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ESOTERIK „Lichtnahrung": ein gefährliches Ange- bot auf dem esoterischen Psychomarkt. Die Befreiung von den lustvollen, aber auch belastenden und immer wiederkeh- renden körperlichen Grundbedürfnissen bis hin zu dem Ziel der Unsterblichkeit ist seit jeher eine menschliche Wunsch- vorstellung. Der Geist als Herrscher über den sterblichen und bedürftigen Körper- dieses Idealbild hat die westliche Kultur und ihr Denken maßgeblich geprägt. Unter den Angeboten der spirituellen Heilerszene und auf dem esoterischen Psychomarkt der deutschsprachigen Län- der zieht seit kurzem eine attraktive junge Frau die Aufmerksamkeit auf sich. Mit ihrer provozierenden Aussage, jeder könne frei wählen, sich von „Prana" („kosmische Lebensenergie") oder von 186 MATERIALDIENST DER EZW 6/99

„Lichtnahrung: ein gefährliches Ange- bot auf dem esoterischen Psychomarkt. · 2020. 7. 15. · ihrem Pseudonym Jasmuheen seit zwei Jahren in Deutschland „Askese total": in-nerhalb

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Page 1: „Lichtnahrung: ein gefährliches Ange- bot auf dem esoterischen Psychomarkt. · 2020. 7. 15. · ihrem Pseudonym Jasmuheen seit zwei Jahren in Deutschland „Askese total": in-nerhalb

ESOTERIK

„Lichtnahrung": ein gefährliches Ange-bot auf dem esoterischen Psychomarkt. Die Befreiung von den lustvollen, aber auch belastenden und immer wiederkeh-renden körperlichen Grundbedürfnissen bis hin zu dem Ziel der Unsterblichkeit ist seit jeher eine menschliche Wunsch-vorstellung. Der Geist als Herrscher über den sterblichen und bedürftigen Körper-dieses Idealbild hat die westliche Kultur und ihr Denken maßgeblich geprägt. Unter den Angeboten der spirituellen Heilerszene und auf dem esoterischen Psychomarkt der deutschsprachigen Län-der zieht seit kurzem eine attraktive junge Frau die Aufmerksamkeit auf sich. Mit ihrer provozierenden Aussage, jeder könne frei wählen, sich von „Prana" („kosmische Lebensenergie") oder von

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herkömmlicher Nahrung zu ernähren, hat sie zahlreiche Sinnsucher und Aske-ten um sich gesammelt. Die 42jährige Australierin Ellen Greve, Mutter zweier Töchter, propagiert unter ihrem Pseudonym Jasmuheen seit zwei Jahren in Deutschland „Askese total": in-nerhalb von drei Wochen könne die Fähigkeit zu dauerhafter Nahrungslosig-keit erlernt und „spirituelle Meister-schaft" mit „physischer Unsterblichkeit" verbunden werden. Nach eigenen Anga-ben ißt und trinkt Frau Greve seit 1993 nicht mehr und lebe ausschließlich von „Licht". Nur aus „sozialen Gründen" trinke sie gelegentlich eine Tasse Tee oder nasche „etwas Schokolade". Nachdem 1997 ihr Erstlingswerk ins Deutsche übersetzt wurde („Lichtnah-rung. Die Nahrungsquelle für das kom-mende Jahrtausend") und offensichtlich einen guten Absatz fand, sind in diesem Frühjahr zwei weitere Bücher und drei Meditations-CDs erschienen. Das Buch „Lichtnahrung" beinhaltet ei-nen genauen Verlaufsplan der drei-wöchigen Fastenkur, die sich durch ihre Radikalität von anderen Angeboten un-terscheidet: Kategorisch wird gefordert, in den ersten sieben Tagen sowohl auf feste Nahrung als auch auf Flüssigkeit gänzlich zu verzichten. Das sei die Vor-aussetzung dafür, daß die „himmlische Bruderschaft der Aufgestiegenen Mei-ster" das Körpersystem so verändere, daß man sich künftig direkt von kosmischer Energie ernähren könne. Danach könne man schluckweise Wasser oder stark ver-dünnte Säfte zu sich nehmen. Die Auf-nahme der „kosmischen Lichtnahrung" erfolge natürlicherweise über die At-mung. Bei einer hinreichenden Reini-gung der „Chakren" und feinstofflichen Energiebahnen, so stellt Frau Greve in Aussicht, vermöge der Mensch sich in ei-nem derartigen Ausmaß an „Prana" zu

laben, daß jede weitere Nahrungsauf-nahme eine bloße Beschwernis sei. Der Radikalentzug von fester Nahrung und Wasser gleich zu Beginn helfe dem Geist, keine Kompromisse einzugehen und den Körper zu besiegen. Das Ziel des dreiwöchigen Prozesses be-steht in der kompletten Stillegung des Verdauungstraktes. Solange der Mensch esse und trinke, bleibe er mit seinem Denken und Empfinden im Körper ver-haftet. Die göttlichen Kräfte würden be-hindert, das menschliche Bewußtsein sei nicht auf Empfang eingestellt. Erst bei hinreichend gereinigtem Leib begännen die Energien zu fließen und die Durch-sagen „Aufgestiegener Meister" einzu-strömen. Das gelte es zu verwirklichen, bis zu dem höchsten Ziel, selber ein sol-cher Meister zu werden. An dieser Stelle werden Parallelen zu Helena Blavatsky, der Begründerin der Theosophie, deutlich. In Trance hat sie angeblich mit spirituellen Meistern ver-kehrt und bekam von ihnen ihre umfang-reichen Werke „diktiert", durch die bis heute spekulative okkulte Weisheiten verbreitet werden. Mehrere tausend Menschen sollen nach Angaben des Verlages, der auch Kon-takte zu erfolgreichen Absolventen des Prozesses vermittelt, im deutschsprachi-gen Raum diesen Einführungskurs bis-lang mitgemacht haben. Dennoch seien die meisten Teilnehmer nach eigenen Angaben nach dem 21-Tage-Prozeß zur Umstellung auf „Prana-Ernährung" wie-der zu den alten Eßgewohnheiten zu-rückgekehrt. Aus medizinisch-psychologischer Sicht ist die Nahrungsverweigerung gefährlich und ethisch verantwortungslos. Eine Trinkmenge von wenigstens einem Liter pro Tag gilt in der medizinischen Fasten-literatur als Minimum, um Giftstoffe aus dem Körper zu schwemmen. Die Gefah-

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ren für eine Körperschädigung sind bei diesem radikalen Vorgehen hoch, weii nach medizinischen Kriterien bereits nach drei Tagen des Nichttrinkens Nie-renversagen droht. Diesbezüglich si-chern sich die Autorin und der Verlag ab, wenn sie in dem Anleitungskapitel schreiben: „Wir übernehmen keinerlei medizinische Verantwortung und liefern auch keine Ratschläge zu Gesundheits-fragen." In offenem Widerspruch dazu steht bereits auf der übernächsten Seite des Textes: „Möglicherweise fordern dich dein Geist und Körper auf, schnell zum Arzt zu gehen. Wenn du diesem angstbegründeten Drama erliegst, wür-dest du das Wunder und die Größe dei-nes Wesens sowie die Fähigkeit, dich selbst durch Gottes Energie zu heilen, verneinen... Sei dein eigener Arzt." Der natürliche Rhythmus von Hunger und Sättigung soll durchbrochen werden. Ein menschliches Grundbedürfnis wird in Frage gestellt, und eine Quelle des Ge-nießens und der Entspannung soll abge-schafft werden. Kürzlich wurde ein erster Todesfall in Australien infolge dieser Fastenideologie bekannt. Während der dreiwöchigen Fa-stenzeit starb eine Frau an Nierenversa-gen. Ihr Fasten und „Transformationspro-zeß" wurde von einem ortsansässigen spirituellen Heiler begleitet, der sich nun wegen unterlassener Hilfeleistung juri-stisch verantworten muß. Die Stellung-nahme von Frau Greve dazu: „Der Tod eines Menschen steht von vornherein fest und ist vorhergesehen. Es war somit das Karma der Verstorbenen und ihres Be-gleiters. Außerdem ist ein Toter unter den zahllosen erfolgreichen Absolventen zu verschmerzen, gemessen an der Chance, den Welthunger zu beenden" (esotera 4/99, S. 14). Die utopischen Versprechen von Frau Greve sind nicht nur körperlich gefähr-

lich, sondern auch sozial und ethisch be-denklich. Von den sozialen Gegebenhei-ten ganz abgesehen, ist ihr Motto „Jeder kann auf Erden im Himmel leben - es ist seine Wahl", auch aus psychologischer Sicht schlicht falsch. Als Mensch muß ich mit den Widersprüchlichkeiten des Alltags leben lernen, muß Kompromisse schließen und auch mit Enttäuschungen, Leid und unerreichbaren Wünschen um-gehen können. Faktoren wie Herkunfts-familie, soziales Mil ieu, Bildung, Ge-sundheitszustand etc. prägen die Persön-lichkeitsentwicklung eines Menschen. Frau Greves Vorschläge zu mentalen Veränderungsstrategien entbehren nicht nur jeder physiologischen, sondern auch psychologischen Grundlage und ent-sprechen einem naiven positiven Den-ken. Auch das christliche Weltverständnis, das die Körpergebundenheit nicht ver-leugnet, anerkennt Erfahrungen und Be-richte, nach denen stark religiöse oder spirituelle Menschen in der Lage waren, extreme Fastenperioden gesund zu über-stehen und diese als Bereicherung zu er-leben. Die von Frau Greve vertretene esoterische Ideologie mit ihrem utopi-schen Menschenbild an die breite Öf-fentlichkeit zu richten und in Massenver-anstaltungen zu vermarkten, ist aller-dings unverantwortlich. Ob wirklich die Suche nach einer esote-rischen Weltdeutung und Lebensführung Grundmotiv für Frau Greves Aktivitäten darstellt, muß bezweifelt werden, wie die folgenden Ausführungen über den Nutzen von „Lichtnahrung" deutlich ma-chen: „Das Geld, das man für Essen spart, kann man für Klamotten ausgeben. Das wird besonders Frauen Spaß ma-chen. - Großartiger Zeitgewinn, da sich das Schlafbedürfnis halbiert oder gar nicht mehr existiert. - Großartiger Zeit-gewinn, da man weder Lebensmittel ein-

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kaufen noch kochen oder die Küche put-zen muß." Das Programm soll auch zur Beseitigung des Welthungers dienen. Da Frau Greves Ansatz jedoch an jeglicher politischen Realität vorbeigeht und keine histori-schen Tatsachen zur Kenntnis nimmt, muß ihre Fastenideologie als weltfremd, ja zynisch erscheinen. Aus verschiedenen Beratungsgesprächen wurde die Konflikthaftigkeit dies r Selbsterlösungsmethode deutlich. Men-schen, die den Prozeß absolvieren, iso-lieren sich sozial, geben ihre alltäglichen Beschäftigungen auf und sind fixiert auf das Ziel, selber zu spirituellen Meistern zu werden. Dies wirkt sich in der Regel schädigend auf die freundschaftlichen und familiären Bezüge sowie auf den Be-rufsalltag aus. Der Bericht eines Absol-venten des Prozesses, der im Internet glaubhaft seine Erfahrungen mit 16 Wochen (!) Prana-Ernährung schildert (http.//welcome.to/licht), bietet (neben ausführlichen Beschreibungen der Darm-reaktionen auf derart unnatürliches Ver-halten) als ein mögliches Motiv die All-machtsphantasie über den eigenen Kör-per und die eigene Sterblichkeit an.

Michael Utsch

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