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Nr. 15 Juni 2005 ALLES IST MÖGLICH DAS FREIHEITS-HEFT

ALLES IST MÖGLICH DAS FREIHEITS-HEFT

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Nr. 15 Juni 2005

ALLES IST MÖGLICH DAS FREIHEITS-HEFT

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Meinungsvielfalt: Was ist Freiheit?

Geisteswissenschaft: Hat der Mensch einen freien Willen?

Konjunkturbericht: Freiheit in der Werbung.

Grenzerfahrung: Interview mit dem PsychologieprofessorBarry Schwartz über die Qual der Wahl.

Erkennungsdienst: Nutzen und Gefahren der RFID-Technik.

Wegbeschreibung: „Generation Praktikum“ – wohin solls gehen?

Machtwechsel: Wie das Internet zur kontrollierten Zone wird.

Aufklärung: Die Geschichte des Freiheitsbegriffs.

Ansichtssache: Wenn Freiheit zum Kunstwerk wird.

Gesellschaftsspiel: Was „Die Räuber“ uns heute noch sagen.

Entwicklungshilfe: Der russische Student Michail Obosow kämpftfür mehr Demokratie in seinem Land.

Haltungsnoten: Jeder strebt nach Freiheit auf seine Art.Eine Typologie.

Deutschlandreise: Barbara von Dohnanyi-Bayer über ihr Lebenund den Wert der Freiheit.

Impressum

Betriebsausflug: Die Erfolgsgeschichte des eigenwilligen Unter-nehmers Bobby Dekeyser.

Grundmelodie: Freiheit in der Popmusik.

Auswahlverfahren: Gewinnspiel.

Wer von Freiheit spricht, erntet hierzulande oft genugleere Blicke.Viele haben dieses Wort für sich in die Hohl-räume der politischen Rhetorik abgelegt.Wir sind unsso sicher:Das Ensemble der politischen,wirtschaftlichenund kulturellen Freiheiten wird als gegeben hingenom-men. Und es bewegt sich doch. Selbst die Grundvor-aussetzungen der damit verbundenen Konzepte (Wil-lensfreiheit z.B.) sind nie für immer garantiert.Alles istmöglich und sicher ist so gut wie nichts. In diesem Heftfragt fluter nach dem Status der Freiheiten heute.Wirsuchen Situationen, in denen das Spannende undBewegende dieser Ordnungen deutlich wird.Für manche wird das ein Treibsand,wenn sie sich plötz-lich als bewegte Atome in der „Generation Praktikum“wiederfinden.Wie steht es um die praktische Freiheiteines erfolgreichen Unternehmers, seine eigene Versionder Lebenskultur zu verwirklichen und dabei seinenMitarbeitern ungewohnte Freiheiten zu lassen? Kannich ein souveränes Individuum im Massenmarkt bleibenoder verschwinde ich in der Marketingmatrix? Ist das In-ternet eine neue Wildnis oder wird es zum Gehege derneuen Datenfürsten? Ist die Behauptung der gewonne-nen Freiheiten auch hier nur gemeinsam möglich?Freiheiten ohne Kehrseiten wird es nie geben. DieseSpannungsfelder vertragen keine Grabesstille.Unfreiheitkann man weder wegkaufen noch schadlos ausblenden.Was wirklich ist, ist nie frei von uns.Wenn es um Frei-heit geht, sind wir immer mindestens teilnehmende Be-obachter, wirksamer Teil dessen, was wir verstehen, er-kämpfen, beklagen oder verleugnen. Die Wirklichkeitder Freiheit bleibt eine prekäre Variable,deren Geschickimmer wieder auch in unseren Händen liegt.Das machtden Begriff der Freiheit zu einer Urkraft des Politischenund zur sozialen Frage.Das macht Menschen wie Mich-ail Obosow so faszinierend.Das gibt Dichtern wie Fried-rich Schiller auch jenseits ihrer Jahrestage eine Chance.Und das macht Persönlichkeiten wie Barbara vonDohnanyi-Bayer so optimistisch.Thorsten Schilling

Als Tanja Stelzer, 34, den Unternehmer Bobby Dekeyser aufdem Gelände seiner Gartenmöbelfirma Dedon besuchte, wäresie am liebsten gleich dort geblieben: Sie fühlte sich nicht wiebei einer Recherche, sondern wie im Cluburlaub, so viele Sport-und Wellnessangebote bekam sie zu sehen. Ihr Texthonorar willsie beiseite legen – sie möchte sparen,bis sie es sich leisten kann,die eigene Terrasse mit Dedon-Möbeln auszustatten. >> Seite 44

Grafikerin Alexandra Rusitschka (rechts) und Praktikantin Fran-ziska Görts suchten für die Bildstrecke Kunst zum Thema Frei-heit. Sie entschieden sich für Werke so renommierter Künstlerwie Vanessa Beecroft, Olaf Nicolai oder des Biennale-Kuratorsvon 2006, Maurizio Cattelan. Für die Abdruckgenehmigungentelefonierten sie um die halbe Welt. Am Ende verbrachten siemehr Zeit am Telefon als vor dem Computer.>> Seite 28

Editorial

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EDITORIAL / INHALT

Titelfoto: Elliott Erwitt / Magnum Photos / Agentur Focus

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MEINUNGSVIELFALT

Was ist Freiheit?

Christian Weiland, 19, Azubi (Kfz-Mechaniker)„Freiheit bedeutet natürlich, eigene Entscheidungentreffen zu können.Aber richtig frei fühle ich mich nur,wenn ich relaxen und Spaß haben kann.“

Yanina Unang, 19, Schülerin„Freiheit bedeutet, frei denken zu dürfen.“

Korbinian Schätzle, 19,Abiturient„In einem Land gibt es dann Freiheit, wenn soziale Gerechtigkeit herrscht.“

Nora Igl, 25, Modeschülerin„Freiheit heißt zufrieden sein.“

Karin Thöne, 32, Schauspielerin„Wenn ich auf der Bühne stehe, empfinde ich Freiheit.“

Jonas Strödel, 21, Lehramtsstudent und Praktikant„Freiheit heißt für mich,mich entfalten zu können,dortleben zu können, wo ich gern bin. Mit meiner Freun-din zusammen zu sein.“

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Spaß haben, soziale Gerechtigkeit, auf der Bühne stehen oder einfach gar nichtsmachen.Wir sind auf die Straße gegangen und haben uns umgehört.Umfrage: Bastian Obermayer Fotos: Stephanie Füssenich

Kenza Rochd, 22, BWL-Studentin„Freiheit bedeutet, keine Angst haben zu müssen und die Welt ohne Grenzen sehen zu dürfen.“

Andreas Egginger, 25, BWL-Student & Drehbuchautor„Arbeiten zu können, wann ich will, und unter derWoche rauszukönnen in die Berge.Berge sind Freiheit.“

Michaela Cosenza, 24, Flugbegleiterin„Freiheit bedeutet,eine eigene Meinung haben zu kön-nen und nicht diskriminiert zu werden.“

Susann Bär, 20,Arzthelferin„Für mich bedeutet Freiheit,oft und weit reisen zu kön-nen und dabei viel erfahren und erleben zu können.“

Thomas Geißler, 21, demnächst Sozialpädagogikstudent„Das Leben völlig unabhängig von der Meinung anderer zu gestalten.“

Christopher Elliott, 22, Rettungssanitäter„Das Gegenteil von dem, was gerade im Land meiner Eltern passiert,den USA.Freiheit ist,alles tun und lassen zukönnen,womit man niemandem in die Quere kommt.“

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GEISTESWISSENSCHAFT

Mein Wille geschehe?Philosophen und Neurobiologen sind sich uneins: Gibt es Willensfreiheit wirklich? Oder entscheiden gar nicht wir, was wir tun, sondern Prozesse, die in unserem Gehirn ablaufen? Text: Julia Decker Illustration: Ruzi

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Morgens in der Küche. Im Kühlschrank stehen zwei Mar-meladen – Himbeere und Aprikose.Vor dem Kühlschrankstehe ich, habe Hunger und nehme die Himbeermarme-lade, weil ich heute ein Brot mit Himbeermarmelade essen will.Aber frei entschieden habe ich mich dazu nicht.Denn der Wille ist nicht frei – das haben Neurobiologenfestgestellt. Hirnforscher wie etwa der Bremer Professor Gerhard Roth bezeichnen den freien Willen als Illusion.Lange Zeit glaubte man in den Naturwissenschaften, eskönne nicht wissenschaftlich geklärt werden, ob der Willefrei ist oder nicht – die Fragestellung sei daher eine reinphilosophische. Nach den neuesten Erkenntnissen der Neurowissenschaftler ist es jedoch nicht meine freie Wil-lensentscheidung,ob ich mir zu einem bestimmten Zeit-punkt ein Himbeermarmeladebrot mache oder ein Apri-kosenmarmeladebrot, sondern die Folge von ständigerGehirnaktivität, also einer Art unendlichem Gespräch vonNervenzellen. Diese Aktivitäten werden als Motive be-zeichnet.Ohne dass es uns bewusst ist,werden im Gehirnununterbrochen Motive abgewogen, die für oder gegen eine Handlung sprechen.Ein Motiv gewinnt und so kommt

es dann zu einerHandlung.Darausfolgt für die Neu-rowissenschaftler:Willensfreiheit gä-

be es nur, wenn es ein Handeln ohne Motiv gäbe. Dasaber ist unvorstellbar.Denn der Mensch tut immer irgend-etwas – sitzen, lächeln, reden zum Beispiel – und dafürhat das Gehirn ein Motiv, immer.Die Grundlage zur Annahme, dass der freie Wille eine Illusion ist, schuf das Experiment des amerikanischen Phy-siologen Benjamin Libet in den Achtzigerjahren.Libet batProbanden, innerhalb eines bestimmten Zeitraumes denArm zu heben. In dem Moment, in dem sie sich ent-schlossen, den Arm zu heben, sollten sie einen Knopfdrücken. Libet konnte Gehirnaktivität messen, die etwa eine halbe Sekunde vor dem Willensentschluss einsetzte.Daraus wurde gefolgert, dass der Willensakt nicht die Ursache, sondern eine Folge von Hirnprozessen ist: DieTestpersonen hätten damit die Entscheidung,den Arm zuheben,unbewusst bereits getroffen,ehe sie auf den Knopfdrückten – es sei keine freie Willensentscheidung gewesen.Bei der Handlung, zum Beispiel morgens aufzustehen,geht der Kampf vielleicht von folgenden Motiven aus:Was könnte passieren,wenn ich weiterschlafe? Bekommeich Ärger im Büro, wenn ich nicht pünktlich bin? Oder

Morgens in der Küche. Im Kühlschrank stehen zwei Mar-meladen – Himbeere und Aprikose.Vor dem Kühlschrankstehe ich, habe Hunger und nehme die Himbeermarme-lade, weil ich heute ein Brot mit Himbeermarmeladeessen will.Dazu habe ich mich frei entschieden.Denn derWille ist frei. Davon geht ein Teil der Philosophen aus.Und er bleibt dabei, auch wenn Neurobiologen sagen,dass die Willensfreiheit das Ergebnis festgelegter Aktivitä-ten im Gehirn ist. Einer, der sich in die aktuelle Debattezum freien Willen einmischt, ist Peter Bieri, Professor fürPhilosophie in Berlin und Autor des Buches Das Handwerkder Freiheit. Philosophen und Neurobiologen unterschei-den sich seiner Ansicht nach darin, wie sie mit dem Wort„Willensfreiheit“ umgehen. „Es gab in der Philosophieden Gedanken, dass der Wille nur frei ist, wenn er keineVorgeschichte hat. Doch das ist falsch. Der Wille ist dannfrei,wenn er auf die richtige Weise von einer Person kon-trolliert wird.“ Die Entdeckungen der Neurobiologie erkennt Bieri dennoch an. „Es leuchtet ein, dass nichts in

der Psyche eines Menschen passiert –kein Glücksgefühl, keine Angst, keineFreude und eben auch keine Willens-entscheidung –,ohne dass etwas im Ge-hirn geschieht.“ Was ist dann der Wille?

Der Wille ist derjenige unter unseren vielen Wünschen,dersich durchsetzt und in einer Handlung mündet. Und woist der Wille? Nicht an einer bestimmten Stelle im Men-schen lokalisierbar, auch nicht im Gehirn.Bieri sagt:„DerWille ist nicht getrennt von der Lebensgeschichte oderder Situation, sondern die Freiheit des Willens besteht inder richtigen Bestimmung des Willens durch kontrollie-rendes Überlegen.“ Wenn jemand nach dem Abitur überdie Berufswahl und die eigenen Fähigkeiten nachdenkt,ist er am Ende vielleicht überzeugt, Anwalt werden zuwollen. Die Entscheidung wurde dann aus freiem Willengetroffen.Nach Bieri lautet die Formel: Die Freiheit des Willens istso groß wie die Selbsterkenntnis und die Selbstkontrolle.Je besser wir über uns Bescheid wissen – wer wir sind,wie wir denken, was wir möchten –, desto besser wird esuns gelingen, den Willen unter Kontrolle zu bringen, ihnzu bewerten und zu verstehen.All das kann man üben.Sogesehen ist Willensfreiheit das Resultat von Arbeit.

Der Wille ist frei.

Der Wille ist nicht frei.

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GEISTESWISSENSCHAFT

Die Freiheit des Willens setzt sich zusammen aus Erinnerungen,Emo-tionen,Überzeugungen und Vorstellungen.Es ist auch dann eine freieWillensentscheidung,wenn jemand Anwalt werden möchte,weil sei-ne Eltern es wünschen oder weil er denkt, er könnte sich als Anwaltam ehesten drei Autos und ein Haus kaufen – solange der Wille kon-trolliert ist.Zur Kontrolle des Willens kommen zwei weitere wichti-ge Punkte, die einen Willen erst zu einem freien Willen werden las-sen: Er muss von demjenigen, der ihn hat, gutgeheißen werden undder Mensch muss seinen Willen verstehen. Das Gegenteil wäre derWille eines Süchtigen, der weiter raucht, obwohl er weiß, dass ihmRauchen schadet; oder der neurotische Wille, immer die gleiche Artvon Partner zu wählen, obwohl sich in der Vergangenheit heraus-gestellt hat, dass es jedes Mal zu einer schwierigen Trennung kommt.Aber einem unfreien Willen ist man nicht hilflos ausgeliefert. „Freudhat gesagt:Wenn man durch eine Therapie eine Neurose behebt,danngibt man dem Betroffenen die Freiheit zurück“, erklärt Bieri.Abstrakte Intelligenz, wie etwa mathematische Begabung, hilft beider Suche nach dem freien Willen nicht.Viel wichtiger ist die Beob-achtung des eigenen Verhaltens und des Fühlens. Und eine spezielleForm von Bildung:Ein gebildeter Mensch ist einer, der nicht glaubt,dass seine Art zu leben die einzig richtige und mögliche ist. Er be-sitzt stattdessen die Fähigkeit, sich ganz verschiedene Lebensweisenvorstellen zu können. Deshalb ist der gebildete Mensch einer, derweiß, was in der Welt und im menschlichen Leben alles vorkommen

kann.Auf Reisen zum Beispiel kann man solche Erfahrungen machen.Auch Lesen fördert das Einfühlungsvermögen in andere Personen:Wersich mit Romanfiguren identifizieren kann, kann so seine Selbst-wahrnehmung verbessern. In dem Maß, in dem der Mensch einen sogenannten Horizont hat, kann er sich fragen:Was will ich eigentlich?Je mehr er sich das fragt, desto mehr Möglichkeiten hat er, sich umden eigenen Willen zu kümmern und so Freiheit zu erlangen.Der Zufall bestimmt, welches Los jemand in der genetischen Lotte-rie gezogen hat, mit welchen Begabungen er auf die Welt kommt:emotional wie intellektuell. Je fähiger jemand ist, auf sich selber zuachten, desto größer wird die Chance sein, einen freien Willen zuentwickeln.Bringt man einem Kind bei, sich in andere hineinzuver-setzen, indem man ihm vermittelt, wie unterschiedlich es sich an-fühlt,angelächelt zu werden oder angespuckt,dann wird das Kind spä-ter auch leichter einschätzen können, wie sein Handeln auf anderewirkt. Diese Fähigkeit wiederum ermöglicht eine genauere Eigen-beobachtung und in der Folge wieder einen freieren Willen.Auch die Beobachtungen anderer helfen: Zwar haben die nicht im-mer Recht mit der Deutung unserer Person, aber unsere Eigen-wahrnehmung kann uns genauso täuschen. Die griechischen Philo-sophen kannten den Begriff „Willensfreiheit“ gar nicht, sie hattennur eine Idee von Handlungsfreiheit. Demnach galt: Jemand ist inseinem Handeln frei, wenn er tun kann, was er will. Die Handlungwiederum ist dann frei, wenn sie dem eigenen Willen gehorcht.

habe ich Ferien und schlafe deshalb weiter? Wenn ich Hunger habe,bleibe ich wahrscheinlich nicht liegen und so weiter. Ich habe zwardas Gefühl,dass es meine freie Entscheidung ist, aufzustehen oder lie-gen zu bleiben. Die Hirnforschung sagt aber, dass ich aufgestandenoder liegen geblieben bin, weil sich mein ganzes Leben lang Motiveaneinander gereiht haben, die dann dazu führen, dass ich im Bettbleibe oder aufstehe.Und:Die gleichen Motive führen theoretisch beijedem Menschen zur gleichen Handlung.Gerhard Roth, einer der führenden deutschen Hirnforscher, erklärt:„Alle verfügbare empirische Erkenntnis sagt uns, dass diese Abwä-gungsprozesse, so kompliziert sie auch sein mögen, stets im Rahmengenetischer Vorgaben, frühkindlicher Erfahrungen und weiterer so-zialer Einflüsse stattfinden und sich nirgendwo ein Moment von Frei-heit im alternativistischen Sinne, das heißt eines Andershandelnkön-nens unter ansonsten identischen Bedingungen, findet. Es gibt nichteinmal ein plausibles Denkmodell, wie in diesem Prozess ein solchesMoment entstehen könnte.“Allerdings halten manche Hirnforscher die Diskussionüber die Freiheit des Willens für sinnlos,weil sie aufeinem Missverständnis basiere. Der MünchnerNeurowissenschaftler Ernst Pöppel ist einervon ihnen. Seiner Meinung nach wurde derBegriff „Wille“ genauso wie „Aufmerk-samkeit“ oder „Wahrnehmung“ erfunden,damit man über sich selber nachdenken undsich mit anderen darüber unterhalten kann.

„Jetzt nach dem Sitz der erfundenen Begriffe im Gehirn zu suchenist der falsche Ansatz“, erklärt er.Auch wenn man die neuen Erkenntnisse der Hirnforschung an-erkennt und sich so an der Diskussion beteiligt: Im Alltag ändert sichnichts. Psychologisch gesehen ist das Gefühl, einen freien Willen zuhaben, dringend notwendig, weil sonst niemand handeln könnte.Würde ich mich nicht frei fühlen zu entscheiden,wie ich einen Abendverbringe, ob im Kino oder zu Hause, wäre ich unfähig zu handeln.„Im Alltag ist es egal, ob ich in den Film gehe, weil mich eine guteWerbekampagne dazu gebracht hat. Ketten, die ich nicht spüre, sindkeine Ketten“, sagt Gerhard Roth. Die Alltagsvorstellung von Wil-lensfreiheit ist und bleibt: Ich kann tun,was ich will.Unfrei fühle ichmich nur,wenn ich zu etwas gezwungen werde,zum Beispiel jemanddroht, mich zu erschießen, wenn ich nicht aufstehe. Das Gefühl derUnfreiheit entsteht in dem Fall von außen.Bin ich zu betrunken,umaufzustehen, entsteht das Gefühl der Unfreiheit von innen.

Aber was bedeutet die Aussage: „Der freie Wille ist eine Illusion“ bei der Frage nach Schuld? Das gel-

tende Strafrecht geht davon aus, dass Schuld einen Täter voraussetzt, der anders hätte han-deln können, wenn er nur gewollt hätte.Gleichzeitig kann nach geltendem Strafrechtniemand für etwas verantwortlich sein, waser nicht beeinflussen konnte.Dazu GerhardRoth:„Wenn ein Täter vor Gericht steht und

wirklich glaubhaft machen kann, dass er auf-

„Ketten, die ichnicht spüre, sind

keine Ketten.“

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grund genetischer, frühkindlich erworbener und späterersozialer oder entwicklungsbedingter Faktoren so ist, wieer ist,und deshalb nicht anders handeln konnte,dann musser bereits nach heutigem Strafrecht freigesprochen oderzumindest als nicht schuldfähig angesehen werden.Außerin Fällen schwerer hirnorganischer oder psychischerStörungen ist eine solche Beweisführung heute eine Fik-tion, weil ein solcher Beweis nicht zweifelsfrei geführtwerden kann, aber denkbar ist sie durchaus.“ Die Hirn-forscher bemühen sich zusammen mit Strafrechtlern um eine neue Definition des Schuldbegriffes. Dass eine Gesellschaft vor Tätern geschützt werden muss, stellen siejedoch nicht in Frage.Die neuen Erkenntnisse berühren auch das Privatleben.Wenn ich heute erfahre, dass mein Partner mich betrügt,kann ich zwar sagen: Er kann ja nichts dafür, ich bleibe weiter mit ihm zusammen, schließlich haben unzähligeMotive ihn so handeln lassen, er hatte gar nicht die Frei-heit, sich dagegen zu entscheiden. Ich kann aber auch sa-gen:Wenn im Gehirn meines Partners eine Reihe vonneuronalen Vorgängen ablaufen, die ihn so handeln las-sen,dann entscheide ich mich gegen diesen Partner.Oderich kann ihn bitten, an sich zu arbeiten, damit er nichtmehr in die Lage kommt, mich zu betrügen. Denn wieGerhard Roth sagt: „Menschen können sich sehr wohländern, auch wenn der freie Wille im absoluten Sinne ei-

ne Illusion ist. Jungen Menschen fällt es allerdings leichtersich zu ändern als alten.“ Menschen können sich aber inihrem Verhalten nur in dem Maße ändern, wie ihr emo-tionales Erfahrungsgedächtnis dies zulässt.Gehirnvorgän-ge kann man nicht per bloßen Willensentschluss beein-flussen. Der Wille ist ein Gehirnzustand, der andere Ge-hirnzustände ändert. Das Gehirn diszipliniert sich dabeiselbst – wir erleben dies als willentlich-bewusst angestrebteVerhaltensänderung.Nun könnte man vermuten,dass dieeigene Zukunft vorhersagbar wird,wenn alle Willensent-scheidungen tatsächlich vorhersehbar werden,wüsste mangenügend über die Motivlage im Gehirn. Diese Vorstel-lung entkräftet Gerhard Roth mit einem Satz des Mathe-matikers Pierre-Simon Laplace: „Wenn der Weltgeist vonder Welt alles wüsste, alles Vergangene und alles Gegen-wärtige,dann könnte er die Zukunft voraussagen.Dies istaber aus heutiger Sicht unmöglich:Wenn der Weltgeistnämlich Teil der Welt ist, wird seine Überlegung immerEinfluss auf die Welt nehmen, deren Teil er ist.Und wenner nicht Teil der Welt ist, kann er auch keine Voraussagemachen.Daraus folgt,dass eine umfassende Voraussage derZukunft logisch nicht möglich ist; wir können nur Din-ge annähernd gut voraussagen,die mit uns möglichst we-nig zu tun haben.Am wenigsten kann ich mein eigenesVerhalten voraussagen, und zwar auch dann nicht, wennes vollständig determiniert ist.“

Der Wille darf allerdings nicht miteinem Wunsch verwechselt werden.Wenn ein Wunsch zum Willen wer-den soll, dann gilt in der Regel: Manlässt einen Wunsch nur dann zum Wil-len werden,wenn man glaubt,den Wunschrealisieren zu können.Es ist der Wille,der einen dann han-deln lässt.Ein Beispiel:Wenn ich beschließe,morgen in derMailänder Scala eine Arie zu singen, ist das erst mal einWunsch.Wenn ich weder Sänger bin noch ein Engage-ment an der Scala habe, bleibt es ein Wunsch. Ließe ichmeinen unrealistischen Wunsch zu meinem Willen wer-den und würde danach handeln – also nach Mailand fah-ren und mich auf die Bühne stellen –, würde man michals verrückt bezeichnen.Der Mensch fühlt sich glücklich,wenn er tut,was er will.Es gibt aber auch Zustände des Glücklichseins, in denenman nicht mehr Herr des eigenen Willens ist.Der Momentdes Verliebtseins ist ein harmloses Beispiel.Auch Sekten-anhänger geben ihren Willen ab und erfahren so vorüber-gehend etwas Entlastendes.Sie sind zwar glücklich,habenaber die Kontrollinstanz ihrer Willensfreiheit an einen Guru delegiert. Bieri sagt: „Wir Menschen sind nicht sogemacht, dass es uns gut geht, wenn wir längerfristig die

Regie über unseren Willen abge-ben. Das bewegt zwar Massen, wie

man bei den Massenpsychosen im Faschismus oder im Stalinismus sehen

kann: Die Menschen strahlen, tanzen undsind euphorisch, aber sie sind auf künstliche

Weise high.Das ist nur eine besondere Variante des Sich-glücklich-Fühlens und sicher nicht die, auf die es lang-fristig ankommt.“Die Möglichkeit, sich einen freien Willen zu erarbeiten,gibt es in jedem Alter. Denn die Lernfähigkeit und damitdie Gedächtnisleistung nimmt mit den Jahren nicht ab, eskommt nur darauf an,wie man sie im Laufe seines Lebenstrainiert. „Man sollte immer davon ausgehen, dass alle Leute lernen können. Und eine Politik, die das nicht be-achtet, ist eine falsche Politik.“ Eine im politischen Sinnefreie Gesellschaft ist nach Bieri eine, die für jeden Men-schen die Chance so groß wie möglich macht, in seinemWillen frei zu werden.Folgt man Bieri,wäre eine Welt, in der alle Menschen ei-nen freien Willen haben, eine friedliche Welt – weil sichdie Menschen gut in die Lage anderer versetzen könn-ten:„Es gäbe Frieden. Denn jemand, der sich vorstellenkann,wie es ist,angegriffen zu werden,der greift nicht an.“

Der Mensch fühlt sich glück-lich, wenn er tut,

was er will.

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KONJUNKTURBERICHT

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Dominik Pietzker sitzt im Konferenz-raum der Berliner WerbeagenturMedia Consulta, die in einer

ehemaligen Schuhfabrik in Berlin-Mitte residiert. In das alte Gebäude an der Wasser-gasse ist viel Hightech eingezogen. In die furnierte Frontwand des Konferenzraumessind eisgraue Bildschirme eingelassen, an der Seite hängt eine große Leinwand für den PC-Projektor. Hier verkauft Pietzker „Illusionen, die zu Herzen gehen“, wie erdas nennt.Pietzker arbeitet als Creative Director beiMedia Consulta. Der 37-Jährige trägt ein T-Shirt mit V-Ausschnitt und dunkelblaue Jeans zu hellbraunen Wildlederschuhen.Ein Sonnyboy mit Zahnpastalächeln. Ger-manistik, Geschichte und Philosophie hat er studiert und am Ende seinen Doktor ge-macht.Dann lockten Freiheit und Abenteuer,sagt er süffisant. „Aber auch das angeblichgroße Geld, das in der Werbung gemachtwird.“ Statt Goethe nachzuspüren, suchtPietzker nun nach zündenden Sprüchen undSlogans.Bei den Kopfgeburten der Kreativen unter-scheidet er zwischen „So-what-Ideen“ und„Boa-ey-Ideen“. Die erste Gattung wird„gleich in die Tonne gekloppt“. Mit einer„Boa-ey-Idee“ lassen sich manchmal Mil-lionen machen.Pietzker hat eine Nase dafür,er muss sie haben. „Der Wettbewerb ist un-erbittlich.Mittelmaß wird nicht akzeptiert.“Eine der größten Kampagnen, die MediaConsulta bislang gemacht hat, begann imHerbst 2001 mit einer schlanken Zeile.„Feelfree to say no.“ Aus diesen fünf Worten entstand der Claim für eine europaweite Werbung gegen das Rauchen.Ausgeschrie-ben worden war die Informationskampagnevon der Europäischen Kommission. Ziel-gruppe waren 14- bis 18-Jährige in 15 EU-Ländern.Es gab einen Gesamtwerbeetat voninsgesamt 18 Millionen Euro.Unter mehr als

zwanzig Agenturen machten die Kreativenaus der Berliner Schuhfabrik das Rennen.„Der Claim der Kampagne lädt dazu ein,wirkliche Freiheit zu genießen“, sagt Pietz-ker. Skelette oder unappetitliche Röntgen-bilder mit Lungenkrebs waren für die Berliner Werber tabu.„Der erhobene Zeige-finger war ein absolutes No-no“, erläutert er die Vorgaben an das Team.Jugendliche beginnen mit dem Rauchen„nicht wegen des Geschmacks, sondern ausImagegründen“, erklärten Wissenschaftlerden Werbern bei der Vorbereitung. Deshalb,sagt Pietzker, seien die Kernbotschaften derKampagne nicht als Verbot oder Warnunginszeniert, sondern „auf emotionale, sympa-thische und kreative Weise kommuniziert“

worden. Auch Zigaretten- und Alkohol-produkte werben mit den Emotionen derFreiheit. „Wir haben uns gegen den Main-stream gestellt und Mäh statt Muh gemacht“,sagt Pietzker, „Guerillamarketing“ nennendie Experten solche Praktiken.Dabei gehe esdarum,mit einem begrenzten Finanzbudget„Formen zu finden, die mit Gewohnheitenbrechen und Konventionen unterlaufen“.Beider Imagekampagne für das Nichtrauchenwerde Jugendlichen etwas erlaubt,was ihnenin der Regel nicht gestattet ist, sagt Pietzker:„nein zu sagen“.Nein zu Drogenmissbrauchund Abhängigkeit, zu Gruppenzwang und Uniformität, zu Zigaretten und Nikotin.„Die wirkliche Freiheit ist die Freiheit, neinzu sagen“, hämmern die Macher der Kam-pagne auf Plakaten und in TV- und Kino-spots. Ihre Zielgruppe, die Jugendlichen,stellen sie als „Zielscheibe“, „Sklave“ und„Opfer“ der mächtigen Tabakindustrie dar.Für ihren Nichtraucherfeldzug hat die EU-

Kommission prominente Unterstützer wieden Europäischen Fußballverband UEFA gefunden.Fußballer wie Luis Figo,ZinedineZidane oder Michael Ballack flöten die Botschaft auf Eurosport und bei MTV.Zahlreiche Fernsehsender in Europa stellten kostenlose Werbezeiten zur Verfügung.Mit internationalen Popstars wie Moby oder Sophie Ellis Bextor wurden Kinospots abgedreht: „No future for cigarettes.“Zwischen 2002 und 2004 erzielte der Werbe-feldzug laut Media Consulta europaweit eine Milliarde Kontakte. Demnach konntenjedes Jahr etwa 36,6 Millionen Jugendlichezehnmal erreicht werden. Das ist viel undwenig zugleich. Nach wissenschaftlichen Studien nimmt sich der Magazinleser für eineAnzeige gerade noch 1,2 Sekunden Zeit,pro Tag prasseln 75 Botschaften auf einen Bundesbürger ein. Die Hälfte hat er bereits nach 24 Stunden wieder vergessen. „Fast alleWerbebotschaften verpuffen Tag für Tag imWeltraum“, sagt der Werber Rainer Baginski.„Ein ungeheurer Ideen- und Kapitalver-schleiß, ein Festival der unentwegten Miss-erfolge.“ Doch deshalb wird nicht weniger,sondern immer noch mehr Werbung gemacht.Verstärkt setzt die Werbung auf Gefühle.Bierbrauer segeln in die Karibik, der Stromaus der Steckdose bekommt eine Farbe,Auto-mobilhersteller werben kaum mehr mit tech-nischen Details, sondern mit Fahrgefühl. Eswerden Erlebniswelten aufgebaut. Jede Zeithat ihre eigenen Werte.„Wir sind froh,wennder Nagel drei Jahre hält“, sagt Pietzker. DieEiswerbung aus den Achtzigerjahren, in derein Lederjackentyp („Nogger dir einen!“)breitbeinig vor seinem Porsche posiert, wä-re nach Einschätzung Pietzkers heute nichtmehr machbar.„Die Leute haben Machos undSexismus über.“ Und die Freiheit? „DieFreiheit ist keine Mode“, sagt Pietzker. Diehabe immer Konjunktur:„Danach sehnt sichjeder Mensch. Schon seit Jahrtausenden.“

Kreditkarten,Autos, Bier,Versicherungen oder auch das Nichtrauchen – die Werbung benutzt die Botschaft der Freiheit, um Produkte attraktiv zu machen.Was steckt hinter dem Gedanken einer solchen Kampagne? Ein Beispiel.Text: Johannes Nitschmann Illustration:Thomas Kartsolis

„Fast alle Werbe-botschaften verpuffen im

Weltraum.“

Die verkaufte Freiheit

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GRENZERFAHRUNG

Wir denken: Je mehr Auswahl, desto besser. Professor Barry Schwartz sagt:Je mehr Auswahl, desto größer die Gefahr, richtige Probleme

zu bekommen – bis hin zur Depression. Und er kann das begründen.

Interview: Dirk Schönlebe Fotos: Susanne Wegele

Professor Schwartz, ist die freie Wahl-möglichkeit gut oder schlecht?Die Antwort darauf ist: ja.Bitte?Wir haben bisher angenommen,dass Freiheitdas Wichtigste für den Menschen ist,dass manumso freier ist, je mehr Wahl man hat.Was bedeutet, dass man dem Menschen nur Gutestut, je mehr Wahlmöglichkeiten man ihm gibt.Genau.Bis vor kurzem waren diese Annahmen mei-ner Ansicht nach auch wahr.Aber in den letz-ten dreißig Jahren etwa ist die Anzahl unsererWahlmöglichkeiten so überwältigend großgeworden,dass wir einen Punkt erreichen,andem es uns weniger frei macht, noch weitereWahlmöglichkeiten zu bekommen.Warum ist denn die Zahl der Wahlmög-lichkeiten so gestiegen?Die Effizienz der Produktion ist gestiegen.Man kann heute Waren von riesiger Vielfaltproduzieren – zum Teil, weil die Produktioncomputerisiert werden konnte. Parallel dazuwurden wir alle reicher,wir haben mehr Geldzur Verfügung, um etwas zu kaufen.Nur das?Gesellschaftlich und kulturell gab es in denSechzigerjahren massiven Widerstand da-gegen, vorgeschrieben zu bekommen, wieman zu leben hat. Sich nach den Ansichtender Kirchen,der politischen Führer,der Lehrerzu richten, wann man heiraten darf, ob undwann man Kinder haben soll, welchen Berufman ergreifen sollte. All das wurde in denSechziger- und Siebzigerjahren in Frage ge-stellt. Das hat westliche Gesellschaften un-widerruflich verändert.Wir sind reicher, haben mehr Möglich-keiten,weniger Vorschriften – das klingtdoch toll.

Vollkommen richtig. Als jemand, der all dasmiterlebt hat, war ich überzeugt davon, dasses sich um Fortschritt handelt und all dieseVeränderungen das Leben von uns allen verbessern. Es war nahe liegend, das anzu-nehmen. Denn in den letzten zwei Jahr-hunderten hat das ja für westliche Zivilisa-tionen gestimmt: Je mehr Möglichkeiten es gab, desto freier waren sie.Wo ist also das Problem?Es scheint ein Punkt erreicht worden zu sein,an dem es die Menschen lähmt, mehr Mög-lichkeiten und Freiheiten geboten zu be-kommen. Dabei ist es nicht so, dass es einemagische Anzahl von Möglichkeiten gibt:Wenn man so viele Möglichkeiten hat, ist es

in Ordnung, wenn man aber nur eine mehrbekommt, ist man in Schwierigkeiten. Denndiese Anzahl ist für jeden Menschen eine andere und sie ist in verschiedenen Lebens-bereichen wiederum unterschiedlich. Sicherist aber:Wir haben die Linie überschritten.Was bedeutet das?Angesichts der zahllosen Möglichkeiten ist esextrem schwierig,die Informationen zu sam-meln, die es ermöglichen zu entscheiden,welche Möglichkeit man wählen soll. Es gibtso viele Informationen, dass die Menschensich angesichts dieser Fülle hilflos fühlen.Können Sie dafür ein Beispiel nennen?Es gibt eine noch nicht veröffentlichte Studieüber die private Altersvorsorge in den USA.

Arbeitgeber boten früher meist zwei oder dreiunterschiedliche Investments an,unter denenman wählen konnte. In den letzten Jahrenwurden daraus dreißig. Die Annahme lautetauch hier: Gibt man den Menschen mehrMöglichkeiten der privaten Vorsorge, ver-bessert man ihr Leben, weil jeder genau dasModell finden kann, das für ihn richtig ist.Und was ergibt die Studie dazu?Der Prozentsatz der Menschen,die sich nichtmehr um ihre private Altersvorsorge küm-mern, nimmt zu. Es ist so schwierig heraus-zufinden, welches Vorsorgemodell das rich-tige ist,dass man sich sagt:„Darüber entscheideich morgen.“ Und natürlich entscheidet mannie. In den meisten Fällen tragen die Arbeit-geber einen Teil zu dieser Vorsorge bei. In-dem sie sich nicht entscheiden, verbrennendie Arbeitnehmer buchstäblich Geld. Sie lehnen ein Geschenk ihres Arbeitgebers ab.Altersvorsorge ist aber auch eine kom-plizierte Frage.Ja, doch ähnlich läuft es auch mit vermeint-lich kleinen Entscheidungen. Mir ging es so,als ich mir neue Jeans kaufen wollte. Ich ma-che das selten und habe immer das gleicheModell gekauft,es gab eben nur das. Jetzt gingich ins Geschäft und man bot mir mehr alsein Dutzend verschiedene Jeans an. Zuerstwar ich verwirrt und dann habe ich eineStunde damit verbracht, sie alle anzuprobie-ren. Ein Einkauf, der mich früher dreißig Sekunden gekostet hat, kostete mich jetzt eine Stunde. Ich verließ das Geschäft mit neuen Jeans, Jeans, die mir so gut passten wienoch keine zuvor. Ich wusste,dass das der bes-te Jeanskauf meines Lebens war, und fühltemich gleichzeitig so schlecht wie nie.Warum?Die Jeans passten mir hervorragend,aber nicht

„Es war der besteJeanskauf meines Lebens

– und ich fühlte mich so schlecht wie nie.“

Die Qual der Wahl

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Wie sollen sie sein, die perfekten Jeans?

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perfekt. Ich dachte mir: Wenn ich schon soviele Jeans angeboten bekomme, kann ichmich eigentlich mit nichts Schlechterem alsden perfekten Jeans zufrieden geben.Und das glückte Ihnen nicht?Ich kaufte besser ein als je zuvor und fühltemich schlechter. Und das ist, was uns Kopf-zerbrechen macht:Wir kaufen Salatdressingim Supermarkt und es ist gut, aber nicht her-vorragend. Jedenfalls nicht so gut, wie wirglauben, dass es sein müsste, nachdem wir aus hundert verschiedenen Dressings wählenkonnten.Wir gehen in ein Restaurant, dasEssen ist sehr gut,aber es ist nicht ausgezeich-net und das sollten wir doch erwarten kön-nen,wo es hunderte Restaurants in der Stadtgibt, unter denen wir wählen konnten.Sie beschreiben doch nur, dass man Er-wartungen hat.Wir bauen hohe Erwartungen an die Ergeb-nisse unserer Entscheidungen auf und die Ergebnisse können die Erwartungen gar nichterfüllen, weil die Erwartungen übertriebenhoch sind.Warum ist es übertrieben, wenn ich dasbeste Essen will, die besten Jeans?Was genau sind denn die absolut besten Jeans? Für Sie oder für mich?Egal. „Das Beste“ ist ein sehr abstraktes Kri-terium und fast schon prinzipiell unmöglichzu erreichen. Egal, wie gut die Jeans passenwerden, angesichts der Fülle von verschiede-nen Jeans, die es gibt und die für Sie prinzi-piell erreichbar sind, ist es leicht sich vor-zustellen, dass es Jeans geben muss, die nochbesser passen.Am Ende sind Sie enttäuscht.Perfektion ist einfach nicht erreichbar. Undselbst wenn sie erreicht werden würde, wür-den wir nicht merken, dass wir sie erreichthaben.Ist da jeder Mensch gleich?Es gibt Menschen,die wollen immer das Bes-te. Diese Menschen nenne ich Maximierer.Und es gibt Menschen, die mit dem zufrie-den sind,was für sie gut genug ist.Diese Men-schen nenne ich die Genügsamen.Die sind also mit weniger zufrieden?Nein.Genügsam zu sein bedeutet,Standards zuhaben,die alles,was man kauft,erfüllen muss:der Job, den man macht, die Universität, dieman wählt.Aber wenn man etwas findet, dasden Vorstellungen und Standards entspricht,nimmt man es. Und wenn man sich einmalentschieden hat, macht man sich keine Sor-gen darüber, dass es vielleicht um die Eckeetwas geben könnte,was vielleicht doch noch besser ist.Die Wahl der Altersvorsorge, der Jeans,

des Computers – das sind materielleEntscheidungen.Was ist denn mit emo-tionalen Entscheidungen?Das Prinzip ist das gleiche.Wenn ein Maxi-mierer eine Beziehung hat, fragt er sich nicht,ob das eine gute Beziehung ist - was meinerAnsicht nach eine vernünftige Frage ist, ob-wohl sie einen auch in ziemliche Schwierig-keiten bringen kann. Er fragt sich, ob das diebeste Beziehung ist. Er geht also aus, zumAbendessen, und schaut die ganze Zeit, obam Nebentisch nicht jemand sitzt, der nochattraktiver ist oder ein schöneres Lächeln hatoder temperamentvoller ist. Er ist die ganzeZeit auf der Suche nach jemandem,der mög-licherweise besser ist. Ich kann mir nichts vor-stellen,das auf eine Beziehung zerstörerischerwirkt als das.Wie verbreitet ist diese Maximierungs-Problematik denn?Ich möchte eines klarstellen: Ich beschreibeein Problem, mit dem die Gewinner einerGesellschaft konfrontiert sind, Privilegierte.Die Verlierer in einer Gesellschaft leiden nichtdarunter, zu viele Wahlmöglichkeiten zu haben. Die wären froh, wenn sie sie hätten.

Wie verbreitet ist das Problem unter denBessergestellten?Diese Einstellung durchdringt unser sozialesLeben. Ich sehe es an meinen Studenten. Ichunterrichte an einem kleinen College mit sehrtalentierten Studenten.Wenn der Abschlussnaht und sie überlegen,was sie im Leben ma-chen wollen, sind sie so gestresst,dass es kaumzu ertragen ist.Weil sie nicht wissen, wie siesich für einen Weg entscheiden sollen,der siedurch ihr ganzes Leben führen soll.Wir ha-ben ihnen all diese Freiheit, all diese Mög-lichkeiten gegeben – und es macht sie einfachfertig. Und wir reden hier von den privile-giertesten Menschen auf der Welt. Das kannMenschen zerstören.Was genau meinen Sie mit „zerstören“? Selbst gute Entscheidungen machen unzu-frieden. Sie treffen eine Entscheidung, es isteine gute Entscheidung und Sie fühlen sichschlecht.Was heißt, dass Sie sich mit jederEntscheidung schlecht fühlen. Es gibt einenengen Zusammenhang zwischen klinischerDepression und dem Umstand, ein Maxi-mierer zu sein.Wie wird jemand zu einem Genügsa-

men oder einem Maximierer? Das ist die Millionen-Dollar-Frage. Ich weißes nicht.Wir haben einige Hinweise darauf,dass man das bei Achtjährigen schon erken-nen kann. Und es gibt Beweise dafür, dass es in der Pubertät erkennbar ist. Der Zu-sammenhang zwischen der Einstellung derEltern und der ihrer Kinder ist stark, aber esscheint nicht so zu sein, dass man einfach daswird,was die Eltern sind.Das ist alles,was ichmomentan weiß.Was raten Sie, um das Problem in denGriff zu bekommen?Erstens:Wir sollten versuchen, die Möglich-keiten zu begrenzen, statt sie immer weiter zuvergrößern. Zweitens:Wir müssen die Ein-stellung gewinnen, dass Grenzen unser Le-ben manchmal verbessern.Weil Grenzen derWahlfreiheit es manchmal erst möglich ma-chen,überhaupt zu handeln,zufrieden zu sein.Das Credo der freien Welt, dass freieAuswahl gut ist, kann am Ende zu mei-nem Unglück führen, weil ich nicht inder Lage bin, unter den Möglichkeitendie richtige zu wählen?Genau.Menschen kämpfen für die Freiheit, aus-wählen zu können, sie sterben dafür.Absolut richtig.Und jetzt sagen Sie, dass es nur ein Cre-do ist, aber es nicht wenige Menschengibt,die damit gar nicht zurechtkommen.Nein, das ist nicht fair. Es ist nicht nur einCredo, es ist die Wahrheit. Das Problem ist:Wir müssen der „freien Auswahl“ etwas vor-anstellen.Was denn?„Gewisse“. „Eine gewisse“ freie Auswahl.Wie viel ist „eine gewisse“?Das wissen wir nicht. Unsere Aufgabe als Wissenschaftler ist es, dies herauszufinden:Wie viel von welcher Art in welchen Be-reichen unseres Lebens ist die richtige An-zahl,um unser Wohlbefinden zu steigern, stattes zu verringern? Gibt es Firmen, die anfangen einzuse-hen, dass sie besser nur fünf Marmela-den anbieten sollten statt 25?Aldi ist eine der am schnellsten wachsendenSupermarktketten.Aldi bietet Ware zu nied-rigen Preisen an, das ist ein Grund. Aber Aldi bietet auch nur eine begrenzte Auswahlan und das ist eine Attraktion. In den USAgibt es eine Kette,Trader Joe’s, die ist etwasteurer als Aldi, aber auch mit einer sehr be-grenzten Auswahl – und das ist die amschnellsten wachsende Supermarktkette inden USA. Begrenzte Auswahl ist zu einer

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GRENZERFAHRUNG

„Perfektion ist einfachnicht erreichbar.“

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Attraktion geworden, nicht zu einem Nach-teil. Dabei bin ich nicht mal sicher, dass dieLeute das so ausdrücken und sagen könnten,es mache Spaß, in einem Geschäft einzu-kaufen, das mir keine 100 Müslisorten an-bietet. Sie wissen nur, dass sie aus dem Ge-schäft kommen und sich besser fühlen, alswenn sie aus einem Megastore kommen.Weniger Auswahl als Geschäftsmodell?Absolut. Ich denke, dass diese Erkenntnissedie Fundamente erschüttern, auf denen un-sere Gesellschaften erbaut sind. Sie zwingenuns, darüber nachzudenken, wonach wir streben sollten,wenn wir das Leben der Men-schen in unseren Ländern verbessern wollen.Waren dann Menschen vor dreißig Jahren,die weniger Optionen hatten und auchweniger Geld, insgesamt glücklicher?Möglich. Die Häufigkeit von klinischer De-pression ist heute dreimal so hoch wie nochvor einer Generation. Die Selbstmordratensind höher als je zuvor.Es gibt also zumindest mehr extrem unglückliche Menschen.Ob dasdurchschnittliche Glücksgefühl niedriger istals vor zwanzig Jahren, kann ich nicht sagen.Klar ist, dass es nicht höher ist. In Japan istzwischen 1945 und 1995 das Bruttoinlands-produkt pro Kopf um das Fünffache gestiegen.

Japan ist fünfmal reicher. Aber kein biss-chen glücklicher. Das Gleiche trifft auf dieUSA zu. Mein Gefühl ist: Den Menschengeht es besser, aber sie fühlen sich schlechter.Was bedeutet das für die Politik?Die Politik hat die Aufgabe herauszufinden,was im Interesse der meisten Menschen ist.Und das muss zur Grundannahme der Poli-tik werden. Das bedeutet nicht, dass die Po-litik alles vorschreiben soll. Die Menschenmüssen die Möglichkeit haben, sich gegen etwas zu entscheiden.Gibt es dafür ein Beispiel?In den USA gilt der Grundsatz:Führerschein-besitzer sind keine Organspender.Man kannaber einen Zettel ausfüllen und so Organ-spender werden.In den USA sind 23 Prozentder Führerscheinbesitzer Organspender. Invielen europäischen Ländern ist die Grund-annahme: Man ist Organspender. Und manmuss einen Zettel ausfüllen,um keiner zu sein.Der einzige Unterschied ist also:Was passiert,wenn man keinen Zettel ausfüllt? In den USAwird man intakt begraben, in anderen Län-dern wird alles verwendet,was möglich ist. Indiesen Ländern sind etwa 90 Prozent der Füh-rerscheinbesitzer Organspender. Mir scheintunstrittig,dass es einer Gesellschaft mehr nutzt,

wenn mehr Menschen Organspender sind.Wie könnte also ein Grundsatz für diePolitik lauten?Die Politiker müssen sich klar machen, waspassiert,wenn die Menschen keine Entschei-dung treffen. Und sicherstellen, dass das, waspassiert,wenn die Menschen nicht wählen, imInteresse der meisten Menschen ist.Beschränkt das am Ende nicht doch dieFreiheit der Menschen?Nein.Es begrenzt nicht die Freiheit,berück-sichtigt aber, dass die Menschen ohnehinschon dauernd Entscheidungen treffen undauswählen müssen. Man trifft die richtigeEntscheidung für sie, lässt ihnen aber dieMöglichkeit, jederzeit nein zu sagen.

Barry Schwartz, 61, istProfessor für Psychologieam Swarthmore Collegebei Philadelphia. In sei-nem lokalen Supermarktfand er 360 Shampoo-sorten und 285 Keksarten.

Von ihm erschien zuletzt bei Econ: Anlei-tung zur Unzufriedenheit.

Welches ist das beste? Was will ich denn jetzt?

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ERKENNUNGSDIENST

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John Anderton ist Polizist und er ist auf derFlucht. Er weiß zu viel über die dunklen Machenschaften der Regierung.Ungesehenschlüpft er in ein Einkaufszentrum in einemU-Bahnhof. Anderton will in der Menge untertauchen, aber er hat keine Chance.Von links und rechts identifizieren ihn ma-schinelle Scanner und aus jedem Bildschirm,an dem er vorbeihuscht, ertönen freund-liche Stimmen: „Sie sehen gestresst aus,Mr.Anderton,Sie brauchen Urlaub.“ Über-all füllen sich Plasmabildschirme mit Werbe-bildern: „Sie könnten jetzt ein Guinness vertragen, Mr. Anderton“, ermuntert ihn eine Stimme.Anderton erreicht die U-Bahn,aber auch hier wird jeder gescannt.Minuten später hat die Behörde ihn lokalisiert.Die Szene mit John Anderton alias TomCruise stammt aus dem Spielberg-Film Minority Report und spielt im Jahr 2054.Spielberg bezieht sich auf einen bereits exis-tierenden technologischen Hintergrund:dievon Handel und Industrie vorangetriebeneEntwicklung fernlesbarer Minisender mitdem Namen RFID – Radiofrequenz-Identi-fikation.Dahinter verbirgt sich eine Technik,mit der man Etiketten auf Paletten,Kleidung,Ausweisen oder Kundenkarten per Funk lesen kann. Das funktioniert über Distanzenvon mehreren Metern, ähnlich wie einWLAN-Netz, nur auf anderen Frequenzen.RFID ist keine ganz neue Technik.Wir sindihr früher schon begegnet, im Urlaub,auf derAutobahn in Spanien:Während Papa an derMautstation in der Schlange stand, fuhrenlinks ein paar Autos durch, die ein anderesBezahlsystem hatten.Automatisch erkanntedie Mautstation das Auto und buchte elektro-nisch vom Konto ab. Auch das war bereitsRFID.Heute etablieren Handel und Logistikdie Minisender als die neue Generation des

Barcode, denn es spart Kosten, wenn Regaleund Lagertore automatisch wissen, welcheWaren reinkommen oder rausgehen. DieChips sind kleiner geworden, billiger, bieg-sam und waschbar. Sie kleben unsichtbar unter dem normalen Strichcode und fallenerst auf,wenn man diesen abzieht:Dann wirdeine Art metallischer Schaltkreis sichtbar.Schon gehen die Stückzahlen in die Milliar-den, in naher Zukunft werden die Mini-sender beim Endverbraucher ankommen.Der Extra-Markt von Rheinberg, einemStädtchen in der Nähe von Krefeld. In derBeauty-Abteilung stehen reihenweise Sham-pooflaschen. Albrecht von Truchseß nimmt

eine davon in die Hand. Sofort leuchten über dem Regal zwei Flachbildschirme mit Werbung für dieses Shampoo auf: Ein Kunde, der die Flasche in die Hand nimmt,soll sie nun auch kaufen.Truchseß ist Spre-cher des Handelskonzerns Metro, der diesenExtra-Markt zum „Future Store“, zum Test-feld für neue Technologien, umgebaut hat.Eine davon heißt RFID.Außer auf den Pa-letten im Lager kleben die Funketiketten hierauch auf einzelnen Produkten, auf Frisch-käse und Rasierklingen. Solange ein Mini-sender noch 30 Cent kostet, lohnt es sichnicht, jeden Joghurtbecher damit zu bekle-ben,aber es ist nur noch eine Frage der Zeit,bis die Chips fünf Cent kosten und die meis-ten Produkte mit ihnen versehen werden.Bielefeld, im Februar 2004: Mitglieder des„Vereins zur Förderung des öffentlichen

bewegten und unbewegten Datenverkehrs“(FoeBuD) legen eine Payback-Kundenkarteaus dem Future Store auf ein RFID-Lese-gerät. Zu ihrer Überraschung erscheint eineIdentifikationsnummer. Obwohl der Han-delskonzern die Funketiketten bald daraufwieder aus den Kundenkarten entfernt,zeigtdies doch,dass die Filmszenen des RegisseursSpielberg inzwischen zum Greifen nahegerückt sind. Denn selbstverständlich ent-halten die Kundenkarten auch die persön-lichen Daten wie Name,Alter und Adresse.„Mr.Anderton, Sie könnten jetzt ein Guin-ness vertragen.“ Vor kurzem haben die Datenschützer denPrototyp ihres „Data Privatizer“ vorgestellt,ein Gerät, das RFID-Chips und -Lesegerätenicht nur lokalisiert, sondern die Etikettensogar überschreiben kann. Da in naher Zu-kunft die neue Generation der Reisepässeund sogar die Euro-Banknoten mit RFID-Chips ausgestattet werden sollen, dürfte der Nutzen dieses Guerillafunks jedoch begrenzt sein.Der Informatiker Alois Ferscha vom Linzer„Institut für Pervasive Computing“ ist derÜberzeugung, dass uns die Kontrolle überdie Allgegenwart der Datenströme schonlängst entglitten ist. Bereits heute kämen aufeinen sichtbaren Computer 160 Prozessorenim unmittelbaren Umfeld, die unsichtbar inMikrowellen, Digitalkameras,Autos oder inHandys steckten.„Wenn all diese Dinge überFunk miteinander kommunizieren können“,sagt Ferscha, „dann sind sie keine Einzel-geräte mehr.“ Seine Vision: ein Megacom-puter als Summe dieser Teile, eine die Weltumspannende Matrix.„Es wäre schön,wennwir souverän entscheiden könnten – aberich glaube nicht, dass wir noch ,abschalten’können.“

In Zukunft könnte auf jeder Milchtüte ein winziger Funkchip kleben: DieRFID-Technik soll den Händlern Informationen über das Kaufverhalten ihrerKunden liefern. Sie birgt aber auch die Gefahr der lückenlosen Überwachung.

Text: Hilmar Poganatz Illustration: Dirk Schmidt

SCHÖNE NEUE WELT

„Wir können nicht mehrabschalten.“

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WEGBESCHREIBUNG

Frei wie der Wind, der ihnen ins Gesicht bläst

Poster kann man nicht kippen. Poster lassenkeine frische Luft herein und kein Licht.Poster sind ein schlechter Ersatz für Fenster,aber Martin lebt im Keller und ein Poster ist immer noch besser als die Kellerwand. DerKeller kostet 350 Euro im Monat und liegtfünfhundert Meter vom Straßburger Europa-rat entfernt.Die fünfhundert Meter geht Mar-tin morgens um neun und abends um sechs,seit zehn Wochen schon. Martin ist Prakti-kant,er übersetzt Briefe,er telefoniert, er hältAbgeordneten, die grußlos hereinkommen,die Tür auf. Martin ist 26 und arbeitet sehrgünstig,nämlich kostenlos – wie zuvor schonfür einen renommierten Think Tank in Lon-don oder beim Europäischen Parlament inBrüssel.Seit er an der elitären London Schoolof Economics einen ausgezeichneten Uni-abschluss in europäischer Sozialpolitik ge-macht hat, läuft es immer gleich:Eine E-Mailmit der Bestätigung auf seine Bewerbungkommt,Martin packt einen Koffer und ziehtin die neue Stadt.Er schickt seinen Freundeneine Rundmail mit der neuen Adresse undarbeitet los.Alles wie bei einem richtigen Job;nur dass am Ende des Monats nie Geld vonseinem Arbeitgeber auf dem Konto ist, son-dern eine Überweisung von Martins Eltern.Generationsforscher Jörg Tremmel, 34,kenntdie Situation: „Wer sich für einen Beruf qualifizieren will, muss zunächst investieren.Es ist nicht per se ungerecht, wenn Arbeit-geber unbezahlte Praktikumsplätze anbieten.Ungerecht jedoch ist, dass die Jüngeren in der Wirtschaft und im öffentlichen Dienst

heutzutage schlechter gestellt sind.Währendsie sich von Praktikum zu Praktikum han-geln, pochen die Älteren noch auf die Zu-sagen, die ihnen vor dreißig Jahren gegebenwurden.“ Das bedeutet, die Alten haben Angst – Angst, dass ein gut ausgebildeter Martin kommt und ihren Platz wegnimmt.Oder ein anderer der 250 000 arbeitslosenHochschulabsolventen aus Deutschland, dienoch nie richtig erwerbstätig waren. Ar-beiten darf Martin, aber bleiben darf er nicht.Auf die Lücke,die er hinterlässt,wartet schonder nächste Praktikant.Wegen dieser Entwicklung hat Tremmel die„Stiftung für die Rechte zukünftiger Gene-rationen“ gegründet, es geht ihm um Ge-rechtigkeit: „Die fetten Jahre sind vorbei -aber nur für uns Junge“, sagt er. „WennDeutschland seinen Wohlfahrtsstaat zurück-bauen muss, dann sollten Jung und Alt engerzusammenrücken und die Lasten gleichmäßigaufteilen.“ Solange das nicht geschieht, wirdes für viele junge Akademiker wie Martinschwer bleiben, eine Stelle zu finden. Die Zahl der Jungakademiker, die unter ihremAusbildungsniveau beschäftigt sind, hat sich heute im Vergleich zu den Achtzigerjahrenmehr als verdoppelt.Abends trifft Martin die anderen Europarat-Praktikanten. In geübtem Smalltalk-Englischtauschen sie sich darüber aus, welches Prak-tikum als nächstes kommt, in vier oder achtWochen. Das Studium haben sie beendet,schneller und ehrgeiziger als viele andere.Siehaben sich rechtzeitig umgesehen, haben

alte Freunde und neue Lieben zurückgelassen,um endlich in die Nähe der Jobs zu kommen.Jetzt sind sie da, ohne ersichtliche Chance,ihrem Status als unbezahlte Hilfskraft zu ent-kommen. Aber bevor richtig Unbequemeskommt (Arbeitslosigkeit! Neuorientierung!Fabrik!), kommt ein neues Praktikum. DerPhilosoph und Jungprofessor Felix Ekardt,nursieben Jahre älter als Martin, hat diese Ent-wicklung analysiert: „Im Zuge der Individu-alisierung ist eine Haltung gewachsen, die immer größere Erwartungen und Hoffnun-gen auf ein kreatives und außergewöhnliches,individuelles Leben hegt – die aber geradedarum notwendigerweise immer häufigerenttäuscht wird. Es kann nun einmal nicht jeder Maler, Grafikdesigner oder Filmstar werden.“ Ein gutes Stichwort für Miriam.

* * *Als die Kellnerin das erste Mal kommt unddie Bestellung aufnehmen will, lächelt Mi-riam ratlos in die Speisekarte. Beim zweitenMal wieder: lächeln, gucken und die Kellne-rin zieht wieder ab.Das mit dem Entscheidenist für Miriam,25, schwer.Besonders seit nachder Schule ihr Leben einfach daliegt und vonihr selber geformt werden soll. „Ich habe dasGefühl, wenn ich mich für eine Sache ent-scheide,kann ich tausend andere Sachen nichtmachen. Ich lege mich nicht gern fest“, sagtsie und erzählt von den letzten fünf Jahren:Nach dem Abitur hat sie keine Lust mehr aufLernen und will eine Schneiderlehre machen.Bis sie sich dazu durchgerungen hat, ist dieBewerbungsfrist schon abgelaufen.Als Ersatz

Junge Berufsanfänger haben heute viel mehr Möglichkeiten als ihre Eltern – aber auchviel mehr Probleme.Wir haben drei Vertreter der „Generation Praktikum“ getroffen.

Text: Max Scharnigg Fotos: Stephanie Füssenich

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Schneiderin, Dekorateurin, Konzertveranstalterin, Theaterwissenschaftlerin – Miriam hat schon viel ausprobiert.

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macht Miriam ein Praktikum in einer Schnei-derei, zwei Wochen lang. Die reichen, um das Thema Schneidern für immer ad acta zulegen. Ein paar Monate später ist sie Regie-hospitantin bei einer Theaterproduktion,danach macht sie die Dekoration in Techno-clubs, bastelt Masken, Skulpturen.„Das war die Zeit, in der ich dachte, ich könn-te ja Künstlerin werden.“ Das Dekorierenbringt kein Geld.Geld kostet aber der Abend-kurs,den Miriam danach belegt.Der ist nötig,um sich an der Kunstakademie bewerben zu können, mit einer vorbereiteten Mappe.„Da waren aber nur so unsympathische Totalchecker. Ich kam mir da irgendwie blödvor“, sagt Miriam. Das mit dem Kurs wird also nichts, damit wird’s auch nichts mit derBewerbung an der Akademie und der Kunst.Miriam arbeitet stattdessen in einem Kinder-modengeschäft, sie braucht Geld zum Leben.Die Wohnung, immerhin, stellen ihr noch dieEltern. Es folgen viele Praktika, die Miriamnicht mehr in die richtige Reihenfolge bringenkann: Sie ist bei einer Filmproduktionsfirma,wo sie am Telefon die Gläubiger abwimmelnmuss, monatelang. Sie kommt in ein kleinesMusiklabel und zu einem Konzertveranstalter.Dort nimmt sie einmal jemand beiseite undsagt: „Mädchen, ich glaube, die Branche istein bisschen zu hart für dich.“ Miriam ist ent-mutigt, das Abitur schon vier Jahre her.Sie istjetzt kurz davor, sich bei einer Schauspiel-schule zu bewerben, aber da ist sie mit 23 fastschon zu alt.Also schreibt sie sich in Münchenfür Theaterwissenschaften ein.Derzeit studiert Miriam, und wenn alles gutgeht, ist sie in vier Semestern fertig.Wenn siedarüber spricht, wie es dann weitergeht,lächelt Miriam vage,genau wie vorher bei derSpeisekarte: „Ich weiß nicht, wo es hingehensoll.Wenn ich daran denke, dass ich mich ander Kunstakademie hätte bewerben können,werde ich ganz unruhig. Ich sehne mich oft danach, dass sich diese Unruhe legt und nichtimmer alle Möglichkeiten offen sind.“Jörg Tremmel sagt dazu: „Freiheit ohne ma-terielle Sicherheit ist nur halb so schön.Vor allem ist ein solches Schmetterlingsleben nur möglich, solange man noch keine Verant-wortung übernehmen muss. Deshalb werden Eheschließungen und Geburten auch immer weiter hinausgeschoben.“

Martin war zielstrebig, ehrgeizig und weißheute nicht, wie es weitergehen soll. Miriamwar nicht zielstrebig, hat vieles ausprobiertund weiß auch nicht,wie es weitergehen soll.Es muss eine andere Lösung geben.ProfessorEkardt glaubt, sie zu kennen: „Noch leis-

tungsorientierter denken,noch mehr arbeiten,noch mehr lernen. Die innere Einstellung,die sich in einen dreihundertprozentigen Arbeitswillen übersetzt, ist der sichersteSchlüssel zum Erfolg. Kein Praktikum, keinAuslandsaufenthalt, kein noch so originellerLebenslauf können ihn ersetzen.“ Das ist dieStelle, an der Johannas Geschichte passt.

* * *Wenn man Johanna am Telefon fragt, wasFreiheit für sie bedeutet,muss sie lange über-legen. Im Hintergrund klingen ungewohnteVogelstimmen.Johanna ist gerade in Granada,danach geht es wieder zurück nach Passauund sobald wie möglich wieder nach Me-norca. Sie ist frei, aber sie hat keine Zeit, da-rüber nachzudenken. Es gibt zu viel zu tun.Schließlich antwortet sie: „Das bringt mirnichts, das so theoretisch zu definieren. Ichgehe meinen Weg, ich weiß,was ich dafür tunmuss.Wenn das Freiheit ist, bitte schön.“Was Johanna tut:Nach dem Abitur macht siesich mit einer großen Plastiktasche auf denWeg nach Menorca,um dort eine Ausbildungzur Goldschmiedin anzufangen. Nach Endeder Ausbildung stellt Johanna fest, dass ihr et-was anderes viel besser liegt als die praktischeArbeit mit Schmuck:Sie kann ihn verkaufen.Sie kann Leute überzeugen und begeistern.Das hatte sie schon als Schülersprecherin aufdem Gymnasium gemerkt. Dass das genausogut klappt, wenn es darum geht, spanischen

WEGBESCHREIBUNG

Martin: Praktikum nach Praktikum, aber noch kein fester Job.

Johanna ist frei, kann darüber abernicht nachdenken.

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Schmuck in Deutschland zu vermarkten,erfährt sie während ihrer Ausbildung. Siegeht zurück nach Deutschland,erkundigtsich beim Arbeitsamt, was sie mit ihrerIdee vom Schmuckmarketing machenkann. Die Sachbearbeiterin winkt ab, Jo-hannas Abischnitt von 2,6 sei zu schlecht,um Kulturwirtschaft zu studieren.Sie sollesich etwas anderes überlegen. Johannahört nicht darauf, ihre Ausbildungsjahrewerden als Wartezeit angerechnet, schonist sie Studentin in Passau und holt sich dasWirtschaftswissen,das ihr zum Schmuck-marketing fehlt. Ihre Miete wird von denEltern finanziert, aber Johanna muss inden Semesterferien Geld verdienen undarbeitet auf dem Bau, als Empfangsdame,als Kellnerin. Unbezahlte Praktika schei-den für sie aus. Johanna zimmert sich ihreNische zurecht: „Goldschmiede gibt essehr viele, aber sobald ich sage, dass ich ins Marketing gehen möchte, bin ich dieEinzige.Aber weil es keinen klaren Weggibt, muss ich alles selber lenken.“

Johanna hat keine Angst vor der Zukunft.Wenn sich nichts anderes ergeben sollte,sagt sie, dann arbeitet sie eben wieder aufden Bau. Irgendwas geht immer. „Ichweiß, was ich kann – und dafür warenmeine Ausbildung und alle die kleinenJobs viel wert.“

* * *Johanna legt den Hörer auf und geht ei-ne Runde reiten mit ihrem spanischenPflegepferd Asti. Miriam würde morgenAbend gerne zum Kristofer-Aström-Konzert gehen, hat aber kein Geld. IhrenNebenjob in einem angesagten Münch-ner Club hat sie grade vor zwei Wochengekündigt, irgendwie hatte es ihr dortnicht mehr gefallen.Und Martin beendetin der nächsten Woche sein Praktikum in Straßburg, das Abschiedsgeschenk hat er von seiner Vorgesetzten schon bekom-men: ein FC-Bayern-Trikot.Damit ziehter erst einmal wieder zu seinen Elternnach Oberbayern.Zurück in sein Jugend-zimmer, die alten Poster an der Wand.

Johanna hat keine Angst vor der Zukunft – „irgendwas geht immer“.

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MACHTWECHSEL

Die WaldmeisterDas Internet ermöglicht Kulturaustausch und Kulturschaffen bisher ungekannten Ausmaßes. Das macht jedoch nicht alle gleich glücklich.Text:Anjana Shrivastava Foto: Lisa Miletic

Einst gehörte der Wald den Königen.Siehielten sich dort aber nur auf,wenn sieihre Hirsche jagten. Die übrige Zeit

passten Förster auf, dass die Wilderei nichtüberhand nahm, viel mehr konnten sie nichttun.Das ist mit ein Grund,warum der dunkleWald zu den Freiheitsmythen gehört.In diesen Zusammenhang kann man dieIdeen des Juraprofessors und Cyberspace-Experten Lawrence Lessig stellen. Unsereheutige Musik-,Literatur- und Filmkultur istein solcher Wald, eine Art Wildnis inmittenunserer modernen Welt, die zwar überwachtund reguliert wird, aber nicht völlig kontrol-liert werden kann. Lessig, tätig an der Stan-ford-Universität, ist besorgt um die traditio-nellen Freiheiten des kulturellen Austauschs.In seinen Vorträgen spricht er über Urheber-rechte, öffentliches Kulturgut und über weitverbreitete Techniken wie Remixing, Sam-pling oder das Brennen von MP3s. Lessig re-det über das globale Netz, in dem wir – obnun zum Guten oder Schlechten – immermehr Zeit verbringen und uns digital ver-stricken.Er beschreibt dabei,wie eine neue demokra-tische Kultur entsteht, die der Konsumkulturdes 20. Jahrhunderts langsam den Rückenkehrt. Aus Couchpotatoes werden Kultur-produzenten:Früher schickten nur einige we-nige Sender ihre Informationen an passiveKonsumenten, die zu Hause vor ihren Fern-sehern saßen.Heute gestattet die Struktur ver-netzter Personalcomputer eine Kommunika-tion auf gleicher Augenhöhe und ermöglicht so den früheren Empfängern nicht nur, sichalles Mögliche runterzuladen, sondern auch,es zu remixen und anschließend wieder in dieWelt zu senden.Bislang war die Industrie eine treibende Kraftdieser Entwicklung, indem sie Personalcom-puter und CD-Brenner preisgünstig auf denMarkt brachte. Doch jetzt scheint der enor-me Erfolg dieser „freien Kultur“ ein Klima der Angst bei den „Königen der Ein-bahnstraßen-Kultur“ erzeugt zu haben. Sie

fürchten um die Möglichkeit, den globalenAustausch weiter in ihrem Sinne zu dirigieren.Einst hat die Kulturindustrie, also die Plat-tenfirmen und die Filmkonzerne, bis dahinnur mündlich übertragene Werke der Po-pulärkultur aufgegriffen und daraus Schall-platten und Filme gemacht,Produkte,die mankaufen und weiterverkaufen konnte – nichtunähnlich dem Großwild im Wald.Aber mitder Entwicklung billiger CDs, die den Weg für unabhängige Musikproduktionen öffne-ten,und den MP3s,die eine Kompression vonMusikdaten und deren kostenlose Verbreitungim Netz ermöglichten, sind diesem Wildplötzlich Flügel gewachsen. Anders gesagt:Die Kultur ist wieder immateriell geworden.Lessig zufolge hat das Raubkopieren,das heißt

der Missbrauch digitaler Privatkopien, den„Königen“ der Kulturindustrie einen hand-festen Vorwand geliefert, alles in ihrer MachtStehende zu tun, um diese „neue Freiheit“zu beschneiden,um ihre Waldreviere zu kon-trollieren und zu schützen. Ihre Besitzan-sprüche leiten sie von den Urheberrechtenab,die ihnen die Möglichkeit einräumen,dasvon ihnen erworbene geistige Eigentumkommerziell auszuwerten:Anfänglich galt einUrheberschutz auf geistiges Eigentum in denUSA nur für 14 Jahre (mit Option auf eineeinmalige Verlängerung). Amerikanische Gerichte räumten ihm jedoch, auf Betrei-ben der Industrie, eine immer längere Dauer ein: Heute gelten Copyrights längerals lebenslänglich, sie überdauern den Tod des Autors um siebzig Jahre.Lessig meint, dass diese lange Dauer nicht Anreize für neue Ideen oder Bücher schafft,sondern lediglich den Großgrundbesitz derKulturmächtigen aufstockt.Wer meint, dass

die Beschränkungen durch das Copyrightdoch kein Hindernis sind,weil es so leicht sei,im Netz zu wildern, der irrt Lessigs Ansichtnach. Er meint, dass die Antiraubkopier-Techniken, auch „Digital Rights Manage-ment“ genannt, kurz davor stehen, das An-fertigen von privaten Raubkopien unmög-lich zu machen. Man könnte das Kopieren einer Idee auch als etwas betrachten, das denWirkungskreis eines Werkes ausdehnt und denUrhebern eher nützt als schadet. Aber dieKulturindustrie sieht darin nur eine Verlet-zung ihrer Copyrights und ihres Vertriebs-monopols, das heißt eines digitalen Marktes,der letztlich bis in den Kopf des lesendenMenschen reicht. „In den oberen Etagen,woEntscheidungen getroffen werden,gibt es kei-ne Diskussion mehr darüber, ob man dieseSysteme einführen soll“,meint Lessig.„Es gibtnur eine kleine Randgruppe von Leuten wiemich, die sich noch fragen:Wollen wir diesesZeug überhaupt?“Bei der Beschreibung seiner Gegenstrategienimmt Lessig einen Gedanken Kurt Vonnegutsauf: „Dessen Geschichte über Eis 9 handeltvon einem bestimmten Wasserisotop, das den Gefrierpunkt von Wasser von null Gradauf Zimmertemperatur verschiebt. Mit nureinem Isotop, das man in ein riesiges Wasser-becken gibt, lässt sich der Gefrierpunkt bereitsändern.“ Daraufhin spricht Lessig über seinvon ihm 2001 begründetes System alternati-ver Lizensierung:„creative commons“,was soviel wie „Gemeineigentum“ bedeutet. Bis-lang hat sich dieses System schon in mehr alsdreißig Ländern etabliert.Seiner Ansicht nachkönnten damit Künstler in Zukunft eine ge-schützte freie Kulturzone schaffen. Anfäng-lich wurde seine Idee hauptsächlich vonSchriftstellern und Wissenschaftlern aufge-griffen.Aber im vergangenen Jahr gab Lessigzusammen mit dem Wired Magazine erstmalseine CD heraus,die von bekannten Musikernwie etwa David Byrne, Gilberto Gil, den Beastie Boys und Spoon bespielt wurde. Dadie Knebeltechnologie des Digital Rights Ma-

Dem Wild sind Flügelgewachsen.

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nagement nur bei den heute gängigen Co-pyright-Verträgen angewendet werden kann,gibt Lessigs Alternativsystem den Künstlerndie Möglichkeit, sich stattdessen auch für eine freie Zone zu entscheiden,wo ihr Publi-kum sich wie bisher Privatkopien ziehen unddas Material remixen kann. „Wir wollen dievon uns lizensierten kreativen Produkte mitder Freiheit verklammern“, sagt Lessig.Für den amerikanischen VerfassungsrechtlerLessig erscheint es als eine Ironie der Ge-schichte, wie die derzeitige Rechtsprechungan den US-Gerichten auf die urheberrecht-lichen Traditionen der alteuropäischen Mo-narchien zurückgreift: Das Gewähren vonlangfristigen Urheberrechten seitens der Im-perialmächte Großbritannien und Frankreichwar eng verknüpft mit der gleichzeitigen Ein-richtung einer Zensur. Genau das ist es, wasman vielleicht am meisten zu fürchten hatbei den aktuellen Bestrebungen, den letztenwilden Bereich in der modernen Welt zentra-listisch zu kontrollieren.In einer Zukunft,diePrivatkopien verbietet, lauert die Zensur.Diesgilt insbesondere für diejenigen, die weder

schön singen noch tolle Cartoons zeichnenkönnen. Ihnen wird die digitale Freiheit geraubt, Musik zu sampeln oder Politiker-auftritte in satirischer Absicht zu mixen.In den alten Monarchien Europas konnten dieSoldaten des Königs für eine Hausdurchsu-chung einfach die Türen eintreten.Die Väterder amerikanischenVerfassung legten großenWert auf die Unverletzlichkeit der Privat-sphäre: Die Schwellen der Türen durften nurmit richterlicher Erlaubnis überschritten wer-den. Noch im 20. Jahrhundert haben ameri-kanische Richter dafür gesorgt, dass die Po-lizei keine privaten Telefongespräche abhörendurfte – sie retteten damit die alten Natur-rechte in das neue technologische Zeitalterhinüber.Doch inzwischen wird der Geist deralten Gesetze immer mehr ignoriert. Im krea-tiven Bereich, der letzten Wildnis der Mo-derne, sollten wir das Recht auf die Privat-kopie als eine Tür begreifen. Eine Tür zwi-schen der Außenwelt, die immer noch vonden Gesetzen des Königs reguliert wird, undder persönlichen geistigen Autonomie. DiePrivatkopie hat wie eine Tür eine äußere Sei-

te, die zur Welt mit ihren Traumfabriken vonHollywood bis Bollywood gehört.Aber es gibtauch eine innere Seite, die nur uns gehört,uns als Individuen ebenso wie als kultur-schaffendem Kollektiv.Wenn diese Grenzenicht respektiert wird, könnten wir in eineWelt geraten, in der das digitale Kontrollsys-tem bis zu unseren Traumbildern greift undnach unseren gedachten Worten. Das Inter-net,von Lessig ein „träumender Postbote“ge-nannt,würde nichts davon merken.Und wir?

Anjana Shrivastava lebt in Berlin und schreibt u.a.für das Wall Street Journal Europe, die Net-zeitung und den norwegischen Mandag Morgen.

Kulturaustausch nach Lessig auf www.creativecommons.org

Lesen:Volker Grassmuck: Freie Software: Zwi-schen Privat- und Gemeineigentum. Bestellenoder downloaden: http://freie-software.bpb.de

☞ Auf www.fluter.de: der Whole Earth Ca-talogue:die frühe Bibel der Hacker und Aussteiger

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AUFKLÄRUNG

Wo hat das Wort „Freiheit“seinen Ursprung?Das Wort gehört in ein Begriffsfeld mit„Freund“ und „Frieden“. Freiheit verweistauf einen geschützten Raum (Familie,Stamm,Fürstentum), in dem Frieden herrscht.Vor-aussetzung für diese Freiheit ist eine Macht,die den Raum gegen konkurrierende Frei-heitsräume verteidigen kann.

Wer hat den Begriff geprägt?Im antiken Griechenland wurde der Begriff„frei sein“ im Unterschied zu „Sklave sein“verwendet.Frei war in der griechischen Polis-Welt allerdings nur eine relativ kleine Gruppe:die männlichen und wirtschaftlich selbst-ständigen Bürger. Dieser Personenkreis be-anspruchte für sich schon gewisse Freiheits-rechte (Meinungsfreiheit,Eigentumssicherheit)und durfte am politischen Entscheidungs-prozess teilnehmen. Das Christentum fügtedem Freiheitsbegriff in römischer Zeit die

Vorstellung von der Gleichheit aller Men-schen hinzu.Allerdings galt diese frühchrist-liche Vorstellung von Gleichheit nur für dasHimmelreich und für die christliche Ge-meinde. Außerhalb der Gemeinde blieb dieUngleichheit bestehen – der Sklave bliebSklave.

Wie war es im Mittelalterum die Freiheit bestellt?In den feudalen Gesellschaften des Mittel-alters änderte sich der in der Antike geprägteFreiheitsbegriff: Freiheit existierte nur inForm von einzelnen Freiheiten, von Privile-gien.Individuen oder Gruppen (Zünfte,Stän-de) konnten diese Privilegien (z.B. Freiheitvon Steuerbelastungen) von einem Herrschererhalten. Der Privilegierte verpflichtete sichim Gegenzug dazu, dessen Herrschaftsraumund -rechte zu erhalten und anzuerkennen.Freiheiten wurden gewährt, um die beste-henden Machtverhältnisse zu festigen.

Wie wurde die Vorstellungvon individuellen unver-äußerlichen Rechten zumMassenphänomen?Eine wichtige Etappe auf diesem Weg warendie Reformation und die in ihr begründete Gewissensfreiheit.Demnach ist das Gewissen des Menschen nur Gott gegenüber verpflichtet,aber keiner irdischen oder kirchlichen Auto-rität. In den folgenden Jahrhunderten erfolg-te eine Säkularisierung der christlichen Frei-heits- und Gleichheitsvorstellungen. Denkerund Philosophen entwickelten die Vor-stellung des Naturrechts. So formulierte der Philosoph Jean-Jacques Rousseau die Idee,dass der Mensch ein natürliches Recht aufFreiheit besitzt. Hieraus entstand die Vorstel-lung,dass ein Staat allen Menschen bestimm-

te unaufhebbare Rechte zu gewähren hat.Erstmals und allgemein normiert wurden dieMenschenrechte 1776 in der amerikani-schen Unabhängigkeitserklärung. Damitdokumentierten die Siedler jene Rechte, diesie in der Lebenswirklichkeit der Neuen Weltlängst besaßen und nun gegen die englische

Krone behaupten wollten. Mit der Französi-schen Revolution 1789 wurden die Men-schen- und Bürgerrechte,die Idee von „Frei-heit, Gleichheit, Brüderlichkeit“, erstmals inEuropa proklamiert. 1791 wurden sie in derfranzösischen Verfassung verankert.

Wann hat die Vorstellungvon Freiheit den Bereichder Wirtschaft erreicht?Der Markt in der antiken Welt der Polis warnoch streng reguliert. Offizielle Stellen leg-ten Höchstpreise fest, oftmals durften nur dieBürger der eigenen Stadt auf dem Markt

Was ist was:Freiheit

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ihre Waren verkaufen. Auch im Mittelalterwar die Wirtschaft noch stark reglementiert.Damals durften nur bestimmte Gruppen(Mitglieder von Zünften) eine Geschäfts-tätigkeit aufnehmen,die Größe eines Unter-nehmens wurde zudem von der Obrigkeitbegrenzt.Die Vorstellung von einem deregu-lierten, freien Markt wurde durch den eng-lischen Moralphilosophen und ÖkonomenAdam Smith bekannt. Seine Ansicht war:Wenn jeder an sich selber denkt, ist das für die Wirtschaft insgesamt und damit für dieAllgemeinheit am besten. In England durf-ten sich Bürger erst zu Beginn des 18. Jahr-hunderts ohne Einschränkungen wirtschaft-lich betätigen.Wer eine Idee und Kapital hat-te, konnte ein Unternehmen gründen. InDeutschland war das erst später, im wilhel-minischen Kaiserreich am Ende des 19. Jahr-hunderts möglich.

Seit wann gibt es Grundrech-te, die Freiheit garantieren?Im Heiligen Römischen Reich DeutscherNation wurde 1555 erstmals ein Recht füralle Deutschen gewährt, unabhängig vonihrem Stand: das Auswanderungsrecht. Esstand im Zusammenhang mit den Glaubens-regelungen des Augsburger Religionsfriedensund bot dem Einzelnen wenigstens die Mög-lichkeit der Emigration, wenn er sich demGlaubensdiktat seines Landesherrn nicht un-terwerfen wollte.Auch Eigentumssicherheitexistierte im 16. Jahrhundert schon. Im wil-helminischen Kaiserreich und in der Weima-rer Republik gab es schon viele der Grund-rechte, die wir heute kennen.Aber sie warennicht absolut gesichert, sondern standen zurDisposition des Gesetzgebers. So konntendiese Grundrechte durch Notverordnungen

außer Kraft gesetzt werden. Zum unverän-derbaren Verfassungsbestandteil sind dieGrundrechte erst in der Bundesrepublik ge-worden.

Verändert sich die Vorstellungvon Freiheit weiter?Permanent.Fast während des ganzen 20.Jahr-hunderts wurde staatliche Souveränität als ab-soluter Wert angesehen, keine Nation wolltein die inneren Belange eines anderen Staateseingreifen. Heute werden die Menschen-rechte als absoluter Wert betrachtet, der überall, auch gegen die Interessen einzelnerNationen, durchgesetzt werden muss.

Die Idee der Freiheit existiert seit Jahrtausenden. Dochzu jeder Zeit verstanden die Menschen darunter etwasanderes. Ein Überblick.Text: Sebastian Wehlings

Wir bedanken uns sehr herzlich bei Professor Georg Schmidtvon der Universität Jena. Er leitet dort ein interdisziplinäresForschungsprojekt zu Freiheitsvorstellungen in der FrühenNeuzeit. Die Informationen basieren im Wesentlichen auf ei-nem Gespräch mit Professor Schmidt und seinem MitarbeiterChristopher Snigula.

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ANSICHTSSACHE

„Du darfst wählen, aber du zahlst dafür.“ Aldous Huxley

Bild dir deine MeinungSechs Werke zeitgenössischer Künstler, die sich mit Freiheit beschäftigen – kombiniert mit sechsAnsichten zum gleichen Thema.

Shirin Neshat, Grace under Duty, 1994. Mit Erlaubnis der Thomas Rehbein Galerie, Köln

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„Das Verständnis für und der Glaube an die Freiheit sind in hohem Maße dadurch zerstört worden,dass die Bedeutung des Wortes so ausgedehnt wurde, dass es jeden klaren Sinn verloren hat.“

Friedrich August von Hayek

29Maurizio Cattelan, Frank & Jamie, 2002. Mit Erlaubnis der Marian Goodman Gallery, New York City

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„Es gibt kein Wort heutzutage, mit dem mehr Missbrauch betrieben wird als mit dem Wort ,frei’. Ich traue dem Wort nicht,

aus dem Grunde, weil keiner die Freiheit für alle will. Jeder will sie für sich.“Otto von Bismarck

Olaf Nicolai, Big Sneaker [The Nineties], 2001. Mit Erlaubnis der Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin

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„Wir betrachten den Kampf gegen Rassendiskriminierung und für Freiheit und Glück als das höchste Streben aller Menschen.“

Nelson Mandela

31Vanessa Beecroft, vb54.06.vb – TWA Terminal Five, JFK Airport, New York, 2004. Mit Erlaubnis von Vanessa Beecroft

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„Die schönsten Träume von Freiheit werden im Keller geträumt.“Friedrich Schiller

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Santiago Sierra, A Worker's Arm Passing Through The Ceiling Of An Art Space From A Dwelling – Calle Orizaba, 160, Mexico City, 2004. Mit Erlaubnis der Galerie Peter Kilchmann, Zürich

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„Ereignisse und gesunder Menschenverstand führen uns zu der Schlussfolgerung:Das Überleben der Freiheit in unserem Land hängt zunehmend vom Erfolg der

Freiheit in anderen Ländern ab. Die beste Hoffnung auf Frieden auf unserer Welt ist die Ausbreitung von Freiheit auf der ganzen Welt.“

George W. Bush

Marc Bijl, Freedomfighter, 2003 (Stickeraktion). Mit Erlaubnis der Upstream Gallery Amsterdam

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„Ich soll meinen Leib pressen in eine Schnür-brust und meinen Willen schnüren in Gesetz.Das Gesetz hat zum Schneckengang ver-dorben, was Adlerflug geworden wäre. DasGesetz hat noch keinen großen Mann ge-bildet, aber die Freiheit brütet Kolosse undExtremitäten aus.“Kaum hat Karl von Moor diese Worte ge-sprochen, wird es unruhig im Publikum. Esist 1971, an der Ost-Berliner Volksbühnewerden Die Räuber von Friedrich Schiller gespielt.1781 hat der damals 21-jährige Dich-ter das Theaterstück veröffentlicht, knappzweihundert Jahre später ist es immer nochaktuell. Die Regisseure Manfred Karge undMatthias Langhoff haben es als Anklage gegen das autoritäre SED-Regime auf dieBühne gebracht. Nach der Premiere verbie-tet die DDR-Regierung Schulklassen, dieAufführung zu besuchen.Es ist nicht das erste Mal, dass das Schiller-Stück für Unruhe sorgt, schon die heimlicheUraufführung 1782 gerät zum Tumult. Esheißt, „das Theater glich einem Irrenhause,rollende Augen, geballte Fäuste, stampfendeFüße,heisere Aufschreie im Zuschauerraum!Fremde Menschen fielen einander schluch-zend in die Arme, Frauen wankten, einerOhnmacht nahe, zur Türe. Es war eine all-gemeine Auflösung wie im Chaos,aus dessenNebeln eine neue Schöpfung hervorbricht!“Nach der Uraufführung folgen für SchillerArrest und Schreibverbot, ausgesprochendurch Herzog Karl Eugen. Der junge Dich-ter muss nach Weimar fliehen.Jener Herzog ist es auch, gegen den Die Räuber gerichtet sind. Schiller verachtet ihn,weil er von seiner Gunst abhängig ist – zu-nächst auf der Karlsschule,einer herzoglichenMilitärakademie, wo Schiller Medizin stu-diert, später bei seiner Arbeit als Dichter.Das Stück erzählt die Geschichte von Karlvon Moor, der seinem guten Elternhaus den

Rücken kehrt und sich einer Räuberbandeanschließt,um wie die damals populäre FigurRobin Hood unter den Reichen zu plün-dern und an die Armen zu verteilen. Schillerschreibt der Figur des Karl all jene Ideen aufden Leib, die ihn selbst beschäftigen:Freiheitvon Unterdrückung ebenso wie die Freiheitals Gegenentwurf zur eigenen Beschränkt-heit. So lässt Schiller seinen Helden Karl verkünden,dass jeder Mensch seine Freiheit,die richtigen Entscheidungen zu treffen,erkennen und nutzen müsse.In den Wochen und Monaten nach der Pre-miere rotten sich in Schwaben und Bayern

Jugendliche zusammen, berichtet 1785 dasMagazin der Philosophie und schönen Literatur.Die Banden wollen „Schillers Räuber reali-sieren“. Während der badischen Aufstände1848/49 wird das Räuberlied gesungen,wieauch 1831 im so genannten Gogenaufstandvon Handwerksburschen und Weinbergs-arbeitern in Tübingen. Schiller trifft nicht nur den Nerv seiner Zeit, sein Werk ver-stehen die Menschen zu allen Zeiten. Derjunge Friedrich Engels nannte Schiller den„größten liberalen Poeten“ und schwärmte:„Er ahnte die neue Zeit, die nach der Fran-zösischen Revolution anbrechen würde.“Thomas Mann schreibt 1955 in einem Essayvoller Bewunderung, dass Schiller seine patriotische Freiheitsbegeisterung sogar auf andere Völker übertrug: auf die Niederlandeim Don Carlos, die Schweiz im Wilhelm Tell und auf Frankreich in der Jungfrau vonOrleans. Und es gibt Schiller-Begeisterte, die

gar gesellschaftliche Bewegungen mit denAufführungen von Die Räuber in Verbindungbringen. So soll die 68er-Studentenrevoltenicht zufällig zwei Jahre nach Peter ZadeksRäuber-Inszenierung von 1966 in Bremenausgebrochen sein.Schiller bringt mit seinem Werk ein mensch-liches Grundbedürfnis auf den Punkt: dieSehnsucht nach Freiheit. Marcel Reich-Ranicki meinte letztens,Die Räuber seien ein„fabelhaftes Stück, die Revolte junger Men-schen gegen den Staat, gegen das Establish-ment. Ein Stück mit Kraft, mit ungeheurerProtestwirkung, herrlich!“2005 wurde aus Anlass von Schillers 200.To-destag am 9.Mai zum Schillerjahr ernannt,eswurde schlicht mit dem Wort „Freiheit“überschrieben. Nicht nur in Die Räuber – inallen Schiller-Stücken spielt die Freiheit dieeigentliche Hauptrolle;wobei der Dichter dieFreiheit nicht als einen grenzenlosen Zustandbeschwört. Die Freiheit des einen hört fürSchiller da auf, wo die Freiheit des anderenanfängt. Karl von Moor erkennt dies am Ende von Die Räuber. Er entlarvt sich selbstals „Narren, der die Welt durch Grausam-keiten verschönern und die Gesetze durchGesetzlosigkeit aufrechterhalten wollte“.Undliefert sich der Justiz aus.Schiller habe schon zu seiner Zeit erkannt, someint Rüdiger Safranski,Autor der jüngstenSchiller-Biografie, Schiller oder Die Erfindungdes Deutschen Idealismus, dass der Freiheits-kampf auch eine unerwünschte Wendung haben könne, nämlich, „dass im Namen derFreiheit Terrorismus verübt wird.Terrorismusder Freiheit. Er ist also schon sehr früh aufein Problem gestoßen, das uns im 20. Jahr-hundert noch sehr, sehr beschäftigt hat undweiterhin beschäftigen wird.“

☞Auf www.fluter.de: Was ist dran am Label„Dichter der Freiheit“?

GESELLSCHAFTSSPIEL

Vor über 200 Jahren hat Friedrich Schiller Die Räuber geschrieben.Bis heute hat diese Ode an die Freiheit nichts von ihrer Kraft verloren.Text: Susanne Klingner Fotos: Lisa Miletic

Banden wollten Schillers Räuber

realisieren.

Sturm und Drang

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ENTWICKLUNGSHILFE

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Der Name von Michail Obosows Protestorganisation führt ein wenigin die Irre:Wenn „Die ohne Putin Gehenden“ etwas unternehmen,dann stehen sie meist – auf Kundgebungen oder bei Mahnwachen.Und danach sitzen die „Iduschtschije bes Putina“ öfters – auf dem Polizeirevier. Das letzte Mal wurde der 21 Jahre alte Student fest-genommen, nachdem er auf dem St. Petersburger Marsfeld bei einerDemonstration ein T-Shirt verbrannt hatte. Allerdings war es keine Demo seiner Gruppe, sondern eine der „Naschi“ – und das T-Shirttrug deren Symbole. Die „Naschi“ („Die Unsrigen“) sind ebenfallseine Jugend- und Studentenorganisation, sogar noch jünger als Obo-sows im Januar gegründete Putin-Verweigerer.Doch ideologisch ver-treten sie das Gegenteil: Sie verehren Putin und preisen seine Politik.„Die Unsrigen“ sind die Nachfolgeorganisation der „GemeinsamGehenden“,die wegen so manch peinlicher Aktion in Verruf geratenwaren.Obosows Gruppe verballhornt jene erste gescheiterte Jugend-organisation des russischen Präsidenten mit ihrem Namen: „Die ohne Putin Gehenden“. Für Michail sind die Naschi „weniger unsere Konkurrenten als unsere Feinde“. Obwohl in Russland die

jungen Putin-Bejaher genauso wie die Putin-Gegner politisch ohneEinfluss sind, beharken sie sich mit harten verbalen Bandagen – bishin zum Vorwurf, die jeweilige Gegenseite sei faschistisch.„Die Staatsmacht hat Angst vor dem ukrainischen Szenario. Man befürchtet,dass die Leute auch bei uns irgendwelche Plätze besetzen“,sagt Michail Obosow.Vor allem deshalb seien die Naschi von PutinsBerater für Innenpolitik,Wladislaw Surkow, aus der Taufe gehobenworden. Zuletzt karrte die Bewegung 50 000 Jugendliche nach Moskau für eine Kundgebung zum Ende des Zweiten Weltkrieges vor sechzig Jahren – ein beeindruckendes Bild, aber viele Teilnehmerwaren nur wegen eines Gratisausflugs in die Hauptstadt dabei.Michail,Träger eines Pullis in auffälligem Ukraine-Orange,vergleichtdie Naschi mit der streng auf Parteilinie marschierenden Jugend-organisation der Sowjetzeit: „Surkow schafft diese Organisation, umallerlei leichtsinnige Ideen zu unterdrücken, die im Moment in studentischen Kreisen entstehen.“Noch hat dieser „Leichtsinn“ nicht viele angesteckt,er zeigt sich aberhartnäckig:Michails „Ohne Putin Gehende“ zählen in St.Petersburg

Wer in Russland Kritik an der Regierung äußert, muss mit Problemen rechnen. Michail Obosow lässt sich davon nicht einschüchtern – mit seiner

Studentenorganisation demonstriert er für mehr Meinungsfreiheit.

Text: Lothar Deeg Fotos: Eugen von Arb

Denn sie wissen, was sie tun

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und in Moskau je etwa siebzig Anhänger.AnAktionen nehmen davon nur knapp zwanzigteil, gesteht er ein: „Der Rest diskutiert mit,vor allem im Internet auf unserer Seite, hataber Angst vor der Polizei.“ In Russland gehört eben doch einiges an Zivilcourage dazu, den gegen jede Kritikempfindlichen Staatsapparat mit einer öffent-lich geäußerten eigenen Meinung heraus-zufordern: „Die Idee entstand am 5. Januar“,sagt Michail, „ich saß am Computer undchattete im Internet mit anderen engagiertenjungen Leuten.Wir kamen zum Schluss, dasses Zeit ist, aus der virtuellen Welt in die reale zu wechseln.Zeit, um auf die Straße zugehen und der Staatsmacht unsere Forde-rungen zu präsentieren.“ Michail beschreibtseine Funktion als „Pressesprecher und Ko-ordinator“.Einen Vorstand habe die Gruppegenauso wenig wie einen offiziellen Status –und „mit diesem Namen ohnehin keineChance auf eine Registrierung“ als Vereinoder politische Bewegung.Ihre Forderungen äußern die Putinlosen nunauch auf ihrer Webseite www.noputin.com:

Es geht ihnen um „echte und nicht um vor-getäuschte Meinungsfreiheit“, um ein Endeder Zensur in den Medien und der Gewalt in der Armee. Ein Reizthema für Studenten sind zudem Überlegungen des Verteidigungs-ministers, die bisher geltende Befreiung vomWehrdienst abzuschaffen. „Wir wollen nicht

in Tschetschenien als Kanonenfutter dienenoder Generälen ihre Datschen bauen“, soMichail.Dass die Gruppe sich im Januar 2005 bildete,war kein Zufall: Zum Jahresbeginn war einevon der Regierung beschlossene Sozial-reform in Kraft getreten, die zahlreiche bis-lang selbstverständliche Vergünstigungen für Rentner – wie freie Fahrt in öffentlichen Verkehrsmitteln und Gratismedikamente –durch bescheidene Geldzahlungen ersetzte.

Überall im Land kam es zu Protesten der Se-nioren, die sich geprellt fühlten. Die jungenOhne-Putin-Geher brachten mit fantasie-volleren Slogans Farbe in deren etwas ver-bissene Demonstrationen.Ihr Husarenstück war, als sie bei einer als Gegendemo der Kreml-Hauspartei „EinigesRussland“ ein Transparent mit der Aufschrift„Ja zur Kreml-Willkür“ entrollten.Zuvor hat-ten Michails Leute unter dem von den Be-hörden herangekarrten Publikum – zumeistBedienstete von Staatsbetrieben – Flugblät-ter mit dem Appell verteilt, sich nicht für dieStaatspropaganda missbrauchen zu lassen.Nach acht Minuten wurden sie überwältigtund festgenommen.Seitdem ist Michail um ei-nige praktische Erfahrungen des politischenWiderstands reicher: „Auf der Wache ist esbesser zu schweigen.Wenn du anfängst, beider Miliz von deinen Rechten zu sprechenund Ärger zu machen, dann sperren sie dichbis zum Gerichtstermin ein. Die Milizionärebehaupten dann, dass du bei der FestnahmeWiderstand geleistet hast, und das reichtschon für eine Anklage und einige Tage Haft.“

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ENTWICKLUNGSHILFE

„Meinen Eltern erzähle ich besser nichts darüber,

was ich so mache.“

Michail Obosow in seiner Wohnung in St. Petersburg und auf der Demonstration für die Freilassung des Putin-Gegners Michail Chodorkowski (rechts).

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Mit seinem Protest hat sich Michail einer-seits Ärger eingehandelt: Der Dekan seinerFakultät drohte ihm mit Rausschmiss; das Jugendkomitee der Stadtverwaltung drängtedarauf, Putin doch aus dem Namen derGruppe zu streichen – und zum ThemaTschetschenien bitte schön zu schweigen.Andererseits haben die Aktionen Michail zueiniger Bekanntheit verholfen – von der LosAngeles Times bis zum Spiegel interessiertensich Medien aus aller Welt für den schmäch-tigen Studenten der Automatisierungstech-nologie. Doch auch der Staat hielt Augen und Ohren offen:„Beim ersten Interview mit einem US-Korrespondenten in einem an-sonsten leeren Café kam gleich ein unange-nehm aussehender Typ herein, setzte sich anden Nebentisch und legte sein Gerätchen aufden Tisch“,erzählt Michail – und wundert sichnoch heute über die Plumpheit des Lausch-angriffs: „Der hat nicht mal was bestellt.“Inzwischen können die Ohne-Putin-GeherBesucher ungestört in ihrem „Stabsquartier“empfangen: Private Förderer, die Michail namentlich nicht nennen will, haben seiner

Gruppe eine winzige möblierte Hinterhof-wohnung gemietet. Dort können sie nun diskutieren und Pläne schmieden. Doch derFeind hört mit – auch hier:„In St.Petersburgbesteht heute ein weit verzweigtes Netz po-litischer Spionage.“ Er habe eindeutige Hin-weise, dass aus den eigenen Reihen weiter-gegeben werde, was Einzelne gesagt habenoder welche Aktionen geplant werden.„Wirsind deshalb sehr vorsichtig geworden. Dasstört natürlich die Kommunikation.“ Allerdings, sagt Michail, „wir machen das genauso und schmuggeln unsere Leute beiNaschi ein.“ Außerdem berichtet er von einer Hand voll Überläufern von den „Ge-meinsam Gehenden“: „Sie kamen zu uns,weil sie mit der Tschetschenien-Politik nichteinverstanden waren und bei den Rentner-demos provozieren sollten. Die werden vondenen jetzt gesucht, aber wir bemühen uns,sie nicht zu enttarnen. Sie haben Angst“,berichtet Michail. Ihm selbst sei manchmalauch mulmig – vor allem, weil die „Unsri-gen“ inzwischen aktiv unter Fußballfans undSkinheads Mitglieder rekrutierten. „Meinen

Eltern erzähle ich besser nichts darüber, wasich so mache“, meint er.Anders als bei den Rentnern, die sich nun –nach hektischen Zugeständnissen des Staates– wieder bevorzugt um Enkelkinder undDatschen kümmern, ist der Jugendprotestnicht wieder eingeschlafen:Während in Mos-kau der potenzielle Putin-Herausforderer Michail Chodorkowski „mit lebenslangerUrteilsverlesung bestraft“ wurde,wie man inRussland spottete,demonstrierten „Die ohnePutin Gehenden“ an einem Maisonntag ge-meinsam mit der liberalen Partei „Jabloko“für dessen Freilassung: „Chodorkowski gohome!“, lautete der Slogan. Jedoch: Mehr alsgut dreißig Demonstranten konnten die ver-einigten Oppositionäre in der Fünf-Millionen-Stadt nicht aufbieten. Und Chodorkowski istinzwischen zu neun Jahren Lagerhaft verur-teilt.Trotz allem zweifelt Michail nicht an sei-ner Sache:Auch kleine Demos seien wichtig,damit die Jugend wisse, dass es in RusslandLeute gibt, die bereit sind, auf die Straße zugehen.„Und eines Tages“,da ist er zuversicht-lich, „eines Tages schließen sie sich an.“

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HALTUNGSNOTEN

Kennst du den?*

Der Aufstrebende

Schon seit seiner Kindheit ist sein Lieb-lingsverein der FC Bayern München.Er warim Tennisverein, und obwohl seine Elternnicht wohlhabend waren, kauften sie ihmvor allem Kleidung von Benetton und MarcO’Polo. Die Lektion, die er so schon frühlernte:Wer Geld hat und zu den Gewinnerngehört,der führt ein leichtes,befreites Leben.Mit hochgestelltem Polokragen kämpft ersich seither durchs Leben, stets bereit, seineÜberzeugungen und Interessen nach denender jeweiligen Eliten auszurichten. Die be-finden sich für ihn in seinem wirtschafts-wissenschaftlichen Studium, seinem Sport-verein oder beim Praktikum in einer re-nommierten Unternehmensberatung. Dortbetreibt er stets lächelnd Networking, be-jammert die Macht der Gewerkschaften und macht sich auf die Suche nach einemadäquaten Lebenspartner: am besten aus gutem Hause.Freiheit ist… „die ungehinderte Entfaltungder Kräfte des Marktes“Die Vorbilder: Thomas Middelhoff undUli Hoeneß

Der Bedürfnislose

Jeden Tag verlässt er sein Sofa zur selben Zeit,um für ein paar Schachpartien in den Parkzu gehen. Nicht dass ihn dort jemand er-warten würde.Es ist vielmehr so, dass genauin diesem Moment die Sonne hinter demgegenüberliegenden Dachgiebel verschwin-det und das Sofa im Schatten liegt.Und wennsein stets unabgeschlossenes Fahrrad wiedereinmal geklaut wurde, erfüllt ihn das nichtmit Wut. Er denkt, dass es jemand dringen-der brauchte. Er wird schon wieder jeman-den finden, der ihm im Austausch gegenSchachunterricht ein anderes Fahrrad über-lässt.Zum Essen lädt er sich gern bei Freun-den ein,die ihm dafür vom stressigen Lebenzwischen Vorlesung und Nebenjob vor-jammern dürfen. Sein eigenes Philosophie-studium ruht seit geraumer Zeit,der Bedürf-nislose lernt lieber Tai-Chi oder Jonglieren.Freiheit ist… „etwas, das man nicht beschreiben kann,ohne Gefahr zu laufen,esgenau durch diesen Definitionsprozess aufsSpiel zu setzen“Die Vorbilder: Diogenes und der Typ ausder Gauloises-Werbung

Der Superglobale

Die Freunde des Superglobalen zitterten zu Jahresbeginn vor der Textiloffensive ausChina – jetzt wo die Importquoten gefallenseien. Der Superglobale öffnete hingegen eine Flasche Champagner, um den „glor-reichen Sieg des ökonomischen Weltgeistesgegen kleinmütiges Bezirksdenken“ würdigzu feiern. Sein Diplom kommt aus derSchweiz, sein Sportwagen aus den USA, sei-ne Freundin aus Spanien.Wenn ihn jemandnach seiner Nationalität fragt, antwortet er„Europäer“ oder „Kosmopolit“. Der Ge-danke, sich einem Land, einer Nation zu-gehörig zu fühlen, lässt kalten Schweiß aufseiner Stirn erscheinen.Dass er weder weiß,wie das Bundesland heißt, in dem er wohnt,noch,was der Unterschied zwischen Teuto-burger Wald und Schwarzwald ist, betrach-tet er nicht als Nachlässigkeit, sondern als eine seiner größten Errungenschaften.Freiheit ist… „Fakes von amerikanischenSneakern auf der chinesischen eBay-Seite zu einem Spottpreis zu schießen“Die Vorbilder: Rupert Murdoch undMickymaus

An Freiheit hängt, zur Freiheit drängt doch jeder – auf seine Art.Text: Mathias Irle, Christoph Koch Illustration: Frank Weichselgartner

*Ode

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Der Guerillakämpfer

Frauen in Highheels – von Männern zur Er-füllung von Schönheitsidealen gezwungeneDinger. Jugendliche Kleingangster – Pro-dukte der Ellenbogengesellschaft. Die Weltdes Guerillakämpfers ist schwarz-weiß, dieSchuld trifft immer das System. Freiwilligwerden „die da oben“ nie von ihren subtilenUnterdrückungsmechanismen lassen,die denMenschen an der Entfaltung hindern. Ihrewichtigste Waffe: das Fernsehen.Um dessenMacht zu verstehen, zappt der Gueril-lakämpfer ziellos durch die Kanäle. SeinenFreunden erzählt er, „bald was zu planen“.Leider kommt ihm sein Vater dazwischen,der ihm aus erzieherischen Gründen dieZahlung der Kfz-Versicherung für seinenJeep streicht.Woraufhin dem Guerillakämp-fer nichts anderes übrig bleibt, als vor demFreiheitskampf erst einmal die Ausbildung zubeenden. Denn wer startet die Revolutionschon aus dem Linienbus? Freiheit ist ...„die Beendigung von Unter-drückung durch Kampf“Die Vorbilder: Che Guevara und der Sän-ger von Rage Against The Machine

Der Intellektuelle

Um seine Gedanken aufs Wesentliche zukonzentrieren und seiner BedürfnislosigkeitAusdruck zu verleihen, rasiert er sich dieHaare mit einem Langhaarschneider.Er trägtschwarze Rollkragenpullover und hat denFernseher aus seinem Apartment verbannt.Wenn er nicht in einem Seminar Dozentenmit Sinnfragen nervt, sitzt er in seiner Kammer vor einer Schreibmaschine,blättertziellos in den Klassikern der Philosophie-geschichte und trinkt einen Espresso. Oftsetzt er sein Literaturstudium auf dem Bettfort. Dabei erscheinen ihm die Zeilen des Sartre-Werks Das Sein und das Nichtsdoppelt, er macht ein Nickerchen. Nichtschlimm, dass es erst vormittags ist:Schlafend ist er dem Wesentlichen vielnäher – der Französin Olivia. Die hat erbeim Schüleraustausch kennen gelernt, ineinem Café in Paris.Freiheit ist… „die Willensfreiheit des Subjekts im Sosein als Antwort auf seine Existenz im das ihn umgebenden Dasein“Die Vorbilder: Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir

Der Surfer

Im Grunde ist das Leben ganz einfach:Manbraucht nur einen Strand, Sonne, ein Surf-brett,gute Wellen.Sieht man von Fernreisen,extravagantem Surfmaterial und sauteurenOriginalteilen für den VW-Campingbus ab. Um sich das Geld für die Freiheit zu besorgen, arbeitet er während seines Sport-studiums an den Wochenenden als Promo-ter oder bespannt Tennisschläger neu undwird nach dem Studium verbeamteter Lehrer.Häufig fällt er schon während des Referen-dariats durch Realitätsflucht negativ auf. Im-mer wieder versinkt er minutenlang in Tag-träumen. Mit zunehmendem Alter fällt ihmmit seinen langen Dreadlocks, der sich ewigpellenden Haut und seiner Beach-Menta-lität die Integration in den Alltag immerschwerer.Freiheit ist... „eins zu werden mit dergroßen Welle“Die Vorbilder: Patrick Swayze in Gefährli-che Brandung und Tony Hawk

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DEUTSCHLANDREISE

Ich habe uneingeschränkte Freiheit zumersten Mal in meinem erwachsenen Lebengespürt, als meine Mutter, mein Bruder

Christoph und ich kurz nach dem Ende desZweiten Weltkriegs mit einer amerikanischenMilitärmaschine aus Berlin nach Westdeutsch-land ausgeflogen wurden. Es war der Ent-schlossenheit unserer Mutter zu verdanken,dass wir auf der Seite des Eisernen Vorhangsleben konnten, die eine freie Entfaltung er-möglichte. Die Freiheit, die Kinder zur Ent-wicklung ihrer Persönlichkeit und Freude am Leben benötigen,haben uns unsere Elterntrotz Sorgen und schwerer Zeiten in vollemUmfang gegeben.Wir hatten eine ungetrübte,vergnügte Kindheit.Freiheit ist für mich sehr eng verknüpft mitgeistiger Freiheit. Sie ist die Grundlage fürToleranz und die Anerkennung des Anders-denkenden.Als meine Brüder und ich nochklein waren – ich bin 1926 geboren –, hatmeine Mutter mit uns oft das Lied „Die Gedanken sind frei“ gesungen. Sie hat es mitLeidenschaft gesungen,ohne dass wir damals,Anfang der Dreißigerjahre,die politische Be-deutung des Liedes erahnt hätten.Bei mir undmeinen Brüdern Klaus und Christoph formtesich durch die Erziehung meiner Eltern schon früh eine sehr klare Wertehaltung,nicht allein in Bezug auf Freiheit, sondern auch aufVerantwortung, Anstand, Ehrlichkeit und Moral. Der bedingungslose Einsatz meines Vaters im Widerstand gegen Hitler hat dieseHaltung für unser Leben geprägt.Die Verhaftung meines Vaters,meiner Mutterund ihres Bruders Dietrich Bonhoeffer imJahr 1943 war ein schwerer Schock. Mein Vater wurde in seinem Büro, meine Mutter zu Hause in Gegenwart meines BrudersChristoph und mein Onkel bei seinen Eltern

von der Gestapo verhaftet.Alle Verhaftungenzur gleichen Stunde – die Nazis hatten es präzise geplant, damit keine Kontakte mehraufgenommen werden konnten.Das Gefühl von Unfreiheit, das sich durch die Verhaftung meiner Familie einstellte, hatfür mich einen schweren Einschnitt in meinLeben bedeutet. Ich habe es schmerzhaft ver-misst, nicht frei fühlen und reden,mich nichtfrei bewegen zu können und meine Elternnur in Gefangenschaft sehen zu dürfen.AuchFreundschaften wurden dadurch belastet,dass man über so einschneidende Erlebnissenicht sprechen konnte.Trotzdem blieben es

Freundinnen, das ist im Kindes- und Jugend-alter etwas anderes. Man ist weniger streng,weniger rigoros in seinen Trennlinien.Ich hat-te eine Freundin,deren Vater jüdisch war.Mitihr konnte ich über alles reden und das warder Ausgleich.Doch man darf nicht vergessen,dass die Unfreiheit, die ich erlebt habe, aufein ganzes Leben gesehen, eine relativ kurze,prägende Zeit war – zwölf Jahre.Mein Vater kam nach seiner Verhaftung am 5. April 1943 in verschiedene Gefängnisse.Die Kontakte zur Widerstandsgruppe rissenmit seiner Gefangennahme nicht ab.Er bekamund schickte laufend Nachrichten in Formvon Kassibern – so nannte man die versteckten,geheimen Botschaften.Viele davon brachteich,als Siebzehnjährige,durch meine Besucheaus dem Gefängnis heraus.An die Angst vor

Verfolgung, vor der Gestapo, erinnere ichmich bis heute sehr deutlich. Ich wusste immer:War in einem Buch vorn der NameDohnanyi unterstrichen, so enthielt es eine verschlüsselte Nachricht. Auf jeder zweitenSeite war ein kleiner Punkt unter einemBuchstaben, so setzte sich die Botschaft zu-sammen. Mein Vater hatte zudem in einenPappbecher einen doppelten Boden gelegtund darauf eine Kerze gesetzt, um in demZwischenraum ganz kleine, fein geschriebenePapiere zu verstecken. Diese Kerze mit demBecher ist heute in Sachsenhausen ausgestellt.Dort wurde mein Vater am 9. April 1945 nach einem kurzen standgerichtlichen Ver-fahren ermordet.Die Fünfzigerjahre waren für uns natürlichnoch von dem Schicksal der Familie über-schattet.Gleichzeitig waren es Jahre, in denenman plötzlich in bis dahin ungekanntemMaße genoss, frei denken und leben zu können. Ich erinnere mich, etwa zwei Jahrenach dem Krieg Carl Zuckmayers Des TeufelsGeneral gesehen zu haben. Es war eine der ersten Theaterproduktionen und beein-druckte mich wegen der freien Kritik nach-haltig. Es war eine Zeit voller Dynamik undHoffnung, die jedoch gelegentlich noch diealten Strukturen der vergangenen Nazizeiterkennen ließ. Die Gesellschaft hatte in denFünfzigerjahren zwei Gesichter:Da waren die,die sich wirklich von der Diktatur befreit fühl-ten, und daneben diejenigen, die mit wenig Kritik den alten Zeiten gegenüber-standen. Gleichzeitig wurden die Gräuel der Naziverbrechen nicht ausreichend auf-gearbeitet.Man muss Freiheit manchmal auch mit Ge-duld begegnen:Es gibt Phasen, in denen eineGesellschaft den Umgang mit Freiheit, mit

Ist das Leben nicht schön?

Den Wert der Freiheit beurteilen kann am besten jemand, dem sie schon mal genommen wurde. Jemand wie Barbara von Dohnanyi-Bayer.Protokoll:Anne Siemens

MAN MUSSFREIHEIT MIT

GEDULD BEGEGNEN.

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wiedergewonnener oder neuer Freiheit,erst lernen muss. Abgeschlossen war die Konsolidierung der Nachkriegsgesellschaft in meinen Augen Anfang der Siebzigerjahre.Die Bewegung der 68er hat sicher durch ihr Begehren, die Nazitaten aufzuarbeiten, dazubeigetragen. Diesen Teil der 68er-Forderun-gen habe ich begrüßt. Das Extreme jedoch,die revolutionären Gedanken, die gegen Ende der Sechzigerjahre immer dominanterwurden, und die Aktivitäten, die daraus ent-standen, habe ich abgelehnt. Mit den 68ernist auch noch einmal besonders deutlich geworden,wie wichtig es ist, die Freiheit desanderen zu respektieren und die Grenzen dereigenen Freiheit anzuerkennen. Das ist dendamals in der Studentenbewegung Aktivennicht gelungen.Ihr Umgang mit Freiheit waroft sehr selbstbezogen. Sie waren aufgrundder Vergangenheit ihrer Eltern so über-emotional, dass der Respekt für die Freiheitder Gegenseite mehr und mehr auf derStrecke blieb. Doch auch hier zeigt sich inmeinen Augen wieder, dass der Umgang mitFreiheit ein Lernprozess ist. Man sieht es ander jetzigen jungen Generation: Ihre Mit-glieder gehen auf Demonstrationen mit derRuhe und dem Respekt für andere Men-schen vor,die vor dreißig Jahren gefehlt haben.Ich sehe mit Genugtuung, dass heute vieleder Jüngeren ihre demokratischen Rechte ak-tiv wahrnehmen und sich auf verschiedensteWeise für Freiheit einsetzen. Zugleich setztsich ein Teil der Jüngeren kritisch mit der Ein-schränkung der eigenen Freiheiten durch dieGesetzgebung zur Inneren Sicherheit aus-einander. Ich, die ich totale Unfreiheit erlebthabe, stehe diesen Einschränkungen wenigerablehnend gegenüber. Doch ungeachtet derWertung dieser Entwicklung ist es wichtig,

dass die jüngere Generation ein Bewusstseindafür hat, welch ein fundamentales Gut dieFreiheit ist. Und dass es überhaupt möglichist,ganz unterschiedliche Meinungen öffent-lich zu artikulieren.Ich würde mir wünschen,dass dieses Bewusstsein für Freiheit – trotz allder wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die esheute gibt – noch viel mehr junge Menschenergreift.Die Freiheit, in einer offenen Demokratie –mit allen sie begleitenden Problemen – zu le-ben,bewertet meine Generation sicher höherals die nachkommenden Generationen. Dieshat uns damals, nach Kriegsende, bei all denWidrigkeiten und Verlusten, eine Fröhlich-keit gegeben und eine Hoffnung,das Schick-sal in die eigenen Hände nehmen zu kön-nen.Mein Onkel Dietrich Bonhoeffer hat imGefängnis die Gedichte „Auf dem Wege zurFreiheit“ geschrieben. Ein Vers darin lautet:„Tritt aus ängstlichem Zögern heraus in denSturm des Geschehens – und die Freiheitwird Deinen Geist jauchzend empfangen“ –das empfinde ich bis heute als schöne Sicht-weise für das Leben.

IMPRESSUM

fluter – Magazin der Bundeszentrale fürpolitische Bildung, Ausgabe 15, Juni 2005

Herausgegeben von der Bundeszentralefür politische Bildung (bpb),Adenauerallee 86, 53113 Bonn, Telefon: 01888 / 515-0

Redaktion:Thorsten Schilling (verantwortlich),Bundeszentrale für politische Bildung([email protected]), Dirk Schönlebe (Koordination), Sebastian Wehlings, Heiko Zwirner (Chef vom Dienst), Thomas Kartsolis (Art Direction), Alexandra Rusitschka (Grafik)

Texte und Mitarbeit:Julia Decker, Lothar Deeg, FranziskaGörts, Anne Haeming, Mathias Irle,Susanne Klingner, Christoph Koch,Barbara Lich, Johannes Nitschmann,Bastian Obermayer, Hilmar Poganatz,Max Scharnigg, Anjana Shrivastava,Anne Siemens, Tanja Stelzer, BarbaraStreidl

Fotos und Illustrationen: Eugen von Arb,Achim Multhaupt, Stephanie Füssenich,Dirk Schmidt, Susanne Wegele, FrankWeichselgartner

Schlussredaktion: Isolde Durchholz

Redaktionsanschrift / Leserbriefe:fluter – Magazin der Bundeszentrale fürpolitische Bildung. sv corporate mediaGmbH, Emmy-Noether-Straße 2 /E,80992 München, Telefon: 089 / 2183-8327; Fax: 089 / 2183-8529; [email protected]

Satz+Repro: IMPULS GmbH,Taubesgarten 23 55234 Bechtolsheim

Druck: Bonifatius GmbHDruck – Buch – [email protected]

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Papier: Dieses Magazin wurde aufumweltfreundlichem, chlorfrei gebleich-tem Papier gedruckt.

ISSN 1611-1567 Bundeszentrale für poli-tische [email protected], www.bpb.de

Online-Bestelladresse:www.fluter.de/abo

Barbara von Dohnanyi-Bayer, 79, ist die Tochtervon Hans von Dohnanyi,einem Widerstandskämp-fer im Dritten Reich. IhrOnkel war der Theologeund WiderstandskämpferDietrich Bonhoeffer. Beide

wurden 1945 vom NS-Regime ermordet.Barbara von Dohnanyi-Bayer lebt in Mün-chen und hat einen Sohn und eine Tochter.

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BETRIEBSAUSFLUG

Die Dedon-Welt: L.A., Lüneburg, Cebu

Der Angelteich für Angestellte, natürlich mit Grillstelle.

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BOBBY IM WUNDERLAND

Der Unternehmer Bobby Dekeyser macht, was er will.Wenn in der Öffentlichkeit über Wirtschaftswachstum und Gewinne gesprochen wird, heißt das:Personalkosten reduzieren,Ausgaben minimieren, Produktion maximieren.Dekeyser hört da einfach nicht hin.Text:Tanja Stelzer Fotos:Achim Multhaupt

Verstünde er was vom Geschäft, er würde alles anders machen.So aber verkauft er Produkte, die niemand braucht, ein Bettfür draußen, zum Beispiel. Er lässt Kunden wochenlang

warten, nur damit seine Arbeiter auf den Philippinen nicht müde werden und die Angestellten in Deutschland um 17.30 Uhr Beach-volleyball spielen können, in die Sauna gehen, Kart fahren und wassonst noch zum Firmen-Freizeitangebot gehört, für das er inzwischeneine halbe Million Euro ausgegeben hat.Er sei ein ziemlich schlechterKaufmann, sagt Bobby Dekeyser, kein besonders guter Designer undvon Marketing habe er nicht viel Ahnung.Dafür versteht er ziemlichviel vom Wohlfühlen. Damit hat es wahrscheinlich zu tun, dass seinUnternehmen im letzten Jahr 55 Millionen Euro Umsatz gemacht hat.Die Wachstumsrate in den letzten fünf Jahren: 80 Prozent.Der Luxusmöbelhersteller Dedon: Firmensitz in Lüneburg, Nieder-lassungen in Barcelona und auf der philippinischen Insel Cebu,Kundenin Hollywood und überall sonst auf dem Globus, wo Menschen vielGeld für schöne Dinge ausgeben können. Brad Pitt hat bei Dedonzehn muschelförmige Sitzinseln gekauft, das Stück für 5000 Euro,und erst mal nur vier bekommen.Der Vatikan hat mal ein paar Damengeschickt, auf Einkaufstour für Papst Johannes Paul II. Luxushotels,Königshäuser bestellen bei Dedon, doch der wahre König ist bei Dedon nicht der Kunde, sondern der Angestellte. Er darf pünktlich

Feierabend machen und dann ins firmeneigene Spa, all die betriebs-wirtschaftlich unsinnigen Investitionen nutzen, die Sporthalle, dieSauna, über die der Chef sich freut wie ein Junge über ein neuesSpielzeugauto.Wie alle Kinder ist Bobby Dekeyser ziemlich rigoros,was die Moral betrifft.Wenn einer der prominenten Kunden ihm anbietet, einen höheren Preis zu zahlen, um die Lieferzeit zu ver-kürzen, sagt der Junge nein, weil das unfair wäre den anderen Kunden gegenüber. Seinen philippinischen Arbeitern zahlt er 30 bis50 Prozent mehr als den gesetzlichen Mindestlohn, er hat ihnen einen Gesundheitsdienst spendiert und einen Shuttleservice, der siezur Arbeit bringt.Bobby Dekeyser, 40, die Haare blond-grau gesträhnt, die Augen blauwie der Sommerhimmel, nimmt sich die Freiheit, gegen so ziemlichalle Regeln des Unternehmertums zu verstoßen. Er findet die Steuern nicht zu hoch,die Arbeitszeiten nicht zu kurz,einen Fünfzig-jährigen nicht zu alt, um ihn einzustellen. Er selbst, Chef von 2350Mitarbeitern,darunter Schwester,Schwager,alte Freunde,arbeitet „soungefähr halbtags“.Wenn er nicht auf Reisen ist, frühstückt er mit seiner Frau und den drei Kindern, er läuft, schwimmt, fährt in einemseiner Oldtimer spazieren. Ein Arbeitszimmer hat er nur daheim, aufeinem alten Bauernhof, aber nicht in der Firma, wo er mal hier ist,mal dort und häufig einfach weg.Der Kopf arbeitet natürlich immer,

Bobby Dekeyser, der Unternehmer.

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„aber damit was dabei herauskommt,braucheich die Ruhe, die Distanz“.Wenn er in seinem silbernen Mercedes 190SL Cabrio von 1955 durch Lüneburg fährt,sieht das alles – der Mann, das Auto, die Möbel, die Zahlen – eine Spur zu schön aus,um wahr zu sein. Zwei-, dreimal die Wocheführt Dekeyser Medienleute durch seine Unternehmenszentrale. Er zeigt ihnen dieShowrooms,die untergebracht sind in den ehe-maligen Stallungen eines Husarenregiments,er führt sie durch die Wellnessbüros und anden großen Tisch, um den mittags alle sitzenwie eine Großfamilie und sich verwöhnenlassen von Adriana,einer sizilianischen Köchin.Er zeigt Fotos von dem Ballon, der einmaldie Woche in die Luft steigt, im Korb eineHand voll Dedon-Mitarbeiter. Es kommtnicht selten vor, dass die Journalisten nach einem solchen Rundgang fragen, wo man,bitte schön,seine Bewerbung abgeben könne.Das Wirtschaftswunder von Lüneburg.Dass esfunktioniert, liegt an der Freiheit, die BobbyDekeyser seinen Mitarbeitern gibt. Er nenntdas Eigenverantwortung.Es macht gar nichts,wenn er selbst kein guter Kaufmann ist,solange er gute Kaufleute hat, die für ihn arbeiten, leidenschaftlich arbeiten, weil erihnen ein Budget gibt und sie ansonsten inRuhe lässt. Irgendwann trifft man sich

wieder und guckt, was dabei herausgekom-men ist. Leistung, sagt Dekeyser, kommt voninnen heraus, das hat nichts mit Arbeitszeiten

zu tun, man muss die Leute ernst nehmen.Was er damit meint, demonstriert er beimAusflug zum Dedon-Angelteich,hinter demAdriana, die Köchin, bald einen Gemüse-garten anlegen will.Der Angelteich ist Haus-meisterrevier.Dekeyser hat dem Hausmeisterdafür 15 000 Euro gegeben, er durfte alles somachen, wie es ihm gefällt. Herausgekom-men ist dabei ein Bassin mit 500 Fischen, amUfer steht ein Pavillon, der aussieht wie eineübergroße Version jener Gartenlauben im Allgäu-Schick,die man im Baumarkt kaufenkann. Dort treffen sich abends die Kollegenauf ein Gläschen. Die Anlage sieht aus wieein Kleingärtnertraum, das Gegenteil vomedlen Dedon-Geschmack. „Ich hätte es an-ders gemacht“, sagt Dekeyser vorsichtig, aberdas hier ist eben „Roberts Ranch“, wie ein

schmiedeeisernes Tor am Steg verkündet.Bobby Dekeyser meint es ernst, sonst hätte erwohl kaum bis heute durchgehalten. DasKonzept hat nämlich nicht immer funktio-niert. Zehn Jahre lang ist er „gerade so überdie Runden gekommen“.Er galt als Spinner,aber er hat einfach weitergemacht, Krediteaufgenommen, für die ein Nachbar bürgte,manches Mal rettete ihn ein Auftrag in letz-ter Sekunde,außerdem sei er „ziemlich stur“,man könnte auch sagen: Er blieb sich treu.Wissen, was man will, und sich treu bleiben:Das ist für ihn Freiheit. Das heißt aber auch:„Freiheit muss man sich hart erkämpfen.“Um herauszubekommen, was er wirklichwollte im Leben, musste Dekeyser erst miteinem zertrümmerten Gesicht im Kranken-haus liegen.Er war Fußballprofi,ein ziemlicherfolgreicher sogar, er spielte in Belgien, beiBayern München, zuletzt war er Torwart bei1860 München,Fußballer des Monats.Trotz-dem war er unglücklich.„Ich war ein guterSportler, aber im Grunde war ich kein Fuß-baller.“ Zum Fußball war er gekommen,weildie Fußballer immer schöne Mädchen hatten.Es hatte funktioniert: Mangelndes Talent habe er durch hartes Training kompensiert,und die Mädchen bekam er auch. Nachdemihm ein Gegenspieler den Ellbogen ins Ge-sicht gerammt hatte, sollte Schluss sein mit

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BETRIEBSAUSFLUG

Dekeyser galt alsSpinner, aber er machte

einfach weiter.

Links: das Modell Orbit; oben: So lässt sich’s arbeiten – der Wellnessbereich und der Fitness-raum von Dedon; rechts: die Fotopinnwand der Mitarbeiter.

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dem „Hyperdruck“. Auf einmal wusste er:Unternehmer wollte er sein. Nur eine Ge-schäftsidee hatte er nicht. Er fing an mit Ski-design,verkaufte Bastgiraffen aus Madagaskar,erinnerte sich,dass sein Großvater Henkel fürWaschmitteltrommeln hergestellt hatte. DasPlastik war hübsch,Rattanmöbel mochte De-keyser auch; also entwickelte er das Materialweiter, bis er eine Faser hatte, aus der manMöbel flechten konnte.Es sind sehr schöne Möbel geworden, wet-terfest, auf den Philippinen handgefertigt.Zwei Wochen arbeitet ein Flechter an einemeinzigen Stuhl; es ist wichtig, dass die Ar-beiter nicht zu viele Überstunden machen,siemüssen in ihrem Rhythmus bleiben, sagtBobby Dekeyser, ansonsten würden sie nichtmehr so perfekt flechten, das Produkt würdeseine Seele verlieren. Ein bisschen klingt dasnach Kommunismus, die Befreiung aus derEntfremdung von der Arbeit. Dabei ist De-keyser ziemlich unpolitisch. Politik sei un-überschaubar geworden, er aber will einfachnur Geschäfte machen. Er ist ein fast un-glaublich arbeitnehmerfreundlicher Arbeit-geber; und dieser Satz, ein Komplimentnatürlich,wird ihm nicht gefallen.Er mag die Trennung von Arbeitgebern und Arbeit-nehmern nicht, dieses Gegeneinander, dasvon beiden Seiten ausgehe, Arbeitgeber und

Gewerkschaften wollen sich bloß noch ge-genseitig kaputtmachen,wo es doch ein Ge-ben und Nehmen sein müsste. „Unsere Ge-neration hat viel versaut mit ihrem Egoismus.“„Wissen Sie“, sagt Bobby Dekeyser,„ich habenichts gegen die Leistungsgesellschaft, gegenden Kapitalismus. Kapitalismus ist in Ord-nung, solange nicht,wie in China,eine kleineSchicht dekadent reich wird. Kapitalismus ist o.k., solange der Profit geteilt wird.“ Dassoziale Auffangnetz in Deutschland habe je-doch wenig mit Teilen zu tun, es führe nur dazu,dass einige wenige Verantwortung über-nehmen und viele in Abhängigkeit gebrachtwerden. Dabei müsste jeder verantwortlichsein für seine kleine Welt, jeder ein kleinerUnternehmer. Was er ausdrücklich nichtmeint, ist: Jede Firma müsste nur Kartrennenund gemeinsame Mittagessen einführen, umerfolgreich zu sein. „Es darf nicht aufgesetztsein“, sagt er,„das muss von innen kommen.“Unser Problem, sagt Dekeyser, ist, dass Un-ternehmer nicht mehr respektiert werden.„Früher war ein Unternehmer ein mutigerMann, der etwas riskiert hat.“ Und heute?Manchmal hat er das Gefühl, er müsse sichrechtfertigen für seinen Erfolg.In Deutschland ist so viel Freiheitswillen nichtimmer wohl gelitten. Der Feind der Freiheitist die Bürokratie.Als Dekeyser die Idee hatte,

seine Geschäftspartner vom Lüneburger Show-room aus über das Flüsschen Ilmenau mitdem Boot zum Restaurant fahren zu lassen,winkte der Bauleiter ab: Ein Steg müsste ge-baut, ein Zaun durchbrochen werden, undum herauszufinden, wem die paar Quadrat-meter Land zwischen Showroom und Flüss-chen gehören, brauche man ein halbes Jahr.Gerade hatte Dekeyser Besuch vom Brand-schutz.Er lässt die Firmenzentrale umbauen,an jeder Ecke steht ein Maler.Der Brandschutzhat Einwände, Bodenplatten aus Holz müs-sen entfernt werden. Die Sache wird 30 000bis 40 000 Euro kosten. Eigentlich müssteDekeyser wütend sein. Doch der wunder-liche Unternehmer scheint unerschütterlichin seiner guten Laune. Er geht jetzt erst ein-mal für zwei Tage paddeln mit seinem Sohn.Natürlich wird er auch beim Paddeln ar-beiten, im Kopf. Eine der Fragen, die ihn imMoment umtreiben, ist die, wie man, umHimmels willen,das Wachstum seines Unter-nehmens auf 30 Prozent drücken kann. Zuschnelles Wachstum ist ungesund, schlecht fürdie Kreativität, für die Qualität.Er will nicht,dass die Freiheit im Wachstum erstickt.

☞Auf www.fluter.de: Heuschreckenalarm – warum Unternehmertum in Deutschland unterGeneralverdacht steht.

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GRUNDMELODIE

Kein Mensch kann sie wissen,kein Jä-ger erschießen.Es bleibet dabei:DieGedanken sind frei!“ Jeder, der in

Deutschland zur Schule ging, dürfte diesesVolkslied im Musikunterricht gesungen ha-ben.Oder es in letzter Zeit als Untermalungdes GMX-Werbespots gehört haben.Ob dieZeilen den Wunsch nach Freiheit weckten?Ganz sicher tat dies 1988 Gimme HopeJo’anna von Eddy Grant. Jo’anna meint da-bei keine Frau, sondern die südafrikanischeStadt Johannesburg. Die angesprocheneHoffnung ist der Wunsch nach dem Ende derApartheid,die Schwarze aufgrund ihrer Rassebenachteiligte.Von einem friedvollen Erz-bischof ist die Rede – gemeint ist der Erz-bischof von Johannesburg Desmond Tutu –der sagt, dass die Freiheitskämpfer die Herr-schenden überwinden werden. „GimmeHope Jo’anna“ wird nicht nur in Europaein Hit, sondern auch in Südafrika,wo die Befreiung des späte-ren südafrikanischenPräsidentenNelson Mandeladen politischenUmbruch und dasEnde der Apartheidin den frühen Neun-zigerjahren begleitet.Nicht nur politische Un-gerechtigkeiten werden inLiedern thematisiert:Anfangder Siebziger entsteht welt-weit eine Frauenbewegung,dieum Gleichberechtigung kämpft.1972 erscheint I Am Woman von HelenReddy. Reddy singt: „And I’ve beendown there on the floor.No one’s ever

gonna keep me down again – I am strong! I am invincible! I am woman!“ Das Stückwird mit einem Grammy ausgezeichnet; inder Dankesrede dankt Helen Reddy Gottmit den Worten „denn SIE macht alles möglich“. Im gleichen Jahr veröffent-lichen Ton Steine Scherben in Deutschlanddas Album Keine Macht Für Niemand. Imgleichnamigen Lied heißt es: „Ich bin nichtfrei und kann nur wählen, welche Diebemich bestehlen, welche Mörder mir befeh-len. Schreibt die Parole an jede Wand: Kei-ne Macht Für Niemand!” Das Lied erreichteine ganze Generation. Bob Dylans StückHurricane (1975) erzählt die Geschichte des schwarzen Boxers Rubin „Hurricane“ Carter, der von einem rassistischen Justiz-system unschuldig verurteilt ins Gefängnis

kam; angeklagt des dreifachen Mordes.Bob Dylan singt:„Here comes the storyof the hurricane, the man the autho-rities came to blame for somethin’that he never done.“ JahrelangeMassenproteste und nicht zuletzt Dylans Lied führen zu einer Wie-deraufnahme des Verfahrens:Nach 18 Jahren Haft kommt

Hurricane 1988frei.Es gibtauch Stü-cke, dieeinfach im

richti-genMo-mentauf-

tau-chen:Als 1989die Berliner Mauerfällt, ist die erste Single,Looking For Freedom,des ame-rikanischen Schauspielers David Hasselhoff überall zu hören. Gezielt wegen des Mauerfalls veröffentlicht Marius Müller-Westernhagen Freiheit.Die Hymne steht für das damalige Bedürf-nis der Menschen nach Freiheitsliedern.Dervielleicht bekannteste Wendesong ist WindOf Change von der Hannoveraner BandScorpions. Mit Zeilen wie „Let your bala-laika sing what my guitar wants to say“ führendie Scorpions wochenlang die deutschenHitlisten an.Im Timing geirrt hat sich dagegen Jahre spä-ter Eminem. Mit Mosh will er die JugendAmerikas ermuntern, nicht George W. Bushzum Präsidenten zu wählen. Doch als dasStück acht Tage vor der Wahl 2004 auf denMarkt kommt, sind alle Termine, sich in die

Keine Macht für niemandDie Sehnsucht nach Freiheit war von jeher eines der großen Themen der Popmusik. Eine Auswahl.Text: Barbara Streidl

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Wahlregister einzutragen,bereits verstrichen.Am 2.November 2004 wird George W.Busherneut zum Präsidenten der USA gewählt.An die amerikanische Bevölkerung wandtesich 1988 auch Tracy Chapmans Talkin’ ’boutA Revolution.Vierzig Jahre nach der Verab-schiedung der „Universal Declaration of Hu-man Rights“ der Vereinten Nationen mach-ten diese Zeilen die farbige Musikerin zurStimme derer, die unter Arbeitslosigkeit undberuflicher Chancenlosigkeit litten: „Don’t

you know, talking about a revolutionsounds like a whisper while we’re stan-

ding in the welfare line, crying inthe doorstep of those armies of

salvation, wasting time, in theunemployment line, sitting

around,waiting for a promotion.“Im gleichen Jahr begann TracyChapman mit Bruce Springsteenund anderen die Konzerttour„Human Rights Now“ und for-derte im Namen von Amnesty

International die Wahrung derMenschenrechte ein. In Arti-kel 9 der Menschenrechteheißt es, dass niemand will-

kürlich festgenommen, in Haftgehalten oder des Landes ver-wiesen werden darf.Ein Menschenrecht, das denMusikern Gilberto Gil undCaetano Velsoso Ende

1969 verweigert wurde,als sie von der brasilianischen

Militärdiktatur ohne konkreteAnklage verhaftet und nach einem

mehrmonatigen Gefängnisaufenthalt fürdrei Jahre ins Zwangsexil nachLondon abgeschoben wur-den. Dem Regime dürfte dieMusik der beiden missfallenhaben: In Velosos erfolgrei-chem Lied Alegria Alegriaheißt es: „ohne Dokumente,ohne Taschentuch“,womit erauf das Verschleppen einesMenschen anspielte. Gil wie-derum sang zum Beispiel inMiserere Nobis: „Ich hoffe,dass

ein Tag kommen wird, an dem es nicht nurein halbes Brot für alle geben wird.“ Er konn-te seine politischen Aktivitäten erst nach demEnde der Militärdiktatur 1985 legalisierenund unterstützte den Wahlkampf des heutigenbrasilianischen Staatspräsidenten Luis Inácio„Lula“ da Silva.Seit dem 1. Januar 2003 ist erbrasilianischer Kulturminister. Dass Musikvon Regierungen kritisch betrachtet wird, istallerdings kein neues Phänomen.Denn auchdas Volkslied „Die Gedanken sind frei“ warMitte des 19. Jahrhunderts für einige Jahreverboten. Es entstand zwischen 1780 und1800, Komponist und Textdichter sind un-bekannt. Die Epoche der Aufklärung,in der sich die Bevölkerung gegendie Bevormundung durch denHerrscher wehrte,prägte sei-nen Text.Zeilen wie „Undsperrt man mich ein in finste-

re Ker-ker, das al-

les, das sindvergeblicheWer-

ke. Denn meineGedanken zerrei-

ßen die Schranken“waren damals von der

Obrigkeit nicht gern ge-hört. GMX benutzt dasLied für seine Kampagne,dadas Internet „das freiesteMedium (ist),das es gibt“ –der Internet-Provider sichsomit als Freiheitsvermitt-ler betrachtet. Davon hal-ten kann jeder, was ermöchte – die Gedankensind ja frei.

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S_48-49_musik-freiheit 15.06.2005 15:47 Uhr Seite 5

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AUSWAHLVERFAHREN

Welches Land schenkte den USA dieFreiheitsstatue?r) Kanadas) Frankreicht) Australienu) England

Während des Irakkriegs setzten sichUS-Politiker dafür ein, die Pommesfrites umzubenennen.Wie sollte die neue Bezeichnung lauten?g) French Friesh) Freedom Friesi) Frozen Friesj) Franklin Fries

Wie heißt die deutsche, von TonyMarshall gesungene Version des David-Hasselhoff-Hits „Looking ForFreedom“?u) „Auf der Straße nach Osten“v) „Auf der Straße nach Norden“w) „Auf der Straße nach Süden“ x) „Auf der Straße nach Westen“

Welches europäische Land hatte als erstes eine geschriebene Verfassung?a) Schwedenb) Belgienc) Polend) Frankreich

Wo ist die Antwort?Fragen zur Freiheit – vier im Heft und vier im Internet: antworten und gewinnen.

Notiere die vier Buchstaben der richtigen Antworten.Vier weitere Fragen findest du imzweiten Teil des Rätsels unter www.fluter.de. Dort erfährst du auch,was es zu gewinnen gibt.

Das gesuchte, acht Buchstaben langeLösungswort ist ein Verb, das einen vonder Erdanziehung befreiten Zustandbeschreibt. Schicke die Lösung an:[email protected] an:Redaktion und AlltagStichwort: fluter-RätselPasteurstraße 8 / 10407 Berlin

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Der Timer ist da!2005 /2006

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