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Lie-Gruppen und Lie-Algebren g

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Lie-Gruppenund

Lie-Algebren

g

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Fassung vom 23. August 2006.

Der Text wurde mit dem pxfonts-Paket fur LaTeX gesetzt.

Zum Erstellen der Grafiken wurden die Programme OmniGraffle, xfig und MuPAD verwendet.

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Vorwort

Dieses Manuskript ist eine Ausarbeitung der zweisemestrigen Vorlesung uber Lie-Grup-pen und Lie-Algebren, die ich im Wintersemester 2004/2005 und Sommersemester 2005an der Universitat Karlsruhe gehalten habe. Es ist enstanden aus einer Mitschrift vonWolfgang Globke, die gemeinsam uberarbeitet und erganzt wurde.

Die Vorlesung wurde von Studierenden der Mathematik und Physik ab dem 5. Seme-ster und von Studierenden der Informatik mit Vertiefungsgebiet Mathematik besucht.Eines der Ziele der Vorlesung ist es gewesen, Studierenden nach dem Grundstudiumeinen Einstieg in die Theorie der Lie-Gruppen zu ermoglichen, ohne vertiefte Kenntnis-se in der Theorie der differenzierbaren Mannigfaltigkeiten (zum Beispiel den Satz vonFrobenius) oder aus der Topologie vorauszusetzen. Dieses Konzept soll sich auch in demneu einzufuhrenden Bachelor-/Masterstudiengang Mathematik bewahren. Hier bietet derbehandelte Stoff einen wurdigen Abschluss eines Bachelorstudiums und zugleich eine so-lide Grundlage fur vertiefte Studien im Rahmen eines Masterstudiums fur den BereichAlgebra und Geometrie.

Entsprechend dieser Vorgabe wurde im ersten Teil der Vorlesung ein Zugang uber dieleichter zugangliche Theorie der linearen Lie-Gruppen gewahlt. Der große Vorteil ist,dass die Lie-Algebra und die Exponentialabbildung linearer Gruppen direkt zuganglichsind. Die klassischen grundlegenden Satze uber Lie-Gruppen konnen so mit direktenMethoden bewiesen werden. In den Anhangen findet sich eine knappe Darstellung dererganzenden benotigten Grundlagen.

Der weitaus großte Teil des Manuskripts widmet sich der Theorie der Lie-Algebren, dieauf Konzepten der linearen Algebra aufbaut. Es wird ein Rundgang uber die bekannteTheorie der endlichdimensionalen Lie-Algebren geboten. Dazu gehoren die allgemeineStukturtheorie (zum Beispiel die Levi-Zerlegung) und eine Darstellung der Klassifikati-onstheorie der halbeinfachen Lie-Algebren. In der Entwicklung der Strukturtheorie nut-zen wir die Gelegenheit, die zugehorigen kohomologischen Methoden vorzustellen. Dieexplizite Konstruktion der einfachen speziellen Lie Algebra g2 gab eine willkommeneGelegenheit, die Algebra der Oktonionen und nichtassoziative Algebren zu diskutieren.In diesem Kapitel kulminiert die Darstellung und es werden so ziemlich alle der bereitsentwickelten Konzepte noch einmal aufgegriffen.

Jedes Kapitel ist mit Ubungsaufgaben erganzt, die ein wichtiger Teil der Darstellungsind, und den Leser zur vertieften Auseinandersetzung mit dem Stoff anregen sol-len. Ausdrucklich erwahnen mochte ich zusatzlich die von Wolfgang Globke hinzu-gefugten Anhange, und insbesondere den erganzenden Exkurs in die Behandlung von(Lie-)Algebren mit dem Computeralgebrasystem GAP, der zum selbststandigen weiterenExperimentieren einladt.

Ich bin Wolfgang Globke zu großem Dank verpflichtet, der die Initiative ergriffen hat,dieses Manuskript zu erstellen. Auch die ansprechende optische Gestaltung ist seinemEngagement zu verdanken.

Karlsruhe, im Sommer 2006 Oliver Baues

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Inhaltsverzeichnis v

Inhaltsverzeichnis

1 Lie-Gruppen 1

1.1 Lineare Lie-Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

1.2 Lie-Algebren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

1.3 Homomorphismen von linearen Lie-Gruppen und Lie-Algebren . . 21

1.4 Die Baker-Campbell-Hausdorff-Formel . . . . . . . . . . . . . . . . 27

1.5 Lie-Untergruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

1.6 Lie-Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

1.7 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40

2 Auflosbare, nilpotente und halbeinfache Lie-Algebren 45

2.1 Auflosbare und nilpotente Lie-Algebren . . . . . . . . . . . . . . . . 45

2.2 Die Satze von Lie und Engel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

2.3 Die Killing-Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

2.4 Das Kriterium von Cartan fur Auflosbarkeit . . . . . . . . . . . . . . 59

2.5 Halbeinfache Lie-Algebren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62

2.6 Das Kriterium von Cartan fur Halbeinfachheit . . . . . . . . . . . . 64

2.7 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68

3 Lie-Algebra-Kohomologie und Levi-Zerlegung 71

3.1 Derivationen einer halbeinfachen Lie-Algebra . . . . . . . . . . . . 71

3.2 Erweiterungen von Lie-Algebren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72

3.3 Die Lemmata von Whitehead . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79

3.4 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84

4 Struktur der komplexen halbeinfachen Lie-Algebren 87

4.1 Die klassischen Lie-Algebren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87

4.2 Gewichtszerlegungen von Darstellungen . . . . . . . . . . . . . . . 92

4.3 Cartan-Unteralgebren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94

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vi Inhaltsverzeichnis

4.4 Cartan-Unteralgebren von halbeinfachen Lie-Algebren . . . . . . . 102

4.5 Darstellungen halbeinfacher Lie-Algebren . . . . . . . . . . . . . . . 105

4.6 Die irreduziblen Darstellungen von sl2(C) . . . . . . . . . . . . . . . 108

4.7 Die Wurzelzerlegung einer halbeinfachen Lie-Algebra . . . . . . . . 113

4.8 Darstellungen kompakter Lie-Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . 116

4.9 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117

5 Wurzelsysteme 119

5.1 Wurzelsysteme und Spiegelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119

5.2 Wurzelsysteme von halbeinfachen Lie-Algebren . . . . . . . . . . . 121

5.3 Basen von Wurzelsystemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124

5.4 Cartan-Matrizen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130

5.5 Die Weyl-Gruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131

5.6 Coxeter-Graphen und Dynkin-Diagramme . . . . . . . . . . . . . . 137

5.7 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140

6 Klassifikation komplexer einfacher Lie-Algebren 141

6.1 Borel-Unteralgebren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141

6.2 Weyl-Basen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143

6.3 Die Hauptsatze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144

6.4 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145

7 Die Lie-Algebra g2 147

7.1 Die Cayley-Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147

7.2 Die Derivationsalgebra der Cayley-Zahlen . . . . . . . . . . . . . . 150

7.3 g2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155

7.4 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156

A Topologische Grundbegriffe 159

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Inhaltsverzeichnis vii

B Differenzierbare Mannigfaltigkeiten 162

C Die Jordan-Zerlegung 164

D Tabellen 165

D.1 Wichtige Lie-Gruppen und ihre Lie-Algebren . . . . . . . . . . . . . 165

D.2 Wurzelsysteme vom Rang 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165

D.3 Dynkin-Diagramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166

D.4 Komplexe einfache Lie-Algebren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167

E Spezielle Anwendungen 168

E.1 Elementarteilchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168

E.2 Robotik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171

F Lie-Algebren mit GAP 175

G Geschichte 178

Literatur 181

Index 185

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1

1 Lie-Gruppen

1.1 Lineare Lie-Gruppen

Definition 1.1 Sei (G, ) eine Gruppe und G als Menge mit einer Topologie verse-hen. Gilt dann

1. die Abbildung G×G→ G, (x, y) 7→ x y ist stetig bzgl. der Produkttopologieauf G ×G,

2. die Abbildung G→ G, x 7→ x−1 ist stetig,

so nennt man G eine topologische Gruppe.

Bemerkung 1.2 Ist G eine topologische Gruppe und H eine Untergruppe von G,so ist H mit der induzierten Topologie auch eine topologische Gruppe.

Beispiel 1.3 Topologische Gruppen.

1. Jede Gruppe versehen mit der diskreten Topologie ist eine topologischeGruppe.

2. (Rn,+) mit der Standardtopologie ist eine topologische Gruppe. Die Unter-gruppe (Zn,+) hat als induzierte Topologie die diskrete Topologie.

3. (C,+) ist ebenso eine topologische Gruppe. C× = C\0 ist mit der Multipli-kation eine topologische Gruppe.

4. Die KreisgruppeS1 = z ∈ C× | zz = |z|2 = 1

ist eine topologische Untergruppe von C×.

5. R× = R\0 ist mit der Multiplikation eine topologische Gruppe. Die GruppeR>0 ist eine zusammenhangende topologische Untergruppe von R×.

Definition 1.4 Sind G,H topologische Gruppen und f : G → H ein Gruppen-homomorphismus und stetig, so heißt f ein Homomorphismus in der Katego-rie der topologischen Gruppen (oder Morphismus topologischer Gruppen). EinGruppenisomorphismus f : G → H ist ein Isomorphismus von topologischenGruppen, wenn f und f−1 stetig sind.

Beispiel 1.5 Morphismen von topologischen Gruppen.

1. Seien H,G topologische Gruppen, H ⊂ G. Die Inklusionsabbildung H → Gist ein Morphismus.

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2 1 Lie-Gruppen

2. Die Exponentialabbildung

exp : R→ S1, ϕ 7→ eiϕ

ist ein Morphismus und Kern(exp) = 2πZ ⊂ R eine diskrete topologischeUntergruppe.

3. Die Exponentialfunktion

exp : (R,+)→ (R>0, ·), t 7→ et

ist ein Morphismus mit exp−1 = log : R>0 → R, s 7→ log s. Sie ist ein Isomor-phismus von topologischen Gruppen.

4. Es bezeichne Matn(K) die Algebra der n × n-Matrizen uber dem Korper K.Die Gruppe der invertierbaren Matrizen uber K = R

GLn(R) = A ∈Matn(R) | det(A) , 0

ist eine topologische Gruppe (vgl. Satz 1.6)

5. Die Matrizengruppe

H =

(1 t0 1

) ∣∣∣∣ t ∈ R⊂ Mat2(R)

ist eine topologische Untergruppe von GL2(R). Die Abbildung

(R,+)→ H, t 7→(1 t0 1

)

ist ein Isomorphismus von topologischen Gruppen.

Satz 1.6 GLn(R) ist mit der Standardtopologie desRn2eine topologische Gruppe.

B: Die Matrizenmultiplikation ist offensichtlich stetig. Auch A 7→ A−1 iststetig: Fur A = (ai j) ist A−1 = 1

det(A)A# mit A# = (a#

i j), a#

i j= (−1)i+ j det A(i, j), wobei A(i, j)

durch Streichen der i-ten Zeile und der j-ten Spalte aus A entsteht. Damit hangendie Koeffizienten von A−1 stetig von denen von A ab und das Invertieren ist somitstetig.

Bemerkung 1.7 det : GLn(R) → R× ist ein Morphismus von topologische Grup-pen.

Definition 1.8 Ist G eine topologische Gruppe, so heißt

G0 = g ∈ G | es gibt einen stetigen Weg c : [0, 1]→ G mit c(0) = 1G, c(1) = g

die (Weg-)Zusammenhangskomponente der Eins in G.

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1.1 Lineare Lie-Gruppen 3

Lemma 1.9 G0 ist ein Normalteiler von G.

B: Sei g ∈ G und h ∈ G0. Sei c ein stetiger Weg mit c(0) = 1G, c(1) = h.Dann definiert cg(t) := gc(t)g−1 einen stetigen Weg in G mit der Eigenschaftcg(0) = 1G, c

g(1) = gc(1)g−1 = ghg−1. Damit ist ghg−1 ∈ G0 und G0 hat die Nor-malteilereigenschaft. Analog zeigt man: G0 ist eine Untergruppe.

Lemma 1.10 Sei G eine zusammenhangende topologische Gruppe und V ⊆ G eineoffene Umgebung von 1G. Dann stimmt die von V in G erzeugte Untergruppe 〈V〉mit G uberein.

B: Schreibe H := 〈V〉. Wegen 1G ∈ H ist H , ∅. Also folgt H = G, wenn manzeigt, dass H offen und abgeschlossen ist.Es ist V offene Teilmenge von H und fur jedes g ∈ H ist gV eine offene Umgebungvon g, die in H enthalten ist. Somit ist H offen. Die Gruppe G lasst sich als disjunkteVereinigung der Nebenklassen gH von H darstellen:

G = H.

∪.⋃

gH.

Da alle Nebenklassen offen sind, ist G\H offen als Vereinigung offener Mengen.Also ist H abgeschlossen in G und folglich H = G.

Definition 1.11 Die Gruppe

On(R) = A ∈ GLn(R) | AA⊤ = In

bezeichnet man als orthogonale Gruppe uber R, und ihre Untergruppe

SOn(R) = A ∈ On(R) | det(A) = 1.

bezeichnet man als spezielle orthogonale Gruppe uber R.

Satz 1.12 Fur die orthogonalen Gruppen gilt:

1. On(R) ist kompakt.

2. On(R)0 = SOn(R).

B:

1. Spur(AA⊤) =∑

i, j a2i j= ‖A‖2 definiert eine positiv definite quadratische Form

auf dem Vektorraum aller n × n-Matrizen. Damit gilt ‖A‖2 = n fur alleElemente von On(R). Folglich ist On(R) eine beschrankte Teilmenge vonRn2

. Da On(R) nach Bemerkung A.12 abgeschlossen ist, ist On(R) kompakt.

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4 1 Lie-Gruppen

2. Jede Matrix B ∈ SOn(R) lasst sich mit Hilfe einer orthogonalen Matrix H ineine Normalform der Gestalt

H−1BH =

(1)D(α1)

. . .D(αk)

=: A(α1, ..., αk)

uberfuhren (wobei die 1 nur bei ungerader Dimension auftritt), mit Dreh-matrizen

D(α j) =

(cos(α j) sin(α j)− sin(α j) cos(α j)

).

Die Matrix A(α1, ..., αk) lasst sich durch einen stetigen Weg mit In verbinden.Da SOn(R) ein Normalteiler ist, lassen sich auch B = HA(α1, ..., αk)H

−1 undIn durch einen stetigen Weg verbinden. Es folgt, dass SOn(R) wegzusam-menhangend und somit in On(R)0 enthalten ist.Sei B ∈ On(R). Dann ist det(B) ∈ ±1. Wenn det(B) = −1 ist, so kann nachdem Zwischenwertsatz B nicht in On(R)0 liegen, da det(In) = +1 ist. Folglichgilt SOn(R) = On(R)0.

Satz 1.13 Die Komponente der Einheitsmatrix In ∈ GLn(R) stimmt uberein mitder Untergruppe GL+n (R) der Matrizen mit positiver Determinante.

B: Betrachte folgende Untergruppen von GLn(R):

SOn(R) (zusammenhangend!)

D := diag(λ1, ..., λn) | λi > 0

N :=

1 ∗. . .

0 1

Das aus der linearen Algebra bekannte Gram-Schmidt-Verfahren zur Bestimmungeiner Orthonormalbasis liefert eine eindeutige Zerlegung fur g ∈ GL+n (R):

g = kdn

mit k ∈ SOn(R), d ∈ D, n ∈ N. Daraus folgt die Iwasawa-Zerlegung:

GL+n (R) = SOn(R) ·D ·N

Dies ist ein topologisches Produkt aus der kompakten Gruppe SOn(R) und demeuklidischen Raum D · N. Da SOn(R) zusammenhangend ist, ist auch GL+n (R)zusammenhangend. Man kann namlich jeweils Wege von In zu k, d und n kon-struieren und dann die Untergruppeneigenschaft ausnutzen, um einen Weg zug = kdn zu erhalten.

Definition 1.14 Eine lineare Lie-Gruppe ist eine abgeschlossene Untergruppeder Gruppe GLn(R).

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1.2 Lie-Algebren 5

Beispiel 1.15 Lineare Lie-Gruppen.

1. SOn(R) und SLn(R).

2. Die Gruppe E2 der affinen Isometrien x 7→ Ax+ b mit A ∈ O2(R) und b ∈ R2.Ihre Elemente konnen in der Form

(A b0 1

)

dargestellt werden. Damit sieht man, dass E2 eine Untergruppe von GL3(R)ist.

3. Die komplexen regularen Matrizen: GLn(C) ⊂ GL2n(R) (da Cn R2n). DieMultiplikation mit i definiert eine lineare Abbildung

J : Cn → Cn, v 7→ iv.

J definiert eine Matrix in GL2n(R) und es gilt

GLn(C) = A ∈ GL2n(R) | AJ = JA.

Damit ist GLn(C) eine abgeschlossene Untergruppe von GL2n(R).

Satz 1.16 GLn(C) ist eine zusammenhangende Gruppe.

B: Ahnlich wie im Fall GL+n (R).

1.2 Lie-Algebren

Sei K ein Korper und V ein K-Vektorraum. Wir bezeichnen mit GL(V) die allge-meine lineare Gruppe von V.

Definition 1.17 Eine bilineare Abbildung [., .] : V × V → V heißt Lie-Klammeroder Lie-Produkt auf V, wenn gilt:

1. [x, x] = 0 fur alle x ∈ V.

2. Die Jacobi-Identitat: [x, [y, z]] + [y, [z, x]] + [z, [x, y]] = 0 fur alle x, y, z ∈ V.

Das Paar g := (V, [., .]) heißt dann Lie-Algebra.

Bemerkung 1.18 Ist char(K) , 2, so ist die erste Eigenschaft aquivalent dazu, dass[., .] alternierend ist, also dass [y, x] = −[x, y] gilt.

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6 1 Lie-Gruppen

Bemerkung 1.19 Sei V endlichdimensional mit Basis x1, ..., xn. Dann gibt es eineDarstellung

[xi, x j] =

n∑

k=0

cki jxk,

mit den Strukturkonstanten cki j∈ K der Lie-Algebra. Es gilt:

1. cki j+ ck

ji= 0.

2.n∑

m=1

(cm

ijcl

mk+ cm

jkcl

mi+ cm

kicl

mj

)= 0.

Beispiel 1.20 Lie-Algebren.

1. Sei V ein Vektorraum und [., .] das Lie-Produkt auf V mit [x, y] = 0 fur allex, y ∈ V. Wir nennen in diesem Fall (V, [., .]) eine abelsche Lie-Algebra:Ist dim(V) = 1, so ist jedes Lie-Produkt auf V abelsch. Ist dim(V) = 2, so

gibt es ein Lie-Produkt, dass nicht abelsch ist (Aufgabe 1.1).

2. Betrachte Matn(K). Mit dem Kommutator von Matrizen

[A,B] = AB − BA

wird Matn(K) zu einer Lie-Algebra:Offensichtlich ist [A,A] = 0. Auch die Jacobi-Identitat gilt:

[[A,B],C] + [[C,A],B] + [[B,C],A]

= ABC − BAC − CAB + CBA

+ CAB −ACB − BCA + BAC

+ BCA − CBA − ABC + ACB

= 0.

3. Sei A eine assoziative Algebra. Wie bei 2. sieht man, dass A durch das Lie-Produkt [x, y] = xy − yx fur x, y ∈ A zu einer Lie-Algebra wird.

Definition 1.21 Sei g = (V, [., .]) eine Lie-Algebra.

1. Eine Unteralgebra von g ist ein Untervektorraum U von V mit der Eigen-schaft, dass fur alle x, y ∈ U auch [x, y] ∈ U gilt.

2. Eine Unteralgebra J heißt Ideal, wenn fur alle x ∈ g und alle y ∈ J gilt:[x, y] ∈ J.

3. Fur zwei Teilmengen M1,M2 ⊆ g ist

[M1,M2] =⟨[x, y] | x ∈M1, y ∈M2

eine Unteralgebra, wobei 〈M〉 die lineare Hulle von M ⊂ g bezeichnet.

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1.2 Lie-Algebren 7

4. Die Lie-Algebra g , 0 heißt einfach, wenn sie nicht abelsch ist und 0 undg als einzige Ideale besitzt.

Definition 1.22 Seien g = (V, [., .]g) und h = (W, [., .]h) Lie-Algebren.

1. Ein Homomorphismus von Lie-Algebren ist eine lineare Abbildung ϕ :g→ hmit der Eigenschaft ϕ([x, y]g) = [ϕ(x), ϕ(y)]h fur alle x, y ∈ g.

2. Der Kern eines Homomorphismus ϕ von Lie-Algebren ist die Menge

Kern(ϕ) = x ∈ g | ϕ(x) = 0.

3. Ein Endomorphismus D von g heißt Derivation von g, wenn folgende Pro-duktregel gilt:

D([x, y]) = [D(x), y] + [x,D(y)].

Definition 1.23 Wir definieren die Endomorphismen-Lie-Algebra eines Vektor-raums V

gl(V) = ϕ : V → V lineardurch die Lie-Klammer

[ϕ,ψ] := ϕ ψ − ψ ϕfur ϕ,ψ ∈ gl(V). Außerdem sei fur eine Lie-Algebra g

End(g) = ϕ ∈ gl(g) | ϕ([X,Y]) = [ϕ(X), ϕ(Y)] fur alle X,Y ∈ g,Aut(g) = ϕ ∈ End(g) | ϕ invertierbar.

Die Menge der(g) der Derivationen von g ist eine Unteralgebra von End(g).

Lemma 1.24 Seien g, h Lie-Algebren.

1. Der Kern eines Homomorphismus ϕ : g→ h von Lie-Algebren ist ein Ideal.

2. Ist J ⊂ g ein Ideal, so bezeichne g/J = x + J | x ∈ g die Menge derNebenklassen. Durch [., .] wird auf g/J ein eindeutiges und wohldefiniertesLie-Produkt induziert:

[x + J, y + J] := [x, y] + J.

Wir nennen g/J Quotienten-Lie-Algebra. Sie ist charakterisiert durch fol-gende Eigenschaft: Sei p : g → g/J, x 7→ x + J, die kanonische Projektion.Dann gibt es zu jedem Homomorphismus ϕ : g→ hmit J ⊂ Kern(ϕ) genaueinen Homomorphismus ϕ : g/J→ h, so dass ϕ = ϕ p gilt.

g

p @@

@

@

@

@

@

@

ϕ // h

g/J

ϕ

OO

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8 1 Lie-Gruppen

Beispiel 1.25 Die Spur : gln(K) → K, (ai j) 7→∑

i aii ist ein Homomorphismus vonLie-Algebren. Es gilt namlich

Spur(AB) = Spur(BA) ⇒ Spur(AB − BA) = Spur([A,B]) = 0.

Beispiel 1.26 Die Lie-Algebra

sln(K) := Kern(Spur) = A ∈Matn(K) | Spur(A) = 0

ist ein Ideal in gln(K).

Speziell fur n = 2: sl2(K) hat die Basis

H =

(1 00 −1

),X =

(0 10 0

),Y =

(0 01 0

).

Daraus erhalt man die Strukturkonstanten:

[H,X] = 2X, [H,Y] = −2Y, [X,Y] = H.

Die Lie-Algebra sl2(K) ist fur char(K) , 2 einfach (Aufgabe 1.2). In Kapitel 4werden wir zeigen, dass sln(K) fur char(K) , 2 eine einfache Lie-Algebra ist.

Definition 1.27 Es gibt zwei ausgezeichnete Ideale einer Lie-Algebra g:

1. Das Zentrum von g ist das Ideal

z(g) = x ∈ g | fur alle y ∈ g gilt [x, y] = 0.

2. Das Kommutatorideal von g ist

[g, g] =⟨[x, y] | x, y ∈ g

⟩.

Die Quotientenalgebra g/[g, g] ist abelsch.

Definition 1.28 Es sei h eine Unteralgebra von g. Die Unteralgebra

ng(h) = X ∈ g | [X, h] ⊆ h

heißt Normalisator von h in g.

Definition 1.29 Ist g eine Lie-Algebra und : g → gl(V) ein Homomorphismusvon Lie-Algebren, so nennt man eine Darstellung der Lie-Algebra g.

Satz 1.30 Auf einer Lie-Algebra g definieren die Abbildungen

adX : g→ g, Y 7→ [X,Y]

eine Derivation von g. Die Abbildung

ad : g→ der(g), X 7→ adX.

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1.2 Lie-Algebren 9

ist eine Darstellung und heißt adjungierte Darstellung von g. Es ist Kern(ad) =z(g).

B: Fur festes X ∈ g gilt:

adX([Y,Z]) = −ad[Y,Z](X)

=s.o.−[Y, [Z,X]] − [Z, [X,Y]]

= [[X,Y],Z] + [Y, [X,Z]]

= [adX(Y),Z] + [Y, adX(Z)]

und damit adX ∈ der(g).

Nun ist zu zeigen, dass fur alle Z ∈ g gilt ad[X,Y](Z) = [adX, adY](Z).

ad[X,Y](Z) = [[X,Y],Z](∗)= [X, [Y,Z]] + [Y, [Z,X]]

= [X, [Y,Z]] − [Y, [X,Z]]

= adX(adY(Z)) − adY(adX(Z))

= [adX, adY](Z),

die Gleichheit bei (∗) ist aquivalent zur Jacobi-Identitat, welche ja nach Definitionfur jedes Lie-Produkt gilt.

Beispiel 1.31 Sei U eine offene Teilmenge desRn. Eine C∞-Abbildung X : U→ Rn

nennt man ein Vektorfeld auf U.

U X(p1)

X(p2)

Y(p1) Y(p2)

Die Menge Vect(U) der Vektorfelder auf U bildet einen reellen Vektorraum undeinen C∞(U)-Modul. Mit den Koordinatenvektorfeldern

∂xi: U→ Rn, p 7→ ei,

ei der i-te Einheitsvektor, kann man jedes X ∈ Vect(U) in der Form

X =

n∑

i=1

ξi∂

∂xi

fur gewisse ξi ∈ C∞(U) darstellen. Es sei dX : U ×Rn → Rn die Differentialabbil-dung von X. Wir definieren [X,Y] fur X,Y ∈ Vect(U) durch

[X,Y] = dXY − dYX,

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10 1 Lie-Gruppen

dabei ist dYX(p) := dXpY(p) die Richtungsableitung von X an der Stelle p inRichtung Y(p).

Durch ein X ∈ Vect(U) wird eine Abbildung

LX : C∞(U)→ C∞(U), f 7→ dX f

mit dX f (p) := d fpX(p) definiert. LX( f ) heißt Lie-Ableitung von f . Fur die Koordi-natenfelder gilt

L ∂∂xi

( f ) =∂ f

∂xi,

d.h. die Lie-Ableitung lasst sich in der Form LX( f ) =∑

i ξi∂ f

∂xidarstellen.

LX ist eine Derivation von C∞(U), denn es gilt die Produktregel

LX( f g) = (LX( f ))g + f (LX(g)).

Die Menge der Derivationen von C∞(U) bildet mit dem Kommutator

[LX,LY] := LX LY −LY LX

eine Lie-Algebra.

Dabei gilt [LX,LY] = L[X,Y]:Seien X =

∑ξi

∂∂xi,Y =

∑µi

∂∂xi, f ∈ C∞(U):

[LX,LY]( f ) =∑

i, j

ξi

∂µ j

∂xi

∂ f

∂x j

−∑

i, j

µi

∂ξ j

∂xi

∂ f

∂x j

=∑

j

∂ f

∂x j

i

(ξi

∂µ j

∂xi

− µi

∂ξ j

∂xi

)

= L[X,Y]( f ),

da

[X,Y] = dXY − dYX =∑

j

i

ξi

∂µ j

∂xi−

i

µi

∂ξ j

∂xi

∂x j.

Mehr Informationen zur Lie-Ableitung und zu Vektorfeldern findet man im Buchvon Warner [17].

1.2.1 Die Exponentialabbildung

Definition 1.32 Sei A ∈Matn(R). Die Exponentialabbildung

exp : Matn(R)→ GLn(R), A 7→∞∑

k=0

Ak

k!

ist eine analytische Funktion (denn die Reihe ist normkonvergent. Mit ‖A‖2 =∑i, j a2

i jgilt ‖AB‖ ≤ ‖A‖ · ‖B‖, also ‖ exp(A)‖ ≤ e‖A‖).

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1.2 Lie-Algebren 11

Lemma 1.33 Die Menge der uber C diagonalisierbaren Matrizen liegt dicht inRn2. Diese Matrizen werden auch als halbeinfache Matrizen bezeichnet.

B: Aufgabe 1.8

Lemma 1.34 Seien A,B ∈Matn(R). Dann gilt:

1. exp(0) = In.

2. exp(A) ∈ GLn(R).

3. exp((α + β)A) = exp(αA) exp(βA) fur alle α, β ∈ R.

4. Aus AB = BA folgt exp(A + B) = exp(A) exp(B).

5. Fur alle g ∈ GLn(R) gilt: exp(gAg−1) = g exp(A)g−1.

6. ‖ exp(A)‖ ≤ e‖A‖.

7. det(exp(A)) = eSpur(A).

B: nur fur 4. und 7.:

4. Wenn A und B vertauschen, gilt (A + B)m =m∑

k=0

(mk

)AkBm−k. Also:

exp(A + B) =

∞∑

m=0

1

m!

m∑

k=0

(m

k

)AkBm−k (∗)

= exp(A) exp(B),

die Gleichheit bei (∗) ergibt sich aus der bekannten Formel fur das Cauchy-Produkt von gleichmaßig konvergenten Potenzreihen.

7. Fur Diagonalmatrizen ist die Aussage offensichtlich, da gilt

exp

λ1 0. . .

0 λn

=

eλ1 0. . .

0 eλn

,

und wegen 5. gilt die Aussage auch fur alle diagonalisierbaren Matrizen. Dadiese dicht in Matn(R) liegen, folgt die Behauptung.

Definition 1.35 Ist G eine topologische Gruppe, so heißt ein Homomorphismusvon topologischen Gruppen

c : (R,+)→ G

eine Einparameter-(Unter-)gruppe von G.

Beispiel 1.36 Ist A ∈Matn(R), so definiert

cA(t) := exp(tA)

eine Einparameter-Untergruppe von GLn(R).

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12 1 Lie-Gruppen

Satz 1.37 Fur X ∈Matn(R) gilt:

1. Die Einparametergruppe cX = exp(tX) ist eine differenzierbare Kurve mitcX(0) = In und c′X(0) = X.

2. Die Exponentialabbildung ist eine analytische Abbildung mit d exp |0 =idMatn(R).

B:

1. Aus exp(tX) = In + tX + t2

2X2 + ... folgt

d

dt

∣∣∣∣t=0

exp(tX) = X.

2. Folgt aus 1.: Betrachte die Richtungsableitung von exp in In in Richtung X:

dX exp |In = dX exp |cX(0) =d

dt

∣∣∣∣t=0

exp(tX) = X.

Daraus folgt d exp |0 = idMatn(R).

Nach dem Satz uber lokale Umkehrbarkeit gibt es eine Umgebung V von In, sodass die Umkehrabbildung exp−1 auf V existiert und eine C∞-Abbildung ist.

Definition 1.38 Fur A ∈ GLn(R) definiere die Logarithmus-Reihe durch

log(A) =

∞∑

k=0

(−1)k+1 (A − In)k

k.

Lemma 1.39

1. log ist konvergent fur ‖A − In‖ < 1 und in diesem Fall gilt

exp(log(A)) = A.

2. Fur X ∈Matn(R) mit ‖X‖ < 2 gilt ‖ exp(X) − In‖ < 1 und

log(exp(X)) = X.

In

0 g

G

exp log

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1.2 Lie-Algebren 13

B:

1. Die Konvergenz folgt aus der entsprechenden Formel fur reelle Zahlen, an-gewandt auf ‖A− In‖. Die Behauptung log = exp−1 stimmt offensichtlich furDiagonalmatrizen (den reellwertigen log auf die Diagonalelemente anwen-

den!) und damit auch fur die halbeinfachen Matrizen. Da diese dicht in Rn2

liegen, folgt die Behauptung.

2. Wie fur die reellwertige Exponentialfunktion kann man zeigen, dass ‖ exp(X)−In‖ < 1 aus ‖X‖ < 2 folgt, und mit einem analogen Argument wie fur Teil 1folgt die Behauptung.

1.2.2 Die Lie-Algebra einer linearen Lie-Gruppe

Definition 1.40 Sei G ⊆ GLn(R) eine lineare Lie-Gruppe. Dann heißt die Menge

g = Lie(G) := X ∈ gln(R) | fur alle t ∈ R ist exp(tX) ∈ G

die Lie-Algebra der lineare Gruppe G.

Wir schreiben expG := exp |Lie(G), also

expG : Lie(G)→ G, X 7→ exp(X).

In Satz 1.42 werden wir sehen, dass g eine reelle Lie-Algebra (im Sinne vonDefinition 1.17) ist.

Lemma 1.41 Sei G eine lineare Lie-Gruppe und g = Lie(G). Weiter seien X,Y ∈ g.

1. Ist A ∈ G, so gilt AXA−1 ∈ g.

2. Es gilt die Formel von Lie:

exp(X + Y) = limm→∞

(exp

(X

m

)exp

(Y

m

))m

3. Sei c(t) = exp(−tY)X exp(tY). Dann gilt

dc

dt(0) = XY − YX = [X,Y].

B:

1. Sei A ∈ G. Dann ist

G ∋ A exp(tX)A−1 = exp(AtXA−1)

= exp(t(AXA−1))

= cAXA−1(t)

und damit folgt AXA−1 ∈ g.

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14 1 Lie-Gruppen

2. Sei U eine Umgebung von 0 ∈ gln(R) und X,Y ∈ U, so dass exp : U →exp(U) ⊂ GLn(R) bijektiv ist, also der Logarithmus fur A ∈ exp(U) existiert.Dann gilt:

log

((exp

(X

m

)exp

(Y

m

))m)= m log

(exp

(X

m

)exp

(Y

m

))

= m log(

In

m+

X

m+

Y

m+O

(1

m2

))

= m(

X

m+

Y

m+O

(1

m2

))

→ X + Y fur m→∞.

Daraus folgt sofort die Formel von Lie. (O( 1m2 ) steht dabei fur einen Aus-

druck, der fur m→∞ gegen 0 strebt, wenn man ihn mit m2 multipliziert.)

3. Nach Teil 1 ist c(t) ∈ g = Lie(G) fur alle t. Mit der Produktregel folgt dieBehauptung.

Satz 1.42 Die Lie-Algebra Lie(G) einer linearen Lie-Gruppe G ist eine Unteralge-bra von gln(R).

B: Zeige zuerst: X,Y ∈ Lie(G)⇒ X + Y ∈ Lie(G):Nach der Formel von Lie gilt:

exp(t(X + Y)) = limm→∞

(exp

(tX

m

)exp

(tY

m

))m

.

Da exp( tXm

), exp( tYm

) ∈ G folgt mit der Abgeschlossenheit von G, dass auch derLimes, also exp(t(X + Y)), in G liegen muss.

Zeige nun: X,Y ∈ Lie(G)⇒ [X,Y] = XY − YX ∈ Lie(G):Sei c(t) := exp(tY)X exp(−tY). Einerseits gilt nach Lemma 1.41: c(t) ∈ Lie(G) furalle t und

dc

dt(0) = YX − XY = [Y,X] = −[X,Y]

und andererseits gilt

dc

dt(0) = lim

t→0

c(t) − c(0)

t= lim

t→0

c(t) − X

t,

also

[Y,X] = limt→0

c(t) − X

t.

Wegen c(t) ∈ Lie(G) gilt nach dem ersten Beweisschritt, dass auch c(t)−X

tin Lie(G)

liegt. Da Lie(G) abgeschlossen ist (als Urbild der abgeschlossenen Menge G unterexp), muss auch der Grenzwert in Lie(G) liegen, d.h. [Y,X] ∈ Lie(G).

Beispiel 1.43 Lie-Algebren linearer Lie-Gruppen.

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1.2 Lie-Algebren 15

1. SLn(R) = A ∈ GLn(R) | det(A) = 1 ist die spezielle lineare Gruppe. Diezugehorige Lie-Algebra ist

sln(R) = X ∈ gln(R) | Spur(X) = 0,

denn es ist ddt

det(exp(tX))|t=0 = Spur(X) und aus det(exp(tX)) = 1 folgtddt|t=0 det(exp(tX)) = 0.

2. Die Heisenberg-Gruppe

H3 =1 α β0 1 γ0 0 1

⊂ GL3(R).

hat die Lie-Algebra

h3 =0 a b0 0 c0 0 0

,

denn aus X ∈ h3 folgt

exp(X) =

1 a b0 1 c0 0 1

+

X2

2+

X3

6+ ...

mit X2 =

0 0 ac0 0 00 0 0

, X3 = 0.

Also:

exp(X) =

1 a ac + b0 1 c0 0 1

∈ H3.

Umgekehrt gilt fur A ∈ H3:

log(A) =

0 α β0 0 γ0 0 0

1

2

0 0 αγ0 0 00 0 0

,

d.h. exp : h3 → H3 ist ein Homoomorphismus mit Umkehrabbildung

log : H3 → h3, A 7→ (A − I3) − 1

2(A − I3)2.

Beispiel 1.44 Die klassischen Gruppen (nach Hermann Weyl [18]).

1. Die orthogonalen Gruppen.

Sei q : Rn → R eine nicht ausgeartete quadratische Form. Das bedeutetq(x) = b(x, x) fur eine symmetrische Bilinearform b : Rn × Rn → R, und esgilt: [∀y ∈ Rn : b(x, y) = 0]⇒ x = 0.

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16 1 Lie-Gruppen

Die orthogonale Gruppe zu q ist

O(q) := A ∈ GLn(R) | ∀v ∈ Rn : q(Av) = q(v).

Sei Q die Darstellungsmatrix der Bilinearform b zu q. Dann gilt:

O(q) = A ∈ GLn(R) | A⊤QA = Q

undo(q) := Lie(O(q)) = X ∈ gln(R) | X⊤Q +QX = 0.

Spezialfalle:

• Es sei q(v) =∑

i v2i. Dann ist O(q) = On(R). In diesem Fall ist Q = In und

folglich iston(R) = X | X + X⊤ = 0

die Menge der schiefsymmetrischen Matrizen.

• Fur qn−1,1(v) = −v2n +

n−1∑i=1

v2i

heißt die Gruppe O(qn−1,1) = On−1,1(R) die

Lorentz-Gruppe von Rn. Sie ist nicht kompakt.

Analog werden die komplexen orthogonalen Gruppen definiert. Da jedenicht ausgeartete symmetrische Bilinearform b : Cn × Cn → C sich bzgl.einer geeigneten Basis durch die Einheitsmatrix darstellen lasst, gibt es imkomplexen Fall stets eine Isomorphismus von Lie-Algebren o(b) on(C)und einen Isomorphismus von Lie-Gruppen O(b) On(C).

2. Die spezielle lineare Gruppe SLn(R), vgl. Beispiel 1.43.

3. Die symplektische Gruppe Spn(R).

Sei J =

(0 In

−In 0

). Dann ist

Spn(R) = A ∈ GL2n(R) | A⊤JA = J ⊂ GL2n(R).

Ihre Lie-Algebra ist

spn(R) = X ∈ gl2n(R) | X⊤J + JX = 0.

Speziell fur n = 1 ist Sp1(R) = SL2(R) und entsprechend sp1(R) = sl2(R).

4. Die unitare Gruppe ist

Un = A ∈ GLn(C) | AA⊤= In.

Die zugehorige reelle Lie-Algebra

un = X ∈ gln(C) | X = −X⊤

ist die Menge der schiefhermiteschen Matrizen (wir schreiben fur A⊤

auchA∗). Es ist Un ⊆ O2n(R), insbesondere ist Un kompakt.

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1.2 Lie-Algebren 17

Satz 1.45 Ist g eine endlichdimensionale reelle oder komplexe Lie-Algebra, so istAut(g) ⊂ GL(g) eine lineare Lie-Gruppe mit der Lie-Algebra

Lie(Aut(g)) = der(g).

B: Aut(g) ist eine abgeschlossene Untergruppe von GL(g) und somit einelineare Lie-Gruppe, da Aut(g) durch stetige Gleichungen definiert ist.

Sei zunachst g reell und c eine Kurve in Aut(g) mit c(0) = idg und c(0) = D.Mit der Produktregel folgt D([X,Y]) = [D(X),Y] + [X,D(Y)] aus c(t)([X,Y]) =[c(t)(X), c(t)(Y)]. Somit gilt Lie(Aut(g)) ⊆ der(g). Ist umgekehrt D ∈ der(g) gegeben,so betrachte die Kurven

c1(t) := exp(tD)([X,Y]) und c2(t) := [exp(tD)(X), exp(tD)(Y)].

in gmit c1(0) = c2(0) = [X,Y]. Es gilt

c1(t) = D(exp(tD)([X,Y])) = D(c1(t)),

c2(t) = [D(exp(tD)(X)), exp(tD)(Y)] + [exp(tD)(X),D(exp(tD)(Y))]

= D([exp(tD)(X), exp(tD)(Y)]) (da D ∈ der(g))= D(c2(t)).

Aus der Theorie der Differentialgleichungen (Satz von Picard-Lindelof) wissenwir, dass nun c1 = c2 gelten muss und somit exp(tD) ∈ Aut(g). Insgesamt ist alsoLie(Aut(g)) = der(g).

Ist g komplex, so konnen wir g als reelle Lie-Algebra g auffassen. Mit dem obenGezeigten gilt dann

Lie(AutC(g)) ⊆ derR(g) ∩ EndC(g) = derC(g)

und andererseits ist fur D ∈ derC(g)

exp(tD) ∈ AutR(g) ∩GLC(g) = AutC(g)

womit derC(g) = Lie(AutC(g)) folgt.

Sei G eine lineare Lie-Gruppe und g = Lie(G). Fur A ∈ G,X ∈ g ist AXA−1 ∈ gnach Lemma 1.41. Fur A ∈ G setze AdA(X) := AXA−1, dann ist AdA ∈ GL(g). DieZuordnung

Ad : G→ Aut(g), A 7→ AdA

definiert einen Morphismus von topologischen Gruppen. Wir nennen Ad die ad-jungierte Darstellung von G. Wenn G zusammenhangend ist, so ist nach Aufgabe1.14 der Kern von Ad gleich dem Zentrum von G, d.h.

Kern(Ad) = Z(G) := A ∈ G | fur alle B ∈ G gilt ABA−1 = B.

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18 1 Lie-Gruppen

Lemma 1.46 Sei (Ak) eine Folge in G mit Ak → 1G = In und Yk = log(Ak). Dann

liegt jeder Haufungspunkt der Folge(

Yk

‖Yk‖

)in Lie(G).

B: Sei Œ X := limk→∞

Yk

‖Yk‖ (ansonsten betrachte eine geeignete Teilfolge). Zu

zeigen ist X ∈ Lie(G), also exp(tX) ∈ G fur alle t. Diese Aussage ist aquivalent

zu limk→∞

exp(t Yk

‖Yk‖

)∈ G fur alle t. Noch Voraussetzung gilt exp(Yk) = Ak ∈ G. Setze

pk := [ t‖Yk‖ ] (Gaußklammer) und qk := t

‖Yk‖ − pk. Dann gilt:

exp(t

Yk

‖Yk‖

)= exp(pkYk) exp(qkYk)

= exp(Yk)pk

︸ ︷︷ ︸∈G

exp(qkYk) (da pk ∈ Z).

Zeige noch: exp(qkYk)→ In: Es ist

∥∥∥∥∥(

t

‖Yk‖−

[t

‖Yk‖

])Yk

∥∥∥∥∥ =∣∣∣∣∣

t

‖Yk‖−

[t

‖Yk‖

]∣∣∣∣∣︸ ︷︷ ︸

∈[0,1]

‖Yk‖

und da nach Voraussetzung Ak → In, also Yk → 0, gilt, folgt

∣∣∣∣∣t

‖Yk‖−

[t

‖Yk‖

]∣∣∣∣∣ ‖Yk‖ → 0 fur k→∞.

Daraus folgt qkYk → 0 und daraus exp(qkYk)→ In. Damit ist alles gezeigt.

Lemma 1.47 Sei W ein Komplement von Lie(G) in gln(R), d.h. W⊕Lie(G) = gln(R).Dann gibt es eine offene Umgebung UW von 0 ∈W, so dass

exp(UW) ∩ G = In.

B: Annahme: Es gibt eine Folge (Ak) in G mit log(Ak) ∈ W, Ak → In undAk , In. Nach Lemma 1.46 gilt

limk→∞

log(Ak)

‖ log(Ak)‖︸ ︷︷ ︸∈W

∈ Lie(G) ∩W = 0,

aber∥∥∥∥ log(Ak)

‖ log(Ak)‖

∥∥∥∥ = 1, also liegen allelog(Ak)

‖ log(Ak)‖ auf der Einheitssphare und sind insbe-

sondere , 0. Widerspruch zur Annahme!

Satz 1.48 Es existiert eine Umgebung

V = Vε = A ∈ G | ‖In − A‖ < ε

der Einheitsmatrix In in G, so dass log(V) ⊆ Lie(G).

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1.2 Lie-Algebren 19

B: Sei W wie in Lemma 1.47. Wir betrachten die Abbildung

Φ : g ×W → GLn(R), (X,Y) 7→ exp(X) exp(Y).

Berechne (mit Satz 1.37):

dΦ(0,0) : g ×W → gln(R), (X,Y) 7→ d exp0 X + d exp0 Y = X + Y.

Also ist dΦ(0,0) ein Isomorphismus von Vektorraumen. Mit dem Satz uber lokaleUmkehrbarkeit aus der Analysis folgt, dass es Umgebungen Ug ⊆ g, 0 ∈ Ug, undUW ⊆ W, 0 ∈ UW, gibt, so dassΦ(Ug×UW) eine offene Umgebung von In in GLn(R)ist. Wir konnen nun annehmen, dass UW die Eigenschaften von Lemma 1.47 hat.Nun gilt: V = Φ(Ug × UW) ∩ G ist eine offene Umgebung von In in G mit derEigenschaft V = exp(Ug), denn fur ein A ∈ G der Form A = exp(X) exp(Y) mitX ∈ Ug,Y ∈ UW folgt wegen exp(Y) = exp(X)−1A ∈ G und Lemma 1.47: exp(Y) = In,also A = exp(X).

Korollar 1.49 Es existiert eine Umgebung U0 der 0 in Lie(G), so dass expG dieUmgebung U0 homoomorph auf eine Umgebung VIn ⊆ G der Einheitsmatrix In

abbildet. Man nennt U0 auch Exponentialkoordinatenumgebung.

Daraus folgt (vgl. Aufgabe 1.10):

Korollar 1.50 Sei G eine Lie-Gruppe mit Lie-Algebra g. Weiter sei U0 eine Expo-nentialkoordinatenumgebung in g und G0 die Komponente der Identitat von G.Dann lasst sich jedes A ∈ G0 schreiben als

A = exp(X1) · · · exp(Xk)

fur gewisse X1, ...,Xk ∈ U0.

Definition 1.51 Als die Dimension einer linearen Lie-Gruppe G bezeichnen wirdie Vektorraumdimension von Lie(G).

Sei A ∈ G. Die Abbildung

LA : G→ G, B 7→ AB

ist stetig, da G eine topologische Gruppe ist. Die inverse Abbildung (LA)−1 = LA−1

ebenso. Also ist LA ein Homoomorphismus des topologischen Raumes G. Ins-besondere wird eine offene Teilmenge V ⊆ G durch LA wieder in eine offeneTeilmenge LA(V) ⊆ G abgebildet. Dies kann man auf die Einheitsmatrix In anwen-den: Ist VIn eine offene Umgebung von In, so ist LA(VIn) eine offene Umgebungvon A. Ist VIn = exp(U0), so bilden die Mengen LA(exp(U0)) eine Uberdeckung vonG aus offenen Mengen, die homoomorph zu U0 sind. Dies definiert die Struktureiner differenzierbaren Mannigfaltigkeit (siehe dazu Anhang B) auf G:

Satz 1.52 Das Mengensystem

A = LA(exp(U0)) | A ∈ G

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20 1 Lie-Gruppen

bildet einen differenzierbaren Atlas fur den topologischen Raum G.

B: Die Umkehrungen der Abbildungen

LA exp : U0 → G

sind die Karten fur diesen Atlas. Sind VA,VB ∈ A mit den Karten ϕ = LA expbzw. ψ = LB exp, so ist ein Kartenwechsel auf VA ∩ VB, gegeben durch

ψ−1 ϕ : ϕ−1(VA ∩ VB)→ ψ−1(VA ∩ VB),

ein lokaler Diffeomorphismus zwischen offenen Mengen desRn, n = dim(G):

ψ−1 ϕ = ϕ−1 LA exp

= (log L−1B ) LA exp

= log LB−1 LA exp,

und die verknupften Abbildungen in der letzten Zeile sind alle differenzierbar.

ψϕ

VA

VB

U0

ψ−1 ϕ

Damit ist die topologische Gruppe G eine differenzierbare Mannigfaltigkeit.

Sei I ⊆ R ein Intervall. Eine stetige Kurve c : I → G ist differenzierbar, wenn fureine Karte ψ von G die Abbildung ψ−1 c differenzierbar ist.

Definition 1.53 Sei A ∈ G. Der Tangentialraum von G in A ist

TAG = c(0) | c : R→ G ist eine C∞-Kurve mit c(0) = A.

Lemma 1.54 TInG ist ein Untervektorraum von gln(R) und es ist TInG = Lie(G).

B:”⊇“: Es ist Lie(G) = X | ∀t ∈ R : exp(tX) ∈ G. Daraus folgt fur X ∈ Lie(G):

X =d

dt

∣∣∣∣t=0

(exp(tX)) = c(0),

wenn man c(t) := exp(tX) setzt. Damit ist Lie(G) ⊆ TInG.

”⊆“: Sei J ein reelles Intervall, c : J → G eine differenzierbare Kurve. Wir nehmen

c(J) ⊂ VIn = exp(U0) an (U0 wie in Korollar 1.49). Dann ist c(t) = exp(c(t)) fur eine

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1.3 Homomorphismen von linearen Lie-Gruppen und Lie-Algebren 21

C∞-Kurve c : J → U0 mit ˙c(0) = X ∈ U0 ⊆ Lie(G) (man erhalt c aus c durch exp−1).Weiter ist c(0) = d exp0 X = X ∈ Lie(G), also ist TInG ⊆ Lie(G).

Fur den Tangentialraum von A ∈ G gilt

TAG = A · TInG.

Definition 1.55 Eine stetige Abbildung X : G → gln(R) heißt C∞-Vektorfeld,

wenn die folgenden Bedingungen erfullt sind:

1. X(A) ∈ TAG.

2. X ist eine C∞-Abbildung, d.h. fur alle A ∈ G ist XLA expG : U0 →Matn(R)eine C∞-Abbildung (U0 wie in Korollar 1.49).

Definition 1.56 Ein Vektorfeld X auf G heißt linksinvariant, wenn

X(A · B) = A · X(B)

fur alle A,B ∈ G gilt.

Beispiel 1.57 Sei X ∈ Lie(G) = TInG. Dann ist X(A) := A · X ein linksinvariantensVektorfeld auf G. Jedes linksinvariante Vektorfeld auf G ist von dieser Gestalt(setze B = In in der Definition 1.56).

Fur Vektorfelder X,Y auf G ist die Lie-Klammer [X,Y] wie in Beispiel 1.31 erklartund wieder ein Vektorfeld auf G. Sind X und Y linksinvariant, so ist auch [X,Y]linksinvariant.

1.3 Homomorphismen von linearen Lie-Gruppen und Lie-Algebren

Seien G ⊆ GLn(R),H ⊆ GLm(R) lineare Lie-Gruppen.

Definition 1.58 Ein Homomorphismus Φ : G→ H heißt Homomorphismus vonLie-Gruppen, wenn Φ stetig ist (d.h. Φ ist ein Homomorphismus der entspre-chenden topologischen Gruppen).

Es sei hier noch einmal an Definition 1.22 erinnert:Ein Homomorphismus von Lie-Algebren ist eine lineare Abbildung ϕ : g → hmit der Eigenschaft

ϕ([X,Y]g) = [ϕ(X), ϕ(Y)]h

fur alle X,Y ∈ g.

Definition 1.59 Ein Homomorphismus von Lie-Gruppen Φ : G → H heißt Iso-morphismus (von Lie-Gruppen), wenn Φ ein Gruppenisomorphismus und Φ−1

ein Homomorphismus von Lie-Gruppen ist. Dann heißen G und H isomorph.

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22 1 Lie-Gruppen

Beispiel 1.60 Homomorphismen von Lie-Gruppen.

1. Die Determinante det : GLn(R) → R×,A 7→ det(A) (und entsprechend furGLn(C)) ist ein Homomorphismus von Lie-Gruppen.

2. Auf der Kreisgruppe

S1 = z ∈ C | |z| = 1 ( a b−b a

) ∣∣∣ a2 + b2 = 1⊂ GL2(R).

ist die Abbildung z 7→ z2 ist ein Homomorphismus.

3. Die adjungierte Darstellung Ad : G → GL(g),A 7→ AdA mit AdA(X) =AXA−1 ist ein Homomorphismus.

4. Betrachte die adjungierte Darstellung von

SU2 = A ∈ GL2(C) | AA∗ = I2,det(A) = 1.Jedes A ∈ SU2 lasst sich schreiben als

(a b

−b a

), mit aa + bb = 1.

Topologisch stimmt SU2 mit der 3-Sphare S3 ⊂ R4 C2 uberein. Die Lie-Algebra von SU2 ist

su2 =( ix z−z −ix

) ∣∣∣ x ∈ R, z ∈ C= X ∈ gln(C) | X = −X∗, Spur(X) = 0.

su2 ist alsR-Vektorraum isomorph zuR3. Fur X ∈ su2 ist det(X) = x2+zz, d.h.die Einschrankung von det auf su2 entspricht der Euklid-Norm des R3. DaAdA die Determinante nicht andert, entspricht Ad einem Homomorphismus

Ad : SU2 → SO3(R)

mit Kern(Ad) = −I2, I2, d.h. Ad ist nicht injektiv. In Aufgabe 1.13 ist mitHilfe von Satz 1.62 zu zeigen, dass Ad surjektiv ist (und damit ist SU2 einezweiblattrige Uberlagerung von SO3(R)).

Die einfach zusammenhangende Uberlagerungsgruppe von SOn(R) wirdals Spingruppe Spinn bezeichnet. Insbesondere ist SU2 Spin3. Mehr zuSpingruppen findet man bei Fulton und Harris [5] oder bei Brocker und tomDieck [3].

5. Einparametergruppen (”Geraden“) auf dem Torus

T2 = S1 × S1 ⊂ GL2(R) ×GL2(R) ⊂ GL4(R).

T2 ist eine lineare Lie-Gruppe. Die Abbildung

Φ : R2 → T2, (α, β) 7→ (eiα, eiβ)

ist einerseits die Exponentialabbildung expT2, wenn wir Lie(T2) R2 iden-tifizieren, andererseits ein Homomorphismus von Lie-Gruppen.

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1.3 Homomorphismen von linearen Lie-Gruppen und Lie-Algebren 23

Kompakte Kurve auf dem Torus

Der Kern von Φ ist das Gitter 2πZ × 2πZ ⊂ R2, also T2 R2/(2πZ)2. Au-ßerdem ist Φ surjektiv. Fur feste α, β ist die Abbildung t 7→ (eiαt, eiβt) eineEinparametergruppe. Wenn α

β ∈ Q, so ist das Bild von Φ(αt, βt) abgeschlos-

sen in T2. Wenn αβ < Q, so ist das Bild dicht in T2 (vgl. Satz 1.74).

Das letzte Beispiel zeigt, dass das Bild eines Homomorphismus von linearen Lie-Gruppen nicht wieder eine lineare Lie-Gruppe (also abgeschlossen) sein muss.

Definition 1.61 Eine Abbildung Φ : G → H heißt differenzierbar oder glatt,wenn fur alle C∞-Kurven c : R→ G die Kurve Φ c wieder C∞ ist.

Satz 1.62 Seien G ⊆ GLn(R) und H ⊆ GLm(R) lineare Lie-Gruppen mit den zu-gehorigen Lie-Algebren g und h. Sei Φ : G → H ein Homomorphismus vonLie-Gruppen, also insbesondere Φ stetig. Dann gibt es einen eindeutigen Homo-morphismus von Lie-Algebren ϕ : g→ hmit der Eigenschaft

Φ expG(X) = expH ϕ(X)

fur alle X ∈ g.G

Φ // H

g

expG

OO

ϕ// h

expH

OO

Es gilt:

ϕ(X) =d

dt

∣∣∣∣t=0Φ(expG(tX)).

Fur die von Φ induzierte Abbildung ϕ schreiben wir auch ϕ = Lie(Φ).

B: Wir beweisen zuerst folgenden Spezialfall des Satzes, auf den wir danachden allgemeinen Fall zuruckfuhren:

Sei c : R → G eine Einparametergruppe. Dann gibt es genau ein X ∈ Lie(G), sodass c(t) = expG(tX) gilt.

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24 1 Lie-Gruppen

Um diesen Spezialfall zu beweisen, wahlen wir Exponentialkoordinaten U0,VIn

wie in Korollar 1.49. Weiter sei J = (−ε, ε) ein Intervall, fur das c(J) ⊂ exp(12U0)

gelte. Wahle ein t0 , 0 aus J. Dann gibt es ein X ∈ U0 mit

c(t0) = exp(X)

und Y ∈ 12U0 mit

c(1

2t0

)= exp(Y).

Wir zeigen, dass exp(X) = exp(2Y) ist: Es gilt exp(12X)2 = exp(X) = c(t0), und da c

eine Einparametergruppe ist, ist auch exp(2Y) = c(t0) = exp(X), da Y ∈ U0. Alsoist 2Y = X.Iterieren dieser Rechnung zeigt c( t0

2k ) = exp( 12k X) fur k ∈ N. Wegen der Multiplika-

tivitat der linken bzw. rechten Seite gilt fur n ∈ Z, k ∈ N:

c(

n

2kt0

)= exp

(n

2kX).

Die Menge n2k | n ∈ Z, k ∈ N ist dicht in R, denn fur jedes x ∈ R kann man ein

n ∈ Z so wahlen, dass |2kx− n| < 1 ist und folglich |x− n2k | < 1

2k fur beliebige großesk. Also stimmen c(t) und exp( t

t0X) auf einer dichten Menge und damit (wegen

Stetigkeit) uberall uberein. Damit ist der Spezialfall bewiesen.

Wir fuhren nun den Beweis des Satzes auf den Spezialfall zuruck: c(t) = expG(tX)ist eine Einparametergruppe in G, Φ c(t) = Φ(expG(tX)) ist eine Einparameter-gruppe in H. Nach dem oben gezeigten Spezialfall existiert genau ein Y ∈ h, sodass Φ c(t) = expH(tY) ist, und es muss fur das gesuchte ϕ gelten: ϕ(X) = Y.Also ist nach dem Spezialfall die Abbildung ϕ mit expH ϕ = Φ expG durch dieGleichung ϕ(X) = Y definiert und eindeutig festgelegt. Es bleibt zu zeigen, dassϕ linear ist und die Lie-Klammer erhalt:

ϕ ist linear: Fur λ ∈ R ist

expH(ϕ(λX)) = Φ(expG(λX)) = expH(λY) = expH(λϕ(X))

und damit ϕ(λX) = λϕ(X).Es gilt auch ϕ(X1 + X2) = ϕ(X1) + ϕ(X2):

expG(X1 +X2)(∗)= lim

k→∞

(expG

(1

kX1

)· expG

(1

kX2

))k

⇒ Φ(expG(X1 + X2)) = limk→∞

(expG

(1

kX1

))·Φ

(expG

(1

kX2

)))k

= limk→∞

(expH

(1

kϕ(X1)

)· expH

(1

kϕ(X2)

))k

(∗)= expH(ϕ(X1) + ϕ(X2)),

wobei bei die Gleichheit bei (∗) jeweils aus der Formel von Lie folgt (vgl. Lemma1.41).

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1.3 Homomorphismen von linearen Lie-Gruppen und Lie-Algebren 25

ϕ erhalt die Lie-Klammer: Zuerst stellen wir fest, dass wegen exp(AXA−1) =A exp(X)A−1 folgende Hilfsformel gilt:

ϕ(AXA−1) = Φ(A) · ϕ(X) ·Φ(A−1),

denn:

Φ expG(AXA−1) = Φ(A) ·Φ(expG(X)) ·Φ(A)−1

= Φ(A) · expH(ϕ(X)) ·Φ(A)−1

= expH(Φ(A) · ϕ(X) ·Φ(A)−1).

Nach Lemma 1.41 ist [X,Y]g =ddt|t=0(expG(tX) · Y · expG(−tX)) und mit der gerade

gezeigten Formel gilt dann:

ϕ([X,Y]g) =d

dt

∣∣∣∣t=0ϕ(expG(tX) · Y · expG(−tX))

=d

dt

∣∣∣∣t=0Φ(expG(tX)) · ϕ(Y) ·Φ(expG(−tX))

=d

dt

∣∣∣∣t=0

expH(ϕ(tX)) · ϕ(Y) · expH(ϕ(−tX))

=ϕ linear

d

dt

∣∣∣∣t=0

expH(tϕ(X)) · ϕ(Y) · exp(−tϕ(X))

= [ϕ(X), ϕ(Y)]h.

Damit ist die Existenz ϕ bewiesen.

Es bleibt zu zeigen, dassϕ(X) = ddt|t=0Φ(expG(tX)) gilt. Setze dafur c(t) := expG(tX),

dann ist c(0) = In, c(0) = X. Das Differential von Φ an der Stelle In,

dΦIn : TInG︸︷︷︸=g

→ TImH︸︷︷︸=h

,

ist eine lineare Abbildung der Tangentialraume. Es gilt

dΦInX =d

dt

∣∣∣∣t=0Φ c(t) =

d

dt

∣∣∣∣t=0Φ(expG(tX)) =

d

dt

∣∣∣∣t=0

expH(ϕ(tX)) = ϕ(X).

Damit ist der ganze Satz bewiesen.

Korollar 1.63

1. Der stetige Homomorphismus Φ ist eine C∞-Abbildung.

2. Seien G,H, L lineare Lie-Gruppen mit zugehorigen Lie-Algebren g, h, l, undΦ : G→ H,Ψ : H → L Homomorphismen von Lie-Gruppen, die die Homo-morphismen ϕ : g→ h, ψ : h→ l induzieren. Dann ist der vonΨΦ : G→ Linduzierte Homomorphismus durch ψ ϕ : g→ l gegeben.

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26 1 Lie-Gruppen

3. Ist Φ : G → H ein Isomorphismus, so ist auch die induzierte Abbildungϕ : g→ h ein Isomorphismus von Lie-Algebren.

4. Sind Φ1,Φ2 : G→ H Homomorphismen von Lie-Gruppen, deren induzierteAbbildungen ϕ1, ϕ2 : g → h ubereinstimmen, so stimmen auch Φ1 und Φ2

auf der Identitatskomponente G0 von G uberein.

B: Es seien U0 und VIn wie in Korollar 1.49.

1. Um zu zeigen, dass Φ in allen Punkten A ∈ G differenzierbar ist, mussenwir zeigen, dass fur alle C∞-Kurven c : J → G mit c(0) = A die KompositionΦ c wieder eine C∞-Kurve ist. Verwende Exponentialkoordinaten, so dassLA expG(U0) = VA eine offene Umgebung von A ist. Wir konnen c(J) ⊂ VA

annehmen. Dann gilt:

Φ c(t) = (Φ LA expG c)(t) mit einer glatten Kurve c : J→ g= Φ(A expG c(t))

= Φ(A)Φ(expG(c(t)))

= Φ(A) expH(ϕ(c(t))) nach Satz 1.62

= LΦ(A) expH ϕ c ∈ C∞.

In der letzten Zeile werden nur C∞-Funktionen verknupft.

2. Rechne:

Ψ Φ(expG(tX)) = Ψ(expH(ϕ(tX))) = expL(ψ(ϕ(tX)))

= expL(ψ ϕ(tX)).

Wegen der Eindeutigkeit der induzierten Abbildung folgt die Behauptung.

3. Dass Φ ein Isomorphismus ist bedeutet, dass esΨ : H → G gibt mit Φ Ψ =idH undΨ Φ = idG. Fur die induzierten Abbildungen ϕ und ψ folgt wegender Eindeutigkeit ψ ϕ = idg, ϕ ψ = idh.

4. Nach Satz 1.62 gilt Φ1|VIn= Φ2|VIn

auf VIn = exp(U0), denn:

Φ1(expG(X)) = expH(ϕ1(X)) =ϕ1=ϕ2

expH(ϕ2(X)) = Φ2(expG(X)).

Damit stimmen die beiden Abbildungen auch auf dem Erzeugnis 〈VIn〉 vonVIn in G uberein. Ist G zusammenhangend, so folgt aus Lemma 1.10, dass sieauch auf ganz G ubereinstimmen.

Beispiel 1.64 Induzierte Homomorphismen von Lie-Algebren.

1. Die induzierte Abbildung von det : GLn(R)→ R×(= GL1(R)) ist die Spur: Esist namlich det(exp(A)) = eSpur(A), und da ex = expGL1(R)(x) ist, folgtLie(det) =Spur.

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1.4 Die Baker-Campbell-Hausdorff-Formel 27

2. Die Kreisgruppe S1 hat die zugehorige Lie-Algebra Lie(S1) = iR. Als Vek-torraum ist iR naturlich isomorph zu R. Die AbbildungΨ : S1 → S1, z 7→ z2

ist ein Homomorphismus mit Kern(Ψ) = −1, 1. Die von Ψ induzierte Ab-bildung Lie(Ψ) : R → R, X 7→ 2X ist ein Isomorphismus von Lie-Algebren(obwohlΨ kein Isomorphismus von Lie-Gruppen ist).

i

1

iR = Lie(S1)

S1

3. Betrachte Φ : (R,+) → (S1, ·), α 7→ eiα. Es ist Lie(Φ) : R → R, x 7→ x, alsoLie(Φ) = idR. Damit ist Lie(Φ) ein Isomorphismus von Lie-Algebren, aberjeder Homomorphismus von (S1, ·) → (R,+) ist konstant 0, da (R,+) keinekompakten Untergruppen außer 0 hat.

4. Die adjungierte Darstellung einer Lie-Gruppe Ad : G → GL(g) induziertdie Abbildung ad : g → gl(g) (vgl. Satz 1.30 und Bemerkung 1.45). Es giltnamlich fur alle Y ∈ g:

d

dt

∣∣∣∣t=0

AdexpG(tX)(Y) =d

dt

∣∣∣∣t=0

(expG(tX) · Y · expG(−tX))

= [X,Y]

= adX(Y).

1.4 Die Baker-Campbell-Hausdorff-Formel

In diesem Abschnitt ist G ⊆ GLn(R) eine lineare Lie-Gruppe mit Lie(G) = g undExponentialabbildung exp : g→ G.

Es sei U0 ⊆ g eine Exponentialkoordinatenumgebung von 0 ∈ g. Dann ist VIn =

exp(U0) eine Umgebung der Einheitsmatrix In ∈ G, so dass exp : U0 → VIn einHomoomorphismus mit Umkehrabbildung log : VIn → U0 ist.

Zum Beweis des nachfolgenden Satzes 1.69 werden noch einige Informationenuber das Differential der Exponentialfunktion exp : g→ G benotigt.

Der Ubersichtlichkeit wegen schreiben wir im Folgenden

Exp := expGL(g) : gl(g)→ GL(g)

fur die Exponentialabbildung von Matrizen.

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28 1 Lie-Gruppen

Lemma 1.65 Es seien X,Y ∈ g.

1. Es ist d exptX X = X · exp(tX) (∈ Texp(tX)G g).

2. Die Funktion ϕ(t) := d exptX tY mit ϕ(0) = 0, ϕ(1) = d expX Y, erfullt diegewohnliche Differentialgleichung

ϕ(t) = X · ϕ(t) + Y · exp(tX), ϕ(0) = Y.

3. Es sei LA(B) := AB. Dann gilt fur d expX : g→ Texp(X)G = d expX g:

d expX = Lexp(X)

∞∑

k=0

(−1)k

(k + 1)!adk

X

= Lexp(X)

(idg − Exp(−adX)

adX

),

wobei der Bruch naturlich als formale Schreibweise aufzufassen ist.

B:

1. Sei c(t) = exp(tX). Da c eine Einparametergruppe ist, folgt

c(t + s) = c(t) · c(s)

c(t) =d

ds

∣∣∣∣s=0

c(t + s)

=d

ds

∣∣∣∣s=0

(c(s) · c(t))

= c(0) · c(t)

= X · c(t).

Also erfullt c(t) die Differentialgleichung c(t) = X · c(t) = X · exp(tX). Außer-dem gilt c(t) = d exptX X.

2. Es gilt ϕ(0) = limt→0

d exptX tY−0

t= lim

t→0d exptX Y = Y, womit die Anfangsbedin-

gung erfullt ist. Es sei λα(X) := α · X. Dann gilt:

ϕ(t + s) = d exp(t+s)X(t + s)Y

= d(exp λt+s)XY

= d((exp λt) · (exp λs))XY

= exp(tX)d expsX sY + exp(sX)d exptX tY (Produktregel)

= exp(tX)ϕ(s) + exp(sX)ϕ(t).

Daraus folgt ϕ(t + s) − ϕ(s) = (exp(tX) − In)ϕ(s) + ϕ(t) exp(sX) und durchBildung des Differenzenquotienten schließlich

ϕ(s) = X · ϕ(s) + ϕ(0) · exp(sX) = X · ϕ(s) + Y · exp(sX).

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1.4 Die Baker-Campbell-Hausdorff-Formel 29

3. Setze ϕ(t) = d exptX tY mit ϕ(0) = 0, ϕ(1) = d expX Y wie in Teil 2 undbetrachte ψ(t) = exp(−tX)ϕ(t):

ψ(t) = exp(−tX)ϕ(t) − X exp(−tX)ϕ(t) (Teil 1 und Produktregel)

= exp(−tX)(Xϕ(t) + Y exp(tX)) −X exp(−tX)ϕ(t) (Teil 2)

= exp(−tX)Y exp(tX) (beachte: exp(−tX)X = X exp(−tX))

= Adexp(−tX)(Y)

= Exp(−adtX)(Y),

denn nach Satz 1.62 und Beispiel 1.64(4) gilt Exp(adX) = Adexp(X). Also:

ψ(1) =

∫ 1

0

Exp(−s · adX)(Y)ds.

Nun gilt d expX Y = ϕ(1) = exp(X) · ψ(1). Durch gliedweises Integrieren derExponentialreihe erhalt man die Behauptung.

Lemma 1.66 Ein Resultat uber Potenzreihen: Es seien

ϕ(z) =1 − e−z

z=

∞∑

k=0

(−z)k

(k + 1)!,

ψ(z) =z log(z)

z − 1= z

∞∑

k=1

(−1)k−1 (z − 1)k−1

k.

Dann gilt

ϕ(z)ψ(ez) = 1.

B: Ausrechnen:1 − e−z

z· ezz

ez − 1=

z(ez − 1)

z(ez − 1)= 1.

Und alles ist gezeigt.

Es sei nun U ⊆ U0 eine offene Umgebung der 0 in g und so gewahlt, dass gilt

exp(U) · exp(U) ⊆ VIn .

Bemerkung 1.67 Fur X,Y ∈ U ist

X ∗ Y := log(exp(X) · exp(Y))

definiert und bestimmt ein Produkt ∗ : U ×U→ U0.

Beispiel 1.68 Fur g gelte [g, g] ⊂ z(g), was aquivalent ist zu [g, [g, g]] = 0 (d.h. gist nilpotent). Dann ist X ∗Y = X+Y+ 1

2[X,Y], und in diesem Fall kann U0 = U = g

gewahlt werden.

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30 1 Lie-Gruppen

Satz 1.69 (Baker-Campbell-Hausdorff-Formel, Integraldarstellung)Seien X,Y ∈ U und fur ξ ∈ gl(g) sei

Ψ(ξ) = ξ

∞∑

k=1

(−1)k

k(ξ − idg)

k−1

= ξ log(ξ)

ξ − idg.

Dann gilt die folgende Fassung der Baker-Campbell-Hausdorff-Formel (BCH):

X ∗ Y = X +

∫ 1

0

Ψ(Exp(adX) Exp(t · adY))(Y) dt.

B: Sei Φ(ξ) =∞∑

k=0

(−1)k

(k+1)!ξk fur ξ ∈ gl(g). Dann ist nach Lemma 1.65

d expX = Lexp(X)(Φ(adX)) = exp(X) ·Φ(adX).

Die Funktionen Φ,Ψ entsprechen in ihrer Reihendarstellung formal den Potenz-reihen ϕ,ψ aus Lemma 1.66. Also gilt analog:

Ψ(Exp(adX)) Φ(adX) = idg.

Setze

F(t) := log( exp(X) · exp(tY) ),

G(t) := exp(F(t)).

Dann ist F(0) = X, F(1) = log(exp(X) · exp(Y)) = X +∫ 1

0F′(s)ds, mit noch zu

bestimmendem F′(t).

Außerdem ist

G′(t) =d

dtexp(F(t))

=d

dt(exp(X) · exp(tY))

= exp(X) · d

dtexp(tY)

︸ ︷︷ ︸=d exptY Y

= exp(X) · exp(tY) · Y= exp(F(t)) · Y.

Andererseits gilt auch (Lemma 1.65):

G′(t) = d expF(t) F′(t)

= exp(F(t)) ·Φ(adF(t))(F′(t)),

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1.4 Die Baker-Campbell-Hausdorff-Formel 31

woraus insgesamt folgt:Y = Φ(adF(t))(F

′(t)).

Verknupfung mitΨ(Exp(adF(t))) ergibt dann:

F′(t) = Ψ(Exp(adF(t)))(Y)

= Ψ(Adexp(F(t)))(Y)

= Ψ(Adexp(X) exp(tY))(Y)

= Ψ(Adexp(X) Adexp(tY))(Y)

= Ψ(Exp(adX) Exp(adtY))(Y).

Setzt man nun F′(t) in X ∗ Y = F(1) = X +∫ 1

0F′(s)ds ein, so erhalt man die BCH-

Formel.

Korollar 1.70 (Baker-Campbell-Hausdorff-Formel, Reihendarstellung)Es ist

X ∗ Y = X + Y +1

2[X,Y] +

1

12([X, [X,Y]] − [Y, [X,Y]]) + ...,

wobei”... “ fur Terme hoherer Ordnung in adX, adY steht.

B (vgl. auch Aufgabe 1.11): Man kann die Potenzreihe ψ aus Lemma1.66 schreiben als

ψ(z) = 1 +

∞∑

k=1

(−1)k+1

k(k + 1)(z − 1)k = 1 +

z − 1

2− (z − 1)2

6+

(z − 1)3

12− ...

Es gilt:

Exp(adX) Exp(t · adY) − idg = (idg + adX +ad2

X

2+ ...) (idg + tadY +

t2ad2Y

2+ ...) − idg

= adX + tadY + tadX adY +ad2

X

2+ t2 ad2

Y

2+ ...,

und daraus folgt (mitΨwie in Satz 1.69):

Ψ(Exp(adX) Exp(t · adY)) =idg +1

2(adX + tadY + tadX adY +

ad2X

2+ t2 ad2

Y

2+ ...)

− 1

6(ad2

X + t2ad2Y + tadX adY + tadY adX + ...)

+ ...

Wegen adY(Y) = 0:

log(exp(X)·exp(Y)) = X+

∫ 1

0

Y+1

2adX(Y)+

1

4ad2

X(Y)−1

6([X, [X,Y]]+t[Y, [X,Y]])+...dt

Was nach Auswerten des Integrals zum Ergebnis fuhrt.

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32 1 Lie-Gruppen

1.5 Lie-Untergruppen

In diesem Abschnitt ist G ⊆ GLn(R) eine lineare Lie-Gruppe mit der Lie-AlgebraLie(G) = g. Es bezeichne G0 die Zusammenhangskomponente der Identitat von Gund es sei h eine Unteralgebra von g.

Wir werden uns nun mit der folgenden Frage beschaftigen:

Kann zu der Lie-Algebra h eine Untergruppe H von G mit Lie(H) = h gefundenwerden?

Definition 1.71 Sei h eine Unteralgebra von Lie(G). Die von exp(h) erzeugte Un-tergruppe H = 〈exp(h)〉 nennen wir eine Lie-Untergruppe von G.

Lemma 1.72

1. Eine Lie-Untergruppe H ist zusammenhangend.

2. Wenn H eine abgeschlossene, zusammenhangende Untergruppe von G ist,so ist H eine Lie-Untergruppe von G.

3. WennΦ : G→ G ein Homomorphismus von linearen Lie-Gruppen ist, so istΦ(G0) ⊆ G eine Lie-Untergruppe von G.

B:

1. klar.

2. expG(Lie(H)) enthalt eine Umgebung der Identitat von H und deswegen istH = 〈expG(Lie(H))〉 (vgl. Korollar 1.49).

3. Es ist G0 = 〈expG(g)〉, also ist wegen der Homomorphieeigenschaft Φ(G0) =〈Φ(expG(g))〉. Nach Satz 1.62 gibt es ein ϕ : g → ϕ(g) ⊆ Lie(G) = g mitΦ expG(X) = expG ϕ(X). Also ist Φ(G0) = 〈expG(ϕ(g))〉 und h2 = ϕ(g) isteine Lie-Unteralgebra von g. Damit ist

Φ(G0) = 〈expG(h2)〉

eine Lie-Untergruppe.

Im Allgemeinen ist eine Lie-Untergruppe H keine lineare Lie-Gruppe im Sinnevon Definition 1.14, da H nicht abgeschlossen sein muss.

Beispiel 1.73 Betrachte die Einparametergruppen auf dem Torus

T2 = S1 × S1

(a 00 b

) ∣∣∣ a, b ∈ C, |a| = |b| = 1⊆ GL2(C)

R2/Z2 ( R2/(2πZ)2).

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1.5 Lie-Untergruppen 33

Man kann den Torus als Quotientengruppe von R2 mit der Quotiententopologieauffassen. Sei p die kanonische Projektion, dann wird durch

pE : R2 → T2, (x, y) 7→ (e2πix, e2πiy) = expT2(x, y),

ein Isomorphismus R2/Z2 → T2 induziert.R2

pE##G

G

G

G

G

G

G

G

G

p // R2/Z2

T2

Es gilt Kern(pE) = Z2.

Die Einparametergruppen von T2 sind die Bilder der Geraden durch 0 in R2

(vgl. Beispiel 1.60(5)). Die Abbildung pE : R2 → T2 kann als Homomorphismusvon Lie-Gruppen aufgefasst werden, die Einparametergruppen von T2 sind Lie-Untergruppen von T2.

Satz 1.74 Seien α, β ∈ R und

Φt : R→ T2, t 7→ (e2πitα, e2πitβ)

eine Einparameter-Untergruppe auf dem Torus T2. Dann ist das Bild von Φt eineLie-Untergruppe und es gilt

entweder : das Bild von Φt ist kompakt (dies ist aquivalent dazu, dass t · (α, β) einerationale Gerade ist, d.h. αβ = 0 oder α

β ∈ Q).

oder : das Bild von Φt ist dicht in T2 (in diesem Fall ist Φt injektiv).

B : Wir beweisen hier nur den Spezialfall, dass pE(t√

2, t) ein dichtesBild in T2 hat. Dafur genugt es zu zeigen:

∀ε > 0, (x, y) ∈ R2 ∃t ∈ R,mε, nε ∈ Z : |(x, y) − (t√

2, t) + (nε,mε)| < ε.

Dies wiederum gilt, da√

2n +m dicht in R ist: Die Menge

Γ(√

2) := √

2n +m | n,m ∈ Zist eine Untergruppe vonR. Γ(

√2) ist aber keine zyklische Untergruppe, da sonst√

2 ∈ Q gelten wurde. Da die diskreten Untergruppen Γ ⊂ R (also diejenigen, de-ren induzierte Topologie die diskrete Topologie ist) von einem kleinsten Elementx0 , 0 mit |x0| = min|x| | x ∈ Γ\0 erzeugt werden, mussen sie zyklisch sein.

Demnach kann Γ(√

2) auch keine diskrete Untergruppe vonR sein, sondern hauft

sich in 0. Es gibt also eine Folge (xk) in Γ(√

2) mit xk → 0. Fur ein beliebiges x ∈ Rwahle nun mk ∈ Z mit |mk − x

xk| < 1. Dann ist |xkmk − x| < |xk|, xkmk =: γk ∈ Γ(

√2)

und die Folge (γk) hauft sich in x. Folglich ist Γ(√

2) dicht inR.

Wir untersuchen im Folgenden auf Lie-Untergruppen eine andere Topologie alsdie induzierte Topologie. Es ist z.B. naheliegend, dichte Einparametergruppen aufT2 mit der Topologie von R zu versehen.

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34 1 Lie-Gruppen

Definition 1.75 Sei h eine Lie-Unteralgebra von g. Eine Umgebung U der 0 ∈ hheißt Baker-Campbell-Hausdorff-Umgebung, falls gilt:

1. Das Produkt ∗ : U ×U→ h ist definiert (d.h. die BCH-Reihe konvergiert).

2. U ist in einer Exponentialkoordinatenumgebung U0 von g mit 0 ∈ U0 ent-halten.

Definition 1.76 Sei h eine Lie-Unteralgebra von g und H = 〈expG(h)〉 eine Lie-Untergruppe. Dann ist die Lie-Gruppentopologie auf H diejenige Topologie, furdie das System der offenen Mengen von den Mengen

A · expG(U), U ⊆ h ist BCH-Umgebung,A ∈ H,

erzeugt wird.

Bemerkung 1.77 Wenn U eine BCH-Umgebung und A ∈ H ist, so ist auch AUA−1

eine BCH-Umgebung (wegen exp(AadX(·)A−1) = A exp(adX)A−1 und AdA([X,Y]) =[AdA(X),AdA(Y)]).

Satz 1.78 Sei H eine Lie-Untergruppe mit der Lie-Gruppentopologie. Dann gilt:

1. H ist eine topologische Gruppe, zusammenhangend, hausdorffsch und lo-kalkompakt.

2. Die Abbildung expH : h→ H ist stetig.

3. Es gibt eine Umgebung U von 0 ∈ h, so dass exp : U → V = exp(U) in derLie-Gruppentopologie auf H ein Homoomorphismus ist.

B:

1. Aus Teil 2 folgt, dass H zusammenhangend ist.

H ist eine topologische Gruppe: Dafur ist zu zeigen, dass die Inversion A 7→A−1 und die Multiplikation (A,B) 7→ A · B bzgl. der Lie-Gruppentopologiestetig sind. Wir zeigen dies hier nur fur A 7→ A−1.Wir zeigen zuerst, dass die Topologie auf H von symmetrischen BCH-Umgebungen U1 mit U1 = −U1 erzeugt wird: Sei U eine BCH-Umgebung,A ∈ exp(U). Die Abbildung ∗X : U → h,Y 7→ X ∗ Y ist stetig. Es gibt alsoeine symmetrische Umgebung U1 von 0 ∈ h, so dass X ∗U1 ⊆ U ist. Darausfolgt: A · exp(U1) ⊆ A · exp(U). Daher reicht es, symmetrische Umgebungenzu betrachten.

Wir zeigen nun, dass aus V = A · exp(U1) folgt, dass V−1 = B−1 | B ∈ V offenist:

V−1 = exp(U1)−1 · A−1 = (A−1A) · exp(−U1) · A−1 = A−1 exp(−AdA(U1))︸ ︷︷ ︸

offen

,

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1.5 Lie-Untergruppen 35

also ist V−1 offen und damit ist die Inversion stetig.

H ist hausdorffsch: Zeige: H\In ist eine offene Teilmenge von H: Sei A ∈H\In, dann wahle eine offene BCH-Umgebung UA von 0 ∈ h, so dassA−1 < exp(UA). Damit ist auch In < A exp(UA). Folglich ist A exp(UA) eine

offene Umgebung von A, die In nicht enthalt. Also ist H\In =⋃

A,In

A exp(UA)

offen.Seien A1,A2 ∈ H. Betrachte die Abbildung

f : H ×H → H, (B,C) 7→ A1BA−12 C−1.

Es gilt f (In, In) , In ⇔ A1 , A2. In letzterem Fall gibt es also, da f alsVerknupfung der Multiplikation und der Inversion stetig ist, eine offeneUmgebung V ⊆ H von In, so dass f (V,V) ⊆ H\In. Also ist A1 ·V∩A2 ·V = ∅.Damit ist H hausdorffsch in der Lie-Gruppentopologie.

Dass H lokalkompakt ist, folgt aus Teil 3.

2. Zeige die Stetigkeit von exp in einer Umgebung U0 von 0 ∈ h: Sei V =A exp(U) fur A ∈ H und eine BCH-Umgebung U. Dann ist V eine offeneUmgebung von A ∈ H. Fur X ∈ U0 mit A = exp(X) kommutiert das folgendeDiagramm:

exp(U)LA // V

U

exp

OO

∗X// X ∗U

exp

OO

Dabei ist ∗X : U0 → h,Y 7→ X ∗ Y und X ∗ U = exp−1(V). Zu zeigen ist nun,dass X ∗U eine offene Menge ist. MitΨ wie in Satz 1.69 gilt:

∗X(Y) = X ∗ Y = X +

∫ 1

0

Ψ(Exp(adX) Exp(t · adY))(Y)dt.

Wir leiten diese Formel ab:

(d∗X)0Y =d

dt

∣∣∣∣t=0

(X ∗ tY)

=d

dt

∣∣∣∣t=0

(∫ 1

0

Ψ(Exp(adX) Exp(s · adtY))(tY)ds

)

= Ψ(Exp(adX))(Y).

Es ist bekannt, dassΨ(Exp(adX)) nahe bei 0 invertierbar ist durchΦ(adX) wieim Beweis von Satz 1.69. Also ist (d∗X)0 eine invertierbare lineare Abbildung,d.h. die differenzierbare Abbildung ∗X ist ein lokaler Diffeomorphismusnahe bei 0 und bildet daher offene Mengen auf offene Mengen ab. Damitist X ∗ U = ∗X(U) offen und schließlich exp : h → H stetig in der Lie-Gruppentopologie.

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36 1 Lie-Gruppen

3. Sei U eine BCH-Umgebung. Dann ist exp : U → V = exp(U) stetig. Umzu zeigen, dass exp ein Homoomorphismus ist, muss gezeigt werden, dassdie Bilder offener Mengen offen sind (bzw. dass die Bilder abgeschlossenerMengen abgeschlossen sind).

Wahle daher U so, dass der Abschluss U kompakt ist. Dann ist wegen

der Stetigkeit auch V := exp(U) kompakt, also insbesondere abgeschlossenin der Lie-Gruppentopologie (da H nach Teil 1 hausdorffsch ist und kom-pakte Teilmengen von hausdorffschen Raumen abgeschlossen sind). Dieses

Argument gilt auch fur alle abgeschlossenen Teilmengen von U. Also ist

exp : U→ V ein Homoomorphismus.

Lemma 1.79 Sei H eine Lie-Untergruppe mit der Lie-Gruppentopologie. Danngilt:

1. H ist eine abzahlbare Vereinigung kompakter Mengen.

2. Es gibt eine offene Umgebung V von In und eine Folge (Ak) in H, so dass

H =

∞⋃

k=1

Ak · V.

B:

1. Ist W eine kompakte Umgebung von In, so gilt H = 〈W〉 (vgl. Lemma 1.10).Also folgt, dass fur alle A ∈ H ein k ∈ N existiert, so dass

A ∈Wk

:=W · · ·W︸ ︷︷ ︸k-mal

.

Die Mengen Wk

sind kompakt und uberdecken H.

2. Sei V eine offene Umgebung von In. Dann bilden die Mengen A ·V, A ∈Wk,

eine offene Uberdeckung von Wk. Da W

kkompakt ist, gibt es also endlich

viele Ak,1, ...,Ak,nk, so dass die Mengen

Ak,1 · V, ...,Ak,nk· V

die Menge Wk

uberdecken. Also uberdecken die Ak, j · V, k, j ∈ N, ganz H.

Satz 1.80 Sei H eine Lie-Untergruppe von G mit H = 〈expG(h)〉 fur eine Lie-Unteralgebra h ⊆ g. Dann gilt:

Lie(H) = h

Insbesondere ist Lie(H) eine Lie-Algebra.

B: Offensichtlich gilt schon h ⊆ Lie(H).

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1.5 Lie-Untergruppen 37

Zeige Lie(H) ⊆ h: Sei X ∈ Lie(H). Dann gilt fur alle t ∈ R: exp(tX) ∈ H. Sei U ⊆ heine Umgebung von 0 ∈ h, so dass U Teilmenge eine Exponentialkoordinatenum-gebung U0 von g ist.Wir wissen bereits: In jedem Intervall (−ε, ε) gibt es von 0 verschiedene t1 , t2, sodass exp(t1X), exp(t2X) ∈ A · V gilt fur ein A ∈ H und V = exp(U). Daraus folgtexp((t2 − t1)X) ∈ V.Da mit ε auch t2 − t1 beliebig klein gewahlt werden kann, durfen wir annehmen,dass (t2 − t1)X ∈ U0 gilt. Dann gibt es ein Y ∈ U ⊆ U0 mit exp((t2 − t1)X) = exp(Y),da ja exp((t2 − t1)X) ∈ V = exp(U) gilt. Nun muss aber (t2 − t1)X = Y gelten unddamit wegen Y ∈ h auch X ∈ h.

Korollar 1.81 Wenn die Lie-Untergruppe H ⊆ GLn(R) abgeschlossen ist, dannstimmt die induzierte Topologie mit der Lie-Gruppentopologie auf H uberein.

B: In einer beliebigen topologischen Gruppe G ist die Topologie bestimmtdurch die Topologie auf einer offenen Umgebung der Identitat (da die Abbildun-gen Lg(g2) = gg2 Homoomorphismen von G sind. Wenn Ug eine Umgebung vong ∈ G ist, so ist Lg−1Ug eine Umgebung der Identitat. Umgekehrt ist fur eine Um-gebung U der Identitat LgU eine Umgebung von g).Wir wissen bereits (vgl. Korollar 1.49): Ist H abgeschlossen, also eine lineare Lie-Gruppe, so gibt es Exponentialkoordinaten exp : U1 → exp(U1) ⊆ H fur eine (inder induzierten Topologie) offene Umgebung U1 von 0 ∈ Lie(H).Wenn U2 eine Exponentialkoordinatenumgebung fur die Lie-Gruppentopologieist, dann ist U2 eine (in der Lie-Gruppentopologie) offene Teilmenge von Lie(H)und U = U1 ∩U2 hat die Eigenschaft, dass V = exp(U) eine offene Umgebung derIdentitat in beiden Topologien ist, die homoomorph zu U ist.

Wir haben gesehen, dass abgeschlossene zusammenhangende Untergruppen Lie-Untergruppen sind. Es ist sogar richtig, dass jede zusammenhangende Unter-gruppe H ⊆ GLn(R) eine Lie-Untergruppe ist. Fur einen Beweis siehe Warner[17], Varadarajan [16] oder Hilgert und Neeb [8].

Es gilt die folgende Charakterisierung von Lie-Untergruppen:

Satz 1.82 (Charakterisierung von Lie-Untergruppen)Eine Untergruppe H ⊆ GLn(R) ist genau dann eine Lie-Untergruppe, wenn Hzusammenhangend ist.

Die Existenz von Exponentialkoordinaten impliziert, dass eine Lie-Untergruppeeine differenzierbare Mannigfaltigkeit ist.

Satz 1.83 Jede Lie-Untergruppe H ⊆ GLn(R) mit der Lie-Gruppentopologie hateine naturliche Struktur als differenzierbare Mannigfaltigkeit, bzgl. der die Expo-nentialkoordinaten differenzierbare Koordinaten sind. Weiter sind die Gruppen-operationen Multiplikation und Inversion differenzierbare Abbildungen.

B: Sei U eine Exponentialkoordinatenumgebung. Fur A ∈ H definiere

UA = A · exp(U),

ϕA : UA → U ⊆ h, B 7→ log(A−1B).

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38 1 Lie-Gruppen

Die Karten (UA, ϕA) bilden einen differenzierbaren Atlas fur die Lie-UntergruppeH, denn die Koordinatenwechsel ϕB ϕ−1

Asind von der Gestalt

X︸︷︷︸∈h

7→ log(A−1B exp(X))

und diese Abbildung ist differenzierbar als Verknupfung von differenzierbarenAbbildungen. Es bleibt dem geneigten Leser in der Aufgabe 1.9 uberlassen, dieDifferenzierbarkeit der Gruppenoperationen zu zeigen.

Aus dem bereits Gezeigten folgt nun:

Korollar 1.84 Die Identitat idH induziert eine stetige (und auch differenzierbare)Abbildung

(H, Lie-Gruppentopologie)idH→ (H, induzierte Topologie) ⊆ GLn(R)

A 7→ A.

Die Einbettung der Mannigfaltigkeit H → GLn(R) ist eine glatte Immersion.

Mit den Methoden dieses Kapitels lasst sich nun der folgende Satz zeigen:

Satz 1.85 Sei G eine zusammenhangende Lie-Gruppe mit Lie-Algebra g und Heine zusammenhangende Lie-Untergruppe von G mit Lie-Algebra h. Dann ist Hgenau dann ein Normalteiler in G, wenn h ein Ideal in g ist.

1.6 Lie-Gruppen

Durch den Mannigfaltigkeitsbegriff kommen wir zu einer allgemeineren Defini-tion von Lie-Gruppen:

Definition 1.86 Eine topologische Gruppe G heißt Lie-Gruppe, wenn gilt:

1. G ist eine differenzierbare Mannigfaltigkeit.

2. Die Abbildungen G → G, g 7→ g−1 und G × G → G, (g, g) 7→ g · g sinddifferenzierbar.

Definition 1.87 Es seien G und H Lie-Gruppen. Ein differenzierbarer Gruppen-homomorphismus Φ : G→ H heißt Homomorphismus von Lie-Gruppen.

Beispiel 1.88 Sei H eine zusammenhangende Untergruppe von GLn(R). Danngibt es eine Lie-Gruppe H und einen Lie-Gruppenhomomorphismus Φ : H →GLn(R) mit Φ(H) = H.

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1.6 Lie-Gruppen 39

Definition 1.89 Sei G eine Lie-Gruppe, g eine Lie-Algebra. Ein Homomorphismusvon Lie-Gruppen Φ : G → GLn(R) heißt Darstellung von G. Eine Darstellungheißt treu, wenn sie injektiv ist.

Es stellt sich die Frage, ob jede Lie-Gruppe eine treue Darstellung besitzt. Dies istim Allgemeinen nicht der Fall. Nach dem Satz von Ado (siehe Fulton und Harris[5] oder Jacobson [9]) besitzt aber jede Lie-Algebra eine treue Darstellung, und istsomit isomorph zu einer Unteralgebra von gln(R).

Die topologischen Begriffe, die im Rest des Abschnittes sowie in den Ubungsauf-gaben vorkommen, konnen bei Massey [22] oder Hatcher [19] nachgeschlagenwerden.

Bemerkung 1.90 Wenn G eine Lie-Gruppe ist, so ist auch die universelle Uber-lagerung G von G eine Lie-Gruppe. Damit ist die Uberlagerungsabbildung p :G→ G ein Homomorphismus von Lie-Gruppen. Der Kern von p ist ein diskreterNormalteiler von G. Wenn G zusammenhangend ist, so ist Kern(p) ⊆ Z(G).

Beispiel 1.91 SL2(R) ist homoomorph zu S1 × R2, wie man an der Iwasawa-Zerlegung (vgl. Satz 1.13) von A ∈ SL2(R) sieht:

A =

(cos(α) − sin(α)sin(α) cos(α)

)·(λ 00 λ−1

)·(1 a0 1

).

Die Fundamentalgruppe von SL2(R) ist Z. Also ist SL2(R) nicht einfach zusam-

menhangend und es gibt eine universelle Uberlagerung SL2(R), die als Mannifal-tigkeit diffeomorph zu R3 ist.

Man kann zeigen, dass jeder HomomorphismusΦ : SL2(R)→ GLn(R) uber SL2(R)faktorisiert, d.h. es gibt ein kommutatives Diagramm

SL2(R)

p%%K

K

K

K

K

K

K

K

K

Φ // GLn(R)

SL2(R)

OO

Insbesondere hat SL2(R) keine treue Darstellung (dazu: Aufgabe 1.16 und Aufgabe1.17).

Die in den vorherigen Abschnitten gezeigten Resultate uber lineare Lie-Gruppengelten auch fur Lie-Gruppen im Sinne von Definition 1.86. Die linksinvariantenVektorfelder auf einer Lie-Gruppe G bilden die Lie-Algebra von G und die Expo-nentialabbildung wie in Aufgabe 1.7(4) definiert. Die weiterfuhrende Theorie derLie-Gruppen findet man z.B. bei Warner [17], Varadarajan [16] und Helgason [7].

Insbesondere gilt analog zu Satz 1.62:

Satz 1.92 Es sein G eine einfach zusammenhangende Lie-Gruppe mit Lie-Algebrag, und H eine Lie-Gruppe mit Lie-Algebra h. Zu jedem Homomorphismus von

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40 1 Lie-Gruppen

Lie-Algebren ϕ : g → h gibt es einen eindeutig bestimmten Homomorphismusvon Lie-Gruppen Φ : G→ H, so dass das folgende Diagramm kommutiert:

GΦ // H

g

expG

OO

ϕ// h

expH

OO

1.7 Aufgaben

Aufgabe 1.1 Klassifikation von Lie-Algebren

Sei g eine Lie-Algebra.

1. Zeigen Sie: Wenn g eindimensional ist, so ist g abelsch.

2. Bestimmen sie alle zweidimensionalen Lie-Algebren bis auf Isomorphie.(Spielt der Grundkorper eine Rolle?)

3. Geben Sie eine Liste aller dreimensionalen reellen und komplexen Lie-Algebren, die Sie kennen. Versuchen Sie zu entscheiden, welche der Beispielezueinander isomorph sind. Konnen Sie eine vollstandige Liste angeben?

4. Gibt es bis auf Isomorphie in jeder Dimension nur endlich viele Lie-Algebren?

Aufgabe 1.2 Zeigen Sie, dass fur char(K) , 2 die Lie-Algebra sl2(K) einfach ist.

Aufgabe 1.3 Der Fluss von Vektorfeldern

Sei X ein Vektorfeld auf einer offenen Teilmenge U desRn.

1. Zeigen Sie: Fur alle x ∈ U gibt es eine Umgebung V von x und ein IntervallI = (−ε, ε) mit der folgenden Eigenschaft: Fur alle x ∈ V gibt es eine Kurvecx : I → U mit cx(0) = x und cx(t) = X(c(t)). Die differenzierbare Kurve cx istdurch diese Bedingung eindeutig festgelegt.

2. Definiere fur x ∈ V: ϕt(x) = cx(t). Zeigen Sie, dass ϕt, t ∈ I, einen loka-len Diffeomorphismus von V nach U definiert und verifizieren Sie, dassϕt ϕs = ϕt+s gilt. (ϕt, t ∈ I, wird eine lokale Einparametergruppe vonDiffeomorphismen genannt.)

3. Seien X,Y Vektorfelder auf einer offenen Teilmenge U des Rn mit lokalenEinparametergruppen ϕt, ψt. Wir definieren das Vektorfeld (ψt)∗(X) durch

(ψt)∗(X)(y) = (dψt)x(X(x)), x = (ψt)−1y, y ∈ U .

Zeigen Sie:

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1.7 Aufgaben 41

(a) ∂∂t

(ψt)∗(X)|t=0 = [X,Y]

(b) Die Flusse ϕt, ψt kommutieren, das heißt es gilt ϕtψt = ψtϕt, genaudann, wenn [X,Y] = 0.

Aufgabe 1.4 Einparametergruppen sind glatt

Es sei c : R → G eine Einparametergruppe einer linearen Lie-Gruppe G. ZeigenSie, dass es genau ein X ∈ g gibt, so dass c(t) = expG(tX). Weiter erfullt c die lineareDifferentialgleichung c′(t) = c(t)X.

Aufgabe 1.5 Bild der Exponentialabbildung

Es bezeichne exp : Matn(R)→ GLn(R) die Exponentialabbildung fur Matrizen.

1. Zeigen Sie: Die Abbildung exp : Matn(C)→ GLn(C) ist surjektiv.

2. Ist exp : Lie(SL2(C))→ SL2(C) surjektiv?

3. Bestimmen Sie das Bild von exp : Mat2(R)→ GL2(R).

Aufgabe 1.6 Zusammenhang von linearen Lie-Gruppen

Zeigen Sie, dass eine abgeschlossene Untergruppe G von GLn(R) genau dannzusammenhangend ist, wenn Sie wegzusammenhangend ist.

Aufgabe 1.7 Linksinvariante Vektorfelder

Ein Vektorfeld auf GLn(R) heißt linksinvariant, wenn fur alle g, h ∈ GLn(R),X(gh) = gX(h) gilt. Beweisen Sie:

1. Die Menge der linksinvarianten Vektorfelder auf GLn(R) bildet eine Lie-Algebra (mit der Klammer von Vektorfeldern).

2. Diese Lie-Algebra ist isomorph zur Lie-Algebra der n × n-Matrizen.

3. Der Fluss ϕt eines linksinvarianten Vektorfeldes ist fur alle Zeiten t definiertund erfullt ϕt(g) = gϕt(In).

4. Zeigen Sie, dass exp(tX) die Flusskurve von X ist, die in In startet.

Aufgabe 1.8 Beweisen Sie Lemma 1.33.

Aufgabe 1.9 Beweisen Sie die Differenzierbarkeit der Gruppenoperationen imBeweis zu Satz 1.83.

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42 1 Lie-Gruppen

Aufgabe 1.10 Identitatskomponente

Sei G eine lineare Lie-Gruppe mit Lie-Algebra g. G0 bezeichne die Komponenteder Identitat von G. Sei U eine offene Umgebung der 0 in g. Zeigen Sie: JedesElement g ∈ G0 schreibt sich als Produkt der Gestalt

g = exp(X1) · . . . · exp(Xk)

mit Xi ∈ U.

Aufgabe 1.11 Baker-Campbell-Hausdorff-Reihe

1. Beweisen sie die folgende Reihenformel fur Matrizen X und Y aus GLn(R):

log(exp(X) exp(Y)) = X+

k,m≥0,pi+qi>0

(−1)k

(k + 1)(q1 + . . . + qk + 1)

adp1

Xad

q1

Y· · · ad

pk

Xad

qk

Yadm

X

p1!q1! · · · pk!qk!m!

2. Berechnen Sie die Baker-Campbell-Hausdorff Reihe explizit fur die Gruppeder unipotenten oberen Dreiecksmatrizen in GLn(R), n ≤ 4.

Aufgabe 1.12 Komponenten

Es sei G eine (lineare) Lie-Gruppe. Zeigen Sie, dass alle Zusammenhangskompo-nenten von G die gleiche Dimension haben.

Aufgabe 1.13 Zeigen Sie, dass die Abbildung

Ad : SU2 → SO3(R)

surjektiv ist.

Aufgabe 1.14 Es sei G eine lineare Lie-Gruppe und g ∈ G. Zeigen Sie:

1. Adg : G → G, h 7→ ghg−1 ist die von Ad : G → GL(g) (gemaß Satz 1.62)induzierte Abbildung.

2. Ist G zusammenhangend, so ist Kern(Ad) = Z(G).

Aufgabe 1.15 Diskrete Normalteiler

Es sei G eine zusammenhangende Lie-Gruppe und H eine Lie-Untergruppe. Hheißt Normalteiler, wenn gHg−1 = H fur alle g ∈ G. Zeigen Sie: Wenn H ⊂ G einNormalteiler ist, und H eine diskrete Teilmenge von G ist, so ist H zentral, d.h.

H ⊂ Z(G) = l ∈ G | glg−1 = l fur alle g ∈ G.

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1.7 Aufgaben 43

Aufgabe 1.16 Uberlagerungshomomorphismen

Es sei ϕ : G→ H ein Homomorphismus von Lie-Gruppen und dim(G) = dim(H).Zeigen Sie: Der Kern vonϕ ist genau dann diskret, wenn die induzierte Abbildungder Lie-Algebren Lie(ϕ) : g→ h ein Isomorphismus ist. (Zeigen Sie weiter: Genaudann ist die differenzierbare Abbildungϕ eine Uberlagerungsabbildung zwischenden topologischen Raumen G und H.)

Aufgabe 1.17 Die universelle Uberlagerung von SL2(R)

1. Konstruieren Sie einen expliziten Diffeomorphismus zwischen S1×R×RundSL2(R). (Hinweis: Benutzen Sie die Iwasawa-Zerlegung SL2(R) = SO2 ·A ·N,wobei A ·N die Gruppe der oberen Dreiecksmatrizen ist.)

2. Konstruieren Sie auf der Mannigfaltigkeit S1 × R × R ein differenzierbaresGruppenprodukt, so dass die zugehorige Lie-Gruppe isomorph zu SL2(R)ist. (Hinweis: Berechnen Sie das Gruppen-Produkt von SL2(R) in den in 1.gefundenen Koordinaten.)

3. Konstruieren Sie auf R3 ein Lie-Gruppenprodukt • zusammen mit einemsurjektiven (Lie-Gruppen-) Homomorphismus ϕ : (R3, •) → SL2(R). (Hin-weis: Benutzen Sie die naturliche UberlagerungsabbildungR3 → S1×R×R.)

4. Bestimmen Sie das Zentrum von (R3, •) und den Kern von ϕ.

5. Folgern Sie, dass die Lie-Gruppe SL2(R) := (R3, •), die (bis auf Isomorphieeindeutig bestimmte) universelle Uberlagerungsgruppe von SL2(R) ist.

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44 1 Lie-Gruppen

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45

2 Auflosbare, nilpotente und halbeinfache Lie-Algebren

In diesem Kapitel sind alle Lie-Algebren endlichdimensional uber dem Korper K.

2.1 Auflosbare und nilpotente Lie-Algebren

Definition 2.1

1. Eine absteigende Folge

g = g0 ⊇ g1 ⊇ g2 ⊇ ... ⊇ gk = 0

heißt Normalreihe von g, wenn gi+1 ein Ideal in gi ist fur alle i.

2. g heißt auflosbar, wenn eine Normalreihe g0 ⊇ g1 ⊇ ... ⊇ gk = 0 von gexistiert, so dass gi/gi+1 abelsch ist fur alle i, d.h. es ist [gi, gi] ⊆ gi+1.

Lemma 2.2

1. Ist g auflosbar und ϕ : g → h ein Homomorphismus von Lie-Algebren, soist auch ϕ(g) auflosbar.

2. g ist auflosbar genau dann, wenn ad(g) auflosbar ist.

B:

1. klar.

2.”⇒“: ad(g) ist das homomorphe Bild von g unter ad und somit nach Teil 1

auflosbar.

”⇐“: Aus Satz 1.30 folgt ad(g) g/z(g). Bilden die Ideale gi eine auflosbare

Reihe in g/z(g), so bilden die gi = p−1(gi) eine Normalreihe mit abelschenQuotienten in g.

Lemma 2.3 Ist I ⊆ g ein Ideal, so gilt: g/I ist abelsch⇔ [g, g] ⊆ I.

B: Es ist g/I = X = X + I | X ∈ g, X = 0⇔ X ∈ I und [X,Y] = [X,Y]. Damitgilt:

g/I ist abelsch ⇔ ∀ X,Y : [X,Y] = 0

⇔ ∀ X,Y : [X,Y] = 0

⇔ ∀ X,Y : [X,Y] ∈ I⇔ [g, g] ⊆ I.

Womit alles gezeigt ware.

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46 2 Auflosbare, nilpotente und halbeinfache Lie-Algebren

Definition 2.4 Die absteigende Zentralreihe von g ist definiert durch

C0g := g,

Ci+1g := [g,C ig].

Definition 2.5 Die derivierte Reihe von g ist definiert durch

D0g := g,

Di+1g := [D ig,D ig].

Bemerkung 2.6

1. Die C ig und die D ig sind invariante Ideale, d.h. fur jeden AutomorphismusΦ von Lie-Algebren gilt Φ(C ig) ⊆ C ig bzw. Φ(D ig) ⊆ D ig und fur jedeDerivation D gilt D(C ig) ⊆ C ig bzw. D(D ig) ⊆ D ig.

2. Es ist D ig ⊆ C ig und speziell

C1g = [g, g] = D

1g.

3. Die Reihen C ig und D ig haben nach Lemma 2.3 die Eigenschaft, dassC ig/C i+1g und D ig/D i+1g abelsch sind. Gilt insbsondere D kg = 0 fur eink, so folgt, dass g auflosbar ist.

Lemma 2.7 Eine Lie-Algebra g ist genau dann auflosbar, wenn es ein k ≥ 0 gibt,so dass D kg = 0 gilt.

B:”⇐“: Aus D kg = 0 folgt, dass g ⊇ D1g ⊇ ... ⊇ D kg = 0 eine Normalreihe

mit abelschen ist Quotienten ist.

”⇒“: Zeige durch Induktion uber i, dass D ig ⊆ gi gilt fur eine Normalreihe g =g0 ⊇ g0 ⊇ ... ⊇ gk = 0.

Induktionsanfang: g = g0 = D0g.

Induktionsannahme: D ig ⊆ gi.

Induktionsschluss: Da gi/gi+1 abelsch ist, gilt [gi, gi] ⊆ gi+1 und es folgt mit derInduktionsannahme: D i+1g ⊆ [D ig,D ig] ⊆ [gi, gi] ⊆ gi+1.

Definition 2.8 Die Lie-Algebra g heißt nilpotent, wenn C kg = 0 gilt fur ein k ≥ 0.

Lemma 2.9 Sei g eine Lie-Algebra.

1. Ist g nilpotent, so ist g auch auflosbar (da C ig/C i+1g abelsch ist).

2. Ist [g, g] nilpotent, so ist g auflosbar.

3. Ist h eine Unteralgebra von g und ist g nilpotent (bzw. auflosbar), so ist auchh nilpotent (bzw. auflosbar).

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2.1 Auflosbare und nilpotente Lie-Algebren 47

Es sei hier noch einmal an Definition 1.22(5) erinnert:Eine Lie-Algebra g , 0 heißt einfach, wenn sie nicht abelsch ist und 0 und gselbst als einzige Ideale besitzt.

Beispiel 2.10 Zentralreihen und auflosbare Lie-Algebren.

1. Fur eine abelsche Lie-Algebra g ist C ig = 0 fur alle i ≥ 1 und g ist auflosbar.

2. Die Heisenberg-Algebra (vgl. Beispiel 1.43(2))

h3 =

0 x z0 0 y0 0 0

∣∣∣∣∣ x, y, z ∈ K

hat die absteigende Zentralreihe

C0h3 = h3

C1h3 =

0 0 u0 0 00 0 0

∣∣∣∣∣ u ∈ K= z(h3) = X ∈ h3 | ∀Y ∈ h3 : [X,Y] = 0

C2h3 = 0.

Die Heisenberg-Algebra ist auflosbar und nilpotent.

3. Es sei char(K) , 2. Fur die Lie-Algebra

sl2(K) = A ∈ gl2(K) | Spur(A) = 0

gilt[sl2(K), sl2(K)] = sl2(K)

und damit C isl2(K) = sl2(K). Außerdem ist sl2(K) nicht auflosbar, da sl2(K)nicht abelsch ist und die einzigen Ideale von sl2(K) das Nullideal und sl2(K)selbst sind. Damit ist sl2(K) eine einfache Lie-Algebra.

4. Sei g die zweidimensionale Lie-Algebra mit Basis X,Y und die Lie-Klammerdefiniert durch [X,Y] = X. Dann gilt fur alle i:

C1g = 〈X〉 = C

ig.

g ist auflosbar, aber nicht nilpotent.

Bemerkung 2.11 Ist g auflosbar und hat 0und g als einzige Ideale, so ist g abelschund dim(g) = 1.

Definition 2.12 Sei V ein K-Vektorraum der Dimension n. Eine Sequenz F = (Vi)von Unterraumen

V = V0 ⊇ V1 ⊇ ... ⊇ Vn = 0mit dim(Vi/Vi+1) = 1 heißt Fahne von V.

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48 2 Auflosbare, nilpotente und halbeinfache Lie-Algebren

Definition 2.13 Der Stabilisator der Fahne F ist

S(F ) = ϕ ∈ gl(V) | ∀i : ϕ(Vi) ⊆ Vi

und der Annihilator von F ist

N(F ) = ϕ ∈ gl(V) | ∀i : ϕ(Vi) ⊆ Vi+1.

Beispiel 2.14 Es sei e1, ..., en die Standardbasis von V = Kn. Dazu definieren wirdie Standardfahne

V0 = V

Vi = 〈ei+1, ..., en〉Vn = 0.

Dann gilt:

S(F ) =

∗ 0. . .

∗ ∗

⊆ gln(K),

N(F ) =

0 0. . .

∗ 0

⊆ gln(K).

Satz 2.15 Sei V ein K-Vektorraum der Dimension n und F eine Fahne von V.Dann gilt:

1. S(F ) ist eine auflosbare Lie-Unteralgebra von gl(V).

2. N(F ) ist eine nilpotente Lie-Unteralgebra von gl(V) und es gilt

D1S(F ) = [S(F ), S(F )] ⊆ N(F ).

Insbesondere ist N(F ) ein Ideal in S(F ).

B: Fur einen Unterraum W ⊆ V und ϕ : V → V mit ϕ(W) ⊆ W bezeichneϕ|V/W die durch ϕ auf V/W induzierte Abbildung x +W 7→ ϕ(x) +W.

1. Zeige nur, dass S(F ) eine Unteralgebra ist, der Rest folgt dann wegen Lemma2.9 aus Teil 2:Es seien ϕ,ψ ∈ S(F ). Dann gilt:

[ϕ,ψ](Vi) = ϕ ψ(Vi) − ψ ϕ(Vi) ⊆ ϕ(Vi) − ψ(Vi) ⊆ Vi

und folglich ist [ϕ,ψ] ∈ S(F ).

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2.1 Auflosbare und nilpotente Lie-Algebren 49

2. Dass N(F ) eine Unteralgebra ist, zeigt man genauso wie fur S(F ).Es ist

[S(F ), S(F )] ⊆ N(F ),

denn fur ϕ,ψ ∈ S(F ) sind aquivalent:

[ϕ,ψ] ∈ N(F )⇔ [ϕ,ψ](Vi) ⊆ Vi+1

⇔ [ϕ,ψ]|Vi/Vi+1= 0

und die letzte Aussage ist wahr, da aus dim(Vi/Vi+1) = 1 folgt:

[ϕ,ψ]|Vi/Vi+1= [ϕ|Vi/Vi+1

, ψ|Vi/Vi+1] = 0.

Es bleibt noch zu zeigen, dass N(F ) nilpotent ist. Dazu betrachten wir dieHomomorphismen von Lie-Algebren

τi : S(F )→ gl(V/Vi), ϕ 7→ ϕ|V/Vi.

Fur k = 0, ..., n − 1 setzen wir

N(F )k := ϕ ∈ N(F ) | ∀i : ϕ(Vi) ⊆ Vk+i+1.Offensichtlich ist N(F )k ein Ideal in N(F ). Es gilt

N(F ) = N(F )0 ⊇ N(F )1 ⊇ ... ⊇ N(F )n−1 = 0.Wir beweisen nun induktiv, dass fur k = 0, ..., n − 1 gilt:

CkN(F ) ⊆ N(F )k

Induktionsanfang: C 0N(F ) = N(F ) = N(F )0.

Induktionsannahme: C kN(F ) ⊆ N(F )k.

Induktionsschluss: Sei ϕ ∈ N(F ), ψ ∈ N(F )k. Dann gilt

ϕ ψ(Vi) ⊆ ϕ(Vi+k+1) ⊆ Vi+k+1+1

ψ ϕ(Vi) ⊆ ψ(Vi+1) ⊆ Vi+1+k+1

⇒ [ϕ,ψ](Vi) ⊆ Vi+k+2,

also [ϕ,ψ] ∈ N(F )k+1. Insbesondere folgt mit der Induktionsannahme

Ck+1N(F ) = [N(F ),C kN(F )] ⊆ [N(F ),N(F )k] ⊆ N(F )k+1,

was zu zeigen war.

Nun folgt sofortC

n−1N(F ) = N(F )n−1 = 0,insbesondere ist N(F ) eine nilpotente Lie-Algebra.

Korollar 2.16

1. S(F ) und N(F ) sind offensichtlich auch Unteralgebren der assoziativen Al-gebra der Endomorphismen auf V.

2. Aus Beispiel 2.14 erhalten wir: Der Raum der oberen (unteren) Dreiecksma-trizen ist eine auflosbare Lie-Algebra, und die Menge der strikten oberen(unteren) Dreiecksmatrizen (d.h. mit 0 auf der Diagonalen) ist eine nilpo-tente Lie-Algebra.

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50 2 Auflosbare, nilpotente und halbeinfache Lie-Algebren

2.2 Die Satze von Lie und Engel

Lemma 2.17 Sei K ein algebraisch abgeschlossener Korper mit char(K) = 0, V einK-Vektorraum und 0 , g ⊆ gl(V) eine auflosbare Lie-Algebra linearer Transfor-mationen.

1. Es gibt ein Ideal h der Kodimension 1 in g.

2. Es gibt einen Vektor w ∈ V\0 und einen Homomorphismus Λ : g → K, sodass fur alle ϕ ∈ g gilt:

ϕ(w) = Λ(ϕ)w,

und dies bedeutet insbesondere g(w) ⊆ 〈w〉. Ein solches Λ nennt man Ge-wicht von g und w den zugehorigen Gewichtsvektor.

B:

1. Da g auflosbar ist, gilt [g, g] , g. Sei h ein Untervektorraum der Kodimension1, so dass h ⊇ [g, g] gilt. Dann ist h offensichtlich auch ein Ideal.

2. Mit VΛ = VΛ(g) = v ∈ V | ∀ϕ ∈ g : Λ(ϕ)v = ϕ(v) bezeichnen wir denVektorraum der Gewichtsvektoren zum Gewicht Λ.

Wir fuhren den Beweis durch Induktion uber dim(g).

Induktionsanfang: dim(g) = 1. Aus der linearen Algebra ist bekannt, dasswegen der algebraischen Abgeschlossenheit von K ein Eigenvektor existiert.

Induktionsannahme: Es gibt ein GewichtΛ : h→ K,Λ , 0 fur ein Ideal h ⊂ gwie in Teil 1 und VΛ(h) , ∅.Induktionsschluss: Wir benutzen, dass VΛ = VΛ(h) invariant ist unter g, d.h.fur alle ϕ ∈ g ist ϕ(VΛ) ⊆ VΛ (Beweis im Anschluss). Wahle nun ein ϕ ∈ g,so dass g = 〈ϕ〉⊕ h ist. Dann induziert ϕ einen Homomorphismus VΛ → VΛ,da ϕ(VΛ) ⊆ VΛ. Wegen der algebraischen Abgeschlossenheit von K gibt eseinen Eigenvektor w ∈ VΛ\0 fur ϕ. Also kann man jedes ξ ∈ g darstellenals ξ = αϕ + βψ mit ψ ∈ h. Daraus folgt

ξ(w) = αϕ(w) + βψ(w) = αΛ(ϕ)w + βΛ(ψ)w = Λ(αϕ + βψ)w = Λ(ξ)w

und insbesondere g(w) = 〈ϕ(w)〉 ⊕ h(w) ⊆ 〈w〉+ 〈w〉 = 〈w〉, und damit ist Teil2 des Lemmas bewiesen.

Wir zeigen nun noch, dass VΛ invariant ist unter g:Sei ϕ ∈ g\h. Da h ein Ideal ist, gilt [ϕ,ψ] ∈ h fur alle ψ ∈ h. Daraus folgt mitder Induktionsannahme fur ein beliebiges v ∈ VΛ:

Λ([ϕ,ψ])v = [ϕ,ψ](v)

= ϕ ψ(v) − ψ ϕ(v)

= ϕ(Λ(ψ)v) − ψ(ϕ(v))

= Λ(ψ)ϕ(v) − ψ(ϕ(v)).

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2.2 Die Satze von Lie und Engel 51

Es gilt alsoϕ(v) ∈ VΛ ⇔ Λ([ϕ,ψ]) = 0.

Also zeigen wir, dass Λ([ϕ,ψ]) = 0 ist fur alle ψ ∈ h:Sei v ∈ VΛ und W0 := 〈v〉,W j := 〈v, ϕ(v), ..., ϕ j(v)〉. Betrachte die aufsteigendeUnterraumkette

W0 ⊆ W1 ⊆W2 ⊆ ... ⊆Wm =: W,

wobei m maximal sei, so dass v, ϕ(v), ..., ϕm(v) linear unabhangig sind. Ins-besondere ist W dann ϕ-invariant. Setzt man noch W−1 := 0, so geltenψ(Wk) ⊆ Wk und ψ|Wk/Wk−1

= Λ(ψ)idWk/Wk−1fur ψ ∈ h, wie man mit Induktion

uber k beweist:

Induktionsanfang: Fur k = 0 ist das klar, da W0 = 〈v〉 ⊆ VΛ.

Induktionsannahme: Es gilt ψ(Wk) ⊆ Wk fur alle ψ ∈ h, d.h. insbesondereauch [ψ,ϕ](Wk) ⊆Wk, und ψ|Wk/Wk−1

= Λ(ψ)id|Wk/Wk−1.

Induktionsschluss: Es ist nach Induktionsannahme

ψ ϕ(ϕk(v)) = [ψ,ϕ](ϕk(v))︸ ︷︷ ︸

∈Wk

+ϕ ψ(ϕk(v)).

und wegen ψ|Wk/Wk−1= Λ(ψ)id|Wk/Wk−1

auch

ψ(ϕk(v)) = Λ(ψ)ϕk(v) + wk−1

fur ein wk−1 ∈Wk−1. Daraus folgt

ϕ(ψ(ϕk(v))) = Λ(ψ)ϕk+1(v) + ϕ(wk−1)

fur ein ϕ(wk−1) ∈Wk. Also gilt

ψ(ϕk+1(v)) = Λ(ψ)ϕk+1(v) + [ψ,ϕ](ϕk(v)) + ϕ(wk−1)︸ ︷︷ ︸

∈Wk

,

woraus ψ(Wk+1) ⊆Wk+1 und ψ|Wk+1/Wk= Λ(ψ)idWk+1/Wk

folgen.

Damit ist die Matrixdarstellung der Abbildungen ψ|W von folgender Form:

ψ|W =

Λ(ψ) ∗. . .

0 Λ(ψ)

Da dies insbesondere auch fur [ϕ,ψ]|W gilt, folgt

(m + 1)Λ([ϕ,ψ]) = Spur([ϕ,ψ]|W) = Spur([ϕ|W, ψ|W]) = 0,

und wegen char(K) = 0 gilt damit auch Λ([ϕ,ψ]) = 0. Wie oben erlautert,folgt nun die Invarianz von VΛ unter g.

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52 2 Auflosbare, nilpotente und halbeinfache Lie-Algebren

Satz 2.18 (Satz von Lie)Sei K ein algebraisch abgeschlossener Korper mit char(K) = 0, V ein n-dimensionalerK-Vektorraum und g ⊆ gl(V) eine auflosbare Lie-Algebra linearer Transformatio-nen. Dann gibt es eine Fahne F = (Vi) von V, die von g stabilisiert wird, d.h. esist g ⊆ S(F ).

B: Induktion uber dim(V).Nach Lemma 2.17 gibt es ein w ∈ V\0mit g(w) ⊆ 〈w〉 =: W.

Induktionsanfang: dim(V) = 1: Es ist W = V und W ist g-invariant.

Es seien nun V′ = V/W, d.h. dim(V′) = dim(V) − 1, und τ : g → gl(V′), ϕ 7→ ϕ|V′ ,dann ist τ(g) ⊆ gl(V′) eine auflosbare Unteralgebra (denn τ ist ein Homomorphis-mus und erhalt somit die Eigenschaft der Auflosbarkeit).

Induktionsannahme: Es gibt eine Fahne F ′ = (V′i),

V′ ⊇ V′1 ⊇ ... ⊇ V′n−1 = 0,

die von τ(g) stabilisiert wird.

Induktionsschluss: Sei p : V→ V′ die kanonische Projektion. Die Fahne F = (Vi),

V ⊇ V1 := p−1(V′1) ⊇ ... ⊇ Vn−1 := p−1(V′n−1) = 〈w〉 ⊇ 0,

ist g-invariant, denn da τ(ϕ)(V′i) ⊆ V′

i, folgt ϕ(p−1(V′

i)) ⊆ p−1(V′

i).

Es folgen einige Konsequenzen aus dem Satz von Lie.

Korollar 2.19 Unter den Voraussetzungen des Satzes von Lie ist g konjugiert zueiner Unteralgebra der Lie-Algebra der oberen (unteren) Dreiecksmatrizen.

B: Sei FS die Standardfahne (vgl. Beispiel 2.14). Fur eine beliebige Fahne Fmit V0 ⊇ V1 ⊇ ... ⊇ Vn = 0 gibt es eine regulare Matrix A mit AF = FS (entsprichtBasiswechsel). Es folgt AS(F )A−1 = S(FS).

Satz 2.20 Sei g eine Lie-Algebra uber einem Korper K der Charakteristik 0. Dannist g genau dann auflosbar, wenn D1g = [g, g] nilpotent ist.

B:”⇐“: Lemma 2.9.

”⇒“: Falls g ⊆ gl(V) und K algebraisch abgeschlossen ist, ist nach dem Satz von

Lie g ⊆ S(F ) fur eine Fahne F von V. Daraus folgt [g, g] ⊆ N(F ), also ist [g, g]nilpotent. Fur den allgemeinen Fall siehe Aufgabe 2.4.

Definition 2.21 Eine lineare Abbildung ϕ ∈ gl(V) heißt nilpotent, wenn ϕk = 0fur ein k > 0 gilt.

Lemma 2.22

1. Sei g nilpotent. Dann ist adX : g → g,Y 7→ [X,Y] eine nilpotente lineareAbbildung.

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2.2 Die Satze von Lie und Engel 53

2. Sei eine F Fahne des Vektorraumes V und ϕ ∈ N(F ). Dann ist ϕ nilpotent.

3. Ist ϕ ∈ gl(V) eine nilpotente Abbildung, so ist auch adϕ nilpotent.

Satz 2.23 Sei V ein Vektorraum uber dem Korper K, dim(V) = n, g ( gl(V) eineLie-Unteralgebra und alle ϕ ∈ g seien nilpotent. Dann gilt:

1. Es gibt ein v ∈ V\0, so dass ϕ(v) = 0 ist fur alle ϕ ∈ g.

2. Es gibt eine Fahne F von V, so dass g ⊆ N(F ) gilt. Insbesondere ist gnilpotent.

B: (ahnlich wie bei Lemma 2.17 und Satz 2.18)

1. Induktion uber dim(g).

Induktionsanfang: dim(g) = 1: klar.

Induktionsannahme: Die Behauptung 1. gelte fur Lie-Algebren hmit dim(h) <dim(g).

Induktionsschluss: Wir zeigen zuerst, dass es ein Ideal h der Kodimension 1in g gibt: Dafur sei h ⊂ g, h , g, eine (bzgl. Inklusion) maximale Unteralgebra.Dann ist h ein Ideal der Kodimension 1, denn:Da dim(g) > 1, ist h , 0. Betrachte nun die Abbildung

τ : h→ gl(g/h), X 7→ adX|g/h.

Nach Lemma 2.22 ist adX nilpotent, also ist auch τ(X) nilpotent fur alle X ∈ h.Da dim(τ(h)) ≤ dim(h) < dim(g) ist, kann man die Induktionsannahme aufτ(h) anwenden. Demnach gibt es ϕ ∈ g/h, ϕ , 0, mit τ(X)(ϕ) = 0 fur alleX ∈ h. Also besitzt g ein Element ϕ ∈ g, ϕ < h, mit [h, ϕ] ⊆ h. Folglich gilt

ϕ ∈ ng(h) = ψ ∈ g | [ψ, h] ⊆ h.

Da ng(h) eine Lie-Unteralgebra von g ist, h ( ng(h) und h maximal, folgtng(h) = g. Also ist h ein Ideal der Kodimension 1 in g.

Nach Induktionsannahme gibt es ein v ∈ V\0 mit ψ(v) = 0 fur alle ψ ∈ h.Die Menge aller dieser v bildet einen Untervektorraum Vh von V. DieserUntervektorraum ist invariant unter g, d.h. es gilt ϕ(Vh) ⊆ Vh fur alle ϕ ∈ g:Fur ϕ ∈ g, ψ ∈ h, v ∈ Vh ist namlich

ψ ϕ(v) = [ψ,ϕ]︸︷︷︸∈h

(v)

︸ ︷︷ ︸=0

+ϕ ψ(v)︸︷︷︸=0

= 0,

also ϕ(v) ∈ Vh.

Es ist g = 〈ϕ0, h〉 fur ein gewisses ϕ0. Da Vh , 0 und ϕ0 : Vh → Vh nilpotent,gibt es ein v ∈ Vh\0 mit ϕ0(v) = 0. Also ist g(v) = 0, d.h. ϕ(v) = 0 fur alleϕ ∈ g.

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54 2 Auflosbare, nilpotente und halbeinfache Lie-Algebren

2. Induktion uber n = dim(V).

Induktionsanfang: n = 1: klar.

Induktionsannahme: Die Behauptung gelte fur Dimension n.

Induktionsschluss: Es sei dim(V) = n + 1.Nach Teil 1 gibt es ein v ∈ V\0, so dass g(v) = 0 gilt.Setze V := 〈v〉 und W := V/V. Es ist dim(W) = n. Da insbesondere ϕ(V) ⊆ Vgilt fur alle ϕ ∈ g, gibt es eine induzierte Abbildung ϕ := ϕ|W : W → W. DieMenge g := ϕ | ϕ ∈ g ist eine Lie-Unteralgebra von gl(W) und erfullt dieVoraussetzungen des Lemmas. Folglich gibt es nach Induktionsannahme

eine Fahne F von W,

F : W = W0 ⊇W1 ⊇ ... ⊇Wn = 0,

mit g ⊆ N(F ).Ist p : V→W die kanonische Projektion, so ist

F : V = V0 ⊇ V1 = p−1(W1) ⊇ ... ⊇ Vn = p−1(Wn) = V ⊇ Vn+1 = 0

eine Fahne von V.

Es bleibt g ⊆ N(F ) zu zeigen: Sei ϕ ∈ g. Wir wissen bereits:

ϕ(Wi) = ϕ(p(p−1(Wi))) ⊆ p(p−1(Wi+1)) =Wi+1.

Also giltϕ(Vi) = ϕ(p−1(Wi)) ⊆ p−1(Wi+1) = Vi+1.

Zur Verdeutlichung:

p−1(Wi)

p

ϕ // p−1(Wi+1)

p

Wi

ϕ// Wi+1

Damit gilt dann auch g ⊆ N(F ).

Satz 2.24 (Satz von Engel)Sei g eine Lie-Algebra uber einem Korper K und adX ∈ gl(g) nilpotent fur jedesX ∈ g. Dann ist g eine nilpotente Lie-Algebra.

B: Betrachte die kurze exakte Sequenz

0 → z(g) → g ad→ ad(g)→ 0

ad(g) erfullt die Voraussetzung von Satz 2.23, d.h. ad(g) ist eine nilpotente Lie-Algebra. Da die vorliegende Erweiterung zentral ist, folgt mit Aufgabe 2.3, dassg nilpotent ist.

Teil 2 von Satz 2.23 wird auch als Variante des Satzes von Engel aufgefasst.

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2.3 Die Killing-Form 55

2.3 Die Killing-Form

In diesem Abschnitt sei g eine Lie-Algebra uber dem Korper K und V ein K-Vektorraum.

Wir betrachten charakteristische Multilinearformen g×· · ·×g→ K, die Spurformengenannt werden.

Beispiel 2.25 Spurformen.

1. Spur der adjungierten Darstellung: Die Abbildung Spurg∈ g∗ ist definiert

durchSpur

g(X) = Spur(adX).

2. Sei : g→ gl(V) eine Darstellung von g. Dann ist durch

X 7→ Spur((X))

eine Spurform definiert. Ebenso ist die bilineare Abbildung

k : g × g→ K, (X,Y) 7→ Spur((X) (Y))

eine Spurform.

Definition 2.26 g heißt unimodular, wenn Spurg= 0 gilt.

Bemerkung 2.27 Kern(Spurg) ist ein Ideal in g und wird auch unimodularer Kern

genannt.

Beispiel 2.28 Unimodulare Lie-Algebren.

1. Ist g nilpotent, so ist Spurg= 0, da die Operatoren adX nilpotent sind fur alle

X ∈ g.

2. Ist g = [g, g] (z.B. fur g = sl2(K)), so ist Spurg= 0, denn

Spurg([X,Y]) = Spur(ad[X,Y]) = Spur(adX adY − adY adX) = 0.

Definition 2.29 Wir definieren die bilineare Abbildung k : g × g→ K durch

k(X,Y) := kad(X,Y) = Spur(adX adY).

k wird Killing-Form von g genannt.

Um Mehrdeutigkeiten zu vermeiden, werden wir gelegentlich kg fur die Killing-Form k der Lie-Algebra g schreiben.

Lemma 2.30 Eigenschaften der Killing-Form.

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56 2 Auflosbare, nilpotente und halbeinfache Lie-Algebren

1. k ist eine symmetrische Bilinearform.

2. Die Killing-Form ist invariant unter Automorphismen von Lie-Algebren:

Aut(g) ⊆ O(k) := Φ ∈ GL(g) | k(Φ(X),Φ(Y)) = k(X,Y).

3. Entsprechendes gilt fur die Derivationen:

der(g) ⊆ o(k) := ϕ ∈ gl(g) | k(ϕ(X),Y) = −k(X, ϕ(Y)).

4. Fur alle X,Y,Z ∈ g gilt:

k([Z,X],Y) = −k(X, [Z,Y]).

B:

1. k(X,Y) = Spur(adX adY) = Spur(adY adX) = k(Y,X).

2. Φ ∈ Aut(g) ⇔ adΦ(X) Φ = Φ adX ⇔ adΦ(X) = Φ adX Φ−1.

k(Φ(X),Φ(Y)) = Spur(adΦ(X) adΦ(Y))

= Spur(Φ adX adY Φ−1)

= Spur(adX adY)

= k(X,Y).

3. D ∈ der(g) ⇔ D adX = adD(X) + adX D.Und da die Spur linear ist und vertauscht:

k(D(X),Y) = Spur(adD(X) adY)

= Spur(D adX adY − adX D adY)

= −Spur(adX adD(Y))

= −k(X,D(Y)).

4. Fur alle Z ∈ g ist adZ ∈ der(g). Damit folgt 4. aus 3.

Definition 2.31 Eine symmetrische Bilinearform b : g×g→ K, die die Eigenschaft4 aus Lemma 2.30 hat, nennt man eine invariante Form von g.

Beispiel 2.32 Sei eine Darstellung von g. Die Spurform k aus Beispiel 2.25 isteine invariante Form. Insbesondere ist die Killing-Form k eine invariante Form.

Definition 2.33 Sei M eine Teilmenge von gund b eine symmetrische Bilinearformauf g. Dann schreiben wir

M⊥ =M⊥b = X ∈ g | b(X,Y) = 0 fur alle Y ∈M.

Die Mengeradb = g

⊥ = X ∈ g | b(X,Y) = 0 fur alle Y ∈ gheißt der Kern oder das Radikal von b.

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2.3 Die Killing-Form 57

Lemma 2.34 Sei b eine invariante Form auf g. Dann ist das Radikal radb ein Idealvon g.

B: Sei X ∈ radb und Y,Z ∈ g. Da b eine invariante Form ist, gilt

b([X,Y],Z) = −b([Y,X],Z) = b(X, [Y,Z]) = −b(X, [Z,Y]) = 0.

Also ist [X,Y] ∈ radb.

Beispiel 2.35 Killing-Formen.

1. Sei g nilpotent und X,Y ∈ g. Dann sind die Abbildungen adX, adY nilpotent.Nach Satz 2.23(2) folgt adX, adY ∈ N(F ) fur eine Fahne F von g. Weiter giltϕ ψ ∈ N(F ) fur beliebige ϕ,ψ ∈ N(F ). Also ist auch adX adY nilpotent.

Damit ist k(X,Y) = Spur(adX adY) = 0 fur alle X,Y ∈ g.

2. Die Lie-Algebra Lie(E2) = e2 = 〈X,Y,Z〉 ist definiert durch die Produkte[X,Y] = Z, [X,Z] = −Y. e2 ist auflosbar und es ist [e2, e2] = 〈Z,Y〉.Weiter gilt ad2

X(Y) = −Y und ad2X(Z) = −Z und somit

k(X,X) = Spur(ad2X) = −2.

Damit ist k , 0. Es ist radk = [e2, e2].

3. Betrachte sl2(K) = 〈H,X,Y〉mit

H =

(1 00 −1

),X =

(0 10 0

),Y =

(0 01 0

).

Es ist [H,X] = 2X, [H,Y] = −2Y, [X,Y] = H. Wir betrachten die Spurformtr(A,B) 7→ Spur(A · B) auf sl2(K):

Spur(XX) = Spur(YY) = Spur(XH) = Spur(YH) = 0,

Spur(HH) = 2,

Spur(XY) = Spur(YX) = 1.

Die Darstellungsmatrix der Spurform ist die symmetrische Matrix

0 1 01 0 00 0 2

.

Die Spurform ist also nicht ausgeartet, falls char(K) , 2.

sl2(K) ist einfach, es gilt k = 4 · tr.

Bemerkung 2.36 Ist g eine einfache Lie-Algebra, so sind je zwei invariante Formenzueinander proportional (Aufgabe 2.11).

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58 2 Auflosbare, nilpotente und halbeinfache Lie-Algebren

Lemma 2.37 Sei g eine Lie-Algebra und J ein Ideal in g. Es gilt:

1. kJ = kg|J.

2. J⊥ = X ∈ g | kg(X,J) = 0 ist ein Ideal in g.

3. Seien J1,J2 Ideale in g mit J1 ∩ J2 = 0. Dann ist kg(J1,J2) = 0 undinsbesondere J1 ⊆ J⊥2 .

4. Ist J abelsch, so ist J ⊆ radkg .

5. Ist kJ nicht ausgeartet, so gilt g = J ⊕ J⊥.

B:

1. Sei X ∈ J, also adX(g) ⊆ J, d.h. in Matrizendarstellung

adX =

(0 0∗ adX|J

)

Folglich ist fur X,Y ∈ J

adX adY =

(0 0∗ adX|J adY|J

).

Also istSpur(adX adY) = Spur(adX|J adY|J) = kJ(X,Y).

2. Sei Y ∈ J⊥ und X ∈ g. Fur Z ∈ J ist

kg(Z, [X,Y]) = −kg([X,Z]︸︷︷︸∈J

, Y︸︷︷︸∈J⊥

) = 0,

also [X,Y] ∈ J⊥.

3. Sei X ∈ J1,Y ∈ J2,Z ∈ g. Nutze die Idealeigenschaften aus:

adX adY(Z) = [ X︸︷︷︸∈J1

, [Y,Z]︸︷︷︸∈J2

]

︸ ︷︷ ︸∈J1∩J2

= 0

Es gilt also adX adY = 0 und damit kg(J1,J2) = 0.

4. Sei X ∈ J und Y ∈ g. Bezuglich einer Zerlegung g = V ⊕ Jmit einem Unter-vektorraum V von g konnen wir adX und adY durch Matrizen (schematisch)darstellen:

adX =

(0 0∗ 0

), adY =

(∗ 0∗ ∗

)

und damit

adX adY =

(0 0∗ 0

),

woraus kg(X,Y) = 0 folgt.

5. Aufgabe 2.13.

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2.4 Das Kriterium von Cartan fur Auflosbarkeit 59

2.4 Das Kriterium von Cartan fur Auflosbarkeit

In diesem Abschnitt sei K ein Korper der Charateristik 0 und V ein K-Vektorraum.

Ist g ⊆ gl(V) eine auflosbare Unteralgebra, so ist Spur(ϕ ψ) = 0 fur alle ϕ ∈ gund ψ ∈ [g, g]. Nach dem Satz von Lie ist [g, g] ⊆ N(F ) fur eine Fahne F undϕ ψ ∈ N(F ) ist nilpotent. Somit gilt [g, g] ⊆ radk.

Allgemeiner gilt sogar:

Satz 2.38 Sei g auflosbar. Dann gilt

k(g, [g, g]) = 0.

B: Es reicht, den Satz fur algebraisch abgeschlossene Korper K zu beweisen.Mit g ist auch ad(g) auflosbar. Es folgt mit dem Satz von Lie (angewandt auf ad(g)):

ad(g) ⊆ S(F )

fur eine FahneF von g. Da [S(F ), S(F )] ⊆ N(F ), gilt adY ∈ N(F ) fur alle Y ∈ [g, g].Außerdem gilt fur ϕ ∈ S(F ), ψ ∈ N(F ):

ϕ ψ,ψ ϕ ∈ N(F ).

Also gilt k(X,Y) = Spur(adX adY) = 0 fur alle X ∈ g,Y ∈ [g, g], denn aus adX ∈S(F ), adY ∈ N(F ) folgt adX adY ∈ N(F ), also nilpotent.

Wir wollen nun zeigen, dass auch die Umkehrung von Satz 2.38 gilt. Dafur benoti-gen wir noch einige Hilfssatze und die Resultate und Bezeichnungen fur dieJordan-Zerlegung aus Anhang C. Im Folgenden sei V ein K-Vektorraum endli-cher Dimension.

Lemma 2.39 Sei ϕ ∈ gl(V) und ϕ = ϕs + ϕn die additive Jordan-Zerlegung von ϕ.Dann ist

adϕ = adϕs + adϕn

die Jordan-Zerlegung von adϕ, und es gilt (adϕ)s = adϕs und (adϕ)n = adϕn .

B: Es reicht, K als algebraisch abgeschlossen vorauszusetzen.1. Schritt: Zeige, dass adϕs halbeinfach ist.ϕs ist halbeinfach, also gibt es eine Basis ei von V mit ϕs(ei) = λiei fur λi ∈ K.Betrachte Ei j ∈ gl(V) mit Ei j(ek) = δ jkei (diese entsprechen den ElementarmatrizenEi j = (δi j)i, j). Es gilt:

adϕs(Ei j) = ϕs Ei j − Ei j ϕs = (λi − λ j)Ei j.

Also bilden die Ei j eine Basis von gl(V) aus Eigenvektoren von adϕs zu den Eigen-werten λi − λ j. Damit ist adϕs halbeinfach.

2. Schritt: Ist ψ ∈ gl(V) nilpotent, so ist auch adψ nilpotent. In der Tat enthaltjeder Summand des Ausdrucks (adψ)2 j(ψ) wenigstens einen Faktor ψ j, also ist

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60 2 Auflosbare, nilpotente und halbeinfache Lie-Algebren

(adψ)2k = 0, wenn ψk = 0 ist.Insbesondere folgt damit auch, dass adϕn nilpotent ist.

3. Schritt: Zeige [adϕs , adϕn] = 0.Aus [ϕs, ϕn] = 0 folgt

[adϕs , adϕn] = ad[ϕs, ϕn]︸ ︷︷ ︸

=0

= 0.

Mit den Schritten 1 bis 3 folgt, dass adϕs und adϕn die Eigenschaften erfullen, die(adϕ)s und (adϕ)n eindeutig bestimmen. Damit folgt die Behauptung des Satzes.

Lemma 2.40 Es sei g ⊆ gl(V) eine Lie-Unteralgebra mit der Eigenschaft, dass furalle ϕ ∈ g, ψ ∈ [g, g] gilt Spur(ϕ ψ) = 0. Es sei n(g) := ngl(V)(g) der Normalisatorvon g in gl(V). Dann gilt fur alle ξ ∈ n(g):

1. Spur(ξ ψ) = 0 fur alle ψ ∈ [g, g].

2. Ist ξ = ξs + ξn die Jordan-Zerlegung, so sind ξs, ξn ∈ n(g).

3. Sei ϕ ∈ [g, g] und Spur(ϕ ξ) = 0 fur alle ξ ∈ n(g). Dann ist ϕ nilpotent.

B:

1. Fur ψ ∈ [g, g] gibt es ϕ,ϕ′ ∈ g mit ψ = [ϕ,ϕ′]. Wegen der Vertauschungsei-genschaft und der Linearitat der Spur gilt:

Spur([ϕ,ϕ′] ξ) = Spur(ϕ ϕ′ ξ − ϕ′ ϕ ξ)

= Spur(ϕ ϕ′ ξ − ϕ ξ ϕ′)= Spur(ϕ (ϕ′ ξ − ξ ϕ′))= Spur(ϕ [ϕ′, ξ]

︸︷︷︸∈[g,g]

)

= 0.

2. ξ ∈ n(g) ist aquivalent zu adξ(g) ⊆ [g, g]. Es gibt ein Polynom P ∈ K[T], sodass adξs = (adξ)s = P(adξ) und P(0) = 0 (siehe Satz C.1). Das bedeutet, dass(adξ)s sich in der Form

(adξ)s =

n∑

i=1

ai(adξ)i

schreiben lasst. Daraus folgt adξs(g) = (adξ)s(g) ⊆ adξ(g) ⊆ [g, g]. Also istξs ∈ n(g) und somit auch ξn = ξ − ξs ∈ n(g).

3. Sei ϕ = ϕs + ϕn die Jordan-Zerlegung. Dann ist ϕs halbeinfach, ϕn nilpotentund [ϕs, ϕn] = 0. Wir zeigen, dass ϕs = 0 gilt, dann folgt sofort, dass ϕnilpotent ist.

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2.4 Das Kriterium von Cartan fur Auflosbarkeit 61

Da offensichtlich [g, g] ⊆ n(g) gilt, folgt ϕs ∈ n(g) aus Teil 2. Aus Teil 1 folgt

dann Spur(ϕs ψ) = 0 fur alle ψ ∈ [g, g]. Ist K der algebraische Abschluss

von K, so seien λi ∈ K die Eigenwerte von ϕs und e1, ..., en die zugehorigeBasis aus Eigenvektoren. Dann hat adϕs die Eigenwerte λi−λ j und die Ei j mitEi j(ek) = δ jkei als Eigenvektoren, vgl. Beweis zum Lemma 2.39. Wir betrachten

den von λ1, ..., λn ⊆ K aufgespannten Q-Vektorraum Q ⊆ K und zeigen,dass Q = 0 ist:Sei f : Q→ Q linear. Wahle ein Polynom P ∈ K[T] mit

P(0) = 0 und P(λi − λ j) = f (λi − λ j).

So ein P existiert immer. Wegen adϕs(g) ⊆ [g, g] gilt P(adϕs)(g) ⊆ [g, g]. Defi-niere ψ ∈ gl(V) durch ψ(ei) := f (λi)ei, ψ ∈ gl(V). Dann gilt:

adψ(Ei j) = ( f (λi) − f (λ j))Ei j = f (λi − λ j)Ei j

⇒ P(adϕs) = adψ

⇒ adψ(g) ⊆ [g, g]

⇒ ψ ∈ n(g)und daraus folgt mit Teil 1, dass Spur(ψ ϕ) = 0. Dies wiederum bedeutet

0 = Spur(ψ ϕ) = Spur(ψ (ϕs + ϕn))

= Spur(ψ ϕs) + Spur(ψ ϕn)︸ ︷︷ ︸

=0

(ϕn nilpotent)

= Spur(ψ ϕs)

=

n∑

i=1

f (λi)λi (vgl. Matrixdarstellung).

Also gilt

n∑

i=1

f (λi)2

︸︷︷︸≥0

=

n∑

i=1

f (λi) f (λi) =

n∑

i=1

f ( f (λi)λi) = f

n∑

i=1

f (λi)λi

= 0.

Und damit mussen alle f (λi) = 0 sein. Da aber Q von den λi erzeugt wird,muss folglich auch f = 0 gelten. Da f aber beliebig gewahlt war, mussQ = 0 sein. Dies ist nur moglich, wenn alle λi = 0 sind. Da die λi gerade dieEigenwerte von ϕs sind, hat ϕs nur die Eigenwerte 0 und damit ist ϕs = 0.Damit ist ϕ = 0 + ϕn = ϕn nilpotent.

Satz 2.41 Es sei g eine Lie-Unteralgebra von gl(V). Dann ist g auflosbar genaudann, wenn Spur(ϕ ψ) = 0 fur alle ϕ ∈ g und ψ ∈ [g, g].

B:”⇒“: Bereits bekannt, vgl. Bemerkung zu Beginn des Abschnitts.

”⇐“: Ist ψ ∈ [g, g], so folgt aus Teil 1 von Lemma 2.40, dass die Voraussetzungen

fur Teil 3 ebendieses Lemmas erfullt sind. Damit ist ψ nilpotent. Aus dem Satzvon Engel (in der Variante von Satz 2.23) folgt nun, dass [g, g] nilpotent ist, alsoinsbesondere auflosbar. Damit ist auch g auflosbar.

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62 2 Auflosbare, nilpotente und halbeinfache Lie-Algebren

Satz 2.42 (Cartan-Kriterium fur Auflosbarkeit)Es sei g eine Lie-Algebra uber einem Korper der Charakteristik 0. Es ist g genaudann auflosbar, wenn [g, g] ⊆ radk gilt.

B:”⇒“: Dies ist bereits bekannt aus Satz 2.38.

”⇐“: [g, g] ⊆ radk bedeutet, dass k(X,Y) = Spur(adXadY) = 0 ist fur alle X ∈ gund

Y ∈ [g, g]. Es ist ad(g) ⊆ gl(g) eine Lie-Unteralgebra und wegen [ad(g), ad(g)] =ad[g,g] erfullt ad(g) die Voraussetzungen von Satz 2.41: Fur alle ϕ ∈ ad(g), ψ ∈[ad(g), ad(g)] gilt

Spur(ϕ ψ) = 0.

Nach Satz 2.41 ist ad(g) auflosbar und somit ist auch g auflosbar.

2.5 Halbeinfache Lie-Algebren

Definition 2.43 Seien g1, g2 Lie-Algebren. Wir definieren die direkte Summe

g = g1 ⊕ g2

der Lie-Algebren g1 und g2 durch die Lie-Klammer

[(X1,X2), (Y1,Y2)] := ([X1,Y1], [X2,Y2]), Xi,Yi ∈ gi.

Definition 2.44 Seien g1, g2 Lie-Algebren und ϕ : g2 → der(g1) ein Homomorphis-mus. Wir definieren auf dem Vektorraum g1 × g2 durch die Lie-Klammer

[(0,X2), (Y1, 0)] = (ϕ(X2)(Y1), 0),

[(X1, 0), (Y1, 0)] = ([X1,Y1], 0),

[(0,X2), (0,Y2)] = (0, [X2,Y2]), Xi,Yi ∈ gi,

eine Lie-Algebrastruktur. Die zugehorige Lie-Algebra

g = g1 ⊕ϕ g2.

wird semidirekte Summe von g1 und g2 genannt. Beachte, dass g1 ein Ideal ing1 ⊕ϕ g2 ist.

Beispiel 2.45 (Semi-) direkte Summen.

1. Es seien g1, g2 Ideale von gmit g = g1 + g2 und g1 ∩ g2 = 0. Dann gilt

g g1 ⊕ g2.

2. Sei g1 ⊆ g ein Ideal und g2 ⊆ g eine Lie-Unteralgebra mit g = g1 + g2 undg1 ∩ g2 = 0. Dann gilt

g g1 ⊕ϕ g2

wobei ϕ(X2) = adX2|g1 fur alle X2 ∈ g2.

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2.5 Halbeinfache Lie-Algebren 63

Definition 2.46 Eine Lie-Algebra g uber einem Korper der Charakteristik 0 heißthalbeinfach, wenn g isomorph ist zu einer direkten Summe einfacher Lie-Algebrengi:

g g1 ⊕ ... ⊕ gk.

g ist also genau dann halbeinfach, wenn einfache Ideale gi ⊆ g existieren, so dass

g =⊕k

i=1gi ist.

Lemma 2.47 Seien g, h Lie-Algebren und ϕ : g → h ein Homomorphismus vonLie-Algebren.

1. Ist g einfach, so gilt entweder ϕ = 0 oder ϕ(g) g.

2. Ist g halbeinfach, so ist auch ϕ(g) halbeinfach.

B:

1. Kern(ϕ) ist ein Ideal in g. Da g einfach ist, folgt entweder Kern(ϕ) = g oderKern(ϕ) = 0.

2. Es ist ϕ(g) = ϕ(⊕gi) =

∑ϕ(gi) und ϕ(gi) ist ein Ideal in ϕ(g). Nach Teil 1 ist

ϕ(gi) = 0 oder gi ϕ(gi) und damit ist ϕ(gi) einfach, falls ϕ(gi) , 0. Nunuberzeuge man sich noch, dass die Summe der nicht verschwindendenϕ(gi)direkt ist.

Satz 2.48 Sei g halbeinfach, E = g1, ..., gk eine Menge halbeinfacher Ideale von gmit g =

⊕gi, und J , 0 ein Ideal von g. Dann gibt es Ideale gi1 , ..., gi j

in E, sodass gilt

1. gil ⊆ J fur l = 1, ..., j.

2. J = gi1 ⊕ ... ⊕ gi j.

B: Sei X =∑

Xi, Xi ∈ gi. Betrachte die Projektionen pi : g → gi,X 7→ Xi. Diepi sind Homomorphismen von Lie-Algebren. Wir bemerken zuerst, dass J nichtabelsch ist. Andernfalls wurde fur alle i = 1, ..., k gelten: pi(J) ist ein Ideal in gi undpi(J) abelsch, und da gi nicht abelsch ist, muss pi(J) = 0 sein. Damit folgt J = 0.

Wir zeigen weiter, dass es ein gi mit gi ∩ J , 0 gibt.Dazu nehmen wir das Gegenteil an: gi ∩ J = 0 fur i = 1, ..., k. Betrachte [J,J].Nach Annahme ist [gi,J] ⊆ gi ∩ J = 0. Also gilt

[g,J] = [⊕gi,J] =

∑[gi,J] = 0

und damit ist J abelsch, im Widerspruch zum oben Gezeigten.

Œ sei also das Ideal J ∩ g1 , 0. Da g1 einfach ist, gilt: g1 ∩ J = g1. Also ist g1 ⊆ J.

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64 2 Auflosbare, nilpotente und halbeinfache Lie-Algebren

Wie setzen den Beweis fort durch Induktion uber die Anzahl k der einfachenIdeale in g: Betrachte g = g/g1. Diese Lie-Algebra ist nach Lemma 2.47 halbeinfachund

g =

k⊕

i=2

gi

mit gi = p(gi), wobei p die kanonische Projektion ist. Nach Induktionsannahme ist

p(J) =

j⊕

ν=2

giν

fur gewisse giν = p(gi). Folglich ist

J =

j⊕

ν=1

giν

die gesuchte Zerlegung von J.

Die Menge E = g1, ..., gk stimmt uberein mit der Menge aller einfachen Idealevon g. Ist namlich ein Ideal I einfach, so ist I =

⊕gil fur gewisse gil ⊆ I, also

wegen der Einfachheit l = 1 und gi1 = I ∈ E.

Korollar 2.49 Es sei g halbeinfach.

1. Ist I ein Ideal von g, so ist auch I halbeinfach.

2. g besitzt nur endlich viele Ideale.

2.6 Das Kriterium von Cartan fur Halbeinfachheit

Wir wollen nun ein wichtiges Kriterium fur die Halbeinfachheit einer Lie-Algebraherleiten. Dabei setzen wir in diesem Abschnitt Charakteristik 0 voraus.

Satz 2.50 (Cartan-Kriterium fur Halbeinfachheit)Sei g eine Lie-Algebra uber einem Korper der Charakteristik 0 und kg die Killing-Form von g. Dann ist g halbeinfach genau dann, wenn kg nicht ausgeartet ist (d.h.radkg = 0).

B:”⇒“: Wegen Teil 3 von Lemma 2.37 reicht es, den Beweis fur den Fall zu

fuhren, dass g einfach ist. Dies sei also der Fall.

Da radkg ein Ideal in g ist, folgt somit radkg = g oder radkg = 0. Im ersten Fall giltkg = 0 und nach dem Cartan-Kriterium fur Auflosbarkeit muss daher g auflosbarsein. Wegen der Einfachheit von g wiederum gilt dann D1g = [g, g] = 0, also istg abelsch. Dies ist aber ein Widerspruch zur Voraussetzung, dass g einfach ist.

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2.6 Das Kriterium von Cartan fur Halbeinfachheit 65

Es bleibt also nur die Moglichkeit radkg = 0, was bedeutet, dass kg nicht ausgeartetist.

”⇐“: Wenn g nicht einfach ist, wahle ein Ideal J von g, so dass J , 0 und J

minimal mit dieser Eigenschaft ist, d.h. J enthalt kein Ideal , 0 von g als echteTeilmenge. Nach Lemma 2.37(1) gilt kJ = kg|J.

Das Radikal radkJ ist sogar ein Ideal in g, denn fur alle X ∈ g, Z ∈ J, Y ∈ radkJ(⊆ J)gilt

kJ([X,Y]︸︷︷︸∈J

,Z) = −k(Y, [X,Z]︸︷︷︸∈J

) = 0.

Nach der Wahl von J ist also radkJ = J oder radkJ = 0. Im ersten Fall ist Jauflosbar nach dem Cartan-Kriterium fur Auflosbarkeit. Daraus folgt: [J,J] =0, denn wegen der Auflosbarkeit ist das Ideal [J,J] von g verschieden von J.Demnach ist J ein abelsches Ideal von g und mit Lemma 2.37(4) folgt:

J ⊆ radkg = 0

im Widerspruch zur Voraussetzung J , 0.

Also ist radkJ = 0, d.h. kJ ist nicht ausgeartet. Mit Induktion konnen wir nunannehmen, dass das Cartan-Kriterium fur Lie-Algebren mit Dimension kleinerals dim(g) erfullt. Somit ist J halbeinfach. Weiter gilt nach Lemma 2.37(5)

g = J ⊕ J⊥.

Außerdem ist kJ⊥ nicht ausgeartet (sonst ware kg es). Wieder folgt mit Induktion,dass J⊥ und damit auch g halbeinfach ist.

Lemma 2.51 Wenn J1 und J2 auflosbare Ideale einer Lie-Algebra g sind, so istauch das von J1 und J2 erzeugte Ideal E auflosbar.

B: Es ist E = J1 + J2. Dann haben wir eine kurze exakte Sequenz

J1 → E→ E/J1 = J2/J2 ∩ J1

J1 und E/J1 sind auflosbar, also ist nach Aufgabe 2.2 auch E auflosbar.

Bemerkung 2.52 Lemma 2.51 besagt, dass g ein maximales auflosbares Idealrad(g) besitzt (d.h. I auflosbar ⇒ I ⊆ rad(g)). Es wird auflosbares Radikal ge-nannt. Nach dem Cartan-Kriterium fur Auflosbarkeit ist radkg ⊆ rad(g).

Satz 2.53 g ist halbeinfach genau dann, wenn rad(g) = 0 ist.

B:”⇒“: Angenommen, es sei rad , 0.

Dass rad auflosbar ist bedeutet, dass [rad, rad] nilpotent und insbesondere , radist. Da g halbeinfach ist, kann man rad =

⊕igi fur gewisse einfache Ideale gi ⊂ g

schreiben. Somit ist

[rad, rad] =⊕

i, j

[gi, g j] =⊕

i

[gi, gi],

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66 2 Auflosbare, nilpotente und halbeinfache Lie-Algebren

da fur i , j gilt [gi, g j] ⊂ gi ∩ g j = 0. Es muss wegen der Einfachheit [gi, gi] = gi

gelten. Deswegen gilt [rad, rad] = rad, im Widerspruch zur Auflosbarkeit. Alsomuss die Annahme rad , 0 falsch sein.

”⇐“: Nach Bemerkung 2.52 ist radkg = 0 und daraus folgt mit dem Cartan-

Kriterium fur Halbeinfachheit, dass g halbeinfach ist.

Korollar 2.54 Folgende Aussagen sind fur Charakteristik 0 aquivalent:

1. g ist halbeinfach.

2. kg ist nicht ausgeartet.

3. rad(g) = 0, d.h. g hat kein von 0 verschiedenes auflosbares Ideal.

Bemerkung 2.55 Falls g eine Lie-Algebra uber einem Korper K mit char(K) , 0ist, so wird g halbeinfach genannt, wenn die dritte Bedingung rad(g) = 0 erfulltist (vgl. Jacobson [9]). Mit dieser Definition sind die folgenden Korollare auch imFalle positiver Charakteristik richtig.

Korollar 2.56 Sei g eine Lie-Algebra. Dann ist g/rad(g) halbeinfach.

B: Wir zeigen, dass g/rad(g) kein von 0 verschiedenes auflosbares Ideal hat.Betrachte die exakte Sequenz

0 → rad(g)→ g p→ g/rad(g)→ 0,

wobei p die kanonische Projektion ist. Sei J ein auflosbares Ideal in g/rad(g) und

J = p−1(J). Dies ist ein Ideal in g und erfullt die exakte Sequenz

0 → rad(g)→ J→ J→ 0.

Da J und rad(g) auflosbar sind, ist auch J auflosbar. Also ist J ⊆ rad(g) und daher

J = p(J) = p(rad(g)) = 0. Damit ist g/rad(g) halbeinfach.

Korollar 2.57 Jede Lie-Algebra g ist eine Erweiterung einer halbeinfachen Lie-Algebra s durch eine auflosbare r, d.h. es gibt eine exakte Sequenz der Form

0 → r→ g→ s→ 0.

Satz 2.58 Sei g eine Lie-Algebra. Dann gilt

rad(g) = [g, g]⊥ = X ∈ g | k(X,Y) = 0 fur alle Y ∈ [g, g].

B:”⊇“: b := [g, g]⊥ ist ein Ideal. Da auch [b, b] ⊆ [g, g] gilt, ist [b, b] ⊆ radkb .

Somit kann das Kriterium von Cartan auf b und [b, b] angewendet werden und esfolgt, dass b auflosbar ist. Folglich gilt b ⊆ rad(g).

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2.6 Das Kriterium von Cartan fur Halbeinfachheit 67

”⊆“: Seien X ∈ rad(g) und A,B ∈ g. Dann gilt [A,X] ∈ rad(g), ad[A,X] ∈ rad(ad(g))

und ad(g) ⊆ gl(g). Zeige nun k(X, [A,B]) = 0:Es gilt

k(X, [A,B]) = −k([A,X],B) = −Spur(ad[A,X] adB),

und adB liegt im Normalisator von rad(ad(g)), d.h. fur jedes ϕ ∈ rad(ad(g)) giltadB ϕ − ϕ adB ∈ rad(ad(g)). Betrachte die von adB und r := rad(ad(g)) erzeugteLie-Unteralgebra r von gl(g) (vgl. Aufgabe 2.2):

0 → 〈adB〉 → r→ r→ 0

r ist auflosbar, da r eine Erweiterung von r durch die eindimensionale Lie-Algebra〈adB〉 ist. Nach dem Satz von Lie bzw. Korollar 2.19 gibt es eine Basis von g, so dassr durch obere Dreiecksmatrizen dargestellt wird. Sind also ϕ, ψ ∈ r, so ist [ϕ, ψ]nilpotent. Damit folgt insgesamt: ad[A,X] = [adA, adX] ist nilpotent und folglichauch adB ad[A,X]:

∗ ∗. . .

0 ∗

︸ ︷︷ ︸adB

·

0 ∗. . .

0 0

︸ ︷︷ ︸ad[A,X]

=

0 ∗. . .

0 0

︸ ︷︷ ︸adBad[A,X]

Daraus wiederum folgt k(X, [A,B]) = 0.

Als Anwendung des Kriteriums von Cartan zeigen wir als nachstes, dass Halb-einfachheit unter Erweiterung des Skalarkorpers K erhalten bleibt.

Ist gK eine Lie-Algebra uber dem Korper K der Charakteristik 0 und L ⊃ K eineKorpererweiterung von K, so konnen wir gK zu einer Lie-Algebra uber L erweitern:

gL = gK ⊗K L

ist ein L-Vektorraum mit Skalarmultiplikation λ(v ⊗ β) = (v ⊗ λβ), λ ∈ L. Setzenwir

[v ⊗ 1,w ⊗ 1] := [v,w] ⊗ 1,

so erhalten wir durch L-bilineare Fortsetzung das Lie-Produkt [v ⊗ α,w ⊗ β] :=[v,w] ⊗ αβ auf gL. (In Koordinatendarstellung erhalt man gL aus gK, indem Koor-dinaten in K durch Koordinaten in L ersetzt.)

Beispiel 2.59 Es sei g eine reelle Lie-Algebra. Die Lie-Algebra

gC = g ⊗R Cheißt Komplexifizierung von g.

Satz 2.60 Ist gK eine Lie-Algebra uber K, so ist gK genau dann halbeinfach, wenngL halbeinfach ist fur jede Korpererweiterung L von K.

B: Es sei det(kgK) ∈ K/(K×)2 die Determinante von kgK (sie kann durch eineMatrixdarstellung von kgK bestimmt werden). kgK ist eine symmetrische Bilinear-form und nicht ausgeartet genau dann, wenn det(kgK) , 0. Da kgL die bilineareFortsetzung von kgK ist, gilt det(kgK ) = det(kgL).

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68 2 Auflosbare, nilpotente und halbeinfache Lie-Algebren

2.7 Aufgaben

Aufgabe 2.1 Auflosbare Lie-Algebren

Es sei g eine Lie-Algebra uber den komplexen Zahlen (oder uber einem algebraischabgeschlossenen Korper der Charakteristik 0). Zeigen Sie: g ist auflosbar genaudann, wenn es eine absteigende Folge gi von Idealen in g gibt mit g0 = g, gn = 0 ,gi+1 ⊂ gi, und dim gi/gi+1 = 1.Gilt dieses Resultat auch uber nicht algebraisch abgeschlossenem Grundkorper?

Aufgabe 2.2 Erweiterungen (eine kleine Vorschau auf Kapitel 3.2)

Man nennt die Lie-Algebra g eine Erweiterung von h, wenn es eine kurze exakteSequenz

0 → a ϕ→ g ψ−→ h→ 0

von Lie-Algebren gibt (d.h. der Homomorphismus ϕ ist injektiv und ψ ist sur-jektiv). Zeigen Sie: Die Erweiterung g ist auflosbar genau dann, wenn a und hauflosbar sind. Gilt ein analoges Resultat fur nilpotente Lie-Algebren?

Aufgabe 2.3 Zentrale Erweiterungen

Eine Erweiterung g wie in der vorherigen Aufgabe heißt zentrale Erweiterung,wenn ϕ(a) im Zentrum von g enthalten ist. Zeigen Sie: Wenn a und h nilpotentsind, so ist die zentrale Erweiterung g nilpotent.

Aufgabe 2.4 Das derivierte Ideal ist nilpotent

Sei g eine auflosbare reelle Lie-Algebra. Zeigen Sie, dass das derivierte Ideal Dg

nilpotent ist. (Hinweis: das Resultat gilt uber jedem Grundkorper der Charakte-ristik 0. Arbeiten Sie die Beweisskizze zu Satz 2.20 aus.)

Aufgabe 2.5 Derivationen

Es bezeichne der(g) die Menge der Derivationen der Lie-Algebra g. Zeigen Sie:der(g) bildet eine Lie-Unteralgebra der Endomorphismen-Algebra End(g) undint(g) = adX : X ∈ g ist ein Ideal in der(g).

Aufgabe 2.6 Derivationen der Heisenberg-Algebra

Berechnen Sie der(h3), wobei h3 die dreidimensionale Heisenberg Lie-Algebra ist.(Bestimmen Sie die Dimension und Ideale von der(h3). Ist der(h3) auflosbar odernilpotent? Bestimmen sie auch die Quotienten-Algebra der(h3)/int(h3). )

Aufgabe 2.7 Außere Derivationen

Es sei g nilpotent. Zeigen Sie, dass g eine aussere Derivation besitzt, d.h. es gibtein D ∈ der(g) mit D < int(g).

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2.7 Aufgaben 69

Aufgabe 2.8 Spurformen

Es sei g eine Lie-Algebra und : g → gl(V) eine Darstellung von g. Zeigen Sie,dass die zugehorige Spurform

Spur(X,Y) := Spur((X) (Y)), X,Y ∈ g

eine invariante Form auf g ist.

Aufgabe 2.9 Spurformen auf einfachen Lie-Algebren

Es sei g eine einfache Lie-Algebra. Zeigen, sie dass je zwei invariante Formen aufg zueinander proportional sind. Es sei : g → gl(V) eine Darstellung von g mitSpur = 0. Zeigen Sie, dass entweder = 0 oder dim(g) = 1 gilt.

Aufgabe 2.10 Killing-Form

1. Konstruieren Sie ein Beispiel einer auflosbaren Lie-Algebra g, die nicht nil-potent ist, aber verschwindende Killing-Form hat.

2. Zeigen Sie, dass die Killing-Form von so3(R) negativ definit ist. BeweisenSie weiter, dass die Killing-Form von sln(K) nicht ausgeartet ist. BestimmenSie auch ihre Signatur im Fall K = R.

Aufgabe 2.11 Zeigen Sie, dass je zwei invariante Formen auf einer einfachen Lie-Algebra g proportional zueinander sind.

Aufgabe 2.12 Additive Jordan-Zerlegung

Beweisen Sie, dass die Jordan-Zerlegung von ϕ ∈ End(V), ϕ = ϕs + ϕn durchdie Bedingungen ϕs ist halbeinfach, ϕn ist nilpotent und [ϕs, ϕn] = 0 eindeutigbestimmt ist (siehe Anhang C).

Aufgabe 2.13 Sei g eine Lie-Algebra, J ein Ideal von g und kJ die Killing-Formvon J. Zeigen Sie: Ist kJ nicht ausgeartet, so gilt

g = J ⊕ J⊥.

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70 2 Auflosbare, nilpotente und halbeinfache Lie-Algebren

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71

3 Lie-Algebra-Kohomologie und Levi-Zerlegung

3.1 Derivationen einer halbeinfachen Lie-Algebra

Definition 3.1 Die Menge der inneren Derivationen einer Lie-Algebra g ist

int(g) = D ∈ der(g) | es gibt X ∈ gmit D = adX.

Satz 3.2 Ist g eine halbeinfache Lie-Algebra uber einem Korper der Charakteristik0 und D eine Derivation von g, so ist D eine innere Derivation.

B: Betrachte die Linearform f : g → K,X 7→ Spur(adX D). Da die Killing-Form k nicht ausgeartet ist, folgt, dass es ein eindeutiges XD ∈ g gibt, so dass furalle Y ∈ g

f (Y) = k(XD,Y)

gilt. Betrachten wir E = D − adXD, so ist E = 0 zu zeigen. Da k nicht ausgeartet ist,

ist das wiederum aquivalent zu

k(X,E(Y)) = 0 fur alle X,Y ∈ g,

und dies soll im Folgenden bewiesen werden.

Zuerst bemerken wir, dass fur alle Y ∈ g gilt: Spur(adY E) = 0, denn

Spur(adY E) = Spur(adY D) − Spur(adY adXD)

= f (Y) − k(Y,XD)

= f (Y) − f (Y)

= 0.

Damit berechnen wir k(X,E(Y)) = Spur(adX adE(Y)): Wegen E = D− adXD∈ der(g)

gilt:E adX = adX E + adE(X),

was ja aquivalent zu E([X,Y]) = [E(X),Y] + [X,E(Y)] ist. Also gilt

adE(Y) = E adY − adY E

und somit:

k(X,E(Y)) = Spur(adX adE(Y))

= Spur(adX E adY) − Spur(adX adY E)

= Spur(adY adX E) − Spur(adX adY E)

= Spur(ad[X,Y] E)

= 0

und dies war ja zu zeigen.

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72 3 Lie-Algebra-Kohomologie und Levi-Zerlegung

3.2 Erweiterungen von Lie-Algebren

Definition 3.3 Seien g, g, h Lie-Algebren. Man nennt g eine Erweiterung von gdurch h, wenn es eine kurze exakte Sequenz

0 → h j→ g p→ g→ 0

gibt.

Die Exaktheit bedeutet, dass j injektiv ist, p ist surjektiv ist und Kern(p) = Bild( j)gilt. Deswegen ist j(h) = Kern(p) ein Ideal in g und isomorph zu h. Wir konnenalso im Folgenden j(h) h identifizieren. g ist uber p isomorph zu g/h.

Definition 3.4 Einen Vektorraum V zusammen mit einer Darstellung τ : g →gl(V) bezeichnen wir als g-Modul, schreibe dafur auch (V, τ).

Im Folgenden werden wir annehmen, dass h abelsch ist, d.h. [h, h] = 0, undschreiben a = h.

Da a abelsch ist, ist a ein g-Modul:

Lemma 3.5 Zu einer exakten Sequenz

0 → a j→ g p→ g→ 0

gehort eine Darstellung τp : g→ gl(a), die durch

τp(X)(v) := [X, v]

gegeben ist, wobei v ∈ a und X ∈ g ein Reprasentant von X ∈ g ist (d.h. p(X) = X).

B: Wir zeigen, dass τp(X) wohldefiniert ist, d.h. von der Wahl des Reprasen-

tanten unabhangig. Sei Y ein weiterer Reprasentant. Dann gilt: Y = X + w fur einw ∈ a und folglich

[Y, v] = [X + w, v] = [X, v] + [w, v]︸︷︷︸=0, da abelsch

= [X, v],

also wohldefiniert. Mit der Jacobi-Identitat von g folgt:

τp([X,Y]) = τp(X) τp(Y) − τp(Y) τp(X).

Also ist τp ein Homomorphismus von Lie-Algebren.

Definition 3.6 Wir sagen, die kurze exakte Sequenz (oder auch die Erweiterung)

0 → a j→ g p→ g→ 0

spaltet, wenn es eine lineare Abbildung (die Spaltung) σ : g→ g gibt, so dass gilt

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3.2 Erweiterungen von Lie-Algebren 73

1. p σ = idg (d.h. σ ist ein Schnitt).

2. σ ist ein Homomorphismus von Lie-Algebren.

Beispiel 3.7 Sei τ : g → gl(a) ein Homomorphismus, wobei a eine abelsche Lie-Algebra ist. Wir setzen

g := a ⊕τ g,so dass

[v +X,w + Y] = τ(X)(w) − τ(Y)(v)︸ ︷︷ ︸∈a

+ [X,Y]︸︷︷︸∈g

fur v,w ∈ a und X,Y ∈ g gilt. Dann ist g eine Erweiterung von g durch a. Da g eineUnteralgebra von g ist, spaltet diese Sequenz.

Definition 3.8 Sind durch

0 → a j1→ g1p1→ g→ 0

und

0 → a j2→ g2p2→ g→ 0

zwei Erweiterungen g1 und g2 gegeben, so heißen diese isomorph oder aquivalent,wenn es einen Isomorphismus von Lie-Algebren ϕ : g1 → g2 gibt mit ϕ|a = idaund ϕ|g1/a = idg. Das bedeutet, dass das folgende Diagramm kommutiert:

a //

ida

g1

ϕ

// g

idg

a // g2// g

Lemma 3.9 Folgende Bedingungen sind aquivalent:

1. Die Sequenz

0 → a j→ g p→ g→ 0spaltet.

2. Es gibt eine Unteralgebra b von g, so dass die Projektion p|b : b → g einIsomorphismus ist.

3. Die Erweiterung aus 1. ist isomorph zu der semidirekten Summe a ⊕τp g.

B:”1.⇒ 2.“: Die Spaltung σ(g) = b hat die geforderten Eigenschaften.

”2.⇒ 3.“: Der gesuchte Isomorphismus ist die Abbildung

a ⊕τp g→ g, a + X 7→ a + p|−1b (X).

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74 3 Lie-Algebra-Kohomologie und Levi-Zerlegung

”3. ⇒ 1.“: Sei ϕ : a ⊕τp g → g ein Isomorphismus von Erweiterungen, d.h. wir

haben ein kommutatives Diagramm

a ⊕τp gϕ

//

q

g

p

g

idg// g

wobei q die Projektion a ⊕τp g→ g bezeichnet. Da g eine Unteralgebra von a ⊕τp g

ist, haben wir mit ϕ|g : g → g ein Homomorphismus mit p ϕ|g = idg, also eineSpaltung von g.

Lemma 3.10 Es sei

0 → a j→ g p→ g→ 0

eine spaltende exakte Sequenz, σ1 : g→ g eine Spaltung und

σ2 = σ1 + ϕ

fur eine lineare Abbildungϕ : g→ g. Dann ist σ2 genau dann eine Spaltung, wennϕ(g) ⊆ a ist und ϕ die Gleichung

ϕ([X,Y]) = τp(X)(ϕ(Y)

)− τp(Y)

(ϕ(X)

)(Z1)

erfullt.

B: Klar ist, dass eine Spaltung σ2 die Form σ1 + ϕ mit ϕ : g → g hat. Weitergilt:

p σ1 = p σ2 ⇒ p (σ2 − σ1) = 0

⇒ σ2(X) − σ1(X)︸ ︷︷ ︸=ϕ(X)

∈ Kern(p) = a,

also muss ϕ(g) ⊆ a gelten.

Zeige nun, dass σ2 ein Homomorphismus von Lie-Algebren ist:

σ2([X,Y]) = [σ2(X), σ2(Y)]

⇔σ1([X,Y]) + ϕ([X,Y]) = [σ1(X) + ϕ(X), σ1(Y) + ϕ(Y)]

= [σ1(X), σ1(Y)] + [ϕ(X), σ1(Y)] + [σ1(X), ϕ(Y)] + [ϕ(X), ϕ(Y)]︸ ︷︷ ︸=0, da abelsch

= [σ1(X), σ1(Y)] − τp(Y)(ϕ(X)) + τp(X)(ϕ(Y)),

was gerade der geforderten Eigenschaft (Z1) entspricht.

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3.2 Erweiterungen von Lie-Algebren 75

Definition 3.11 Sei V ein Vektorraum und τ : g → gl(V) eine Darstellung. Wirbezeichnen

Z1(g, τ) = ϕ : g→ V | ϕ linear und erfullt die Gleichung (Z1) bzgl. τ

als den Raum der 1-Kozykel von g mit Koeffizienten in dem Modul (V, τ) oderauch als Derivationen des g-Moduls (V, τ).

Lemma 3.12 Sei v ∈ V. Dann ist die Abbildung

ϕv : g→ V, X 7→ τ(X)(v)

ein Element von Z1(g, τ).

B: Aufgabe 3.2.

Definition 3.13 Sei V ein Vektorraum, τ : g→ gl(V) eine Darstellung und ϕv wiein Lemma 3.12 definiert. Wir nennen

B1(g, τ) = ϕv | v ∈ V

den Raum der 1-Korander von gmit Koeffizienten in dem Modul (V, τ) oder auchals innere Derivationen des g-Moduls (V, τ).

Definition 3.14 Der Quotientenraum

H1(g, τ) = Z1(g, τ)/B1(g, τ)

heißt erste Kohomologiegruppe von gmit Koeffizienten in dem Modul (V, τ).

Beispiel 3.15 Sei τ = ad : g→ gl(g) die adjungierte Darstellung. Es ist

Z1(g, ad) = der(g),

B1(g, ad) = int(g).

Ist g halbeinfach, so ist H1(g, ad) = 0 nach Satz 3.2.

Definition 3.16 Es seien g, a Lie-Algebren, wobei a abelsch ist. Sei τ : g → gl(a)eine Darstellung undϕ : g×g→ a eine bilineare Abbildung. Auf dem Vektorraumg = g ⊕ a definieren wir eine bilineare Abbildung durch

[u, v] := [a + X, b + Y] = (τ(X)(b) − τ(Y)(a) + ϕ(X,Y), [X,Y]) (E)

fur alle u = a + X, v = b + Y mit a, b ∈ a und X,Y ∈ g.

Lemma 3.17 Die Gleichung (E) definiert genau dann ein Lie-Produkt auf g, wenn

1. ϕ : g × g→ a alternierend ist,

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76 3 Lie-Algebra-Kohomologie und Levi-Zerlegung

2. die folgende Gleichung gilt:

0 =τ(X)(ϕ(Y,Z)) + τ(Z)(ϕ(X,Y)) + τ(Y)(ϕ(Z,X))

+ ϕ([X,Y],Z) + ϕ([Z,X],Y) + ϕ([Y,Z],X) (Z2).

Ist (Z2) erfullt, so bildet a ein abelsches Ideal in gmit Quotient g.

B: (Z2) entspricht der Jacobi-Identitat.

Wir bezeichnen die zugehorige Erweiterung von g durch amit E(g, τ, ϕ).

Satz 3.18 Jede Erweiterung

0 → a j→ g p→ g→ 0

ist isomorph zu einer Erweiterung E(g, τp, ϕ). (Hierbei ist τp die in Lemma 3.5definierte Darstellung von g auf a.)

B: Sei s : g→ g ein Schnitt, d.h. p s = idg. Dann setzen wir

ϕ(X,Y) := [s(X), s(Y)] − s([X,Y]).

ϕ ist offensichtlich alternierend. Es folgt

p ϕ(X,Y) = p([s(X), s(Y)]) − p(s([X,Y]))

= [ p s︸︷︷︸=idg

(X), p s(Y)] − p s([X,Y])

= [X,Y] − [X,Y]

= 0.

Das bedeutet ϕ(X,Y) ∈ a = Kern(p). Also sind die Erweiterungen

a //

ida

E(g, τp, ϕ) //

Ψ

g

idg

a // g // g

isomorph mitΨ : E(g, τp, ϕ)→ g, (a,X)∼7→ a + s(X).

Definition 3.19 Sei V ein Vektorraum und τ : g → gl(V) eine Darstellung. Wirnennen

Z2(g, τ) = ϕ : g × g→ V | ϕ alternierend bilinear und erfullt (Z2)

den Raum der 2-Kozykel von gmit Koeffizienten in dem Modul (V, τ).

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3.2 Erweiterungen von Lie-Algebren 77

Lemma 3.20 Sei L : g→ V linear und τ : g→ gl(V) eine Darstellung. Dann ist diedurch

dL(X,Y) := L([X,Y]) − τ(X)(L(Y)) + τ(Y)(L(X)).

definierte Abbildung dL : g × g→ V in Z2(g, τ).

B: Aufgabe 3.2.

Definition 3.21 Wir nennen

B2(g, τ) = dL | L : g→ V linear

den Raum der 2-Korander von gmit Koeffizienten in dem Modul (V, τ).

Definition 3.22 Der Quotientenraum

H2(g, τ) = Z2(g, τ)/B2(g, τ)

heißt zweite Kohomologiegruppe von gmit Koeffizienten in dem Modul (V, τ).

Lemma 3.23 Sei

0 → a→ E(g, τ, ϕ)→ g→ 0eine Erweiterung von gmit ϕ ∈ Z2(g, τ). Dann gilt:

1. Die Erweiterung spaltet genau dann, wenn

ϕ(X,Y) = dL(X,Y)

fur eine lineare Abbildung L : g→ a ist.

2. Die Erweiterungen g1 := E(g, τ, ϕ1) und g2 := E(g, τ, ϕ2) sind genau dannisomorph, wenn

ϕ2 = ϕ1 + dL

fur ein lineares L : g→ a ist.

B:

1. Folgt aus 2., denn jede spaltende Sequenz ist nach Lemma 3.9 aquivalent zueiner semidirekten Summe E(g, τ, ϕ1) mit ϕ1 = 0.

2. SeiΨ : E(g, τ, ϕ1)→ E(g, τ, ϕ2) ein Isomorphismus von Erweiterungen. Bzgl.der Zerlegung

g1 = a ⊕ g = g2.

schreiben wir

Ψ((a,X)) = (a + L(X),X)

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78 3 Lie-Algebra-Kohomologie und Levi-Zerlegung

fur eine lineare Abbildung L : g → a. Dass Ψ ein Homomorphismus vonLie-Algebren ist, ist fur (a,X), (b,Y) ∈ a ⊕ g aquivalent zu

Ψ([(a,X), (b,Y)]1) = Ψ((−τ(Y)(a) + τ(X)(b) + ϕ1(X,Y), [X,Y]))

= (−τ(Y)(a) + τ(X)(b) + ϕ1(X,Y) + L([X,Y]), [X,Y])

= [Ψ(a,X),Ψ(b,Y)]2 = [(a + L(X),X), (b + L(Y),Y)]2

= (−τ(Y)(a + L(X)) + τ(X)(b + L(Y)) + ϕ2(X,Y), [X,Y])

und diese Gleichheit ist aquivalent zu (setze a = 0 = b)

L([X,Y]) + ϕ1(X,Y) = −τ(Y)(L(X)) + τ(X)(L(Y)) + ϕ2(X,Y).

Dies entspricht aber gerade ϕ2 = ϕ1 + dL.

Korollar 3.24 Der Vektorraum H2(g, τ) steht in 1:1-Korrespondenz zu den Isomor-phieklassen von Erweiterungen von g durch (a, τ).

Bemerkung 3.25 Sei V ein Vektorraum und : g → gl(V) eine Darstellung. Wirsetzen

C0(g,V) = V,

C1(g,V) = ϕ : g→ V linear,C2(g,V) = ϕ : g × g→ V bilinear, alternierend,C3(g,V) = ϕ : g × g × g→ V trilinear, alternierend.

Weiter definieren wir die Randoperatoren di = di

d0 : C0(g,V)→ C1(g,V),

d1 : C1(g,V)→ C2(g,V),

d2 : C2(g,V)→ C3(g,V),

durch

d0a(X) = (X)(a),

d1ϕ(X,Y) = ϕ([X,Y]) − (X)(ϕ(Y)) + (Y)(ϕ(X)),

d2ψ(X,Y,Z) = (X)(ψ(Y,Z)) + (Z)(ψ(X,Y)) + (Y)(ψ(Z,X))

+ ψ([X,Y],Z) + ψ([Z,X],Y) + ψ([Y,Z],X)

sei. Dann gilt:

Z0(g, ) = Kern(d0)

Z1(g, ) = Kern(d1)

Z2(g, ) = Kern(d2)

B1(g, ) = Bild(d0) ⊆ Z1(g, )

B2(g, ) = Bild(d1) ⊆ Z2(g, ).

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3.3 Die Lemmata von Whitehead 79

Also kann man auch schreiben

Hi(g, ) = Zi(g, )/Bi(g, ), i = 1, 2,

H0(g, ) := Z0(g, ).

Beispiel 3.26 Die Gruppen Hi(g) = Hi(g,K) fur den trivialen Modul K heißenKohomologiegruppen von g (vgl. Aufgabe 3.5).

Zur Definition hoherer Kohomologiegruppen siehe Jacobson [9].

3.3 Die Lemmata von Whitehead

In diesem Abschnitt sei g eine halbeinfache Lie-Algebra uber einem Korper K mitchar(K) = 0, V ein K-Vektorraum und : g → gl(V) eine Darstellung. Zu derDarstellung gehort die Spurform b(X,Y) := b(X,Y) = Spur((X) (Y)). DieseSpurform ist invariant, also b([X,Y],Z) = −b(Y, [X,Z]).

Fur die Darstellung : g→ gl(V) ist

Kern() = X ∈ g | (X) = 0

ein Ideal. Es giltg = Kern() ⊕ h

fur ein Ideal h von g.

Lemma 3.27 Es ist Kern() = radb .

B: Aufgabe 3.7.

Die Einschrankung der Spurform b|h ist also nicht ausgeartet. Sei u1, ..., um eineBasis von h und u∗

1, ..., u∗m die bzgl. b duale Basis, so dass gilt

b(ui, u∗j) = δi j.

Definition 3.28 Wir definieren den Casimir-Operator Γ = Γ ∈ gl(V) der Darstel-lung durch

Γ =

m∑

i=1

((ui) (u∗i )).

Bemerkung 3.29 Γ hangt nicht von der Wahl der Basis ab (Aufgabe 3.4).

Satz 3.30 Der Casimir-Operator Γ kommutiert mit (g) ⊆ gl(V), d.h. fur alle X ∈ ggilt

[Γ, (X)] = Γ (X) − (X) Γ = 0.

Außerdem ist Spur(Γ) = dim(h) = m.

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80 3 Lie-Algebra-Kohomologie und Levi-Zerlegung

B: Da X ∈ g die Form X = X0 + X1 mit X0 ∈ Kern(), X1 ∈ h hat, reichtes, X ∈ h zu betrachten. Wir konnen adX als Matrix bzgl. der Basen ui, u∗i schreiben: adX(ui) =

∑j αi ju j bzw. adX(u∗

i) =

∑j βi ju

∗j, wobei gilt (αi j) = (−β ji), da b

eine invariante Form ist.

Damit rechnen wir die Behauptung einfach nach:

[Γ, (X)] =∑

(ui) (u∗i ) (X) −∑

(X) (ui) (u∗i )

=∑

(ui) ([(u∗i ), (X)] + (X) (u∗i )

)

−∑(

[(X), (ui)] + (ui) (X)) (u∗i )

=∑

(ui) ([u∗i ,X]) −∑

([X, ui]) (u∗i )

= −∑

i, j

βi j(ui) (u∗j) −∑

i, j

αi j(u j) (u∗i )

= −∑

i, j

βi j(ui) (u∗j) −∑

i, j

(−β ji)(u j) (u∗i )

= −∑

i, j

βi j(ui) (u∗j) +∑

i, j

βi j(ui) (u∗j)

= 0.

Außerdem: Spur(Γ) =m∑

i=1Spur(((ui) (u∗

i)) =

m∑i=1

b(ui, u∗i ) =m∑

i=11 = m.

Wir untersuchen die Aktion von Γ auf den 1- und 2-Kozykeln.

Lemma 3.31

1. Fur ϕ ∈ Z1(g, ) gilt

Γ(ϕ(X)) = (X)

m∑

i=1

(ui)(ϕ(u∗i ))

.

2. Fur ϕ ∈ Z2(g, ) gilt

−Γ(ϕ(X,Y)) =∑

i

(ui)(ϕ([X,Y], u∗i ))

+ (X)(∑

(ui)(ϕ(Y, u∗i )))

+ (Y)(∑

(ui)(ϕ(u∗i ,X)))

B: Wir definieren αi j, βi j wie im Beweis zu Satz 3.30.

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3.3 Die Lemmata von Whitehead 81

1. Nachrechnen:

Γ(ϕ(X)) =∑

i

((ui) (u∗i )

)(ϕ(X))

=∑

i

(ui)((X)(ϕ(u∗i )) − ϕ([X, u∗i ])

)(ϕ ist 1-Kozykel)

=∑

i

((ui) (X)

)(ϕ(u∗i )) −

i, j

βi j(ui)(ϕ(u∗j))

=∑

i

((ui) (X)

)(ϕ(u∗i )) +

i, j

α ji(ui)(ϕ(u∗j))

=∑

i

((ui) (X)

)(ϕ(u∗i )) +

j

([X, u j])(ϕ(u∗j))

=∑

i

((X) (ui)

)(ϕ(u∗i ))

= (X)

i

(ui)(ϕ(u∗i ))

2. Ubung.

Korollar 3.32 Ist der Casimir-Operator Γ nicht singular, so gilt:

H1(g, ) = 0 = H2(g, ).

B: Vorbemerkung: Mit [Γ, (X)] = 0 gilt auch [Γ−1, (X)] = 0, denn

Γ (X) = (X) Γ⇔ (X) Γ−1 = Γ−1 (X).

Zeige H1(g, ) = 0: Sei ϕ ∈ Z1(g, ). Aus Teil 1 von Lemma 3.31 folgt:

ϕ(X) = Γ−1((X)

( m∑

i=1

(ui)(ϕ(u∗i ))))

= (X)(Γ−1

( m∑

i=1

(ui)(ϕ(u∗i )))

︸ ︷︷ ︸=:vϕ

)

= (X)(vϕ)

= (d0vϕ)(X).

Also ist ϕ = d0vϕ ein 1-Korand und daraus folgt H1(g, ) = 0.

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82 3 Lie-Algebra-Kohomologie und Levi-Zerlegung

Zeige H2(g, ) = 0: Sei ϕ ∈ Z2(g, ). Aus Teil 2 von Lemma 3.31 folgt:

−ϕ(X,Y) = Γ−1(∑

i

(ui)(ϕ([X,Y], u∗i ))

+ (X)(∑

(ui)(ϕ(Y, u∗i )))

+ (Y)(∑

(ui)(ϕ(u∗i ,X))))

= Γ−1(∑

i

(ui)(ϕ([X,Y], u∗i )))

+ (X)(Γ−1

(∑(ui)(ϕ(Y, u∗i ))

))

− (Y)(Γ−1

(∑(ui)(ϕ(X, u∗i ))

))(ϕ alternierend)

= (d1ψ)(X,Y),

wobei ψ : g→ V gegeben ist durch

ψ(X) = Γ−1(∑

(ui)(ϕ(X, u∗i ))).

Also ist ϕ = −d1ψ ein 2-Korand und daraus folgt H2(g, ) = 0.

Satz 3.33 (erstes Whitehead-Lemma)Es sei g eine halbeinfache Lie-Algebra uber einem Korper K mit char(K) = 0. Danngilt H1(g, ) = 0 fur jede Darstellung : g→ gl(V).

B: Betrachte den Casimir-Operator Γ von . Es gibt eine charakteristischeZerlegung V = V0 ⊕ V1, so dass Γ(Vi) ⊆ Vi, i = 0, 1, und Γ nilpotent auf V0 undnicht singular auf V1. (Diese Zerlegung konnen wir aus der Zerlegung von V inverallgemeinerte Eigenraume bzgl. Γ uber dem algebraischen Abschluss von Kerhalten.) Da nach Satz 3.30 Γmit (g) kommutiert, gilt fur jeden Eigenwert αi vonΓ und hinreichend großes νi:

(g)(Kern((Γ − αi · id)νi)) ⊆ Kern((Γ − αi · id)νi)

und daraus folgt (g)(Vi) ⊆ Vi, i = 0, 1.

Wir setzen i(X) := (X)|Vifur i = 0, 1. Somit ist V zerlegt als direkte Summe von

g-Moduln (V0, 0) und (V1, 1). Sei ϕ ∈ Z1(g, ) ist, dann folgt ϕ = ϕ0 + ϕ1 fur einϕ0 ∈ Z1(g, 0) und ϕ1 ∈ Z1(g, 1). Entsprechend gilt

H1(g, ) = H1(g, 0) ⊕H1(g, 1).

Um zu sehen, dass ϕ = d0v gilt fur ein v ∈ V, reicht es also, Folgendes zu zeigen:

ϕ0 = d0v0, v0 ∈ V0,

ϕ1 = d0v1, v1 ∈ V1.

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3.3 Die Lemmata von Whitehead 83

Nach Korollar 3.32 ist ϕ1 ein 1-Korand, da Γ|V1nicht singular ist. Wir betrachten

also jetzt den Fall, dass Γ nilpotent ist. Dann ist nach Satz 3.30

Spur(Γ) = 0 = dim(h)

und folglich Kern() = g, also = 0. Im Fall = 0 gilt

ϕ ∈ Z1(g, )⇔ ϕ([X,Y]) = 0.

Da g halbeinfach ist, gilt außerdem g = [g, g]. Insgesamt folgt damit ϕ = 0.

Satz 3.34 (zweites Whitehead-Lemma)Es sei g eine halbeinfache Lie-Algebra uber dem Korper K mit char(K) = 0. Danngilt H2(g, ) = 0 fur jede Darstellung .

B: Analog zum Beweis des ersten Whitehead-Lemmas reicht es, Folgendeszu zeigen: H2(g, ) = 0 fur abelsche Koeffizienten, d.h. im Fall = 0.

Sei ϕ ∈ Z2(g, ). Da = 0 ist, ist dies aquivalent zu

ϕ([X,Y],Z) + ϕ([Z,X],Y) + ϕ([Y,Z],X) = 0.

Die linearen Abbildungen HomK(g,V) bilden einen g-Modul mit der Darstellung

˜ : g→ gl(HomK(g,V))

definiert durch˜(X)(ψ) (Y) := −ψ([X,Y]).

Der Abbildung ϕ : g × g → V entspricht eine Abbildung ϕ : g → HomK(g,V)definiert durch

ϕ(X)(Y) = ϕ(X,Y).

Wir stellen (durch Nachrechnen) fest, dass

ϕ ∈ Z2(g, )⇔ ϕ ∈ Z1(g, ˜)

gilt. Aus dem ersten Whitehead-Lemma folgt nun, dass es eine Abbildung ψ ∈HomK(g,V) mit ϕ = d0

˜ψ gibt. Somit gilt:

ϕ(X) = ˜(X)(ψ)

⇔ ϕ(X)(Y) = −ψ([X,Y])

⇔ ϕ(X,Y) = −ψ([X,Y]) = −(d1ψ)(X,Y).

Daher ist ϕ ein 2-Korand bzgl. der Kohomologie mit abelschen Koeffizienten.

Bemerkung 3.35 Die hoheren Kohomologiegruppen Hi(g, ), i > 2, von g ver-schwinden fur = 0 im Allgemeinen nicht, auch wenn g halbeinfach ist. Jedochgilt im Fall, dass g halbeinfach und , 0 ist, stets Hi(g, ) = 0.

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84 3 Lie-Algebra-Kohomologie und Levi-Zerlegung

Satz 3.36 (Levi-Zerlegung)Es sei g eine Lie-Algebra uber einem Korper der Charakteristik 0, und

0 → r→ g→ s→ 0

eine exakte Sequenz von Lie-Algebren, wobei r ein auflosbares Ideal und s einehalbeinfache Lie-Algebra ist. Dann spaltet diese Sequenz, d.h. es gibt eine halb-einfache Unteralgebra sg ⊆ g, so dass

g = r ⊕ sgeine direkte Summe von Vektorraumen ist.

B: Ist r abelsch, so folgt der Satz aus dem zweiten Whitehead-Lemma undLemma 3.23.

Wir nehmen also an, dass [r, r] , 0 gilt, also auch 0 < dim([r, r]) < dim(r).Betrachte die induzierte Sequenz

0 → r/[r, r]→ g/[r, r]→ s→ 0

(dies ist zulassig, da [r, r] auch in g ein Ideal ist). r/[r, r] ist aber abelsch, so dassnach unserer ersten Uberlegung folgt, dass es eine halbeinfache Unteralgebras ⊆ g/[r, r] gibt mit

g/[r, r] = r/[r, r] ⊕ s.Es sei p : g→ g/[r, r] die kanonische Projektion. Setze

g := p−1(s) ⊆ g.

Dann ist die Sequenz0 → [r, r]→ g→ s→ 0

exakt. Weiter ist [r, r] auflosbar, dim([r, r]) < dim(r) und folglich dim(g) < dim(g).

Mit Induktion uber dim(g) folgt nun, dass sg ⊆ g existiert mit

g = [r, r] ⊕ sg.

Damit gilt auch g = r ⊕ sg.

Korollar 3.37 Jede Lie-Algebra g uber einem Korper der Charakteristik 0 ist se-midirekte Summe ihres auflosbaren Radikals r = rad(g) und einer halbeinfachenLie-Algebra s.

3.4 Aufgaben

Aufgabe 3.1 Derivationen und H1

Es bezeichne ad die adjungierte Darstellung der Lie-Algebra g. Zeigen Sie: WennH1(g, ad) = 0 (genau) dann ist jede Derivation D von g eine innere (das heißtD = adX fur ein X ∈ g).

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3.4 Aufgaben 85

Aufgabe 3.2 Es sei g eine Lie-Algebra und (V, τ) ein g-Modul. Zeigen Sie:

1. Fur v ∈ V ist die Abbildung

ϕv : g→ V, X 7→ τ(X)(v)

ein Element von Z1(g, τ).

2. Fur eine lineare Abbildung L : g→ V ist die bilineare Abbildung

dL : g × g→ V, (X,Y) 7→ L([X,Y]) − τ(X)(L(Y)) − τ(Y)(L(X))

ein Element von Z2(g, τ).

Aufgabe 3.3 Automorphismen

1. Es sei g eine reelle oder komplexe Lie-Algebra. Beweisen Sie, dass Aut(g), dieGruppe der Automorphismen von g, eine Lie-Gruppe ist. Zeigen Sie weiter,dass die Gruppe der inneren Automorphismen Int(g) = 〈exp(adX) : X ∈ g〉eine zusammenhangende normale Lie-Untergruppe von Aut(g) ist.

2. In der Situation von Teil 1 kann man zeigen, dass die Gruppe Aut(g) nurendlich viele Zusammenhangskomponenten hat. Es sei nun g halbeinfach.Beweisen Sie, dass Aut(g)0 = Int(g), wobei Aut(g)0 die Zusammenhangskom-ponente der Identitat in Aut(g) bezeichnet. Folgern Sie, dass Int(g) endlichenIndex in Aut(g) hat.

Aufgabe 3.4 Zeigen Sie, dass die Definition des Casimir-Operators nicht von derWahl der Basis abhangt.

Aufgabe 3.5 1. und 2. Kohomologiegruppe von g

1. Es sei g eine Lie-Algebra uber K. Wir betrachten den Korper K als trivialeng-Modul. Und bezeichnen Hi(g,K), i = 0, 1, 2, als die Kohomologie-Gruppenvon g. Zeigen Sie, dass H0(g,K) = K und H1(g,K) g/[g, g].

2. (a) Es sei g abelsch. Berechnen Sie Hi(g,K), i = 0, 1, 2.

(b) Es sei g halbeinfach. Zeigen Sie direkt (das heißt ohne Verwendung derWhitehead-Lemmata), dass Hi(g,K) = 0, i = 1, 2.

(c) Es sei g nilpotent. Beweisen Sie, dass Hi(g,K) , 0, i = 0, 1, 2.

Aufgabe 3.6 Dixmier-Abschatzungen

Es sei gnilpotent, dim(g) ≥ 3. Beweisen Sie dim(H1(g, ad)) ≥ 2 und dim(H2(g, ad)) ≥2. (Hinweis: Versuchen Sie Induktion nach der Dimension von g.) Vergleichen Sieauch mit Aufgabe 3.1 und Aufgabe 2.7. Berechnen Sie Hi(h3, ad), i = 0, 1, 2, fur dieHeisenberg-Algebra h3.

Aufgabe 3.7 Zeigen Sie, dass fur die invariante Form b einer Darstellung : g→gl(V) gilt:

Kern() = radb .

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86 3 Lie-Algebra-Kohomologie und Levi-Zerlegung

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87

4 Struktur der komplexen halbeinfachen Lie-Algebren

In diesem Kapitel betrachten wir nur endlichdimensionale Lie-Algebren uberdem Korper C (die Ergebnisse gelten auch fur jeden algebraisch abgeschlosse-nen Korper K der Charakteristik 0). Ziel dieses Kapitels ist es, die halbeinfachenLie-Algebren uber C zu klassifizieren. Uns stehen dabei die Resultate uber halb-einfache und auflosbare Lie-Algebren aus Kapitel 2 zu Verfugung.

Wir definieren entsprechend fur Lie-Gruppen:

Definition 4.1 Sei G eine zusammenhangende Lie-Gruppe mit Lie-Algebra g =Lie(G). Dann heißt G

• halbeinfach, wenn g halbeinfach ist.

• einfach, wenn g einfach ist.

• auflosbar, wenn g auflosbar ist.

Siehe dazu die Definitionen 2.46, 1.22(5) und 2.1.

Aus der Klassifizierung der halbeinfachen Lie-Algebren uberC lasst sich eine ent-sprechende Klassifizierung der halbeinfachen Lie-Gruppen ableiten. Diese The-matik wird bei Helgason [7] ausfuhrlich behandelt.

4.1 Die klassischen Lie-Algebren

Sei V ein C-Vektorraum endlicher Dimension.

Wir betrachten in diesem Abschnitt die klassischen Lie-Algebren uber C:

1. sln(C) sl(V) = ϕ ∈ gl(V) | Spur(ϕ) = 0.

2. on(C) ob(V) = ϕ ∈ gl(V) | b(ϕ(X),Y) = −b(X, ϕ(Y)), wobei b eine nichtausgeartete symmetrische Bilinearform auf V ist.

3. spn(C) spΩ(V) = ϕ ∈ gl(V) | Ω(ϕ(X),Y) = −Ω(X, ϕ(Y)) fur dim(V) = 2n,wobei Ω eine nicht ausgeartete schiefsymmetrische Bilinearform auf V ist.

Vergleiche dazu die klassischen Gruppen aus Beispiel 1.44.

Lemma 4.2 Die klassischen Lie-Algebren sl(V), ob(V) und spΩ(V) sind Lie-Unter-algebren von gl(V).

Unser Ziel ist es, zu zeigen, dass die klassischen Lie-Algebren einfach sind. Esgenugt, speziell sln(C), on(C) und spn(C) zu betrachten.

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88 4 Struktur der komplexen halbeinfachen Lie-Algebren

Definition 4.3 Sei g eine Lie-Algebra und : g → gl(V) eine Darstellung von g.Dann heißt irreduzibel, wenn fur alle Untervektorraume U ⊆ V aus (g)(U) ⊆ Ufolgt, dass U = 0 oder U = V ist. Wir sprechen dann auch von V als einem irre-duziblen g-Modul. Ist g eine Unteralgebra von gl(V), so nennen wir g irreduzibel(auf V), wenn die Darstellung id : g→ gl(V) irreduzibel ist.

Diese Begriffe lassen sich auf analoge Weise fur Lie-Gruppen und ihre Darstellun-gen definieren.

Bemerkung 4.4 Eine Darstellung von g ist irreduzibel genau dann, wenn eskeinen echten Untervektorraum U ⊆ V, U , 0, gibt, der unter allen Abbildungenaus (g) invariant ist.

Beispiel 4.5

1. Die adjungierte Darstellung ad : g → gl(V), adX(Y) = [X,Y], ist irreduzibelgenau dann, wenn dim(g) = 1 gilt oder g einfach ist.

2. Ist g auflosbar und : g → gl(V) eine Darstellung, so folgt aus dem Satzvon Lie, dass eine Fahne von V stabilisiert. Ist irreduzibel, gilt somitdim(V) = 1.

Lemma 4.6 gl(V) ist irreduzibel auf V.

B: Es gibt keinen echten Untervektorraum U von V, U , 0, mit ϕ(U) ⊆ Ufur alle ϕ ∈ gl(V).

Beispiel 4.7 Die Unteralgebra

D = ϕλ ∈ gl(V) | ϕλ(X) = λX fur ein λ ∈ C und alle X ∈ V

λ. . .

λ

∣∣∣∣∣∣ λ ∈ C

ist ein eindimensionales Ideal von gl(V) und es ist D = z(gl(V)) das Zentrum vongl(V). Es ergibt sich als Folgerung aus dem folgenden Satz 4.8, dassD das einzigeechte auflosbare Ideal (, 0) von gl(V) ist. Desweiteren ergibt sich im Folgenden,dass sl(V) das einzige weitere echte Ideal von gl(V) ist.

Satz 4.8 Sei g ⊆ gl(V) eine Unteralgebra, die irreduzibel auf V ist, und J ⊆ g einauflosbares Ideal. Dann ist J = D.

B: Nach Lemma 2.17 gibt es ein v ∈ V\0 und eine lineare Abbildungλ : J→ Cmit ψ(v) = λ(ψ) · v fur alle ψ ∈ J. Fur ein beliebiges ϕ ∈ g gilt

(ψ ϕ)(v) = [ψ,ϕ]︸︷︷︸∈J

(v) + (ϕ ψ)(v)

= λ([ψ,ϕ])v + λ(ψ)ϕ(v).

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4.1 Die klassischen Lie-Algebren 89

Da die von J und v erzeugte Unteralgebra eine Fahne von V stabilisiert, ist[ψ,ϕ] nilpotent. Da λ([ψ,ϕ]) Eigenwert des Eigenvektors v von [ψ,ϕ] ist, giltsomit λ([ψ,ϕ]) = 0, also auch ψ(ϕ(v)) = λ(ψ) · ϕ(v). Da g nach Voraussetzungirreduzibel ist, folgt g(v) = V, da g(v) ein g-invarianter Unterraum von V ist. Alsoist ψ(x) = λ(ψ)x fur alle x ∈ V und daraus folgt ψ = ϕλ(ψ) ∈ D. Es gilt also J ⊆ D.Da dim(D) = 1 und dim(J) ≥ 1, gilt somit auch J = D.

Korollar 4.9 Sei g ⊆ gl(V) irreduzibel auf V undD∩g = 0. Dann ist ghalbeinfach.

B: Nach Satz 4.8 hat g kein echtes auflosbares Ideal. Also ist g nach Satz 2.53halbeinfach.

Korollar 4.10 sl(V) ist halbeinfach.

B: Man sieht leicht, dass sl(V) irreduzibel ist. Da Spur(ϕ) = 0 fur alle ϕ ∈sl(V), ist D ∩ sl(V) = 0.

Definition 4.11 Im Folgenden werden wir einige spezielle Unteralgebren vonsln(C) benotigen. Die Unteralgebra

an :=

λ1

. . .λn

∣∣∣∣∣∣∑

λi = 0

ist eine maximale abelsche Unteralgebra von sln(C) und besteht aus halbeinfachenElementen. Sie wird Cartan-Unteralgebra genannt. Weiter ist

n+ :=

0 ∗. . .

0 0

eine Unteralgebra von nilpotenten Elementen mit Basis Ei j | i = 1, ..., n, i < j, und

n− :=

0 0. . .

∗ 0

ist eine Unteralgebra von nilpotenten Elementen mit Basis Ei j | i = 1, ..., n, i > j.

Schreibe Dλ1,...,λn := diag(λ1, ..., λn) ∈ an. Dann gilt:

[Dλ1,...,λn,Ei j] = (λi − λ j)Ei j,

[Dλ1,...,λn, an] = 0.

Die AbbildungenΛi j : an → C,Dλ1,...,λn 7→ λi−λ j werden Wurzeln der Lie-Algebrasln(C) genannt.

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90 4 Struktur der komplexen halbeinfachen Lie-Algebren

Definition 4.12 Sei V = Cn mit Standardbasis e1, ..., en und seien σ, τ ∈ Sn Permu-tationen. Definiere Aσ ∈ GLn(C) durch

Aσei := eσ(i).

Es gilt Aσ ·Aτ = Aστ, d.h. σ 7→ Aσ ist ein Homomorphismus. Fur v = (v1, ..., vn) ∈ Cn

gilt somit Aσv = (vσ−1(1), ..., vσ−1(n)). Wir nennen die Gruppe

W = ψ : an → an | ψ(X) = AσXAσ−1 fur ein σ ∈ Sn

der Automorphismen von an, die durch Konjugation mit den Matrizen Aσ indu-ziert werden, die Weyl-Gruppe von sln(C).

Lemma 4.13 Sei σ ∈ Sn, Dλ1,...,λn ∈ an. Es gilt:

1. Aσ ·Dλ1,...,λn · Aσ−1 = Dλσ−1(1)

,...,λσ−1(n)

.

2. [Dλ1,...,λn,AσEi jAσ−1] = (λσ(i) − λσ( j))AσEi jAσ−1 .

3. AσEi jAσ−1 = Eσ(i)σ( j).

B:

1. Nachrechnen.

2. Es gilt A[X,Y]A−1 = [AXA−1,AYA−1]. Außerdem gilt

[Dλ1,...,λn,Ei j] = (λi − λ j)Ei j.

Zusammen mit dem ersten Teil folgt die Behauptung.

3. Folgt aus Teil 2.

Dieses Lemma zeigt, dass die Permutationsmatrizen Aσ die Unteralgebra an nor-malisieren und auf den Wurzeln Λi j operieren durch Λi j 7→ Λσ(i)σ( j).

Lemma 4.14 Sei J ⊆ sln(C) ein Ideal und

W = ψ : sln(C)→ sln(C) | ψ(X) = AdAσ(X) = AσXAσ−1 fur ein σ ∈ Sn.

Dann gilt W(J) ⊆ J.

B: Wir bemerken zuerst, dass W ⊆ AdSLn(C) ⊆ GL(sln(C)) gilt, also AdAσ ∈AdSLn(C): Fur Aσ ∈ W mit det(Aσ) = 1 ist dies klar. Im Falle det(Aσ) = −1 ist aberAσXA−1

σ = (δAσ)X(δAσ)−1, wobei δ = −1 fur ungerades n und δ = i fur gerades n

sei. Es gilt det(δA) = 1 und AdAσ = AdδAσ ∈ AdSLn(C).

Aus [sln(C),J] ⊆ J folgt mit Hilfe der Abbildung exp, dass auch AdSLn(C)(J) ⊆ Jgelten muss (vgl. Satz 1.62).

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4.1 Die klassischen Lie-Algebren 91

Satz 4.15 Die klassische Lie-Algebra sl(V) ist einfach.

B: Es ist sl(V) sln(C). Sei J ein Ideal in sln(C), J , 0. Insbesondere ist[an,J] ⊆ J. Die Unteralgebra ad(an) ⊆ gl(sln(C)) ist auflosbar. Das gilt auch furihre Einschrankung auf J. Nach Lemma 2.17 gibt es ein Λ : an → C und v ∈ J\0mit [X, v] = Λ(X)v fur alle X ∈ an.

Wir konnen ohne Einschrankung Λ , 0 annehmen (denn sonst ware v ∈ an). Alsoist Λ eine Wurzel von sln(C), d.h. Λ = Λi j mit i , j und v ∈ 〈Ei j〉.

Mit Lemma 4.14 folgt, dass fur Ei j gilt W(Ei j) ⊆ J, und somit n+, n− ⊆ J, da W(Ei j)nach Lemma 4.13 deren Basen enthalt. Mit Ei j,E ji ∈ J ist auch [Ei j,E ji] = Eii−E j j ∈ an

in J enthalten, also eine Basis von an. Es muss also J = sln(C) sein und somit istsln(C) einfach.

Zusammengefasst haben wir in diesem Abschnitt Folgendes gezeigt:

• sln(C) ist halbeinfach, da irreduzibel auf Cn.

• sln(C) ist einfach, da die adjungierte Darstellung irreduzibel ist.

Wir skizzieren nun kurz das entsprechende Vorgehen zum Nachweis der Ein-fachheit von spn(C) und on(C). Eine ausfuhrliche Darstellung findet man z.B. beiFulton und Harris [5].

Bemerkung 4.16 Die Elemente von spn(C) sind folgendermaßen beschrieben:

(A BC D

)∈ spn(C) ⇔ B = B⊤,C = C⊤,A = −D⊤.

Hier hat man die Cartan-Unteralgebra

asp = Dλ1,...,λn,−λ1,...,−λn | λi ∈ C = spn(C) ∩ an.

Die Weyl-Gruppe von spn(C) ist eine endliche Gruppe W ⊆ AdSpn(C), die aspstabilisiert. Wir definieren fur σ ∈ Sn:

Aσei = eσ(i), Aσek+i = ek+σ(i).

Setzt man τi(ei) = ek+i, τi(ek+i) = ei und τi(e j) = e j fur i < i, i + k, so ist die Weyl-Gruppe

W =⟨Aσ, τi | i = 1, ..., n, σ ∈ Sn

⟩.

In Aufgabe 4.1 ist zu zeigen, dass spn(C) einfach ist.

Bemerkung 4.17 Fur on(C) kann man die Einfachheit auf ahnliche Weise wie fursln(C) und spn(C) zeigen (Aufgabe 4.3).

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92 4 Struktur der komplexen halbeinfachen Lie-Algebren

4.2 Gewichtszerlegungen von Darstellungen

Wir verallgemeinern zuerst die Definition des Gewichtes aus Lemma 2.17:

Definition 4.18 Sei : g → gl(V) eine Darstellung von g und Λ : g → C einelineare Abbildung. Setze

VΛ = v ∈ V | ∀X ∈ g : (X)(v) = Λ(X) · v.Ist VΛ , 0, so bezeichnen wir Λ als Gewicht mit dem Gewichtsraum VΛ.

Nach Lemma 2.17 besitzt jede Darstellung einer auflosbaren Lie-Algebra g min-destens ein Gewicht.

Definition 4.19 Wir nennen eine Lie-Unteralgebra a ⊆ gl(V) diagonalisierbar,wenn a abelsch ist und alle Elemente ϕ ∈ a halbeinfach (also diagonalisierbar)sind.

Beispiel 4.20 Die adjungierte Darstellung von an auf sln(C) ist diagonalisierbar.Ihre Gewichte sind die Abbildungen Λi j : an → C,Dλ1,...,λn 7→ λi − λ j.

Lemma 4.21 Es sei a ⊆ gl(V) diagonalisierbar und es seien Λ1, ...,Λk von a dieGewichte von a auf V. Dann gilt:

V = VΛ1⊕ ... ⊕ VΛk

.

B: Induktion uber m = dim(a).

Induktionsanfang: dim(a) = 1. Es ist a = 〈ϕ〉 fur ein diagonalisierbares ϕ ∈ gl(V).Stellt

λ1

. . .λk

die Diagonalform von ϕ dar, so lasst sich V als direkte Summe der EigenraumeVλi

zu den Eigenwerten λi von ϕ schreiben:

V = Vλ1⊕ ... ⊕ Vλk

.

Nun kann man einfach Λi(ϕ) = λi wahlen.

Induktionsvoraussetzung: Die Behauptung gilt fur Dimension m − 1.

Induktionsschritt: Fur dim(a) = n konnen wir a schreiben als

a = a0 ⊕ a1,

wobei a0, a1 abelsche Unteralgebren sind mit a0 = 〈ϕ〉. Wie im Induktionsanfangist V =

⊕Vλi

mit Eigenwerten λi von ϕ. Es gilt a1(Vλi) ⊆ Vλi

fur alle i, denn furψ ∈ a1, v ∈ Vλi

gilt

(ϕ ψ)(v) =abelsch

(ψ ϕ)(v)

= ψ(λiv)

= λiψ(v) ∈ Vλi.

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4.2 Gewichtszerlegungen von Darstellungen 93

Es sei V =⊕

VΛ1j

die Gewichtszerlegung bzgl. a1. Mit der Induktionsvorausset-

zung folgt, dass a1 auf jedem einzelnen Vλidiagonalisierbar ist. Daher hat man

eine Zerlegung der Form

Vλi= (Vλi

∩ VΛ11) ⊕ ... ⊕ (Vλi

∩ VΛ1l)

fur jedes λi. Die Gewichte fur a sind im Fall VΛi, j= Vλi

∩ VΛ1j, 0 durch

Λi, j(ψ) =

Λ1

j(ψ) fur ψ ∈ a1

λi fur ψ ∈ a0

mit den Gewichtsraumen VΛi, jgegeben, und es ist V =

⊕VΛi, j

. Durch eine ent-sprechende Nummerierung derΛi, j erhalt man die Zerlegung in der gewunschtenForm.

Die Aussage von Lemma 4.21 ist gleichbedeutend damit, dass es eine Basis vonV gibt, bzgl. der alle Elemente von a Diagonalgestalt haben, also

”simultan dia-

gonalisierbar“ sind.

Beispiel 4.22 Die adjungierte Darstellung von an auf sln(C) ist diagonalisierbarmit den Gewichten Λi j(Dλ1,...,λn) = λi − λ j und Gewichtsraumen gΛi j

= 〈Ei j〉. Fur

Λ = 0 ist g0 = an, fur i < j ist n+ =⊕

i< jgΛi j

und fur i > j ist n− =⊕

i> jgΛi j

. Wir

konnen die Gewichtszerlegung somit folgendermaßen schreiben:

sln(C) = g0 ⊕(⊕

i< j

gΛi j

)⊕

(⊕

i> j

gΛi j

)

= an ⊕ n+ ⊕ n−.

Wir ubertragen den Begriff des verallgemeinerten Eigenraums auf Darstellungennilpotenter Lie-Algebren:

Definition 4.23 Sei h ⊆ gl(V) eine Unteralgebra und Λ : h → C eine lineareAbbildung. Setze

VΛ = v ∈ V | ∀ϕ ∈ h : (ϕ −Λ(ϕ)id)k(v) = 0 fur k groß genug.

Ist VΛ , 0, so bezeichnen wir Λ als (verallgemeinertes) Gewicht mit dem(verallgemeinerten) Gewichtsraum VΛ.

Ist h nilpotent, so zerlegt sich V als direkte Summe der Gewichtsraume.

Satz 4.24 (Gewichtszerlegung)Sei h ⊆ gl(V) nilpotent. Dann lasst V sich in eine direkte Summe zerlegen

V = VΛ1⊕ ... ⊕ VΛk

,

wobei die VΛiGewichtsraume zum Gewicht Λi sind.

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94 4 Struktur der komplexen halbeinfachen Lie-Algebren

B: Sei ϕ ∈ hmit Jordan-Zerlegung ϕ = ϕs+ϕn. Es gilt adϕ = adϕs + adϕn nachLemma 2.39. Da h nilpotent ist, ist adϕs = 0. Also ist [ϕs, ψs] = 0 = [ϕs, ψn] fur alleψ = ψs + ψn ∈ h. Damit ist

a := ϕs | ϕ = ϕs + ϕn ∈ heine abelsche und diagonalisierbare Unteralgebra von gl(V), die mit h kommutiert.

Seien Λ1, ...,Λk die Gewichte der diagonalisierbaren Unteralgebra a, vgl. Lemma4.21. Dann ist

V = VΛ1⊕ ... ⊕ V

Λk

mit VΛi= v ∈ V | ∀ϕs ∈ a : ϕs(v) = Λi(ϕs)v. Da h mit a kommutiert, gilt

h(VΛi

) ⊆ VΛi

fur jedes Gewicht Λi (ahnlich wie im Beweis zu Lemma 4.21). Weitergilt fur ϕ ∈ h

ϕn|VΛi= (ϕ − ϕs)|V

Λi= (ϕ −Λi(ϕs)id)|V

Λi.

Also ist (ϕ −Λi(ϕs)id)|VΛi

nilpotent auf VΛi

. Wir definieren Λi : h→ C durch

Λi(ϕ) := Λi(ϕs).

Es folgt also VΛi⊆ VΛi

. Da dies fur alle i gilt, muss aus Dimensionsgrunden sogarVΛi= VΛi

gelten und somit

V = VΛ1⊕ ... ⊕ VΛk

,

wie behauptet.

4.3 Cartan-Unteralgebren

Sei g eine Lie-Algebra uber C.

Definition 4.25 Ist h eine Unteralgebra der Lie-Algebra g, so heißt h Cartan-Unteralgebra von g, falls gilt:

1. h ist nilpotent.

2. Fur den Normalisator ng(h) von h in g gilt ng(h) = h.

Beispiel 4.26 Cartan-Unteralgebren.

1. Wenn g nilpotent ist, so ist g selbst eine Cartan-Unteralgebra.

2. Betrachten wir die Algebra tn der oberen Dreiecksmatrizen. n+ sei die Un-teralgebra aus Definition 4.11. Dann ist

dn =

λ1

. . .λn

∣∣∣∣∣∣ λi ∈ C⊆ tn

eine Cartan-Unteralgebra. Es gilt tn = dn ⊕ n+, und n+ ist ein Ideal. dn istabelsch und insbesondere nilpotent. Dass ntn(dn) = dn gilt, folgt aus Teil 4.

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4.3 Cartan-Unteralgebren 95

3. Sind g1, g2 Lie-Algebren mit Cartan-Unteralgebren h1, h2, so ist h1 ⊕ h2 eineCartan-Unteralgebra von g1 ⊕ g2.

4. Sei g = gl(V) gln(C). Dann ist dn eine Cartan-Unteralgebra von gl(V), denn

gln(C) dn ⊕ n+ ⊕ n−

mit n+, n− aus Definition 4.11. Fur X ∈ gln(C) gilt:

X = X0︸︷︷︸∈dn

+∑

i, j

αi jEi j.

Sei D = diag(λ1, ..., λn) ∈ dn. Dann gilt [D,Ei j] = (λi − λ j)Ei j, so dass

[X,D] = −[D,X] = −∑

i, j

αi j(λi − λ j)Ei j ∈ dn,

also

[X,D] ∈ dn ⇔ ∀ i, j : αi j(λi − λ j) = 0

⇔ ∀ i, j : αi j = 0 (da D beliebig)

⇔ X ∈ dn.

Wir werden im Folgenden zeigen, dass jede Lie-Algebra g eine Cartan-Unter-algebra besitzt.

Definition 4.27 Sei X ∈ g. Das charakteristische Polynom von adX ist

PX(T) = det(T · idg − adX)

=

n∏

i=1

(T − λi)

= Tn − Spur(adX)Tn−1 + ... + (−1)n det(adX)

=:

n∑

i=1

ai(X)Ti,

wobei die λi die (nicht notwendig verschiedenen) Eigenwerte von adX sind. Wirnennen die ai charakteristische Funktionen von g.

Es ist immer a0(X) = 0, da wegen adX(X) = 0 stets der Eigenwert 0 existiert. Die ai

sind Funktionen ai : g→ C, die polynomial in X sind, d.h. ist X1, ...,Xn eine Basisvon g und X =

∑ξiXi, so ist ai(X) ein Polynom vom Grad n − i in ξ1, ..., ξn. (Dies

folgt, da die Koeffizienten einer Matrixdarstellung von adX linear in den ξi sind.)

Weiter gilt fur alle X

an(X) = const. = 1

an−1(X) = −Spur(adX)

a0(X) = (−1)n det(adX) = 0.

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96 4 Struktur der komplexen halbeinfachen Lie-Algebren

Definition 4.28 Ist X ∈ g, so nennen wir die kleinste Zahl ℓX ∈ N, fur die aℓX(X) , 0

gilt, den Rang von X, schreibe auch ℓX = Rang(X). Die kleinste Zahl ℓg ∈ N mitaℓg , 0 (d.h. es gibt mindestens ein X mit aℓg(X) , 0) nennen wir den Rang von g.

Definition 4.29 X ∈ g heißt regular, wenn ℓX = ℓg ist.

Bemerkung 4.30

1. Es ist stets 1 ≤ Rang(g) ≤ n.

2. Sei Rang(g) = ℓ. Es gilt

PX(T) =

n∑

i=1

ai(X)Ti

=

n∑

i=ℓ

ai(X)Ti

= Tℓ

n∑

i=ℓ

ai(X)Ti−ℓ ,

d.h. der Eigenwert 0 von adX hat mindestens ℓ-fache Vielfachheit fur alleX ∈ g.

Lemma 4.31 Die Menge greg = X ∈ g | X ist regular der regularen Elemente vong ist offen, dicht und zusammenhangend in g.

B: greg = g\X ∈ g | aℓ(X) = 0, d.h. greg ist das Komplement der komplexenNullstellenmenge V(aℓ) = X ∈ g | aℓ(X) = 0 des Polynoms aℓ. Daraus folgt, dassgreg offen und dicht ist, denn V(aℓ) ist als Urbild von 0abgeschlossen in gund waregreg nicht dicht, so musste V(aℓ) eine offene Teilmenge von g enthalten, was nachdem Identitatssatz fur Potenzreihen zur Folge hatte, dass aℓ(X) das Nullpolynomist, im Widerspruch zur Definition von aℓ(X).Es bleibt zu zeigen, dass greg zusammenhangend ist: Seien X,Y ∈ greg und L diekomplexe Verbindungsgerade von X und Y in g. Da die Einschrankung aℓ|L einPolynom in einer Variablen ist, das nur endlich viele Nullstellen hat, folgt, dassL ∩ V(aℓ) endlich ist. Also ist die Menge L\V(aℓ) homoomorph zu C\z1, ..., zk furendliche viele zi ∈ C. Damit ist L\V(aℓ) insbesondere zusammenhangend undfolglich lassen sich X und Y durch eine Kurve in L ∩ greg verbinden. Es folgt, dassgreg zusammenhangend ist.

Wir werden nun zeigen, dass regulare Elemente Cartan-Unteralgebren bestim-men.

Definition 4.32 Sei X ∈ g und λ ∈ C. Den Unterraum

gXλ = Y ∈ g | (adX − λ · id)k(Y) = 0 fur k ∈ N groß genug

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4.3 Cartan-Unteralgebren 97

bezeichnen wir als verallgemeinerten Eigenraum von adX zu λ. Wir bezeichnengX

0 auch als Nullraum von X.

Wir betrachten die Zerlegung von g in die verallgemeinerten Eigenraume deslinearen Operators adX. Sind λ1, ..., λm ∈ C die von 0 verschiedenen Eigenwertevon adX, so gilt

g = gX0 ⊕ gX

λ1⊕ ... ⊕ gX

λm.

Es gilt gXλi, 0. Außerdem ist stets gX

0, 0, da X ∈ gX

0.

Lemma 4.33 Seien X,Y,Z ∈ g und λ, µ ∈ C. Dann gilt

(adX − (λ + µ)id

)m([Y,Z]) =

m∑

p=0

(m

p

)[(adX − λid

)p(Y),

(adX − µid

)m−p(Z)

].

B: Fur m = 1: Wir benutzen die Jacobi-Identitat:

[X, [Y,Z]] = −[Z, [X,Y]]−[Y, [Z,X]] = [[X,Y],Z]+[Y, [X,Z]] = [adX(Y),Z]+[Y, adX(Z)].

Damit folgt

(adX − (λ + µ)id)([Y,Z]) = [adX(Y),Z]−λ[Y,Z]︸ ︷︷ ︸=[−λY,Z]

+[Y, adX(Z)]−µ[Y,Z]︸ ︷︷ ︸=[Y,−µZ]

= [adX(Y) − λY,Z] + [Y, adX(Z) − µZ]

= [(adX − λid)(Y),Z] + [Y, (adX − µid)(Z)],

wie behauptet.

Induktiv kann man nun den Fall m + 1 beweisen, indem man auf der linkenSeite der Gleichung die Induktionsannahme auf m Faktoren anwendet. In der soerhaltenen Summe fuhrt man die gleiche Rechnung wie im Fall m = 1 mit denArgumenten Y = (adX − λid)p(Y), Z = (adX − µid)m−p(Z) durch. Nutzt man nochdie Identitat

(m+1p+1

)=

(mp

)+

( mp+1

)aus, so erhalt man die gesuchte Gleichung.

Lemma 4.34 Sei X ∈ g\0.

1. Ist Y ∈ gXλ und Z ∈ gX

µ , so ist [Y,Z] ∈ gXλ+µ.

2. gX0 ist eine Unteralgebra von g.

3. Rang(X) = dim(gX0

).

B:

1. Ist m in Lemma 4.33 groß genug (etwa m = 2n), so ist einer der Faktoren injedem Summanden der Binomialreihe = 0 und somit ist die Reihe insgesamt= 0. Daraus folgt die Behauptung.

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98 4 Struktur der komplexen halbeinfachen Lie-Algebren

2. Folgt sofort aus Teil 1.

3. vgl. Bemerkung 4.30.

Satz 4.35 Sei X ∈ g regular. Dann ist gX0 eine Cartan-Unteralgebra von g.

B: Wir beweisen zuerst, dass die Bedingung n(gX0 ) = gX

0 erfullt ist:Ist Y ∈ n(gX

0), so gilt [Y, gX

0] ⊆ gX

0, also insbesondere [X,Y] ∈ gX

0. Daraus folgt, dass

es ein k ∈ N gibt mit adkX([X,Y]) = adk+1

X (Y) = 0. Also ist Y ∈ gX0 .

Wir zeigen nun, dass gX0 nilpotent ist:

Fur Y ∈ gX0

schreibe abkurzend ad0Y fur adY|gX

0und adY fur den von adY auf

g/gX0 induzierten Endomorphismus. Nach dem Satz von Engel ist gX

0 genau dann

nilpotent, wenn ad0Y nilpotent ist fur alle Y ∈ gX

0. Letzteres wollen wir im Folgenden

zeigen. Dazu betrachten wir die Mengen

U = Y ∈ gX0 | ad0

Y ist nicht nilpotent,V = Y ∈ gX

0 | adY ist invertierbar.

Es ist U ∩ V = ∅: Wir nehmen an, dass es ein Y ∈ U ∩ V gibt. Wegen Y ∈ U hatder Eigenwert 0 von ad0

Y eine Vielfachheit echt kleiner als dim(gX0 ), und wegen

Y ∈ V ist 0 kein Eigenwert von adY. Also hat auch der Eigenwert 0 von adY eineVielfachheit echt kleiner als dim(gX

0). Nach Lemma 4.34(3) gilt dim(gX

0) = Rang(X),

und dim(gX0 ) = Rang(g), da X regular ist. Somit gibt es ein j < dim(gX

0 ) = Rang(g)mit a j(Y) , 0. Dies ist ein Widerspruch zur Definition des Ranges.

V enthalt mindestens das Element X und ist offen und dicht in gX0 (vgl. Beweis

von Lemma 4.31). U ist offen, da das Komplement g0\U die Losungsmenge derpolynomialen Gleichung (ad0

Y)n = 0 ist.

Ware U , ∅, so auch U∩V , ∅, im Widerspruch zu U∩V = ∅. Es muss also U = ∅sein. Damit ist ad0

Y nilpotent fur alle Y ∈ gX0

.

Korollar 4.36 Jede Lie-Algebra g besitzt eine Cartan-Unteralgebra und jedes re-gulare Element von g ist in einer Cartan-Unteralgebra von g enthalten.

Beispiel 4.37 Betrachte glℓ(C). Dann ist dim(glℓ(C)) = ℓ2. Nach Aufgabe 4.4 istRang(glℓ(C)) = ℓ. Sei X = Dλ1,...,λℓ ∈ dℓ. Dann ist X ein regulares Element vonglℓ(C), wenn fur i , j auch λi , λ j gilt.Um dies einzusehen, ist noch aℓ(X) , 0⇔ λi , λ j fur i , j zu zeigen: Aus λi , λ j

fur i , j folgt glℓ(C)X0 = dℓ. Da [X,Ei j] = (λi − λ j)Ei j ist, folgt aus [X,Ei j] = 0 auch

λi = λ j, also i = j. Da die Ei j eine Basis aus Eigenvektoren von adX bilden, hatder Eigenwert 0 von adX genau die Vielfachheit ℓ. Mit Bemerkung 4.30(2) folgtaℓ(X) , 0.

Wir zeigen als nachstes, dass jede Cartan-Unteralgebra auch von einem regularenElement erzeugt wird. Dafur benotigen wir einige Vorbereitungen.

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4.3 Cartan-Unteralgebren 99

Lemma 4.38 Sei h eine Cartan-Unteralgebra von g und Λ1, ...,Λk die von 0 ver-schiedenen Gewichte von ad(h) ⊆ gl(g). Dann ist

g = h ⊕ gΛ1⊕ ... ⊕ gΛk

.

B: Die Existenz der Zerlegung folgt aus Satz 4.24, angewendet auf ad(h). Dah nilpotent ist, gilt h ⊆ g0. Es bleibt g0 = h zu zeigen.

Wir betrachten die Darstellung von h auf g/h.

Fur X ∈ h schreibe adX : g/h → g/h fur die durch adX induzierte Abbildung. Die

Lie-Algebra adh ⊆ gl(g/h) ist nilpotent, da h nilpotent ist. Nach dem Satz von Liegibt es eine Fahne F

g/h = Wm ⊇ ... ⊇W1 ⊇ W0 = 0,

so dass F von adh stabilisiert wird, d.h es gibt αi : h → C fur i = 1, ...,m, so dassgilt

adX(w) = αi(X)w + vX,w

mit w ∈Wi, vX,w ∈Wi−1. Die αi sind die Gewichte von h auf g/h.

Wir nehmen nun h ( g0 an. Dann gibt es ein w ∈ g0/hmit w , 0. Da adk

X(w) = 0 furalle X ∈ h und genugend großes k, muss es ein i geben mit αi = 0. Wahle i minimalmit dieser Eigenschaft. Wir beweisen das Lemma, indem wir die Annahme αi = 0zum Widerspruch fuhren.

Wir konnen wegen der Annahme der Minimalitat ein X0 ∈ hwahlen mit αi(X0) = 0

und α j(X0) , 0 fur alle j < i. Wegen αi(X) = 0 gilt adX(Wi) ⊆ Wi−1 fur alle X ∈ h.Dann gilt Wi = W ⊕Wi−1, wobei W der Nullraum von X0 in Wi ist. Insbesondere

gilt dim(W) = 1 (wegen der Fahneneigenschaft) und adX0(Z) = 0 fur beliebiges

Z ∈ W. Es gilt adh(W) ⊆ W und folglich adh|W = 0, was wir im Anschluss anden eigentlichen Beweis zeigen werden. Es sei nun z ∈ g0 ein Reprasentant vonZ ∈W ⊂ g/h, Z , 0. Dann gilt:

∀X ∈ h : adX(Z) = 0

⇔ ∀X ∈ h : [X, z] ∈ h⇔ z ∈ ng(h).

Da h eine Cartan-Unteralgebra ist, gilt h = ng(h), also z ∈ h. Also ist Z = 0 ∈ g/h,im Widerspruch zur Wahl von Z. Es folgt h = g0.

Nun zeigen wir noch adh(W) ⊆ W:Seien Z ∈W, X ∈ h beliebig. Dann gilt:

adX(Z) ∈W ⇔ adX(Z) liegt im Nullraum von X0 in Wi

⇔ adk

X0(adX(Z)) = 0 fur k hinreichend groß

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100 4 Struktur der komplexen halbeinfachen Lie-Algebren

Es reicht also, die letzte Behauptung zu zeigen. Da h nilpotent ist, ist adkX0= 0

fur hinreichend großes k. Dies eingesetzt in die folgende Formel zeigt dann dieBehauptung. Es ist

adk

X0(adX(Z)) = adadk

X0(X)(Z).

Diese Formel kann induktiv bewiesen werden.

adk+1

X0(adX(Z)) = adX0

adk

X0(adX(Z))

= adX0 adadk

X0(X)(Z)

wobei man die Induktionsannahme macht, dass die Formel fur k gilt. Aquivalentzur letzten Gleichung ist

adk+1X0

[X, z] = [X0, [adkX0

(X), z]] +H mit H ∈ h= −[z, [X0, adk

X0(X)]] + [adk

X0(X), [z,X0]︸︷︷︸

∈h

] +H

︸ ︷︷ ︸∈h

= [adk+1X0

(X), z] + H mit H ∈ h,

wobei z ∈ g ein Vertreter von Z ∈W ⊂ g/h ist. Die letzte Formel ist aber gerade diezu zeigende Formel fur k+ 1 und somit gilt die Formel allgemein und das Lemmaist endultig bewiesen.

Definition 4.39 Die Λ1, ...,Λk aus Lemma 4.38 bezeichnen wir als Wurzeln von gbzgl. h. Die Zerlegung g = g0 ⊕ gΛ1

⊕ ...⊕ gΛkheißt Wurzelzerlegung von g bzgl. h.

Definition 4.40 Wir definieren

Int(g) =⟨exp(adY) | Y ∈ g

⟩⊆ Aut(g).

Die Gruppe heißt Gruppe der inneren Automorphismen von g.

Satz 4.41 Sei h eine Cartan-Unteralgebra von g. Dann ist h = gX0

0fur ein regulares

Element X0 ∈ greg ∩ h.

B: Nach Lemma 4.38 ist die Gewichtszerlegung von der Gestalt

g = h ⊕ gΛ1⊕ ... ⊕ gΛk

.

Sei X0 ∈ hmit Λi(X0) , 0 fur alle i = 1, ..., k. Offensichtlich ist h = gX0

0.

Es bleibt zu zeigen, dass es solch ein regulares Element X0 gibt. Es ist

hr := X0 ∈ h | Λi(X0) , 0 fur i = 1, ..., k

eine offene, nichtleere Teilmenge von h. Wir setzen G := Int(g) und betrachtendie Menge G(hr) ⊆ g. Diese Menge ist offen in g: Die Abbildung F : G × hr →

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4.3 Cartan-Unteralgebren 101

g, (g,X0) 7→ g(X0), hat das Bild G(hr). Ihre Ableitung f : g× hr → g im Punkt (1,X0)ist surjektiv auf g, denn h ist als Tangentialraum von hr im Bild enthalten und dieKurve t 7→ exp(−tadY(X0)) hat im Ursprung die Ableitung adX0

(Y). Da das Bildvon adX0

isomorph zum Komplementarraum von h ist, muss somit ganz g dasBild von f sein. Somit folgt die Offenheit aus dem Satz uber implizit definierteFunktionen.

Es folgt, dass G(hr) nichtleeren Schnitt mit der dichten und offenen Menge greg

der regularen Elemente von g hat. Also gibt es ein X0 ∈ h und ein g ∈ G mitg(X0) ∈ greg (d.h. g(X0) regular). Folglich muss auch X0 regular in g sein, da g einAutomorphismus auf g ist.

Korollar 4.42 Sei h die Cartan-Unteralgebra von g. Dann gilt

dim(h) = Rang(g) = ℓ.

Insbesondere folgt auch, dass alle Elemente in hr regular sind, d.h. hr ⊆ greg (vgl.dazu Beispiel 4.37).

Wir werden nun sehen, dass je zwei Cartan-Unteralgebren (und entsprechend diezugehorigen Wurzelzerlegungen) durch einen inneren Automorphismus ausein-ander hervorgehen.

Satz 4.43 Sind h1 und h2 zwei Cartan-Unteralgebren, so gibt es einen innerenAutomorphismus g ∈ Int(g), so dass h1 = g(h2) ist.

B: Offensichtlich ist das Bild einer Cartan-Unteralgebra unter einem Auto-morphismus wieder eine Cartan-Unteralgebra. Schreibe G := Int(g). Wir betrach-ten folgende Aquivalenzrelation auf der Menge greg der regularen Elemente:

X ∼ Y :⇔ ∃g ∈ G : gX0 = g(gY

0 ).

Sei X0 in greg. Wir zeigen, dass die Aquivalenzklasse von X0 offen in g ist. Da X0

regular ist, ist h = gX0

0eine Cartan-Unteralgebra. Nach Satz 4.41 ist die Menge

G(hr) offen in g. Deswegen gibt es eine offene Umgebung U von X0 in h, so dassfur alle Y ∈ U ein X ∈ hr und g ∈ G existieren mit Y = g(X). Es gibt also ein k, sodass

gY0 = Z | adk

Y(Z) = 0= Z | adk

g(X)(Z) = 0= g(Z) | adk

g(X)(g(Z)) = 0= g(Z | adk

X(Z) = 0)= g(gX

0 ).

Da X0,X ∈ hr, gilt nach Satz 4.41 gX0 = h = g

X0

0. Also ist Y ∼ X0, und es folgt, dass die

Aquivalenzklasse von X0 eine offene Menge in greg ist. Da die Aquivalenzklassendisjunkt sind, ist greg eine Vereinigung disjunkter offener Mengen. Außerdem istgreg nach Lemma 4.31 zusammenhangend, also kann greg nur aus einer einzigen

Aquivalenzklasse bestehen.

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102 4 Struktur der komplexen halbeinfachen Lie-Algebren

Beispiel 4.44 Wir betrachten die reelle Lie-Algebra sl2(R). Es sind

h1 =(α 0

0 −α

) ∣∣∣ α ∈ R

h2 =( 0 β−β 0

) ∣∣∣ β ∈ R

Cartan-Unteralgebren von sl2(R). Aber h1 und h2 sind nicht konjugiert zueinander!

4.4 Cartan-Unteralgebren von halbeinfachen Lie-Algebren

In diesem Abschnitt sei g stets halbeinfach.

Definition 4.45 Wir nennen X ∈ g ein halbeinfaches Element von g, wenn adX :g→ g eine halbeinfache (also uber dem algebraischen Abschluss diagonalisierba-re) Abbildung ist.

Wir konnen die Jordan-Zerlegung fur Endomorphismen (siehe Anhang C) auf dieElemente halbeinfacher Lie-Algebren ubertragen.

Satz 4.46 Sei ghalbeinfach und X ∈ g. Dann gibt es eindeutige Elemente Xs,Xn ∈ g,so dass

X = Xs +Xn

gilt, und die additive Jordan-Zerlegung von adX ist

adX = adXs + adXn .

Wir nennen X = Xs + Xn die Jordan-Zerlegung von X.

B: Es sei D ∈ der(g) und g = g0⊕gλ1⊕...⊕gλl

die Zerlegung in verallgemeinerteEigenraume bzgl. der Eigenwerte αi von D. Sei D = Ds +Dn die Jordan-Zerlegungvon D. Insbesondere gilt

Ds|gλi= λiidgλi

.

Damit kann man zeigen (Aufgabe 4.5), dass Ds ∈ der(g) gilt. Somit ist auch Dn =

D −Ds ∈ der(g).

Da nach Satz 3.2 jede Derivation einer halbeinfachen Lie-Algebra eine innereDerivation ist, gibt es eindeutige Xs,Xn ∈ gmit

Ds = adXs , Dn = adXn .

Insbesondere existiert fur D = adX eine Zerlegung

adX = adXs + adXn

fur alle X ∈ g.

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4.4 Cartan-Unteralgebren von halbeinfachen Lie-Algebren 103

Beispiel 4.47 Sei X =

(α 10 α

)und g = 〈X〉 ⊆ gl2(C).

Dann ist

Xs =

(α 00 α

)und Xn =

(0 10 0

).

Aber Xs,Xn < g.

Definition 4.48 Unter dem Zentralisator einer Unteralgebra h von g verstehenwir das Ideal

zg(h) = X ∈ g | [X, h] = 0der mit h kommutierenden Elemente von g.

Satz 4.49 Sei g halbeinfach und h ⊆ g eine Cartan-Unteralgebra. Dann gilt:

1. Die Einschrankung k|h der Killing-Form von g auf h ist nicht ausgeartet.

2. h ist abelsch und es ist zg(h) = h.

3. h besteht nur aus halbeinfachen Elementen.

B:

1. Sei g = h ⊕ gΛ1⊕ ... ⊕ gΛl

die Wurzelzerlegung bzgl. h. Seien Xi ∈ gΛi,X j ∈

gΛ j,Xl ∈ gΛl

. Nach Lemma 4.34 ist fur Λi + Λ j , 0

(adXi adX j

)(Xl) ∈ gΛi+Λ j+Λl, gΛl

.

Die Matrixdarstellung von adXiadX j

bzgl. einer Basis der Wurzelzerlegunghat also nur Eintrage 0 auf der Diagonalen. Dies bedeutet, dass k(gΛi

, gΛ j) =

0 fur Λi , −Λ j gilt.Mit einer geeigneten Wahl I ⊆ 1, ..., l schreibt sich die Wurzelzerlegungfolgendermaßen:

g = h ⊕⊕

i∈I(gΛi⊕ g−Λi

).

Wir folgern aus dem obigen, dass diese Zerlegung orthogonal ist. Da k nichtausgeartet ist, ist auch die Einschrankung auf jeden dieser orthogonalenSummanden nicht ausgeartet, insbesondere ist k|h nicht ausgeartet.

2. Es gilt zg(h) ⊆ n(h). Da h eine Cartan-Unteralgebra ist, gilt zg(h) ⊆ h = n(h). Dah nilpotent und insbesondere auflosbar ist, gilt dies auch fur ad(h) ⊆ gl(g).Nach dem Cartan-Kriterium gilt fur alle X,Y,Z ∈ h

0 = Spur(adX [adY, adZ]) = k|h(X, [Y,Z]).

Folglich gilt fur alle Y,Z ∈ h: [Y,Z] ∈ radk|h . Wegen Teil 1 gilt nun [Y,Z] = 0,d.h. h ist abelsch. Insbesondere ist zg(h) = h.

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104 4 Struktur der komplexen halbeinfachen Lie-Algebren

3. Sei nun X ∈ h mit Jordan-Zerlegung X = Xs + Xn und entsprechend adX =

adXs + adXn . Da h abelsch ist, gilt X ∈ zg(h). Weiter gilt Xs,Xn ∈ zg(h) (dieskann man sich uber die Darstellung von Xs,Xn durch die Polynome P,Q inX aus Satz C.1 klarmachen). Aus Teil 2 folgt somit Xs,Xn ∈ h. Deshalb, undda adXn nilpotent ist, gilt Xn ∈ radk|h , denn fur Y ∈ h ist

∗ ∗. . .

0 ∗

︸ ︷︷ ︸adY

·

0 ∗. . .

0 0

︸ ︷︷ ︸adXn

=

0 ∗. . .

0 0

︸ ︷︷ ︸adYadXn

.

Zusammen mit Teil 1 folgt Xn = 0 und schließlich X = Xs.

Korollar 4.50 Einige Folgerungen aus Satz 4.49.

1. Aus Teil 2 folgt, dass h eine maximale abelsche Unteralgebra ist.

2. Aus dem Beweis von Teil 1 ist ersichtlich, dass mit Λi auch −Λi eine Wurzelist. Es gilt k(gΛi

, gΛ j) = 0 fur Λ j , −Λi. Sei X ∈ gΛi

, X , 0. Da k nichtausgeartet ist, muss nun k(X, g−Λi

) , 0 gelten und somit g−Λi, 0.

3. Jedes regulare Element von g ist halbeinfach, da es in einer Cartan-Unteralgebraenthalten ist.

Beispiel 4.51 In g = sl2(C) ist

h = (α 00 −α

)| α ∈ C

eine Cartan-Unteralgebra. Dann sind alle Cartan-Unteralgebren von der Gestalt

Adg(h) = ghg−1

fur ein g ∈ SL2(C). Ein Element

(α 00 −α

)ist regular genau dann, wenn α , 0 ist.

Satz 4.52 Die Menge der Wurzeln Λ1, ...,Λl von g bzgl. h erzeugt den Dualraumh∗, insbesondere gilt l ≥ Rang(g) = dim(h).

B: Wir nehmen an, dass die Λi den Dualraum h∗ nicht erzeugen. Dann gibtes ein X ∈ hmit X , 0 undΛi(X) = 0 fur i = 1, ..., l. Aus der Wurzelzerlegung folgt,dass 0 der einzige Eigenwert von adX ist. Da aber adX diagonalisierbar ist, folgtadX = 0 und somit X = 0, im Widerspruch zur Wahl von X.

Bemerkung 4.53 Da h aus halbeinfachen Elementen besteht, ist die Lie-Algebraad(h) diagonalisierbar, d.h. fur jede Wurzel Λi : h→ C gilt

gΛi= X ∈ g | adH(X) = Λi(H)X fur alle H ∈ h.

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4.5 Darstellungen halbeinfacher Lie-Algebren 105

4.5 Darstellungen halbeinfacher Lie-Algebren

Definition 4.54 Sei g eine Lie-Algebra. Eine Darstellung : g → gl(V) heißtvollstandig reduzibel, wenn es eine Zerlegung

V = W1 ⊕ ... ⊕Wk

in unter -invariante irreduzible Unterraume Wi gibt.

Entsprechend ubertragt sich diese Sprechweise auf Unteralgebren von gl(V). DieBegriffe werden in analoger Weise fur Lie-Gruppen und ihre Darstellungen defi-niert.

Satz 4.55 (Lemma von Schur)Sei : g→ gl(V) eine irreduzible Darstellung einer komplexen Lie-Algebra g undzgl(V)((g)) = ψ ∈ gl(V) | [ψ, (g)] = 0 der Zentralisator von (g) in gl(V). Danngilt

zgl(V)((g)) = ψ ∈ gl(V) | ∃λ ∈ C ∀v ∈ V : ψ(v) = λv

B: Sei α ∈ C ein Eigenwert von ψ ∈ zgl(V)((g)) mit Eigenraum Vλ. Dann istVλ ein -invarianter Unterraum. Da Vλ , 0 und irreduzibel ist, folgt V = Vλ.

Beispiel 4.56 Reduzible und irreduzible Darstellungen.

1. Wenn h ⊆ gl(V) eine abelsche Unteralgebra ist, die aus diagonalisierbarenMatrizen besteht, so ist die Darstellung von h auf V vollstandig reduzibelund alle invarianten Unterraume sind eindimensional.

2. Die Inklusion sl2(C) ⊆ gl2(C) liefert die Standarddarstellung von sl2(C) aufC2. Sie ist irreduzibel.

3. Wenn g auflosbar ist, so ist jede irreduzible Darstellung (g) eindimensional(dies ist eine Konsequenz des Satzes von Lie).

Satz 4.57 (Satz von Weyl)Sei g eine halbeinfache komplexe Lie-Algebre. Dann ist jede Darstellung : g →gl(V) vollstandig reduzibel.

Fur diesen Satz gibt es zwei bekannte Beweise. Der erste (nach Weyl) verwendet

”transzendente“ Methoden; er ist als unitarer Trick bekannt. Der zweite Beweis

(nach Whitehead) verwendet rein algebraische Methoden, genauer gesagt dieWhitehead-Lemmata aus Kapitel 3, siehe auch Jacobson [9]. Wir werden in Ab-schnitt 4.5.1 den Satz speziell fur sl2(C) beweisen.

Der Beweis von Weyl benutzt die Tatsache, dass jede Darstellung einer kompaktenLie-Gruppe vollstandig reduzibel ist, vgl. Abschnitt 4.8.

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106 4 Struktur der komplexen halbeinfachen Lie-Algebren

4.5.1 Die Lie-Algebra sl2(C) und ihre Darstellungen

Unser Ziel ist es, die Darstellungen von sl2(C) aufC-Vektorraumen zu verstehen.Wir fassen noch einmal die wesentliche Eigenschaften von sl2(C) zusammen.

Die Lie-Algebrasl2(C) = A ∈ gln(C) | Spur(A) = 0

hat eine Basis H =

(1 00 −1

),X =

(0 10 0

),Y =

(0 01 0

)

mit den Kommutatoren

[H,X] = 2X, [H,Y] = −2Y, [X,Y] = H.

Die Lie-Algebra sl2(C) ist einfach.

Beispiel 4.58 Die schiefhermiteschen Matrizen mit Spur 0

su2 = A ∈ sl2(C) | A = −A∗ ⊆ sl2(C)

bilden einen reellen Unterraum von sl2(C). Es ist dimR(su2) = 3. Es seien A,B ∈ su2.Dann ist auch [A,B] = AB − BA ∈ su2:

[A,B]∗ = (AB − BA)⊤

= B⊤

A⊤−A

⊤B⊤

= (−B)(−A) − (−A)(−B)

= −[A,B].

somit ist su2 eine reelle Lie-Algebra (vgl. Beispiel 1.44(4)).

A ∈ sl2(C) kann man darstellen als

A =A − A∗

2︸ ︷︷ ︸∈su2

+A + A∗

2︸ ︷︷ ︸∈i·su2

.

Es ist (als R-Vektorraum)sl2(C) = su2 ⊕ i · su2,

wobeii · su2 = A ∈ sl2(C) | A = A∗

die hermiteschen Matrizen mit Spur 0 sind.

Korollar 4.59 Diese Zerlegung liefert einen Isomorphismus von Lie-Algebren:

su2 ⊗R C sl2(C).

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4.5 Darstellungen halbeinfacher Lie-Algebren 107

Hier ist su2 ⊗R C Komplexifizierung, vgl. Beispiel 2.59. Allgemein bezeichnenwir eine Lie-Algebra, deren Komplexifizierung sl2(C) ergibt, als reelle Form vonsl2(C). Speziell heißt su2 kompakte reelle Form von sl2(C). Die Bezeichnungkommt daher, dass SU2 ⊆ SL2(C) eine kompakte Untergruppe ist.

Ein anderes Beispiel fur eine reelle Form von sl2(C) ist sl2(R). Sie heißt zerfallendereelle Form (und ist nicht kompakt).

Definition 4.60 Sei g eine Lie-Algebra uberC. Naturlich ist gdann auch eine reelleLie-Algebra. Diese bezeichnen wir mit gR. Wir nennen einen Automorphismus σvon gR eine reelle Struktur von g, wenn σ folgende Eigenschaften hat:

σ(iX) = −iσ(X)

σ2 = id.

Lemma 4.61 Sei σ eine reelle Struktur von g.

1. Der Unterraum gσ = X ∈ g | σ(X) = X ist eine reelle Unteralgebra von gR.

2. Die Abbildung

gσ ⊗R C→ g, X ⊗ α 7→ αX

ist ein Isomorphismus komplexer Lie-Algebren. Insbesondere gibt es eineZerlegung reeller Vektorraume

gR = gσ ⊕ igσ.

Dabei gilt [igσ, igσ] ⊆ gσ.

B: Aufgabe 4.8.

Beispiel 4.62 Reelle Strukturen.

1. Die komplexe Konjugation σ1(A) = A ist ein reeller Automorphismus mit

σ1(iA)) = −iσ1(A) und [A,B] = [A,B]. Es ist

sl2(C)σ1= sl2(R).

2. Auch σ2(A) = −A∗ ist ein reeller Automorphismus. Es ist

sl2(C)σ2= su2.

Wir beweisen nun einen Spezialfall von Satz 4.57.

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108 4 Struktur der komplexen halbeinfachen Lie-Algebren

Satz 4.63 Jede Darstellung : sl2(C)→ gl(V) ist vollstandig reduzibel.

B: Der bereits erwahnte unitare Trick nimmt nun folgende Gestalt an:

HomC(sl2(C), glC(V))

d // HomR(su2, glC(V))

Hom(SL2(C),GLC(V))

bijektiv

OO

a // Hom(SU2,GLC(V))

bijektiv

OO

Dabei sind a und d Einschrankungsabbildungen, d.h. furϕ ∈ HomC(sl2(C), glC(V))ist d(ϕ) die R-lineare Abbildung ϕ|su2

. Die Bijektionen erhalt man mit Hilfe derjeweiligen Exponentialabbildung. Da SU2 S3 einfach zusammenhangend ist,lassen sich die Darstellungen von su2 zu Darstellungen von SU2 integrieren (vgl.Satz 1.92).

SU2 ist kompakt. Damit wissen wir insbesondere nach Satz 4.85, dass alle Darstel-lungen von SU2 vollstandig reduzibel sind. Daher sind auch alle Darstellungenvon su2 vollstandig reduzibel. Sei nun : sl2(C) → gl(V) eine Darstellung undU ⊆ V ein sl2(C)-invarianter Unterraum. Wir betrachten 0 = d, d.h. einge-schrankt auf su2:

0 : su2 → gl(V), X 7→ (X).

0 ist R-linear und es ist 0(su2)(U) ⊆ U. Wegen der vollstandigen Reduzibilitatvon 0 gibt es einen komplexen Unterraum W ⊆ V, so dass 0(su2)(W) ⊆ W undU ⊕W = V. Wir zeigen nun, dass auch (sl2(C))(W) ⊆ W gilt: Sei X ∈ sl2(C) mitX = X0 + X1, wobei X0 ∈ su2 und X1 ∈ isu2. Dann gilt fur w ∈W:

(X)(w) = (X0)(w) + (X1)(w)

= 0(X0)(w) + (−i(iX1))(w)

= w − i( iX1︸︷︷︸∈su2

)(w)

= w − i 0(iX1)(w)︸ ︷︷ ︸

∈W

und dies ist ein Element von W, da W ein komplexer Unterraum ist.

Entsprechend kann man U und W wieder zerlegen, solange bis keine echteninvarianten Unterraume mehr auftreten.

4.6 Die irreduziblen Darstellungen von sl2(C)

Beispiel 4.64

1. Die Standarddarstellung von sl2(C) auf V = C2 ist definiert durch die naturli-che Aktion v 7→ Av einer Matrix A ∈ sl2(C). Diese Darstellung ist irreduzibel.

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4.6 Die irreduziblen Darstellungen von sl2(C) 109

2. Die adjungierte Darstellung auf V = sl2(C), definiert durch adX(A) = XA −AX, ist irreduzibel, da sl2(C) einfach ist. Als C-Vektorraum ist sl2(C) C3.Somit besitzt sl2(C) eine irreduzible Darstellung auf C3.

In diesen Beispielen ist die Matrix H ∈ sl2(C) folgendermaßen dargestellt:

H =

(1 00 −1

), adH =

2 0 00 0 00 0 −2

,

wobei die Darstellungsmatrix von adH bzgl. der Basis X,H,Y gewahlt ist.

Satz 4.65 Sei eine irreduzible Darstellung von sl2(C). Dann ist (H) ein halbein-faches Element.

B: Sei(H) = (H)s + (H)n

die Jordan-Zerlegung von (H). Wir betrachten s := (sl2(C)) ⊆ gl(V). Die Jordan-Zerlegung der adjungierten Darstellung von (H) ist nach Lemma 2.39

ad(H) = ad(H)s + ad(H)n .

Da wegen der Injektivitat der Darstellung mit sl2(C) auch s halbeinfach ist, ist (H)in einer Cartan-Unteralgebra von s enthalten. Also ist ad(H) halbeinfach, worausfolgt, dass der nilpotente Anteil ad(H)n = 0 sein muss. Das bedeutet, dass fur alleZ ∈ s gilt [(H)n,Z] = 0. Da irreduzibel ist, folgt mit dem Lemma von Schur(H)n = α · idV, da aber eine nilpotente Abbildung den Eigenwert 0 haben muss,ist α = 0 und somit (H)n = 0. Folglich ist (H) = (H)s halbeinfach.

Korollar 4.66 Sei eine Darstellung von sl2(C). Dann ist (H) ein halbeinfachesElement.

B: Da jeder Modul nach dem Satz von Weyl vollstandig irreduzibel ist, gibtes eine Zerlegung von V als direkte Summe irreduzibler Summanden W j. Aufjedem W j ist (H) nach Satz 4.65 halbeinfach und somit insgesamt halbeinfach.

Im Folgenden sei eine fest gewahlte Darstellung. Fur A ∈ sl2(C) schreiben wirim Folgenden auch Av := (A)v.

Lemma 4.67 Sei v ∈ V\0mit Hv = λv. Dann gilt

HXv = (λ + 2)Xv,

HYv = (λ − 2)Yv.

Ist Vλ ⊆ V der Eigenraum von H zum Eigenwert λ, so gilt demnach

XVλ ⊆ Vλ+2,

YVλ ⊆ Vλ−2.

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110 4 Struktur der komplexen halbeinfachen Lie-Algebren

B:

HXv = [H,X]v + XHv

= 2Xv + Xλv

= (2 + λ)Xv.

Fur Y analog.

Definition 4.68 Die Unteralgebra

b =(a b

0 −a

) ∣∣∣∣ a, b ∈ C= 〈H〉 ⊕ 〈X〉 ⊆ sl2(C)

heißt Borel-Unteralgebra. Sie ist auflosbar.

Definition 4.69 Ein Element e ∈ V\0 heißt primitives Element, falls He = λeund Xe = 0 gilt.

Lemma 4.70 e ist genau dann ein primitives Element, wenn 〈e〉 invariant unterder Borel-Unteralgebra b ⊆ sl2(C) ist, d.h. b〈e〉 ⊆ 〈e〉.

B:”⇐“: Es gilt be ⊆ 〈e〉, Xe = µe, He = λe mit µ, λ ∈ C. Es bleibt zu zeigen,

dass µ = 0 ist.

2µe = 2Xe = (HX − XH)e

= HXe − XHe

= λµe − µλe

= 0.

Da e , 0 ist, folgt µ = 0.

Korollar 4.71 V besitzt ein primitives Element.

B: Nach dem Satz von Lie gibt es e , 0 mit be ⊆ 〈e〉.

Satz 4.72 Sei e ein primitives Element von V und He = λe. Wir setzen

ek :=1

k!Yke.

Dann gilt:

1. Hek = (λ − 2k)ek.

2. Yek = (k + 1)ek+1.

3. Xek = (λ − k + 1)ek−1.

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4.6 Die irreduziblen Darstellungen von sl2(C) 111

B: Teil 1 und 2 sind klar nach Lemma 4.67 und der Definition der ek. Teil 3zeigt man leicht durch vollstandige Induktion.

Die Operatoren X und Y operieren auf der Eigenraumzerlegung V =⊕

λVλ bzgl.

H.

Vλ−2Vλ−4. . .

X

YH

Vλ = 〈e〉

X X

H HYY

Ist V endlichdimensional ist, so muss diese Kette irgendwann abbrechen.

Korollar 4.73 Sei V ein endlichdimensionaler sl2(C)-Modul. Dann gilt:

1. Der von ek | k ∈ N, erzeugte Untervektorraum U von V ist invariant unterder Operation von sl2(C) (d.h. U ist ein sl2(C)-Untermodul von V).

2. Es gibt ein n0 ∈ N, so dass em = 0 fur m > n0 gilt.

3. λ ∈ N.

B:

1. Folgt aus Satz 4.72.

2. Die Vektoren e j sind Eigenvektoren von H zu den Eigenwerten λ − 2 j, alsoalle linear unabhangig, falls , 0. Wegen der endlichen Dimension gibt es einminimales n0, fur das en0

linear abhangig ist von den e j mit j < n0, also mussen0= 0 gelten.

3. Sei n0 aus Teil 2 minimal. Nach Teil 3 aus 4.72 gilt

0 = Xen0+1 = (λ − n0 − 1 + 1) en0︸︷︷︸,0

,

also muss λ = n0 sein.

Bemerkung 4.74 Der von den ek erzeugte Untermodul U ist bis auf Isomorphieeindeutig durch seine Dimension dim(U) = n + 1 bestimmt und hat folgendeEigenschaften:

1. Die Eigenwerte von H sind die ganzen Zahlen

n, n − 2, ...,−n + 2,−n.

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112 4 Struktur der komplexen halbeinfachen Lie-Algebren

2. U hat eine Basis e0, ..., en, so dass gilt

He j = (n − 2 j)e j,

Xe j = (n − j + 1)e j−1,

Ye j = ( j + 1)e j+1.

Offenbar wird durch 2. ein eindeutiger irreduzibler sl2(C)-Modul Vn der Dimen-sion n + 1 definiert.

Korollar 4.75 Ist die Darstellung : g→ gl(V) irreduzibel mit dim(V) = n + 1, soist der sl2(C)-Modul V isomorph zu Vn.

Beispiel 4.76

1. Die Standarddarstellung V = C2 ist isomorph zu V1. Es seien b0 =(1

0

)und

b1 =(0

1

). Dann ist b0 ein primitives Element. Es gilt

Hb0 = b0, Yb0 = b1, Hb1 = −b1, Xb1 = b0.

2. Die adjungierte Darstellung von sl2(C) ist isomorph zu V2. Hier ist X einprimitives Element. Es gilt

[H,X] = 2X, [Y,X] = −H, [Y,−H] = −2Y.

Korollar 4.77 Sei : sl2(C)→ gl(V) eine Darstellung.

1. Sei E die Menge der primitiven Elemente und k die Anzahl der irreduziblenSummanden von V. Dann gilt:

dim(Kern((X))) = dim(〈E〉) = k.

2. Sei Vn der Eigenraum von H zum Eigenwert n ∈ N. Dann sind die Abbil-dungen

Yn : Vn → V−n,

Xn : V−n → Vn,

Isomorphismen. Insbesondere gilt dim(Vn) = dim(V−n).

Die Resultate fur die Lie-Algebra sl2(C) ubertragen sich wie folgt auf die Dasrtel-lungen der Lie-Gruppe SL2(C):

Korollar 4.78 Die Lie-Gruppe SL2(C) hat in jeder Dimension eine eindeutige ir-reduzible Darstellung Vn und jede irreduzible Darstellung ist isomorph zu einemsolchen Vn.

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4.7 Die Wurzelzerlegung einer halbeinfachen Lie-Algebra 113

Beispiel 4.79

1. Fur die Standarddarstellung von SL2(C) ist C2 V1.

2. Bzgl. der Darstellung Ad von SL2(C) ist der Modul sl2(C) isomorph zu V2.

3. Sei Pn der Raum der homogenen Polynome vom Grad n in zwei Variablen.Ein A ∈ SL2(C) operiert auf p ∈ Pn wie folgt:

(A · p)(x, y) := p((x, y) · (A−1)⊤).

Der Modul Pn ist irreduzibel und isomorph zu Vn.

4.7 Die Wurzelzerlegung einer halbeinfachen Lie-Algebra

Wir betrachten eine halbeinfache Lie-Algebra g mit Cartan-Unteralgebra h. Dienicht verschwindenden Gewichte der adjungierten Darstellung von h auf g alsWurzeln. Es sei ist R ⊆ h∗ die Menge der Wurzeln von g bzgl h. Dabei ist α ∈ Rgenau dann, wenn α , 0 und

gα = X ∈ g | ∀H ∈ h : [H,X] = α(H) · X , 0.

Die zugehorige Wurzelzerlegung ist

g = h ⊕⊕

α∈Rgα.

Aus den vorhergehenden Abschnitten erhalten wir:

• [gα, gβ] ⊆ gα+β (folgt sofort aus Lemma 4.34).

• R enthalt eine Basis von h∗ (Satz 4.52).

Im Folgenden sei b eine nicht ausgeartete, symmetrische Bilinearform auf g, dieinvariant ist, d.h. es gilt

b([X,Y],Z) = −b(Y, [X,Z]).

fur alle X,Y,Z ∈ g. (Wir konnen z.B. fur b die Killing-Form wahlen.)

Lemma 4.80 Eigenschaften der Wurzelzerlegung.

1. gΛ1⊥bgΛ2

fur Gewichte Λ1 , −Λ2 von h auf g.

2. Die Einschrankung von b auf h ist nicht ausgeartet.

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114 4 Struktur der komplexen halbeinfachen Lie-Algebren

3. Es sei α ∈ R. Dann sind gα und g−α bzgl. b dual zueinander (d.h. die Line-arformen b(X, ·) mit X ∈ g−α spannen den Dualraum g∗α auf). Insbesonderegilt dim(gα) = dim(g−α) und die Einschrankung von b auf gα ⊕ g−α nichtausgeartet.

4. g = h ⊕⊕

(gα ⊕ g−α) ist eine orthogonale Zerlegung bzgl b.

B:

1. Sei X ∈ gΛ1,Y ∈ gΛ2

. Aus

b([H,X],Y) + b(X, [H,Y]) = 0

folgtΛ1(H)b(X,Y) + Λ2(H)b(X,Y) = 0.

Da Λ1 + Λ2 , 0, gibt es ein H ∈ h, so dass (Λ1 + Λ2)(H) , 0 ist. Also mussb(X,Y) = 0 sein.

2. Dass b auf h nicht ausgeartet ist, folgt sofort aus der orthogonalen Zerlegung.

3. Nach Teil 1 ist b|gα = 0. Da b|gα⊕g−α nicht ausgeartet ist, folgt 3.

4. Folgt sofort aus Teil 1.

Lemma 4.81 Es sei α ∈ R, X ∈ gα,Y ∈ g−α. Weiter sei H = Hα ∈ h\0 definiertdurch die Bedingung α(H) = b(H,H) fur alle H ∈ h. Dann gilt:

1. b(H, [X,Y]) = α(H)b(X,Y) fur alle H ∈ h.

2. [X,Y] = b(X,Y)H.

3. dim([gα, g−α]) = dim(〈H〉) = 1.

B:

1. Mit der Invarianz von b erhalt man

b(H, [X,Y]) = −b([X,H],Y)

= b([H,X],Y)

= α(H)b(X,Y).

2. Nach Teil 1 ist b(H, [X,Y]) = b(H,H)b(X,Y) = b(Hb(X,Y),H) fur alle H ∈ hund da b nicht ausgeartet ist gilt [X,Y] = Hb(X,Y).

3. Folgt sofort aus Teil 2.

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4.7 Die Wurzelzerlegung einer halbeinfachen Lie-Algebra 115

Lemma 4.82 Setze hα := [gα, g−α]. Der Unterraum

sα := gα ⊕ g−α ⊕ hα,

ist eine Unteralgebra von g. Weiter gilt:

1. Es gibt genau ein Element Hα ∈ hα, so dass α(Hα) = 2 gilt.

2. Es gibt Xα ∈ gα,Yα ∈ g−α mit [Xα,Yα] = Hα.

3. Seien X,Y,H die Erzeuger von sl2(C). Die Zuordnung

X 7→ Xα,

Y 7→ Yα,

H 7→ Hα

definiert einen Isomorphismus von Lie-Algebren von sl2(C) auf die von〈Xα,Yα,Hα〉 erzeugte Unteralgebra von sα.

4. Es ist dim(gα) = 1 = dim(g−α). Insbesondere gilt sα = 〈Xα,Yα,Hα〉.

B:

1. Sei H ∈ hα wie in Lemma 4.81. Da H ∈ h, gilt [H, X] = α(H)X fur alle X ∈ gα.Wir werden α(H) , 0 zeigen, dann folgt die Behauptung aus der WahlHα := 2α(H)−1H.

Angenommen, α(H) = 0. Wir setzen fur X ∈ gα, Y ∈ g−α mit H = [X, Y] , 0

s := 〈X〉 ⊕ 〈Y〉 ⊕ 〈H〉.

Dann gilt [s, s] = h und [s, [s, s]] = 0. Das bedeutet, dass s auflosbar (undsogar nilpotent) ist. Unter der adjungierten Darstellung ist g ein s-Modulund es ist H ∈ hα ⊆ [s, s]. Mit dem Satz von Lie folgt nun, dass adH einnilpotenter Endomorphismus von g ist. Da H in der Cartan-Unteralgebra hder halbeinfachen Lie-Algebra g liegt, folgt, dass adH halbeinfach ist. Alsomuss adH = 0 sein und somit H = 0, was aber nicht sein kann. Folglich mussα(H) , 0 sein.

2. Folgt aus Lemma 4.81. Man erhalt Xα,Yα, indem man mit einem geeignetenFaktor multipliziert.

3. Da Hα ∈ h, gilt

[Hα,Xα] = α(Hα)Xα = 2Xα,

[Hα,Yα] = −α(Hα)Yα = −2Yα,

[Xα,Yα] = Hα.

Somit ist s := 〈Xα〉 ⊕ 〈Yα〉 ⊕ hα eine Unteralgebra von g, die isomorph ist zusl2(C) durch den Isomorphismus X 7→ Xα,Y 7→ Yα,H 7→ Hα.

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116 4 Struktur der komplexen halbeinfachen Lie-Algebren

4. Angenommen, dim(gα) > 1. Dann gibt es Y0 ∈ g−α\0 mit [Xα,Y0] = 0 (diesergibt sich aus Teil 2 von Lemma 4.81, wenn man Y0 mit b(Xα,Y0) = 0 wahlt).Weiter gilt [Hα,Y0] = −α(Hα)Y0 = −2Y0. Damit ist Y0 ein primitives Elementfur die adjungierte Darstellung von s auf g. Wir wissen aus Lemma 4.73,dass primitive Elemente von sl2(C) positives ganzzahliges Gewicht haben.Da s sl2(C), ergibt sich ein Widerspruch, so dass dim(gα) = 1 sein muss.

Als direkte Konsequenz aus Teil 4 von Lemma 4.82 erhalten wir den folgendenSatz.

Satz 4.83 Die Unteralgebra sα ist isomorph zu sl2(C).

4.8 Darstellungen kompakter Lie-Gruppen

Lemma 4.84 Sei G ⊆ GL(V) eine kompakte Lie-Gruppe. Dann gilt:

1. Es gibt ein G-biinvariantes Maß µ auf G. Das bedeutet, dass fur f ∈ C∞(G)gilt ∫

G

f dµ =

G

L∗g f dµ =

G

R∗g f dµ

und µ(G) = 1. Dabei sind L∗g f (X) = f (gX) und R∗g f (X) = f (Xg).

2. Es gibt ein G-invariantes, hermitesches, positiv definites Produkt h auf G,d.h. fur h : V × V→ C und alle g ∈ G gilt h(gv, gw) = h(v,w).

B:

1. Sei g = Lie(G) und n = dim(g). Wahle auf dem Vektorraum g eine nichtverschwindende n-Form ω1, d.h. 0 , ω1 ist n-linear und alternierend. (Eineausfuhrliche Darstellung von Differentialformen findet man beispielsweiseim Buch von Warner [17].)

Die adjungierte Darstellung Adg : g→ g von g ∈ G induziert eine AbbildungAd∗g(ω1) durch

Ad∗g(ω1)(X1, ...,Xn) := ω1(Adg(X1), ...,Adg(Xn)).

Da der Raum der alternierenden n-linearen Abbildungen von der Deter-minante aufgespannt wird, ist er eindimensional. Daher hat Ad∗g die FormAd∗g(ω1) = α(g)ω1, wobei α ein stetiger Homomorphismus α : G → R× ist.Da G kompakt ist, muss α(G) eine kompakte Untergruppe in R× sein, wasAd∗g(ω1) = ±ω1 zur Folge hat (Adg ist die Ableitung von X 7→ gXg−1 in derIdentitat). Durch ωg := L∗gω1 wird eine biinvariante, nicht verschwindenden-Form ω auf G definiert:

L∗gω = ω = R∗gω.

Das biinvariante Maß ist nun durch∫

Gf dµ :=

∣∣∣∫

Gfω

∣∣∣ fur f > 0 gegeben.

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4.9 Aufgaben 117

2. Sei h ein beliebiges positiv definites hermitesches Produkt. Fur v,w ∈ V setze

h(v,w) :=

G

h(gv, gw)dµ

fur das Maß µ aus Teil 1. Mit Hilfe von Teil 1 kann man nun nachrechnen,dass h invariant und positiv definit ist.

Der folgende Satz ist das Analogon von Satz 4.57 fur Lie-Gruppen.

Satz 4.85 Sei G eine kompakte Lie-Gruppe (etwa SU2 ⊆ SL2(C)), so ist jede Dar-stellung von G auf V vollstandig reduzibel.

B: Wir verwenden die hermitesche Form h aus Lemma 4.84. Sei U ⊆ V einG-invarianter Unterraum. Wir setzen

W := U⊥ = w ∈ V | h(w,U) = 0.

Da h positiv definit ist, folgt V = U ⊕W. Es gilt gW ⊆ W fur alle g ∈ G, da h eineG-invariante Form ist. Ist namlich fur ein v ∈ V

h(v, u) = 0 fur alle u ∈ U

folgt

h(gv, u) = h(gv, gg−1u)

= h(v, g−1u︸︷︷︸

u∈U

)

= h(v, u)

= 0.

Entsprechend kann man U und W wieder zerlegen, solange bis keine echteninvarianten Unterraume mehr auftreten. Insgesamt folgt, dass jede Darstellungvollstandig reduzibel ist.

4.9 Aufgaben

Aufgabe 4.1 Zeigen Sie, dass spn(C) einfach ist.

Aufgabe 4.2 Gilt Satz 4.24 auch fur auflosbares h ⊆ gl(V)?

Aufgabe 4.3 Zeigen Sie, dass on(C) einfach ist.

Aufgabe 4.4 Zeigen Sie Rang(glℓ(C)) = ℓ.

Aufgabe 4.5 Zeigen Sie mit Hilfe von Lemma 4.34, dass Ds im Beweis von Satz4.46 eine Derivation von g ist.

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118 4 Struktur der komplexen halbeinfachen Lie-Algebren

Aufgabe 4.6 Es sei : g → gl(V) eine irreduzible Darstellung von g. Zeigen Sie,dass der Zentralisator zgl(V)((g)) mit dem Matrizenprodukt einen Schiefkorperbildet.

Aufgabe 4.7 Benutzen Sie den Satz von Weyl 4.57 fur K = C, um das entspre-chende Resultat fur K = R zu beweisen.

Aufgabe 4.8 Beweisen Sie Bemerkung 4.61.

Aufgabe 4.9 Zeigen Sie, dass die Abbildung d aus dem unitaren Trick bijektiv ist.

Aufgabe 4.10 Beweisen Sie Teil 3 aus Beispiel 4.79, indem Sie eine Basis mit denerforderlichen Eigenschaften angeben.

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119

5 Wurzelsysteme

In diesem Abschnitt sei V ein reeller oder komplexer Vektorraum endlicher Di-mension.

5.1 Wurzelsysteme und Spiegelungen

Definition 5.1 Sei α ∈ V\0. Eine Spiegelung an α ist ein Element s ∈ GL(V) mit

s(v) = v − α∗(v)α

fur alle v ∈ V, wobei α∗ ∈ V∗ mit α∗(α) = 2.

Der Kern von α∗ ist die Hyperebene in V, die unter s festgelassen wird.

Definition 5.2 Eine Menge R ⊆ V heißt Wurzelsystem in V, wenn gilt

1. R ist endlich, 0 < R und R erzeugt den Vektorraum V.

2. Fur jedes α ∈ R gibt es eine Spiegelung sα an α mit sα(R) ⊆ R.

3. Fur α, β ∈ R gilt sα(β) − β ∈ Zα.

Die Elemente von R heißen Wurzeln. Die Menge R∗ = α∗ | α ∈ R ⊂ V∗ nennenwir die Menge der inversen Wurzeln.

Je nachdem, ob V ein reeller oder komplexer Vektorraum ist, sprechen wir auchvon einem reellen bzw. komplexen Wurzelsystem.

Definition 5.3 Der Rang von R ist die Dimension von V.

Bemerkung 5.4 Wegen sα(v) = v − α∗(v)α ist die dritte Bedingung aus Definition5.2 aquivalent zu α∗(β) ∈ Z fur alle β ∈ R.

Lemma 5.5 Sei α ∈ R. Dann gibt es genau eine Spiegelung s an α mit s(R) ⊆ R.Insbesondere ist s = sα.

B: Es seien sα und tα Spiegelungen an α mit sα(R), tα(R) ⊆ R.Setze u := sα tα. Dann ist u(R) ⊆ R und u(α) = α. Die induzierten Abbildungensα|V/〈α〉, tα|V/〈α〉 : V/〈α〉 → V/〈α〉 sind jeweils die Identitat auf V/〈α〉. Folglich ist auchu|V/〈α〉 = idV/〈α〉. Also hat u nur den Eigenwert 1 und da u(R) ⊆ R ist, operiert uauf R als Permutation. Permutationen auf endlichen Mengen haben aber endlicheOrdnung, d.h. es gibt ein n ∈ N, etwa n = |R|!, so dass un(β) = β ist fur alleβ ∈ R, also un = idV. Da u von endlicher Ordnung ist, kann man sich (etwa durchBetrachtung der Jordanschen Normalform von u) davon uberzeugen, dass u einhalbeinfacher Endomorphismus ist und somit bereits u = idV gelten muss. Darausfolgt tα = s−1

α = sα.

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120 5 Wurzelsysteme

Definition 5.6 Wir nennen das Wurzelsystem R reduziert, wenn fur alle α ∈ Rgilt, dass α,−α die einzigen zu α proportionalen Wurzeln sind.

Bemerkung 5.7 Ist R nicht reduziert, so sind fur α ∈ R entweder α,−α, 2α,−2αoder α,−α, 1

2α,− 1

2α die einzigen zu α proportionalen Wurzeln.

B: Es sei β = tα ebenfalls eine Wurzel aus R. Dann gilt:Z ∋ α∗(β) = α∗(tα) = tα∗(α) = 2t.

Wir konnen ohne Einschrankung t ∈ (0, 1) annehmen. Damit muss t = 12

sein.

Beispiel 5.8 Wurzelsysteme vom Rang 1.

1. dim(V) = 1. Dann ist R = −α, α ein reduziertes Wurzelsystem, das wirauch mit A1 bezeichnen.

−α α0

2. R = −2α,−α, α, 2α ist ein nicht reduziertes Wurzelsystem.

0 α 2α−2α −α

Definition 5.9 Es sei R1 ein Wurzelsystem in V und R2 ein Wurzelsystem in W.Dann heißen R1 und R2 isomorph, wenn es einen Isomorphismus ϕ : V →W gibtmit ϕ(R1) = R2. Fur ein Wurzelsystem R ist

Aut(R) = ϕ ∈ GL(V) | ϕ(R) = R.

Definition 5.10 Wir bezeichnen die von den Spiegelungen an den Wurzeln er-zeugte Untergruppe von Aut(R)

W(R) =⟨sα | α ∈ R

⟩⊂ Aut(R)

als Weyl-Gruppe von R.

Da Aut(R) als Permutationsgruppe auf der endlichen Menge R operiert, ist Aut(R)endlich. Die Weyl-Gruppe ist ein Normalteiler von Aut(R). Dies folgt aus demfolgenden Lemma:

Lemma 5.11 Es sei ϕ ∈ Aut(R) und α ∈ R. Dann gilt

sϕ(β) = ϕ sβ ϕ−1.

B: Folgt aus der Eindeutigkeit der Spiegelungen an Wurzeln (Lemma 5.5).

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5.2 Wurzelsysteme von halbeinfachen Lie-Algebren 121

5.2 Wurzelsysteme von halbeinfachen Lie-Algebren

Wir betrachten nun Wurzelsysteme im Zusammenhang mit der Wurzelzerlegungeiner komplexen halbeinfachen Lie-Algebra. Hier ist R ⊆ V = h∗\0 die Mengeder nicht verschwindenden Gewichte (Wurzeln) von g bzgl. h, und

g = h ⊕⊕

α∈Rgα

die Wurzelzerlegung. Wir zeigen, dass R ein Wurzelsystem im Sinne von Defini-tion 5.2 ist.

Es seien Hα,Xα,Yα wie in Lemma 4.82. Weiter gilt [gα, gβ] ⊆ gα+β und sα =〈Hα,Xα,Yα〉 sl2(C).

Satz 5.12 Sei α ∈ R und V = h∗ und R die Menge der Wurzeln von g (im Sinnevon Definition 4.39). Dann ist R ein reduziertes komplexes Wurzelsystem von V.

B: Wir uberprufen die Eigenschaften eines Wurzelsystems aus Definition5.2. Nach Satz 4.52 gilt h∗ = 〈R〉. Die Spiegelung an α ∈ R ist gegeben durchsα(β) = β − β(Hα)α fur β ∈ h∗.

Wir zeigen, dass fur diese Spiegelungen sα gilt: sα(R) ⊆ R und sα(β) − β ∈ ZR.Sei Z ∈ gβ\0. Es gilt [Hα,Z] = β(Hα)Z. Nach Bemerkung 4.74 ist p = β(Hα) ∈ Z.

Zu zeigen bleibt sα(β) = β − pα ∈ R. Da g ein Modul uber sα sl2(C) ist, folgt mitBemerkung 4.74, dass mit p auch−p ein Eigenwert von adHα ist. Wir unterscheidendie Falle p ≥ 0 und p < 0:

p ≥ 0: Nach Bemerkung 4.74 und Korollar 4.77 ist 0 , adp

Yα(Z) ∈ gβ−pα ein Ei-

genvektor von Hα zum Eigenwert −p = β(Hα) − 2p = β(Hα) − pα(Hα). Daher istβ − pα ∈ R.

p < 0: Analog sehen wir 0 , ad−p

Yα(Z) ∈ gβ−pα und somit β − pα ∈ R.

Insgesamt folgt, dass R ein Wurzelsystem ist. Zu zeigen bleibt, dass R reduziertist:Angenommen, mitα ∈ R ist auch 2α ∈ R. Seiα ∈ R, Z ∈ g2α. Da R ein Wurzelsystemist, ist 3α keine Wurzel (siehe Bemerkung 5.7). Das bedeutet [Xα,Z] ∈ gα+2α = g3α =

0. Es ist Hα = [Xα,Yα] und somit

adHα(Z) = ad[Xα,Yα](Z)

= adXα(adYα(Z)︸ ︷︷ ︸∈gα

) + adYα(adXα(Z)︸ ︷︷ ︸=0

) = 0,

Da gα = 〈Xα〉, ist adHα(Z) = 0. Somit gilt adHα(Z) = 2α(Hα)Z = 4Z = 0. Also istg2α = 0 und R ist reduziert.

Erganzend sei angemerkt, dass fur α, β ∈ R gilt [gα, gβ] = gα+β, falls α , −β. Diesfolgt als Spezialfall aus dem folgenden Lemma 5.13:

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122 5 Wurzelsysteme

Lemma 5.13 Es seien α, β ∈ R nicht proportional. Weiter seien p, q ≥ 0 maximal,so dass β − pα, β + qα ∈ R gilt. Setze

E :=

q∑

k=−p

gβ+kα.

Dann gilt:

1. E ist ein irreduzibler sα-Modul mit dim(E) = p + q + 1.

2. Es ist β(Hα) = p − q.

3. Die Abbildung

adXα : gβ+kα → gβ+(k+1)α

ist ein Isomorphismus fur −p ≤ k ≤ q − 1.

B:

1. Es ist [Yα, gβ+kα] ⊆ gβ+(k−1)α, [Xα, gβ+kα] ⊆ gβ+(k+1)α und [Hα, gβ+kα] ⊆ gβ+kα. Damitist E ein sα-Modul.

2. Hα hat auf gβ den Eigenwert β(Hα). Folglich sind alle Eigenwerte auf E vonder Gestalt β(Hα) + 2k mit k ∈ Z und β(Hα) + 2q ist der maximale Eigenwert.Der Gewichtsraum zu β(Hα) + 2k ist gβ+kα und somit eindimensional. Alsomuss E irreduzibel sein mit maximalem Gewicht β(Hα)+2q und minimalemGewicht −β(Hα) − 2q = β(Hα) − 2p. Das ist aquivalent zu p − q = β(Hα).

3. Die Aussage uber die Isomorphismen folgt aus Korollar 4.77.

Bemerkung 5.14 Der Rang eines Wurzelsystems R einer halbeinfachen Lie-Algebrag stimmt uberein mit dem Rang der Lie-Algebra:

Rang(R) = dim(h) = Rang(g).

Beispiel 5.15 Wurzelsysteme.

1. Eine Cartan-Algebra h von sl2(C) ist

h =Ha =

(a 00 −a

) ∣∣∣∣ a ∈ C.

Sei α ∈ h∗ mit α(Ha) = 2a. Dann ist Xα = X, Yα = Y und Hα = H. DasWurzelsystem von sl2(C) ist R = A1 aus Beispiel 5.8.

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5.2 Wurzelsysteme von halbeinfachen Lie-Algebren 123

2. Eine Cartan-Algebra h von sl3(C) ist

h =

H =

a 0 00 b 00 0 c

∣∣∣∣∣∣ a, b, c ∈ Cmit a + b + c = 0

.

Wir definieren Wurzeln α, β und γ durch

α(H) = a − b

β(H) = b − c

γ(H) = a − c = (α + β)(H).

Das Wurzelsystem von sl3(C) ist A2 = α, β, α + β,−α,−β,−α− β.

α

β α + β

−α − β −β

−α

Die Weyl-Gruppe W(A2) ist isomorph zur Diedergruppe D6, der Symmetrie-gruppe des regularen Sechsecks.

3. Dieses Wurzelsystem nennen wir B2:

α

β

−β−β − α

−β − 2α

β + 2αβ + α

−α

Die Lie-Algebren so5(C) und sp4(C) haben das Wurzelsystem B2 (vgl. Auf-gabe 5.2).

4. Das folgende Wurzelsystem nennen wir G2.

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124 5 Wurzelsysteme

α

β

Dieses Wurzelsystem wird in Kapitel 7 besprochen.

5.3 Basen von Wurzelsystemen

Im Folgenden sei V ein reeller Vektorraum und R ein Wurzelsystem in V.

Sei g ∈ GL(V). Wir definieren g∗ ∈ GL(V∗) durch

g∗(t)(x) := t(g−1(x))

fur alle t ∈ V∗, x ∈ V. Durch die Zuordnung g 7→ g∗ ist ein Homomorphismus∗ : GL(V)→ GL(V∗) definiert.

Wir konnen ein Skalarprodukt 〈.|.〉 auf V so wahlen, dass die Elemente von W(R)Isometrien zu diesem Skalarprodukt sind. Ein solches Skalarprodukt erhalt manbeispielsweise, indem man fur eine beliebige positiv definite, symmetrische Bili-nearform B setzt

〈x|y〉 :=∑

w∈WB(w(x),w(y)).

Wir erhalten dadurch einen Isomorphismus V∗ → V, t 7→ t′ mit 〈t′|x〉 = t(x).

Sei α ∈ R, α∗ ∈ R∗ die zugehorige inverse Wurzel und α′ das zu α∗ duale Element.Dann gilt

sα(x) = x − 〈α′|x〉α.Wegen 〈α′|α〉 = α∗(α) = 2 folgt

α′ =2α

‖α‖2 .

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5.3 Basen von Wurzelsystemen 125

Satz 5.16 Die Menge R∗ der inversen Wurzeln ist ein Wurzelsystem in V∗. Dabeiist die Spiegelung an α∗ ∈ R∗ gegeben durch

sα∗(β∗) = (sα(β))∗.

Unter der kanonischen Identifizierung V∗∗ = V gilt R∗∗ = R.

B: Da α′ 7→ α∗ ein Isomorphismus ist, enthalt R∗ eine Basis von V∗. Sei α∗ ∈ R∗.Wir definieren

sα∗(β∗) = β∗ − β∗(α)α∗

und zeigen, dass sα∗(β∗) ∈ R∗ ist fur alle β∗ ∈ R∗. Fur alle x ∈ V gilt:

sα∗(β∗)(x) = β∗(x) − β∗(α)α∗(x)

= β∗(x) − 〈α′|β′〉⟨‖α‖2

2α′

∣∣∣x⟩

= 〈β′|x〉 − 2

‖β‖〈α′|β〉〈α|x〉

=⟨ 2

‖β‖2 (β − α∗(β)α)∣∣∣x⟩

(sα ist Isometrie, also ‖β‖ = ‖sα(β)‖)

= 〈(β − α∗(β)α)′|x〉=

(β − α∗(β)α

)∗(x)

= (sα(β))∗(x).

fur alle x ∈ V. Fur β∗ ∈ R∗ gilt α(β∗) = β∗(α) ∈ Z.

Folgerung 5.17 Nach Satz 5.16 gilt sα∗ = (sα)∗. Somit konnen wir die Weyl-GruppenW(R) und W(R∗) uber den Isomorphismus w 7→ w∗ miteinander identifizieren.

Ist R ein reelles Wurzelsystem in V, so ist R ⊂ VC := V ⊗ C ein komplexesWurzelsystem. Jedes komplexe Wurzelsystem erhalt man auf diese Weise:

Satz 5.18 Sei VC ein komplexer Vektorraum und R ein Wurzelsystem in VC. Dannist R die Komplexifizierung eines reellen Wurzelsystems R ⊂ V0, wobei V0 ⊂ VCein reeller Unterraum ist mit VC V0 ⊗C.

B: V0 = 〈R〉R ist ein reeller Unterraum von VC. Wir betrachten die Abbildung

ϕ : V0 ⊗C→ VC, x ⊗ λ 7→ λx.

Diese Abbildung ist surjektiv, da R und somit auch V0 den Vektorraum VC uberC erzeugt.

Da sα(R) ⊆ R induziert sα eine R-lineare Abbildung s0α : V0 → V0. Setzen wir

α∗0 = α∗|V0

, fur α∗0 ∈ HomR(V0,R), so gilt s0α(x) = x − α∗0(x)α fur x ∈ V0. Folglich ist

R ⊂ V0 ein reelles Wurzelsystem.

Die zu ϕ duale Abbildung ϕ⊤ : HomC(VC,C) → HomC(V0 ⊗ C,C), ist durcht 7→ t0 = t|V0

gegeben (es ist HomC(V0 ⊗ C,C) HomR(V0,C)). Das Bild von

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126 5 Wurzelsysteme

ϕ⊤ enthalt die inversen Wurzeln des reellen Wurzelsystems R. Folglich ist dieAbbildung ϕ⊤ surjektiv. Daraus folgt, dass ϕ injektiv ist. Somit ist VC V0 ⊗C.

Es ist somit ausreichend, reelle Wurzelsysteme zu betrachten. In den folgendenAbschnitten sei also R ein Wurzelsystem des reellen Vektorraumes V.

Definition 5.19 S ⊂ R heißt Basis von R, wenn gilt:

1. S ist eine Vektorraumbasis von V.

2. Alle α ∈ R haben eine Darstellung

α =∑

γ∈Snγγ

mit nγ ∈ Z und entweder nγ ≥ 0 fur alle γ ∈ S oder nγ ≤ 0 fur alle γ ∈ S.

Ist S eine Basis von R, so schreiben wir R+ fur die Menge der positiven Wurzeln,d.h. diejenigen mit nγ ≥ 0, und R− fur die Menge der negativen Wurzeln mit

nγ ≤ 0. Die zweite Bedingung impliziert R = R+.∪ R−.

Um Mehrdeutigkeiten auszuschließen, werden wir gelegentlich auch R+S,R−

Sfur

R+,R− schreiben.

Beispiel 5.20 Basen von Wurzelsystemen (vgl. Beispiel 5.15).

1. S = α ist eine Basis von A1.

2. S = α, β ist eine Basis von A2. Es ist A+2 = α, β, α + β.

3. S = α, β ist eine Basis von B2. Es ist B+2 = α, β, α + β, α + 2β.

Unser Ziel ist es nun zu zeigen, dass jedes Wurzelsystem eine Basis besitzt. Vorweguberlegen wir uns, welche Winkel die Elemente eines Wurzelsystems einschließenkonnen. Wir wissen bereits, dass

β − 2〈α|β〉‖α‖2︸ ︷︷ ︸=α∗(β)

α = sα(β) = β − nαβα

mit nαβ = α∗(β) ∈ Z gilt. Fur den von α und β eingeschlossenen Winkel ϕ gilt

〈α|β〉 = ‖α‖ · ‖β‖ · cos(ϕ).

Daraus folgt

nαβnβα = 4〈α|β〉2‖α‖2 · ‖β‖2 = 4 (cos(ϕ))2

︸ ︷︷ ︸∈[0,1]

∈ Z.

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5.3 Basen von Wurzelsystemen 127

Damit sind folgende Werte zulassig:

cos(ϕ) ∈

0,±1

2,± 1√

2,±√

3

2,±1

.

Ist cos(ϕ) = ±1, so sind α und β linear abhangig, genauer α = ±β oder α = ±2β.

Die ubrigen moglichen Falle sind in Tabelle 1 aufgelistet.

cos(ϕ) ϕ nαβ nβα

0 π2

0 012

π3

1 1

− 12

2π3−1 −1 ‖α‖ = ‖β‖

1√2

π4

1 2

− 1√2

3π4−1 −2

√2‖α‖ = ‖β‖

√3

2π6

1 3

−√

32

5π6−1 −3

√3‖α‖ = ‖β‖

Tabelle 1: Winkel zwischen den Wurzeln.

Definition 5.21 Es sei im Folgenden t ∈ V∗ eine Linearform mit t(α) , 0 fur alleα ∈ R. Wir setzen

R+t = α ∈ R | t(α) > 0,entsprechend sei R−t definiert. Es ist R = R+t

.∪ R−t . Ein α ∈ R+t nennen wir unzer-

legbar, wenn α nicht als Linearkombination α = β + γ mit β, γ ∈ R+t geschriebenwerden kann. Dann setzen wir

St = α ∈ R+t | α ist unzerlegbar.

Lemma 5.22

1. Sei α ∈ R+t . Dann gilt

α =∑

γ∈St

nγγ, nγ ∈ N0. (∗)

2. Sind α, β ∈ R linear unabhangig und gilt 〈α|β〉 > 0, so ist auch β − α ∈ R.

3. Sind α, β ∈ St, so ist 〈α|β〉 ≤ 0, d.h. α und β schließen einen stumpfen Winkelein.

4. Sei A ⊂ R+t und fur alle α, β ∈ A gelte 〈α|β〉 ≤ 0. Dann ist A linear unabhangig.Dies gilt nach Teil 3 insbesondere fur die Menge St.

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128 5 Wurzelsysteme

B:

1. SeiI := α ∈ R+t | α ist von der Form (∗) .

Wenn I , ∅, so gibt es ein α ∈ I mit t(α) > 0 und t(α) minimal fur alleElemente von I. Dieses α ist zerlegbar, denn sonst ware es ja in St. Folglichkann man schreiben α = β + γ mit β, γ ∈ R+t . Es ist

t(α) = t(β)︸︷︷︸>0

+ t(γ)︸︷︷︸>0

und somit t(β), t(γ) < t(α), was β, γ < I wegen der Wahl von α zur Folgehat. Also sind β und γ jeweils als Linearkombination von Elementen ausSt mit Koeffizienten aus N0 darstellbar. Dann muss aber auch α eine solcheDarstellung besitzen, im Widerspruch zu α ∈ I. Folglich gilt I = ∅.

2. Betrachten wir in Tabelle 1 die zulassigen Winkel zwischen α und β, so sehenwir, dass 〈α|β〉 > 0 aquivalent ist zu nαβ > 0 (bzw. nβα > 0). Aus der Tabellesehen wir, dass wir Œ nαβ = 1 annehmen konnen. Somit ist sα(β) = β−1·α ∈ R.

3. Es seien α, β ∈ St und wir nehmen 〈α|β〉 > 0 an. Mit dem eben gezeigten folgtdann γ = α − β ∈ R. Ist γ ∈ R+t , so ist α = γ + β nicht unzerlegbar; ist γ ∈ R−t ,so ist β = α − γ nicht unzerlegbar. In beiden Fallen ist dies ein Widerspruchzur Wahl von α, β ∈ St. Folglich ist 〈α|β〉 ≤ 0.

4. Es gelte ∑

γ∈Azγγ = 0.

Gibt es in dieser Gleichung negative Koeffizienten, so bringen wir diese aufdie rechte Seite und konnen schreiben

λ :=∑

xαα =∑

yββ,

wobei alle xα, yβ ≥ 0 sind. Bilden wir das Skalarprodukt

0 ≤ 〈λ|λ〉 ≤∑

α,β

xαyβ︸︷︷︸≥0

〈α|β〉︸︷︷︸≤0

≤ 0,

so folgt λ = 0 und daraus 0 = t(λ) =∑

xα t(α)︸︷︷︸>0

. Also sind alle xα = 0 sein.

Analog zeigt man dies fur die yα. Damit sind alle zγ = 0 und die Menge Aist linear unabhangig.

Satz 5.23 Jedes Wurzelsystem R besitzt eine Basis S. Jede Basis ist von der GestaltS = St fur eine Linearform t ∈ V∗ mit t(α) , 0 fur alle α ∈ R.

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5.3 Basen von Wurzelsystemen 129

B: Es sei t ∈ V∗ mit t(α) , 0 fur alle α ∈ R. Wir zeigen zuerst, dass St eine Basisvon R ist. Dafur bezeichnen wir hier mit R+,R− die Kombinationen von Elementenaus St mit Koeffizienten aus N0 bzw. −N0. Wenn gezeigt ist, dass St eine Basis ist,so ist diese Schreibweise gerechtfertigt.Aus Lemma 5.22(1) folgt R+t ⊆ R+ und somit R−t = −R+t ⊆ −R+ = R−. Nun gilt

R = R+t.∪ R−t ⊆ R+

.∪ R−.

Daraus folgt R+ = R+t bzw. R− = R−t . Aus Teil 4 von Lemma 5.22 folgt, dass St eineVektorraumbasis ist. Damit ist St eine Basis von R.

Sei nun S eine Basis des Wurzelsystems R und R+ = R+S,R− = R−

S.

Wahle ein t ∈ V∗ mit t(γ) > 0 fur alle γ ∈ S. Nach Voraussetzung gilt bereits

S ⊆ R+t , also auch R+ ⊆ R+t . Wegen R = R+.∪R− gilt damit R+ = R+t . Die Menge S ist

unzerlegbar, da sie eine Vektorraumbasis ist, also gilt S ⊆ St. Da nach dem erstenTeil des Beweises St auch eine Basis ist, gilt S = St.

Bemerkung 5.24 Eine geometrische Interpretation der Basis.Sei S = St eine Basis des Wurzelsystems R,

R+t = α ∈ R | t(α) > 0

und C der konvexe Kegel, der von R+t erzeugt wird. Dann sind die Elemente vonS die Wurzeln auf dem Rand des Kegels.

α

βC

Wir betrachten nun die Basis des inversen Wurzelsystems R∗. Das invarianteSkalarprodukt 〈.|.〉 liefert einen Vektorraumisomorphismus V → V∗, und es geltendie Beziehungen

α∗(x) = 〈α′|x〉 und α′ =2α

‖α‖2 .

Dann ist R′ = α′ | α ∈ R ⊂ V ist ein zu R∗ isomorphes Wurzelsystem (i.A. sind Rund R∗ nicht isomorph, vgl. Aufgabe 5.3).

Satz 5.25 Wenn S eine Basis von R ist, so ist

S∗ = α∗ | α ∈ S

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130 5 Wurzelsysteme

eine Basis von R∗.

B: Wegen der Isomorphie R∗ → R′ reicht es zu zeigen, dass S′ = α′ | α ∈ Reine Basis von R′ ist.Sei t ∈ V∗ mit t(α) > 0 fur alle α ∈ S, d.h. S = St. Dann gilt: R+t erzeugt den gleichenkonvexen Kegel C = C(R+t ) wie die Menge R′+t (da R′ nur Vielfache von R enthalt).Nach Bemerkung 5.24 besteht die Basis S′ = S′t von R′ aus den Wurzeln α′, die aufdem Rand von C liegen, d.h. S′ = α′ | α ∈ S.

Satz 5.26 Sei S eine Basis von R und β ∈ R+. Dann lasst sich eine Darstellung

β = α1 + ... + αk

mit αi ∈ S finden, so dass α1 + ... + αl ∈ R fur alle l ≤ k.

B: Sei t ∈ V∗ mit t(α) = 1 fur alle α ∈ S (diese Wahl ist moglich, da S eineVektorraumbasis ist). Sei β ∈ R+. Dann ist t(β) = k fur ein k ∈ N.Wir gehen induktiv vor. Fur k = 1 ist β ∈ S, somit ist nichts zu zeigen. Fur k > 1benutzen wir, dass es ein α ∈ S mit 〈α|β〉 > 0 gibt. Gabe es so ein α nicht, so wareβ ∪ S linear unabhangig nach Lemma 5.22(4), im Widerspruch dazu, dass S eineBasis ist. Wir wissen dann (aus Teil 2 von Lemma 5.22), dass γ = α−β eine Wurzelist. Folglich gilt t(γ) = t(α) − t(β) = 1 − k bzw. t(−γ) = k − 1. Wendet man dieInduktionsvoraussetzung auf −γ an, so folgt der Satz fur β = α + (−γ).

5.4 Cartan-Matrizen

Definition 5.27 Sei S eine Basis von R. Die Matrix CR = CR,S = (nαβ)α,β∈S (mitnαβ = sα(β)) heißt Cartan-Matrix von R (bzgl. S).

Bemerkung 5.28 Ist n = Rang(R) = |S|, so ist CR ∈ Zn×n. Nach Lemma 5.22 undTabelle 1 gilt nαβ ∈ 0,−1,−2,−3 fur α , β und nαα = 2.

Beispiel 5.29 Cartan-Matrizen der Wurzelsysteme vom Rang 1 und 2.

CB2=

(

2 −2

−1 2

)

CG2=

(

2 −3

−1 2

)

B2

G2

A1 CA1= (2)α

CA1×A1=

(

2 0

0 2

)

A1 × A1

β

α

α

β

CA2=

(

2 −1

−1 2

)

A2α

β

β

α

3

4

6

π

2

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5.5 Die Weyl-Gruppe 131

Bemerkung 5.30 Sei S eine Basis von R, sα(β) = β − nαβα und ϕ ∈ Aut(R). Dannist auch ϕ(S) eine Basis und es ist nϕ(α)ϕ(β) = nαβ. Fur ϕ(α), ϕ(β) ∈ ϕ(S) gilt namlichsϕ(α) = ϕ sα ϕ−1 und somit

ϕ(β) − nϕ(α)ϕ(β)ϕ(α) = sϕ(α)(ϕ(β)) = ϕ(β − nαβα).

Satz 5.31 Sei S1 eine Basis des Wurzelsystems R1 ⊂ V1 und S2 eine Basis desWurzelsystems R2 ⊂ V2. Außerdem sei f : S1 → S2 eine Bijektion mit n f (α) f (β) =

nαβ. Dann gibt es einen eindeutigen Isomorphismus von Wurzelsystemen ϕ :(R1,V1)→ (R2,V2) mit ϕ(α) = f (α) fur alle α ∈ S1.

B: Setze ϕ(α) := f (α) fur α ∈ S1. Dadurch ist ein Isomorphismus ϕ : V1 → V2

von Vektorraumen eindeutig bestimmt. Es bleibt zu zeigen, dass ϕ(R1) = R2 ist:

(ϕ sα ϕ−1)( ϕ(β)︸︷︷︸= f (β)

) = ϕ(sα(β)) = ϕ(β − nαβα)

= ϕ(β) − nαβϕ(α)

= f (β) − n f (α) f (β) f (α) = s f (α)( f (β)).

Also gilt s f (α) = ϕ sα ϕ−1 fur alle α ∈ S1 und somit W(R2) = ϕ W(R1) ϕ−1. Esfolgt R2 =W(R2)(S2) = (ϕ W(R1) ϕ−1)(S2) = ϕ(W(R1)(S1)) = ϕ(R1).

Korollar 5.32 Die Cartan-Matrix legt das Wurzelsystem bis auf Isomorphie fest.

B: Seien R1,R2 isomorphe Wurzelsysteme und S1 = α1, ..., αn eine Basis vonR1, ϕ(S1) = S2 = β1, ..., βn eine Basis von R2 mit ϕ(αi) = βi. Dann gilt nach Satz5.31

CR1,S1= (nαiα j

) = (nβiβ j) = CR2 ,S2

.

Sind S, S verschiedene Basen des Wurzelsystems R, so gibt es ein w ∈ W(R) mitw(S) = S. Da w ∈ Aut(R) ist, gibt es f : S1 → S2, so dass CR,S = (nαiα j

) = CR,S =

(n f (αi) f (α j)). Folglich ist CR (bis auf Permutation der Basis) wohlbestimmt. AusSatz 5.31 folgt, dass zwei Wurzelsysteme, die sich durch Permutation der Basisineinander uberfuhren lassen, isomorph sind.

Korollar 5.33 Es sei R ein Wurzelsystem vom Rang 2. Dann ist R isomorph zueinem der folgenden Wurzelsysteme:

A1 × A1, A2, ,B2 ,G2.

B: Nach Tabelle 1 ist die Cartan-Matrix von R eine der Matrizen aus Beispiel5.29.

5.5 Die Weyl-Gruppe

Im Folgenden sei R ein reduziertes Wurzelsystem mit Basis S. Wir wollen nun dieStruktur der Weyl-Gruppe W(R) = 〈sα | α ∈ R〉 untersuchen. Ziel ist es zu zeigen,dass W(R) = WS := 〈sγ | γ ∈ S〉 ist.

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132 5 Wurzelsysteme

Lemma 5.34

1. Sei α ∈ S. Es giltsα(R+\α) ⊆ R+\α.

2. Setze S := 12

∑β∈R+

β. Fur α ∈ S ist

sα(S) = S − α.

3. Sei t ∈ V∗, dann gibt es w ∈WS = 〈sγ | γ ∈ S〉, so dass

w∗(t)(α) = t(w−1(α)) ≥ 0

fur alle α ∈ S.

B:

1. Sei β ∈ R+\α, β =∑γ∈S

mγγmit mγ ≥ 0. Dann gibt es ein γ0 , αmit mγ0, 0. Es

ist sα(β) = β− α∗(β)α ∈ R, d.h. sα(β) =∑γ∈S

mγγ mit mγ0= mγ0

> 0. Da entweder

alle mγ ≥ 0 oder alle ≤ 0 sein mussen, folgt sα(β) ∈ R+.

2. Mit α =12

∑β∈R+\α

β gilt S = α +12α. Da sα nach Teil 1 die Menge R+\α

permutiert, gilt sα(α) = α. Zusammen mit sα(α) = −α folgt dann

sα(S) = α −1

2α = S − α.

3. Wahle w ∈ WS so, dass w∗(t)(S) maximal wird (mit S wie in Teil 2). Diesesw hat die geforderte Eigenschaft:

(sα w)∗(t)(S) = w∗(t)(sα(S)) = w∗(t)(S) − w∗(t)(α)

und wegen der Maximalitat

w∗(t)(S) ≥ (sα w)∗(t)(S).

Folglich muss w∗(t)(α) ≥ 0 gelten.

Satz 5.35 Es seien S1, S2 Basen von R. Dann gibt es ein w ∈WS1mit w(S2) = S1.

B: Wahle t2 ∈ V∗ mit t2(β) > 0 fur alle β ∈ S2. Dann gilt R+S2= R+t2

. NachLemma 5.34(3) gibt es ein w ∈ WS1

mit w∗(t2)(α) ≥ 0 fur alle α ∈ S1. Da t , 0 auf Rist, gilt sogar w∗(t2)(α) = t2(w−1(α)) > 0 fur alle α ∈ S1. Schreiben wir t1 := w∗(t2),so gilt S1 = St1

und S2 = St2nach Satz 5.23. Somit gilt w(S2) = S1.

Im Folgenden bezeichne

Lβ = u ∈ V∗ | u(β) = 0 ⊂ V∗

die Hyperebene β⊥.

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5.5 Die Weyl-Gruppe 133

Lemma 5.36 Sei β ∈ R.

1. Es gibt eine Basis S von R mit β ∈ S.

2. Fur eine Basis S von R gibt es w ∈WS mit sβ = w.

B:

1. Betrachte Lβ ⊆ V∗. Es gibt endlich viele weitere Hyperebenen Lγ = γ⊥ mit

γ , ±β,γ ∈ R. Es gibt ein t1 ∈ Lβ mit t1(γ) , 0 fur alleγ ∈ R\±β. Hinreichendnahe bei t1 gibt es ein t ∈ V∗, so dass t(β) = ε > 0 und |t(γ)| > ε fur alle γ , ±β,γ ∈ R. Dann muss β unzerlegbar sein bzgl. R+t , und somit ist β ∈ St.

2. Sei S eine Basis, die β enthalt und w ∈ WS, so dass w(S) = S ist. Es ist alsow(β) = α fur ein gewisses α ∈ S und somit gilt

sα = sw(β) = w sβ w−1,

d.h. sβ = w−1 sα w ist ein Element aus WS.

Aus dem letzten Teil dieses Lemmas folgt nun sofort der folgende Satz.

Satz 5.37 Ist S eine Basis von R, so ist

W(R) =WS =⟨sγ | γ ∈ S

⟩,

d.h. W(R) wird bereits von den Spiegelungen an den Elementen von S erzeugt.

Bemerkung 5.38 Ist ϕ ∈ Aut(R) und S eine Basis von R, so ist auch ϕ(S) eineBasis von R. Dies bedeutet, dass Aut(R) auf der Menge der Basen operiert. NachLemma 5.36 und Satz 5.35 operiert die Weyl-Gruppe transitiv auf der Menge derBasen von R.

5.5.1 Weyl-Kammern

Wir wollen in diesem Abschnitt naher auf die geometrische Struktur der Wurzel-systeme eingehen.

Definition 5.39 Sei S eine Basis von R. Wir bezeichnen

C(S) = t ∈ V∗ | ∀α ∈ S : t(α) > 0

als Weyl-Kammer von S.

Die Menge C(S) ist ein offener konvexer Kegel in V∗. Identifizieren wir V∗ und Vuber den Isomorphismus t 7→ t′, so entspricht C(S) einer Menge C(S)′ ⊂ V. Dabeienthalt C(S)′ genau diejenigen t′ ∈ V, die mit allen α ∈ S einen spitzen Winkeleinschließen, d.h. 〈t′|α〉 > 0.

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134 5 Wurzelsysteme

C(α, β)β

α

Bemerkung 5.40 Die Abbildung S 7→ C(S) ist eine Bijektion. Die Umkehrabbil-dung ist durch C(S) 7→ St, wobei t ∈ C(S) beliebig ist, gegeben.

Fur α ∈ R sei Lα = u ∈ V∗ | u(α) = 0 ⊂ V∗.

Satz 5.41 Die Menge der Weyl-Kammern C(S) | S ist Basis von R stimmt mit den

Zusammenhangskomponenten von V∗\(⋃α∈R

Lα) uberein.

B: Sei C eine Zusammenhangskomponente von V∗\(⋃α∈R

Lα). Fur t ∈ C ist

t(α) , 0 fur alle α ∈ R. Sei S = St die zugehorige Basis von R. Dann ist t ∈ C(S).Sei t2 ∈ C. Dann gilt ebenfalls t2(γ) > 0 fur alle γ ∈ S, denn nach Wahl von C unddem Zwischenwertsatz musste t2 irgendwo den Wert 0 durchlaufen, wenn es einγ mit t2(γ) < 0 gabe.

Umgekehrt ist klar, dass C(S) ⊆ V∗\(⋃α∈R

Lα) gilt. Da C(S) konvex ist, muss es in

einer Zusammenhangskomponente enthalten sein muss.

Definition 5.42 Die Hyperebenen Lα heißen Wande der Weyl-Kammern. ZweiWeyl-Kammern heißen benachbart, wenn sie eine gemeinsame Wand haben. EineFolge von benachbarten Weyl-Kammern heißt Galerie.

Die Weyl-Gruppe W(R) ⊆ GL(V) operiert auf V∗ durch w 7→ w∗.

Lemma 5.43 W(R) operiert auf der Menge der Weyl-Kammern.

B: Die zur Spiegelung sα : V → V duale Abbildung s∗α : V∗ → V∗ ist dieSpiegelung an der Hyperebene Lα ⊂ V∗. Fur t ∈ Lα ist

s∗α(t)(x) = t(sα(x)) = t(x − α∗(x)α) = t(x),

da t(α) = 0. Also wird Lα von s∗α festgelassen. Weiter gilt s∗α = sα∗ , vgl. Folgerung5.17.

Lemma 5.44 Sei S eine Basis von R. Dann ist W(C(S)) = C(W(S)).

B: Aufgabe 5.4.

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5.5 Die Weyl-Gruppe 135

Die Aktion der Weyl-Gruppe auf V∗ wird erzeugt von den Spiegelungen sα anden Wanden einer Kammer, d.h. W(R) ist eine Simplex-Spiegelungsgruppe. NachSatz 5.37 operiert die Weyl-Gruppe transitiv auf der Menge der Kammern.

Satz 5.45 Sei w ∈W(R) mit w(C) = C fur eine Weyl-Kammer C. Dann ist w = id.

Korollar 5.46 Die Weyl-Gruppe operiert einfach transitiv auf der Menge der Kam-mern.

B S 5.45: Sei S eine Basis von R, so dass C = C(S) ist. Wir schreiben

w = s1 ... sd,

wobei si := sαiSpiegelung an der Wand Lαi

ist fur ein αi ∈ S. Es sei d so gewahlt,dass es keine kurzere solche Darstellung gibt (d.h. si , si+1).

Betrachte die Folgen wi := s1 ... si und Ci := wi(C). Die Folge Ci bildet eineGalerie. Hat C die Wand Lαi+1

, an der si+1 Spiegelung ist, so hat wi(C) die Wandwi(Lαi+1

), d.h. wi(C) und wi+1(C) sind benachbart (siehe Lemma 5.11).

CLαi+1

wi(Lαi+1)wi(C)

wi+1(C)

wisαi+1

swi(αi+1)

sαi+1(C)

Da w(C) = C, bildet die Galerie einen geschlossenen Weg. Es gibt daher einenIndex j, so dass w j(Lα j+1

) = Lα1ist (die Wand Lα1

muss nochmal”durchlaufen“

werden). Spiegelt man namlich zum ersten Mal an Lα1, so gelangt man von dem

Gebiet H+ der t ∈ V∗ mit t(α1) > 0 in des Gebiet H− der t mit t(α1) < 0. Folgt mander Galerie auf einem stetigen Weg zuruck nach C ⊂ H+,

C

C1

C2

Cd−1 Lα1

.

.

.

so sieht man, dass ein weiters Mal an Lα1gespiegelt werden muss, um zuruck

nach C zu gelangen.

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136 5 Wurzelsysteme

Daraus folgt:

w j s j+1 w−1j = s1

⇒ w j+1 = w j s j+1 = s1 w j

⇒ w j+1 = s1 ... s j s j+1 = s1 s1︸︷︷︸=id

s2 ... s j

= s2 ... s j,

w j+1 lasst sich also durch j Spiegelungen darstellen. Dies ist ein Widerspruch zurVoraussetzung, dass d minimal ist.

5.5.2 Struktur der Weyl-Gruppe

Korollar 5.47 Sei W die Weyl-Gruppe des Wurzelsystems R, S eine Basis von Rund E = ϕ ∈ Aut(R) | ϕ(S) = S. Dann gilt:

1. W ist ein Normalteiler in Aut(R).

2. Aut(R) =WE.

3. W ∩ E = id.

4. Aut(R)/W E.

5. E f : S→ S | f ist Permutation von S mit nαβ = n f (α) f (β).

B:

1. Sei ϕ ∈ Aut(R). Da W = 〈sα | α ∈ R〉 und ϕ sα ϕ−1 = sϕ(α) ∈ W, folgtϕ W ϕ−1 ⊆W.

2. Aut(R) = W E folgt aus der einfach transitiven Operation auf der Mengeder Basen: Sei S Basis von R und ϕ ∈ Aut(R). Dann gibt es wϕ ∈ W mitwϕ(S) = ϕ(S). Folglich ist e := w−1

ϕ ϕ ∈ E und somit ϕ = wϕ e.

3. Dies folgt aus der einfach transitiven Operation von W auf der Menge derBasen.

4. Folgt direkt aus Teil 2.

5. Folgt direkt aus Bemerkung 5.30 und Satz 5.31.

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5.6 Coxeter-Graphen und Dynkin-Diagramme 137

5.6 Coxeter-Graphen und Dynkin-Diagramme

Definition 5.48 Ein Coxeter-Graph CG ist ein endlicher Graph, in dem je zweiEcken durch 0, 1, 2 oder 3 Kanten verbunden sind.

Jeder Cartan-Matrix CR lasst sich ein Coxeter-Graph CG(R) zuordnen: Als Eckenwahlen wir α1, ..., αn ∈ S und zwei verschiedene Ecken αi und α j sind durchnαiα j

nα jαiKanten verbunden (vgl. Tabelle 1).

Beispiel 5.49 Coxeter-Graphen von Wurzelsystemen.

A2 B2 G2 A1 × A1

Definition 5.50 Wir nennen R ⊂ V reduzibel, wenn V = V1⊕V2 ist mit V1,V2 , 0und R = R1∪R2, wobei Ri := R∩Vi fur i = 1, 2. Dann heißt R auch direkte Summevon R1 und R2. Wir nennen R irreduzibel, wenn es nicht reduzibel ist.

Satz 5.51 Es sei R = R1 ∪ R2 ein reduzibles Wurzelsystem. Dann gilt:

1. V1⊥V2 bzgl. eines W(R)-invarianten Skalarproduktes 〈.|.〉.

2. R1 ⊂ V1 und R2 ⊂ V2 sind Wurzelsysteme fur V1 bzw. V2.

B:

1. Sei S eine Basis von R. Da S = S1 ∪ S2 ist mit Si = S ∩ Vi, folgt, dass Si eineBasis von Vi ist. Sei α ∈ S1, β ∈ S2. Da S eine Basis von R ist, gilt 〈α|β〉 ≤ 0 nachLemma 5.22(3). Es gilt aber ebenso 〈α| − β〉 ≤ 0, denn fur den Fall 〈α| − β〉 > 0wissen wir, dass auch α + β ∈ R eine Wurzel ist. Es ist aber α + β < V1,V2,da α , ±β. Dies ist ein Widerspruch zu R = R1 ∪ R2. Insgesamt muss somit〈α|β〉 = 0 gelten, was V1⊥V2 impliziert.

2. Sei α ∈ R1. Da α⊥V2, gilt sα(v) = v fur v ∈ V2. Insbesondere ist sα(R2) = R2,und mit sα(R) = R folgt dann sα(R1) = R1.

Satz 5.52 Ein Wurzelsystem R ist genau dann irreduzibel, wenn der Coxeter-Graph CG(R) zusammenhangend ist.

B: Aufgabe 5.5.

Der Satz zeigt auch, dass die Zerlegung in irreduzible Summanden (bis auf dieReihenfolge) eindeutig ist.

Korollar 5.53 Jedes Wurzelsystem ist direkte Summe von irreduziblen Wurzelsy-stemen.

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138 5 Wurzelsysteme

Beispiel 5.54 Reduzible und irreduzible Wurzelsysteme.

1. A1 × A1 ist reduzibel.

2. Die Wurzelsysteme A2,B2 und G2 sind irreduzibel.

Jedes irreduzible Wurzelsystem vom Rang 2 ist von einem der folgenden Typen:

A2, B2, G2.

Wie wir noch sehen werden, ist eine halbeinfache Lie-Algebra mit WurzelsystemR genau dann einfach, wenn R irreduzibel ist.

Coxeter-Graphen allein bestimmen die Cartan-Matrix nicht eindeutig, da sie nurdie Winkel zwischen je zwei Elementen einer Basis liefern, aber nicht, welchesvon beiden das langere ist.

Definition 5.55 Ein Dynkin-Diagramm erhalt man aus einem Coxeter-Graphen,dessen Ecken αi gewichtet werden mit c‖αi‖2, wobei c , 0 konstant ist fur jeden zu-sammenhangenden Teilgraphen. Dynkin-Diagramme, die sich nur in dem Faktorc unterscheiden, werden miteiander identifiziert.

Aus einem Dynkin-Diagramm konnen wir die Eintrage nαiα jder entsprechenden

Cartan-Matrix (bis auf den Proportionalitatsfaktor c) ablesen: Fur αi = α j ist nαiαi=

2. Fur αi , α j unterscheiden wir die folgenden Falle:

• Gibt es keine Kante zwischen αi und α j, so ist nαiα j= 0.

• Es gibt mindestens eine Kante zwischen αi und α j, und das Eckengewichtvon αi ist kleiner oder gleich dem von α j. Dann ist nαiα j

= −1.

• Es gibt k ∈ 1, 2, 3Kanten zwischen αi und α j, und das Eckengewicht von αi

ist großer oder gleich dem von α j. Dann ist nαiα j= −k.

Folgerung 5.56 Eine Cartan-Matrix ist durch ihr Dynkin-Diagramm eindeutigbestimmt. Insbesondere ist das Wurzelsystem durch das Dynkin-Diagramm bisauf Isomorphie bestimmt.

Ohne Beweis (siehe dafur etwa Knapp [11] oder Bourbaki [2]) stellen wir nun fest,dass alle zusammenhangenden Dynkin-Diagramme, die zu einem Wurzelsystemgehoren, einem aus der nachfolgenden Grafik entsprechen mussen.

Umgekehrt entspricht jedes dieser Dynkin-Diagramme eindeutig einem reduzier-ten irreduziblen Wurzelsystem.

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5.6 Coxeter-Graphen und Dynkin-Diagramme 139

· · ·

· · ·

· · ·

· · ·

1

2

3

An

Bn

Cn

Dn

G2

F4

E6

E7

E8

n ≥ 1

n ≥ 2

n ≥ 3

n ≥ 4

1 1 1

2 2

1

2

1

1 1

1

2

1

1

1

1

1

1

1 2

1

1 1 1 1 1

1

111111

1 1 1 1

1

111

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140 5 Wurzelsysteme

5.7 Aufgaben

Aufgabe 5.1 Beweisen Sie, dass die Weyl-Gruppe aus Definition 4.12 mit derjeni-gen aus Definition 5.10 ubereinstimmt.

Aufgabe 5.2 Zeigen Sie, dass die Lie-Algebren sp4(C) und so5(C) mit Wurzelsy-stem B2 isomorph sind.

Aufgabe 5.3 Sei R ein Wurzelsystem vom Rang 2 und R∗ das inverse Wurzelsy-stem. Zeigen Sie, dass dann gilt:

R R∗.

Aufgabe 5.4 Beweisen Sie Lemma 5.44.

Aufgabe 5.5 Beweisen Sie Satz 5.52. Dazu uberlege man sich, dass zwei Wur-zeln im Coxeter-Graphen nicht verbunden sind, wenn sie senkrecht aufeinanderstehen.

Aufgabe 5.6 Zeigen Sie, dass fur n ≥ 3 gilt

Bn C∗n.

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141

6 Klassifikation komplexer einfacher Lie-Algebren

Es sei g eine halbeinfache Lie-Algebra uber C, h ⊆ g eine Cartan-Unteralgebra,und R ⊂ h∗ das Wurzelsystem definiert durch g und h. Wir wahlen eine Basis Svon R und die zugehorige Zerlegung R = R+ ∪ R−.

In diesem Kapitel zeigen wir, dass g durch das Wurzelsystem R bis auf Isomorphieeindeutig bestimmt ist.

6.1 Borel-Unteralgebren

Wir definierenn+ :=

α∈R+gα und n− :=

α∈R−gα.

Wir nennenb := h ⊕ n+.

die Borel-Unteralgebra von g.

Satz 6.1 Es istg = h ⊕ n+ ⊕ n− = b ⊕ n−

und weiter gilt

1. n+ ist eine nilpotente Unteralgebra von g (und alle Elemente von n+ sindnilpotent). Entsprechendes gilt auch fur n−.

2. Die Borel-Unteralgebra b ist eine auflosbare Unteralgebra von g.

B: Die Existenz der Zerlegung ist bereits bekannt.

1. n+ ist Unteralgebra, denn fur X ∈ gα,Y ∈ gβ mit α, β ∈ R+ ist [X,Y] ∈ gα+β,und α + β ist ebenfalls in R+ oder gα+β = 0.Sei X ∈ n+. Wir zeigen, dass adk

X(Y) = 0 ist fur alle Y ∈ g und hinreichendgroßes k, d.h. adX ist nilpotent. Wegen der Wurzelzerlegung reicht es anzu-nehmen, dass Y ∈ gβ fur ein β ∈ h∗ ist. Dann ist

adkX(Y) ∈

(α1,...,αk)∈(R+)n

gβ+α1+...+αk.

Da R endlich ist, folgt, dass fur genugend großes k gilt: β + α1 + ... + αk < R.

Folglich ist adkX(Y) = 0. Entsprechend beweist man die Aussage fur n−.

2. Es ist [h, gα] = gα und entsprechend [b, b] = n+. Da n+ nilpotent ist, muss bauflosbar sein.

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142 6 Klassifikation komplexer einfacher Lie-Algebren

Korollar 6.2 Es ist

dim(g) = n + |R|,

mit n = Rang(g) = dim(h).

Beispiel 6.3 Zerlegung halbeinfacher Lie-Algebren.

1. In sln(C) ist

h =

∗ 0. . .

0 ∗

∩ sln(C),

n+ = n+n :=

0 ∗. . .

0 0

,

b =

∗ ∗. . .

0 ∗

∩ sln(C).

2. Es sei Q =

(0 In

In 0

). Wir betrachten

o(Q) = X ∈ gl2n(C) | XQ +QX⊤ = 0,

und erhalten

h =(Dn 0

0 −Dn

) ∣∣∣∣ Dn Diagonalmatrix,

b =

∗ ∗. . .

0 ∗

∩ o(Q) =

(A B0 −A⊤

) ∣∣∣∣ A ∈ n+n ,B = −B⊤.

3. Geben Sie als Ubung eine Cartan-Unteralgebra und die zugehorige Borel-

Unteralgebra von spn(C) = o(J) mit J =

(0 In

−In 0

)an.

Satz 6.4 (Satz von Borel-Morozow)Jede auflosbare Unteralgebra von g kann durch einen inneren Automorphismusauf eine Unteralgebra von b abgebildet werden. Insbesondere ist b eine maximaleauflosbare Unteralgebra von g.

B: Siehe Bourbaki [1].

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6.2 Weyl-Basen 143

6.2 Weyl-Basen

Sei S = α1, ..., αn eine Basis von R und n = Rang(g) = dim(h).

Fur i = 1, ..., n seien Xi ∈ gαi, Yi ∈ g−αi

mit [Xi,Yi] = Hi und Hi ∈ h mit αi(Hi) = 2,sαi

(β) = β − β(Hi)αi, vgl. Abschnitt 5.2. Setzen wir ni j = α j(Hi), so ist (ni j) dieCartan-Matrix von R bzgl. S, und es gilt ni j ∈ 0,−1,−2,−3.

Nach Satz 4.83 ist 〈Xi,Yi,Hi〉 eine Unteralgebra von g, die isomorph zu sl2(C) ist.

Definition 6.5 Die von einer Teilmenge M ⊆ g erzeugte Unteralgebra von g istdie kleinste Unteralgebra von g, die M enthalt.

Satz 6.6

1. Die halbeinfache Lie-Algebra g wird von

Xi,Yi,Hi | i = 1, ..., n

erzeugt. Diese Menge wird Weyl-Basis genannt.

2. Es gelten die Weyl-Relationen:

[Xi,Y j] = 0 fur i , j

[Xi,Yi] = Hi

[Hi,X j] = ni jX j

[Hi,Y j] = −ni jY j

[Hi,H j] = 0.

3. Ferner gelten fur i , j die Relationen

ad−ni j+1

Xi(X j) = 0

ad−ni j+1

Yi(Y j) = 0.

B:

1. Da H1, ...,Hn eine Basis von h ist, reicht es nach Satz 6.1 zu zeigen, dass n+

von X1, ...,Xn erzeugt wird (entsprechend wird dann n− von den Yi erzeugt).Sei α ∈ R+. Nach Satz 5.26 ist α = αi1 + ...+ αik fur gewisse αi j

∈ S, so dass furj ≤ k gilt αi1 + ... + αi j

∈ R+. Dann gilt

Xα := [Xik , [Xik−1, [...[Xi2 ,Xi1]...]] ∈ gαi1

+...+αik= gα.

Da nach Satz 4.83 sα sl2(C) ist, folgt nach Lemma 5.13, dass, falls fur αi, α j ∈R auch αi + α j ∈ R ist, die Abbildung adXi

: gα j→ gα j+αi

ein Isomorphismusist. Da alle gαi j

eindimensional sind und die jeweiligen Xi jihre Erzeuger,

folgt Xα = 0.

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144 6 Klassifikation komplexer einfacher Lie-Algebren

2. Sei i , j. Dann ist [Xi,Y j] ∈ gαi−α j= 0, da αi−α j eine gemischte Kombination

von Elementen aus R+ und R− ist, und somit wegen R = R+∪R− keine Wurzelaus R sein kann. Alle anderen Relationen folgen direkt aus der Definitionder Weyl-Basis.

3. Es ist ad−ni j+1

Xi(X j) ∈ g−ni jαi+αi+α j

. Weiter gilt −ni jαi+αi+α j = sαi(α j−αi). Da die

Spiegelung sαidie Wurzeln R permutiert, und da α j −αi keine Wurzel ist, ist

sαi(α j − αi) < R. Also gilt g−ni jαi+αi+α j

= 0.

Die Zerlegung von g in halbeinfache Ideale entspricht der Zerlegung von R inirreduzible Komponenten (bzw. den Zusammenhangskomponenten des Coxeter-Graphen von R).

Korollar 6.7 Eine halbeinfache Lie-Algebra g ist genau dann einfach, wenn ihrzugehoriges Wurzelsystem R irreduzibel ist.

B: Aufgabe 6.2.

Die Weyl-Basis und die Relationen 2. und 3. aus Satz 6.6 beschreiben die halbein-fache Lie-Algebra g auf eindeutige Weise. Genauer gilt der folgende Satz:

Satz 6.8 Sei F die auf die Weyl-Basis erzeugte freie Lie-Algebra und R das Idealin F, das von den Relationen 2. und 3. aus Satz 6.6 erzeugt wird. Dann induziertder zugehorigen Homomorphismus F→ g einen Isomorphismus

F/R g.

Fur den Beweis siehe z.B. Serre [14]. Zur Konstruktion von F siehe Jacobson [9]und Knapp [11].

6.3 Die Hauptsatze

Wir erinnern uns, dass jede komplexe halbeinfache Lie-Algebra ein eindeutigbestimmtes reduziertes Wurzelsystem besitzt.

Die folgenden Hauptsatze zeigen, dass die komplexen halbeinfachen Lie-Algebreneineindeutig den reduzierten Wurzelsystemen entsprechen.

Satz 6.9 (erster Hauptsatz)Die komplexe halbeinfache Lie-Algebra g ist durch ihr Wurzelsystem R bis aufIsomorphie eindeutig bestimmt. Das heißt ist g eine weitere komplexe halbein-fache Lie-Algebra, R das Wurzelsystem von g und gibt es einen Isomorphismusvon Wurzelsystemen R R, so gilt auch g g.

B: Sei f : R → R ein Isomorphismus von Wurzelsystemen. Nach Satz 6.8gibt es einen eindeutigen Isomorphismus ϕ : g → g, der Xi,Yi,Hi ∈ gαi

auf dieentsprechenden Elemente Xi, Yi, Hi ∈ g f (αi) abbildet.

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6.4 Aufgaben 145

Satz 6.10 (zweiter Hauptsatz)Zu jedem reduzierten Wurzelsystem R existiert eine halbeinfache Lie-Algebra gmit Cartan-Unteralgebra h, so dass R Wurzelsystem von g bzgl. h ist.

B: Sei S eine Basis von R mit Cartan-Matrix (ni j)αi,α j∈S. Sei nun g = F/R dieLie-Algebra, die von den 3n Erzeugern Xi,Yi,Hi und den Relationen aus Satz 6.6erzeugt wird. Nun kann man zeigen, dass g halbeinfach ist und ein zu R iso-morphes Wurzelsystem besitzt (vgl. Serre [14]). Die entscheidende Schwierigkeitdabei ist es zu zeigen, dass F/R endlichdimensional ist.

In Abschnitt 5.6 haben wir die reduzierten irreduziblen Wurzelsysteme durch ih-re Dynkin-Diagramme klassifiziert. Entsprechend konnen wir auch die komple-xen einfachen Lie-Algebren (und die entsprechenden Lie-Gruppen) klassifizieren.Die Wurzelsysteme G2, F4,E6,E7 und E8 werden nicht durch die klassischen Lie-

An sln+1(C) n ≥ 1Bn o2n+1(C) n ≥ 2Cn spn(C) n ≥ 3Dn o2n(C) n ≥ 4

Tabelle 2: Komplexe einfache Lie-Algebren.

Algebren beschrieben. In Kapitel 7 werden wir eine explizite Konstruktion derLie-Algebra des Wurzelsystems G2 betrachten.

6.4 Aufgaben

Aufgabe 6.1 Geben Sie eine Cartan-Unteralgebra und die zugehorige Borel-Unteralgebra

von spn(C) = o(J) mit J =

(0 In

−In 0

)an.

Aufgabe 6.2 Beweisen Sie Korollar 6.7.

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146 6 Klassifikation komplexer einfacher Lie-Algebren

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147

7 Die Lie-Algebra g2

In diesem Kapitel werden wir die einfache Lie-Algebra g2 zum Wurzelsystem G2

konstruieren.

7.1 Die Cayley-Zahlen

Definition 7.1 Unter einer K-Algebra verstehen wir einen K-Vektorraum zusam-men mit einem K-bilinearen Produkt V × V → V.

Man beachte, dass wir keine Assoziativitat fur das Produkt verlangen. Eine Al-gebra A heißt alternativ, wenn fur alle x, y ∈ A gilt:

x(xy) = (xx)y

und y(xx) = (yx)x,

d.h. jede von zwei Elementen erzeugte Unteralgebra ist assoziativ.

Bemerkung 7.2 In einer alternativen Algebra A gilt fur alle x ∈ A:

(xm)(xn) = xm+n.

Wir betrachten nun einige spezielle C-Algebren.

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148 7 Die Lie-Algebra g2

Definition 7.3 Die (komplexen) QuaternionenH bilden uber C eine vierdimen-sionale assoziative Algebra mitH = C · 1 ⊕C · i ⊕C · j ⊕C · kwobei die folgenden Rechenregeln gelteni2 = j2 = k2 = ijk = −1.Die Multiplikation der Quaternionen ist durch diese Eigenschaften eindeutig be-stimmt.

Beachte, dass es sich bei den komplexen Quaternionen um die Komplexifizierungdes Quaternionenschiefkorpers uber den reellen Zahlen handelt. Die komplexenQuaternionen bilden keinen Schiefkorper.

Definition 7.4

1. Wir konnen aufH eine Konjugation definieren durch

u = α1 + βi + γj + δk 7→ u := α1 − βi − γj − δk.Es gilt uv = v u. Die Konjugation ist eine C-lineare Abbildung.

2. Die Norm N : H → C auf H ist eine nicht ausgeartete quadratische Form,die durch die Gleichung

N(u)1 = uu

definiert ist. Die zugehorige symmetrische Bilinearform ist

β(u, v)1 = uv + vu

2.

Es gilt der vier Quadrate-Satz N(uv) = N(u)N(v).

3. Die Spur t : H→ C ist durch

t(u)1 = u + u

2

definiert.

4. Wir bezeichnen Kern(t) = x ∈ H | x = −x als den Imaginarteil Im(H) vonH. Es gilt H = C · 1 ⊕ Im(H).

Definition 7.5 Die Cayley-Zahlen oder Oktonionen O bilden eine achtdimen-sionale C-Algebra mit O = H ⊕H · eund dem Produkt

(x1 + x2e)(y1 + y2e) := (x1y1 − y2x2) + (x2y1 + y2x1)e.

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7.1 Die Cayley-Zahlen 149

Es gilt e2 = −1. Die Quaternionen H bilden eine assoziative Unteralgebra von O,das Produkt aufO ist aber nicht assoziativ:e(ij) = e(k) = −ke

(ei)j = (−ie)j = keDefinition 7.6

1. Wir konnen auch aufO eine Konjugation definieren:

u = x + ye 7→ τ(u) := x − ye.Es gilt

τ(uv) = τ(v) τ(u).

Die Konjugation τ ist ein C-linearer Anti-Automorphismus vonO.

2. Die Norm N : O → C auf O ist eine nicht ausgeartete quadratische Form,die durch

N(u)1 = uτ(u)

definiert ist. Die zugehorige symmetrische Bilinearform ist

β(u, v)1 = uτ(v) + vτ(u)

2.

Es gilt der acht Quadrate-Satz N(uv) = N(u)N(v).

3. Die Spur t : O→ C ist durch

t(u)1 = u + τ(u)

2

definiert.

4. Wir bezeichnen Kern(t) = x ∈ O | x = −τ(x) als den Imaginarteil Im(O)vonO. Es giltO = C · 1⊕ Im(O) und Im(O)⊥βC · 1. Die Einschrankung vonβ auf Im(O) × Im(O) ist nicht ausgeartet.

Lemma 7.7 Sei x ∈ O. Dann gilt

x2 = −N(x)1 + 2t(x)x ∈ C · 1 ⊕C · x,d.h.O ist eine quadratische Algebra.

B: Aufgabe 7.2.

Lemma 7.8 Es gilt fur alle x, y ∈ Ox(τ(x)y) = N(x)y.

B: Aufgabe 7.3.

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150 7 Die Lie-Algebra g2

Satz 7.9 Die Cayley-ZahlenO sind alternativ.

B: Schreiben wir x(τ(x)y) = x((2t(x)1 − x)y), so folgt mit Lemma 7.8

N(x)y = (x(2t(x)1 − x))︸ ︷︷ ︸=N(x)

y = x(2t(x)y) − x(xy) = (2t(x)x)y − x(xy).

Mit Lemma 7.7 folgt x(xy) = x2y. Daraus folgt nun τ(xy)τ(x) = τ(y)τ(x2), wasaquivalent ist zu (τ(y)τ(x))τ(x) = τ(y)τ(x)2.

7.2 Die Derivationsalgebra der Cayley-Zahlen

Definition 7.10 Sei A eine C-Algebra und D ∈ gl(A) ein Vektorraumendomor-phismus von A mit der Eigenschaft

D(uv) = D(u)v + uD(v).

Dann heißt D Derivation von A. Ein Vektorraumautomorphismus ϕ ∈ GL(A)heißt Automorphismus von A, wenn er

ϕ(uv) = ϕ(u)ϕ(v)

erfullt.

Lemma 7.11 Die Menge der(A) der Derivationen von A ist eine Lie-Unteralgebravon gl(A), d.h. fur D1,D2 ∈ der(A) gilt

[D1,D2] = D1 D2 −D2 D1 ∈ der(A).

Bemerkung 7.12 der(A) ist die Lie-Algebra der Gruppe Aut(A) der Automorphis-men von A (vgl. Satz 1.45).

Unser Ziel ist es zu zeigen, dass der(O) g2 die von uns gesuchte Lie-Algebravom Typ G2 ist. Konkreter wollen wir den folgenden Satz beweisen:

Lemma 7.13 Fur alle D ∈ der(O) ist D(1) = 0.

B: Es istD(x) = D(1x) = D(1)x + 1D(x)

und somit D(1)x = 0 fur alle x ∈ O, also D(1) = 0.

Satz 7.14

1. der(O) operiert auf dem Imaginarteil von O, d.h. D(Im(O)) ⊆ Im(O) furD ∈ der(O).

2. der(O) ist eine Unteralgebra von o(β) o8(C) ⊂ gl8(C).

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7.2 Die Derivationsalgebra der Cayley-Zahlen 151

B:

1. Wir definieren fur x, y ∈ O das Jordan-Produkt

x ∗ y :=xy + yx

2.

Der Assoziator von x, y, z ∈ O ist

A(x, y, z) := x ∗ (y ∗ z) − (x ∗ y) ∗ z.

A(x, y, z) = A(Im(x), Im(y), Im(z)) liegt offensichtlich in Im(O). Der Ima-ginarteil lasst sich sogar charakterisieren als

Im(O) = A(x, y, z) | x, y, z ∈ O,siehe Jacobson [10].

Ist D ∈ der(O), so ist D auch eine Derivation bzgl. ∗. Es folgt

D(A(x, y, z)) = A(D(x), y, z) + A(x,D(y), z) + A(x, y,D(z))

und somit D(Im(O)) ⊆ Im(O). (Siehe Aufgabe 7.4 fur einen alternativenBeweis.)

2. Seien x, y ∈ Im(O). Mit Lemma 7.7 folgt

x2 + xy + yx + y2 = (x + y)2

= −N(x + y)1= −N(x)1 − 2β(x, y)1 −N(y)1,

also x ∗ y = −β(x, y)1. Damit gilt

0 = D(xy + yx) = D(x)y + xD(y) +D(y)x + yD(x).

Weiter folgt

2β(y,D(x)) = yτ(D(x)) +D(x)τ(y)

2β(D(y), x) = D(y)τ(x) + xτ(D(y)).

Da x, y ∈ Im(O), gilt nach Teil 1 D(x),D(y) ∈ Im(O) und somit folgtβ(y,D(x))+β(D(y), x) = 0. Also ist D ∈ o(β).

Bemerkung 7.15 Wir betrachten spezielle Elemente vonO:

f1 :=1 + ie

2, f2 :=

1 − ie2

.

Fur sie gilt

τ( f1) =1 + iτ(e)

2=

1 − ie2= f2

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152 7 Die Lie-Algebra g2

und außerdem

f1 + f2 = 1f 21 =

1 + ie + ie + (ie)2

4= f1

f 22 = f2

f1 f2 = 0

Jedes a ∈ O hat die Gestalt

a = f1a + f2a.

f1, f2 heißen orthogonale, idempotente Elemente inO.

Wir setzen J12 := f1 ·O · f2,J21 := f2 ·O · f1.

Da O alternativ ist, gilt f1(x f2) = ( f1x) f2, was die Schreibweise ohne Klammernrechtfertigt.

Satz 7.16 (Peirce-Zerlegung)Die Cayley-Zahlen lassen sich darstellen als direkte Summe von VektorraumenO = C · f1 ⊕C · f2 ⊕ J12 ⊕ J21,

wobei gilt τ(Ji j) = J ji und dimC(Ji j) = 3.

B: Es ist O = O ·O. Fur a, b ∈ O gilt

( f1a + f2a)︸ ︷︷ ︸

=a

· (b f1 + b f2)︸ ︷︷ ︸

=b

= f1a f1 + f1ab f2︸︷︷︸∈J12

+ f2ab f1︸︷︷︸∈J21

+ f2b f2.

Dass die Summe von J12 und J21 direkt ist, wird in Aufgabe 7.6 gezeigt.

Wir zeigen nun, dass fur i = 1, 2 gilt fi ·O · fi = C · fi.Dazu definieren wir Lx : O→ O, v 7→ xv und Rx : O→ O, v 7→ vx. Es ist

f1 ·O · f1 ⊆ Kern(L f2) ∩ Kern(R f2),

da 1 = f1 + f2 und jede von zwei Elementen erzeugte Unteralgebra assoziativ ist.Ebenso gilt

Kern(L f2 ) = f1 ·O, Kern(R f2) = O · f1.

Die Behauptung lautet also

f1 ·O ∩O · f1 = C · f1.

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7.2 Die Derivationsalgebra der Cayley-Zahlen 153

Es ist klar, dass C · f1 ⊆ f1 ·O ∩O · f1 ist. Fur die umgekehrte Inklusionsrichtungbetrachten wir

2 f1(x1 + x2e) = (1 + ie)(x1 + x2e)

= (x1 − ix2) + (ix1 + x2)e= w + iwe

mit x1, x2 ∈ H, und

2(y1 + y2e) f1 = (y1 + y2e)(1 + ie)

= (y1 − iy2) + (iy1 + y2)e= v + ive

mit y1, y2 ∈ H. Sollen diese beiden Elemente identisch sein, so muss w = v = wgelten und somit w ∈ C.

Lemma 7.17 Es sei D ∈ der(O). Dann gilt

D( f1) = a − b, D( f2) = b − a

mit a ∈ J12, b ∈ J21.

B: Fur alle Derivationen gilt D( f1) = −D( f2).

Es ist D( fi) = D( f 2i

) = D( fi) fi + fiD( fi), i = 1, 2. Daraus folgt

D( f1) = −D( f2) f2 f1 − f2D( f2) f1 + f1D( f1) f2 − f1 f2D( f2)

= f2D( f1) f1 + f1D( f1) f2,

und dies liegt in J12 ⊕ J21.

Lemma 7.18 Es sei

der0 := D ∈ der(O) | D( f1) = D( f2) = 0.

Dann gilt der0(Ji j) ⊆ Ji j.

B: Es gilt D( f1x f2) = f1D(x) f2 und D( f2x f1) = f2D(x) f1.

Definition 7.19 Sei g eine Lie-Algebra und V ein g-Modul. Der duale Modul V∗

fur g ist definiert durch(Xψ)(v) := −ψ(Xv)

mit X ∈ g, v ∈ V, ψ ∈ V∗.

Satz 7.20 Die Darstellung von der0 auf J12 ist isomorph zur Standarddarstellungvon sl3(C) auf C3. Dabei gilt

der0 sl(J12) sl3(C).

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154 7 Die Lie-Algebra g2

Die Darstellung von der0 auf J21 entspricht der dualen Darstellung von sl3(C).

B: Skizze: Sei ϕ ∈ sl(J12) und β die Einschrankung der Bilinearform β aufJ12 × J21. Mit ϕ∗ ∈ sl(J21) bezeichnen wir die bzgl. β duale Abbildung von ϕ, d.h.es gilt

β(ϕ(x), y) = β(x, ϕ∗(y)).

Wir definieren eine Derivation Dϕ ∈ der0, indem wir Dϕ(x) = ϕ(x) auf J12 setzen,Dϕ(x) = −ϕ∗(x) auf J21 und schließlich durch 0 auf dem Komplement von J12⊕J21

fortsetzen. Dass tatsachlich Dϕ(xy) = xDϕ(y)+Dϕ(x)y erfullt ist, lasst sich mit Hilfevon Spur(ϕ) = 0 nachweisen (siehe Jacobson [10]). Da die Zuordnung

sl(J12)→ der0, ϕ 7→ Dϕ,

ein Isomorphismus ist, folgt die Behauptung.

Bemerkung 7.21 Fur x ∈ O definieren wir die Abbildungen Lx : O → O, v 7→ xvund Rx : O→ O, v 7→ vx. Setzen wir

Dx,y := [Lx, Ly] + [Lx,Ry] + [Rx,Ry],

so ist Dx,y eine Derivation von O. Wir betrachten die zwei folgenden Untervek-torraume von der(O):

der12 := D f1,a | a ∈ J12der21 := D f2,b | b ∈ J21

Fur a ∈ J12 istD f1,a( f1) = a und D f1,a( f2) = −a,

und fur b ∈ J21 istD f2,b( f2) = b und D f2,b( f1) = −b.

Es gilt dimC(deri j) = 3.

Satz 7.22 Es istder(O) = der0 ⊕ der12 ⊕ der21.

B: Nach Lemma 7.17 gibt es einen surjektiven Homomorphismus der(O)→J12 ⊕ J21 mit Kern der0.

Lemma 7.23 Die Unterraume der12 und der21 sind invariant unter der adjungiertenDarstellung adder0 , also [der0, deri j] ⊆ deri j, und diese Darstellungen sind als der0-Moduln isomorph zu J12 bzw. J21.

B: Fur D ∈ der0 ist

[D,D f1,a] = D f1,D(a) und [D,D f2,b] = D f2,D(b).

Somit ist die Darstellung von adder0 auf der12 isomorph zur Darstellung von der0auf J12. Mit der Identifikation aus Satz 7.20 ist der12 also isomorph zur Standard-darstellung von sl3(C). Entsprechend ist die Darstellung von der0 auf der21 dieduale Darstellung von sl3(C).

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7.3 g2 155

7.3 g2

Satz 7.24 Fur die Derivationen von O gilt:

1. der(O) ⊂ gl8(C) ist eine einfache Lie-Algebra mit Wurzelsystem G2, also

g2 = der(O).

Insbesondere ist dimC(der(O)) = 14

2. der(O) hat eine irreduzible (orthogonale) Darstellung auf (Im(O) = C7, β).

B: Es sei a3 die Cartan-Unteralgebra von der0 sl3(C). Sie besteht aus Ele-menten der Form

Aa1,a2,a3=

a1

a2

a3

, a1 + a2 + a3 = 0.

Es sei λi(Aa1 ,a2,a3) = ai und α1, α2 die Basis des Wurzelsystems von sl3(C) (vgl.

Beispiel 5.15). Aus Satz 7.20 und Lemma 7.23 folgt der(O) sl3(C) ⊕ C3 ⊕ (C3)∗.Somit hat die Darstellung von a3 auf der(O) die folgenden Gewichte:C3 : λ1 λ2 −λ1 − λ2

(C3)∗ : −λ1 −λ2 λ1 + λ2

sl3(C) : α1 α2 α1 + α2 −α1 −α2 −α1 − α2

Dabei gilt

α1 = λ1 − λ2,

α2 = 2λ2 + λ1,

α1 + α2 = 2λ1 + λ2.

λ1−λ1

−λ2−λ1 − λ2

λ2 λ1 + λ2

α1

α2

α1 + α2−α1

−α2

−α1 − α2

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156 7 Die Lie-Algebra g2

Die Cartan-Algebra von der(O) muss ebenfalls a3 sein, denn gabe es eine Cartan-Algebra a ) a3, so ware [a, a3] = 0, es musste also ein Gewicht 0 vorkommen.Dies ist aber nicht der Fall. Man sieht leicht, dass λ1,−α1 eine Basis ist und dasWurzelsystem vom Typ G2 ist. Also ist der(O) einfach.

Bemerkung 7.25 Aut(O) ist eine komplexe Lie-Gruppe vom Typ G2.

Als Referenzen zu diesem Kapitel seien die Bucher von Jacobson [10] und Schafer[33] oder der lesenswerte Artikel von Baez [29] empfohlen. Dort werden auch dieLie-Algebren zu den Wurzelsystemen F4,E6,E7 und E8 beschrieben.

7.4 Aufgaben

Aufgabe 7.1 Beweisen oder widerlegen Sie, dass die komplexen Quaternionennullteilerfrei sind.

Aufgabe 7.2 Beweisen Sie Lemma 7.7.

Aufgabe 7.3 Beweisen Sie Lemma 7.8 durch Zuruckfuhren auf die Assoziativitatvon H.

Aufgabe 7.4 Sei ϕ ∈ Aut(O). Zeigen Sie:

1. Es ist ϕ(1) = 1 und somit ϕ|C·1 = idC·1.

2. Fur x ∈ O mit x2 = −1 gilt entweder t(x) = 0 oder x ∈ C · 1.

3. Es ist ϕ(Im(O)) ⊆ Im(O).

4. Fur alle x ∈ O gilt τ(ϕ(x)) = ϕ(τ(x)) und somit auch N(ϕ(x))1 = ϕ(N(x)1)und t(ϕ(x))1 = ϕ(t(x)1).

Aufgabe 7.5 Sei D ∈ der(O). Zeigen Sie mit Hilfe eines Computeralgebrasystems,dass die Darstellungsmatrix von D zur Basis 1, i, j, k, ie, je, ke von der folgendenForm ist:

0 0 0 0 0 0 0 00 0 b12 + b11 −b10 − b13 −b4 + b7 b3 + b8 −b1 −b2

0 −b12 − b11 0 −b9 − b14 b6 + b2 −b9 −b3 −b4

0 b10 + b13 b9 + b14 0 b5 b6 −b7 −b8

0 b4 − b7 −b6 − b2 −b5 0 b9 −b10 −b11

0 −b3 − b8 b9 −b6 −b9 0 b12 −b13

0 b1 b3 b7 b10 −b12 0 −b14

0 b2 b4 b8 b11 b13 b14 0

∈ C8×8

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7.4 Aufgaben 157

Verwenden Sie dazu die Relationen der Form

D(i2) = D(j2) = ... = D((ke)2) = 0,

D(ij) = −D(ji), ...,D(ij) = D(k), ...

Aus dieser Darstellung der Derivationen folgt sofort, dass dimC(der(O)) ≤ 14 ist.

Aufgabe 7.6 Beweisen Sie J12 ∩ J21 = 0.

Aufgabe 7.7 Da der(O) nach Satz 7.24 einfach ist, besitzt es keine echten Ideale, 0. Zeigen Sie dies nun direkt unter Verwendung der Lemmata 7.17 und 7.23.

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158 7 Die Lie-Algebra g2

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159

A Topologische Grundbegriffe

Definition A.1 Ein topologischer Raum ist ein Paar (X,T ) bestehend aus einerMenge X und einem System T von Teilmengen von X, so dass gilt:

1. X ∈ T und ∅ ∈ T .

2. Der Durchschnitt von endlich vielen und die Vereinigung von beliebig vielenMengen aus T ist wieder in T .

Ein solches Teilmengensystem T nennt man eine Topologie von X. Die Elementevon T heißen offene Teilmengen von X. Eine Menge A ⊂ X heißt abgeschlossenin X, wenn ihr Komplement in X offen ist.

Bemerkung A.2 ImRn stimmt diese Definition von offen bzw. abgeschlossen mitder altbekannten uberein:

• U ⊆ Rn ist offen⇔∀x ∈ U ∃ε > 0 : Bε = y | ‖x − y‖ < ε ⊂ U.

• A ⊆ Rn ist abgeschlossen⇔ Rn\A ist offen.

Definition A.3 Eine Basis vonT ist eine TeilmengeB ⊂ T , so dass fur jede offeneMenge V ∈ T gilt: V =

⋃i∈I Vi mit Vi ∈ B.

Bemerkung A.4 Rn und Cn haben eine abzahlbare Basis.

Definition A.5 Eine Teilmenge Y ⊆ X eines topologischen Raumes ist selbst wie-der ein topologischer Raum, versehen mit der induzierten Topologie oder auchTeilraumtopologie: Eine Menge U ⊆ Y ist genau dann offen, wenn es eine offeneMenge V ⊆ X gibt mit V ∩ Y = U.

Definition A.6 Sei x ∈ X. Eine Teilmenge U ⊂ X heißt Umgebung von x, wenn eseine offene Menge V gibt mit x ∈ V ⊂ U.

Definition A.7 Ein topologischer Raum ist hausdorffsch, wenn zu je zwei Punk-ten disjunkte, offene Umgebungen existieren.

Bemerkung A.8 Sei X hausdorffsch mit abzahlbarer Basis. Dann ist jeder TeilraumY ⊆ X ebenfalls hausdorffsch mit abzahlbarer Basis.

Definition A.9 Seien X,Y topologische Raume. Eine Teilmenge W ⊆ X × Y heißtoffen in der Produkttopologie, wenn es zu jedem Punkt (x, y) ∈ W UmgebungenU von x in X und V von y in Y gibt, so dass U ×V ⊆W.

Definition A.10 Eine Abbildung f : X → Y zwischen topologischen Raumenheißt stetig, falls die Urbilder von offenen Mengen in Y offen in X sind. DieAbbildung heißt offen, falls Bilder von offenen Mengen in X offen in Y sind. Einebijektive Abbildung f : X → Y, fur die sowohl f als auch f −1 stetig sind, heißtHomoomorphismus.

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160 A Topologische Grundbegriffe

Bemerkung A.11 Die Verknupfung stetiger Funktionen ist wieder stetig.

Bemerkung A.12 Die Losungsmenge einer Gleichung f (x) = y, die durch einestetige Abbildung f : X→ Y beschrieben wird, ist abgeschlossen.

Beispiel A.13 Topologische Raume.

1. Sei Y ⊆ X mit Teilraumtopologie. Dann ist die Inklusion Y → X eine stetigeAbbildung.

2. Die diskrete Topologie auf X: T = P(X).

3. Rn mit der Standardtopologie.

Definition A.14 Ein topologischer Raum X heißt zusammenhangend, wenn ersich nicht in zwei nichtleere, disjunkte, offene Teilmengen zerlegen lasst (aqui-valent dazu: Wenn X und ∅ die einzigen zugleich offenen und abgeschlossenenTeilmengen sind).

Bemerkung A.15 Stetige Bilder von zusammenhangenden Mengen sind zusam-menhangend.

Definition A.16 Sie I ein reelles Intervall und X ein topologischer Raum. Einestetige Abbildung c : I → X heißt Weg in X. Wenn es fur je zwei Punkte x, y ∈ Xeinen Weg c : [0, 1] → X mit c(0) = x und c(1) = y gibt, so heißt X wegzusam-menhangend.

Beispiel A.17 Zusammenhangende topologische Raume.

1. R× = R\0 ist nicht zusammenhangend, da R× = R−∪R+.

2. S1 ist zusammenhangend.

3. Vektorraumgruppen sind zusammenhangend.

4. Zn ist nicht zusammenhangend.

Definition A.18 Ein metrischer Raum ist ein Paar (X, d) bestehend aus einer Men-ge X und einer Abbildung d : X × X→ R, so dass fur alle x, y, z ∈ X gilt:

1. d(x, y) ≥ 0 und d(x, y) = 0⇔ x = y.

2. d(x, y) = d(y, x).

3. d(x, z) ≤ d(x, y) + d(y, z).

Die Abbildung d heißt Metrik. Ein metrischer Raum (X, d) ist auch ein topologi-scher Raum. Die Topologie wird wie folgt definiert: Eine Menge U ⊂ X ist offen,falls fur alle p ∈ U ein ε > 0 exisitiert, so dass der (offene) Ball um p mit Radius εganz in U enthalten ist: Bε(p) := q ∈ X | d(p, q) < ε ⊂ U.

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161

Definition A.19 Sei X ein topologischer Raum und ∼ eine Aquivalenzrelation aufX. Es bezeichne [x] := y ∈ X | x ∼ ydie Aquivalenzklasse von x. Weiter bezeichneX/ ∼ die Menge der Aquivalenzklassen und p : X→ X/ ∼, x 7→ [x] die naturlicheProjektion. Eine Menge U ⊆ X/ ∼ heißt offen in der Quotiententopologie aufX/ ∼, wenn p−1(U) offen in X ist (p ist dann stetig).

Lemma A.20 Falls p : X → X/ ∼ offen ist und X eine abzahlbare Basis hat, so hatauch X/ ∼ eine abzahlbare Basis.

Lemma A.21 Sei p : X → X/ ∼ offen. Ist R := (x, y) ∈ X × X | x ∼ y eineabgeschlossene Teilmenge von X ×X, so ist X/ ∼ hausdorffsch.

Satz A.22 (Gebietstreue) Ist U ⊆ Rn offen und f : U → Rn eine injektive undstetige Abbildung, so ist f (U) ⊂ Rn auch offen.

Folgerung A.23 Fur m , n ist Rm nicht homoomorph zu Rn.

Definition A.24 Eine Teilmenge K eines topologischen Raumes X heißt kompakt,wenn jede Uberdeckung

K ⊆⋃

α∈IUα

aus in X offenen Mengen Uα eine endliche Teiluberdeckung

K ⊆m⋃

i=1

Uαi

beinhaltet.

Bemerkung A.25 Stetige Bilder von kompakten Mengen sind kompakt.

Bemerkung A.26 ImRn gilt fur kompakte Mengen:

• K ⊆ Rn ist kompakt genau dann, wenn jede Folge aus K eine konvergenteTeilfolge mit Grenzwert in K besitzt.

• K ⊆ Rn kompakt genau dann, wenn K beschrankt und abgeschlossen ist.

Definition A.27 Ein topologischer Raum X heißt lokalkompakt, wenn jeder Punktaus X eine kompakte Umgebung besitzt.

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162 B Differenzierbare Mannigfaltigkeiten

B Differenzierbare Mannigfaltigkeiten

Sei im Folgenden M ein Hausdorff-Raum, dessen Topologie eine abzahlbare Basishat.

Definition B.1 Eine Karte (U, ϕ) auf M ist eine offene Teilmenge U von M zu-sammen mit einem Homoomorphismus ϕ : U → ϕ(U) ⊆ Rn. Man nennt n dieDimension von (U, ϕ).

Gelegentlich wird man die Karten auf M auch durch die Abbildungen ϕ−1, ψ−1

definieren.

Definition B.2 Sind (U, ϕ) und (V, ψ) zwei Karten von M mit U∩V , ∅, so ist derKoordinatenwechsel gegeben durch

ψ ϕ−1 : ϕ(U ∩ V)→ ψ(U ∩ V)

ϕ ψ−1 : ψ(U ∩ V)→ ϕ(U ∩ V)

und wohldefiniert.

M

ψϕ

U

V

ϕ(U) ψ(V)ψ ϕ−1

Definition B.3 Ein n-dimensionaler differenzierbarer AtlasA von M ist ein Sys-tem von n-dimensionalen Karten auf M, so dass gilt:

1. Jeder Punkt p ∈ M liegt in wenigstens einer Karte (d.h. M wird von denKarten ausA uberdeckt).

2. Alle Koordinatenwechsel zwischen den Karten aus A sind differenzierbar(d.h. C∞-Abbildungen zwischen offenen Mengen des Rn).

Definition B.4 Eine Karte (U, ϕ) von M ist vertraglich mit einem AtlasA von M,wenn auchA∪ (U, ϕ) ein Atlas von M ist. Der AtlasA heißt vollstandig, wennbereits jede mitA vertragliche Karte inA enthalten ist.

Definition B.5 Eine n-dimensionale differenzierbare Mannigfaltigkeit ist einHausdorff-Raum, dessen Topologie eine abzahlbare Basis hat, und der mit einemvollstandigen n-dimensionalen Atlas ausgestattet ist.

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163

Bemerkung B.6 Sei M eine differenzierbare Mannigfaltigkeit mit Atlas A undN ⊂M offen. Dann wird durch

AN := (U ∩N, ϕ|U∩N) | (U, ϕ) ∈ A

ein differenzierbarer Atlas auf N induziert, durch den N zu einer differenzierbarenMannigfaltigkeit wird. Man spricht dann von einer (offenen) Untermannigfal-tigkeit.

Bemerkung B.7 Sind M und N zwei differenzierbare Mannigfaltigkeiten, dim(M) =m,dim(N) = n, so ist auch M ×N mit der Produkttopologie und den Karten

(ϕ × ψ) : U × V→ ϕ(U) × ψ(V) ⊂ Rm ×Rn,

wobei (U, ϕ) und (V, ψ) Karten in M bzw. N sind, eine differenzierbare Mannigfal-tigkeit, die sogenannte Produktmannigfaltigkeit.

Beispiel B.8 Differenzierbare Mannigfaltigkeiten.

1. Der Rn mit der Standardtopologie ist eine Mannigfaltigkeit.

2. Die n-dimensionale Sphare

Sn = x ∈ Rn+1 | ‖x‖ = 1

mit der vomRn+1 induzierten Topologie ist eine n-dimensionale Mannigfal-tigkeit.

Definition B.9 Seien M und N differenzierbare Mannigfaltigkeiten der Dimensi-on m bzw. n. Eine Abbildung F : M → N heißt differenzierbar oder glatt, wennin jedem Punkt p ∈ M gilt: Fur alle Karten (U, ϕ) von M mit p ∈ U und (V, ψ) vonN mit F(U) ⊆ V ist die Komposition

ψ F ϕ−1 : ϕ(U)→ ψ(V)

eine C∞-Abbildung (als Abbildung einer offenen Menge des Rm in eine des Rn).

ψϕ

U

V

ϕ(U) ψ(V)

F

M

Np

Rm Rn

ψ F ϕ−1

Mit differenzierbar werden wir stets unendlich oft differenzierbar meinen.

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164 C Die Jordan-Zerlegung

C Die Jordan-Zerlegung

Sei V ein endlichdimensionaler K-Vektorraum und ϕ : V → V ein Endomorphis-mus.

Satz C.1 Fur ϕ existiert die (additive) Jordan-Zerlegung der Form

ϕ = ϕs + ϕn

mit zwei Endomorphismen ϕs, ϕn, die folgende Eigenschaften haben:

1. ϕs ist halbeinfach (d.h. diagonalisierbar) und ϕn ist nilpotent.

2. ϕs ϕn = ϕn ϕs, also [ϕs, ϕn] = 0.

Die Endomorphismen ϕs, ϕn sind durch diese Bedingungen eindeutig bestimmt.Außerdem gibt es Polynome P,Q ∈ K[T] ohne konstanten Term, so dass

ϕs = P(ϕ), ϕn = Q(ϕ)

gilt.

B: Wie skizzieren den Beweis fur einen algebraisch abgeschlossenen KorperK, der Satz gilt aber auch im allgemeinen Fall.

Es seiχϕ(T) = det(T · idV − ϕ)

das charakteristische Polynom von ϕ. Sind λ1, ..., λk die Eigenwerte von ϕ, so gilt:

χϕ(T) =

k∏

i=1

(T − λi · idV)νi .

Ist Vi = Kern((ϕ − λi · idV)νi) der verallgemeinerte Eigenraum zum Eigenwert λi,so lasst V sich wie folgt zerlegen:

V = V1 ⊕ ... ⊕ Vk.

Wahlt man ϕs|Vi= λi · idVi

und ϕn = ϕ − ϕs, so folgen die Existenz und dieEigenschaften von ϕs, ϕn.

Betrachte nun das folgende System von Kongruenzen in K[T]:

P ≡ λi mod (T − λi)νi

P ≡ 0 mod T

Nach dem chinesischen Restsatz lasst sich dieses System eindeutig losen. Danngilt: P(ϕ) = ϕs. Setze Q = T − P, dann gilt auch ϕn = Q(ϕ).

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165

D Tabellen

D.1 Wichtige Lie-Gruppen und ihre Lie-Algebren

Es sei K ein Korper.

G g = Lie(G) dimK(g)

allgemeine lineare GruppeGLn(K) = A ∈ Kn×n | det(A) , 0 gln(K) = Kn×n n2

spezielle lineare GruppeSLn(K) = A ∈ Kn×n | det(A) = 1 sln(K) = X ∈ Kn×n | Spur(X) = 0 n2 − 1

orthogonale GruppeOn(K) = A ∈ GLn(K) | AA⊤ = In on(K) = X ∈ Kn×n | X⊤ = −X 1

2n(n − 1)

spezielle orthogonale GruppeSOn(K) = A ∈ On(K) | det(A) = 1 son(K) = on(K) 1

2n(n − 1)

unitare GruppeUn = A ∈ GLn(C) | AA∗ = In un = X ∈ Cn×n | X∗ = −X n2

spezielle unitare GruppeSUn = A ∈ Un | det(A) = 1 sun = X ∈ un | Spur(X) = 0 n2 − 1

symplektische GruppeSpn(K) = A ∈ GL2n(K) | A⊤JA = J spn(K) = X ∈ K2n×2n | X⊤J + JX = 0 n(2n + 1)

mit J =

(0 In

−In 0

)

D.2 Wurzelsysteme vom Rang 2

Sei ϕ der Winkel zwischen zwei Basisvektoren α, β des Wurzelsystems.

Typ cos(ϕ) ϕ nαβ nβαA1 ×A1 0 π

20 0

12

π3

1 1A2 − 1

22π3−1 −1 ‖α‖ = ‖β‖

1√2

π4

1 2

B2 − 1√2

3π4−1 −2

√2‖α‖ = ‖β‖

√3

2π6

1 3

G2 −√

32

5π6−1 −3

√3‖α‖ = ‖β‖

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166 D Tabellen

D.3 Dynkin-Diagramme

Alle zusammenhangenden Dynkin-Diagramme entsprechen einem der Folgen-den:

· · ·

· · ·

· · ·

· · ·

1

2

3

An

Bn

Cn

Dn

G2

F4

E6

E7

E8

n ≥ 1

n ≥ 2

n ≥ 3

n ≥ 4

1 1 1

2 2

1

2

1

1 1

1

2

1

1

1

1

1

1

1 2

1

1 1 1 1 1

1

111111

1 1 1 1

1

111

Diese wiederum entsprechen eineindeutig den reduzierten, irreduziblen Wurzel-systemen.

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D.4 Komplexe einfache Lie-Algebren 167

D.4 Komplexe einfache Lie-Algebren

Typ g dim(g)

An sln+1(C) n ≥ 1 n2 + 2nBn o2n+1(C) n ≥ 2 2n2 + nCn spn(C) n ≥ 3 2n2 + nDn o2n(C) n ≥ 4 2n2 − n

G2 der(O) - 14F4 - 52E6 - 72E7 - 133E8 - 248

Weiter gelten A1 = B1 = C1, B2 = C2 und A3 = D3.

Zur Darstellung der speziellen Lie-Algebren F4, E6, E7 und E8 siehe Baez [29] oderJacobson [10].

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168 E Spezielle Anwendungen

E Spezielle Anwendungen

E.1 Elementarteilchen

In der Quantenphysik werden Elementarteilchen durch Elemente eines komple-xen Hilbert-Raumes X beschrieben. Einer (theoretisch) messbaren physikalischenGroße O (

”Observable“) wird ein linearer hermitescher Operator O zugeordnet,

dessen Eigenwerte den moglichen Messwerten entsprechen. Die Eigenvektorenzu diesen Messwerten bilden eine Orthonormalbasis von X. Der Zustand einesTeilchens (bzgl. der Operatoren O1, ..., Ok) wird durch seine Eigenwerte ω1, ..., ωk

definiert und oft

|O1 = ω1, ...,Ok = ωk〉 oder einfach |ω1, ..., ωk〉notiert. Gibt es mehrere paarweise orthogonale Eigenvektoren zu einem Zustand(also mit denselben Eigenwerten), so wird dieser Zustand als entartet bezeich-net. Zwei Großen O1,O2 sind dann gleichzeitig messbar, wenn der Kommutator[O1, O2] = O1O2 − O2O1 verschwindet.

Wir betrachten nun den Fall, dass X dreidimensional ist mit Orthonormalbasisq1 = u, q2 = d, q3 = s, dem up-Quark, down-Quark und strange-Quark. DerRaum der hermiteschen Operatoren auf X ist i · su3. Von besonderem physikali-schen Interesse sind die beiden Operatoren

T3 =

12

0 00 − 1

20

0 0 0

und Y =

13

0 00 1

30

0 0 − 23

,

die die dritten Komponente des starken Isospin bzw. die Hyperladung reprasen-tieren. T3 und Y erzeugen die Cartan-Unteralgebra von sl3(C) = su3 ⊕ i · su3.Insbesondere ist [T3, Y] = 0, so dass sich die Quarks durch die ihre Eigenwerte T3

und Y charakterisieren lassen:

u =∣∣∣∣∣T3 =

1

2,Y =

1

3

⟩, d =

∣∣∣∣∣T3 = −1

2,Y =

1

3

⟩, s =

∣∣∣∣∣T3 = 0,Y = −2

3

⟩.

Das folgende Diagramm zeigt die Quarks in der T3-Y-Ebene.

Y

T31

2−

1

2

1

3

2

3

ud

s

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E.1 Elementarteilchen 169

Zusammen mit den Schiebeoperatoren

T+ =

0 1 00 0 00 0 0

, T− =

0 0 01 0 00 0 0

erzeugt T3 eine Unteralgebra, die zu sl2(C) isomorph ist (bzw. zu su2, wenn mannur reelle Kombinationen zulasst). Diese Schiebeoperatoren operieren wie folgtauf den Quarks:

T+d = u, T−u = d, T+u = T−d = 0, T+s = T−s = 0.

Man vergleiche dies mit den Resultaten aus Abschnitt 4.5.1. Setzt man nun noch

U3 =1

2

(1

3Y − T3

)=

0 0 00 1

20

0 0 − 12

, V3 =

1

2

(1

3Y + T3

)=

12

0 00 0 00 0 − 1

2

und weiter

U+ =

0 0 00 0 10 0 0

, U− =

0 0 00 0 00 1 0

, V+ =

0 0 10 0 00 0 0

, V− =

0 0 00 0 01 0 0

,

so erhalt man zwei weitere zu sl2(C) isomorphe Unteralgebren, so dass gilt

sl3(C) = 〈T3, T+, T−〉 + 〈U3, U+, U−〉 + 〈V3, V+, V−〉.

Mit Hilfe der Lie-Klammer errechnet man folgende Relationen:

T3U± |T3,Y〉 =(T3 ∓

1

2

)U± |T3,Y〉 , YU± |T3,Y〉 =

(Y ± 1

2

)U± |T3,Y〉 ,

und ahnlich fur V±. Die Wirkung der Schieboperatoren in der T3-Y-Ebene ist imfolgenden Diagramm schematisch dargellt.

U+

U−

V−

V+

T+T−

T3

Y

Y + 1

Y − 1

T3 +1

2T3 −

1

2

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170 E Spezielle Anwendungen

Dieses Schema legt auch die zulassigen Werte fur die Gewichte (T3,Y) einer irre-duziblen Darstellung von sl3(C) fest. Fur die Standarddarstellung id(sl3(C)) aufX haben wir dies bereits gesehen. Die Antiquarks erhalt man durch die dualeDarstellung id∗(A) = −A⊤ auf X∗:

u =∣∣∣∣∣T3 = −

1

2,Y = −1

3

⟩, d =

∣∣∣∣∣T3 =1

2,Y = −1

3

⟩, s =

∣∣∣∣∣T3 = 0,Y =2

3

⟩.

In der Natur findet man keine einzelnen Quarks, sondern ausschließlich Teilchen,die aus mehreren Quarks zusammengesetzt sind. Diese entsprechen Darstellun-gen auf Tensorprodukten von X und X∗.

Fur die Baryonen, die aus drei Quarks zusammengesetzt sind, betrachten wir dieDarstellung

1 : sl3(C)→ gl(X ⊗ X ⊗ X),

die durch

1(A)(qi ⊗ q j ⊗ qk) = Aqi ⊗ q j ⊗ qk + qi ⊗Aq j ⊗ qk + qi ⊗ q j ⊗Aqk

definiert ist. Es lasst sich zeigen, dass X ⊗ X ⊗ X sich in irreduzible invarianteUnterraume zerlegen lasst:

X ⊗ X ⊗ X = B1 ⊕ B2 ⊕ B3 ⊕ B4,

mit dim(B1) = 1,dim(B2) = dim(B3) = 8,dim(B4) = 10. Solche irreduziblenUnterraume werden in der Physik als Mulitpletts bezeichnet. So stellt B2 dasBaryonen-Oktett und B4 das Baryonen-Dekuplett dar:

1

2−

1

2

1−1

Y

T3 T3

Y

1

2−

1

2−

3

2

3

21−1

−2

1

−1−1

1np

Σ−

Σ+

Σ0

Ξ−

Ξ0

∆−

∆0

∆+

∆++

Σ∗−

Σ∗0

Σ∗+

Ξ∗0Ξ

∗−

Ω−

Λ0

DekuplettOktett

Die Baryonen entsprechen den Elementen geeigneter Orthonormalbasen dieserbeiden Multipletts.

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E.2 Robotik 171

Die Mesonen sind Paare von Quarks und Antiquarks. Wir betrachten die Darstel-lung

2 : sl3(C)→ gl(X ⊗ X∗),

definiert durch

2(A)(qi ⊗ q∗j) = Aqi ⊗ q j − qi ⊗ A⊤q∗j.

Man kann X ⊗ X∗ in irreduzible Unterraume zerlegen

X ⊗ X∗ =M1 ⊕M2,

mit dim(M1) = 1 und dim(M2) = 8. Die Mesonen entsprechen einer geeignetenOrthonormalbasis des Mesonen-Oktetts M2.

1

2−

1

2

1−1

Y

T3

1

−1

K0

K+

K−

π−

π+

π0η

K0

Im Buch von Greiner und Muller [25] wird die Konstruktion von Darstellungender Lie-Algebra su3 (entsprechend sl3(C)) ausfuhrlich beschrieben.

E.2 Robotik

Ein Roboterarm setzt sich aus Segmenten zusammen, die in der Regel durch Dreh-oder Schubgelenke miteinander verbunden sind.

Drehgelenk

Schubgelenkθ

u

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172 E Spezielle Anwendungen

Durch die Winkel an den Drehgelenken und die Verschiebungen an den Schub-gelenken ist die Stellung des Roboterarmes eindeutig festgelegt. Die Bewegungdes Armes entspricht der Bewegung eines starren Korpers, die durch eine affineTransformation der Form

y = Rx + b,

mit x, y, b ∈ R3 und R ∈ SO3(R) beschrieben wird. Diese Transformationen bildendie Lie-Gruppe SE3 = E3∩SO4(R) und ihre Operation auf Punkten im Raum kannin der Form (

y1

)=

(R b0 1

)·(x1

)

dargestellt werden.

Der Satz von Chasles besagt, dass jede Bewegung eines starren Korpers, durcheine Matrix der Form

A(t) =

(I3 tu0 1

)

dargestellt wird, wenn sie eine reine Translation ist, und durch eine Matrix derForm

A(θ) =

(R(θ) ν

2πθu + x − R(θ)x0 1

), θ = θ(t),

wenn sie keine reine Translation ist. Dabei ist R(θ) die Rotation um den Winkelθ mit Drehachse u, verschoben um den Vektor x mit Neigung ν. Ist ν , 0, sobeschreibt A(θ) eine Schraubenbewegung entlang der Geraden x+〈u〉, andernfallseine gewohnliche Drehung. Die Matrizen A(θ) beschreiben Einparametergruppenvon SE3.

x

u

Schraubenbewegungentlang x + 〈u〉

Die Elemente von SE3 beschreiben einerseits die Lage der einzelnen Gelenke rela-tiv zu einem festen Koordinatensystem, andererseits die Koordinatenwechsel vonden Koordinatensystemen der einzelnen Gelenke in dieses feste System. Will manetwa die Lage eines Werkzeugs am letzten Gelenk eines Roboterarmes mit sechsDrehgelenken abhangig von den Gelenkwinkeln θ1, ..., θ6 ermitteln, so erhalt mandiese durch schrittweises Transformieren von einem Gelenkkoordinatensystemzum nachsten:

A(θ1, ..., θ6) = A1(θ1) · · ·A6(θ6).

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E.2 Robotik 173

Somit bildet der Konfigurationsraum, die Menge der zulassigen Konfigurationendes Armes, eine Teilmenge von SE3, die durch die Winkel θi parametrisiert wird.Im Allgemeinen ist der Konfigurationsraum aber keine Mannigfaltigkeit, da erSelbstdurchdringungen enthalten kann. Das Problem der direkten Kinematik,aus gegebenen Winkeln θ1, ..., θ6 die Transformation A(θ1, ..., θ6) zu bestimmen,stellt offensichtlich keine große Hurde dar. Ein großeres Problem bereitet dieinverse Kinematik, aus einer gegebenen Transformation A ∈ SE3 die zugehorigenWinkelθ1, ..., θ6 zu ermitteln. Dieses Problem hat im Allgemeinen keine eindeutigeLosung.

Zur Behandlung des inversen kinematischen Problems erweist sich die Lie-Algebrase3 = Lie(SE3) als hilfreich. Sie besteht aus den Matrizen der Form

X =dA(θ)

dθ|θ=0 =

(Ω v0 0

),

mit

Ω =

0 −ωz ωy

ωz 0 −ωx

−ωy ωx 0

∈ so3(R), v =

ν

2π‖ω‖u −Ωx, ω = (ωx, ωy, ωz).

Die Operation von Ω auf einem Punkt p ∈ R3 entspricht dem Vektorprodukt

Ωp = ω × p.

Man kann ω als Winkelgeschwindigkeitsvektor auffassen. Durch Identifizierenvon Ω und ω erhalt man einen Isomorphismus so3(R) R3. Es lasst sich dannzeigen, dass

exp(θΩ) ∈ SO3(R)

eine Drehung um den Winkel θ‖ω‖ um die Achse ω ist. Entsprechend erhalt maneinen Isomorphismus durch

se3 → R3 ⊕R3, X 7→ X :=

(ωv

).

Jedem Gelenk lasst sich nun eine bestimmte Matrix Xi zuweisen:

Ai(θi) = exp(θiXi).

Fur das Beispiel des Roboterarmes mit sechs Drehgelenken wird folglich die Lagedes Werkzeugs durch (

p(t)1

)= A(t)

(p0

1

)

beschrieben, wobei p0 die Ausgangslage zum Zeitpunkt t = 0 ist und

A(t) := A(θ1, ..., θ6) = exp(θ1X1) · · · exp(θ6X6), θi = θi(t).

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174 E Spezielle Anwendungen

Fur den Geschwindigkeitsvektor gilt die Gleichung

(dp

dt

0

)=

dA

dtA−1

(p1

)=: X

(p1

)

mitdp

dt= ω × p + v. Ebenso gilt auch

(dp

dt

0

)=

6∑

i=1

∂A

∂θi

dθi

dt

A−1

(p1

).

In der Vektorschreibweise von se3 bedeutet dies

X =

(ωv

)= JAθ, θ =

(dθ1

dt, ...,

dθ6

dt

)⊤,

wobei JA die Jacobi-Matrix von A bzgl. der Variablen θ1, ..., θ6 ist. Es lasst sichzeigen, dass die i-te Spalte von JA die Form

Xi(t) = Adexp(θ1(t)X1(0))··· exp(θi−1(t)Xi−1(0))Xi(0)

hat. Hierbei soll Ad naturlich durch eine entsprechende Darstellungsmatrix re-prasentiert sein. Insgesamt gilt also

X =(X1 | ... | X6

und ist die Bewegung des Werkzeugs durch eine Kurve wie oben gegeben, solasst sich hiermit das inverse kinematische Problem durch numerische oder sym-bolische Integration losen.

Im Artikel von Selig [37] ist eine ausfuhrliche Herleitung dieser Resultate zufinden.

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175

F Lie-Algebren mit GAP

Das Computeralgebrasystem GAP (G roups, A lgorithms, Programming) wurdespeziell fur Algorithmen der diskreten Algebra und der Gruppentheorie ent-wickelt. Es ist als freie Software auf der Internetseite www.gap-system.org erhalt-lich.

Wir wollen hier einige der Moglichkeiten betrachten, die GAP zum Rechnen mitLie-Algebren bietet. Auf der Internetseite findet man ausfuhrlichere Dokumen-tation dazu. Die Bedienung von GAP erfolgt uber eine Kommandozeile, die dereines UNIX-Terminals ahnlich ist.

Zwei Objekte a, b eines Rings kann man mit den Befehlen

A := LieObject( a );

B := LieObject( b );

in Elemente einer (nicht naher bestimmten) Lie-Algebra umwandeln. Da die ecki-gen Klammern [ ] in GAP Listen von Elementen beschreiben, wird das Lie-Produkt durch A * B beschrieben, was der Ringoperation a * b - b * a ent-spricht.

Es gibt mehrere Moglichkeiten, eine Lie-Algebra als Datenstruktur zu erzeugen.Der Befehl

g := LieAlgebraByStructureConstants( R, SCtable );

erzeugt eine Lie-Algebra g aus einem Ring R (etwa einem Matrizenring), indemexplizit die Strukturkonstanten in einer Tabelle SCtable angegeben werden. Dabeiwird nicht uberpruft, ob die Strukturkonstanten die Jacobi-Identitat erfullen. Dieskann jedoch mit dem Befehl TestJacobi( SCtable ); erfolgen.

Aus einer assoziativen Algebra L kann uber den Befehl

g := LieAlgebra( L );

eine Lie-Algebra erzeugt werden, wobei das Lie-Produkt wie oben definiert ist.

Uber

g := LieAlgebra( F, generators );

kann man eine Lie-Algebra uber dem Grundkorper F definieren, die von denElementen aus generators erzeugt wird:

x := [ [0, 1], [0, 0] ];

y := [ [0, 0], [1, 0] ];

h := [ [1, 0], [0, -1] ];

generators := [x, y, h];

sl 2 := LieAlgebra( Rationals, generators );

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176 F Lie-Algebren mit GAP

Der Befehl

gl n := MatrixLieAlgebra( F, n );

erzeugt die Lie-Algebra gln(F) der Matrizen uber dem Korper F.

Die freie Lie-Algebra uber F vom Rang rank erhalt man mit dem Befehl

f := FreeLieAlgebra( R, rank );

Die einfachen Lie-Algebren uber F kann man direkt durch Angabe ihres Wurzel-system vom Typ type vom Rang n erzeugen:

s := SimpleLieAlgebra( type, n, F );

So ist beispielsweise die Lie-Algebra g2 zu erhalten durch den Befehl

g 2 := SimpleLieAlgebra(’’G’’, 2, Rationals );

Aus den gegebenen Lie-Algebren g1, g2 kann man durch das Bilden der direktenSumme neue Lie-Algebren erschaffen:

g3 := DirectSumOfAlgebras( g1, g2 );

Eine Liste der Basisvektoren von g erhalt man mit

B := BasisVectors( Basis( g ) );

Die folgenden Befehle ermoglichen es, spezielle Unteralgebren einer Lie-Algebrag zu bestimmen:

z := LieCenter( g );

rad := LieSolvableRadical( g );

h := CartanSubalgebra( g );

Die Zentralreihe und die derivierte Reihe kann man mit den Befehlen

Cg := LieLowerCentralSeries( g );

Dg := LieDerivedSeries( g );

bestimmen. Die Ergebnisse Cg bzw. Dg liegen dabei in Form einer Liste von Lie-Algebren vor.

Mit den Befehlen

IsLieNilpotent( g );

IsLieSolvable( g );

IsLieAbelian( g );

testet man, ob g nilpotent, auflosbar oder abelsch ist. Sie liefern true oder falseals Ruckgabewerte.

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177

Die Levi-Zerlegung von g bzw. eine Zerlegung in Ideale kann man mit den Be-fehlen

LeviMalcevDecomposition( g );

DirectSumDecomposition( g );

berechnen.

Es gibt einige spezielle Befehle fur Wurzelsysteme und halbeinfache Lie-Algebren.Ist g halbeinfach, so liefert der Befehl

SemiSimpleType( g );

eine Zeichenkette, die die Typen der einfachen Komponenten von g enthalt.

Das Wurzelsystem einer halbeinfachen Lie-Algebra wird mit

R := RootSystem( g );

berechnet und kann mit den Befehlen

Rplus := PositiveRoots( R );

Rminus := NegativeRoots( R );

in die positiven und negative Wurzeln aufgespalten werden. Die Befehle

S := SimpleSystem( R );

C := CartanMatrix( R );

g := UnderlyingLieAlgebra( R );

liefern eine Basis des Wurzelsystems, seine Cartan-Matrix und die zugehorigehalbeinfache Lie-Algebra.

Zur Illustration wollen wir nun mit Hilfe von GAP die Zerlegung der Lie-Algebragl4(Q) ⊕ gl5(Q) in ihre halbeinfachen und auflosbaren Komponenten bestimmen:

gap> gl_4 := MatrixLieAlgebra( Rationals, 4 );

gap> gl_5 := MatrixLieAlgebra( Rationals, 5 );

gap> g := DirectSumOfAlgebras( gl_4, gl_5 );

gap> list := LeviMalcevDecomposition( g );

[ <Lie algebra of dimension 39 over Rationals>,

<two-sided ideal in <Lie algebra of dimension 41 over Rationals> ]

gap> s := list[1]; rad := list[2];

gap> SemiSimpleType( s );

"A4 A3"

gap> R := RootSystem( s );

<root system of rank 7>

gap> CartanMatrix ( R );

[ [ 2, -1, 0, 0, 0, 0, 0 ], [ -1, 2, -1, 0, 0, 0, 0 ], [ 0, -1, 2, 0, 0, 0, 0 ],

[ 0, 0, 0, 2, -1, 0, 0 ], [ 0, 0, 0, -1, 2, -1, 0 ], [ 0, 0, 0, 0, -1, 2, -1

[ 0, 0, 0, 0, 0, -1, 2 ] ]

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178 G Geschichte

G Geschichte

Das Konzept der Gruppe tauchte erstmals in der Galois-Theorie auf, die im Laufedes 19. Jahrhunderts entwickelt wurde. Der Begriffwar damals noch nicht prazisedefiniert und wurde nur fur endliche Gruppen verwendet, die Informationenuber Losungen und Losbarkeit polynomialer Gleichungen liefern.

Durch die zunehmende Mathematisierung der Naturwissenschaften, insbesonde-re naturlich der Physik, ruckten zunehmend geometrische Transformationen undihre Zusammensetzung in den Mittelpunkt mathematischen Interesses. Man er-kannte, dass auch diese Transformationen die Eigenschaften der Gruppen besitzenund dass man sie unabhangig von den Objekten, auf denen sie wirken, untersu-chen kann. So nutzte Felix Klein (1849-1925) die

”kontinuierlichen Transforma-

tionsgruppen“, um verschiedene Geometrien durch diejenigen Eigenschaften zuklassifizieren, die von diesen Gruppen erhalten blieben (das Erlanger Programm).

Im engen Gedankenaustausch mit Klein entwickelte Sophus Lie (1842-1899) inder Jahren 1870-1874 die Grundlagen der heute nach ihm benannten Theorie. Lieuntersuchte die Gruppen im Zusammenhang mit Differentialgleichungen, wobeies eine seiner Motivationen war, eine der Galois-Theorie entsprechende Theoriezur Losung von Differentialgleichungen zu entwickeln, in der die heutigen Lie-Gruppen den Platz der Galois-Gruppen einnehmen sollten. Dieser Ansatz wurdevon Emile Picard (1856-1941) und Ernest Vessiot (1865-1952) aufgegriffen undzu einer gewissen Reife gebracht. In seinen weiteren Arbeiten stieß Lie auf denZusammenhang zwischen den Transformationsgruppen und den Scharen von

”infinitesimalen Transformationen“, den heutigen Lie-Algebren.

Lies Schuler Friedrich Engel (1861-1941) hat durch die Uberarbeitung von LiesWerk zu dessen Verbreitung beigetragen. Engel machte im Jahre 1885 auch Wil-helm Killing (1847-1923) auf Lies Arbeiten aufmerksam, nachdem Killing uberProbleme aus der Geometrie bereits auf einige ahnliche Ergebnisse gestoßen war.Killing klassifizierte in einer Arbeit von 1888-1890 als erster die komplexen ein-fachen Lie-Algebren, wobei er vier Klassen und sechs Spezialfalle angab. SeineBeweise waren jedoch noch unvollstandig und teilweise fehlerhaft.

Elie Cartan (1869-1951) fuhrte 1894 die Wurzelsysteme ein, mit deren Hilfe esihm gelang, Killings Klassifikation endgultig zu beweisen. Es gelang ihm auch,die Spezialfalle der komplexen einfachen Lie-Algebren explizit zu konstruierenund dabei zu zeigen, dass zwei der sechs Falle von Killing isomorph zueinanderwaren, was zu der heutigen Klassifikation fuhrte. Daruberhinaus klassifizierteer auch die reellen einfachen Lie-Algebren und konnte viele der damit zusam-menhangenden Konzepte auf allgemeine Algebren ubertragen. Auf Cartan gehtauch die Kohomologietheorie der Lie-Algebren zuruck.

Im 20. Jahrhundert wandte sich Hermann Weyl (1885-1955) den Lie-Gruppen zu.Er trug einen wesentlichen Teil zur Entwicklung der Darstellungstheorie der Lie-Gruppen bei und etablierte die Gruppentheorie als erfolgreiches Hilfsmittel dertheoretischen Physik.

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179

Mehr zur Geschichte der Theorie der Lie-Gruppen und Lie-Algebren findet manbei Hawkins [38] oder auch im Buch von Knapp [11]. Biographien der hier vorge-stellten Mathematiker sind im Internet unter [39] zu finden.

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180 G Geschichte

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Literatur 181

Literatur

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[2] N. BGroupes et Algebres de Lie, chp. 4-6Masson 1982.

[3] T. B, T. DRepresentations of compact Lie GroupsSpringer 1995.

[4] C. CTheory of Lie GroupsPrinceton University Press 1946.

[5] W. F, J. HRepresentation Theory: A first courseSpringer 1997.

[6] B. HLie Groups, Lie Algebras and RepresentationsSpringer 2003.

[7] S. HDifferential Geometry, Lie Groups and Symmetric SpacesAcademic Press 1962.

[8] J. H, K.H. NLie-Gruppen und Lie-AlgebrenVieweg 1999.

[9] N. JLie AlgebrasDover 1979.

[10] N. JExceptional Lie AlgebrasDekker 1971.

[11] A. KLie Groups Beyond an IntroductionBirkhauser 2002.

[12] S. MExceptional simple Lie groups and related topics in recent differential geo-metrySpringer 1981.

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182 Literatur

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[15] J.P. SLie Algebras and Lie GroupsSpringer 2005.

[16] V.S. VLie Groups, Lie Algebras and their RepresentationsPrentice Hall 1974.

[17] F. WFoundations of Differentiable Manifolds and Lie GroupsSpringer 1983.

[18] H. WThe Classical Groups - Their Invariants and RepresentationsPrinceton University Press 1946.

Topologie und Differentialgeometrie.

[19] A. HAlgebraic topologyCambridge University Press 2001.www.math.cornell.edu/∼hatcher/AT/ATpage.html

[20] J. JRiemannian Geometry and Geometric AnalysisSpringer 2002.

[21] N. K, K. NFoundations of Differential GeometryWiley 1996.

[22] W.S. MAlgebraic Topology: An IntroductionSpringer 1990.

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Literatur 183

Speziell fur Physiker durften die folgenden Titel interessant sein.

[24] V.I. AMathematical Methods of Classical MechanicsSpringer 1989.

[25] W. G, B. MQuantenmechanik: SymmetrienHarri Deutsch 2005.

[26] J. M, T. REinfuhrung in die Mechanik und SymmetrieSpringer 2001.

[27] D. S, O. WLie Groups and Algebras with Applications to Physics, Geometry and Me-chanicsSpringer 2002.

[28] R. S, H. URelativity, Groups, ParticlesSpringer 2001.

Einige Quellen zu den Oktonionen.

[29] J. BThe Octonions, 2001,math.ucr.edu/home/baez/octonions/octonions.html

[30] H.D. E .ZahlenSpringer 1992.

[31] H. FOktaven, Ausnahmegruppen und OktavengeometrieGeometriae Dedicata 19, 1951.

[32] K.E. MLOctonions and the exceptional Lie algebra g2, 2004,scholar.lib.vt.edu/theses/available/etd-04232004-131642

[33] R. SAn Introduction to Nonassociative AlgebrasDover 1996.

Algorithmen und weitere Anwendungen fur Lie-Gruppen und Lie-Algebren.

[34] W.A. GLie Algebras: Theory and AlgorithmsNorth Holland 2000.

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184 Literatur

[35] D. H, B. E, E. O’BHandbook of Computational Group TheoryChapman and Hall 2005.

[36] GAP manual,www-groups.dcs.st-and.ac.uk/∼gap/Doc/doc.html

[37] J.M. SLie Groups and Lie Algebras in Robotics, 2003,www.nato-us.org/algebra2003/papers/selig.pdf

Zur Geschichte der Lie-Theorie.

[38] T. HEmergence of the Theory of Lie GroupsSpringer 2000.

[39] The MacTutor History of Mathematics archive,www-history.mcs.st-andrews.ac.uk/index.html

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Index

B1(g, τ), 81, 85B2(g, τ), 83, 85H1(g, τ), 81, 85H2(g, τ), 83, 85Z1(g, τ), 81, 85Z2(g, τ), 82, 85Aut(g), 13der(g), 13End(g), 13GL, 8GL+n , 10H, 154H3, 21int(g), 77Lie, 19, 29O, 154SLn, 21SOn, 9Spinn, 28Sp, 22Vect(U), 15W, 96, 126C , 52d0, d1, d2, 84D, 94D , 52e2, 63ℓX, ℓg, 102F , 53b, 116gXλ, gλ, 103

gl(V), 13h3, 21, 53an, 95n+, n−, 95E2, 11On, 9on, 22, 93rad, 62rad, 71sln, 14, 53, 63, 93, 112spn, 22, 93Un, 22un, 22

abelsche Lie-Algebra, 12

abgeschlossen, 165absteigende Zentralreihe, 52acht Quadrate-Satz, 155adjungierte Darstellung, 15, 23, 28, 33, 81, 94Algebra, 153

alternativ, 153quadratische, 155

alternativ, 153alternierend, 11Annihilator, 54Anti-Automorphismus, 155Antiquark, 176Assoziator, 157Atlas, 168

vollstandig, 168auflosbar, 51

Cartan-Kriterium, 68auflosbares Radikal, 71Automorphismus, 156

Anti-, 155

Baker-Campbell-Hausdorff-FormelIntegraldarstellung, 36Reihendarstellung, 37

Baker-Campbell-Hausdorff-Umgebung, 40Baryonen, 176Basis, 132, 165BCH, 36, 37, 48

Umgebung, 40Borel-Unteralgebra, 116, 147

Cartan-Kriteriumauflosbar, 68halbeinfach, 70

Cartan-Matrix, 136Cartan-Unteralgebra, 95, 100, 104, 106Casimir-Operator, 85Cayley-Zahlen, 154charakteristische Funktionen, 101Coxeter-Graph, 143

Darstellung, 14, 45, 78adjungierte, 15irreduzibel, 94treu, 45

Derivation, 13, 74, 81, 85, 156außere, 74

185

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186 Index

innere, 77, 81, 85derivierte Reihe, 52diagonalisierbar, 98differenzierbar, 29, 169Dimension

Lie-Gruppe, 25Mannigfaltigkeit, 168

direkte Kinematik, 179direkte Summe, 68

Wurzelsystem, 143diskrete Topologie, 166Dixmier-Abschatzung, 91down-Quark, 174dualer Modul, 159Dynkin-Diagramm, 144

einfach, 13, 53Einparametergruppe, 17, 29

lokale, 46Eins-Korander, 81, 85Eins-Kozykel, 81, 85Elementarteilchen, 174Engelscher Satz, 60entarteter Zustand, 174erste Kohomologiegruppe, 81, 85erstes Whitehead-Lemma, 88Erweiterung, 74, 78

aquivalent, 79isomorph, 79spaltende, 79zentrale, 74

exakte Sequenz, 78Exponentialabbildung, 8, 16Exponentialfunktion, 8Exponentialkoordinaten, 25

Fahne, 53Annihilator, 54Stabilisator, 54Standard-, 54

Fluss, 46Formel

Baker-Campbell-Hausdorff (BCH), 36,37

Lie, 19

Galerie, 140GAP, 181Gebietstreue, 167Gewicht, 56, 98

verallgemeinertes, 99Gewichtsraum, 98

verallgemeinerter, 99Gewichtsvektor, 56glatt (siehe differenzierbar), 169Gruppe

Einparameter-, 17, 29Heisenberg-, 21klassische, 21Lie-, 10, 44Lorentz-, 22topologische, 7

halbeinfach, 69, 108Cartan-Kriterium, 70Charakteristik , 0, 72

halbeinfache Matrix, 17hausdorffsch, 165Heisenberg-Algebra, 53, 74Heisenberg-Gruppe, 21Homoomorphismus, 165Homomorphismus

Darstellung, 45Kern, 13von Lie-Algebren, 13, 27von Lie-Gruppen, 27, 44von topologischen Gruppen, 7

Hyperladung, 174

Ideal, 12invariant, 52

Imaginarteil, 154, 155induzierte Topologie, 165innere Automorphismen, 106innere Derivation, 77invariante Form, 62invariantes Ideal, 52inverse Kinematik, 179inverse Wurzeln, 125irreduzibel, 94, 143isomorph, 27, 126Isomorphismus

von Lie-Gruppen, 27von topologischen Gruppen, 7

Isospin, 174Iwasawa-Zerlegung, 10, 45

Jacobi-Identitat, 11Jordan-Produkt, 157Jordan-Zerlegung, 65, 108, 170

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Index 187

Karte, 168vertraglich, 168

Kern, 13invariante Form, 62unimodular, 61

Killing-Form, 61, 64, 109Klassifizierung

halbeinfach, komplex, 93klassische Gruppen, 21Kohomologiegruppe

erste, 81, 85zweite, 83, 85

Kommutator, 12Kommutatorideal, 14kompakt, 167kompakte reelle Form, 113Komplexifizierung, 73, 113Konfigurationsraum, 179Konjugation, 154, 155Koordinatenvektorfeld, 15Korander

1-, 81, 852-, 83, 85

Kozykel1-, 81, 852-, 82, 85

Kreisgruppe, 7, 28, 33kurze exakte Sequenz, 74, 78

spaltende, 79

Lemma von Schur, 111Leser

geneigter, 44Levi-Zerlegung, 90Lie-Ableitung, 16Lie-Algebra, 11, 19

abelsche, 12, 53auflosbar, 51Darstellung, 14der lineare Gruppe, 19derivierte Reihe, 52diagonalisierbar, 98direkte Summe, 68einfach, 13, 53halbeinfach, 69Homomorphismus, 13, 27irreduzibel, 94Klassifizierung, 93nilpotent, 52

Quotienten-, 13semidirekte Summe, 68Unter-, 12Zentralisator, 109Zentralreihe, 52Zentrum, 14

Lie-Gruppe, 10, 44auflosbar, 93Charakterisierung, 43Darstellung, 45Dimension, 25einfach, 93halbeinfach, 93Homomorphismus, 27, 44Isomorphismus, 27lineare, 10

Lie-Algebra einer, 19Untergruppe, 38Zentrum, 23

Lie-Gruppentopologie, 40Lie-Klammer, 11Lie-Produkt, 11Lie-Untergruppe, 38Liesche Formel, 19Liescher Satz, 58linksinvariant, 27, 47Logarithmus, 18lokalkompakt, 167Lorentz-Gruppe, 22

Mannigfaltigkeit, 25, 168differenzierbare, 168Produkt-, 169Unter-, 169

Mesonen, 177Metrik, 166metrischer Raum, 166Modul, 78

dualer, 159irreduzibel, 94

Morphismus, 7Mulitplett, 176

nilpotent, 52, 58Norm, 154, 155Normalisator, 14Normalreihe, 51Normalteiler, 48Nullraum, 103

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188 Index

offen, 165Abbildung, 165

Oktonionen, 154orthogonale Gruppe, 9, 21

Peirce-Zerlegung, 158primitives Element, 116Produktmannigfaltigkeit, 169Produkttopologie, 165

Quark, 174Anti-, 176

Quaternionen, 154Quotientenalgebra, 13Quotiententopologie, 167

Radikal, 62, 71auflosbares, 71

Randoperator, 84Rang, 102, 125Raum

topologischer, 165reduzibel, 143

vollstandig, 111reduziertes Wurzelsystem, 126reelle Form, 113

kompakte, 113zerallende, 113

reelle Struktur, 113regular, 102Roboterarm, 177

Satzacht Quadrate, 155Ado, 45Borel-Morozow, 148Cartan-Kriterium

auflosbar, 68halbeinfach, 70

Chasles, 178Engel, 60Gebietstreue, 167Jordan-Zerlegung, 170Levi-Zerlegung, 90Lie, 58Peirce-Zerlegung, 158Schursches Lemma, 111vier Quadrate, 154Weyl, 111, 114Whitehead-Lemma

erstes, 88zweites, 89

Schiebeoperatoren, 175Schnitt, 79Schursches Lemma, 111semidirekte Summe, 68, 79Sequenz

kurze exakte, 74, 78spaltende, 79

spaltende Sequenz, 79Spaltung, 79spezielle lineare Gruppe, 21spezielle orthogonale Gruppe, 9Sphare, 169Spiegelung, 125Spingruppe, 28Spur, 154, 155Spurform, 61Stabilisator, 54Standardfahne, 54starker Isospin, 174stetig, 165strange-Quark, 174Strukturkonstante, 12Summe

direkte, 68semidirekte, 68

symplektische Gruppe, 22

Tangentialraum, 26Teilraumtopologie, 165Topologie, 165

diskrete, 166induzierte, 165Lie-Gruppen-, 40Produkt-, 165Quotienten-, 167Teilraum-, 165

topologische Gruppe, 7topologischer Raum, 165Torus, 28, 39treue Darstellung, 45Trick

unitarer, 114

Umgebung, 165unimodular, 61unimodularer Kern, 61unitare Gruppe, 22unitarer Trick, 114

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Index 189

universelle Uberlagerung, 45Unteralgebra, 12Untergruppe, 38Untermannigfaltigkeit, 169unzerlegbar, 133up-Quark, 174

Vektorfeld, 15, 27Fluss, 46Koordinaten-, 15linksinvariant, 27, 47

verallgemeinerter Eigenraum, 103vertraglich, 168vier Quadrate-Satz, 154vollstandig reduzibel, 111

Wand, 140Weg, 166wegzusammenhangend, 166Wegzusammenhangskomponente der Eins,

8Weyl-Basis, 149Weyl-Gruppe, 96, 126, 138Weyl-Kammer, 140

benachbart, 140Galerie, 140Wand, 140

Weyl-Relationen, 149Weylscher Satz, 111, 114Whitehead-Lemma

erstes, 88zweites, 89

Wurzel, 95, 106, 125inverse, 125

Wurzelsystem, 125direkte Summe, 143irreduzibel, 143reduzibel, 143reduziertes, 126

Wurzelzerlegung, 106

zentrale Erweiterung, 74Zentralisator, 109Zentralreihe, 52Zentrum

Gruppe, 23Lie-Algebra, 14

zerfallende reelle Form, 113zusammenhangend, 166Zusammenhangskomponente der Eins, 8

Zustand, 174Zwei-Korander, 83, 85Zwei-Kozykel, 82, 85zweite Kohomologiegruppe, 83, 85zweites Whitehead-Lemma, 89