12
11 Auflösbare Gruppen Übersicht 11.1 Normalreihen und Kompositionsreihen ................................ 121 11.2 Kommutatorgruppen ................................................ 125 11.3 Auflösbare Gruppen ................................................ 128 11.4 Untergruppen, Faktorgruppen und Produkte auflösbarer Gruppen ........ 129 11.5 Klassen auflösbarer Gruppen ......................................... 131 In Kapitel 10 haben wir die endlichen abelschen Gruppen klassifiziert. Im vorliegen- den Kapitel werden wir eine Verallgemeinerung abelscher Gruppen untersuchen – die auflösbaren Gruppen. Die Namensgebung hängt mit der Auflösbarkeit algebraischer Gleichungen zusammen; dieser Zusammenhang wird erst im Kapitel 30 erläutert. Bevor wir die auflösbaren Gruppen einführen, betrachten wir in einem ersten Abschnitt Gruppen, die eine Kompositionsreihe besitzen. Sie stehen in einem engen Zusammen- hang zu den auflösbaren Gruppen. 11.1 Normalreihen und Kompositionsreihen Es gibt Gruppeneigenschaften, von denen man nachweisen kann, dass sie in einer Grup- pe G gelten, sofern sie nur in einem Normalteiler N G und der Faktorgruppe G/N gelten. Um herauszufinden, ob eine solche Eigenschaft in N gilt, versucht man einen Normalteiler N N zu finden, sodass N und N/N diese Eigenschaft haben. Das macht man so lange, bis man bei einem kleinen Normalteiler angelangt ist, dem man die Eigenschaft direkt ansieht. Dann hat auch G diese Eigenschaft. 11.1.1 Normalreihen mit und ohne Wiederholungen Man nennt ein (r +1)-Tupel G =(G 0 ,G 1 ,...,G r ) von Untergruppen G i einer Gruppe G eine Normalreihe oder subinvariante Reihe von G, wenn {e} = G 0 G 1 ··· G r = G. C. Karpfinger, K. Meyberg, Algebra, DOI 10.1007/978-3-8274-3012-0_12, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

Algebra || Auflösbare Gruppen

  • Upload
    kurt

  • View
    213

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

11 Auflösbare Gruppen

Übersicht11.1 Normalreihen und Kompositionsreihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121

11.2 Kommutatorgruppen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125

11.3 Auflösbare Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128

11.4 Untergruppen, Faktorgruppen und Produkte auflösbarer Gruppen . . . . . . . . 129

11.5 Klassen auflösbarer Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131

In Kapitel 10 haben wir die endlichen abelschen Gruppen klassifiziert. Im vorliegen-den Kapitel werden wir eine Verallgemeinerung abelscher Gruppen untersuchen – dieauflösbaren Gruppen. Die Namensgebung hängt mit der Auflösbarkeit algebraischerGleichungen zusammen; dieser Zusammenhang wird erst im Kapitel 30 erläutert.Bevor wir die auflösbaren Gruppen einführen, betrachten wir in einem ersten AbschnittGruppen, die eine Kompositionsreihe besitzen. Sie stehen in einem engen Zusammen-hang zu den auflösbaren Gruppen.

11.1 Normalreihen und Kompositionsreihen

Es gibt Gruppeneigenschaften, von denen man nachweisen kann, dass sie in einer Grup-pe G gelten, sofern sie nur in einem Normalteiler N � G und der Faktorgruppe G/N

gelten. Um herauszufinden, ob eine solche Eigenschaft in N gilt, versucht man einenNormalteiler N ′

� N zu finden, sodass N ′ und N/N ′ diese Eigenschaft haben. Dasmacht man so lange, bis man bei einem kleinen Normalteiler angelangt ist, dem mandie Eigenschaft direkt ansieht. Dann hat auch G diese Eigenschaft.

11.1.1 Normalreihen mit und ohne Wiederholungen

Man nennt ein (r+1)-Tupel G = (G0, G1, . . . , Gr) von UntergruppenGi einer GruppeG eine Normalreihe oder subinvariante Reihe von G, wenn

{e} = G0 � G1 � · · · � Gr = G .

C. Karpfinger, K. Meyberg, Algebra, DOI 10.1007/978-3-8274-3012-0_12,© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

122 11 Auflösbare Gruppen

Die Faktorgruppen Gi/Gi−1 heißen die Faktoren der Normalreihe G. Gilt Gi−1 = Gi

für wenigstens ein i, so nennt man G eine Reihe mit Wiederholungen, sonst eineReihe ohne Wiederholungen, d. h. Gi−1 = Gi für alle i = 1, . . . , r.Zwei Normalreihen G = (G0, G1, . . . , Gr) und H = (H0, H1, . . . , Hs) einer GruppeG heißen äquivalent, wenn r = s und wenn es eine Permutation π der Indizes gibt,sodass Gi/Gi−1

∼= Hπ(i)/Hπ(i)−1.

Vorsicht. Ist G = (G0, G1, . . . , Gr) eine Normalreihe, so ist Gi−1 zwar ein Normal-teiler von Gi für i = 1, . . . , r, aber nicht zwangsläufig von G.

Beispiel 11.1Jede Gruppe G hat die Normalreihe ({e} , G). Der einzige existierende Faktor dieserReihe ist G/{e} ∼= G.Es ist G = ({Id} , A4 , S4) eine Normalreihe von S4.AuchH = ({Id} , 〈(1 2) (3 4)〉 , V4 , A4 , A4 , S4) ist eine Normalreihe von S4, wobeiV4 = {(1), (1 2) (3 4), (1 3) (2 4), (1 4) (2 3)}. Die Reihe H hat Wiederholungen. Esist 〈(1 2) (3 4)〉 zwar ein Normalteiler von V4, aber kein Normalteiler von S4.Es ist ({0} , 8Z , 4Z , 4Z , 2Z , Z) eine Normalreihe von Z.Wenn 〈a〉 zyklisch von der Ordnung 12 ist, sind

({e} , 〈a6〉 , 〈a3〉 , G) und ({e} , 〈a4〉 , 〈a2〉 , G)

äquivalente Normalreihen von 〈a〉.

Es ist eine einfache, aber wichtige Feststellung, dass man aus zwei äquivalenten Nor-malreihen mit Wiederholungen durch Fortlassen der durch Wiederholung auftreten-den Untergruppen zu äquivalenten Normalreihen ohne Wiederholungen gelangt. Dennunter einer eineindeutigen Zuordnung der Faktoren der einen Normalreihe zu den Fak-toren der anderen Normalreihe, bei der jeweils zugeordnete Faktoren isomorph sind,werden natürlich den nichttrivialen Faktoren auch nichttriviale Faktoren zugeordnet.Unter Weglassung der Wiederholungen haben die dann entstehenden Normalreihendie gleiche Anzahl von Faktoren (also gleiche Länge), die in geeigneter Reihenfolgezueinander isomorph sind.

11.1.2 Der Verfeinerungssatz von Schreier *

Eine Normalreihe H = (H0, H1, . . . , Hs) einer Gruppe G heißt eine Verfeinerungvon G = (G0, G1, . . . , Gr), wenn {G0, . . . , Gr} ⊆ {H0, . . . , Hs}, und diese nennt manecht, wenn {G0, . . . , Gr} � {H0, . . . , Hs} gilt.Wir führen vorab an einem Beispiel vor, was wir gleich allgemein beweisen wollen: Jezwei Normalreihen besitzen äquivalente Verfeinerungen:

11.1 Normalreihen und Kompositionsreihen 123

Beispiel 11.2Wir betrachten in der zyklischen Gruppe 〈a〉 der Ordnung 12 die zwei Normalreihen:

G = ({e}, 〈a4〉, 〈a〉) mit den Faktoren 〈a4〉/{e} ∼= Z3, 〈a〉/〈a4〉 ∼= Z4 und

H = ({e}, 〈a6〉, 〈a〉) mit den Faktoren 〈a6〉/{e} ∼= Z2, 〈a〉/〈a6〉 ∼= Z6 .

Wir verfeinern G zu G′ und H zu H′ so, dass G′ und H′ äquivalent sind: Offenbarkönnen wir dieses Problem lösen, wenn wir zum einen G so verfeinern, dass aus demFaktor Z4 zwei Faktoren Z2 entstehen und zum anderen H so verfeinern, dass aus demFaktor Z6 die zwei Faktoren Z2 und Z3 entstehen. Wir versuchen es mit:

G′ = ({e} , 〈a4〉 , 〈a2〉 , 〈a〉) , H′ = ({e} , 〈a6〉 , 〈a3〉 , 〈a〉) .

Und tatsächlich: Die Verfeinerungen G′ von G und H′ von H haben die gleichen Fak-toren Z3 , Z2 , Z2. Die beiden Nomalreihen sind also äquivalent.

Das wichtigste Ergebnis, das alle Normalreihen beherrscht, ist der folgende Satz:

Satz 11.1 (Verfeinerungssatz von Schreier)Je zwei Normalreihen einer Gruppe G besitzen äquivalente Verfeinerungen.

Beweis: Es seien (G0, G1, . . . , Gr) und (H0, H1, . . . , Hs) zwei Normalreihen einerGruppe G. Wir setzen:

Gij := Gi (Gi+1 ∩Hj) (i = 0, . . . , r − 1, j = 0, . . . , s) ,

Hij := Hj (Gi ∩Hj+1) (i = 0, . . . , r, j = 0, . . . , s− 1) .

Nach dem Schmetterlingslemma 4.15 gilt nun

Gij � Gi j+1 , Hij � Hi+1 j sowie Gi j+1/Gi j∼= Hi+1 j/Hi j .

Ferner gilt G0 0 = {e} = H0 0, Gr−1 s = G = Hr s−1 und

Gi s = Gi (Gi+1 ∩G) = Gi+1 = Gi+1 (Gi+2 ∩ {e}) = Gi+1 0 ,

Hr j = Hj (G ∩Hj+1) = Hj+1 = Hj+1 ({e} ∩Hj+2) = H0 j+1 .

Folglich ist

({e} = G0 0, G0 1, . . . , G0 s = G1 0, G1 1, . . . , G1 s = G2 0, . . . , Gr−1 0, . . . , Gr−1 s = G)

eine Verfeinerung von (G0, . . . , Gr), die zur Verfeinerung

({e} = H0 0, H1 0, . . . , Hr 0 = H0 1,H1 1, . . . , Hr 1 = H0 2, . . . , H0 s−1, . . . , Hr s−1 = G)

von (H0, . . . , Hs) äquivalent ist.

124 11 Auflösbare Gruppen

Beispiel 11.3Es sind ({0} , 30Z , 10Z , 2Z , Z) und ({0} , 24Z , 3Z , Z) Normalreihen von Z. Dienach dem konstruktiven Beweis von Satz 11.1 äquivalenten gewonnenen Verfeinerungensind nach Weglassen der Wiederholungen

({0} , 120Z , 30Z , 10Z , 2Z , Z) und ({0} , 120Z , 24Z , 6Z , 3Z , Z)

mit den Faktoren Z , Z4 , Z3 , Z5 , Z2 und Z , Z5 , Z4 , Z2 , Z3.

11.1.3 Kompositionsreihen

Der Satz von Schreier legt es nahe, solche Reihen zu betrachten, die nicht mehr verfei-nert werden können, ohne dass Wiederholungen auftreten. Dazu eine Vorbetrachtung:Ein Normalteiler N einer Gruppe G heißt maximal, wenn N von G verschieden istund für jeden Normalteiler V von G mit N ⊆ V ⊆ G stets V = N oder V = G folgt.Die einfachen Gruppen sind also genau jene, in denen {e} maximaler Normalteiler ist.Eine Verallgemeinerung, die unmittelbar aus dem Korrespondenzsatz 4.13 folgt, ist:

Lemma 11.2Ein Normalteiler N von G ist genau dann maximal, wenn die Gruppe G/N einfachist.

Beispiel 11.4Jeder Normalteiler N einer Gruppe G, dessen Index in G eine Primzahl p ist, istmaximal. Die Faktorgruppe G/N hat nämlich in dieser Situation die Ordnung p undist daher nach dem Satz von Lagrange 3.9 einfach. Somit sind die Untergruppen pZ,p prim, von Z maximal.

Nun beschreiben wir die Normalreihen, die nicht echt verfeinert werden können: EineNormalreihe G = (G0, . . . , Gr) einer Gruppe G heißt Kompositionsreihe von G,wenn Gi maximaler Normalteiler von Gi+1 ist für jedes i = 0, . . . , r−1 oder äquivalentdazu, wenn sämtliche Faktoren Gi+1/Gi (i = 0, . . . , r− 1) einfache Gruppen sind. DieFaktoren einer Kompositionsreihe heißen Kompositionsfaktoren.Man beachte, dass Kompositionsreihen per Definition keine Wiederholungen haben.

Beispiel 11.5Jede endliche Gruppe G hat Kompositionsreihen: Wenn G einfach ist, ist ({e} , G)

eine solche, ansonsten wähle man sukzessive maximale Normalteiler G � N1 �

· · · � Nr � {e}. Es ist dann ({e} , Nr , . . . , N1 , G) eine Kompositionsreihe.Die Gruppe Z besitzt keine Kompositionsreihe. Es gilt nämlich

{0} � 2nZ � nZ für jedes n ∈ N .

Folglich kann jede Normalreihe von Z echt verfeinert werden.

11.2 Kommutatorgruppen 125

Die symmetrische Gruppe S4 hat die Kompositionsreihe

({Id} , 〈(1 2) (3 4)〉 , {(1), (1 2) (3 4), (1 3) (2 4), (1 4) (2 3)} , A4 , S4) .

Wenn 〈a〉 zyklisch von der Ordnung 12 ist, sind

({e} , 〈a6〉 , 〈a3〉 , G) und ({e} , 〈a4〉 , 〈a2〉 , G)

Kompositionsreihen.

11.1.4 Der Satz von Jordan-Hölder *

Nicht jede Gruppe besitzt Kompositionsreihen (etwa Z). Aber falls eine solche existiert,so sind je zwei äquivalent. Ist nämlich G eine Gruppe mit den beiden Kompositions-reihen

G = (G0, G1, . . . , Gr) und H = (H0, H1, . . . , Hs) ,

so haben beide Reihen per Definition keine Wiederholungen. Verfeinern wir nun beideReihen mit dem Verfeinerungssatz von Schreier zu äquivalenten Normalreihen, so kanndiese Verfeinerung nicht echt sein – es werden höchstens Wiederholungen eingefügt.Wenn wir aber in den beiden äquivalenten Reihen die Wiederholungen streichen, er-halten wir die ursprünglichen Reihen zurück, die dann ebenso äquivalent sind. Damitist bewiesen:

Satz 11.3 (Satz von Jordan-Hölder)Besitzt eine Gruppe Kompositionsreihen, so sind je zwei Kompositionsreihen dieserGruppe äquivalent.

Man beachte das letzte Beispiel in Beispiel 11.5.

11.2 Kommutatorgruppen

Die Kommutatorgruppe einer Gruppe G ist ein Maß für die Kommutativität von G: Jekleiner die Kommutatorgruppe ist, desto mehr Elemente von G kommutieren mitein-ander.

11.2.1 Kommutatoren

Es sei G eine Gruppe. Für a, b ∈ G wird das Produkt

[a, b] := a b a−1 b−1

126 11 Auflösbare Gruppen

als Kommutator von a und b bezeichnet. Die von allen Kommutatoren erzeugteUntergruppe G′ von G heißt Kommutatorgruppe von G:

G′ = 〈{[a, b] | a, b ∈ G}〉 .

Wegen [a, b]−1 = [b, a] besteht G′ also nach dem Darstellungssatz 3.2 aus allen endli-chen Produkten von Kommutatoren. Man beachte, dass das Produkt von Kommuta-toren nicht zwangsläufig wieder ein Kommutator ist.Es gilt für alle a, b ∈ G:

a b = [a, b] b a .

Insofern ist also der Kommutator [a, b] eine Größe, die angibt, inwieweit a und b nichtmiteinander kommutieren. Man erkennt auch sofort, dass eine Gruppe G genau dannabelsch ist, wenn die Kommutatorgruppe G′ nur aus dem neutralen Element e von G

besteht. Wichtig ist:

Lemma 11.4Die Kommutatorgruppe G′ einer Gruppe G ist ein Normalteiler von G.

Beweis: Es seien x ∈ G und k ∈ G′. Dann gilt k = k1 · · · kr mit Kommutatorenki = [ai, bi], ai, bi ∈ G für i = 1, . . . , r. Wegen

x ki x−1 = x [ai, bi] x

−1 = [xai x−1, x bi x

−1]

undx k x−1 = x k1 · · · kr x−1 = x k1 x

−1 x k2 x−1 · · · x kr x

−1

ist x k x−1 ein Produkt von Kommutatoren, d. h. xG′ x−1 ⊆ G′. Die Behauptung folgtnun aus Lemma 4.1.

11.2.2 Abelsche Faktorgruppen

Der folgende Satz liefert ein Kriterium dafür, wann die Faktorgruppe nach einemNormalteiler N abelsch ist:

Lemma 11.5Es sei N ein Normalteiler einer Gruppe G. Die Faktorgruppe G/N ist genau dannabelsch, wenn G′ ⊆ N gilt.

Beweis: Es gilt:

G/N ist abelsch ⇔ a bN = aN bN = bN aN = b aN für alle a, b ∈ G

⇔ a−1 b−1 a bN = N für alle a, b ∈ G

⇔ a−1 b−1 a b = [a−1, b−1] ∈ N für alle a, b ∈ G

⇔ G′ ⊆ N .

11.2 Kommutatorgruppen 127

Wegen der Lemmata 11.4 und 11.5 gilt:

Korollar 11.6Für jede Gruppe G ist die Faktorgruppe G/G′ abelsch.

Beispiel 11.6Bezeichnet V4 die zur Klein’schen Vierergruppe isomorphe Untergruppe

{(1), (1 2) (3 4), (1 3) (2 4), (1 4) (2 3)}

von S4, so gilt:

S′3 = A3 , A′

3 = {Id} und A′4 = V4 , V ′

4 = {e} .

Das folgt unmittelbar aus dem folgenden Ergebnis, man beachte auch, dass A3 und V4

abelsch sind.

Lemma 11.7(a) S′

n = An für jedes n ≥ 1.

(b) A′n = An für jedes n ≥ 5

Beweis: (a) Der Fall n = 1 ist klar. Der Fall n = 2: S2 ist abelsch und A2 = {Id},also gilt S′

2 = A2. Es sei nun n ≥ 3. Für verschiedene a, b, c ∈ In := {1, . . . , n} gilt:

(a b c) = (a c b)2 = (a c) (c b) (a c) (c b) = [(a c), (c b)] ,

da jede Transpositionen gleich ihrem Inversen ist. Damit liegen alle 3-Zyklen in S′n,

nach Lemma 9.8 gilt An ⊆ S′n. Wegen |Sn/An| = 2 ist die Faktorgruppe Sn/An

abelsch. Also gilt wegen Lemma 11.5 auch die Implikation S′n ⊆ An, d. h. S′

n = An.(b) Da An für n ≥ 5 nicht abelsch ist und A′

n ein Normalteiler von An ist, gilt A′n = An

nach Satz 9.11.

11.2.3 Höhere Kommutatorgruppen

Es ist naheliegend, die Kommutatorbildung zu iterieren, also von der Kommutator-gruppe G′ die Kommutatorgruppe (G′)′ zu bilden etc. Wir erklären induktiv eineFolge von Untergruppen einer Gruppe G:

G(0) := G , G(n) := (G(n−1))′ für alle n ∈ N .

Die Folge (G(0), G(1), . . .) von Untergruppen G(i) von G hat die Eigenschaft G(i+1)�

G(i) für alle i ∈ N:G(0)

� G(1)� · · ·

128 11 Auflösbare Gruppen

Beispiel 11.7Es gilt etwa

S(3)4 = ((S′

4)′)′ = (A′

4)′ = V ′

4 = {Id} ,

also{Id} � V4 � A4 � S4 .

Es folgen Rechenregeln für diese höheren Kommutatorgruppen.

Lemma 11.8Es seien U eine Untergruppe und N ein Normalteiler einer Gruppe G, H sei eineweitere Gruppe. Dann gilt für alle n ∈ N0:

(a) U (n) ⊆ G(n).

(b) (G/N)(n) = G(n) N/N ∼= G(n)/G(n) ∩N .

(c) (G×H)(n) = G(n) ×H(n).

Beweis: (a) und (c) sind klar.(b) Wir zeigen die Behauptung mit vollständiger Induktion. Für n = 0 ist die Aussageklar. Aus der Definition und der Induktionsvoraussetzung folgt

(G/N)(n+1) = ((G/N)(n))′ = (G(n) N/N)′ .

Die Elemente von G(n) N/N sind von der Form kN mit k ∈ G(n) (man beachteaN = N für a ∈ N). Damit wird (G(n) N/N)′ erzeugt von

{aN bN a−1N b−1N = [a, b]N | a, b ∈ G(n)} .

Dies ist aber auch ein Erzeugendensystem für G(n+1)N/N . Das ergibt die Gleichheitin (b), die angegebene Isomorphie folgt aus dem ersten Isomorphiesatz 4.12.

11.3 Auflösbare Gruppen

Eine Gruppe G mit neutralem Element e heißt auflösbar, falls es ein m ∈ N mitG(m) = {e} gibt:

G(0)� G(1)

� · · · � G(m) = {e} .

Beispiel 11.8Jede abelsche Gruppe G ist wegen G′ = {e} auflösbar. Also sind die auflösbarenGruppen eine Verallgemeinerung der abelschen Gruppen.Nach dem obigen Beispiel 11.7 ist die nichtabelsche Gruppe S4 auflösbar.Jede nichtabelsche, einfache Gruppe ist nicht auflösbar.

11.4 Untergruppen, Faktorgruppen und Produkte auflösbarer Gruppen 129

Bemerkung. Die auflösbaren Gruppen spielen eine entscheidende Rolle in der Theoriezur Auflösbarkeit algebraischer Gleichungen. Diesem Zusammenhang haben sie auchihren Namen zu verdanken.Wir werden uns im Kapitel 30 mit diesen Zusammenhängenauseinandersetzen.Für die Theorie zur Auflösbarkeit algebraischer Gleichung ist das folgende Ergebnisvon Interesse:

Lemma 11.9Für jedes n ≥ 5 ist die symmetrische Gruppe Sn nicht auflösbar.

Beweis: Es sei n ≥ 5. Nach Lemma 11.7 gilt S(i)n = An für jedes i ≥ 1, insbesondere

gilt also S(i)n = {Id} für alle i ∈ N.

11.4 Untergruppen, Faktorgruppen und Produkteauflösbarer Gruppen

Für die Gruppen Sn, An und alle abelschen Gruppen ist die Frage nach der Auflösbar-keit entschieden. Im Gegensatz zu diesen Gruppen kann man die Kommutatorgrup-pen anderer Gruppen häufig nicht so leicht bestimmen. Die Rechenregeln in Lemma11.8 lassen sofort Folgerungen für auflösbare Gruppen zu: Mit G(m) = {e} gilt auchU (m) = {e} und (G/N)(m) = {e} für jede Untergruppe U und jeden Normalteiler Nvon G. Das zeigt:

Lemma 11.10(a) Jede Untergruppe einer auflösbaren Gruppe ist auflösbar.

(b) Jede Faktorgruppe einer auflösbaren Gruppe ist auflösbar.

(c) Jedes direkte Produkt auflösbarer Gruppen ist auflösbar.

Der nächste Satz ist wesentlich – es gilt in gewissem Sinne auch die Umkehrung vonLemma 11.10:

Satz 11.11Es sei N ein Normalteiler einer Gruppe G. Sind N und G/N auflösbar, so ist auch G

auflösbar.

Beweis: Da G/N auflösbar ist, gibt es ein m ∈ N0 mit (G/N)(m) = {N}. AusLemma 11.8 (b) folgt dann G(m) N = N bzw. G(m) ⊆ N . Da auch N auflösbar ist,etwa N (r) = {e}, folgt erneut aus Lemma 11.8 G(m+r) ⊆ N (r) = {e}. Somit ist G

auflösbar.

130 11 Auflösbare Gruppen

Die Auflösbarkeit ist also eine der Gruppeneigenschaften, die sich von einem Normal-teiler N und der Faktorgruppe G/N auf G überträgt. Nach den einleitenden Bemer-kungen haben wir daher gute Erfolgsaussichten, wenn wir bei Auflösbarkeitsfragen dieNormalreihen bzw. Kompositionsreihen ins Spiel bringen.

11.4.1 Auflösbarkeit und abelsche Normalreihen

Wenn G eine auflösbare Gruppe ist, G(m) = {e}, dann ist G = (G(m), . . . , G(0)) nachKorollar 11.6 eine Normalreihe mit abelschen Faktoren G(i)/G(i+1). Eine NormalreiheG einer Gruppe G mit abelschen Faktoren nennt man kurz abelsche Normalreihe.Eine auflösbare Gruppe hat also eine abelsche Normalreihe. Es gilt auch die Umkeh-rung:

Lemma 11.12Eine Gruppe ist genau dann auflösbar, wenn sie eine abelsche Normalreihe besitzt.

Beweis: Wir begründen die Aussage mit vollständiger Induktion nach der Länge n

der Normalreihe einer Gruppe.Der Fall n = 1: Ist G eine Gruppe mit abelscher Normalreihe G = ({e} = G0, G) derLänge 1, so ist G ∼= G/{e} abelsch, folglich auflösbar.Es seien alle Gruppen mit abelschen Normalreihen der Länge < n auflösbar, und essei G = ({e} = G0, . . . , Gn = G) eine abelsche Normalreihe einer Gruppe G der Längen. Dann ist ({e} = G0, . . . , Gn−1) eine abelsche Normalreihe von Gn−1 der Längen − 1. Also ist Gn−1 nach Induktionsvoraussetzung auflösbar. Da Gn−1 zudem einNormalteiler in G mit abelscher, also auflösbarer Faktorgruppe G/Gn−1 ist, folgt mitSatz 11.11 die Auflösbarkeit von G.

11.4.2 Auflösbarkeit und Kompositionsreihen

Wir untersuchen die Konsequenzen der Auflösbarkeit einer Gruppe G im Fall, dass G

eine Kompositionsreihe besitzt. Vorab ein Hilfssatz:

Lemma 11.13Jede Verfeinerung einer abelschen Normalreihe ist abelsch.

Beweis: Es sei G = ({e} = G0, . . . , Gr) eine abelsche Normalreihe. Da wir jedeVerfeinerung erhalten, indem wir endlich oft je eine passende Untergruppe einfügen,genügt es zu zeigen, dass in der Verfeinerung (. . . , Gi, H, Gi+1, . . .) auch die FaktorenGi+1/H und H/Gi abelsch sind. Als Untergruppe der abelschen Gruppe Gi+1/Gi istH/Gi abelsch. Und die Gruppe Gi+1/H ist nach dem zweiten Isomorphiesatz 4.14isomorph zur Faktorgruppe (Gi+1/Gi)/(H/Gi) einer abelschen Gruppe, insbesondereebenfalls abelsch.

11.5 Klassen auflösbarer Gruppen 131

Ist G eine auflösbare Gruppe mit einer Kompositionsreihe, so besitzt G nach Lemma11.12 auch eine abelsche Normalreihe. Beide Reihen können nun nach dem Verfeine-rungssatz von Schreier zu äquivalenten Normalreihen verfeinert werden, welche dannnach Lemma 11.13 abelsch sind. Da aber eine Verfeinerung einer Kompositionsreihenur durch Einfügen von Wiederholungen möglich ist, ist die Kompositionsreihe selbstbereits abelsch. Die Kompositionsfaktoren sind dann einfache abelsche Gruppen undals solche zyklisch und von Primzahlordnung. Damit ist unter Berücksichtigung vonLemma 11.12 bewiesen:

Lemma 11.14Es sei G eine Gruppe mit Kompositionsreihe. G ist genau dann auflösbar, wenn dieKompositionsfaktoren von G Primzahlordnung haben.

Korollar 11.15Eine auflösbare Gruppe G besitzt genau dann eine Kompositionsreihe, wenn G endlichist.

Beweis: Jede endliche Gruppe besitzt eine Kompositionsreihe. Es sei G also auf-lösbar und G = (G0, . . . , Gr) eine Kompositionsreihe. Nach Lemma 11.14 gilt füri = 0, . . . , r − 1:

|Gi+1| = |Gi+1/Gi| |Gi| = p |Gi|

mit einer Primzahl p. Somit gilt |G| = p1 · · · pr−1 für Primzahlen p1, . . . , pr−1.

11.5 Klassen auflösbarer Gruppen

Es gibt zahlreiche Beispiele auflösbarer Gruppen. So ist jede abelsche Gruppe auflösbar.Wir geben weitere Beispielsklassen an:

Lemma 11.16Jede p -Gruppe (p eine Primzahl) ist auflösbar.

Beweis: Mit vollständiger Induktion nach |G|: Es sei G = {e} eine p -Gruppe. NachSatz 7.7 ist das Zentrum Z(G) von G nichttrivial, {e} = Z(G) � G, und Z(G) istabelsch, also auflösbar. Nach Induktionsvoraussetzung ist G/Z(G) auflösbar. Die Be-hauptung folgt daher aus Satz 11.11.

Lemma 11.17Jede Gruppe G der Ordnung p q (p, q Primzahlen) ist auflösbar.

Beweis: Wegen Lemma 11.16 können wir p < q voraussetzen. Nach Lemma 8.7 undSatz 8.6 existiert in G ein auflösbarer Normalteiler N (da |N | = q) mit auflösbarerFaktorgruppe G/N (da |G/N | = p). Nach Satz 11.11 ist G auflösbar.

132 11 Auflösbare Gruppen

Bemerkung. Wir geben schließlich zwei berühmte Sätze an. Die Beweise erfordernwesentlich mehr Hilfsmittel, als wir bisher bereitgestellt haben:

Der pα qβ-Satz von Burnside: Jede Gruppe der Ordnung pα qβ (mit Primzahlenp, q und natürlichen Zahlen α, β) ist auflösbar.Der Satz von Feit-Thompson: Jede Gruppe ungerader Ordnung ist auflösbar.

Der Satz von Feit-Thomson wurde im Jahre 1963 bewiesen. Der Originalbeweis ist –mit allen Hilfssätzen – 274 Seiten lang. Ein kurzer Beweis wird nach wie vor gesucht.

Aufgaben

11.1 Zeigen Sie: Jede abelsche Gruppe G, die eine Kompositionsreihe besitzt, ist endlich.

11.2 Geben Sie zu den beiden Normalreihen

Z � 15Z � 60Z � {0} und Z � 12Z � {0}

äquivalente Verfeinerungen und die zugehörigen Faktoren an.

11.3 Man gebe alle möglichen Kompositionsreihen der Gruppe Z24 mit den zugehörigenFaktoren an.

11.4 Man gebe eine Kompositionsreihe für Zpk an (p eine Primzahl).

11.5 Man bestimme die abgeleitete Reihe

D(0)n � D(1)

n � · · ·

für die Diedergruppe Dn, n ∈ N. Für welche n ist die Diedergruppe Dn auflösbar?

11.6 Man bestimme die abgeleitete Reihe

Q(0)� Q(1)

� · · ·

für die Quaternionengruppe Q (vgl. Beispiel 2.1 auf Seite 19). Ist die Quaternionen-gruppe auflösbar?

11.7 Zeigen Sie, dass jede Gruppe G der Ordnung p2q mit Primzahlen p, q auflösbar ist.

11.8 Zeigen Sie, dass jede Gruppe G der Ordnung < 60 auflösbar ist.