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I n einigen Gleitschirmhandbüchern fin- den sich immer noch solche oder ähn- liche Aussagen zur Bremseinstellung: „der Pilot kann die Länge der Steuerlei- nen auf seine besonderen Bedürfnisse einstellen. Dabei sollte er die Steuerleinen nur in kleinen Schritten von ca. 5cm anpas- sen….“. Das Handbuch deines neuen Gleit- schirmes aufmerksam zu lesen kann wichtig sein, wenn es aktuell ist. Ist es aber eine Ko- pie von der Kopie von der Kopie aus den 80er Jahren, so ist es besser, es in manchen Punk- ten nicht zu wörtlich zu nehmen. Unsere Gleitschirme haben sich in den letzten 20 Jahren erheblich weiterentwickelt, die Hand- bücher dazu leider oft nicht! Immer wieder tauchen in den Nachprüfbetrieben Schirme auf, bei denen die Länge der Steuerleinen teils massiv vom Wert des geprüften Musters abweicht. Meist kürzer, manchmal auch län- ger als der Sollwert. Da Abweichungen in der Steuerleineneinstellung zu verschiedenen Nachteilen und Problemen führen können, sollen hier ein paar Denkanstöße geliefert werden, damit du als Pilot künftig sensibler mit dem Thema Steuerleineneinstellung um- gehst und nicht an einem neuen Knoten an der Bremsstammleine, sondern lieber an dei- ner Bremsgriffhaltung und deiner Flugtech- nik arbeitest. Zu kurze Steuerleinen Ursachen 1. An deinem Gleitschirm wurde nichts verstellt, aber die meist aus Dyneema gefer- tigten und nicht sehr stark belasteten Steu- erleinen schrumpfen oft deutlich stärker als die restliche Beleinung des Gleitschirms. Da- durch werden sie relativ zu den Fangleinen zu kurz. Es kommt also häufig vor, dass der Knoten nie verändert wurde und genau an der markierten Stelle sitzt, und die Steuer- leine dennoch deutlich zu kurz ist. Abwei- chungen bis zu 5cm sind hier keine Seltenheit. Wie du das Vorhandensein von einem aus- reichenden Leerweg auf der Bremse im Flug selbst kontrollieren kannst, wird weiter hin- ten noch beschrieben. Um die Schrumpfung ausgleichen zu können, ist meist ein Über- stand von 10-20cm auf der Bremsstammleine. Man kann die Stammleine also einfach mit der richtigen Länge neu verknoten. Sollte der Überstand nicht mehr ausreichen, so müssen neue Bremsstammleinen eingebaut werden. Nach dem Knoten sollte zur Sicherheit min- destens noch ein Leinenstück mit dem 10- Fachen Durchmesser überstehen, also bei den üblichen Steuerleinen 20-30mm. Durch einen zusätzlichen halben Schlag kann dieser Rest noch einmal gegen Durchrutschen ge- sichert werden. Der bewährteste Knoten ist der Palstek, da er sich nicht verschiebt, zu- verlässig hält, die Leine wenig belastet und sich leicht wieder öffnen lässt. Auch Sack- stich oder gesteckter Achter haben sich be- währt, der Ankerstich neigt zum verrut- schen. Oft sieht man erst beim Verstellen, dass die Ummantelung der Steuerleine im Knoten beschädigt ist, insbesondere bei Bremsgriffen mit Wirbeln. Ist dies der Fall, so muss die Leine ausgetauscht werden. Alles Einstellungssache? Steuerleinen 48 DHV-info 210 www.dhv.de Ein paar Denkanstöße zum Thema kurze oder lange Bremse Text und Fotos: Anselm Rauh Exaktes Steuern verlangt viel Fein- gefühl. Trotzdem sind Handschuhe unbedingt zu empfehlen.

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In einigen Gleitschirmhandbüchern fin-den sich immer noch solche oder ähn-liche Aussagen zur Bremseinstellung:„der Pilot kann die Länge der Steuerlei-nen auf seine besonderen Bedürfnisse

einstellen. Dabei sollte er die Steuerleinennur in kleinen Schritten von ca. 5cm anpas-sen….“. Das Handbuch deines neuen Gleit-schirmes aufmerksam zu lesen kann wichtigsein, wenn es aktuell ist. Ist es aber eine Ko-pie von der Kopie von der Kopie aus den 80erJahren, so ist es besser, es in manchen Punk-ten nicht zu wörtlich zu nehmen. UnsereGleitschirme haben sich in den letzten 20Jahren erheblich weiterentwickelt, die Hand-bücher dazu leider oft nicht! Immer wiedertauchen in den Nachprüfbetrieben Schirmeauf, bei denen die Länge der Steuerleinenteils massiv vom Wert des geprüften Mustersabweicht. Meist kürzer, manchmal auch län-ger als der Sollwert. Da Abweichungen in derSteuerleineneinstellung zu verschiedenenNachteilen und Problemen führen können,sollen hier ein paar Denkanstöße geliefert

werden, damit du als Pilot künftig sensiblermit dem Thema Steuerleineneinstellung um-gehst und nicht an einem neuen Knoten ander Bremsstammleine, sondern lieber an dei-ner Bremsgriffhaltung und deiner Flugtech-nik arbeitest.

Zu kurze SteuerleinenUrsachen

1. An deinem Gleitschirm wurde nichtsverstellt, aber die meist aus Dyneema gefer-tigten und nicht sehr stark belasteten Steu-erleinen schrumpfen oft deutlich stärker alsdie restliche Beleinung des Gleitschirms. Da-durch werden sie relativ zu den Fangleinenzu kurz. Es kommt also häufig vor, dass derKnoten nie verändert wurde und genau ander markierten Stelle sitzt, und die Steuer-leine dennoch deutlich zu kurz ist. Abwei-chungen bis zu 5cm sind hier keine Seltenheit. Wie du das Vorhandensein von einem aus-

reichenden Leerweg auf der Bremse im Flugselbst kontrollieren kannst, wird weiter hin-

ten noch beschrieben. Um die Schrumpfungausgleichen zu können, ist meist ein Über-stand von 10-20cm auf der Bremsstammleine.Man kann die Stammleine also einfach mitder richtigen Länge neu verknoten. Sollte derÜberstand nicht mehr ausreichen, so müssenneue Bremsstammleinen eingebaut werden.Nach dem Knoten sollte zur Sicherheit min-destens noch ein Leinenstück mit dem 10-Fachen Durchmesser überstehen, also beiden üblichen Steuerleinen 20-30mm. Durcheinen zusätzlichen halben Schlag kann dieserRest noch einmal gegen Durchrutschen ge-sichert werden. Der bewährteste Knoten istder Palstek, da er sich nicht verschiebt, zu-verlässig hält, die Leine wenig belastet undsich leicht wieder öffnen lässt. Auch Sack-stich oder gesteckter Achter haben sich be-währt, der Ankerstich neigt zum verrut-schen. Oft sieht man erst beim Verstellen,dass die Ummantelung der Steuerleine imKnoten beschädigt ist, insbesondere beiBremsgriffen mit Wirbeln. Ist dies der Fall,so muss die Leine ausgetauscht werden.

Alles Einstellungssache?

Steuerleinen

48 DHV-info 210 www.dhv.de

Ein paar Denkanstöße zum Thema kurze oder lange Bremse

Text und Fotos: Anselm Rauh

Exaktes Steuern verlangt viel Fein-gefühl. Trotzdem sind Handschuheunbedingt zu empfehlen.

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STEUERLEINEN | DHV-LEHRMEINUNG

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2. Du hast deine Steuerleine selbst kürzergestellt, um ein vermeintlich besseres Hand-ling zu erreichen. Grundsätzlich fühlen sichSchirme mit weniger Leerweg in der Bremseoft direkter und knackiger an. Oft sind Pro-bleme eines mangelnden „Handlings“ (derPilot meint ja meist die Wendigkeit damit,auch wenn der Begriff eigentlich eher denBedienkomfort meint) aber beim Piloten zusuchen. Körpersteuerung, also ein aktivesKippen des Sitzbrettes, impulsive Steuerlei-neneinsätze (schnelles Lösen und ziehen derSteuerleinen) und ein volles Freigeben derBremsen bis zur Rolle / Ring, wenn erforder-

lich, bringen den gewünschten Erfolg. Ge-rade letzteres, das komplette Freigeben derBremsen, wird mit zu kurz eingestellten Lei-nen schwierig bis unmöglich. Falls dein Gerättatsächlich zu viel Leerweg oder Steuerweghat, um feinfühlig und kraftvoll die nötigenSteuerausschläge im Zugbereich ausüben zukönnen, solltest du besser über eine Variationin der Grifftechnik nachdenken und dieseverschieden Griffe gezielt üben anstatt anden Leinen zu knoten. Denn einen halbenSchlag oder eine Wicklung kannst du beimGleiten, beim beschleunigten Gleiten, OhrenAnlegen, in einem unerwarteten Regen-

schauer oder beim B-Stall jederzeit wiederfreigeben. Eine zu kurz geknotete Bremse istbis zur Landung irreversibel.

3. Die Steuerleine wurde unbewusst ver-kürzt. Dafür gibt es vor allem zwei Möglich-keiten:Der je nach Modell recht lange Überstand

der Bremsleine stört dich, weil er da amBremsgriff rumbaumelt. Gerade wenn dieBremse schon kurz eingestellt wurde, ist derÜberstand jetzt sehr lang. Um ihn „aufzuräu-men“ knoten ihn manche Piloten in wahrenKunstwerken von halben Schlägen oder >

Knoten ist an der Markierung. Dies ist aberwegen möglicher Schrumpfung keine Garan-tie dafür, dass die Einstellung passt!

Mindestüberstand der Leine nach dem Ein-stellen der Solllänge

Überstand mit Halbem Schlag gegenDurchrutschen gesichert.

Palstek (noch nicht festgezogen) Knotensammlung auf der Steuerleine ver-kürzt den Leerweg

Kugel über Bremsgriff verkürzt den Leerweg

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anderen kreativen Knotenansammlungenvor dem eigentlich tragenden Knoten auf dieBremsstammleine. Da sammeln sich schnellmal einige Zentimeter an Knoten, die jetztnicht mehr durch die Rolle wandern könnenund somit die Bremse verkürzen. Gewonnenhat der Pilot aber nichts, denn wenn er amGriff greift, bleibt die Bremse genauso langwie zuvor. Auch zusätzlich eingebaute Ku-geln, Stege oder T-Griffe verkürzen den Leer-weg der Bremse.Die Tragegurte von Tandemschirmen bie-

ten teils die Möglichkeit, die Höhe der Rolle,durch die die Steuerleine führt, zu verstellen.Das dient dazu, die Gurte möglichst univer-sell an verschiedene Geometrien bei Tandem-spreizen und Gurtzeugen anpassen zu kön-nen. Es ist dabei aber zu beachten, dass dieSteuerleine um den gleichen Betrag, um dendie Bremsrolle nach unten verleget wird, ver-längert werden müssen. Sonst geht Leerwegverloren.Der vom Hersteller vorgegebene Wert

sollte nicht verändert werden. Manche Her-steller geben in ihrer Nachprüfanweisungeine enge Toleranz für die Steuerleinenlängean ( +/- 10mm), was meines Erachtens sinnvollist und gewährleistet, dass sich der Schirmähnlich wie in der Musterprüfung verhaltenwird. Andere Hersteller überlassen die Ein-stellung wie eingangs erwähnt dem Piloten.Falls du deine Steuerleinen tatsächlich ab-weichend vom Sollwert einstellen willst, sobeachte zumindest folgendes: Es reicht nichtaus, die Einstellung nur im Trimmflug zuüberprüfen. Beim Beschleunigen deinesSchirmes wird die A- und B-Ebene herunter-gezogen. Das Profil dreht sich also Geome-trisch um den C-Leinenloop (Beispiel Dreilei-ner). A- und B-Ebene wandern also näher zumPiloten, das Profil „dreht“ sich um C, somitwandert die Hinterkante des Schirmes weiterweg vom Piloten. Der C Tragegurt und dieSteuerleine behalten aber ihre Länge – esgeht Leerweg verloren. Zusätzlich baucht derhöhere Luftwiderstand im beschleunigten

Flug die Bremse weiter aus, so dass eigentlichmehr Leerweg nötig wäre. Falls deine Brem-sen also kürzer eingestellt sind als der Soll-wert, so achte darauf, dass auch im voll be-schleunigten Flug noch ein Restleerweg vonein paar Zentimetern erhalten bleibt. Dieskannst du überprüfen, in dem du zunächstim Trimmflug und dann auch bei voll be-schleunigtem Schirm vorsichtig zentimer-terweise an einer Steuerleine ziehst und da-bei an den Anlenkpunkten der Steuerleinendeines Schirmes beobachtest, ob du denKnoten ein paar Zentimeter von der Rolleweg bewegen kannst, bevor an irgend ei-nem Punkt der Hinterkante deines Schir-mes eine Deformation beginnt. Im Trimm-flug sollen dabei mindestens 8-10cm Leerwegvorhanden sein, im beschleunigten Flug darfnoch kein Kontakt der Bremse an der Hin-terkante bestehen. Diesen Freiraum brauchtder Schirm , damit die Hinterkante bei Bedarfauch nach oben ausweichen kann.

Nachteile und Gefahren einer zu kurzen Bremse

Leistungsverlust. Ein ständig leicht ange-bremster Schirm verliert massiv an Gleitleis-tung und an Endgeschwindigkeit. Teilweisegehen auch die autostabilisierenden Eigen-schaften des Profils durch eine nach obengebogene Hinterkante (S-Schlag) verloren.Ein komplettes Freigeben der Bremse istnicht möglich, ein Schirm mit deutlich zukurz eingestellter Bremse fliegt sich sehr

stumpf, lässt sich schlechtSteuern, und verliert geradein Turbulenten Gegenwind-bedingungen massiv an Leis-tung und Fahrt. Auch eineweiche ausgeflogene Lan-dung wird deutlich er-schwert, weil dem Schirm derZug und die Fahrt fehlen, umwaagrecht auszugleiten. Oftwird das Gegenteil vermutet,und die Bremse verkürzt odergewickelt, was in der Regelkontraproduktiv ist.Mit zu kurzer Bremse

kann dein Gleitschirmschneller in einen Sackfluggeraten und im Extremfall ineinem Dauersackflug , z.B.nach der Ausleitung eines B-Stalls, Frontklappers oder bei

Nässe, verbleiben. Die Gefahr eines Sackflu-ges beim Ohren Anlegen erhöht sich deut-lich, da die Bremsen ja je nach Flugtechnikteils weit mit gezogen werden. Viele Schirmesind schon im Originalzustand beim unbe-schleunigten Ohren Anlegen nicht mehr sehrweit vom Sackflug entfernt, da können schonein paar Zentimeter kürzer eingestellteBremse das Verhalten deutlich verschlech-tern. Ähnliches gilt beim B-Stall, wo das Mit-ziehen der Bremse mit den B-Gurten einSchlagen an der Hinterkante und die Defor-mationsneigung erhöhen kann. Ein Hängen-bleiben im Sackflug bei einer langsamen Aus-leitung des B-Stalls wird wahrscheinlicher.Auch die Ausleitung einseitiger Strömungs-abrisse dauert länger oder muss aktiv erfol-gen. Absichtliches Einklappen zu Übungs-zwecken geht mit einer kurz eingestelltenBremse deutlich schlechter und weniger rea-litätsnah, solange man den Bremsgriff dabeiin der Hand behält.Das Startverhalten kann sich mit kurz ein-

gestellter Bremse verschlechtern. Gerade beiSchirmen, die generell zum Hängenbleibenneigen, hilft eine korrekt eingestellte Bremseoft sehr. Eigentlich erstaunlich, dass dennoch oft

an den Steuerleinen Verkürzungen vorge-nommen werden oder die Schrumpfungnicht ausgeglichen wird, obwohl so vieleNachteile mit kurzen Bremsen einhergehen.Es soll hier nicht verschwiegen werden, dasseine kurze Bremse auch Vorteile bringen

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Tandemtragegurt mit zwei unterschiedlich hohen

Einschlaufmöglichkeiten für die Steuerleinenrolle.