10
28 Der Zwischenkörperverband einer Galoiserweiterung * Übersicht 28.1 Norm und Spur .................................................... 325 28.2 Hinweise zur Ermittlung des Fixkörpers F (Δ) ......................... 326 28.3 Hinweise zur Ermittlung von Γ = Γ(L/K) ............................. 328 28.4 Beispiele .......................................................... 329 28.5 Die Galoisgruppe eines Polynoms ..................................... 330 Mit dem Hauptsatz der endlichen Galoistheorie ist die Aufgabe, den Zwischenkörper- verband einer endlichen Galoiserweiterung L/K zu bestimmen, auf die im Allgemeinen einfachere Aufgabe, den Untergruppenverband der Galoisgruppe Γ(L/K) zu bestim- men, zurückgeführt. Außerdem besagt der Hauptsatz, dass ein Zwischenkörper E von L/K genau dann galoissch über K ist, wenn die zugehörige Untergruppe E + = Γ(L/E) von Γ(L/K) ein Normalteiler von Γ(L/K) ist. Wir verdeutlichen in diesem Kapitel diese starken Aussagen der Galoistheorie an Bei- spielen. Norm und Spur von Galoiserweiterungen sind dabei nützliche Hilfsmittel. Voraussetzung. Es ist ein Körper K gegeben. 28.1 Norm und Spur Es sei L/K eine endliche Galoiserweiterung mit Galoisgruppe Γ := Γ(L/K). Für jedes a L heißen N L/K (a) := τ Γ τ (a) die Norm von a (bzgl. L/K) und Sp L/K (a) := τ Γ τ (a) die Spur von a (bzgl. L/K). Beispiel 28.1 Es gilt für jedes a C: N C/R (a)= a a = |a| 2 und Sp C/R (a)= a + a = 2 Re a. C. Karpfinger, K. Meyberg, Algebra, DOI 10.1007/978-3-8274-3012-0_29, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

Algebra || Der Zwischenkörperverband einer Galoiserweiterung

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Page 1: Algebra || Der Zwischenkörperverband einer Galoiserweiterung

28 Der Zwischenkörperverbandeiner Galoiserweiterung *

Übersicht28.1 Norm und Spur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325

28.2 Hinweise zur Ermittlung des Fixkörpers F(Δ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326

28.3 Hinweise zur Ermittlung von Γ = Γ(L/K) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328

28.4 Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329

28.5 Die Galoisgruppe eines Polynoms . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330

Mit dem Hauptsatz der endlichen Galoistheorie ist die Aufgabe, den Zwischenkörper-verband einer endlichen Galoiserweiterung L/K zu bestimmen, auf die im Allgemeineneinfachere Aufgabe, den Untergruppenverband der Galoisgruppe Γ(L/K) zu bestim-men, zurückgeführt. Außerdem besagt der Hauptsatz, dass ein Zwischenkörper E vonL/K genau dann galoissch überK ist, wenn die zugehörige UntergruppeE+ = Γ(L/E)

von Γ(L/K) ein Normalteiler von Γ(L/K) ist.Wir verdeutlichen in diesem Kapitel diese starken Aussagen der Galoistheorie an Bei-spielen. Norm und Spur von Galoiserweiterungen sind dabei nützliche Hilfsmittel.

Voraussetzung. Es ist ein Körper K gegeben.

28.1 Norm und Spur

Es sei L/K eine endliche Galoiserweiterung mit Galoisgruppe Γ := Γ(L/K). Für jedesa ∈ L heißen

NL/K(a) :=∏τ∈Γ

τ(a) die Norm von a (bzgl. L/K) und

SpL/K(a) :=∑τ∈Γ

τ(a) die Spur von a (bzgl. L/K).

Beispiel 28.1Es gilt für jedes a ∈ C: NC/R(a) = a a = |a|2 und SpC/R(a) = a+ a = 2 Re a.

C. Karpfinger, K. Meyberg, Algebra, DOI 10.1007/978-3-8274-3012-0_29,© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

Page 2: Algebra || Der Zwischenkörperverband einer Galoiserweiterung

326 28 Der Zwischenkörperverband einer Galoiserweiterung *

Lemma 28.1 (Rechenregeln für Norm und Spur)Für beliebige a, b ∈ L und s ∈ K gilt:

(a) NL/K(a) ∈ K, SpL/K(a) ∈ K;

(b) NL/K(a b) = NL/K(a)NL/K(b);

(c) SpL/K(a+ b) = SpL/K(a) + SpL/K(b), SpL/K(s a) = s SpL/K(a);

(d) NL/K(s) = s[L:K], SpL/K(s) = [L : K] s.

Beweis: (a) Für σ ∈ Γ gilt:

σ(NL/K(a)) = σ

(∏τ∈Γ

τ(a)

)=∏τ∈Γ

σ τ(a) = NL/K(a),

σ(SpL/K(a)) = σ

(∑τ∈Γ

τ(a)

)=∑τ∈Γ

σ τ(a) = SpL/K(a) ,

da mit τ auch σ τ die ganze Gruppe Γ durchläuft. Also sind Norm und Spur von a imFixkörper von Γ. Nun beachte man K = F(Γ), da L/K galoissch ist.(b) Für alle a, b ∈ L gilt NL/K(a b) =

∏τ∈Γ τ(a b) =

∏τ∈Γ τ(a)

∏τ∈Γ τ(b) =

NL/K(a)NL/K(b).(c) Den ersten Teil zeigt man analog zu (b). Es seien a ∈ L und s ∈ K. Dann gilt:SpL/K(s a) =

∑τ∈Γ τ(s a) =

∑τ∈Γ s τ(a) = s SpL/K(a), da τ(s) = s für jedes τ ∈ Γ.

(d) ist nach dem Beweis zu (c) klar.

Für jedes Δ ≤ Γ und E := F(Δ) ist L/E nach dem Hauptsatz 27.10 der endlichenGaloistheorie galoissch mit Galoisgruppe Δ, wir setzen:

SpΔ(a) := SpL/E(a) =∑τ∈Δ

τ(a) .

28.2 Hinweise zur Ermittlung des Fixkörpers F(Δ)

Wir geben Hinweise, wie man für eine gegebene Untergruppe Δ der GaloisgruppeΓ(L/K) den Fixkörper F(Δ) bestimmt.

28.2.1 Das Dedekind’sche Lemma

Wir begründen, dass verschiedene Monomorphismen von K in L linear unabhängigsind.

Satz 28.2 (Dedekind’sches Lemma)Es seien τ1, . . . , τn verschiedene Monomorphismen von K in einen Körper L. Sindc1, . . . , cn Elemente aus L mit

(∗) c1 τ1(x) + · · ·+ cn τn(x) = 0 für jedes x ∈ K ,

so gilt ci = 0 für i = 1, . . . , n.

Page 3: Algebra || Der Zwischenkörperverband einer Galoiserweiterung

28.2 Hinweise zur Ermittlung des Fixkörpers F(Δ) 327

Beweis: Wir zeigen die Behauptung durch vollständige Induktion nach der Anzahln der Monomorphismen. Der Induktionsbeginn mit n = 1 ist klar. Die Aussage sei fürk ≤ n − 1 Monomorphismen bewiesen. Es seien τ1, . . . , τn verschieden, und es gelte∑n

i=1 ci τi(x) = 0 für alle x ∈ K. Da τ1 = τn, gibt es ein a ∈ K mit τ1(a) = τn(a).Wegen

∑ni=1 ci τi(ax) = 0 und τi(ax) = τi(a) τi(x) für jedes i = 1, . . . , n gilt

0 =n∑

i=1

ci τi(a) τi(x) und 0 = τ1(a)

(n∑

i=1

ci τi(x)

).

Subtraktion liefertn∑

i=2

ci (τi(a)− τ1(a)) τi(x) = 0 .

Aus der Induktionsvoraussetzung folgt ci (τi(a) − τ1(a)) = 0 für alle i = 2, . . . , n,woraus wir cn = 0 wegen τ1(a) = τn(a) erhalten. Somit gilt

∑n−1i=1 ci τi(x) = 0 für alle

x ∈ K. Dies impliziert c1 = · · · = cn−1 = 0 nach der Induktionsvoraussetzung.

28.2.2 Die Methode mit der Spur

Mithilfe der Spur kann aus einem K-Erzeugendensystem von L ein solches von F(Δ)

bestimmt werden:

Lemma 28.3Es seien B ⊆ L ein Erzeugendensystem des K-Vektorraums L und Δ ∈ U(Γ). Dannist

SpΔ(B) = {SpΔ(b) | b ∈ B}

ein Erzeugendensystem des K-Vektorraums F(Δ).

Beweis: Nach dem Dedekind’schen Lemma 28.2 existiert ein v ∈ L mit SpΔ(v) = 0.Es sei c ∈ F(Δ) gegeben. Für d := c v

SpΔ(v) folgt mit den Regeln 28.1 (a), (c) für Normund Spur SpΔ(d) = c. Aus d =

∑ni=1 si bi mit si ∈ K und bi ∈ B resultiert daher

(beachte die Regel 28.1 (c)):

c = SpΔ(d) =

n∑i=1

si SpΔ(bi) .

Nun beachte SpΔ(bi) ∈ F(Δ) für alle i = 1, . . . , n (vgl. Regel 28.1 (a)).

Lemma 28.3 bietet eine Methode, wie man zu einer UntergruppeΔ einer Galoisgruppeden Fixkörper F(Δ) bestimmt. Bevor wir die Methode an einem Beispiel erproben,geben wir weitere Techniken an.

Page 4: Algebra || Der Zwischenkörperverband einer Galoiserweiterung

328 28 Der Zwischenkörperverband einer Galoiserweiterung *

28.2.3 Die Methode mit dem Gleichungssystem

Neben der Methode mit der Spur (vgl. Lemma 28.3) benutzt man auch die folgen-de Methode, um den Fixkörper F(Δ) einer Untergruppe Δ der Galoisgruppe Γ zuermitteln:

Bestimme eine K-Basis {a1, . . . , an} von L (vgl. Lemma 21.1 (b)).

Für τ = Id aus Δ und c =n∑

i=1

ki ai ∈ L mit ki ∈ K gilt:

c ∈ F(Δ) ⇔n∑

i=1

ki τ(ai) = τ(c) = c =

n∑i=1

ki ai .

Aus diesem linearen Gleichungssystem mit |Δ \ {Id}| Gleichungen für die n Koeffi-zienten ki ermittle F(Δ).

Ein Beispiel folgt auf Seite 331.

28.3 Hinweise zur Ermittlung von Γ = Γ(L/K)

Bei den bisherigen Beispielen war es stets einfach, die Galoisgruppe einer endlichenGaloiserweiterung L/K zu bestimmen. Das lag vor allem daran, dass der Körpergrad[L : K] = |Γ(L/K)| klein war. Aber die Anzahl der Isomorphietypen von Gruppenwächst rasant mit der Ordnung der Gruppe. Man sollte daher dankbar jeden Hinweiszur Ermittlung der Galoisgruppe annehmen.

28.3.1 Der Fall L = K(a1, . . . , ak)

Im Allgemeinen ist L in der Form L = K(a1, . . . , ak) gegeben. Eine Methode zurErmittlung der K-Automorphismen von L geht wie folgt:

Man bestimme die Minimalpolynome ma1, K , . . . , mak, K und die Wurzeln

w11, . . . , w1r1 von ma1, K , . . . , wk1, . . . , wkrkvon mak, K in L .

Nach Lemma 27.1 (c) ist jedes τ ∈ Γ durch τ(a1), . . . , τ(ak) festgelegt; und nachLemma 27.1 (d) gilt τ(ai) = wir(i) für ein r(i) ∈ {1, . . . , ri}.

Dieser zweite Teil besagt, dass ein K-Automorphismus von L die Wurzeln eines Mini-malpolynoms auf eine Wurzel desselben Minimalpolynoms abbildet: Die Wurzeln derverschiedenen Polynome werden nicht vermischt.

Vorsicht. Im Allgemeinen gibt es nicht zu jeder Wahl von r(i) ∈ {1, . . . , ri}, i =

1, . . . , k, ein τ ∈ Γ mit τ(ai) = wi r(i) für alle i.

28.3.2 Der Fall L = K(a)

Im Fall k = 1, d. h. L = K(a), ist Γ nach Korollar 21.3 bekannt, sofern die Wurzelnw1, . . . , wn von ma,K bekannt sind: Es gilt Γ = {τ1, . . . , τn}, wobei τi(a) = wi.

Page 5: Algebra || Der Zwischenkörperverband einer Galoiserweiterung

28.4 Beispiele 329

28.4 BeispieleBeispiel 28.2Es sei K := Q und L = Q( 3

√2, ε)mit ε := e

2π i3 ∈ C, ε3 = 1. Da P = X3−2 die Wurzeln

a := 3√2, a ε, a ε2 ∈ C hat, ist L Zerfällungskörper von P , und P ist irreduzibel in Q[X].

Es folgt [Q(a) : Q] = 3, sodass wegen ε ∈ Q(a) und ε2 + ε+ 1 = 0 nach dem Gradsatz[L : Q] = 6 gilt. Da L/Q endlich, normal und separabel ist, ist L/Q galoissch, also|Γ| = 6 für Γ := Γ(L/Q) nach dem Hauptsatz 27.10 der endlichen Galoistheorie. DieGruppen der Ordnung 6 sind nach Lemma 8.7 bekannt: Es gilt Γ ∼= Z6 oder Γ ∼= S3.Infolge Q(a) = Q(ε a) hat Γ mindestens 2 Untergruppen der Ordnung 2 (beachte denHauptsatz 27.10). Da zyklische Gruppen zu jedem Teiler der Gruppenordnung nur eineUntergruppe haben (beachte Lemma 5.2), folgt Γ ∼= S3.Für τ ∈ Γ gilt τ(a) ∈ {a, a ε, a ε2} und τ(ε) ∈ {ε, ε2} (die Wurzeln werden nichtvermischt), sodass nach Lemma 27.1 (c) die Elemente aus Γ durch

τ1 τ2 τ3 τ4 τ5 τ6

a → a a a ε a ε a ε2 a ε2

ε → ε ε2 ε ε2 ε ε2

gegeben sind. Es gilt τ1 = Id, τ22 = Id, τ2

4 = Id, τ26 = Id, τ2

3 = τ5, τ33 = Id.

Daher hat der Untergruppenverband U(Γ) die links in der folgenden Skizze dargestell-te Form (vgl. auch das Beispiel 3.7 auf Seite 39). Rechts in der Skizze ist bereits derZwischenkörperverband dargestellt, wir bestimmen nun im Folgenden diese Zwischen-körper.

Γ

〈τ3〉〈τ2〉 〈τ4〉 〈τ6〉

{Id}

Q

Q(ε)

Q(a) Q(aε2) Q(a ε)

L

2

33

3

3 22

2

2

33

3

3 22

2

Wegen τ2(a) = a, a+ τ4(a) = a + a ε = −a ε2, a + τ6(a) = a+ a ε2 = −a ε, τ3(ε) = ε

folgt:

F(〈τ2〉) = Q(a) , F(〈τ4〉) = Q(a ε2) , F(〈τ6〉) = Q(a ε) , F(〈τ3〉) = Q(ε) .

Es gilt 〈τi〉 � Γ für i = 2, 4, 6, sodass Q(a)/Q, Q(a ε)/Q, Q(a2 ε)/Q nicht galoisschsind. Es gilt 〈τ3〉 � Γ, d. h., Q(ε)/Q ist galoissch.

Page 6: Algebra || Der Zwischenkörperverband einer Galoiserweiterung

330 28 Der Zwischenkörperverband einer Galoiserweiterung *

Beispiel 28.3Wir bestimmen den Zwischenkörperverband des Zerfällungskörpers L des PolynomsP = (X2 + 1) (X2 − 2) (X2 − 3) ∈ Q[X] über Q. Wegen Γ(L/Q) ∼= Z2 × Z2 × Z2 gibtes genauso viele nichttriviale Zwischenkörper von L/Q wie der dreidimensionale Z2-Vektorraum Z3

2 ein- und zweidimensionale Untervektorräume hat, nämlich je sieben.Wegen L = Q(i,

√2,√3) sind die quadratischen unter ihnen Q(i), Q(

√2), Q(

√3),

Q(i√2), Q(i

√3), Q(

√6), Q(i

√6). Offenbar sind diese Körper paarweise verschieden.

Die sieben biquadratischen Zwischenkörper sind Komposita von je einem Dreierpackquadratischer Zwischenkörper, denn ihre Galoisgruppen sind Durchschnitt von jeweilsdrei Untergruppen der Ordnung 4. Damit erhalten wir den Zwischenkörperverband:

L

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��

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Q(i,√2)

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������Q(

√2,√3)

����

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�Q(

√3, i

√2)

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������Q(i

√2,√6)

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Q(i,√6)

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Q(√2, i

√3)

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Q(i,√3)

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������

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Q(i) Q(√2) Q(

√3) Q(i

√2) Q(

√6) Q(i

√6) Q(i

√3)

Q

����������������������������������

�������������������������

����������������

����������������

�����������������������

�������������������������������

28.5 Die Galoisgruppe eines Polynoms

Es sei L ein Zerfällungskörper eines Polynoms P ∈ K[X] \ {0} über K. Dann heißtΓK(P ) := Γ(L/K) die Galoisgruppe von P oder der Gleichung P (X) = 0 überK. Da ein Zerfällungskörper nach dem Ergebnis 24.9 von Steinitz bis auf Isomorphieeindeutig bestimmt ist und isomorphe Galoiserweiterungen auch isomorphe Galois-gruppen haben (vgl. Lemma 27.6), ist ΓK(P ) bis auf Isomorphie eindeutig bestimmt.Für τ ∈ ΓK(P ) gilt: Aus P (a) = 0 folgt 0 = τ(P (a)) = P (τ(a)) (vgl. Lemma 27.1

Page 7: Algebra || Der Zwischenkörperverband einer Galoiserweiterung

28.5 Die Galoisgruppe eines Polynoms 331

(d)), d. h., mit a ist auch τ(a) eine Wurzel von P . Folglich ist die Einschränkung vonτ auf die Wurzelmenge W von P eine Permutation von W , τ |W ∈ SW .

Lemma 28.4Es seien P ein Polynom aus K[X] \K, L ein Zerfällungskörper von P über K und W

die Menge der Wurzeln von P in L. Dann gilt:

(a) Die Abbildung

ϕ :

⎧⎨⎩ ΓK(P ) → SW

τ �→ τ |W

ist ein (Gruppen-)Monomorphismus.

(b) Wenn P irreduzibel ist, operiert ΓK(P ) transitiv auf W , d. h.: Zu beliebigena, b ∈ W existiert ein τ ∈ ΓK(P ) mit τ(a) = b.

(c) |ΓK(P )| | |W | !, d. h., die Gruppenordnung |ΓK(P )| ist ein Teiler von |W |!.

Beweis: (a) Nach obiger Überlegung ist τ |W für jedes τ ∈ Γ := ΓK(P ) ein Elementaus SW , sodass ϕ ein Homomorphismus von Γ in SW ist. Wegen L = K(W ) folgt dieInjektivität von ϕ aus Lemma 27.1 (c).(b) Zu a, b ∈ W existiert nach Korollar 21.3 ein K-Monomorphismus τ : K(a) → K(b)

mit τ(a) = b. Und τ kann nach dem Fortsetzungssatz 24.12 zu einem Monomorphismusτ̃ auf L fortgesetzt werden. Nach der Kennzeichnung (2) normaler Erweiterungen imSatz 24.13 ist τ̃ ein Element aus Γ.(c) Nach (a) ist ΓK(P ) zu einer Untergruppe von SW isomorph. Die Behauptung folgtdaher aus dem Satz 3.9 von Lagrange.

Bemerkung. E. Galois betrachtete ΓK(P ) als Permutationsgruppe, d. h. ϕ(ΓK(P )) =

{τ |W | τ ∈ ΓK(P )}. Den Übergang zu ΓK(P ) nahm R. Dedekind vor. Die moderneGaloistheorie ist also eine auf dem Automorphismenbegriff aufbauende Formulierungder alten Theorie.

Beispiel 28.4Es sei L der Zerfällungskörper von P = X4−2 über Q. Wir bestimmen Γ := ΓK(P ) =

Γ(L/Q) und alle Zwischenkörper von L/Q.Die Wurzeln von X4 − 2 sind a := 4

√2 , −a , i a , − i a, sodass L = Q(a, i). Da X4 − 2

irreduzibel über Q ist, haben wir [Q(a) : Q] = 4, und wegen i ∈ Q(a) gilt dann[L : Q] = [L : Q(a)] [Q(a) : Q] = 2 · 4 = 8.Für jedes τ ∈ Γ gilt

τ(a) ∈ {a, −a, i a, − i a} und τ(i) ∈ {i, − i}

(die Wurzeln werden nicht vermischt), und das liefert acht Möglichkeiten für τ . Wegen|Γ| = 8 führen diese acht Kombinationen zu den acht Elementen von Γ:

Page 8: Algebra || Der Zwischenkörperverband einer Galoiserweiterung

332 28 Der Zwischenkörperverband einer Galoiserweiterung *

τ1 τ2 τ3 τ4 τ5 τ6 τ7 τ8

a → a −a i a − i a a −a i a − i a

i → i i i i − i − i − i − i

Es seien α, β ∈ Γ gegeben durch

α(a) = a , α(i) = − i und β(a) = i a , β(i) = i .

Es folgt α2(a) = a, α2(i) = i, also α2 = Id. Und für β gilt: β2(a) = a i i = −a, alsoβ3(a) = −a i, folglich β4(a) = a sowie βk(i) = i. Hieraus folgt β2 = Id, β4 = Id.Das zeigt o(α) = 2, o(β) = 4; und α ∈ 〈β〉, sodass Γ = 〈α, β〉 = 〈β〉 ∪ α 〈β〉.Nun gilt αβ α−1(a) = αβ(a) = α(a i) = −a i, αβ α−1(i) = αβ(− i) = α(− i) = i,sodass αβ α−1 = β3 = β−1. Folglich ist die Galoisgruppe Γ zur Diedergruppe D4

isomorph, Γ ∼= D4 (vgl. Abschnitt 3.1.5).Die Elemente der Ordnung 2 sind α, β2, β α, β2 α, β3 α. Die Untergruppen der Ord-nung 4 sind 〈β〉, 〈β2, α〉, 〈β2, β α〉. Damit ergibt sich das in der folgenden Skizze linksdargestellte Untergruppendiagramm – die nichtinvarianten Untergruppen (keine Nor-malteiler) sind mit einem Stern versehen. Wir geben rechts den zugehörigen Zwischen-körperverband an, wobei wir im Folgenden diese Zwischenkörper noch bestimmen wer-den:

Γ = 〈β, α〉

〈β2, α〉 〈β〉 〈β2, βα〉

〈β2α〉∗ 〈α〉∗ 〈β2〉 〈βα〉∗ 〈β3α〉∗

{Id}

Q

Q(a2) Q(i) Q(i a2)

Q(i a)∗ Q(a)∗ Q(a2, i) Q((1+i)a)∗ Q((1−i)a)∗

L

Die Zwischenkörper von L/Q sind die Fixkörper der aufgezählten Untergruppen. Einigekann man erraten (a := 4

√2, a2 =

√2):

L, Q, Q(a), Q(i a), Q(i), Q(a2), Q(i a2), Q(a2, i)

mit [Q(a) : Q] = [Q(i a) : Q] = [Q(a2, i) : Q] = 4 und [Q(i) : Q] = [Q(a2) : Q] =[Q(i a2) : Q] = 2. Nun gilt α(a) = a, β2(a2) = a2, β2(i) = i, β2 α(i a) = i a, sodass

F(〈α〉) = Q(a) , F(〈β2〉) = Q(a2, i) , F(〈β2 α〉) = Q(i a) ;

und β(i) = i, β2(a2) = a2, α(a2) = a2, β2(i a2) = i a2, β α(i a2) = i a2, sodass

F(〈β〉) = Q(i) , F(〈β2, α〉) = Q(a2) , F(〈β2, β α〉) = Q(i a2) .

Page 9: Algebra || Der Zwischenkörperverband einer Galoiserweiterung

28.5 Die Galoisgruppe eines Polynoms 333

Es fehlen uns F(〈β α〉) und F(〈β3 α〉). Wir bestimmen F(〈β α〉) mit der Methode ausLemma 28.3: Eine Basis des K-Vektorraums L ist {1, a, a2, a3, i, i a, i a2, i a3}. FürΔ := {Id, β α} folgt:

a 1 a a2 a3 i i a i a2 i a3

SpΔ(a) 2 (1 + i) a 0 (1− i) a3 0 (1 + i) a 2 i a2 (i−1) a3

Wegen ((1 + i) a)2 = 2 i a2 und ((1 + i) a)3 = 2 (i−1) a3 folgt F(〈β α〉) = Q((1 + i) a).Wir bestimmen nun F(〈β3 α〉) mit der Methode aus Abschnitt 28.2.3: Für

c = λ1 + λ2 a+ λ3 a2 + λ4 a

3 + λ5 i +λ6 i a+ λ7 i a2 + λ8 i a3

giltβ3 α(c) = λ1 − λ2 i a− λ3 a

2 + λ4 a3 − λ5 i−λ6 a+ λ7 i a2 + λ8 a

3 .

Daher ist c ∈ F(〈β3 α〉) mit

λ1 = λ1, −λ6 = λ2, −λ3 = λ3, λ7 = λ4, −λ5 = λ5, −λ2 = λ6, λ7 = λ7, λ4 = λ8 ,

d. h. mit λ3 = λ5 = 0, λ6 = −λ2, λ8 = λ4, gleichwertig, d. h.

c = λ1 + λ2 (1− i) a+ λ4 (1 + i) a3 + λ7 i a2 .

Wegen ((1− i) a)2 = −2 i a2 und ((1− i) a)3 = −2 (1 + i) a3 folgt F(〈β3 α〉) = Q((1−i) a).Damit erhält man den oben dargestellten Zwischenkörperverband – die mit einemStern versehenen Körpererweiterungen sind nicht galoissch über Q.

28.5.1 Polynome mit zu Sn isomorpher Galoisgruppe

Zum Abschluss dieses Kapitels zeigen wir, wie man oftmals leicht entscheiden kann,dass die Galoisgruppe eines Polynoms von Primzahlgrad p maximal ist, nämlich zursymmetrischen Gruppe Sp isomorph ist.

Lemma 28.5Das Polynom P ∈ Q[X] sei irreduzibel und habe Primzahlgrad p. Wenn P genau zweinichtreelle Wurzeln in C hat, dann gilt ΓQ(P ) ∼= Sp.

Beweis: Das Polynom P hat genau p verschiedene Wurzeln w1, . . . , wp ∈ C (beachteden Fundamentalsatz der Algebra 27.15 und Lemma 25.1 (c)). Dabei gelte w1, w2 ∈ R.Der Zerfällungskörper L = Q(w1, . . . , wp) von P ist galoissch über Q mit GaloisgruppeΓ := Γ(L/Q). Für jedes τ ∈ Γ wird wegen Lemma 27.1 (d) durch τ(wi) = wτ̃(i) einElement τ̃ ∈ Sp gegeben. Die Restriktion ε von C → C, z �→ z auf L liegt wegender Normalität von L über K in Γ (vgl. den Satz 24.13 zur Kennzeichnung normaler

Page 10: Algebra || Der Zwischenkörperverband einer Galoiserweiterung

334 28 Der Zwischenkörperverband einer Galoiserweiterung *

Erweiterungen), und es gilt ε̃ = (1 2), weil w1 = w2 und wi = wi für jedes i ≥ 3.Ferner gilt [L : Q] = [L : Q(w1)] [Q(w1) : Q] = [L : Q(w1)] p, sodass Γ nach dem Satz8.2 von Cauchy ein Element δ der Ordnung p besitzt. Da die Abbildung Γ → Sp, τ �→ τ̃

offenbar ein Monomorphismus ist, ist δ̃ ein p -Zyklus, also von der Form (1 k2 . . . kp).Der Beweis ist daher mit der Begründung der folgenden Aussage abgeschlossen:

Sp wird von (1 2) und δ̃ erzeugt.

O.E. sei p = 2. Es existiert k ∈ N0 mit π := δ̃k = (1 2 l3 . . . lp) mit li ∈ {3, . . . , p}.Mit l1 := 1, l2 := 2 und Lemma 9.1 (d) folgt

πr (1 2)π−r = (πr(1)πr(2)) = (lr+1 lr+2) für r = 1, . . . , p− 2 ,

sodass (lj lj+1) ∈ G := 〈(1 2), δ̃〉 für j = 1, . . . , p− 1. Es gilt (lj lj+1) (li lj) (lj lj+1) =

(li lj+1) für i < j ≤ n− 1, sodass G alle Transpositionen enthält. Wegen Korollar 9.5ist damit die Behauptung bewiesen.

Beispiel 28.5Das schon mehrfach betrachtete Polynom P := X3−2 ∈ Q[X] ist nach dem Eisenstein-Kriterium mit p = 2 irreduzibel und hat Primzahlgrad. Da P genau zwei nichtreelleWurzeln in C hat, gilt ΓQ(P ) ∼= S3.

Aufgaben

28.1 Es sei K ein Körper mit q Elementen, und K(X) sei der Körper der rationalen Funk-tionen in X über K. Ferner sei Γ die Gruppe der Automorphismen von K(X), die aus

den Abbildungen σ : R �→ R(

a X+bc X+d

), a, b, c, d ∈ K, a d− b c �= 0 besteht.

(a) Zeigen Sie, dass Γ die Galoisgruppe von K(X)/K ist.

(b) Man zeige |Γ| = q3 − q.

(c) Es seien R = {X �→ aX | a ∈ K×}, T = {X �→ X + b | b ∈ K}, A = {X �→aX + b |a ∈ K×, b ∈ K}, S =

⟨X �→ −1/(X + 1)

⟩. Bestimmen Sie jeweils den

Fixkörper von R, T , A, S und Γ.

28.2 Man bestimme die Galoisgruppe des Polynoms P = X3 − 10 über

(a) Q , (b) Q(i√3).

28.3 Man bestimme die Galoisgruppe von P = X4 − 5 über

(a) Q , (b) Q(√5) , (c) Q(

√−5) , (d) Q(i) .

28.4 Man bestimme für n ∈ N die Galoisgruppe von Xn − t über C(t).

28.5 Man bestimme die Galoisgruppen von P = (X2−5) (X2−20) und Q = (X2−2) (X2−5) (X3 −X + 1) über Q.

28.6 Es sei P ein irreduzibles Polynom aus Q[X] mit abelscher Galoisgruppe ΓQ(P ). Manzeige: |ΓQ(P )| = degP .