neue Gesetz, weil es denBauern, die Gentechnik ablehn-ten, ermögliche weiterhin gentech-nikfreie Produkte anzubieten. Den-noch blieben Zweifel, ob eine Ko-existenz zwischen den Anbauver-fahren grundsätzlich möglich sei,weil die Nutzung transgener Pflan-zen garantiert gentechnikfreienAnbau erschwere.

Differenzierte Haltung zurGentechnik in Europa

In einer jüngst veröffentlichtenStellungnahme zum ersten Ent-wurf des Gentechnik-Gesetzesvom April 2004 bemängelte DavidO´SULLIVAN, Generalsekretärder Europäischen Kommission,die Haftungsregelungen inDeutschland, die den Landwirtenden Anbau transgener Pflanzenerheblich erschwerten. Zzt. wer-

Page 36: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

34 Juli/August 2004 Ländlicher Raum

den in der Kommission Überlegun-gen laut, rechtlich gegen das deut-sche Gesetz vorzugehen, weil esMängel in der Umsetzung der EU-Richtlinie aufweist.

WTO-Abkommen schrän-ken Ablehnung der Gen-technik ein

EU-weit gilt, dass der wissen-schaftlich fundierte Nachweis ei-ner Gefahr das Inverkehrbringeneines Produktes unterbindet.Ohne diesen Nachweis darf einProdukt gemäß der WTO-Han-delsabkommen nicht vom Marktabgehalten werden. Da der gene-relle Nachweis für die Gefährdungdurch Gentechnik nicht erbrachtwerden konnte, ist es nicht mög-lich ein generelles Verbot von GVOin Deutschland durchzusetzen,auch wenn Umfragen zufolge diemeisten Konsumenten/-innenhierzulande sie ablehnen. MancheHandelsketten haben sich ent-sprechend entschieden, derartigeProdukte aus ihrem Sortiment zuentfernen.

Aufgrund vieler Unsicherheitenhatten die Mitgliedsstaaten derEuropäischen Union seit 1998keine Anbaugenehmigungen fürneue gentechnisch veränderteSorten mehr erteilt. Dieses de-fac-to-Moratorium wurde 2004 aufge-hoben. Im ersten Genehmigungs-verfahren nach der EU-Osterwei-terung zeigte sich jedoch die kri-tische Haltung der Beitrittsstaa-ten. Sechs der zehn neuen Län-der lehnten den Import eines ent-sprechenden Produkts im Ständi-gen Ausschuss ab, insgesamtvotierten 57 % dagegen, wobeiDeutschland sich der Stimme ent-hielt. Die Ablehnung zeigt die zu-nehmend kritische Haltung ge-genüber der Gentechnik.Letztendlich werden Anträge fürneue Sortenzulassungen jedochim Agrarministerrat entschieden.

Transgene Pflanzen vorallem in USA angebaut

Im Handel finden sich GVO zzt.hauptsächlich in Sojaprodukten,

die meist aus denUSA importiertsind. Weltweit wur-den im Jahr 200367,7 Mio. ha mittransgenen Pflan-zen bestellt (s.Abb. 1). Nach deranfänglichen Eu-phorie bestimmenzunehmend Beden-ken die Produktion.

Monsanto – der international füh-rende Saatgutkonzern – hat jüngstauf die zunehmenden BedenkenUS-amerikanischer Farmer rea-giert und die Entwicklung einesgentechnisch veränderten Wei-zens vorerst auf Eis gelegt. SeinEngagement im Vertrieb von gen-technisch veränderten Ölsaaten,Mais oder Baumwolle schränkt derKonzern jedoch nicht ein.

Verbreitung von Gentech-nik zur Bekämpfung vonHunger wird kritisiert

Die Diskussion um Gentechnikim europäischen und nordameri-kanischen Raum wird von den In-teressen der Saatgutkonzerne wieMonsanto dominiert. Es geht dar-um pflanzenschutzresistente Sor-ten hervorzubringen, damit gleich-zeitig Totalherbizide eingesetztwerden können. So ergeben sichneue Märkte für Saatgutfirmen undeventuell ökonomische Vorteile fürlandwirtschaftliche Betriebe, dieauf diese Weise verfahren. In die-se Richtung zielt auch derWunsch, durch Genmanipulatio-nen Nahrungsmittel industriekon-form zu gestalten um die Weiter-verarbeitung zu erleichtern.

Diese – in einer Marktwirtschaftlegitimen – Absichten sollen mitdem moralischen Argument aufge-wertet werden, dass mit Gentech-nik der Hunger in der Welt be-kämpft werden soll. Es stellt sichallerdings die Frage, wie sich dieSituation für arme Länder entwi-ckelt, wenn Firmen Rundum-Pa-kete anbieten (Saatgut plus pas-sendes Herbizid) und sich dadurchMonopolstellungen verschaffen.

Die FAO beklagt entsprechend dieAusrichtung der biotechnologi-schen Forschung auf Kulturen wieRaps, Mais und Soja und fordertdazu auf, sie verstärkt auf Kultu-ren armer Länder – wie Maniok,Sorghum und Tef – zu konzentrie-ren um die Grüne Gentechnik ef-fektiv zur Bekämpfung des Hun-gers einzusetzen.

2002 hat der afrikanische StaatSambia die Hungerhilfe der USAabgelehnt, weil diese gentech-nisch veränderten Mais liefernwollten. Sambia begründete sei-ne Ablehnung mit gesundheitli-chen Risiken für die Endverbrau-cher/-innen, da die langfristigenAuswirkungen des Verzehrs vonGenmais nicht erforscht seien undMais das Hauptnahrungsmittel derBevölkerung darstelle. Zudemfürchtete das Land die Durchmi-schung der eigenen Produktion mittransgenen Pflanzen und damiterschwerte Exportbedingungen,weil beispielsweise Europa bevor-zugt nicht manipulierte Pflanzennachfrage. Sambia möchte hinge-gen seine Bevölkerung mit einhei-mischen Nahrungsmitteln versor-gen. Eine Unterstützung mit finan-ziellen Mitteln wäre willkommenum beispielsweise Maniok-Pro-dukte aus dem Norden in den ar-men Süden des Landes zu trans-portieren. Chuck BENBROOK,ehemaliger Direktor des Board onAgriculture der Nationalen Wis-senschaftsakademie der USA,warf seiner Regierung sogar vor,die Situation Sambias in scham-loser Weise für den Vertrieb vonGentechnikprodukten auszunut-zen, obwohl genügend gentech-

Abbildung 1: Anbau transgener Pflanzen 2003

Indien RumänienSüdafrika

Argentinien

Uruguay

AustralienChina

Kanada

Brasilien

USA63%

Page 37: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

Ländlicher Raum Juli/August 2004 35

nikfreie Nahrungsmittel zur Versor-gung der Bevölkerung vorhandenseien.

Meinungen zur Gentech-nik sind Frage des Welt-bildes

Die moralische Bewertung derGrünen Gentechnik – insbeson-dere wenn es um ihren Nutzen zurHungerbekämpfung geht – hängtvon einer grundsätzlichen Sicht-weise der Welt ab. In einem mo-nokausal geprägten Weltbildscheint es sinnvoll, Pflanzen Geneeinzubauen, die sie resistent ge-gen spezifische Krankheiten ma-chen. Ein systemisch oder ganz-heitlich denkender Mensch siehthier jedoch Risiken, weil er davonausgeht, dass die Krankheitser-reger selbst wieder mutieren wer-den. Ähnlich ist es mit den soge-nannten Bt-Sorten, bei denenPflanzen ein insektenvernichten-des Schutzgen implantiert wird.Sieht man die Pflanze im System,sind auch hier wieder Auswirkun-gen auf andere Kleinstlebewesen,die eine wichtige Funktion in derGestaltung der Bodenfruchtbarkeiteinnehmen, zu befürchten.

Eine Nahrungspflanze, die mitProvitamin A angereichert wird,erscheint im Ursache-Wirkungs-Denken eine wichtige Hilfe für die

durch Unterernährung verursach-ten Augenleiden in armen Ländernzu sein. Systemisch gesehen istzu bedenken, dass die Einzelga-be von Vitaminen keinen wissen-schaftlich fundierten Vorteil bringt,sondern dass vielmehr die Relati-on verschiedener Nahrungsmittel,die noch wenig erforscht ist, grund-legend für eine gute Gesundheitzu sein scheint.

Saatgutkonzerne habengroßen Einfluss

Der Äthiopier Tewolde EGZIAB-HER, der die afrikanische Delega-tion bei den UNO-Verhandlungenzu Biopatenten leitete, wies dar-auf hin, dass die Hungerproblemeauf dem afrikanischen Kontinentnicht durch Gentechnik bekämpftwerden müssten, sondern vielmehrResultat wirtschaftlicher Verflech-tungen seien. Teilweise müsstenafrikanische Länder Vorräte ver-kaufen um Schulden zu bezahlen.Auch fehlende Lager- und Trans-portmöglichkeiten spielten einegroße Rolle. Zudem sei die Ab-kehr von traditionellen Kulturen oftmit Problemen verbunden. Gera-de Mais sei keine Pflanze für tro-ckene Jahre, habe aber in denletzten Jahrzehnten auf Empfeh-lung von Wissenschaftlern/-innendie einheimischen Getreide ver-drängt.

In Simbabwe und Tansania wur-de die Reduktion der Artenvielfaltsogar gesetzlich erzwungen, weilHochleistungssorten, die für denExport angebaut wurden, nichtdurch einheimische Sorten kon-taminiert werden sollten. So kön-nen fatale Abhängigkeiten entste-hen, vor allem wenn die Saatgut-produktion zunehmend von gro-ßen Konzernen beherrscht wird.

Ein Beispiel für die Absurditätenin der Nutzung von Grüner Gen-technik ist der Fall um den kana-dischen Farmer Percy SCHMEI-SER. Er wurde von Monsanto aufLizenzgebührenzahlung verklagt,weil auf seinen Feldern Spurengentechnisch veränderten Rapszu finden waren, auf die das Un-ternehmen ein Patent angemeldethatte. Schmeiser verklagtedaraufhin den Konzern, da dieGVO-Samen sich nach seinenAngaben ohne sein Zutun auf sei-nem Acker verbreitet hatten unddie Qualität seiner eigenen Ernteminderten. Er unterlag im Mai2004 in letzter Instanz. Die Rich-ter begründeten ihr Urteil damit,dass Schmeiser schon seit 1997von der Verunreinigung seiner Fel-der gewusst und dennoch Rapsnachgesät habe.

Gentechnikfreie Regionenimmer verbreiteter

In Deutschland ist vielen Bauerninzwischen klar geworden, dassder Verzicht auf die Grüne Gen-technik nur gemeinsam möglichist. Schon vor Verabschiedung desneuen Gentechnik-Gesetzes wur-den die ersten gentechnikfreienRegionen ausgerufen. Sie umfas-sen kleine Dörfer, ganze Landkrei-se, aber auch Städte. So hat sichMünchen zur gentechnikfreienRegion erklärt, Berlin überlegtnachzuziehen. Ökologisch undkonventionell wirtschaftende Be-triebe sorgen gemeinsam dafür,dass auf ihren Feldern keine trans-genen Pflanzen ausgesät werden.Nur so ist es ihnen möglich gen-technikfreie Produkte zu garantie-ren und schwierige Haftungsfragenzu vermeiden.

Monsanto liefert die gentechnisch veränderte Sojabohne „Roundup Ready“ unddazu das passende Pflanzenschutzmittel Roundup

Fot

o: In

form

atio

n au

s D

atei

in P

hoto

shop

Page 38: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

36 Juli/August 2004 Ländlicher Raum

Gentechnik im Saatgut be-droht die Koexistenz

Verschiedene Landwirtschafts-und Verbraucherverbände prangernan, dass viele Faktoren den Bau-ern den Verzicht auf Gentechnikerschweren. Zunehmend wird esschwieriger, gentechnikfreie Fut-termittel zu erhalten. Besondersbedenkenswert ist die Situation imBereich des Saatguts. Bereits imOktober 2003 wollte die EU-Kom-mission eine Richtlinie verab-schieden, die eine Durchsetzungungekennzeichneten Saatguts mitGVO zwischen 0,3 und 0,7 % zu-gelassen hätte. Nach massivemProtest wurde der Entwurf zurück-gezogen. UmweltkommissarinMargot WALLSTRÖM solldemnächst einen neuenVorschlagunterbreiten. Gegner fürchten,dass dem Einzug der Grünen Gen-technik mit der Saatgutrichtlinieeine Hintertür geöffnet wird, dasich auf diese Weise GVO ver-mehren könnten, selbst wenndeutsche Landwirte/-innen sie

nicht bewusst anbauen wollen. DieRegelungen zur Koexistenz wür-den sich auf diese Weise als wir-kungslos erweisen. Auch das Mo-nitoring würde ineffizient sein,wenn sich Gefährdungen durchGVO herausstellen, da der Anbau-prozess nicht mehr rückverfolgbarsei.

Die Zukunftsstiftung Landwirt-schaft e.V. wandelte in Reaktionauf dieses Vorhaben den bekann-ten Notruf S.O.S. um und gründe-te die Initiative „Save Our Seeds“,die fordert, Gentechnik im Saat-gut ohne Ausnahme an der tech-nisch verlässlichen Nachweis-grenze von 0,1 % zu kennzeich-nen, wie es in Österreich bereitsseit 2002 gehandhabt wird. Höhe-re Grenzwerte liegen nach Auffas-sung von Save Our Seeds über dengegenwärtigen Standards undwürden bisher nicht einmal beiSaatgut aus den USA erreicht. DieInitiative wirft in diesem Zusam-menhang die Frage auf, ob dieEuropäische Kommission mit der

Saatgutregelung nicht doch dieAblehnung der Grünen Gentech-nik unmöglich machen möchte.

Verbraucher/-innen habenVerantwortung

Gentechnikgegner/-innen plädie-ren dafür, dass Landwirte/-innen,Naturschützer/-innen und Verbrau-cher/-innen gemeinsam ihre Wahl-freiheit in Bezug auf GVO vertei-digen. Herta DÄUBLER-GMELIN,Vorsitzende des Ausschusses fürVerbraucherschutz, Ernährungund Landwirtschaft des DeutschenBundestages, fordert darüber hin-aus, Konsumenten/-innen vollstän-dig vor GVO zu schützen. Wich-tig wäre zumindest, GVO-Produk-te deutlich und nachvollziehbar zukennzeichnen. Dies betrifft auchMilchprodukte derjenigen Molke-reien, die GVO in den Futtermit-teln ihrer Zulieferer erlauben. Gro-ße Verantwortung liegt letztlich inden Händen der Verbraucher/-innen, die mit ihren Einkäufen überden Absatz von GVO-Produktenentscheiden. cb

In den 13 Ausbildungsberufen, diedem Agrarsektor zugerechnet

werden, sind nach Angaben desDeutschen Bauernverbands (DBV)zu Beginn des neuen Ausbil-dungsjahres noch knapp 2 000Lehrstellen unbesetzt, die meis-ten von ihnen in den alten Bun-desländern.

Mehrere Bundesländer werbenoffensiv für die „grünen Berufe“, indenen die Ausbildungschancensehr gut sind. 12 895 neu abge-schlossene Ausbildungsverträgein landwirtschaftlichen Berufenwurden im gesamten Bundesge-biet im Jahr 2003 gezählt, ein Drit-tel von ihnen in den neuen Bun-desländern. Die Übernahmequo-ten sind derzeit allerdings gering(im Jahr 2002 betrugen sie in denalten Bundesländern 14,8 % undin den neuen 30,9 %). Nur dieHälfte der ausgebildeten Landwir-

te/-innen arbeiten im Anschlusstatsächlich in der Landwirtschaft.

Vielen Betrieben besonders inden neuen Bundesländern drohtjedoch wegen des relativ hohenAnteils älterer Arbeitskräfte in dennächsten Jahrzehnten ein Fach-kräftemangel. Eine qualitativ hoch-wertige Ausbildung und eine ver-stärkte Übernahme im Anschlussschaffen die Basis, um dementgegen zu wirken.

Der DBV bemängelt in diesemZusammenhang, dass die freienAusbildungsplätze in der Landwirt-schaft von der Bundesagentur fürArbeit oft nicht genügend erfasstwürden. Gleichzeitig schriebenviele Betriebe ihre offenen Ausbil-dungsplätze nicht öffentlich ausund verließen sich stattdessen aufMund-zu-Mund-Propaganda, sodass Lehrstellensuchende nichtvon den Angeboten erführen.

Gründe für die mangelnde Nach-frage mögen auch in dem schlech-ten Image des landwirtschaftlichenBerufsfeldes liegen. Hier gilt esneue Ideen zu entwickeln, um Ju-gendliche an die Landwirtschaftheranzuführen. Im Rahmen desProjektes „Regionen aktiv“ desBMVEL wurde in der Modellregi-on Eichsfeld beispielsweise einereguläre „Landwoche“ in den schu-lischen Unterricht eingeführt, in dersich Schüler/-innen mit der land-wirtschaftlichen, handwerklichenund gewerblichen Struktur ihrerHeimatregion auseinander set-zen, Betriebe bei Exkursionenkennenlernen und in landwirt-schaftlichen und handwerklichenLehrwerkstätten mitarbeiten. Ähn-liche Projekte könnten dazu bei-tragen, die Hemmschwelle gegen-über dem Berufsbild Landwirt/-inweiter zu senken.

Ausbildungsplätze in grünen Berufen noch frei

cb

Page 39: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

Ländlicher Raum Juli/August 2004 37

Ernährung

Speiseöl aus Raps – eine gesunde Alternative

Die ernährungsphysiologischen Vorteile von Olivenöl sind hinreichend bekannt.Wenige wissen aber, dass auch das heimische Rapsöl die Konkurrenz nicht zuscheuen braucht. Dabei zeigen neue Verfahren, wie neben einem hochwertigenNahrungsmittel gewinnbringende Nebenprodukte entstehen können.

Die Ernährung der Deutschenist zu fettreich, das haben vie-

le Studien der letzten Jahre be-wiesen. Im Kampf gegen erhöh-ten Cholesterinspiegel und diedadurch bedingte Arterioskleroseist aber nicht nur die Menge, son-dern vor allem die Qualität desverwendeten Fettes wichtig. Fett-säuren bestehen aus einer langenKette von Kohlenstoff-Atomen, andie sich Wasserstoff-Atome anla-gern. Sind alle Bindungstellen be-legt, spricht man von gesättigtenFettsäuren. Entscheidend für diemenschliche Ernährung ist jedochder Anteil an ungesättigten Fett-säuren in der Nahrung. Je nach-dem, wie viele Wasserstoff-Atomenoch zur Sättigung fehlen, sprichtman von „einfach“ (zwei fehlendeAtome) und „mehrfach“ (vier bisacht fehlende Atome) ungesättig-ten Fettsäuren. Die Fettsäuren be-stimmen zudem die Konsistenzdes Fettes: je größer der Anteilungesättigter Fettsäuren ist, des-to flüssiger ist das Fett. Pflanzen-öle nehmen daher als Lieferant die-ser meist essentiellen Fettsäuren,die der menschliche Körper nichtselbst herstellen kann, eine be-sondere Stellung ein.

Raffinierte Öle verlierenwertvolle Inhaltsstoffe

Schon vor einigen tausend Jah-ren pressten die Menschen im afri-kanischen und arabischen RaumFrüchte oder Samen aus um Ölezu gewinnen. Während hier Leinund Oliven eine große Rolle spiel-ten, wurde im osteuropäischenRaum in erster Linie Raps verwen-

det. Die Gewinnung von Öl ausSonnenblumen oder Soja ist da-gegen eine noch recht neue Ent-wicklung.

Inzwischen werden weltweitjährlich etwa 60 Mio. t Fette für diemenschliche Ernährung produ-ziert. Mit der industriellen Massen-produktion wurden verschiedene

Verfahren entwickelt um ein güns-tiges Endprodukt anbieten zu kön-nen. So werden Öle größtenteilsnicht mehr mittels schonenderKaltpressung gewonnen, sondernextrahiert und anschließend raffi-niert. Unter Extraktion verstehtman die Ölgewinnung aus denaufbereiteten Saaten unter Ein-satz eines Lösungsmittels (z. B.Hexan). Das anschließende Ge-misch aus Lösungsmittel und Öl

wird daraufhin in einem mehrstufi-gen Verfahren verdampft (Raffina-tion) um das Lösungsmittel wiederzu entfernen. Zusätzlich werdendadurch weitere Fettbegleitstoffeund Aromen entfernt, was eine län-gere Haltbarkeit des Produktsgarantiert. Um die Bildung uner-wünschter Farbstoffe zu vermei-

Fot

os: I

. Fah

ning

Die Produktion von Raps zur Erzeugung von Speiseöl ist in Deutschlandnoch wenig verbreitet

den wird das Öl außerdem ge-bleicht.

Mit den hohen Temperaturen desVerfahrens und der mehrstündigenDämpfungsdauer werden die In-haltsstoffe der Öle verändert.Besonders das wichtigeVitamin E wird teilweise entfernt.Zusätzlich werden ungesättigteFettsäuren zu sogenannten trans-Fettsäuren umgewandelt, die für

Page 40: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

38 Juli/August 2004 Ländlicher Raum

den menschlichen Körper kaumverdaulich und mit hoher Wahr-scheinlichkeit sogar gesundheits-gefährdend sind. So entsteht einklares, nahezu geruch- und ge-schmackloses Öl, das zwar opti-schen Ansprüchen genügen mag,jedoch nicht mehr als vollwertigesLebensmittel bezeichnet werdenkann.

Native Öle garantierenschonendes Pressver-fahren

Während als „nicht-raffiniert“bezeichnete Öle auch mit Was-serdampf behandelt werden dür-

fen, können „native“ Speiseölenach dem Pressen ohne Wärme-zufuhr nur noch gewaschen, filt-riert oder zentrifugiert werden.Weitere Verfahren sind nicht zu-lässig. Dies führt teilweise zu ei-ner intensiveren Geschmacks-wahrnehmung und Färbung, diefälschlich als Qualitätsmangelwahrgenommen werden. Im Ge-genteil zeigen sie den hohen Grad

der Naturbelassenheit an. DieBezeichnung „kaltgepresst“ kanndabei irreführend sein und wirdzunehmend durch das Wort „na-tiv“ ersetzt, da beim Pressen al-lein durch die ReibungsenergieTemperaturen um die 40° C vor-herrschen.

Rapsöl übertrifft Olivenöl

Natives Olivenöl galt gesund-heitsbewussten Menschen langeals Alternative zu herkömmlichenSpeiseölen. Aber auch im mittel-europäischen Klima wachsen her-vorragende Fettlieferanten. Dasheimische Rapsöl wird oft unter-

schätzt. Nicht nur, dasses wenig gesättigte Fett-säuren, aber einen hohenGehalt an Oleinsäure (Öl-säure) – einer einfachgesättigten Fettsäure –aufweisen kann, sondernes enthält darüber hinausdie essentiellen Omega-Fettsäuren, die der Kör-per nicht selbst produzie-ren kann und die bei im-munologischen Prozes-sen eine wichtige Rollespielen, in einem optima-len Verhältnis. Durch sei-ne Geschmacksneutrali-tät kann Rapsöl vielfälti-gen Einsatz in der Küchefinden. Ein hoher Rauch-punkt garantiert auch denEinsatz beim Braten undFrittieren. Allerdings ver-liert Rapsöl hier – wie je-des Fett – seine norma-le Molekularstruktur undwertvolle Inhaltsstoffe.

Teutoburger Öl-mühle setzt auf

neuartiges Kaltpressungs-verfahren

Ein innovatives Verfahren zurschonenden Gewinnung vonRapsöl hat die Teutoburger Öl-mühle entwickelt, die dafür 2003vom BMVEL den Innovationspreisin der Bio-Lebensmittelverarbei-tung sowie viele andere Auszeich-nungen erhielt. Anders als bei her-

kömmlichen Verfahren wird dieRapssaat zunächst geschält, sodass Schale und Kerne getrenntverarbeitet werden können. Dieerste Pressung der Kerne dient zurHerstellung eines hochwertigenSpeiseöls, während aus der zwei-ten Pressung Futteröle und Roh-stoffe für ökologische Wasch- undSchmiermittel produziert werden.Aber auch die Schalen der Raps-saat werden verwendet. Mit demaus ihnen gepressten minderwer-tigen Öl kann das unternehmens-eigene Blockheizkraftwerk betrie-ben werden, das mit einer Leis-tung von ca. 270 kW die Ölmühlemit elektrischer und thermischerEnergie versorgt. Somit ist dieTeutoburger Mühle Deutschlandserste energieautarke Ölmühle.

Die Verfahrenstechnik der Öl-mühle wurde an der UniversitätEssen entwickelt. Durch die Tren-nung von Schalen und Kernenkönnen unerwünschte Schalenin-haltsstoffe wie freie Fettsäuren,Schleim- und Bitterstoffe, Wach-se und Chlorophylle – die her-kömmlich über die Raffination ent-fernt werden – nicht mehr ins Spei-seöl gelangen. Zudem wird dasPressverfahren aktiv gekühlt, sodass tatsächlich von einer Kalt-pressung die Rede sein kann.Nach der Pressung wird das Ölnur noch mehrfach filtriert undsonst nicht weiter bearbeitet, da-mit das wertvolle Vitamin E undwichtige sekundäre Pflanzenstof-fe voll erhalten bleiben. Besonde-ren Wert legen die Geschäftsfüh-rer der Ölmühle auf erstklassigenRohstoff. Daher werden nur nichtgenmodifizierte Saaten aus derRegion verwendet, die im kontrol-lierten Vertragsanbau (zzt. knapp500 ha) produziert werden. Für dieEinhaltung der strengen Kontroll-Richtlinien erhalten die Erzeugereinen 10 %-igen Aufschlag auf denAbnahmepreis.

Zusätzlich arbeitet die Mühle, diezu einem Drittel biologisch zertifi-ziertes Speiseöl anbietet, mit Bio-land zusammen. Der Raps hat imökologischen Anbau bislang nocheine untergeordnete Stellung, weil

Der Raps liefert ein Öl mit einem optimalen Verhältnisverschiedener Fettsäuren für die menschlicheErnährung

Page 41: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

Ländlicher Raum Juli/August 2004 39

Absatzmärkte fehlten. Mit dersteigenden Nachfrage nach demgesunden Speiseöl können auchBio-Landwirte diese naturfreundli-che Pflanze in ihre Fruchtfolge in-tegrieren. Raps hat dabei nicht nureine positive Wirkung auf die Bo-denstruktur, sondern ist als Fut-terpflanze für Bienen auch einwichtiger Beitrag zum Arten-schutz. Noch wird allerdings we-nig zu biologischem Raps ge-forscht, so dass die Landwirte inEigenversuchen und durch inten-siven Erfahrungsaustausch mitdem erhöhten Schädlingsdruckumgehen müssen. Die Resonanz,welche die Teutoburger Ölmühleerhält, ist zu einem großen Teilpositiv, insbesondere, wenn sichdie Bauern engagiert um ihre Raps-felder kümmern. Gerne würde dieÖlmühle den Bezug ökologischerzeugten Rapses aus Deutsch-land, der im Durchschnitt einenum 3 % erhöhten Ölgehalt gegen-über dem konventionellen auf-weist, erhöhen. Zzt. muss sie abernoch auf Lieferungen aus demAusland, federführend ist hier dieUkraine, ausweichen.

Nebenprodukte findenvielfältigen Einsatz

Die Rapslieferanten haben einVorkaufsrecht auf Presskuchenund Futteröle aus der Rapsverar-beitung. Die aus der zweiten Pres-sung gewonnenen Öle können miteiner Energiedichte von36,7 MJ ME sehr gut als Futteröleingesetzt werden, da sie die Tie-re mit wertvollen essentiellen Fett-säuren versorgen und die Aufnah-me fettlöslicher Vitamine unter-stützen. Die Milch kann somit mitwertvollen Fettsäuren angereichertwerden. Auch in der Treibstoffver-sorgung findet das Öl Einsatz,entweder bei entsprechender Mo-torenanpassung direkt als Kraft-stoff oder nach einer Umesterungals Biodiesel. Aufgrund seinesnaturbelassenen Charakters dientes zudem als biologisch abbau-barer Schmierstoff. Nicht zuletztist es Grundstoff für die chemischeund pharmazeutische Industrie.

Fettsäurenanteile verschiedener Speiseöle

0%

10%

20%

30%

40%

50%

60%

70%

80%

90%

100%

Raps Oliven Distel Sonnen-blume

Mais Soja Palmöl

einfach ungesättigteFettsäuren

mehrfach ungesättigteFettsäuren

gesättigte Fettsäuren

Quelle: CMA 2004

Rapsanbau in Deutschland

In den letzten Jahren kam Rapsals nachwachsender Rohstoff insGespräch, zumal er als Sommer-raps auch auf Stilllegungsflächenangebaut werden kann. Auf nichtstillgelegten Flächen kommt inZukunft bei entsprechenden Vor-aussetzungen die Energiepflan-zenprämie in Höhe von 45 •/hazum Einsatz, wenn der Raps zurErzeugung von Methylester vorge-sehen wird. Die Union zur Förde-rung von Öl- und Proteinpflanzen(UFOP) geht davon aus, dass die

Nachfrage für diesen Rohstoff inden kommenden Jahren steigenwird. Die Produktion von Raps zurErzeugung von Speiseöl ist inDeutschland noch wenig verbrei-tet, obwohl es zu den führendenRapsanbauern in Europa zählt.Winterraps wird in Deutschland auf1,25 Mio. ha angebaut, dabei wer-den 560 000 t für Speisezweckeproduziert, wovon ein gutes Vier-tel mit einem nur marginalen An-teil kaltgepressten Rapsöls alsFlaschenware vertrieben wird.

0

50

100

150

200

250

in T

ause

nd h

a

BW B BR HEM

PV NSNRW RP SR S SA SH TH

Rapsanbau in Deutschland

Quelle: UFOP 2004

cb

Quelle: UFOP 2004

Page 42: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

40 Juli/August 2004 Ländlicher Raum

MELANIE:

Neue Wege der Dorfentwicklung im Saarland

Die zunehmende Alterung der Gesellschaft zeigt sich im Saarland überdurch-schnittlich und ihre Folgen sind in den Dörfern dieses ländlich geprägten Bun-deslands deutlich zu spüren. Mit dem Programm MELANIE und weiteren Aktivitä-ten will die Agentur ländlicher Raum im saarländischen Umweltministerium nunmit ihren Bürgern neue Wege gehen.

Ländlicher Raum

Nach Schätzungen des Statis-tischen Bundesamtes wird

die Bevölkerung in Deutschland biszum Jahr 2050 um 9,1 %schrumpfen. Im Saarland hinge-gen wird sie sich bereits bis zumJahr 2030 um 11 % verringern. EinDrittel der dann verbleibenden rund949 000 Einwohner/-innen wirdüber 65 Jahre alt, hingegen wer-den nur 14 % unter 18 Jahren sein.Schon jetzt liegt der saarländi-sche Altersdurchschnitt über demder anderen Bundesländer.

Entkernte Dörfer mindernLebensqualität

Von dieser Entwicklung ist derländliche Raum besonders betrof-fen. Noch wohnt ein Drittel dersaarländischen Bevölkerung aufdem Land. In den Kernbereichender Dörfer ist die Überalterungbesonders deutlich zu spüren.Wenn die Bewohner sterben oderaus Krankheitsgründen wegziehenmüssen und die Wohnungen nichtneu besetzt werden, kommt es zu

Leerständen im innerörtlichenBereich. Junge Familien orientie-ren sich wegen der beruflichenMöglichkeiten an der Stadt Saar-brücken bzw. bevorzugen die Dorf-randgebiete für Neubauten, weildie zentralen Lagen – oft an derHauptverkehrsstraße – wenig at-traktiv sind. Ein Dorf mit einem un-belebten Kern aber zerfällt.

Vor diesen Fakten werden gerndie Augen verschlossen. Der saar-ländische Umweltminister Stefan

Die Überalterung in ländlichen Räumen fordert neue Strukturen

Fot

os: A

rgus

Pla

n

Page 43: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

Ländlicher Raum Juli/August 2004 41

MÖRSDORF möchte hinge-gen, dass die Menschen sichdieser Situation bewusst wer-den. In der Agentur ländlicherRaum, die dem Umweltminis-terium angegliedert ist, wer-den Wege gesucht in direk-ter Kooperation mit der Be-völkerung Probleme anzuge-hen, auch wenn keine Lösun-gen greifbar scheinen.

Kurze Dienstwege er-möglichen pragmati-sche Herangehens-weise

Da es keine Zwischenhier-archien wie Regierungspräsi-dien im Saarland gibt, kön-nen Bürgermeister/-innen di-rekt in Kontakt mit Vertreter/-innen des Ministeriums tre-ten. Der Umweltminister sowie dieMitarbeiter/-innen der Agenturländlicher Raum legen viel Wertauf das direkte Gespräch und Bür-gerbeteiligung, die z. T. auchPflichtprogramm der Dorfentwick-lung ist.

Die Agentur bietet den Kommu-nen die Möglichkeit zu einem„Dorfgespräch“ an. Dazu werdendie Bewohner/-innen eingeladenum mit ihnen gemeinsam Lö-sungsansätze für ihren Ort zu ent-wickeln und in Arbeitsgruppenweiter zu bearbeiten. Die zeitlichbefristeten und themengebunde-nen Arbeitsgruppen ermöglichenes jedem und jeder sich für deneigenen Ort einzusetzen. Oft gehtdiesen Gesprächen, an denenmanchmal auch der Umweltminis-ter teil nimmt, ein Dorfrundgangvoraus, bei dem Ortsvorsteher/-innen oder Bürgermeister/-innendie Möglichkeit haben die Spezifi-ka des Dorfes den Mitarbeitern/-innen der Agentur darzustellen.Von Regierungsseite wird betont,dass der ländliche Raum nur vondenen gestaltet werden kann, diein ihm leben. Auch hier geht esdarum nichts zu beschönigen,sondern die Gegebenheiten rea-listisch zu zeigen.

Gemeinsames Engage-ment erfüllt wichtigesoziale Funktion

Als besonders gelungenes Bei-spiel führt die Agentur ländlicherRaum gern ein Dorf an, in dem dieBewohner/-innen sich den Wieder-aufbau einer Glockenkapellewünschten. Da die Landesregie-rung nur die Hälfte der Finanzie-rung gewährleisten konnte, einig-ten sich die Bewohner/-innen imDorfgespräch darauf, die andereHälfte mittels freiwilliger Arbeits-stunden zu erbringen. Die wieder-aufgebaute Kapelle stellt nun einwichtiges Bindeglied im sozialenGefüge dar, ist der Stolz der Be-wohner/-innen und wird nichtzuletzt deshalb besonders ge-schützt. Die Impulse, die von die-ser Aktion ausgingen, wirken fort.Inzwischen bietet das Dorf einFeriencamp für Kinder an, bei demdiese gemeinsam zelten und je-den Vormittag Dorfverschönerungs-maßnahmen ausführen, währendder Nachmittag mit Freizeitange-boten aufwartet. So werden gleichdrei positive Aspekte verbunden:Für berufstätige Eltern gibt es keinBetreuungsproblem, das Dorf wirdpositiv gestaltet und vor allem

werden Kinder und Jugendliche anihren Ort gebunden, weil sie ge-meinsam hier etwas geschaffenhaben. Diese Art der Dorfentwick-lung zu fördern ist ein Hauptzielder Agentur ländliche Räume, diedafür jährlich 100 000 • Projekt-gelder zur Verfügung stellen kann.

Pläne sollen nicht inSchubladen landen

Auch Vorhaben für die Entwick-lung eines Dorfes müssen mit derBevölkerung abgestimmt sein umfinanzielle Unterstützung der Lan-desregierung zu bekommen. Sosoll vermieden werden, dass Ge-meindevorsitzende aus Prestige-gründen umfangreiche Pläne ent-werfen, die letztendlich nicht um-gesetzt werden können. Gute Er-fahrungen hat die Agentur ländli-cher Raum gemacht, wenn alleBewohner/-innen eines Dorfes ei-nen Entwicklungsplan zugestelltbekamen. Auch ein öffentlicherAushang mit Luftbildern – bspw.im örtlichen Lebensmittelgeschäft– ist Voraussetzung für die Aner-kennung. Mit diesen Bedingungenist die Agentur innovative Wegegegangen um die Bevölkerungstärker in die Dorfentwicklung ein-

Neue Nutzungskonzepte für innerörtliche Leerstände werden gesucht

Page 44: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

42 Juli/August 2004 Ländlicher Raum

zubeziehen. So wurden in einemOrt die Bewohner/-innen aufgefor-dert, je sechs Fotos von den gu-ten und schlechten Seiten ihresDorfes zu machen. Die Ausstel-lung dieser Bilder vermittelte ei-nen wesentlich detaillierteren Blickauf die Verhältnisse im Dorf als erje von außen, bspw. durch eine/nPlaner/-in möglich gewesen wäre.

Innovationen auch mitknappen Finanzmittelnmöglich

Um bereits durchgeführte posi-tive Projekte auch für andere zu-gänglich zu machen, wurde dasProgramm MELANIE gestartet.MELANIE steht für „Modellvorha-ben zur Eindämmung des Land-schaftsverbrauchs durch innerört-liche Entwicklung“ und hat einenEtat von 400 000 •. Damit wurdenzunächst ein Film und eine um-fangreiche Handreichung finan-ziert, in denen die Situation imländlichen Raum des Saarlandsohne Beschönigung dargestelltund anhand modellhafter Beispie-le aufgezeigt wird, welche Ent-wicklungmöglichkeiten es gebenkann. Dieses Heft wurde allenBürgermeistern/-innen, Landräten/-innen und Ortsvorstehern/-innenzugestellt und steht auch im In-ternet zur Verfügung. Mit dem Pro-gramm MELANIE soll die beson-dere Bedeutung der interkommu-nalen Zusammenarbeit und desBürgerengagements vor Ort her-ausgehoben werden. Es geht da-rum die Stärken des Dorfes,insbesondere hinsichtlich der so-zialen Beziehungen, zu nutzenund intelligente sowie flexible Lö-sungsansätze zu entwickeln. Da-mit soll bewusst gemacht werden,dass auch in Zeiten knapper Fi-nanzen Entwicklung möglich ist.

Die Leitgedanken der saarländi-schen Landesentwicklung im Hin-blick auf die demographische Ent-wicklung werden wie folgt darge-stellt:

• Sensibilisierung der Öffentlich-keit: Der Bevölkerung müssendie Auswirkungen der Überalte-

rung bewusst werden um Offen-heit für notwendige Veränderun-gen zu erzeugen.

• Positives Leitbild: Es gilt eineZukunft zu gestalten, die auchfür die nächste Generation Le-bensqualität bietet.

• Transparenz herstellen: JedeKommune muss über statisti-sche Daten zur lokalen Bevöl-kerungsentwicklung verfügen.

• Dialog mit anderen Kommunen:Im Austausch mit anderenwachsen Ideen für die eigeneGemeinde.

• Heute handeln: Das Bearbeitender Probleme darf nicht auf spä-ter verschoben werden.

• Spezifische Lösungen finden: Esgibt keine Patentrezepte, son-dern jeder Ort ist aufgefordert,für seine spezielle SituationIdeen zu entwickeln.

Dabei gilt es zu berücksichtigen,dass auch die Kommunen neueAufgaben übernehmen müssen

dörflichen Entwicklung sind sehrvielfältig. Im Hinblick auf die oftschwierige Nahversorgungschrumpfender Dörfer wird alsBeispiel der Dorfladen Leiterswei-ler genannt, der von Dorfbewoh-ner/-innen gegründet wurde undzweimal wöchentlich geöffnet hat.Ehrenamtliche Helfer/-innen ver-kaufen hier Lebensmittel und no-tieren darüber hinaus Bestellun-gen, die in einem Supermarkt be-sorgt werden. So ist auch die Ver-sorgung älterer Menschen ohneAuto sicher gestellt. Darüber hin-aus hat der Laden eine wichtigesoziale Funktion, denn hier hatdie Dorfbevölkerung einen zentra-len Kommunikationspunkt.

PCs für alleOberhambacher

Das gleiche Problem hat dasDorf Oberhambach in der Pfalz aufandere Weise gelöst. Es hat sichdie neuen Medien zu Nutze ge-macht und dafür gesorgt, dass alleBewohner/-innen probeweise ei-nen Rechner und Internetan-

schluss bekamen. Jugendliche„Profis“ unterrichteten ältere Mit-bürger/-innen in der Nutzung vonOnlineangeboten. Zudem wurdeeine Internet-Seite eingerichtet,auf der die Nutzer/-innen eine vir-tuelle Einkaufsstadt mit einemRathaus vorfinden, so dass die

(bspw. in der Altenpflege oder derKinderbetreuung), die früher inner-halb der Familie geleistet wurden.

Dorfladen Leitersweilerin Bürgerregie

Die in der Handreichung MELA-NIE dargestellten Beispiele zur

Soziale Kontakte als wesentlicher Vorteil des Dorflebens

Page 45: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

Ländlicher Raum Juli/August 2004 43

Bewohner/-innen von Oberham-bach mit rund 30 Geschäften undBehörden verbunden waren. NachAblauf eines Testjahres habensich 99 % der Bewohner/-innen,die den geliehenen Rechner güns-tig erwerben konnten, entschie-den, weiterhin das Internet zu nut-zen, auch wenn sie noch gernemit dem Auto zum Einkaufen fah-ren um den persönlichen Kontaktzu wahren.

Diese zwei Beispiele zeigenMöglichkeiten der Nahversorgungauf, die durch weitere ergänztwerden. Vorgestellt werden Dör-fer mit Vorbildcharakter aus demgesamten Bundesgebiet.

Überwindung kommunalenKonkurrenzdenkens

Eine Maßnahme Freizeitange-bote aufrecht zu erhalten stellt dasBeispiel der Spielgemeinschaft derOrte Grafschaft und Wormbach inNordrhein-Westfalen dar. Umweiterhin in der örtlichen Fußball-Liga mitspielen zu können, habensich zwei Fußballvereine zusam-mengefunden, die allein jeweilskeine komplette Mannschaft mehrzusammenstellen konnten. Hierinzeigt sich im Kleinen, dass dieÜberwindung von kommunalemKonkurrenzdenken ein wichtigerSchritt in der zukünftigen Dorfent-wicklung ist. Entsprechend wer-den auch Beispiele für die gemein-same Entwicklung eines Touris-muskonzepts oder die Auswei-sung eines interkommunalen Ge-werbegebiets vorgestellt.

Neben konkreten Beispielen derDorfentwicklung werden in der Bro-schüre MELANIE auch Ideen vor-gestellt, für deren Umsetzung sichnoch kein Praxisbeispiel findet,die aber Denkanstöße geben sol-len. In Bezug auf Kindertagesstät-ten und Schulen wird z. B. ange-regt, über multifunktionale Nutzun-gen entsprechender Gebäude –bspw. als Nachbarschaftstreff oderzwecks Seniorenbetreuung –nachzudenken.

Beteiligung verschiede-ner Gruppen

Gerade die nachfolgende Gene-ration soll verstärkt in die Dorfent-wicklung einbezogen werden, da-mit sie frühzeitig lernt, ihre eige-nen Interessen zu vertreten unddamit ihr Bürgerengagement ge-fördert wird. So organisiertenSchüler/-innen einer achten Klas-se in Morbach eine Bürgerbefra-gung und eine Ortsversammlung,bei der sie intensiv mit politischenEntscheidungsträgern diskutier-ten. Als vorbildlich wird auch dasEngagement älterer Bürger/-innendargestellt, die einen Teil ihrer Zeitnutzen um sich im Dorf zu enga-gieren. So bietet die AG Altenhilfein Merzig einen Fahrradreparatur-Service an und organisiert Radtou-ren. Im Ortsteil Besch der Ge-meinde Perl sorgt eine GruppeRentner/-innen für Verschöne-rungs- und Reparaturarbeiten imDorf.

Dörsdorf im Saarland führte spe-zielle Veranstaltungen für Neubür-ger/-innen durch, die auf dieseWeise mit der Geschichte, politi-schen Struktur und dem Vereins-leben ihres neuen Wohnortes ver-traut gemacht wurden. Bei ihnensollte das bei Alteingesessenenüber Generationen gewachseneGefühl der Verbundenheit mit demOrt gestärkt werden, eine wichti-ge Voraussetzung für bürger-schaftliches Engagement.

Nachahmungen erwünscht

Einen besonderen Clou stellendie Coupons in der Mitte des Hef-tes dar, mit denen weitere Infor-mationen angefordert oder Anmel-dungen für Projektbesichtigungenvorgenommen werden können. ImRahmen von MELANIE wurdenzudem vier Modellgemeinden aus-gewählt, die von interessiertenMenschen besucht werden kön-nen. In jedem von ihnen werdenLösungsansätze zu je einemSchwerpunktthema gesucht:

• Generationenfragen: Ein Modell-dorf wird ein Gebäude einrichten,das vormittags als Kindergarten

und nachmittags als Senioren-begegnungsstätte dient. DerService für Senioren wird durchJugendliche ergänzt, die gegenBezahlung Dienstleistungen an-bieten.

• Leerstandsproblematik: EineGemeinde mit 17 000 Einwoh-ner/-innen hat 100 leerstehendeGebäude. Eine Lösung zumUmgang mit diesem Problemgibt es bisher nicht, die Gemein-de möchte es öffentlich disku-tieren.

• Soziale Kontakte: Eine Ge-meinde mit weit auseinander lie-genden, kleinen Dörfern möch-te einen gemeinsamen Treff-punkt errichten, der auch alsDienstleistungszentrum dienensoll.

• Dorfbild: In der vierten Modellge-meinde steht ein Dorfbild prä-gendes Gebäude leer. Hier stel-len sich Fragen der zukünftigenNutzung, wobei bereits an einKommunikationszentrum sowiean Einliegerwohnungen gedachtwird.

Im Jahr 2005 soll eine zweiteBroschüre zu MELANIE aufgelegtwerden, in der die Ergebnisse ausden vier Modellgemeinden darge-stellt werden. Damit macht dieAgentur ländlicher Raum deutlich,dass die zukünftige Dorfentwick-lung im Saarland vom Engage-ment ihrer Bürger/-innen abhängt.Neben der Demonstration der ge-nannten Beispiele sieht sie ihreAufgabe darin entsprechende Pro-zesse zu moderieren. Ihr Haupt-ziel ist es die Bewohner/-inneneines Dorfes zu motivieren Ar-beitsgruppen zu bilden und ihreZukunft selbst in die Hand zu neh-men. cb

Die Handreichung zum Programm MELA-NIE, zu der ein Videofilm auf CD-Rom ge-hört, kann gegen 25,- • bezogen werden bei:Argus PlanRathausstr. 1266557 IllingenTel. 06825/4061-100Fax. 06825/4061-110

Page 46: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

44 Juli/August 2004 Ländlicher Raum

Systemische Kommunikation in regionalenEntwicklungsprozessen

Stefan Gothe*

Die Aufgabenstellungen in regionalen Entwicklungsprozessen wie innerhalb derGemeinschaftsinitiative LEADER+ oder des Modellwettbewerbs REGIONEN AK-TIV werden zunehmend komplexer. Das Regionalmanagement, welches nach denneuen Fördergrundsätzen der Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küsten-schutz (GAK) künftig nicht nur in Modellversuchen gefördert werden soll, benö-tigt ein hohes Maß an kommunikativen Fähigkeiten, für die die Universität KasselFortbildungen anbietet.

Regionalmanagement kommtin der Regionalentwicklung

eine immer wichtigere Rolle zu:Das Regionalmanagement sollunter Beteiligung von Bürgern/-innen, Verbänden, Vereinen, Un-ternehmen etc. den Entwicklungs-prozess mit seinen zahlreichenAkteuren und vielfältigen Aufga-benstellungen gestalten. Die Kom-plexität begründet sich vor allemauf das Aufeinandertreffen ver-schiedener Gruppen aus Politik,Wirtschaft, Verwaltung sowie vonNicht-Regierungsorganisationen.Jede Gruppe verfügt über eigeneStrukturen, Regeln und Verhal-tensmuster und konstruiert sichim oft unbewussten Konsens eineeigene Wirklichkeit.

Systemische Betrach-tungsweise

Betrachtet man den regionalenEntwicklungsprozess1 als Sys-tem, so treffen unterschiedlicheTeil-Systeme (Organisationen,Einzelakteure) aufeinander. EineHandlungsfähigkeit kann nur er-reicht werden, wenn die Teil-Sys-teme ihre eigene begrenzte Wahr-nehmung erkennen und offen sindfür andere Sichtweisen und Sys-temlogiken. Dafür muss eine ak-tive Kommunikation zwischen denSystemen hergestellt werden,welche durch intermediäre Akteu-re wie das Regionalmanagementerreicht werden kann.

Prozessmanagement

Die herkömmlichen Methodenund Instrumente sind nur einge-schränkt für den Umgang mit die-ser Komplexität geeignet. Sie sindhäufig standardisiert und folgeneinem linearen Entwicklungsver-ständnis. Damit verhindern siegeradezu den bewussten Umgangmit Unterschieden zwischen denbeteiligten Organisationen.

Die Entwicklung einer Regionhängt jedoch in starkem Maße vonden in der Region ablaufenden

Kommunikationsprozessen ab.Um das Aufeinandertreffen vonsozialen Systemen und die damitablaufenden Gruppenprozesse inder Regionalentwicklung erfolg-reich managen zu können, müs-sen Regionalentwickler vor allemüber Kommunikations- und Pro-zessmanagementkompetenzenverfügen (s. Abb. 1).

Diese Kompetenzen werden mitbestimmten Instrumenten unter-stützt. Die Universität Kassel bie-tet zur Vermittlung dieser Kompe-tenzen eine Fortbildung an, die im

* Stefan Gothe, M.A., Universität Kassel

Abbildung 1: Grundlagen...

Page 47: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

Ländlicher Raum Juli/August 2004 45

Rahmen eines von der DeutschenBundesstiftung Umwelt geförder-ten Vorhabens entwickelt wurde.Sie besteht aus sechs Modulen(s. Abb. 2). Das Besondere die-ser Fortbildung ist die Vermittlungneuer Instrumente aus der syste-mischen Organisationsberatungund das Arbeiten an konkretenFällen der Teilnehmenden. Zusätz-lich werden Coaching-Termineangeboten, um die Teilnehmendenbei der Planung von Prozessenund Veranstaltungen vor Ort zuunterstützen sowie ihre Kommu-nikationskompetenzen zu för-dern2.

Organisationsaufstellungin der Regional-entwicklung

Vor dem Hintergrund, dass Re-gionen und ihre Akteure vor zuneh-mend komplexeren Aufgaben undAnforderungen stehen, bietet dieUniversität Kassel die Organisati-onsaufstellung als wirkungsvollesCoaching-Instrument an. Die An-wendungsfelder sind vielseitig:

• Organisationsstrukturen entwi-ckeln,

• Aufgaben- und Zielorientierungüberprüfen,

• Entscheidungsstrukturen entwi-ckeln,

• Konflikte aufzeigen und analysie-ren,

• Projektteams zusammenset-zen,

• Supervision für Regional-berater,

• Projektalternativen prüfen,

• Kooperationen von Projektpart-nern prüfen.

Hintergrund

Organisationsaufstellungen eig-nen sich generell für Probleme, diesich mit Gesprächen nicht lösenlassen bzw. deren Ursachen nicht

mehr nachvollziehbar sind. DieAufstellungsarbeit stammt ur-sprünglich aus der Familienthera-pie. Die heute bekannten Famili-enaufstellungen, bei denen Perso-nen als teilnehmende Repräsen-tanten eines fremden Systems ineinem Raum aufgestellt werden,wurden hauptsächlich von VirginiaSATIR (Familienskulptur) und BertHELLINGER3 (Familienaufstel-lung) weiterentwickelt. Die Fami-lienaufstellungen dienen dazu,das System (Familie) abzubildenbzw. das Beziehungsgeflecht derSystemmitglieder darzustellen,Systemdynamiken zu verdeutli-chen und systemische Verstri-ckungen zu lösen.

Die Aufsteller Gunthard WEBERsowie Matthias VARGA VONKIBÈD und Insa SPARRER habenmit der Übertragung der Familien-aufstellung auf Organisationen mitden Formen der Organisations-und Strukturaufstellungen neueAnwendungsgebiete geschaffen.

Mit Organisationsaufstel-lung wird ein System sicht-bar

Der Aufstellungsleiter klärt imersten Schritt mit einem ein Pro-

blem vortragenden Teilnehmer des-sen Anliegen. Anschließend wer-den die für das Anliegen relevan-ten Systemelemente ausgewähltund der Teilnehmer sucht Reprä-sentanten für sich, für andere Per-sonen, für Themen, Projekte etc.und stellt dieses auf sein Anlie-gen bezogene System unter An-leitung so im Raum auf, wie esaktuell seiner Wirklichkeit ent-spricht. Durch das Sichtbarma-chen des inneren Bildes wird dieSituation aus verschiedenen Per-spektiven anschaubar. Der Teil-nehmer schaut sich die Aufstel-lung von außen an.

Im nächsten Schritt werden dieStellvertreter nach ihren Körper-wahrnehmungen und Bewegungs-impulsen befragt, um so die Sys-temdynamiken zu verdeutlichen.Anhand dieser Dynamiken werdendie Positionen der Stellvertreter solange verändert, bis sie einenStandpunkt gefunden haben, andem sie sich besser fühlen alsvorher. Die Personen, die ihr An-liegen klären wollen, werden in denProzess der Lösungssuche ein-bezogen und erleben so nachvoll-ziehbar, wie die Lösung gefundenwird. Dazu nimmt der Teilnehmer,der sein Anliegen aufgestellt hat,

Gruppenprozesse moderieren Modul 1

Modul 2

Modul 3

Modul 4

Modul 5

Modul 6

Co

achin

gtreffen

Konflikte in Gruppenprozessen bearbeiten

Großgruppenprozessemoderieren

Beratungsgespräche führen

Auftragsklärung

Prozessgestaltung/ Projektmanagement

Prozessmanagement für dieNachhaltige Regionalentwicklung

Abbildung 2:

Page 48: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

46 Juli/August 2004 Ländlicher Raum

zum Abschluss die Position sei-nes Stellvertreters ein, um dasLösungsbild nicht nur von außenzu beobachten, sondern es auchselbst zu spüren.

Abschließend wird die gefunde-ne Lösung in Bezug auf das An-liegen noch einmal überprüft undLösungsmöglichkeiten für die re-ale Situation werden entwickelt.

Fallbeispiel

Zur Verdeutlichung der Organi-sationsaufstellung soll ein Fallbei-spiel dienen: Ein Regionalberaterberät extern ein Regionalmanage-ment (zwei Mitarbeiter, einer Voll-zeit, einer Teilzeit). Er hat dasGefühl, dass seine Beratungennicht angenommen werden. ImVorgespräch sagt er, dass er vondem Vorsitzenden der Entwick-lungspartnerschaft beauftragt wor-den ist. Der Berater wird aufgefor-dert, sein Anliegen zu formulieren.Er kommt zu der Fragestellung:„Wie kann ich das Regionalma-nagement sinnvoll beraten?“

Anschließend wird er aufgefor-dert für sich (Fokus), den Mitar-beiter des Regionalmanagements(RM-V, Vollzeit, und RM-T, Teil-zeit), den Vorsitzenden (V) und dieGemeinsame Aufgabe (GA)jeweils eine/-n Repräsentanten/-in auszuwählen. Die Gemeinsa-me Aufgabe wird auch mit aufge-stellt, um den äußeren Referenz-punkt der Personen in diesemAnliegen feststellen zu können.

• Ist-Bild

Der Regionalberater stelltzunächst seinen Stellvertreter,dann die Mitarbeiter und die Ge-meinsame Aufgabe im Raum auf(s. Bild 1). Der Aufsteller befragtnun die aufgestellten Repräsen-tanten/-innen nach ihren Wahrneh-mungen und Bewegungsimpul-sen: Der Berater (Fokus) stehtsehr unruhig und schaut ins Lee-re, er will näher zu der Gemeinsa-men Aufgabe rücken. Die Gemein-same Aufgabe will sich wegdre-hen, kann es aber nicht, da sieeine Verpflichtung fühlt. Sie schaut

angenehm auf dieMitarbeiter (RM-V,RM-T). Der Teilzeit-Mitarbeiter (RM-T)ist genervt von allemund will nicht so nahbei seinem Kollegenstehen (RM-V), son-dern sich wegdre-hen. Dem Vollzeit-Mitarbeiter ist allesgleichgültig, ihn be-rührt sie Situationnicht.

• Prozessarbeit

Die Prozessarbeiterfolgt in mehrerenSchritten, nach de-nen jeweils der emo-tionale Status derBeteiligten überprüftwird:

1.Zunächst wird dieGemeinsame Auf-gabe (GA) aufge-fordert so weit zu-rück zu gehen, bis das Gefühlsich wegdrehen zu wollenschwächer wird (s. Bild 2). So-wohl die Mitarbeiter als auch derBerater fühlen sich damit bes-ser.

2.Nun wird überprüft, ob der Teil-zeit-Mitarbeiter (RM-T) noch denImpuls zur Bewegung hat. Die-ser bestätigt dies und folgt sei-nem Impuls, indem er sich ne-ben seinen Kollegen (RM-V)stellt (s. Bild 3). Wieder werdendie Repräsentanten/-innen nachder Veränderung befragt. DerVollzeit-Mitarbeiter (RM-V) sagt:„Ich kann mich nicht mehr hin-ter meinem Kollegen verste-cken, muss meine Position be-haupten.“ Der Teilzeit-Mitarbei-ter (RM-T) fühlt jetzt eine stär-kere Beziehung zu seinem Kol-legen, während die Verbindungzum Berater (Fokus) abge-schwächt wurde. Der Beraterfand den Kontakt zum Vollzeit-Mitarbeiter vorher besser und hatjetzt eine abwartende Haltung

eingenommen, da er den Teil-zeit-Mitarbeiter nun als Konkur-renz empfindet.

3.Der Berater wird jetzt vor denVollzeit-Mitarbeiter gestellt undsoll diesem sagen: „Ich bin derexterne Berater und du bist hierangestellt. Ich kann dich nur beideiner Arbeit unterstützen.“ Dieskommt bei dem Vollzeit-Mitarbei-ter gut an. Er sagt: „Jetzt kannich dich zum ersten Mal sehen.“

4.Dann sucht sich der Berater (Fo-kus) einen neuen Platz. Er stehtjetzt näher zu den Mitarbeiternals vorher. Der Vollzeit-Mitarbei-ter sagt dazu: „Als der Beraterweiter weg war, musste ich michnicht so behaupten.“

5.Als neuer Stellvertreter kommtjetzt der Vorsitzende dazu(s. Bild 4). Er wird von dem (ech-ten) Regionalberater zwischendie Mitarbeiter und die Gemein-same Aufgabe gestellt. Nun wirdüberprüft, für wen sich etwasverändert hat. Der Vollzeit-Mit-arbeiter sagt: „Für mich wird es

1

2

3

Page 49: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

Ländlicher Raum Juli/August 2004 47

unklarer, aber ich muss michnicht mehr so behaupten.“ DerBerater (Fokus) empfindet denVorsitzenden als sehr wichtig.Der Vorsitzende sagt, dass seinPlatz gut ist, aber seine Posi-tion in Bezug auf den Beraterwichtiger ist als zu den Mitar-beitern.

6.Der Vorsitzende soll nun näherzu den Mitarbeitern gehen. Diesist für den Vollzeit-Mitarbeiterbesser. Er erfährt mehr Respektund fühlt sich präsenter. Für denVorsitzenden normalisiert sichdie Beziehung zum Berater (Fo-kus).

7.Der Berater (Fokus) möchte sichnun neben die Mitarbeiter stel-len. Dieser Schritt wird von al-len als passend und angenehmempfunden.

8.Nun möchte die GemeinsameAufgabe (GA) näher kommen(s. Bild 5). Dies ist für alle bes-ser, da sie nun die Gemeinsa-me Aufgabe im Blick haben. DieKonstellation für das Lösungs-bild ist gefunden (s. Bild 6).

• Lösungsbild

Das Lösungsbild zeigt, dass derBerater seinen Aufgabenbereichmit dem Vorsitzenden genau defi-nieren muss. Dazu gehört auchdie Abgrenzung zu den Aufgabender Regionalmanager sowie desVorsitzenden. In der realen Situa-tion hat der Berater den Vorsitzen-den um ein Gespräch zur Klärungder Aufgabenbereiche gebeten.Unter Leitung des Vorsitzendenwurde dieses Gespräch mit allenBeteiligten durchgeführt. Dadurchhat der Vorsitzende Führungsver-antwortung sowohl seinen Regio-nalmanagern als auch dem exter-

nen Berater gegenübergezeigt. In dem Ge-spräch wurden die Auf-gabenbereich klar defi-niert und die Zusam-menarbeit zwischenBerater und Regional-manager entspanntesich.

Teilnehmer/-innen für neueSeminarreihegesucht

Das FachgebietNachhaltige Regional-entwicklung der Univer-sität Kassel bietet inKooperation mit derAkademie der Katholi-schen LandjugendEnde 2004 bis Mitte2005 vier offene Auf-stellungswochenendenan, bei denen Regio-nalmanager/-innen undBerater/-innen eigeneFälle bearbeiten kön-nen. Dazu werden vierPersonen gesucht, die an allenWochenenden zu Sonderkonditi-onen teilnehmen. Sie können Or-ganisationsaufstellung als Diag-nose- und Monitoringinstrumentnutzen und erhalten zusätzlichnach jedem Wochenende einenCoaching-Termin, um die erarbei-

4

5

6

Fußnoten

1 Unter Prozess wird in diesem Zusam-menhang der Weg von einem Ist-Zu-stand zu einer neuen Wirklichkeit ver-standen.

2 Weitere Informationen sowie auchReferenzen aus der aktuellen Fortbil-dung enthält die Internetseite

w w w. r e g i o n a l e - p r o z e s s e - g e -stalten.de

3 Die Person Bert Hellingers sowie seineArt der Durchführung von Familien-aufstellungen (insbesondere als Groß-veranstaltung) sind in jüngster Zeit sehrumstritten. Die von ihm entwickelte Me-thode erfährt jedoch in professionellenKreisen nach wie vor große Anerken-

teten Lösungsmöglichkeiten in dieArbeit vor Ort zu integrieren.

Des weiteren wird auf der Eure-gia 2004 in Leipzig ein Workshopangeboten um das Instrument Or-ganisationsaufstellung im Kontextder Regionalentwicklung vorzustel-len.

nung. Für die Organisationsaufstellun-gen wurden Elemente und Dynamikenaus der Familienaufstellung übernom-men und weiterentwickelt. Die Univer-sität Witten-Herdecke hat in einer ak-tuellen Dissertation Organisationsauf-stellungen wissenschaftlich unter-sucht. Weitere Infos zum Forschungs-design unter www.p-schloetter.de

Nähere Informationen:

Stefan Gothe, M.A.Universität Kassel, Fachgebiet Nachhaltige RegionalentwicklungNordbahnhofstr. 1a, 37213 WitzenhausenTel.: (05542) 98 1653, Fax: (05542) 98 1661E-Mail: stefan.gothe@uni-kassel.dewww.regionsaufstellungen.dewww.regionale-prozesse-gestalten.de

Page 50: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

48 Juli/August 2004 Ländlicher Raum

Auswirkungen der EU-Wasserrahmenrichtlinie aufden Grundwasserschutz

Bernd Kirschbaum*

Während der vergangenen 25 Jahre war die europäische Wasserpolitik gekenn-zeichnet durch eine Vielzahl von Richtlinien, wobei ein schlüssiges Gesamtkon-zept oftmals nicht zu erkennen war. Allgemein wurde die Notwendigkeit gesehendas gemeinschaftliche Wasserrecht zu straffen. Am 26.2.1997 legte die Europäi-sche Kommission einen ersten Entwurf der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) vor,der dann im September 2000 von Rat und Parlament verabschiedet wurde. Seitihrer Veröffentlichung im europäischen Amtsblatt am 22. Dezember 2000 ist dieWRRL mehr als drei Jahre in Kraft, der Termin für die rechtsformale Umsetzungdurch die Mitgliedsstaaten (22.12.2003) also verstrichen.

Nachhaltigkeit

Wesentliche Ziele derWRRL hinsichtlich desSchutzes von Grund-wasser

Das grundsätzliche Ziel derWRRL ist ein gemeinschaftlicherRahmen für den Schutz aller Ober-flächengewässer und des Grund-wassers. Die Wasserressourcensollen als ererbtes Gut für zukünf-

tige Generationen gesichert wer-den, was bei Oberflächengewäs-sern durch die Schaffung einesguten ökologischen und chemi-schen Zustands erreicht werdensoll. Beim Grundwasser nennt dieWRRL folgende Umweltziele:

1.Allgemeines Verschlechte-rungsverbot

Die WRRL sieht vor, dass dieMitgliedsstaaten die erforderli-chen Maßnahmen durchführenum die Einleitung von Schad-stoffen in das Grundwasser zuverhindern oder zu begrenzenund einer Verschlechterung desZustands aller Grundwasserkör-per entgegen zu treten.

2.Die Schaffung eines guten men-genmäßigen und chemischenZustands

Alle Grundwasserkörper sollenbis spätestens Ende 2015 einen„guten Zustand“ erreichen. Dasheißt, Grundwasserkörper, diesich bereits in einem „guten Zu-stand“ befinden, müssen ge-schützt werden, damit sie nichtin einen „schlechten Zustand“

kommen. Grundwasserkörper,die sich in einem „schlechtenZustand“ befinden, sollen bis2015 saniert werden. Ein Grund-wasserkörper ist nur dann in ei-nem „guten Zustand“, wenn so-wohl seine mengenmäßige alsauch seine chemische Beschaf-fenheit gut sind.

3.Das Gebot der Trendumkehr

Alle signifikanten und anhaltendsteigenden Schadstoffkonzent-rationen in einem Grundwasser-körper, die anthropogenen Ur-sprungs sind, müssen umge-kehrt werden.

4.Das Verbot der direkten Einlei-tung von Schadstoffen insGrundwasser

Direkte Einleitungen von Schad-stoffen in das Grundwasser wer-den in Artikel 11 der WRRL ver-boten. Ausnahmetatbeständewerden abschließend aufge-zählt, z. B. darf geothermischgenutztes Wasser wieder in denGrundwasserleiter eingeleitetwerden, aus dem es stammt.

* Bernd Kirschbaum, Umweltbundesamt, Fachgebiet II 2.1, Übergreifende Angelegenheiten der Wasserwirt-schaft, Grundwasserschutz, Berlin, Telefon: 030/8903 – 2814, E-Mail: [email protected]

Unser Trinkwasser – auch morgennoch genießbar?

Fot

o: J

. Rec

henb

erg

Page 51: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

Ländlicher Raum Juli/August 2004 49

Abbildung 1: Die wesentlichen Elemente desKommissionsentwurfs zur TochterrichtlinieGrundwasser

Kriterien zur Bewertungdes „guten Zustands“ ei-nes Grundwasserkörpers

Guter mengenmäßigerZustand

Die Einstufung der Grundwasser-körper in den guten oder schlech-ten Zustand ist ein zentrales Ele-ment der Richtlinie. Der „gute Zu-stand“ des Grundwassers setztsich gemäß WRRL aus dem „gu-ten mengenmäßigen“ und dem„guten chemischen Zustand“ zu-sammen. Die Kriterien zum „gu-ten mengenmäßigen Zustand“sind, im Gegensatz zu denen deschemischen Zustands, abschlie-ßend in der WRRL selbst gere-gelt. Der mengenmäßige Zustandbeschreibt die Auswirkungen, diesich aus der Veränderung derWassermenge innerhalb einesGrundwasserkörpers, etwa durcheine Grundwasserentnahme, er-geben. Ein guter mengenmäßigerZustand erfordert ein angemesse-nes Verhältnis zwischen Entnah-me, dem Wasserbedarf abhängi-ger Ökosysteme und der Grund-wasserneubildung. Um einen gu-ten mengenmäßigen Zustand zugewährleisten darf in keinem Fallmehr Grundwasser entnommenwerden als neu gebildet wird, üb-licherweise muss die zulässigeEntnahme deutlich geringer als dieNeubildungsrate sein.

Guter chemischerZustand – Tochter-richtlinie Grundwasser

Die Festlegung von Parameternzur Beurteilung der guten chemi-schen Grundwasserqualität führ-te zu intensiven Diskussionenzwischen den Mitgliedsstaaten.Lediglich diejenigen Umweltquali-tätsnormen konnten verankertwerden, für die bereits in anderenVorschriften der GemeinschaftUmweltqualitätsnormen festgelegtwaren. Weil die EU-Mitgliedsstaa-ten bis zur Verabschiedung derWasserrahmenrichtlinie im Jahr2000 keine Einigung zu weiterenqualitativen Anforderungen imGrundwasserschutz erzielen

konnten, wurde in der Wasserrah-menrichtlinie eine entsprechendeRegelung getroffen, nach der vonder EU eine TochterrichtlinieGrundwasser zu erlassen ist, mit-tels derer der gute Zustand vonGrundwasser weiter konkretisiertwerden soll. Außerdem sollen da-rin Kriterien für die Ermittlung stei-gender Trends sowie für die Fest-legung des Ausgangspunktes derTrendumkehr festgelegt werden.Die Europäische Kommission hatam 19. September 2003, mit neunMonaten Verspätung, einen Vor-schlag für eine entsprechendeTochterrichtlinie vorgelegt (KOM(2003) 550 endg.).

Doch die Hoffnungen der Was-serwirtschaft auf konkrete und inder Praxis anwendbare Kriterienfür die Beurteilung eines gutenchemischen Zustands einesGrundwasserkörpers und für dieErmittlung und Festlegung derTrendumkehr sind bisher ent-täuscht worden. Der Vorschlag derEuropäischen Kommission wirdzwar dem Auftrag der Wasserrah-menrichtlinie formal gerecht, istjedoch kaum konkreter als dieWasserrahmenrichtlinie selbst.

Die wesentlichen Punkte desKommissions-Vorschlags zurGrundwasser Tochterrichtlinie sind(s. Abb. 1):

• Einführung von Grenzwerten zurBeurteilung des „guten chemi-schen Zustands“. Hier schlägtdie Kommission eine Untertei-lung vor, und zwar in EU-weit geltende Grenzwer-te, sog. Qualitätsnormen(lediglich für Pflanzen-schutzmittel, Biozideund Nitrat), und nationalabzuleitende Grenzwer-te, die von der Kommis-sion als Schwellenwertebezeichnet werden(zunächst für neun wei-tere Parameter). FürPestizide (Pflanzen-schutzmittel und Biozi-de) einschließlich derenAbbau-, Stoffwechsel-und Reaktionsprodukte

wird eine Qualitätsnorm von0,1 µg/l und für Nitrat ein Wertvon 50 mg/l vorgeschlagen, d. h.die bereits geltenden Normen fürdiese Stoffe sollen beibehaltenwerden.

• Regelungen zur Trenderken-nung. Diese sehen eine sog.doppelte Mittelung der Werte(räumlich innerhalb eines Grund-wasserkörpers und zeitlich überdas Jahr) vor. Kriterien für die Si-gnifikanz eines Trends fehlenund für die Trendumkehr wirdlediglich die Empfehlung ausge-sprochen den Ausgangspunktbei maximal 75 % der Qualitäts-norm oder des Schwellenwertesanzusetzen. Unklar bleibtweiterhin, ob sich ein Grundwas-serkörper innerhalb der Grenzendes guten Zustandes ver-schlechtern darf oder ob jedenegative Veränderung des Sta-tus Quo gegen das Verschlech-terungsverbot verstößt.

• Begrenzung indirekter Einleitun-gen. Indirekte Einleitungen wer-den im Vorschlag zur Grundwas-ser-Tochterrichtlinie als Einlei-tungen von Schadstoffen in dasGrundwasser nach Versicke-rung durch den Boden definiert.Unklar ist bei dieser Formulie-rung, ob z. B. die (sachgerech-te) Anwendung von Dünger in derLandwirtschaft als indirekte Ein-leitung anzusehen ist.

Die vorgeschlagenen Regelun-gen sind nicht geeignet, einer

Page 52: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

50 Juli/August 2004 Ländlicher Raum

Grundwasserverschmutzung ent-schieden entgegen zu wirken, dader Richtlinienvorschlag noch er-hebliche Regelungslücken undUnklarheiten enthält. Daher trittDeutschland bei den weiteren Ver-handlungen dafür ein, dass folgen-de fünf Punkte bei der Erarbeitungder Grundwasser-TochterrichtlinieBerücksichtigung finden müssen:

1.Europaweit verbindliche Quali-tätsnormen

Um eine europaweit einheitlicheCharakterisierung des gutenchemischen Zustands desGrundwassers zu ermöglichenmüssen EU-einheitliche Quali-tätsnormen für deutlich mehr Pa-rameter festgelegt werden alsbisher von der Kommission vor-geschlagen. Eine einheitlicheAbleitungsmethode dieser Nor-men nach human- und ökoto-xikologischen Kriterien ist unver-zichtbar. Die vorgeschlagene Be-rücksichtigung ökonomischerund sozialer Belange bereits beider Ableitung der Werte ist ab-zulehnen.

2.Einhaltung der Qualitätsnormenan jeder Messstelle

Um dem Grundwasserkörper ei-nen guten Zustand zu attestie-ren, muss der gute Zustand anjeder Messstelle im Grundwas-serkörper eingehalten werden.Hierbei sollte gelten, dass dieErgebnisse einzelner Messstel-len nur dann über die Einstufungentscheiden, wenn sie reprä-sentativ für den gesamtenGrundwasserkörper oder einenTeil von ihm sind.

3.Klare, einfache, schnell umsetz-bare Regelung zur Trendumkehr

Die im Kommissionsvorschlagvorgesehene Regelung zurTrendermittlung führt dazu, dassnur sehr massive Belastungs-trends erkennbar werden. Die-ses Bewertungsverfahren istabzulehnen. Stattdessen ist anjeder einzelnen Messstelle derTrend zu bestimmen und zu

bewerten. Deutschland emp-fiehlt ein statistisches Verfahren(sog. Regressionsanalyse), dasmathematisch einfach undschnell umzusetzen ist.

4.Klare Regelungen zur Verhinde-rung indirekter Einleitungen

Die Regelungen zur indirektenEinleitung bestimmter Stoffe rei-chen nicht aus um das Ver-schlechterungsverbot der WRRLangemessen umzusetzen. EineErgänzung der neuen Grundwas-serrichtlinie im Sinne eines Ver-bots der indirekten Einleitungvon Schadstoffen und der Be-grenzung der indirekten Einlei-tung von Nährstoffen ist notwen-dig. Ziel ist es, eine Verschlech-terung der Grundwasserqualitätzu verhindern. Beim Umgangmit Wasserschadstoffen sinddie besten verfügbaren Techni-ken und die gute Umweltpraxiseinzuhalten. Ein Rückfall hinterdas bestehende Schutzniveau

der noch bis zum Jahr 2013 gel-tenden Grundwasserrichtlinie80/68/EWG wird dadurch ver-mieden.

5.Verfahren für die Bewertung desGrundwasserzustands bei Alt-lasten

Den Mitgliedsstaaten sollte auf-gegeben werden, die Kriterienfür die Bewertung von Altlastenin den Bewirtschaftungsplan auf-zunehmen und daraus Maßnah-men abzuleiten.

Stand der Umsetzung derWRRL in Deutschland be-züglich des Schutzes vonGrundwasser

Wie bereits erwähnt, schafft dieWRRL einen neuen Ordnungsrah-men für die Bewirtschaftung derGewässer in der EuropäischenUnion und fordert, dass die recht-liche Umsetzung in nationalesRecht, drei Jahre nach Inkrafttre-ten der Richtlinie, also bis Ende2003, zu erfolgen hatte. InDeutschland waren das Wasser-haushaltsgesetz (WHG) des Bun-des und die Wassergesetze (WG)der Länder zu ändern. Die Ände-rung des WHG ist bereits im Juni2002 erfolgt, wobei der Text derRichtlinie soweit wie möglich über-nommen wurde. Anders sieht esbei der Umsetzung der Landes-wassergesetze aus. Wegen die-ser schleppenden Umsetzungdroht Deutschland ein Vertrags-verletzungsverfahren.

Die fachliche Umsetzung,die im Wesentlichen durchdie wasserwirtschaftlichenFachbehörden zu leistenist, ist in Deutschlandinzwischen auf ganzer Brei-te angelaufen, damit dieknappen Fristen eingehal-ten werden können. DieDurchführung der EG-WRRL ist in fünf Phasen ge-gliedert, für die bestimmteFristen gesetzt wordensind (s. Tab. 1). Derzeit läuftdie erste: die Bestandsauf-

nahme, die bis Ende des Jahres2004 abgeschlossen sein soll.

Erstmalige Beschreibungder Grundwasserkörper

Die Bestandsaufnahme gliedertsich in eine erstmalige und in eineweitergehende Beschreibung derGrundwasserkörper. Verschmut-zungen, die hier nicht erkannt wer-den, finden wahrscheinlich keinenEingang in künftige Maßnahmen-programme. Wichtig ist einemöglichst einheitliche Vorgehens-weise bei der erstmaligen Be-schreibung in den Bundesländern.

2004 Bestandsaufnahme

2006 Überwachungsprogramm(Monitoring) und Öffent-lichkeitsbeteiligung

2009 Bewirtschaftungspläne

2012 Umsetzung der Projekte

2015 Guter Wasserzustand

Tabelle 1: Folgende Eckpunktekennzeichnen die Umsetzung derWRRL

Page 53: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

Ländlicher Raum Juli/August 2004 51

Von der Länderarbeitsgemein-schaft Wasser (LAWA) wurdedeshalb eine Arbeitshilfe erstellt,mit deren Hilfe alle diejenigenGrundwasserkörper oder Teilkör-per ermittelt werden sollen, für diedas Risiko besteht, dass sie dieUmweltziele der WRRL nicht er-reichen. Im Einzelnen sind zu be-schreiben:

• Lage und Grenzen der Grund-wasserkörper,

• Belastung der Grundwasserkör-per durch diffuse und punktuelleSchadstoffquellen, Entnahmenund Anreicherungen,

• Charakteristik der überlagerndenSchichten des Einzugsgebiets,

• Kennzeichnung von Grundwas-serkörpern mit Anschluss anoberirdische Ökosysteme.

In Tabelle 2 ist die von der LAWAvorgeschlagene Typisierung derGrundwasserleitertypen im Rah-men der erstmaligen Beschrei-bung dargestellt.

Weitergehende Beschrei-bung der Grundwasser-körper

Nur diejenigen Grundwasserkör-per, für die bei der erstmaligenBeschreibung die Einschätzungvorgenommen wurde, dass sievoraussichtlich 2015 nicht den „gu-ten Zustand“ erreichen, sollen indie nächste Stufe der Bearbeitung,die weitergehende Beschreibung,aufgenommen werden, wobei wei-tere Grunddaten zur Geologie undHydrogeologie berücksichtigt wer-den:

• Geologische und hydrogeologi-sche Merkmale der Grundwas-serkörper,

• Merkmale der Böden und Grund-wasserüberdeckung,

• Stratifikationsmerkmale desGrundwassers,

• Bestandsaufnahme der mit demGrundwasser verbundenen Ober-

flächenwasser-systeme,

• Schätzung derStrömungsrich-tungen undW a s s e r a u s -tauschraten,

• Berechnung derGrundwasser-neubildungsra-ten.

Die Bestands-aufnahme derLänder istinzwischen fastabgeschlossen.Es zeichnet sichab, dass in Deutschland ca. 1 100Grundwasserkörper von sehr un-terschiedlicher Größe ausgewie-sen werden, je nach Vorgehen desjeweiligen Bundeslandes. Diestofflichen Belastungen desGrundwassers sind vielfältig. Zunennen sind Punktquellen von in-dustriellen oder gewerblichen An-lagen sowie von Altlasten oderschädlichen Bodenverunreinigun-gen. Anlagen, die nach dem Standder Technik errichtet und betrie-ben werden, scheiden als Ein-tragsquellen weitgehend aus. Alt-lasten stellen nach einer erstenEinschätzung der Länder ein Ge-fährdungspotenzial dar, das lokalbegrenzt ist und in der Regel nichtdazu führen wird, dass ein ganzerGrundwasserkörper in denschlechten Zustand einzustufenist.

Entscheidender hierfür sindSchadstoffeinträge aus diffusenQuellen, die weitestgehend vonder Art der Landnutzung abhän-gen. Für Belastungen des Grund-wassers aus diffusen Quellen sindvor allem urbane Verdichtungsräu-me und landwirtschaftlich genutz-te Flächen verantwortlich. UnterStädten finden sich häufig Sulfat-belastungen im Grundwasser.Maßgebend für die Nährstoffbelas-tungen des Grundwassers sindfast ausschließlich die diffusenEinträge aus der Landwirtschaft.Um langfristig die Schad- und

Nährstoffeinträge in die Gewässersignifikant zu reduzieren und so-mit auch die hohe Qualität derTrinkwasserversorgung sicherzu-stellen fordert der Sachverständi-genrat für Umweltfragen in seinemGutachten 2004 eine rigorose Ver-haltensänderung im Hinblick aufden Einsatz von Dünge-, Pflanzen-schutz- und Schädlingsbekämp-fungs- sowie Tierarzneimitteln.

Tabelle 2: Typisierung der Grundwasserkörper ge-mäß LAWA-Arbeitshilfe

Grundwasserleitertyp Geochemische Differenzierung

Porengrundwasserleiter silikatisch

silikatisch / carbonatisch

carbonatisch

Kluftgrundwasserleiter silikatisch

silikatisch / carbonatisch

carbonatisch

sulfatisch

Karstgrundwasserleiter carbonatisch

sulfatisch

Sonderfälle

Quellen und weiterführendeLinks

Länderarbeitsgemeinschaft Wasser – LAWA:Arbeitshilfe zur Umsetzung der EG-Wasserrah-menrichtlinie, Stand 04/2003

Länderarbeitsgemeinschaft Wasser – LAWA:www.lawa.de/pub/download.html

Niedersächsisches Landesamt für Bodenfor-schung: www.nlfb.de/grundwasser/euwrrl

Pitschka, B. et al. (2003):Ausweisung der Grundwasserkörper und erst-malige Beschreibung des Grundwassers im Pi-lotprojekt Bewirtschaftungsplan Main, Aufsatzin Wasserwirtschaft 11/2003, S. 14 - 22

Umweltbundesamt:www.umweltbundesamt.de/altlast/web1/be-richte/wrrl/wrrl16.htm

Umweltbundesamt:www.umweltbundesamt.de/wasser/themen/grundwasser.htm

Umweltbundesamt:www.umweltbundesamt.de/wasser/themen/wasserrecht.htm

Page 54: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

52 Juli/August 2004 Ländlicher Raum

Termine

Gedenkkolloquium anlässlich des 100. Geburtstages von Prof. Dr. Dr. h.c.Wilhelm ABEL am 16. Oktober 2004, Universität Leipzig

Das Kolloquium wird vier Vorträge von Abel-Schülern umfassen, die auf zentrale Elemente des wissen-schaftlichen Engagements von Wilhelm Abel eingehen:

• Agrargeschichte als wichtiger Bestandteil der Wirtschafts- und Sozialgeschichte: Prof. Dr. Dr. Fried-rich-Wilhelm HENNING, Köln

• Preise als wirtschaftshistorische Indikatoren. Wilhelm Abels preisgeschichtliche Untersuchungenaus heutiger Sicht: Dr. Hans-Jürgen GERHARD, Göttingen

• „Politik ist jede ordnende Gestaltung sozialen Lebens“ - Schwerpunkte und Anregungen in WilhelmAbels Beiträgen zur Wirtschafts- und Sozialpolitik: Prof. Dr. Karl-Hein SCHMIDT, Paderborn

• Der Beitrag Wilhelm Abels zur wirtschaftshistorischen Forschung im 20. Jahrhundert: Prof. Dr. KarlHeinrich KAUFHOLD, Göttingen

Nähere Informationen zum zeitlichen Ablauf und zur Örtlichkeit: Prof. Dr. Markus A. Denzel, UniversitätLeipzig, Tel. 0341/973 71 00, Fax: 0341/973 71 49, E-Mail: [email protected]

Menschen als Maß aller Dinge: Mentalität, Motivation, Mitwirkung

Ziel der gemeinsamen Tagung der Niedersächsischen Akademie für den ländlichen Raum (ALR) und desZentrums für ländliche Entwicklung NRW (ZELE) ist es, die Wahrnehmung regionaler Mentalitäten zuschärfen. Weiterhin soll herausgefunden werden, welche Konsequenzen unterschiedliche Mentalitäten fürdie Entwicklung von Orten und Regionen haben, und sollen Instrumente benannt und diskutiert werden, mitdenen eine erfolgreiche regionale Entwicklung vor dem Hintergrund verschiedener regionaler Mentalitätengestaltet werden kann. Theoretische und praktische Beiträge aus Niedersachsen, Nordrhein-Westfalenund Österreich zeigen Hintergründe und geben Einblicke in die Praxis.

Weitere Informationen: ZELE, Tel. 0211/45 66 919, Fax: 0211/45 66 456, E-Mail: [email protected]

Fachtagung am 9. und 10. September 2004, Badbergen, Niedersachsen

Ausstellung bis zum 31. Oktober 2004, Detmold

Im Westfälischen Freilichtmuseum Detmold wird eine Sonderausstellung gezeigt, die das estländischeFreilichtmuseum in Tallinn erstellt hat. Sie präsentiert die estnische Lebensweise auf dem Lande vor etwa100 Jahren. Eindrückliche Inszenierungen geben Einblicke in das traditionelle Leben im sog. „Riegenhaus“,einem früher typischen Wohn- und Wirtschaftsbau der Landbevölkerung. Der Titel „Estnische Liebe“ be-zieht sich auf verschiedene Ausprägungen menschlicher Beziehungen im alltäglichen Leben, von der Kin-desliebe über familiäre und eheliche Bindungen bis hin zur Liebe zur Arbeit und zur heimatlichen Region.Fotos und charakteristische Objekte verdeutlichen diese Themen.

Weitere Informationen: Westfälisches Freilichtmuseum Detmold, Tel. 05231/706-140, Fax: 05231/706-106,E-Mail: [email protected] oder unter www.freilichtmuseum-detmold.de

Das estnische staatliche Freilichtmuseum in Tallinn liegt bei Rocca al Mare, einem Vorort von Tallinn, direktam Meer. In einem 64 ha großen Nadelholz- und Mischwald gelegen beherbergt es Museumsbauten ausdem ganzen Land.

Estnische Liebe

Page 55: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

Ländlicher Raum Juli/August 2004 53

Personalien

Am 12. August 2004 verstarbdie Vorsitzende der Rheini-

schen LandFrauenvereinigung(RhLFV), Ulrike SCHELLBERG,im Alter von 55 Jahren. Sie warseit 1998 Mitglied im Vorstand derAgrarsozialen Gesellschaft e.V.und vertrat hier insbesondere dieAnliegen der Landfrauen. Im Deut-schen Landfrauenverband (dlv) warsie seit Juli 2003 Mitglied des Prä-sidiums.

Ulrike Schellberg machte nachdem Abitur eine Ausbildung in derländlichen Hauswirtschaft, die sieals Meisterin abschloss, und warmit einem Landwirt verheiratet. Ihre

Ulrike Schellberg gestorbeneigenen Erfahrungen als Bäuerinund Landfrau nutzte sie für ihr eh-renamtliches Engagement. Mitgroßem Einfühlungsvermögen undIdeenreichtum widmete sie sichden Fragen und Problemen derFrauen auf den landwirtschaftli-chen Betrieben. Zu einem Schwer-punkt ihrer Arbeit hatte sie die wirt-schaftliche Entwicklung, dieSchaffung und den Erhalt von Ar-beitsplätzen sowie die Erwerbs-und Einkommenskombination fürLandfrauen gemacht.

Die ASG wird Ulrike Schellbergals engagierte Vertreterin des dlvin Erinnerung behalten und ihr ein

ehrendes Andenken bewahren.Unser Mitgefühl gilt den Angehö-rigen.

Dr. Volker Sklenar weiterhin Minister, Dr. Christian Jucke-nack neuer Staatssekretär im Ministerium für Landwirt-schaft, Naturschutz und Umwelt, Thüringen

Nach der Wiederwahl des thü-ringischen Ministerpräsiden-

ten Dieter ALTHAUS bleibt derbereits seit 1990 amtierende Dr.Volker SKLENAR Minister fürLandwirtschaft, Naturschutz undUmwelt. Zum neuen Staatssekre-tär im Ministerium für Landwirt-schaft, Naturschutz und Umweltwurde Prof. Dr. Christian JUCKE-NACK berufen.

Der neue Staatssekretär promo-vierte am Institut für Geologie und

Dynamik der Lithosphäre (IGDL)der Universität Göttingen. NachForschungsaufenthalten an derEidgenössischen TechnischenHochschule Zürich sowie den Uni-versitäten Münster und Münchenarbeitete er ab 1991 am Institutfür Umweltgeologie und Umwelt-analytik Schmitz in Köln. 1994eröffnete Prof. Juckenack ein ei-genes Büro für Umweltconsultingin Trier, wo er an der Universitätund der Fachhochschule auch

Lehrtätigkeiten übernahm. DreiJahre später wechselte er an dasInstitut für Wasserbau der Univer-sität Stuttgart und 2000 an dieFachhochschule Nordhausen, woer seit 2001 als Rektor wirkte.

Die ASG gratuliert Dr. Sklenarund Dr. Juckenack und wünschtihnen bei ihren Aufgaben viel Er-folg.

Friedlinde Gurr-Hirsch neue Staatssekretärin im Ministeriumfür Ernährung und Ländlichen Raum, Baden-Württemberg

Friedlinde GURR-HIRSCH istzur neuen Staatsekretärin im

Ministerium für Ernährung undLändlichen Raum Baden-Württemberg berufen worden. DieWirtschaftswissenschaftlerin wirktseit 2001 als Mitglied der CDU-Fraktion im baden-württembergi-schen Landtag. Sie engagiert sich

seit dieser Zeit insbesondere inden Arbeitskreisen „Ernährung undländlicher Raum“, „Frauenpolitik“,„Jugendpolitik“ und „Entwicklungs-hilfepolitik“.

Willi STÄCHELE, Minister fürErnährung und Ländlichen Raum,betonte, dass mit der Berufung der

neuen Staatssekretärin die Be-deutung des Ministeriums für Er-nährung und Ländlichen Raumdeutlich unterstrichen werde.

Die ASG wünscht FriedlindeGurr-Hirsch viel Erfolg und freutsich auf eine gute Zusammenar-beit.

Page 56: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

54 Juli/August 2004 Ländlicher Raum

Adelheid Lindemann-Meyer zu Rahden 80 Jahre

Adelheid LINDEMANN-MEY-ER ZU RAHDEN feierte am

5. August 2004 ihren 80. Geburts-tag. Sie war von 1967 bis 1983Vorsitzende des Westfälisch-Lip-pischen LandFrauenverbandesund von 1970 bis 1986 Präsiden-tin des Deutschen LandFrauenver-bandes e.V. (dlv). In dieser Zeitsetzte sie sich vor allem für diesozialen Anliegen der Bäuerinnenund einen eigenständigen Alters-geldanspruch ein. Sie förderte dieSolidarität der deutschen Land-Frauen mit den LandFrauen in derWelt und begründete die Zusam-menarbeit mit der Deutschen

Welthungerhilfe, die bis heute fort-besteht.

In Anerkennung ihrer Verdiens-te erhielt Lindemann-Meyer zuRahden zahlreiche Auszeichnun-gen, darunter die Goldene Bienedes dlv, das Verdienstkreuz Ers-ter Klasse des Verdienstordensder Bundesrepublik Deutschland,die Max-Eyth-Medaille in Silberder Deutschen Landwirtschaftsge-sellschaft und die Andreas-Her-mes-Medaille des DeutschenBauernverbandes.

Lindemann-Meyer zu Rahdenwar von 1974 bis 1987 Mitglied

des Kuratoriums der ASG und hatin dieser Zeit entscheidend dazubeigetragen, die Bindungen zwi-schen dem Deutschen Landfrau-enverband e.V. und der Agrarso-zialen Gesellschaft e.V. zu festi-gen und zu einer bis heute inten-siven und konstruktiven Zusam-menarbeit beizutragen.

Die ASG gratuliert der Jubilarinsehr herzlich zu ihrem 80. Ge-burtstag und wünscht ihr allesGute, besonders Gesundheit undLebensfreude.

Für Sie gelesen

Herausforderungen für die Agrarfinanzierung imStrukturwandel – Ansätze für Landwirte,

Banken, Berater und PolitikLandwirtschaftliche Rentenbank

(Hrsg.): Herausforderungen für dieAgrarfinanzierung im Strukturwan-del – Ansätze für Landwirte, Ban-ken, Berater und Politik. Schrif-tenreihe, Band 19, Frankfurt amMain, 2004, 250 Seiten. Kosten-los zu beziehen bei: Landwirt-schaftliche Rentenbank, Tel. 069/2107-363, Fax: 069/2107-447,www.rentenbank.de.

In Folge der EU-Agrarreformenwird sich der Strukturwandel in derLandwirtschaft fortsetzen und vo-raussichtlich noch beschleunigen.Dadurch wird der Fremdkapitalbe-darf wachstumsorientierter Betrie-be deutlich steigen. Mit fortschrei-tender Spezialisierungstendenzund der zunehmenden Marktori-entierung der Agrarpolitik wachsengleichzeitig jedoch die Investitions-und Betriebsrisiken. Steigender Fi-nanzierungsbedarf und zuneh-mende Risiken treffen dabei auf

veränderte bankenaufsichtsrecht-liche Rahmenbedingungen. Nebender Landwirtschaft befindet sichauch der Bankensektor in einemtiefgreifenden Strukturwandel.

In der vorliegenden Ausgabe derSchriftenreihe werden die Ergeb-nisse aus fünf Studien veröffent-licht, die von der Edmund Rehwin-kel-Stiftung der Landwirtschaftli-chen Rentenbank gefördert wur-den. Die Edmund Rehwinkel-Stif-tung ist dabei der Frage nachge-gangen, mit welchen konkretenAuswirkungen die Landwirtschaftzu rechnen hat. Über Entwick-lungstendenzen hinaus solltenpraktikable Lösungsansätze auf-gezeigt werden, wie auf die neu-en Herausforderungen reagiertwerden kann.

Zwei Studien wurden von derLandwirtschaftskammer Nord-rhein-Westfalen (Bonn und Müns-

ter) sowie je eine von der Univer-sität Göttingen in Zusammenarbeitmit der Nord/LB, dem Betriebs-wirtschaftlichen Büro Göttingenund der Universität Berlin verfasst.Die Studien betonen übereinstim-mend die Notwendigkeit, Bankenfrühzeitig in die Investitionsplanungeinzubeziehen und ausführlichüber die finanzielle Lage zu infor-mieren. Dabei sollte die Bewer-tung zukünftiger Ertragspotenzia-le stärker gewichtet werden.

Die erste Arbeit beschäftigt sichmit dem Wandel vom Realkreditzum Personalkredit in der Land-wirtschaft und geht der Fragenach, wie Landwirte auch zukünf-tig für ihre Investitionen eine an-gemessene Finanzierung erhaltenkönnen. Bei Finanzierungsfragendie Zukunft stärker zu gewichtenempfehlen die Autoren der zwei-ten Studie und sehen dafür in derdynamischen Liquiditätsanalyse

Page 57: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

Ländlicher Raum Juli/August 2004 55

eine geeignete Methode. Die Stu-dien drei und vier zeigen notwen-dige Entwicklungen zu wettbe-werbsfähigen Produktionseinhei-ten in der Milchviehhaltung bzw.der Schweinehaltung auf und be-urteilen die Auswirkungen von In-vestitionen auf die Rentabilität,Liquidität und Stabilität des Be-

triebs. Die fünfte Untersuchungbefasst sich intensiv mit den Kon-sequenzen von Basel II und denAuswirkungen des Ratings vonAgrarbetrieben auf den Agrarkre-dit.

Für Interessenten/-innen ausWissenschaft und Praxis sowie

Berater/-innen und Banker/-innenwerden mit dem vorliegendenBuch die Diskussion über die ak-tuellen und für die Praxis wichti-gen Themen vertieft und Impulsefür eine erfolgreiche Realisierungder aufgezeigten Lösungsansätzegegeben.

Von der Idee zum Markt –Marketing für den Landtourismus

Sächsisches Staatsministeriumfür Umwelt und Landwirtschaft(Hrsg.): Von der Idee zum Markt– Marketing für den Landtouris-mus. Ein Handbuch. Autorin: Dr.Heike Glatzel, FUTOUR GmbH &Co. KG. Dresden 2001, 167 S.,Schutzgebühr 30,- •. Bestell-adresse: TMGS – Tourismus Mar-keting Gesellschaft SachsenmbH, Bautzener Str. 45-47, 01099Dresden, Tel.: 0351/49170-0.

Das touristische Angebot Land-tourismus gibt den Gästen

die Möglichkeit, ländliche Lebens-weise, Brauchtum, Traditionenund Handwerk, selbst erzeugteProdukte und Speisen, die für dieRegion typisch sind, kennen zulernen. Man kann aber auch dieLandwirtschaft und den Alltag aufdem Hof hautnah miterleben, sichaktiv betätigen und den Wunschnach Urlaub in schöner und ge-sunder Umgebung erfüllen“ – andieser Definition von „Landtouris-

mus“ orientiert sich – gemäß denGrundzügen der sächsischen Tou-rismuspolitik – das vorliegendeHandbuch.

Es wendet sich dabei in sechsKapiteln an Landwirte, Vermieter,Tourismusverantwortliche und alle,die im Landtourismus aktiv sind.Mit Hilfe des Handbuchs sollen sie„von der Idee zum Markt“ beglei-tet werden. Das erste Kapitel gibteine kurze Einführung zum The-ma Marketing anhand von Marke-ting-Regeln und -Denkprozessenund formuliert die Marketingzielefür den Landtourismus in Sach-sen. Im zweiten Kapitel geht esdarum, die eigenen Stärken undSchwächen zu erkennen sowieüber Mitbewerber/-innen und rele-vante Trends informiert zu sein.Die Bestimmung der Unterneh-mensziele, Zielgruppen und ihrerBesonderheiten, wie z. B. der Ziel-gruppe „Senioren“ oder der Ziel-gruppe der „Umweltbewussten“,erfolgt in Kapitel 3. In Kapitel 4werden Techniken zur Angebots-entwicklung vermittelt: von derIdeensammlung über die Spezia-lisierung im Angebot bis hin zurKooperation mit anderen Betrie-ben. Kapitel 5 gibt Einblicke in diePreispolitik sowie Werbung undÖffentlichkeitsarbeit. Im sechstenTeil geht es schließlich um dieGästebetreuung. Dabei findet so-wohl der Erstkontakt mit dem Gastam Telefon Beachtung als auchdie Betreuung während des Be-suchs und die Nachbetreuung. ImAnhang finden sich ein Index derChecklisten, ein Beispiel für dieArbeit eines Betriebes mit dem

Handbuch, wichtige Adressen,weiterführende Literatur sowie In-formationen zu Klassifizierungs-systemen und rechtlichen Belan-gen bei der Erstellung von Pau-schalangeboten.

Das Werk liegt in Form einesDin-A4-Ringordners vor, damit dieLeser/-innen eigene Ideen mit ab-heften und Arbeitsmaterialien zumKopieren heraus nehmen können.Außerdem soll das Handbuch vomHerausgeber auf diese Weiseleichter aktualisiert werden kön-nen. Checklisten, Beispiele, Tippssowie Zahlen, Daten und Faktensind am Rand mit Symbolen ge-kennzeichnet. Die einzelnen Ka-pitel werden von beschrifteten,durchsichtigen Plastikeinlegefoli-en voneinander getrennt, die einschnelles Nachschlagen ermögli-chen.

Mit der Herausgabe zweier Fol-ge-Leitfäden zu den Themen „Er-lebnistage auf dem Land“ sowie„Angebotsentwicklung – Gesund-heitsurlaub auf dem Land“ ist dasHandbuch fortgeführt worden. Esist ein wichtiges, praxisnahesGrundlagenwerk, welches das Zielverfolgt, den Landtourismus zu ei-nem starken Standbein des säch-sischen Tourismus zu entwickeln.Für alle Anbieter von Landtouris-mus, die ihren Marktauftritt verbes-sern wollen, gibt der interaktiveRatgeber wichtige Hilfestellungen,Beispiele und Tipps. Dabei wirdversucht, marktorientiertes Han-deln informativ und möglichst pra-xisnah zu vermitteln.

os

os

Page 58: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Agrarsoziale Gesellschaft e.V.

56 Juli/August 2004 Ländlicher Raum

Nebenerwerbslandwirtschaft

Agrar-Umweltpolitik im TransformationsprozessDas Beispiel Polen

Antonia Lütteken: Agrar-Um-weltpolitik im Transformationspro-zess: Das Beispiel Polen(Institutional Change in Agricultu-re and Natural Ressources, Volu-me 14), Shaker Verlag, Aachen,2002 (zugleich Berlin, Humboldt-Universität, Dissertation, 2002),286 S., mit 11 SW-Abb. und8 Tabellen, 28,- •, ISBN 3-8322-1134-9.

Durch den Beitritt Polens zurEU werden Fragen zur Neu-

gestaltung der Landwirtschaft inPolen aufgeworfen. Die Integrati-on des Naturschutzes in die land-wirtschaftliche Praxis stellt imZuge dieser Transformationspro-zesse einen wichtigen Aspekt dar.

In Polen bildet der Agrarsektor

einen großen Teil der Wirtschaftund gilt als extensiv und naturnah.Um als Mitglied der EU im inter-nationalen Wettbewerb mithaltenzu können stehen vor allem Mo-dernisierung und Intensivierungder Landwirtschaft auf dem Pro-gramm. Der Schwerpunkt der Dis-sertation von Antonia Lüttekenliegt auf der Frage, ob in Polen dasVerhältnis zwischen Agrarwirt-schaft und Umwelt als notwendi-ges Handlungsfeld im Zuge derUmstrukturierungen wahrgenom-men und durch die Festlegung vonRahmenbedingungen gestaltetwird.

Darüber hinaus wird die Rolledes Annäherungsprozesses Po-

lens an die EU für die dortigeLandwirtschaft untersucht und derFrage nachgegangen, ob für diePolitik ein neues Handlungsfeldentsteht, in dem institutionell An-passungen vorgenommen werdenkönnen. Anhand der Beispiele vonNitratrichtlinien und der Einführungvon Agrar-Umwelt-Programmenwerden in dieser Forschungsarbeitferner Schwierigkeiten deutlichgemacht und analysiert, die mitdem oft vernachlässigten Trans-formationsprozess in der Landwirt-schaft bei der Annäherung an dieEU 15-Länder verbunden sind.

Reiner Doluschitz, Ruth Schwen-ninger: Nebenerwerbslandwirt-schaft, Verlag Eugen Ulmer,Stuttgart, 2003, 220 S., mit 15Abb., 15 Tab. und 87 Übersich-ten, 34,90 •, ISBN 3-8001-4157-4.

Die große Zahl an Nebener-werbsbetrieben in Deutsch-

land bewog Prof. Dr. Reiner DO-LUSCHITZ undR u t hSCHWENNIN-GER, Universi-tät Hohenheim,ein Grundla-genwerk fürNebenerwerbs-landwirtschaftvorzulegen. Ineinem Über-blick über dieVerbre i tungund Bedeutungder Nebener-werbsbetriebein Deutschland

stehen Strukturen und Einkom-

mensdaten der Betriebe im Vor-dergrund. Grundsätzliche Überle-gungen zum Betreiben eines land-wirtschaftlichen Nebenerwerbswerden beschrieben, persönlicheMotive jedoch nur kurz gestreift,wie auch der gesamte Band deut-lich unter betriebswirtschaftlichenAspekten erstellt wurde. Die Au-toren verschweigen allerdingsnicht die arbeitstechnischen Kon-flikte, die sich bei gleichzeitigerAusübung eines außerlandwirt-schaftlichen Berufs ergeben kön-nen.

Den Schwerpunkt des Buchesbildet die ausführliche Beschrei-bung verschiedener Erwerbszwei-ge, die kritisch auf ihre Tauglich-keit für die Nebenerwerbslandwirt-schaft geprüft werden, so dassPraktiker/-innen eine fundierteGrundlage für Überlegungen an dieHand bekommen. Jeder Erwerbs-zweig wird durch weiterführendeLiteraturangaben ergänzt.

Ein weiteres Hauptthema sindkooperative Beziehungen, die in

ihrer Bedeutung für die Nebener-werbslandwirtschaft deutlich her-ausgestellt werden. Die Zusam-menarbeit mit anderen Betriebenwird durchgängig empfohlen undfindet hier mit der Beschreibungjuristischer Gestaltungsmöglich-keiten und von Praxisbeispieleneine solide Grundlage. Das letzteKapitel schließt sich mit Fragen,rechtlichen Informationen und För-derprogrammen zur Umstellungauf die Nebenerwerbslandwirt-schaft an.

Die sachliche und detaillierteDarstellung betriebswirtschaftli-cher Aspekte macht den Band zueinem wichtigen Nachschlage-werk für Nebenerwerbslandwirte/-innen. Schwächen können sichauf Dauer jedoch in seiner Aktua-lität zeigen, sowohl hinsichtlich derzitierten Internetquellen als auchbezüglich rechtlicher Rahmenbe-dingungen und Fördermöglichkei-ten, die als Basis für die betriebs-wirtschaftlichen Beispielrechnun-gen im Band dienen. cb

t h

Page 59: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

IMPRESSUM

ISSN 0179-7603

Herausgeber Agrarsoziale Gesellschaft e.V.Postfach 11 44 / 11 45, 37001 Göttingen

GeschäftsführerDr. Dieter Czech

RedaktionDipl.-Ing. agr. Ines Fahning0551 / 49 70 9 - 26Layout: Nicolo Martin0551 / 49 70 9 - 0

Namentlich oder mit Initialen gekennzeichneteBeiträge geben die Meinung des Autors/derAutorin wieder. Sie ist nicht in jedem Fall iden-tisch mit der Meinung des Herausgebers oderder Redaktion.

Erscheinungsweise: sechsmal im Jahr

Druck Konrad PachnickeGüterbahnhofstraße 937073 Göttingen

Papier 100 % Recycling-Papier

Nachdruck und sonstige Verbreitung (auchauszugsweise): Nur mit Quellenangabe(Agrarsoziale Gesellschaft e.V., LändlicherRaum, ggf. Autor) erlaubt; Belegexemplarerbeten.

Bestellungen und AbonnentenserviceTelefon 0551/ 49 70 9 - 0Telefax 0551/ 49 70 9 - 16E-Mail [email protected] www.asg-goe.de

Die letzten drei Ausgaben können als pdf-Datei von der ASG-Hompage heruntergeladen werden.

Preise Der Preis für ein Jahresabonnement„Ländlicher Raum“ beträgt 36 Euro inkl. Porto.Für Mitglieder der ASG ist das Abonnementim Mitgliedsbeitrag enthalten.

Der ASG-Mitgliedsbeitrag beträgt 72 Euro,Studenten zahlen 36 Euro.

Konto Für Spenden und sonstige Förder-beiträge an die ASG:Sparkasse Göttingen;Konto-Nr. 108 700 6,BLZ: 260 500 01

Zitate - Folge 63 - Zitate - Folge 63

Zitate - Folge 63 - Zitate - Folge 63

„Wer die Gemeinschaftsaufgabe abschaf-fen will, gefährdet letztlich die gesamteländliche Entwicklungspolitik in Deutsch-land.“

- Dr. Willy BOß, Vorsitzender des Bundesverbandesder gemeinnützigen Landgesellschaften (BLG) -

„Es muss mehr Druck auf einige Partner ge-ben, ihre Agrarpolitik zu reformieren.“

- Pascal LAMY, EU-Handelskommissar, im Rahmender Welthandelsrunde in Bezug auf die amerikani-

sche Regierung, die ihre Subventionen in denvergangenen Jahren erhöht hat -

„Mit der Entkopplung ab kommendem Jahrerhalten die Landwirte ein wesentliches Stückunternehmerische Freiheit zurück.“

- Gerd SONNLEITNER, Präsident des DeutschenBauernverbandes -

„Die Eier-Landschaft ist durcheinander. ... Zuden Discount-Preisen, wie sie Aldi-Nord ein-geführt hat, kann dauerhaft niemand produ-zieren.“

- Werner BÖTTCHER, Zentrale Markt- und Preisbe-richtstelle (ZMP), zur Preissenkung von Aldi-Nord füreinen 10er Eier-Pack aus alternativer Bodenhaltung

von zuvor rund 1,59 • auf nur noch 69 Cent -

„Der Preis ist für die Verbraucher einfach dasentscheidende Kriterium.“

- Thomas JANNING, Bundesverband Deutsches Ei(BDE), zur Wiedereinführung von Eiern aus Käfig-

haltung bei Aldi-Nord -

Page 60: Agrarsoziale Gesellschaft e.V. - asg-goe.de · H 20781 55. Jahrgang Nr. 04, Juli/August 2004 Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Menschen mit Behinderung in der Landwirtschaft ... Nutzfläche,

Standort OstdeutschlandPerspektiven für den ländlichen Arbeitsmarkt

Vorträge der ASG-Frühjahrstagung vom 12. bis 15. Mai 2004

EröffnungStS. a. D. Dr. Hans-Hermann BENTRUP, Vorsitzender des Vorstandes der AgrarsozialenGesellschaft e.V.

GrußwortDr. Frank MOTZKUS, 1. Bürgermeister der Stadt Chemnitz

Begrüßungsvortrag

Entwicklungschancen für den ländlichen Raum unter verändertenagrarpolitischen Rahmenbedingungen und EU-OsterweiterungSteffen FLATH, Staatsminister für Umwelt und Landwirtschaft des Freistaates Sachsen

Festvortrag

Und nach uns …? – Perspektiven einer zukunftsfähigen GesellschaftBischof Dr. Wolfgang HUBER, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)

Vom Rand in die Mitte – Bringt die EU-Osterweiterung neueEntwicklungsimpulse für Wirtschaft und Beschäftigung in OstdeutschlandRainer KUTSCHKE, Landrat des Landkreises Riesa-Großenhain

Arbeitsplatzpotenziale in der Landwirtschaft und im landwirtschaftsnahenBereichProf. Dr. Theodor FOCK, Fachbereich Agrarwirtschaft und Landschaftsarchitektur, FachhochschuleNeubrandenburg

Raumentwicklung durch Wirtschaftsleuchttürme? – Wirkungen auf denländlichen RaumProf. Dr. Rainer WINKEL, Institut für Städtebau und Regionalplanung, Lehrstuhl für Landesplanungund Siedlungswesen, TU Dresden

Ländliche Grenzregionen in Sachsen – Abbruch, Umbruch oder Aufbruch

Univ.-Prof. Dr. Peter JURCZEK, Technische Universität Chemnitz, Professur für Sozial- undWirtschaftsgeographie

Agrarsoziale Gesellschaft e.V. (Hrsg.): Standort Ostdeutschland – Perspektiven für den ländlichenArbeitsmarkt, Schriftenreihe für ländliche Sozialfragen, Heft 143, 96 Seiten, 9,00 •, ASG-Mitglieder7,00 •, ISSN: 0800-7133

Neu

ersc

hei

nu

ng