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38 Petermanns Geographische Mitteilungen, 146, 2002 / 6 PGM Exkursion Die „Region“ Allgäu Der Naturraum Allgäu als regiona- ler Höhenhorst, als Gebiet würmeis- zeitlicher Vergletscherung oder als südlich an das fluvioglazial geprägte mittelschwäbische Terrassenland anschließende „Landschaftseinheit“, das blaue Allgäu des Flachsanbaus und das grüne Allgäu der Milchwirt- schaft, das siedlungsgeographische Allgäu als Ursprungsregion der Ver- einödung, „Allgäu“ als Herkunfts- bezeichnung von Molkereiproduk- ten aus dem Gebiet des Milchwirt- schaftlichen Vereins Allgäu-Schwa- ben e.V. oder als Erzeugungsraum von Produkten, die von der Einzel- handelskette „Feneberg“ unter dem Markennamen „Von Hier“ vertrieben werden, das touristisch vermarktete Allgäu des Tourismusverbandes All- gäu/Bayerisch-Schwaben e.V., das verwaltungsrechtliche Allgäu, beste- hend aus den drei Landkreisen Un- terallgäu, Oberallgäu und Ostallgäu, die Planungsregion 16 „Allgäu“ ... – dass angesichts dieser offensicht- lichen Kontextgebundenheit jedes Allgäubegriffs zuweilen noch immer darauf bestanden wird, es gebe aus „der Sicht der Raumwissenschaft Geographie“ ein „Landschaftsraum- Individuum Allgäu“ (J AHN 1989, S. 160 ), ist verwunderlich. Vielmehr wurde und wird das „Allgäu“ wie viele andere Regionen auch mit völ- lig unterschiedlichen Bedeutungs- inhalten und Reichweiten ständig neu konstruiert, manchmal mit klar definierten Grenzen, manchmal aber auch nur als assoziative Verknüp- fung, für die sich lediglich ein „Kern- raum“ ausmachen lässt (Fig. 1). Wird eine repräsentative Stichprobe von Bundesbürgern nach ihren Assozia- tionen zum Begriff „Allgäu“ befragt, so reduziert sich die potentiell be- stehende Vielfalt jedoch auf wenige Hauptbegriffe: Käse, Kühe und Wie- sen werden von 45,2 % aller Befrag- ten genannt, und nach Berge/ Ge- birge (42,1 %) folgen Urlaub / Ferien (23,4 %) und „schöne Landschaft“ (11,9 %; B AUER 1999, S. 9 ). Bei einer Geländeveranstaltung im Allgäu die beiden eng mit diesen dominierenden Assoziationen zu- sammenhängenden Themen „Land- wirtschaft“ und „Tourismus“ beson- ders hervorzuheben bietet sich also an. Gleichzeitig kann es aber nicht darum gehen, diese im klassischen Exkursionsstil anhand ausgewähl- ter Beispiele exemplarisch vorzu- führen und damit als „raumprägend“ zu bestätigen. Vielmehr soll deren „gemachter“, in überregionale Kon- texte (EU-Agrarpolitik, weltweite Konkurrenz touristischer Destina- tionen ...) eingebundener und sich stetig wandelnder Charakter vermit- telt werden. Die im Folgenden als „Exkursionspraktikum“ vorgestellte Lehrveranstaltung stellt deshalb nicht primär die Vermittlung von „Wissen“ durch die Dozenten ins Zentrum, sondern führt die beiden „klassischen“ Lehrformen Exkursion und Praktikum zu einem organisa- torischen Rahmen zusammen, der sowohl die eigenaktive studentische Aneignung regionaler Spezifika wie Alpen: Allgäu – Regionalisierungen und struktureller Wandel in Landwirtschaft und Tourismus Amper Argen Wertach Lech Rhein Inn Günz Iller Ammer See Allgäuer Dialektegrenzen (RENN 2000, S. 291): A alemannisch, S schwäbisch, B bairisch Kerngebiet wichtiger Merkmale des „Allgäuerischen“ Kernraum der Vereinödungen (CRÄMER 1954, Karte 17) Die Planungsregion 16 „Allgäu“ „Allgäu“ nach Tourismusverband Allgäu / Bayerisch-Schwaben e.V. Nordgrenze der Würm-Vereisung Staatsgrenze Landkreisgrenzen Höhenstufen unter 500 500 – 700 700 – 1000 1000 – 1500 1500 – 2000 2000 – 2500 über 2500 UNTERALLGÄU OST- ALLGÄU OBER- ALLGÄU Biberach Schwab- münchen Mindelheim Landsberg Memmingen Schon- gau Markt Oberdorf Ravens- burg Kempten Wangen Weil- heim Sont- hofen Garmisch P. Lindau Füssen Kauf- beuren A S B Oberst- dorf Ober- staufen Hinde- lang 15 km 0 Fig. 1 Grenzen der „Region“ Allgäu

Alpen: Allgäu – Regionalisierungen und struktureller ... · Alle anderen Daten folgen der amtlichen Statistik. Die Abweichungen können aufgrund der kleinbetrieblichen Struktur

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38 Petermanns Geographische Mitteilungen, 146, 2002/6

PGM Exkursion

Die „Region“ Allgäu

Der Naturraum Allgäu als regiona-ler Höhenhorst, als Gebiet würmeis-zeitlicher Vergletscherung oder alssüdlich an das fluvioglazial geprägtemittelschwäbische Terrassenlandanschließende „Landschaftseinheit“,das blaue Allgäu des Flachsanbausund das grüne Allgäu der Milchwirt-schaft, das siedlungsgeographischeAllgäu als Ursprungsregion der Ver-

einödung, „Allgäu“ als Herkunfts-bezeichnung von Molkereiproduk-ten aus dem Gebiet des Milchwirt-schaftlichen Vereins Allgäu-Schwa-ben e.V. oder als Erzeugungsraumvon Produkten, die von der Einzel-handelskette „Feneberg“ unter demMarkennamen „Von Hier“ vertriebenwerden, das touristisch vermarkteteAllgäu des Tourismusverbandes All-gäu/Bayerisch-Schwaben e.V., dasverwaltungsrechtliche Allgäu, beste-

hend aus den drei Landkreisen Un-terallgäu, Oberallgäu und Ostallgäu,die Planungsregion 16 „Allgäu“ ... –dass angesichts dieser offensicht-lichen Kontextgebundenheit jedesAllgäubegriffs zuweilen noch immerdarauf bestanden wird, es gebe aus„der Sicht der RaumwissenschaftGeographie“ ein „Landschaftsraum-Individuum Allgäu“ (JAHN 1989,S. 160), ist verwunderlich. Vielmehrwurde und wird das „Allgäu“ wieviele andere Regionen auch mit völ-lig unterschiedlichen Bedeutungs-inhalten und Reichweiten ständigneu konstruiert, manchmal mit klardefinierten Grenzen, manchmal aberauch nur als assoziative Verknüp-fung, für die sich lediglich ein „Kern-raum“ ausmachen lässt (Fig. 1). Wirdeine repräsentative Stichprobe vonBundesbürgern nach ihren Assozia-tionen zum Begriff „Allgäu“ befragt,so reduziert sich die potentiell be-stehende Vielfalt jedoch auf wenigeHauptbegriffe: Käse, Kühe und Wie-sen werden von 45,2 % aller Befrag-ten genannt, und nach Berge/Ge-birge (42,1%) folgen Urlaub/Ferien(23,4%) und „schöne Landschaft“(11,9%; BAUER 1999, S. 9).

Bei einer Geländeveranstaltungim Allgäu die beiden eng mit diesendominierenden Assoziationen zu-sammenhängenden Themen „Land-wirtschaft“ und „Tourismus“ beson-ders hervorzuheben bietet sich alsoan. Gleichzeitig kann es aber nichtdarum gehen, diese im klassischenExkursionsstil anhand ausgewähl-ter Beispiele exemplarisch vorzu-führen und damit als „raumprägend“zu bestätigen. Vielmehr soll deren„gemachter“, in überregionale Kon-texte (EU-Agrarpolitik, weltweiteKonkurrenz touristischer Destina-tionen ...) eingebundener und sichstetig wandelnder Charakter vermit-telt werden. Die im Folgenden als„Exkursionspraktikum“ vorgestellteLehrveranstaltung stellt deshalbnicht primär die Vermittlung von„Wissen“ durch die Dozenten insZentrum, sondern führt die beiden„klassischen“ Lehrformen Exkursionund Praktikum zu einem organisa-torischen Rahmen zusammen, dersowohl die eigenaktive studentischeAneignung regionaler Spezifika wie

Alpen:Allgäu – Regionalisierungen und

struktureller Wandel in Landwirtschaft und Tourismus

Amper

Argen

Wer

tach

Lech

Rhein

Inn

Günz

Iller

AmmerSee

Allgäuer Dialektegrenzen (RENN 2000, S. 291):A alemannisch, S schwäbisch, B bairischKerngebiet wichtiger Merkmale des „Allgäuerischen“Kernraum der Vereinödungen (CRÄMER 1954, Karte 17)Die Planungsregion 16 „Allgäu“„Allgäu“ nach TourismusverbandAllgäu / Bayerisch-Schwaben e.V.Nordgrenze der Würm-Vereisung

StaatsgrenzeLandkreisgrenzen

Höhenstufenunter 500 500 – 700 700 – 10001000 – 15001500 – 20002000 – 2500über 2500

UNTERALLGÄU

OST-

ALLGÄUOBER-

ALLGÄU

BiberachSchwab-münchen

Mindelheim

Landsberg

Memmingen

Schon-gau

MarktOberdorf

Ravens-burg

KemptenWangen

Weil-heim

Sont-hofen

Garmisch P.

Lindau

Füssen

Kauf-beuren

A

S

B

Oberst-dorf

Ober-staufen

Hinde-lang

15 km0

Fig. 1 Grenzen der „Region“ Allgäu

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Exkursion

auch die Entwicklung sozialer undkommunikativer Kompetenzen för-dern möchte.

LandwirtschaftDie für das Allgäu mit Anteilen vonbis zu 99,9% der landwirtschaftlichgenutzten Fläche (Landkreis Ober-allgäu; Fig. 2) heute prägende Grün-landwirtschaft ist keineswegs eineden klimatischen Verhältnissen an-gepasste, quasi „natürliche“ Wirt-schaftsweise, sondern das Ergebniseines fundamentalen Strukturwan-dels zu Beginn des 19. Jh. Der bisdahin dominierende Flachsanbau,dem die Region die Bezeichnung„blaues Allgäu“ verdankte, gerietaufgrund veränderter Handelsbe-dingungen und der zunehmendenVerbreitung maschinell erzeugterBaumwolltextilien in eine tiefe Krise.Ein Ausweichen auf den Ackerbauwar aufgrund der naturräumlichenVoraussetzungen kaum möglich,und so begann man einerseits, dieschweizerische Technik der Hartkä-seproduktion Emmentaler Art undandererseits die Herstellung längerhaltbarer Weichkäse nach dem Vor-bild des belgischen Limburger imAllgäu zu übernehmen. Die bereitslange begonnene Vereinödung er-leichterte die neue Wirtschaftsweise,

und die Gründung des DeutschenZollvereins sicherte den Absatz. Dasim Aufbau befindliche Eisenbahn-netz vereinfachte die Einfuhr preis-werten Getreides, so dass auf denAckerbau bald völlig verzichtet wer-den konnte, und die Umstellung vonder Stallmistaufbereitung zur Gül-lewirtschaft erhöhte die Futter- unddamit die Milchqualität. Bald wurdenicht mehr nur auf den Alpen ge-käst, sondern auch in den Tälernentstanden erste Sennereien aufGenossenschaftsbasis.

Die fast ausschließliche Konzen-tration auf Grünlandwirtschaft ei-nerseits und die enge Verflechtungmit dem Tourismus andererseits be-wirken heute, dass sich der Struk-turwandel der Allgäuer Landwirt-schaft in einigen Aspekten wenigerdrastisch als in anderen bayeri-schen Regionen darstellt. So gingin den Landkreisen Ober- und Ost-allgäu zwischen 1989 und 1999 dieZahl der Betriebe nur um 17,5%bzw. 21,7% und damit deutlich ge-ringer als in den anderen Kreisen desRegierungsbezirkes zurück (Schwa-ben: 28,7 %, Bayern: 27,1 %). DerTrend zu größeren Einheiten läuftlangsamer ab, und noch immer giltauch „offiziell“ – z.B. im Regional-plan – der bäuerliche Familienbe-

trieb als Leitbild. Das lange Zeit si-chere Milchgeld und die Möglich-keit, Ferienwohnungen an Gäste zuvermieten, verhalfen den AllgäuerLandwirten zu höheren Einkommenund trugen mit dazu bei, dass dieZahl der Haupterwerbsbetriebe bisheute deutlich über dem schwäbi-schen Mittel liegt. Überdurchschnitt-lich viele Höfe haben inzwischen aufeine ökologische Bewirtschaftungumgestellt, wobei die enge Verflech-tung von Landwirtschaft und Tou-rismus gerade am Beispiel des eu-ropaweit bekannten „ÖkomodellsHindelang“ deutlich wird: Extensi-vierung, Kulturlandschaftspflege unddie Förderung regionaler Wertschöp-fungsketten lassen sich gut als in-dividuelles touristisches Profil ver-markten, sind aber gleichzeitig auchauf den Tourismus als Abnehmer re-gionaler Produkte und zusätzlicheEinkommensquelle angewiesen.

Die Alpwirtschaft hat innerhalbBayerns im südlichen Oberallgäu ei-nes ihrer Zentren und ist ebenfallsstark auf den Fremdenverkehr an-gewiesen. Die seit fast 50 Jahren inetwa unverändert bleibende Zahlder Alpen (alemannisch; bajuwa-risch: Almen) darf aber nicht überdie fundamentalen Veränderungender letzten Jahrzehnte hinwegtäu-

Fig. 2 Die Situation der Landwirtschaft im bayerischen Alpenvorland (Quellen: s. www.pgm-online.de ⇒ Exkursionen ⇒ Literatur)

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40 Petermanns Geographische Mitteilungen, 146, 2002/6

schen: Waren sie erst im 19. Jh. vonGalt- zu Sennalpen geworden, soist dieser Prozess seit langem wie-der rückläufig. Inzwischen wird im-mer weniger Milch auf den Alpenweiterverarbeitet, und die Anzahl derGaltalpen nimmt erneut zu, gleich-zeitig jedoch sinkt der Beschlag mitPensionsvieh aus benachbarten Re-gionen aufgrund des allgemeinenHöfesterbens, des Freiwerdens vonFlächen im Tiefland und wegen derhohen Kosten für die Sömmerung.Die Direktvermarktung an Touristenstellt heute für die verbleibendenSennalpen die wichtigste Einkom-mensquelle dar.

TourismusMitte des 19. Jh. haben Alpinismusund prestigeträchtige Jagdveran-staltungen des bayerischen Hofesdie Sommerfrische im Allgäu at-traktiv und salonfähig gemacht.Wurden im Jahr 1872 in Oberstdorflediglich 460 „Fremde“ gezählt, wa-ren es 30 Jahre später bereits 7000.Inzwischen war das Allgäu an dasbayerische Eisenbahnnetz ange-schlossen worden, lokale „Verschö-nerungsvereine“ hatten eine Frem-

denverkehrsinfrastruktur geschaf-fen und Alpenvereine die Gipfel derAllgäuer Alpen mit Wanderwegenund Berghütten erschlossen. Nachder Jahrhundertwende entstand ne-ben der Sommerfrische auch einekleine Wintersaison, die vor demHintergrund einer allgemeinen dy-namischen Tourismusentwicklungin den 1950er und 1960er Jahrenweiter ausgebaut werden konnte.Ab Mitte der 1970er Jahre verlang-samte sich das Wachstum jedoch,und obwohl z.B. das Oberallgäunoch immer den tourismusintensivs-ten bayerischen Landkreis darstellt(Fig. 3), macht sich auch hier der all-gemeine Trend zu kürzeren Aufent-halten in sinkenden Übernachtungs-zahlen bemerkbar. Des Weiterensteht die Ferienregion Allgäu vor ei-nem Bündel struktureller Herausfor-derungen: Alterung der klassischenBergwanderklientel (knapp 60% derAllgäutouristen sind über 50 Jahre,40% über 60 Jahre alt), Entstehungneuer Natursportarten, Diversifizie-rung des Wintersports, Einschnitteim Gesundheitssystem mit entspre-chenden Folgen für den Kurtouris-mus sowie Internationalisierung der

Konkurrenz zwischen Alpendestina-tionen.

Auf der regionalen Ebene ist derStrukturwandel mit einer Ökonomi-sierung der Tourismuspolitik ver-bunden. „Destinationalisierung“ und„Marketing“ sind dabei Leitmeta-phern von Prozessen, die zu inter-essanten Ent- und Re-Regionali-sierungen geführt haben. Einerseitswurde das Allgäu aus der politischbegrenzten Großdestination desTourismusverbandes Allgäu/Baye-risch-Schwaben herausgelöst understmals als eigenständige touristi-sche Marke geschaffen. Anderer-seits verbünden sich beispielsweiseeinige Allgäuer und Tiroler Gemein-den zum „Vitalen Land – Allgäu-Tirol“; Gästekarten und Skipässe,Symbole temporärer regionaler Iden-tität der Urlauber, heißen im Allgäunun „Allgäu-Walser“ und „Allgäu-Gletscher“ und erstrecken sich bisins Kleinwalsertal und sogar weitnach Tirol.

Auch auf kommunaler Ebene be-stimmen Ökonomisierung und Pro-fitabilität den strukturellen Wandel.Vor dem Hintergrund der beschleu-nigten Diversifizierung des Winter-

Exkursion

5,4

1,4

2,1

1,2

0,5

2,9

1,3

1,3

0,5

2,1

2,2

2,9

2,9

Übernach-tungen [Mio.]

1,2

Garmisch-Partenkirchen

Starnberg LandMünchen

Ebers-berg

Miesbach

RosenheimTraunstein

Berchtes-gadener

Land

München

Oberallgäu

Unterallgäu Landsberga. Lech

Ostallgäu

Weilheim-Schongau

Bad Tölz -Wolfratshausen

Lindau

60

1990 1992 1994 1996 1998 2000

80

100

Gästeankünfte

Übernachtungen1990 = 100

0,15 Mio. / 1,27 Mio.

0,095 Mio.

0,75 Mio.

6,5 Mio.

5,5 Mio.

0,85 Mio.

0,6 Mio.

1985 1990 1995

100

120

140Gästeankünfte

Übernachtungen

1983 = 100

1937 1954 19621922 1975

20 000

40 000

60 000

80 000

Gästeankünfte200 000

400 000

600 000

800 000

1 000 000Übernachtungen

„Übernachtungsmillionäre“ 20011 Tourismus in Hindelang 1914–1984Tourismus im Oberallgäu 1983–1998Tourismus in Oberstaufen 1990–2000

Übe

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7,7313412,438,2160441,324,8242301,177,8136401,066,3276521,74

OberstdorfOberstaufenFüssenHindelangKleinwalsertal2

Übernachtungen pro Einwohner

> 35> 30 bis 35> 25 bis 30> 20 bis 25

> 15 bis 20> 10 bis 15> 5 bis 10> 0 bis 5

1 Eigenmeldung der Orte. Abweichend von der offiziellen Beherbergungsstatistik, werden hier auch Übernachtungen in Betrieben mit weniger als neun Betten geführt.Alle anderen Daten folgen der amtlichen Statistik. Die Abweichungen können aufgrund der kleinbetrieblichen Struktur des Beherbergungsgewerbes bis zu 40% betragen.2 Das nur über das Oberallgäu erreichbare österreichische Kleinwalsertal trägt entscheidend zur Attraktivität des Allgäus als Wintersportregion bei, in den aggregiertenAllgäu-Statistiken wird es jedoch nicht mit berücksichtigt.

Fig. 3 Fremdenverkehr im Bayerischen Alpenvorland (Quellen: s. www.pgm-online.de ⇒ Exkursionen ⇒ Literatur)

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sports und in der Folge schneeär-merer Winter hat eine Konzentrationdes Wintertourismus auf die schnee-sichereren Gebiete um Oberstdorfund das Kleinwalsertal eingesetzt.Während dort Aufstiegshilfen mo-dernisiert und spezielle Anlagen fürSnowboarder und Carver errichtetwurden, mussten in den niedrigergelegenen nördlichen Gemeindenerste Betriebe schließen und Skipis-ten rückgebaut werden. Hier blei-ben als Alternative nur hohe undunsichere Investitionen wie im FallHindelangs, wo man sich mit einerneuen Sechsersesselbahn sowie mitder größten zusammenhängendenBeschneiungsanlage im Oberallgäueindrucksvoll vom „Öko-Modell“ zu-gunsten eines Profit versprechen-deren touristischen Leitbildes ver-abschiedet hat. In Allgäuer Kuror-ten sind es die Einschnitte im Ge-sundheitssystem, die in jüngerer Zeitzu einem deutlichen Rückgang derÜbernachtungszahlen geführt ha-ben. Der Schrothkurort Oberstau-fen setzt der „Kurkrise“ eine konse-quente Neuausrichtung der touris-tischen Servicestruktur entgegenund ist aktiv am Ausbau der bay-ernweiten touristischen Produktlinie„WellVital“ beteiligt, die Wellness un-ter Wahrung hoher Qualitätsstan-dards mit einer bayerischen Noteversehen möchte. „Thematisierung“und „Eventisierung“ sind weiteretourismusökonomische Diskurse,die Prosperität und Erfolg verspre-chen. Insbesondere Füssen hat mitder Fokussierung auf „Schloss Neu-schwanstein“ frühzeitig eine the-menbezogene Profilbildung voran-getrieben. Mit der Realisierung desKönig-Ludwig-Musicals konntenGästezahlen und damit der Bekannt-heitsgrad noch einmal gesteigertwerden, gleichzeitig sank jedoch diedurchschnittliche Aufenthaltsdauerbeträchtlich. Auch Oberstdorf, mitfast 2,5 Mio. Übernachtungen jähr-lich der tourismuswirtschaftliche„Koloss“ im Allgäu, setzt auf Mar-keting durch „Großevents“, wie Vier-schanzentournee und NordischeSkiweltmeisterschaften. Gerade hierzeigen sich aber die Schwierigkei-ten eines strukturellen Umbaus deut-lich: Neben den winterlichen Skiur-

laubern möchte man für das Som-merhalbjahr strategisch am land-schaftsorientierten und Erholung su-chenden Wanderpublikum festhal-ten. Private touristische Veranstal-ter sehen das anders: Sie befürch-ten ein Wegbrechen der traditionel-len Klientel und fordern eine konse-quentere Öffnung für den „neuenAlpensommer“. Doch hat man imAllgäu vor allem gegenüber den neuentstandenen abenteuerorientiertenNatursportarten (vom Mountainbi-ken bis zum Canyoning) weiterhinstarke Vorbehalte.

Wie die eingangs erwähnten All-gäu-Assoziationen zeigen, domi-niert eine agrare Kulturlandschaftdie imaginären Geographien poten-tieller Allgäu-Urlauber. Die touris-muspolitisch Verantwortlichen sindsich daher der Bedrohung bewusst,die von einem weiteren Höfester-ben auf die tourismuswirtschaft-liche Ressource Kulturlandschaftausgeht, und versuchen mit inno-vativen Projekten lokale Agrarbe-triebe zu unterstützen.

Exkursionspraktikum

Allgemeine VorbereitungInhaltlich besteht das einwöchigeExkursionspraktikum in chronologi-scher Reihenfolge aus einem Vor-bereitungsteil, einer Exkursions- undeiner Praktikumsphase sowie einemPräsentationsteil. Ziel der Vorberei-tung ist es, den Teilnehmern ein Ba-siswissen über die zu behandeln-den Schwerpunktthemen zu vermit-teln, so dass während der Treffenmit lokalen Experten (siehe unten)bereits gezielt Fragen gestellt wer-den können. Zu diesem Zweck wirdein „Reader“ mit geeigneten Textennoch vor Abfahrt an die Teilnehmerverteilt und in der Gruppe bespro-chen.

ExkursionDie ersten drei Tage erarbeitet sichdie Gruppe gemeinsam an ausge-wählten Standorten einen Überblick,wobei Gespräche mit Vertreternaus der Region im Zentrum stehen(Fig. 5). Deren Vorträge vermittelnnicht nur Faktenwissen, sondern

weisen auf regionale Probleme hinund stellen so den Ausgangspunktfür die eigene Gruppenarbeit imPraktikumsteil dar. Die Teilnehmerwerden durch diese Art der The-menfindung zum einen zu erhöhterAufmerksamkeit und eigenständi-ger Reflexion motiviert, zum ande-ren wird klar ersichtlich, dass es sichum Problemstellungen handelt, dieauch die betroffene Bevölkerungals relevant erachtet. Bei abendli-chen Nachbesprechungen werdennochmals die wichtigsten Punktezusammengefasst, und anhand ge-eigneter Kernaussagen aus den Vor-trägen kann hier bereits die Inter-pretation von Interviews exempla-risch geübt werden.

PraktikumAm vierten Tag haben die Teilneh-mer einen Vormittag Zeit, sich in-nerhalb von Kleingruppen mit je 3bis 4 Personen auf eine Fragestel-lung für den Praktikumsteil zu eini-gen. Wichtigste Aufgaben sind dieAuswahl und die Ausarbeitung ei-nes geeigneten methodischen In-strumentariums sowie die Erstel-lung eines Arbeitsprogramms, dasdie geplante Vorgehensweise auchin ihrem zeitlichen Ablauf festhält.Die Erkenntnis, dass das „Feld“ demForscher immer wieder seine eige-nen Regeln aufzwingt und zu An-fang meist hoch gesteckte Vorha-ben im Verlauf der Feldarbeit suk-zessive angepasst werden müssen,sollte am Ende dieses Prozessesstehen.

Noch vor Beginn der eigentli-chen Feldarbeit müssen Fragestel-lung, methodische Umsetzung undArbeitspläne der einzelnen Teamsin einer offenen Diskussion der kri-tischen Prüfung durch die gesamteGruppe standhalten. Am Nachmit-tag des vierten Tages wird dann mitder Materialerhebung begonnen.Nach dem Abendessen findet täg-lich eine kurze gemeinsame Sit-zung statt, in der die Einzelgruppenvon ihrem Arbeitstag, den aufgetre-tenen Schwierigkeiten sowie vonden modifizierten Arbeitsplänen be-richten. Kam dem Dozenten im Hin-blick auf die Entwicklung einer trag-fähigen Arbeitshypothese in erster

Exkursion

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Linie die Funktion eines Dienstleis-ters zu, der Informationen zur Ver-fügung stellt und Lokaltermine or-ganisiert, so steht bei der Bearbei-tung der Projektthemen und der Zu-sammenfassung der Ergebnisse das„konstruktiv-kritische Begleiten“ im

Vordergrund. Eine zentrale Positionnehmen dabei die abendlichen Dis-kussionsrunden ein: Hier darf nichtnur auf Hilfestellung und Kritik vomDozenten gewartet werden, son-dern es sollte eine lebendige Ge-sprächsatmosphäre entstehen, in

der sich die Teilnehmer auch mitden Arbeitsthemen der jeweils an-deren Gruppen auseinander setzen.Es sind insbesondere die aus demTeilnehmerkreis kommenden kriti-schen Fragen, die die Arbeitsteamsdazu bringen, das gesammelte Ma-

Exkursion

Phase Zeitpunkt Inhaltlicher Sozialform Rolle des Veranstaltungs- Veranstaltungsüber-Baustein Dozenten bezogenes Ziel greifendes Lernziel

Vorberei- spätestens Lesen metho- individuell Auswahl geeig- Aneignung erster all- kritischer Umgang mittung vier Wochen discher regio- neter Texte und gemeiner regionaler Texten

vor Beginn nal- sowie Zusammenstel- Kenntnisse und Sen-der Veran- themenspezi- len eines Rea- sibilisierung für diestaltung fischer Texte ders Schwerpunktthemen

unmittelbar Diskussion der Plenum Anregen der Aufmerksamkeit und kritischer Umgang mitvor Beginn Texte Diskussion durch Interesse für die zen- Texten, „Artikulations-der Veran- gezieltes Nach- tralen Themen we- fähigkeit“staltung fragen, Beant- cken, Aneignung all-

wortung von gemeiner regionalerSachfragen Kenntnisse

Exkursion 1.–3. Tag Kennenlernen gesamte Organisation Aneignung spezifi- Hinterfragen vermeint-der Veran- der Region, Gruppe des Ablaufs, z.T. scher regionaler lich objektiven Wissens,staltung Gespräche mit eigene Kurzvor- Kenntnisse, Interesse kritischen Umgang mit

Regionalver- träge/Erläuterun- wecken und mög- Information üben und,tretern, Vor- gen, Statements liche Fragen zur wei- daran anknüpfend, of-träge der The- der Themenex- teren Bearbeitung fene Fragen erkennenmenexperten perten anregen aufwerfen

und Diskussionmoderieren

Praktikum Vormittag Fragestellung, Kleingrup- Hinweise geben, inhaltlichen, methodi- selbständiges Entwer-des 4. Tages Operationali- pen unter beraten, kritisie- schen und zeitlichen fen eines tragfähigen

sierung und Betreuung ren Rahmen für die Grup- ForschungsdesignsArbeitsplan für penarbeit festlegenfolgende Tageentwerfen

4.–7. Tag selbständige Kleingrup- für Rückfragen Bearbeitung einer Umgang mit Methoden,der Veran- Datenerhebung, pen, zur Verfügung selbst gewählten Durchführung von Feld-staltung Kurzpräsenta- abends stehen, abends Fragestellung arbeiten, Präsentations-

tion der Ergeb- Plenum Moderation der techniken, Fähigkeit zurnisse und des Diskussion, Teamarbeit, Kritikfähig-weiteren Vor- Hinweise geben, keit, Bereitschaft zumgehens korrigieren konstruktiven Umgang

mit eigenen Fehlern

Präsen- Abend des Vortrag mit Plenum moderieren, Vermittlung der Vor- Konzipieren eines Vor-tation 7. Tages Diskussion nachfragen, gehensweise und der trages, Gewöhnung an

kritisieren Ergebnisse der Grup- Vortrags- und Diskus-penarbeit an die üb- sionssituationenrigen Teilnehmer

bis maximal Entwurf und Kleingrup- korrigieren, Darstellung der Ar- Reflexion der eigenen6 Wochen Ausarbeitung pen Korrekturbespre- beitsprozesse und Arbeit, Auseinanderset-nach Ende eines Posters chung -ergebnisse nach zung mit Fragestellungder Veran- „außen“ und Ergebnissen, staltung schlüssige Darstellung

für Unbeteiligte auf be-grenztem Raum

Fig. 4 Bausteine und didaktische Zielsetzungen des Exkursionspraktikums

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terial zu bewerten, sich über ihreeigenen zentralen Begriffe klar zuwerden, ihre Fragestellung zu prä-zisieren und ihr Vorgehen transpa-renter zu machen.

PräsentationAbschlussvortrag: Am letzten Tagendet die Materialsammlung derArbeitsgruppen bereits am frühenNachmittag. Bis zum Abend bestehtdann ausreichend Zeit, sich auf eineca. 20-minütige Vorstellung der Er-gebnisse mit anschließender Dis-kussion vorzubereiten. Dieser Vor-trag sollte zum einen den Arbeits-prozess einschließlich der notwen-digen Modifikationen des ursprüng-lichen Vorhabens darstellen und sodazu zwingen, auch über eigeneFehler im Sinne einer Selbstevalua-tion nachzudenken. Zum anderenmuss Stellung zur Arbeitshypothesebezogen werden, was eine vorläu-fige Gesamtinterpretation des erho-benen Materials erforderlich macht.Bei der Präsentation sollte ausführ-lich auf Interviewzitate bzw. selbsterhobene Informationen zurückge-griffen werden, damit der Interpre-tationsprozess für alle nachvollzieh-bar ist.

Gesamtpräsentation: Da wäh-rend der knappen Zeit des Aufent-haltes in der Region die Auswer-tung des Materials meistens zu kurzkommt, muss diese in Form einer„Nachbereitung“ erfolgen. Um diehohe Identifikation mit dem „eige-nen Projekt“ aufrechtzuerhalten,werden die abschließenden schrift-lichen Ergebnisse der einzelnen Ar-beiten auf je einem Poster zusam-mengefasst, das im Institut oderFachbereich auch tatsächlich aus-gehängt wird. Somit handelt es sichbei der Ergebnispräsentation umeine echte und nicht nur um eine„simulierte“ Außendarstellung, de-ren Qualität zum eigenen Anliegender Arbeitsgruppen wird.

ZusammenfassungAm Beispiel des Allgäus wurde mitdem Exkursionspraktikum ein par-tizipatives Lehr- und Lernarrange-ment vorgestellt, bei dem zwar in-

haltlich und organisatorisch das Ein-üben des wissenschaftlichen Ar-beitsprozesses im Vordergrundsteht, der Erwerb sozialer Kompe-tenzen aber genauso wenig ver-nachlässigt wird wie die Aneignungregionaler und allgemeiner geogra-phischer Kenntnisse. Gerade beruf-liche Schlüsselqualifikationen wieTeamarbeit, Präsentation, Entschei-dungsfähigkeit, Eigenmotivation,Problemlösungskompetenzen undSelbstreflexion sind in dieser Lern-situation weitaus besser vermittel-bar als bei konventionellen Exkur-sionen oder Praktika. Die mehrfa-che Durchführung der Veranstaltung

hat gezeigt, dass dem „Rollenwech-sel“ der Dozierenden eine Schlüs-selfunktion zukommt: Nur wenn esihnen gelingt, die wissensvermit-telnde Autoritätsrolle zu verlassenund als Organisatoren und Mode-ratoren in den Hintergrund zu tre-ten, kann eine offene Atmosphäreentstehen, in der die Teilnehmernicht nur die Projektarbeit, sondernauch regionale Probleme und Be-sonderheiten wirklich zu „ihrer ei-genen Sache“ erklären.

MARC BOECKLER (Eichstätt) &PETER LINDNER (Erlangen)

Exkursion

Potentielle Gesprächspartner aus der Region

Vertreter des Bauernverbandes, Senner, Vertreter des Toursimusverbandes All-gäu/Bayerisch-Schwaben, Direktoren der Kurverwaltungen, Repräsentanten pri-vater Abenteuer- und Natursportveranstalter, Hotelmanager, Vertreter des regio-nalen Planungsverbandes der Region 16, Mitarbeiter kommunaler Bauämter, Lo-kalpolitiker, Vertreter von Naturschutzverbänden, Landwirte, die auf ökologischenAnbau umgestellt haben, u.dgl.m.

Beispiele für „Arbeitsprojekte“ der Kleingruppen (bezogen auf Kernaussagen der Gespräche mit lokalen Akteuren)

1. Alpwirtschaft – auf dem Weg von einer traditionellen Wirtschaftsweise zur tou-ristischen Inszenierung?Nach dem Besuch einer stark von Touristen frequentierten Sennalpe wurde die-ses Thema zusätzlich durch die Beobachtung angeregt, dass sich die GemeindeHindelang bemüht, neben dem Viehscheid ein Almauftriebsfest als überregiona-les touristisches Event zu etablieren.

2. Das alpine Trainingszentrum am Grünten – Motor touristischer Entwicklungoder Statussymbol?Nachdem die Teilnehmer an einer Podiumsdiskussion zum Bau eines Trainings-zentrums des deutschen Skiverbandes teilgenommen hatten, beschloss eineGruppe, die dort vorgetragene Mischung aus überregionalen Interessen, vorgeb-lichen Vorteilen für die lokale Bevölkerung und schlichtem Stolz auf das Renom-mierprojekt kritisch zu hinterfragen.

3. „Berge, Weiden und glückliche Kühe“ – wie wird „schöne Landschaft“ produziert?Den häufig vorgebrachten Hinweis auf die touristische Ressource Kulturlandschaftgriff eine Gruppe auf, um sowohl durch Interviews mit Allgäuern und Allgäu-Ur-laubern als auch mit Hilfe einer Diskurs- und Bildanalyse von Tourismusprospek-ten die symbolischen Repräsentationen des Allgäus bei lokalen Akteuren undGästen und damit die imaginären Geographien der Region zu erarbeiten.

4. Wandern oder raften? Wie wird eine traditionelle Fremdenverkehrsgemeindefit für die Zukunft?Eine Gruppe griff die gebetsmühlenhaft wiederholte Aussage eines Vertreters derTourismusindustrie von der „Schnelllebigkeit von Trends“ auf und konzentrierte sichauf die Steuerungsfaktoren, die maßgeblichen Akteure und die bestehenden Inter-essengegensätze des Strukturwandels der touristischen Nachfrage in Oberstdorf.

Neben der allgemeinen Informationssammlung entschieden sich die Teilnehmerfür verschiedene methodische Schwerpunktsetzungen, zu denen sowohl Leitfa-deninterviews als auch halbstandardisierte Fragebögen und ein semantischesDifferential zählten.

Fig. 5 Interviewpartner und Themen für die Gruppenarbeit

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QuartierAls Unterkunft, die sowohl preis-wert ist als auch die nötigen tech-nisch-organisatorischen Rahmen-bedingungen (Seminarräume, Over-head-Projektor, Kopierer ...) für dasExkursionspraktikum bietet, eignetsich die Jugendbildungsstätte desDeutschen Alpenvereins in Hinde-lang.

Hindelang (1)Hindelang war eine der ersten Al-pengemeinden, die aus der Er-kenntnis, dass eine intakte Kultur-landschaft auch für die Erhaltungdes touristischen Potentials erheb-liche Bedeutung hat, umfassendepraktische Konsequenzen zog. Aus-gangspunkt dafür war die schwie-rige Situation der Berglandwirt-

schaft, die zu Betriebsaufgaben undzur Verbuschung von Nutzflächenführte. 1988 begannen dann die ers-ten Landwirte, ihre Flächen nachökologischen Kriterien (keine Ver-wendung von anorganischem Stick-stoffdünger, nur punktuelle Unkraut-vernichtung, maximal eine Groß-vieheinheit pro Hektar ...) zu bewirt-schaften, und erhielten dafür einePrämie in Höhe von durchschnitt-lich 960 DM/ha. 1992 gründetendie beteiligten Betriebe den Verein„Hindelang Natur & Kultur“, dembald 86 von 87 Landwirten der Ge-meinde angehörten. Diese Initiativerief eine allgemeine Sensibilisierungfür ökologische Fragen hervor undführte zu entsprechenden Aktivitä-ten auch in anderen Bereichen: Di-rektverarbeitung- und -vermarktungwurden organisiert, vor Ort erzeugteAgrarprodukte in den Gaststättenunter dem Label „Partner von Hin-delang – Natur & Kultur“ angebo-ten, Baumpatenschaften zur Wie-deraufforstung unter dem Slogan„Mein Baum in Hindelang“ vermit-telt, ein Verein „Sonnenwende“ zurFörderung regenerativer Energie-träger gegründet, Hybridbusse imöffentlichen Personennahverkehreingesetzt, ein Bauernmarkt aufge-baut u.v.a.m.

Um den rückläufigen Übernach-tungszahlen entgegenzuwirken undbreitere Nachfragerkreise anzuspre-chen, rückt man vom europaweitbekannt gewordenen Öko-Imagemittlerweile allerdings wieder ab undversucht stattdessen, es in modifi-zierter Form als „Gesundheits- undWellnessprofil“ neu aufzubauen. Da-neben zeigen aber die Wiederein-führung des „Jochrennens“, einestraditionellen Autorennens auf ei-ner Passstraße zwischen Hinde-lang und Oberjoch, sowie die In-stallation von Beschneiungsanla-gen im Ortsteil Oberjoch, dass prin-zipiell eine Diversifizierung des tou-ristischen Angebots angestrebt wird(Fig 2).

Standorte, Themen, Ansprechpartner

2

1

3

4

5 6

Fig. 1 Übersicht zu den Exkursionsstandorten (Basiskarte: Alexander Länderatlas Bayern, Stuttgart 1998)

Führungen und Vorträge vermitteltdie Kurverwaltung, weitere Informa-tionen zur Bewertung des „Öko-Mo-dells Hindelang“ siehe LINDNER (2000).

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Kempten (2)Der ökologische Landbau spielt imAllgäu im bayernweiten Vergleichaus verschiedenen Gründen eineüberproportional große Rolle. Zumeinen war die Bewirtschaftung hiertraditionell weit weniger intensiv alsin vielen anderen Regionen, so dassdie Umstellung oft keinen tiefenEinschnitt bedeutete und zur Verfü-gung gestellte Fördermittel ohnegroßen Aufwand einfach „mitge-nommen“ werden konnten. Zumanderen bot das Image des Allgäusals „intakter Naturraum mit glückli-chen Kühen und sauberer Luft“ ei-nen geeigneten Rahmen, der eineVermarktung der hier erzeugten

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Fig. 2 Stationen der Entwicklung des „Öko-Modells“ in Hindelang (Quelle: LINDNER 2000, S. 53)

Fig. 3 Herkunft der Feneberg-„von-Hier“-Produkte (Quelle: Demmeler 2001, S.14)

Kontakte zu Landwirten, die aufökologischen Anbau umgestellt ha-ben und von ihren Erfahrungen undProblemen berichten können, ver-mittelt der Allgäuer Landtagsabge-ordnete der Grünen ADI SPRINKART,einer der Mitbegründer der Initia-tive „von Hier“.

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Agrarprodukte unter dem Label„ökologisch“ als sehr erfolgverspre-chend erscheinen ließ. Einen we-sentlichen Impuls erhielt der öko-logische Landbau aber auch durchdie Einführung einer eigenen Pro-duktreihe mit der Bezeichnung „vonHier“ durch die Kemptener Einzel-handelskette Feneberg im Jahre1998. Mittlerweile werden in über80 Filialen Brot und Backwaren,Obst und Gemüse, Fleisch, Molke-reiprodukte, Käse und Eier von fast300 anerkannten Produzenten ver-trieben, die sich nicht weiter als100 km von Kempten befinden dür-fen (Fig. 3). „Von Hier“ vereint damitden Ökologiegedanken mit dem Zielder Erhöhung regionaler Wertschöp-fungsketten, und die Produkte wer-den folglich sowohl als „ökologisch“wie auch als „regional“ beworben,die Preise liegen maximal 20% überdenjenigen vergleichbarer Erzeug-nisse konventioneller Herstellung.

Alpe Oberberg (3)Ein Beispiel für die erfolgreiche Di-rektvermarktung von Bergkäse anTouristen ist die Alpe Oberberg amMittag zwischen Gunzesried undImmenstadt. Die Alpe ist eingebun-den in den Allgäuer Sennalpenweg,der 31 Alpen verschiedener Ge-meinden mit Wanderrouten undÜbernachtungsmöglichkeiten in ei-ner gemeinsamen Broschüre vor-stellt. Heute ist die Alpe Oberbergzwar durch einen eigenen Alpwegerschlossen, doch wie das Titelbild(Fig. 4) der genannten Broschürezeigt, wurden noch bis 1997 dieKäselaibe am Ende der Saison miteinem Hörnerschlitten ins Tal ge-bracht. Die Alpe verfügt seit kur-zem über eine neue Käseküche und

setzt die gesamte Produktion ausder Milch von ca. 30 Stück Pen-sionsvieh direkt auf der Alpe ab.

Diepolz (4)Nachdem im Lauf des 20. Jh. dörf-liche Genossenschaftssennereienin großen Molkereibetrieben aufge-gangen waren, ist heute eine ver-mehrte Reaktivierung zu beobach-ten. In Diepolz bei Immenstadt ha-ben 20 ansässige Landwirte die aus-laufenden Verträge mit einer Groß-molkerei Ende der 1990er Jahre ge-nutzt, um die dorfeigene Sennereiwieder selbständig zu betreiben.Seit Juli 2002 ist diese Sennereiaußerdem an ein neu errichtetes,mit EU-Mitteln für die Entwicklungdes ländlichen Raumes gefördertesBergbauernmuseum angeschlos-sen. Das Museum soll den Absatzder Sennerei fördern – selbst ist es

ein Baustein zur Positionierung vonImmenstadt als familienfreundlicheFerienregion.

Oberstaufen (5)Der tourismuspolitische Privatisie-rungsdiskurs hat in Bayern zurGründung der Bayerischen Touris-musmarketing GmbH (BayTM) ge-führt, die in Form einer Public Pri-vate Partnership von den einzelnenbayerischen Tourismusverbänden,aber auch von privatwirtschaftli-chen Akteuren wie z.B. dem Bäder-oder Gaststättenverband oder demMünchener Flughafen getragen wird.Sie soll einerseits die DachmarkeBayern stärken und andererseitsqualitätsorientierte Produktlinienentwerfen und fördern. Hierzu zähltinsbesondere auch der Versuch, mit„WellVital in Bayern“ Wellness- undGesundheitstourismus auf einemhohen Qualitätsniveau mit einer spe-zifisch bayerischen Note zu verse-hen. Interessierte Kommunen undHotels können sich deshalb nurdurch den Nachweis von Qualitäts-und Servicestandards für diesesProgramm qualifizieren. Mit siebenanerkannten WellVital-Hotels hatOberstaufen die höchste „Well-

Fig. 4Titelbild der Bro-schüre zum All-gäuer Sennalpen-weg (Ausschnitt;Quelle: www.sennalpenwege.de)

Der Alpbesitzer und Senn KLAUS

BECK gibt Auskunft über Funktions-weise und Situation der Alpwirt-schaft im Allgäu. Außerdem erklärter bei einer Führung durch die Kä-seküche anschaulich den Prozessdes Käsens. Die Alpe ist entwederüber die Sesselbahn auf den Mittagvon Immenstadt oder durch einenkurzen, dafür steilen und schweiß-treibenden Aufstieg von Gunzesriedaus zu erreichen (Fig. 5).

Fig. 5Der Weg zur AlpeOberberg als Bei-spiel erfolgreicherDirektvermark-tung (Quelle:Bayerisches Ver-messungsamt,www.geodaten.bayern.de)

Sprecher der Genossenschaft ge-ben Auskunft zur Sennerei, Verant-wortliche des Bergbauernmuseumsoder Vertreter der Tourismusverwal-tung Immenstadt, die an diesem Pro-jekt federführend beteiligt waren,zum Bergbauernmuseum.

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ness-Dichte“ in Bayern vorzuwei-sen.

Privatisierungen wurden aberauch innerhalb des Allgäus selbstvorgenommen. Im Landkreis Ober-allgäu haben sich im Jahre 2000mehrere kommunale und privatetouristische Leistungsträger zusam-mengeschlossen, um eine zentraleVermarktungsplattform für die Fe-rienregion Oberallgäu zu gründen.Neben der Durchführung allgemei-ner Marketingmaßnahmen betreibtdie Oberallgäu Tourismus ServiceGmbH ein Call Center und ist fürdie Organisation der neuen elektro-

nischen „Allgäu-Walser-Gästekarte“zuständig. Für die Bewerbung dergesamten touristischen Region All-gäu ist von öffentlicher Seite wei-terhin der Tourismusverband Allgäu/Bayerisch-Schwaben e.V. verant-wortlich. Seit seiner Gründung imJahre 1950 wurde der von den All-gäuer Alpen bis nördlich der Donaureichende Verband von Streitigkei-ten und Unzufriedenheiten überZuschnitt, Aufgabe und Finanzie-rung begleitet. Nach Austrittsdro-hungen wichtiger Oberallgäuer Ge-meinden wird nun seit dem Jahre2000 innerhalb der politisch be-

grenzten Großregion Schwaben dasAllgäu als eigene Marke geführt.

Immenstadt (6)Dass das Allgäu einen attraktivenRahmen für moderne Abenteuer-und Natursportarten darzustellenvermag, zeigen nicht zuletzt eigeneInternetseiten, wie „Snowboardenim Allgäu“, oder spezielle Events,wie der „Allgäuer Mountainbike Ma-rathon“. Auch einzelne Orte weisenauf die vielfältigen Möglichkeitendes Funsports vom Wildwasserfah-ren bis zum Bungee-Jumping hin.Interessant ist jedoch, dass selbstAllgäuer Outdoor-Touristikunterneh-men ihre abenteuerbezogenen Ak-tivitäten teilweise nicht im Allgäuselbst, sondern im benachbarten Ti-rol durchführen. Dafür gibt es zwarnaturräumliche Gründe, wie die Tat-sache, dass sich der Inn besser fürdas Rafting, die Zuflüsse und Ne-bentäler des oberen Inn besser zumCanyoning eignen als die Flüsseund Schluchten im Allgäu. Dochauch administrative Hürden habenfür diese Entwicklung gesorgt. Sowar bis vor kurzem die kommerzi-elle Nutzung der Iller untersagt. DemAllgäu sind auf diese Weise zwarBelastungen von bis zu 2000 Raf-tern pro Tag erspart geblieben, wiesie an Spitzentagen durch den Inngeschleust werden, andererseitswurden damit aber auch Chancenversäumt, der Destination eine Ver-jüngung des Images zu verpassen.

Auskunft zu Privatisierungen im tou-rismuspolitischen Allgäu, zu touris-tischen Leitbilddiskussionen und zuden allgemeinen Schwierigkeiten desDestinationsmanagements gebenMitarbeiter des Tourismusverbandesin Augsburg (Tel.: 0821/4504010).

Mitarbeiter der Kurverwaltung Ober-staufen (Tel.: 08386/93000) gebenAuskunft über die Auswirkungen derGesundheitsreform auf den Schroth-kurort und informieren über touris-muspolitische Strategien zur Bewäl-tigung der Krise.

Fig. 6 Studentengruppe bei der Befragung von Mountainbikern in Oberstdorf (Foto: Apenburg 1998)

Auskunft zur Entwicklung des Aben-teuer- und Natursportangebotes undüber die bestehenden Widerständekönnen lokale Veranstalter, wie z.B.Faszinatour oder das OberallgäuerRafting- und Erlebnis-Zentrum ge-ben.

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Virtuelles Allgäu

Die Region Allgäu hat frühzeitig dieWeichen für eine professionelle In-ternetpräsenz gestellt. Insbeson-dere größere touristische Orte wieOberstdorf sind hier bundesweitvorbildlich und für ihren Internet-auftritt regelmäßig prämiert worden.Ein kurzer Vergleich mit z.B. Gar-misch-Partenkirchen stellt dies ein-drucksvoll unter Beweis.

Wenn die Expertenmeinung zu-treffend ist, dass elektronische In-formations- und Buchungsplattfor-men den touristischen Markt grund-legend transformieren werden, dannscheint das Allgäu auf diese Ent-wicklung gut vorbereitet zu sein.Abgesehen von kleinen „Globalisie-rungs-Schmankerln“ wie der Ver-ortung der offiziellen Hauptseite derbayerischen Tourismuswerbung inWeißrussland (www.bayern.by), sindaus geographischer Perspektive vorallem die virtuellen Multiplizierun-gen des Allgäus von Interesse. Sopräsentiert sich Oberstdorf als einviel geteilter Ort (Wanderregion, Vi-taldorf, Skidorado, Umweltfreund-lich), und die touristische Destina-tion Allgäu erscheint in vielfältigenregionalen Variationen und Kom-positionen („allgaeu.de“, „oberallgaeu-ferien.de“, „ostallgaeu-tourismus.de“, „ferienregion-allgaeu.de“,„allgaeuer-seenland.de“, „allgaeu-gletscher-card. com“ und „Allgäu-Tirol“.

Internetpräsentation der Gemeinde Oberstdorf

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Zur Vorbereitung der Veranstaltung

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Die Vorbereitungsarbeiten zum Ex-kursionspraktikum sollten mindes-tens ein bis zwei Monate vor der Ab-fahrt vom Hochschulstandort begin-nen, damit die Teilnehmer ausrei-chend Zeit haben, sich auch inhalt-lich einzuarbeiten. Der auf einemersten Treffen verteilte Reader ent-hält neben allgemein-länderkundli-chen Überblicksarbeiten und Arti-keln, die Basiskenntnisse zu denthematischen Schwerpunktsetzun-gen des Praktikums vermitteln, auchweiterführende Aufsätze als An-knüpfungspunkte für eigene Fra-gestellungen. Er könnte beispiels-weise in der folgenden Form aufge-baut sein:

1. Das Allgäu: Historische Ent-wicklung und regionale Charak-teristika

2. Tourismus und Alpenraum3. Landwirtschaft, Tourismus und

gesellschaftlicher Wandel4. Tourismus und Region: Chan-

cen, Möglichkeiten und Grenzender Regionalentwicklung durch/mit / trotz Tourismus

5. Empirische Sozialforschung: Eineinführender Überblick

6. Tourismus: Ein Überblick übergrundlegende Begrifflichkeiten

7. Literaturhinweise

Zugleich werden auf diesem erstenTreffen Themen zur vertieften Vor-bereitung vergeben. Die „Themen-experten“ – je zwei Studierende proThemenbereich – sollten wichtige

Sachinformationen in Form einesHandouts zusammenfassen und vorOrt an alle Teilnehmer verteilen. Siewerden später im Verlauf der Ver-anstaltung an geeigneten Stand-orten immer wieder aufgefordert,kurze Statements aus der Sicht ih-res „Spezialgebietes“ zu geben. Au-ßerdem gehört es zur Aufgabe derThemenexperten, „ihre“ Perspektiveselbständig in Diskussionen einzu-bringen und im Praktikumsteil an-dere Gruppen zu beraten. Geeig-nete Themen sind z.B.:

• klimatische und pedologischeVorgaben für die Landwirtschaftim Allgäu,

• Wirtschaftsstrukturen im Allgäu:Vergleich der drei LandkreiseOberallgäu, Ostallgäu und Un-terallgäu,

• die Rahmenvorgaben des Re-gionalplans Allgäu,

• der von der EU gesetzte Rah-men für die Landwirtschaft,

• Vereinödung und Flurbereini-gung,

• Strukturen und Probleme derMilchwirtschaft im Allgäu,

• die Entwicklung des ökologi-schen Landbaus,

• Alpwirtschaft im Wandel, • jüngere Trends im Reise- und

Freizeitverhalten in der BRD, • touristisches Destinationsmana-

gement im Allgäu, • die historische Entwicklung des

Fremdenverkehrs in Hindelangund Oberstdorf,

• die Selbstpräsentation der Ge-meinden Oberstaufen, Hinde-lang, Oberstdorf und Immen-stadt in Prospekten, Werbungund im Internet,

• das Hindelanger „Öko-Modell“.

Während eines zweiten Vorberei-tungstreffens, für das der zeitlicheRahmen nicht zu knapp bemessensein darf, werden die Texte desReaders dann gemeinsam bespro-chen. Das Durchsprechen sollte sichjedoch nicht auf ein prüfendes Ab-fragen von Fakten beschränken,sondern auch auf Argumentations-linien und -brüche in den einzel-nen Aufsätzen abzielen und so einkritisches und nicht „blindgläubi-ges“ Lesen vermitteln. Eine akti-vere Teilnahme der Beteiligten kanndadurch stimuliert werden, dassbei offenen Fragen zuerst die „The-menexperten“ zu einer Stellung-nahme aufgefordert werden, bevorsich der Dozent einmischt. Ziel desVorbereitungstreffens ist es, die Teil-nehmer mit allgemeinen Charakte-ristika der Region so vertraut zumachen, dass die ersten Eindrückewährend des Aufenthaltes bewusstwahrgenommen und geordnet wer-den können und bei Gesprächenmit Referenten der lokalen Verwal-tung gezielte Fragen möglich sind.Außerdem soll hierbei bereits eineerste Sensibilisierung für möglicher-weise interessante Fragestellungenfür den Praktikumsteil erreicht wer-den. Dem Dozenten kommt in die-ser Phase die Rolle eines Dienstleis-ters und Wegweisers zu, der Ma-terialien bereitstellt, für Fragen zurVerfügung steht und durch Diskus-sionsmoderation auf interessanteThemen hinweist, sich aber immerso weit im Hintergrund hält, dassdie eigenständige Initiative der Teil-nehmer nicht behindert wird. DieseRolle behält der Dozent auch imExkursionsteil bei, die Hinführungauf möglicherweise interessanteFragestellungen steht dort abernoch stärker im Zentrum.

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Literatur zur Entwicklung von Landwirtschaft und Tourismus

im Allgäu

BAUER, A. (1999): Das Allgäu-Image.Studie zum Fremdimage des All-gäus bei der deutschen Bevölke-rung. Kempten [unveröffentlichtesGutachten].Repräsentativ für die Bevölkerungs-struktur der BRD wurde hier vonder Gesellschaft für Konsumfor-schung in Nürnberg eine bundes-weite Quotenstichprobe nach ihremAllgäu-Bild befragt. Die Ergebnisseder Studie geben sowohl Aufschlussüber typische Allgäu-Assoziationenwie auch über die sozialstrukturelleZusammensetzung der Allgäu-Ur-lauber.

BERGMEIER, H. (1996): Wie sie Einödinengemachet: Vereinödung im Kemp-tener Raum – ein Beitrag zur Ge-schichte der ländlichen Neuord-nung durch Flurbereinigung.München. = Berichte aus der Flur-bereinigung, 56. Übersichtliche Darstellung der Geschichte der Vereinödung imKemptener Raum mit zahlreichenKarten.

CRÄMER, U. (1954): Das Allgäu: Werdenund Wesen eines Landschaftsbe-griffs. Remagen. = Forschungen zurdeutschen Landeskunde, 84. Quellenreiche Rekonstruktion histo-rischer Regionalisierungsweise imAllgäu von der frühen Besiedlungüber das kirchenrechtliche Allgäu,das Allgäu des Bauernkrieges biszum Allgäu der Heimatkunde gegenEnde des 19. Jh.

DEMMELER, M. (2001): Ökobilanz einesVerbrauchers regionaler Bio-Le-bensmittel am Beispiel der „vonHier“-Produkte von Feneberg.Kempten [Kurzfassung einer unver-öffentlichten Diplomarbeit].Die bislang im Internet verfügbareKurzfassung gibt in der Form einerInformationsbroschüre knappe In-formationen zur Problematik der Er-stellung von Ökobilanzen und zurökologischen Bilanzierung regiona-ler Produkte.

DIETMANN, TH., & L. SPANDAU (1996):Renaturierung eines Skigebietes:Beitrag zu einem sanften Tourismusim Alpenraum? GeographischeRundschau, 48 (3): 152–158.Beschreibt den Renaturierungspro-zess eines unwirtschaftlich gewor-denen Skigebietes bei Immenstadt.Das Projekt war dezentrales Aus-stellungsobjekt der Expo 2000.

HERZ, D. (1993): Hindelang und seineGäste: Zum Verhältnis zwischenEinheimischen und Urlaubern ineinem Oberallgäuer Fremdenver-kehrsort. Tübingen.Angereichert mit historischen Mate-rialien, behandelt die Studie auf derGrundlage teilnehmender Beobach-tung und offener Interviews denfundamentalen sozialen und ökono-mischen Wandel des Alltagslebensin einer landwirtschaftlichen Ge-meinde, die sich zum Tourismusortentwickelt. In Fallstudien werdenv.a. Modernisierungschancen undVeränderungsängste deutlich, dieder zunehmende Kontakt mit dem„Fremden“ mit sich bringt.

IHK für Augsburg und Schwaben (ver-schiedene Jahrgänge): IHK-Analy-sen für die Landkreise in Schwaben.Jährliche übersichtliche Zusammen-stellung der wichtigsten Wirtschafts-daten der Allgäuer Landkreise.

INHETVEEN, H., & M. BLASCHE (1983):Frauen in der kleinbäuerlichenLandwirtschaft. Opladen. Umfangreiche empirische Studie inzwei fränkischen Regionen zum sichwandelnden Lebensalltag von Frauenin der kleinbäuerlichen Landwirt-schaft. Zahlreiche Interviewauszügevermitteln einen lebendigen Ein-druck von den umfassenden Trans-formationen der letzten Jahrzehnte.

JAHN, W. (1989): Der LandschaftsnameAllgäu im Wandel der Zeit: Reich-weiten-Ambivalenz als Folge sichändernden Sinngehalts. Mitteilun-gen der Geographischen Gesell-schaft in München, 74: 107–162.

In der Verbindung von historischenRegionalisierungen (s. CRÄMER 1954)und naturräumlichen Abgrenzungs-versuchen ist der Autor bestrebt,das Allgäu als Landschaftsraum-Individuum zu identifizieren. Der Artikel eignet sich sowohl für einenknappen Einblick in die geschichtli-che Entwicklung des Allgäus wieauch als kritische theoretische Ex-pedition in das landschaftskundlicheParadigma der Geographie.

KETTEMANN, O. [Hrsg.] (2000): „Drobenim Allgäu, wo das Brot ein End’hat“: Zur Kulturgeschichte einerRegion. Kronburg-Illerbeuren.Der Band versammelt zahlreiche in-teressante und kenntnisreiche kul-turgeschichtliche Aufsätze zum All-gäu von der ersten Besiedlung überden frühneuzeitlichen Bergbau, dieEntwicklung der Milch- und Alpwirt-schaft sowie die Anfänge desFremdenverkehrs bis zur heutigenSituation der Industrie.

KLIMA, A. (1989): Das Abbild der Raum-vorstellung „Allgäu“ als Facette desRegionalbewußtseins einer heimat-tragenden Elite. Berichte zur deut-schen Landeskunde, 63 (1): 49–78.Empirische Untersuchung derReichweitenvorstellung der Regio-nalbezeichnung „Allgäu“ von Perso-nen, die selbst im Allgäu wohnenund sich mit diesem Raum in be-sonderer Weise identifizieren.

LINDNER, K. (2000): Nachhaltige Ge-meindeentwicklung am Beispiel derAllgäuer Berggemeinde Hindelang.Erlangen. = Erlanger Geographi-sche Arbeiten, 61. Darstellung, Analyse und Bewertungdes Hindelanger „Öko-Modells“ vordem Hintergrund des Leitgedankenseiner nachhaltigen Entwicklung.

NOWOTNY, P. (1991): Alpwirtschaft: DieEntstehung unserer Kulturland-schaft im Alpenraum. Kempten. =Allgäuer Heimatbücher, 90. Detailreiche Entwicklungsgeschichteder Alpwirtschaft im Allgäuer Raummit ausführlichen Fallbeispielen. Dieaktuelle Situation wird etwas ver-nachlässigt.

Regionaler Planungsverband Allgäu[Hrsg.] (1999): Regionalplan RegionAllgäu (16). Kempten.

RENN, M. (2000): Die Dialekte im Allgäu:Bedeutung, Stand und Zukunfts-aussichten. In: KETTEMANN, O. [Hrsg.]:„Droben im Allgäu, wo das Brot einEnd’ hat“: Zur Kulturgeschichteeiner Region. Kronburg-Illerbeuren:289–295.Sprachwissenschaftliche Analysedes „Allgäuerischen“, seiner Varian-ten und der Verbreitungsgrenzen.

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RUDAT, CH. (2001): Neue Strukturen imTourismus: Der tourismuspolitischeWeg Bayerns. Aspekte des Zusam-menspiels der neu gegründeten Bay-ern Tourismus Marketing GmbH mitanderen Akteuren im bayrischemTourismus. Eichstätt [unveröffent-lichte Diplomarbeit].Darstellung des Restrukturierungs-prozesses der bayerischen Touris-muspolitik vergangener Jahre mit Fo-kus auf die Entstehung der BayTM.

SCHOLZ, H. (1995): Bau und Werdender Allgäuer Landschaft: ZwischenLech und Bodensee – eine süd-deutsche Erd- und Landschaftsge-schichte. Stuttgart.Umfassende und anschauliche Dar-stellung der erdgeschichtlichenEntstehung der Raumes vom Erd-altertum bis zum Ende der Eiszeitenmit vielen Abbildungen.

STREMLOW, M. (1998): Die Alpen ausder Untersicht: Von der Verheis-sung der nahen Fremde zur Sport-arena – Kontinuität und Wandel vonAlpenbildern seit 1700. Bern/Stutt-gart /Wien.Darstellung des sich wandelndengesellschaftlichen Alpenbildes seit1700, die gerade durch ihren er-zählenden und mit vielen Primär-quellen arbeitenden Stil die Relati-vität vermeintlich „natürlicher“Raumimaginationen verdeutlicht.

Quellennachweis für AbbildungenFigur 2: Alpwirtschaftlicher Verein im

Allgäu (Datenbankauszug), Bayeri-sches Landesamt für Statistik undDatenverarbeitung (Datenbankaus-zug), Landwirtschaftsamt Kemp-ten/Lindau (Datenbankauszug),Statistische Berichte des Bayeri-schen Landesamtes für Statistikund Datenverarbeiten (2002), Stif-tung Ökologie und Landbau (2002),www.oekoloigsche-konzepte.de/oekolandbau/statistik_d_vo209291.html.

Figur 3: Bayerisches Landesamt fürStatistik und Datenverarbeitung,Tourismusverband Allgäu/Baye-risch-Schwaben e.V., einzelne Orte;Angaben in der Karte beziehen sichauf das Jahr 1999.